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Das Erste Tabu
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Das Erste Tabu

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About this ebook

»Ja, was man so erkennen heißt!
Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?
Die wenigen, die was davon erkannt,
die töricht gnug ihr volles Herz nicht wahrten,
dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten
hat man von je gekreuzigt und verbrannt.«
Goethe

Glauben Sie auch, dass Wissen Macht ist? Es macht häufiger ohnmächtig, als Sie denken. Meinen Sie, dass Information grundsätzlich gut und nützlich ist? Auch das ist ein Irrtum.

Desinformation hat nichts Mysteriöses, sie ist allgegenwärtig. Das hier erstmals eingeführte Phänomen der passiven Desinformation ist eine besonders faszinierende Form mit weitreichenden Folgen: die Betroffenen sind sich dieser Schwäche nicht bewusst.

Sie ist damit nicht zuletzt ein Ansatzpunkt der einfachsten und zugleich wirksamsten Form von Machtausübung - wer eine Einflussnahme nicht bemerkt, kann auch keine Gegenmaßnahmen ergreifen.

Dieses Buch bietet Ihnen einen einfachen, anekdotischen und unterhaltsamen Zugang zu einem hochsensiblen Thema.

Zahlreiche Beispiele illustrieren DIE Basisschwäche menschlichen Denkens.

LanguageDeutsch
Release dateApr 5, 2014
ISBN9781310490088
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    Book preview

    Das Erste Tabu - Dr. Thomas R. Glück

    Titelbild: M. C. Escher’s »Print Gallery«

    © 1996 Cordon Art – Baarn – Holland. All rights reserved.

    »Ein Bild hielt uns gefangen. Und heraus konnten wir nicht, denn es lag in unsrer Sprache, und sie schien es uns nur unerbittlich zu wiederholen.«

    Wittgenstein

    Dr. Thomas R. Glück: Das Erste Tabu: Blinde Flecken

    Vierte, geänderte eBook Edition 2014 

    Smashwords Edition, ISBN: 9781310490088

    ISBN der Druckausgabe: 3-9805153-1-1 (Antea Verlag GmbH, Passau, 1995)

    © Dr. Thomas R. Glück, München, 1995. All rights reserved.

    Das vorliegende Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Publikation darf ohne schriftliche Genehmigung reproduziert werden. Dies gilt insbesondere für Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk und Fernsehen sind vorbehalten.

    Smashwords Edition, License Notes

    This ebook is licensed for your personal enjoyment only. This ebook may not be re-sold or given away to other people. If you would like to share this book with another person, please purchase an additional copy for each recipient. If you're reading this book and did not purchase it, or it was not purchased for your use only, then please return to your favorite ebook retailer and purchase your own copy. Thank you for respecting the hard work of this author.

    Vorwort

    Glauben Sie auch, dass Wissen Macht ist? Es macht häufiger ohnmächtig, als Sie denken.

    Meinen Sie, dass Information grundsätzlich gut und nützlich ist? Auch das ist ein Irrtum.

    Desinformation hat nichts Mysteriöses, sie ist allgegenwärtig. Das hier erstmals eingeführte Phänomen der Passiven Desinformation ist eine besonders faszinierende Form mit weitreichenden Folgen.

    Dieses Buch soll Ihnen einen einfachen, unterhaltsamen Zugang zu einem ebenso schwierigen wie hochsensiblen Thema geben. Zahlreiche Beispiele illustrieren die Basisschwäche menschlichen Denkens. 

    Das Stilmittel wörtlicher Zitate kam hier ganz bewußt zum Einsatz. Es dient in erster Linie der klaren Abgrenzung fremder von eigener Leistung. Meine Auswahlkriterien waren – neben leichter Verständlichkeit – vor allem Prägnanz, Unterhaltungswert und Originalität der verwendeten Quellen. Für letzteres kann ich allerdings nicht garantieren: bei den jeweils wiedergegebenen Autoren muss es sich nicht notwendigerweise um die ersten Urheber des Gedankens handeln (böse Zungen behaupten, die Wissenschaftsgeschichte sei die Geschichte des geistigen Diebstahls; nicht wenige Publikationen bestehen fast ausschließlich aus verschleierten Zitaten). FN1

    Sie werden insbesondere keine interpretierenden Zusammenfassungen lesen, die Beispiele wurden unmittelbar als »mittragende Elemente« verwendet.FN2 Fremde Leistung soll durch die wörtliche Wiedergabe aber nicht nur gewürdigt, sondern andererseits auch in ihre Grenzen verwiesen werden.

    Diese dritte, etwas gekürzte Ausgabe des Buches wurde im Layout speziell für das eBook-Format gestaltet.

    Restbestände der etwas umfassenderen Erstausgabe von 1997 erhalten Sie ansonsten in üblichem Layout und bester Qualität über den Buchhandel. Bei Interesse fragen Sie dort bitte nur nach dem alten Titel,FN3 da ich die Druckversion noch anonym publizierte.

    Viel Spaß bei der Lektüre!

    Inhalt

    Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?

    Modelle

    Weltbilder

    Die Verhexung des Verstandes

    Aktive Desinformation

    Präsentation

    Schafe hüten

    Macht

    Probleme und Lösungen

    Forschung und Lehre

    Wahnsinn und Genie

    Hirten im Schafspelz

    Epilog

    Quellen

    Wagner

    Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!

    Möcht jeglicher doch was davon erkennen.

    Faust

    Ja, was man so erkennen heißt!

    Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?

    Die wenigen, die was davon erkannt,

    Die töricht gnug ihr volles Herz nicht wahrten,

    Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,

    Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.

    Goethe

    Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?

    Wenn Sie Ihr linkes Auge schließen, mit dem rechten Auge das Kreuz fixieren und dabei langsam den Abstand zu diesem Buch verändern, können Sie etwas Interessantes beobachten:

    Sobald Sie die richtige Distanz erreicht haben (gewöhnlich bei etwa 20 cm), verschwindet das Quadrat; jeder Mensch hat einen blinden Fleck an der Stelle, an welcher der Sehnerv in das Auge mündet. Das Experiment gelingt auch, wenn Sie das rechte Auge schließen und während der Bewegung mit dem linken Auge das Quadrat fixieren: Jetzt verschwindet das Kreuz.

    Obwohl diese örtliche Blindheit ständig vorhanden ist, wird sie normalerweise nicht wahrgenommen: Sie sehen nicht, daß Sie nicht sehen!

    Dieses Experiment war auf die visuelle Wahrnehmung beschränkt. Ganz ähnliche blinde Flecken treten jedoch auch im Denken eines jeden Menschen auf. Diese grundlegende Beschränkung hat weitreichende Folgen.

    Das vorliegende Buch gibt Ihnen eine einfache, umfassende Erklärung dieses faszinierenden Phänomens.

    Modelle

    Modelle sind Abbildungen von irgend etwas; so bilden zum Beispiel Landkarten Landstriche oder Erdteile ab. Modelle sind natürlich nicht identisch mit dem Abgebildeten – eine »perfekte« Abbildung wäre kein Modell mehr, sondern die Vorlage selbst. Josiah Royce gibt uns anhand der englischen Landkarte ein interessantes Beispiel für die Unmöglichkeit eines derartigen Projekts: »Stellen wir uns vor, ein Teil Englands wäre vollkommen eben gemacht worden und ein Kartograph zeichnete auf diese Fläche eine Karte von England, und zwar eine perfekte Karte, auf der auch nicht das winzigste Detail fehlt. Dann müßte diese Karte auch eine Karte der Karte enthalten, und diese wieder eine Karte der Karte, und so fort bis ins Unendliche«.1

    Selbst wenn wir uns nur auf Größenmaße beschränken, ist eine Abbildung im »echten« Maßstab 1:1 nicht möglich. Wenn man beispielsweise Englands Küstenlänge messen wollte, so könnte man zunächst mit einem Flugzeug in großer Höhe darüber fliegen, Luftaufnahmen machen, und diese anschließend maßstabsgerecht auswerten. Nun sind auf den Photographien viele kleinere Buchten und Vorsprünge nicht zu erkennen – man fliegt also nochmals in geringerer Höhe darüber hinweg und wiederholt die Messung. Die jetzt erhaltene Länge ist bereits erheblich größer. Die neuen Photographien sind aber noch immer ungenau. Deshalb vermißt man die Küste anschließend zu Fuß mit einem Stechzirkel, der auf einen Radius von einem Meter eingestellt ist. Wiederum erhält man einen größeren Wert, da weitere Details erfaßt werden können. Je kleiner man den Radius des Zirkels wählt, um so länger wird die Küste, bis man schließlich jeden Kieselstein, jedes Sandkorn, ja sogar jedes Molekül oder Atom mitmessen würde. Kein Ergebnis wäre hundertprozentig richtig, jedes stellt somit einen mehr oder weniger guten Kompromiß dar.2

    Ein Modell braucht seiner Vorlage noch nicht einmal ähnlich zu sein: Denken Sie nur an die abstrakte Kunst oder unsere Sprache. Wenn sich 1641 der deutsche Grammatiker J. G. Schottel auch dazu hinreißen ließ, »die Verwandtschaft der natürlichen Eigenschaft der Dinge mit den teutschen Wörtern«3 zu preisen, kann man nur schwer leugnen, daß »die Zahl 5 nichts besonders Fünfartiges an sich« hat »und das Wort ›Tisch‹ nichts besonders Tischähnliches«.4 Selbst in Eugen Roths »Märchen« ist und bleibt das Schaf nur ein Wort:

    Ein Mensch, der einen andern traf,

    Geriet in Streit und sagte: »Schaf!«

    Der andre sprach: »Es wär Ihr Glück,

    Sie nähmen dieses Schaf zurück!«

    Der Mensch jedoch erklärte: Nein,

    Er säh dazu den Grund nicht ein.

    Das Schaf, dem einen nicht willkommen,

    Vom andern nicht zurückgenommen,

    Steht seitdem, herrenlos und dumm

    Unglücklich in der Welt herum.5

    Im Gegensatz zur Sprache gibt es bei ähnlichen Modellen kaum Möglichkeiten zur Negation, »also der Verneinung eines Sachverhalts durch […] Ausdrücke wie nicht, kein, nie, nirgends usw. [… Es ist] schwierig, wenn nicht unmöglich, das Nichtzutreffen eines Sachverhaltes oder das Nichteintreten eines Ereignisses bildhaft darzustellen. Der Satz, Der Mann pflanzt einen Baum, läßt sich mittels einer einfachen Zeichnung unschwer ausdrücken; nicht aber das Gegenteil (Der Mann pflanzt den Baum nicht). Wie man es auch angeht, läßt sich diese Bedeutung nicht eindeutig vermitteln und man kommt – je nach der versuchten bildhaften Lösung – immer wieder bei unzutreffenden Bedeutungen, wie etwa Ein Mann neben einer Grube und einem umgefallenen Baum, Mann und ausgegrabener Baum oder ähnlichem an. Erfahrene Hypnotiseure vermeiden daher die Verneinung und ersetzen sie, wo immer möglich, durch eine positive Formulierung. Dem bereits operierten, aber noch unter Vollnarkose stehenden Patienten suggeriert man daher nicht: ›Sie werden nach Erwachen keinerlei Brechreiz empfinden‹ […], sondern ›Bei der Rückkehr auf Ihr Zimmer in etwa zwanzig Minuten werden Sie sehr zu Ihrer Überraschung ein angenehmes Gefühl des Appetits verspüren‹. Da Appetit und Übelkeit sich gegenseitig ausschließen, ist damit das Nötige gesagt [… Dies] beschränkt sich keineswegs nur auf die Hypnose. Jeder Wunsch, jeder Befehl ist viel eindrücklicher, wenn er in positiver Sprache (d. h. unter Vermeidung von Negationen) gegeben wird. ›Denk daran, den Brief aufzugeben‹ dürfte dem Betreffenden, vor allem einem Kinde, viel besser im Gedächtnis bleiben als ›Vergiß ja nicht, den Brief aufzugeben‹.«6

    Vielleicht haben Sie ja selbst schon einmal ähnliche Erfahrungen gemacht, etwa beim Erlernen einer Sportart: man macht erheblich schneller Fortschritte, wenn man sich darauf konzentriert, wie man es richtig macht, anstatt sich krampfhaft zu bemühen, Fehler zu vermeiden. Zudem verbessert die bildhafte Vorstellung die Behaltensleistung beim Lernen ganz erheblich, worauf viele Lerntechniken beruhen. Ein Bild sagt oft mehr als tausend Worte: John Locke machte deshalb 1689 den Vorschlag, »daß Wörter, die solche Dinge bezeichnen, die an ihrem Aussehen zu erkennen sind und auch nach ihrer äußerlichen Gestalt unterschieden werden, durch kleine Zeichnungen und Bilder wiedergegeben werden sollten. Ein Wörterbuch, das auf diese Art hergestellt wird, würde vielleicht leichter und schneller die wahre Bedeutung vieler Ausdrücke klarmachen als alle umständlichen und mühsamen Erläuterungen gelehrter Kritiker. Das gilt besonders für solche Ausdrücke, die den Sprachen ferner Länder oder vergangener Zeiten entstammen. Auf diese Weise würden dem Menschengeist auch richtigere Ideen von mancherlei Dingen vermittelt werden, deren Namen wir bei antiken Schriftstellern lesen. Naturforscher, die über Pflanzen und Tiere berichten, haben die Vorteile dieses Verfahrens erkannt. Wer die Gelegenheit gehabt hat, sie zu befragen, wird gestehen müssen, daß er durch ein kleines Bild von apium [Eppich] oder von ibex [Steinbock] eine klarere Idee dieser Pflanze und dieses Tieres erlangt hat als eine lange Definition dieser beiden Namen ihm hätte vermitteln können. Zweifellos würde dasselbe der Fall sein bei strigil [Striegel] und sistrum [Klapper], wenn man […] am Rande der Zeile kleine Abbildungen dieser Geräte sehen könnte, so wie sie von den Alten gebraucht wurden. Toga, tunica, pallium sind Wörter, die wir zwar leichthin mit Rock, Kleid und Mantel übersetzen können; dadurch aber gewinnen wir von dem Schnitt dieser Kleidungsstücke der Römer ebensowenig eine zutreffende Idee, wie wir sie von den Gesichtern der Schneider besitzen, die diese Kleidungsstücke herstellten. Dinge wie diese, die das Auge nach ihrer Gestalt unterscheidet, würden dem Geist am besten durch [ähnliche] Abbildungen vermittelt; hierdurch würde die Bedeutung solcher Wörter genauer bestimmt als durch andere Wörter, die man für sie einsetzt oder zu ihrer Definition heranzieht.«7

    Selbstverständlich gibt es auch Situationen, in welchen nicht einmal mehr eine bildhafte Darstellung ausreicht: Versuchen Sie nur einmal, einen schwierigen Bewegungsablauf ausschließlich aus Büchern oder anhand von Filmen zu erlernen, also ohne die unmittelbare Führung durch einen qualifizierten Lehrer.

    Wie Karl Popper mit einem kleinen Experiment verdeutlicht, sind bereits unsere Wahrnehmungen nur Modelle des Wahrgenommenen: »Man schaut auf einen Gegenstand, auf die Bäume im Garten, schaut sie sich gut an und schließt dann seine Augen für ein paar Sekunden. Man versucht, sich genau vorzustellen, was man aufgrund dieser Anschauung erwartet, bevor man die Augen wieder aufmacht. Das Resultat ist: Wenn ich die Augen wieder aufmache, sehen die Dinge doch etwas anders aus, als ich erwartet habe.«8 Dasselbe gilt für alle anderen Sinne, wie zum Beispiel den Tastsinn oder den Geruchssinn. Nach Francis Bacon übertrifft die Feinheit der Natur »die der Sinne und des Verstandes um ein Vielfaches; jene schönen Erwägungen, Spekulationen und Begründungen der Menschen sind deshalb ungesunde Fundamente; niemand ist leider da, der das bemerkt. […] Es ist nämlich ein Irrtum zu behaupten, der menschliche Sinn sei das Maß der Dinge; ja, das Gegenteil ist der Fall; […] Der menschliche Verstand gleicht ja einem Spiegel, der die strahlenden Dinge nicht aus ebener Fläche zurückwirft, sondern seine Natur mit der der Dinge vermischt, sie entstellt und schändet.«9 Dabei muß die Wahrnehmung nicht notwendig von außen kommen. Man denke nur beispielsweise an Erinnerungen, Träume oder den Schmerz bei einer Verletzung.

    Natürlich ist jede Wahrnehmung über ihren Modellcharakter hinaus auch ein »Gefühl«: Man kann also nicht nicht fühlen. Die Erinnerung an ein Gefühl ist sowohl Modell des ursprünglichen Ereignisses als auch ein neues, eigenständiges Gefühl.

    Weltbilder

    Wir leben zwar alle unter dem gleichen Himmel,

    aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont.

    Adenauer

    Die Menge aller Modelle eines Individuums ist sein Weltbild. Der Nobelpreisträger Erwin Schrödinger setzte sogar das »Ich« mit seinem Weltbild gleich: Der »Grund dafür, daß unser fühlendes, wahrnehmendes und denkendes Ich in unserm […] Weltbild nirgends auftritt, kann leicht in fünf Worten ausgedrückt werden: Es ist selbst dieses Weltbild. Es ist mit dem Ganzen identisch und kann deshalb nicht als ein Teil darin enthalten sein.«1

    Wir werden durch die Grenzen unserer Weltbilder mehr oder weniger beschränkt; wenn etwas nicht darin enthalten ist, weiß man noch nicht einmal, was man nicht weiß. Wenn man nur eine Ahnung davon hätte, könnte man gezielt danach suchen: Andernfalls wird man wohl nur zufällig darauf stoßen. In George Orwells düsterem Zukunftsroman »1984« nutzen die Machthaber diesen Umstand, um durch die Entwicklung einer neuen Sprache – genannt »Neusprech« – »Gedankenverbrechen« zu verhindern (also von der vorgegebenen Meinung abweichende Gedanken). »Neusprech sollte nicht nur ein Ausdrucksmittel für die den Anhängern des Engsoz gemäße Weltanschauung und Geisteshaltung bereitstellen, sondern auch alle anderen Denkweisen unmöglich machen. Es war geplant, daß, wenn Neusprech ein für allemal angenommen und Altsprech vergessen worden war, ein ketzerischer Gedanke – d. h. ein von den Prinzipien des Engsoz abweichender Gedanke – buchstäblich undenkbar sein sollte, insoweit wenigstens, als Denken an Worte gebunden ist. Das Vokabular war so konstruiert, daß jeder schicklichen Meinung, die ein Parteimitglied äußern wollte, ein genauer und oft sehr subtiler Ausdruck gegeben werden konnte, während zugleich alle anderen Inhalte und auch die Möglichkeit, sie indirekt zu vermitteln, ausgeschlossen wurden. Dies erreichte man zum Teil durch die Erfindung neuer, hauptsächlich aber durch die Eliminierung unerwünschter Wörter und indem man die verbleibenden Wörter aller unorthodoxen und soweit wie möglich überhaupt aller Nebenbedeutungen entkleidete. […] Im Vergleich zu unserem war das Neusprechvokabular winzig, und ständig erprobte man neue Methoden, es weiter zu reduzieren. Neusprech unterschied sich von fast allen anderen Sprachen dadurch, daß sein Vokabular mit jedem Jahr schrumpfte, statt zu wachsen. Jede Reduktion war ein Gewinn, denn je kleiner die Auswahlmöglichkeit, desto geringer die Versuchung zu überlegen. Letztlich hoffte man so weit zu kommen, daß der Kehlkopf ohne Einschaltung der höheren Gehirnzentren die Sprache artikulierte. Dieses Ziel wurde in dem Neusprechwort Quaksprech, d.h. ›quaken wie eine Ente‹, offen zugegeben.«2

    Unsere Weltbilder stellen aber nicht nur Grenzen dar, denn, so »fragte Locke: ›Bildet wohl einer unter tausend je die […] Begriffe ‚Ruhm’ und ‚Ehrgeiz’, ehe er ihren Namen gehört hat?‹ Der eine prägt das neue Wort, und für die Millionen um ihn und nach ihm ist damit plötzlich zweierlei geschehen: Sie haben die Möglichkeit, etwas zu denken, das ihnen vorher nicht oder nur vage durchs Bewußtsein geglitten war«.3 Oscar Wilde meinte sogar, daß das Leben die Kunst weit mehr nachahme als die Kunst das Leben. Saint-Exupéry beschäftigte sich ebenfalls mit dieser Materie: »Schaut jener Frau zu […] – aber hört sie nicht an! Um die Welt zu erfassen, stehen ihr nur jene Kategorien zur Verfügung, mit denen sie der ›Lyoner Stadtanzeiger‹ befruchtet – jenes vergilbte Zeitungsblatt, das ich auf ihrem Tisch liegen sah.«4 In der Tat liefern erfolgreiche Massenmedien gute Ausschnitte aus den Weltbildern großer Bevölkerungsschichten.

    Keine zwei Weltbilder sind identisch und nicht immer sind die Mißverständnisse, die daraus entstehen, so amüsant und offensichtlich wie bei Lewis Carroll: »Alice war heilfroh, als sie den Wald hinter sich hatte und auf einen freien Platz gelangte, wo der Weiße König auf dem Boden saß und geschäftig in seinem Notizbuch kritzelte.

    ›Meine Reiter sind schon davongewetzt!‹ rief

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