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Der neue Pitaval - Band 15
Der neue Pitaval - Band 15
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Der neue Pitaval - Band 15

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About this ebook

Willibald Alexis (eigentlich Georg Wilhelm Heinrich Häring; * 29. Juni 1798 in Breslau; † 16. Dezember 1871 in Arnstadt) war ein deutscher Schriftsteller, der als Begründer des realistischen historischen Romans in der deutschen Literatur gilt. Neben den Romanen verfasste Alexis zahlreiche kleinere Erzählungen und Geschichten, Gedichte und Balladen, Reiseschilderungen und biographische Abrisse (etwa über William Shakespeare und Anton Reiser) und gab mit Hitzig ab 1842 den Neuen Pitaval heraus, eine Sammlung von authentischen Kriminalgeschichten, wobei die Autoren ihren Schwerpunkt auf die Psychologie der Verbrecher legten und durch spannungsgeladene Darstellung unterhalten wollten. (Auszug aus Wikipedia)
LanguageDeutsch
Release dateDec 27, 2015
ISBN9783956769078
Der neue Pitaval - Band 15

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    Der neue Pitaval - Band 15 - Willibald Alexis

    Eine Sammlung der interessantesten Criminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit

    Der neue Pitaval

    Vorwort

    Sechs Königsmörder, welche die französische Nation in drei Jahrhunderten hervorgebracht hatte, folgen in den ersten sechs Fällen dieses Theils. Es sind nicht die einzigen ihrer Zeit, nur die berühmtesten derselben. So hatten wir aus der langen Reihe von Attentaten und Höllenmaschinen, die gegen Louis Philipp spielten, nur die weltberühmten von Fieschi und Aliband geliefert. In aufsteigender Linie kam Louvel, der Königsmörder gegen die altern Bourbonen, dann ein Jahrhundert früher Damiens, der Attentäter gegen Ludwig XV., und in den beiden vorangehenden Jahrhunderten François Ravaillac, der Mörder Heinrich's IV., und Jacques Clement, der Heinrich's III. In andern Theilen hatten wir die Mordanschläge und Attentate behandelt, welche den ersten Napoleon zum Gegenstand hatten, und, wenn es uns gelüstet, hätten wir eine Reihe causes célèbres in den Angriffen auf Louis Napoleon III., bis zur Höllenmaschine des Italieners Orsini zum Stoffe. Vorläufig glaubten wir, unsere Leser wären zu gesättigt, wie die sittliche Welt hofft, daß der Höllenmaschine Orsini's und seiner Genossen keine Nachfolger kommen werden. Möchte Italien, dessen Wiedergeburt im Augenblicke, wo ich schreibe, möglich wird, sie damit feiern, daß deren Söhne ihre gute Sache nie mehr durch sicilianische Vespern, Fieschi'sche Höllenmaschinen und Orsini'sche Petarden entwürdigen.

    Zur Entschädigung nach so grauenhaften und blutbefleckten Seiten der Geschichte hatte Zufall oder Auswahl uns eine ganze Reihe von Criminalfällen aus dem Privatleben entgegen geführt, welche dem Leser als interessante Stoffe, wenn nicht gar als Novellen erscheinen werden.

    Der Fall Francesco Fava ist eine der großartigsten und interessantesten Betrügergeschichten des vorvorigen Jahrhunderts, ziemlich exact aus französischen Akten uns überliefert. Papavoine war und ist eine unerklärt gebliebene Mordgeschichte und Monomanie aus den Regesten der modernen Sittenzustände in der französischen Gesellschaft, Mathias Lenzbauer eine der psychologischen Monographien, deren Feuerbach mehrere uns hinterlassen hat.

    Eine Entführung und Konstantin Weise, beide Fälle, die sich vor etwa einem Vierteljahrhundert und in unserer nächsten Nähe in Sachsen ereignet, haben so sehr den Anstrich zweier Romane, der zweite eines hochtragischen, daß es der ganzen Autorität eines bewährten Ehrenmannes, Juristen und Richters, wie Bischoff in seinen Sammlungen, bedarf, um an aktenmäßige Begebenheiten zu glauben. Ein Wort über das große Interesse der außerordentlichen Handlungen zu erwähnen ist überflüssig.

    Ueber eine der neuern causes célèbres Londons, die Ermordung O'Connor's durch die Eheleute Manning, wiederholen wir aus der ersten Auflage: »Das Resumé der That selbst, wie es bald ermittelt ward, wäre einfach und nicht besonders interessant. Das hohe Interesse, welches der Fall beansprucht, erregte derselbe durch den Kampf der beiden Angeschuldigten unter einander über den Antheil ihrer Thäterschaft, der sich erst vor der Jury entwickelte und die furchtbaren Ausschlüsse, die allmälig für den Psychologen zu Tage stiegen, bis der Proceß durch die tragische Stunde vor der Hinrichtung und während der Execution ein noch ganz anderes in Anspruch nimmt. Ganz London war der aufmerksame Zuschauer, und jeder Tag, jede Stunde brachte Enthüllungen oder Muthmaßungen. Wollte man diese streichen und nur den wahrhaften Kern des wirklich Ermittelten geben, so ist es zweifelhaft, ob dieser merkwürdigste Proceß überhaupt der Aufnahme werth ist. Welches ungemeine Interesse erregt der Proceß Görlitz. Was wäre er, wenn man auf wenige Seiten die Geschichtserzählung, die Verdachtsgründe, die Zeugenaussagen, das Gutachten der Sachverständigen summirte, um schnell zu dem Schluß zu kommen, zu dem auch die Geschworenen kamen; aber erst im Verlauf der langen Assisen, bei deren Beginne sich ganz entgegengesetzte Ansichten, namentlich unter den Juristen, laut machten.« Es ist nicht unbekannt, daß Boz' Denunciationen seiner Zeit nicht unwirksam geblieben, und auch in England die öffentlichen Hinrichtungen jener Art nicht mehr stattfinden.

    W. Häring.

    Fieschi

    1835–1836

    Der Julithron schien in Frankreich befestigt, so nach Innen wie nach Außen. Aber die republikanische Partei war nur überwältigt, nicht vernichtet. Nach blutigen Aufständen, die zurückgeschlagen waren, machte sie ihrem Ingrimm nicht mehr in offener Empörung, sondern in einer Reihe von Attentaten gegen das Leben Louis Philipp's Luft, des Fürsten, dessen Klugheit sie um die Früchte eines Sieges betrogen, auf den sie mit der Zuversicht fanatischer Schwärmer gerechnet. Daß, nachdem alle diese Mordversuche verunglückt, ein Zufall, ein Puff, eine Luftblase scheinbar Das ermöglichen sollte, was so viele Mörderhände, Feuergewehre und Höllenmaschinen umsonst versucht, lag außer der Berechnung der Weitausblickendsten, so außer der Berechnung als das Resultat, das kaum ein Jahr darauf wieder alle Berechnungen umstieß: daß weder Mörderwaffen, Verschwörungen einer Partei, einer Stadt, noch, wenn man will, eines ganzen Landes im Stande gewesen, das monarchische Princip Frankreichs an der Wurzel anzugreifen. Der Mord eines Fürsten hätte wahrscheinlich dieses letztere Resultat nicht schneller herbeigeführt als seine übereilte Flucht. Zu langsam, fest und sicher ward seit Richelieu an dem neuen Frankreich gebaut, das nur in einer Alles überragenden Spitze, in einem alle Glieder durchädernden Pulsschlage seine Einheit, seine Bedeutung, sein Glück, seine Gloire findet, heiße diese Spitze, dieser Pulsschlag nun König, Kaiser oder Republik. Wo durch zweihundert Jahre künstlich und mit vollem Bewußtsein alle Gemeindeselbständigkeit und Freiheit vernichtet ward, die Grundlagen der germanischen Freiheit, konnte die Idee der Republik, im modernen wie im antiken Sinne, nur als ein Phantom auf Augenblicke die Gemüther berauschen. Unter allen Nationen der Welt scheint keine ihren Lebensbedingungen nach entfernter vom Ideal einer auf Selbstregierung basirten Republik als die französische. Louis Philipp ward fruchtlos verjagt. Er wäre auch fruchtlos ermordet worden, hätte eines jener Geschosse ihn tödtlich getroffen.

    Ueber den Zusammenhang aller dieser mannigfachen Mordversuche ist gerichtlich, vielleicht auch historisch, nichts mit Gewißheit ermittelt. In jener Zeit mochte, durfte man nicht Alles ergründen, man war zufrieden, wenn man die einzelnen Schuldigen und Thäter erfaßte; Dem nachzugehen, wie sie verädert und verwurzelt waren mit weiteren Kreisen, konnte ein Chaos aufwühlen, das zu bewältigen die Kraft fehlte; man ließ sich genügen, auf seiner blitzenden Oberfläche zu spielen. Jetzt, nach den letzten Enthüllungen, ward es gleichgültig. Die Legitimität hatte die Aufgabe, und zugleich lag es in ihrer Politik, den Verschwörungen nachzuspüren bis auf ihren verborgensten Herd, vielleicht noch weiter; es war und ist ihr Interesse, jede vereinzelte That darzustellen als das Product, die Frucht revolutionairer Principien und Verbindungen, während es im Interesse der Julidynastie lag, diesen Herd bei Seite zu lassen, weil auch sie gelegentlich daran geschmiedet, weil zu viel Enthüllungen auch aufdecken konnten, was sie gern in der Verborgenheit ließ. Der damaligen Untersuchung war es daher ganz genehm, wenn die Hochverrathsverbrechen im Lichte vereinzelter Verirrungen sich auffassen ließen.

    Fieschi's Attentat ist, trotz der Untersuchung, in seinen Motiven und Verbindungen das dunkelste geblieben, es war aber zugleich das erste und furchtbarste; also schon um deswillen verdient es einer besondern Aufzeichnung, unbeschadet des psychologischen Interesses, daß ein Charakter, wie der Fieschi's, bis da ein Unicum, ein Räthsel geblieben ist.

    Das fünfjährige Erinnerungsfest der drei Julitage sollte Dienstag am 28. Juli 1835 in gewohnter Weise durch große Heerschau über die Nationalgarde gefeiert werden. Der König erschien auf den Boulevards, umgeben von der glänzenden Suite seiner Söhne und seines Generalstabes, und ritt die aufgestellten Reihen der bewaffneten Bürgerwehr entlang.

    Verschiedene Weisungen und Winke waren der höhern Polizei schon früher gekommen. Man erfuhr sogar, daß Feuerwaffen, auf die Person des Königs gerichtet, aus einem Hause vom Boulevard Saint-Martin beim Vorüberreiten desselben sich entladen sollten. Man konnte Alles glauben, doch war ebensoviel Grund, die Angaben für Gespinnste des Argwohns oder betrügerischer Denunciationen aus Gewinnsucht zu achten. Es war eine Zeit, wo wirkliche Verschwörungen und Attentate mit dem Kitzel, sie zu fingiren, so bunt wechselten, als zur Zeit des zweiten Karl in England.

    Indessen hatte man von Seiten der Polizei dieses Revier aufs sorgfältigste umstellt. Seit 3 Uhr Morgens hatten die Polizeiinspectoren es durchlaufen, doch ohne etwas Verdächtiges zu gewahren. Ein Detachement Polizeiagenten, alle bewaffnet, ging dem Militairzuge vorauf und wenige Schritte vor dem Könige. Ihnen war aufgegeben, ihr Augenmerk namentlich auf alle Einmündungen der Seitenstraßen zu haben und beim geringsten drohenden Anzeichen den Weitermarsch aufzuhalten und, wenn es nöthig würde, auch die Reihen der Truppen zu durchbrechen.

    Der König ritt über den Boulevard du Temple, als plötzlich in der Nähe des Jardin Turc eine furchtbare Explosion die Luft erschütterte. Ein Blutbad, eine Niederlage, noch wußte man nicht woher, brachte den Zug in Verwirrung. Vierzehn Personen von denen, die Louis Philipp umgaben, sanken, tödtlich verwundet, nieder, unter ihnen die Napoleon'sche Berühmtheit, Marschall Mortier, der bald darauf starb. Der König selbst war von einer Kugel getroffen, die ihm die Stirn gestreift. Sein Pferd war an der Schulter verwundet. Auch die seiner beiden Söhne, des Herzogs von Nemours und des Prinzen von Joinville.

    Doch mitten im allgemeinen Entsetzen hatten die Augen der Polizei gewacht. Der Rauch, die Explosion waren aus einem obern Fenster aus einer Seitenreihe des Boulevard gekommen. Haufen von Nationalgarden hatten sich gegen das Haus gestürzt, es umzingelt. Man sah einen Mann, der sich an einem Stricke aus einem Hinterfenster bis auf eine Terrasse herabließ, welche von der Höhe des ersten Stockwerkes war. Er blutete am Kopfe, an der linken Hand selbst, mit der er, mit seltener Energie, sich herabgleiten ließ, denn drei Finger derselben waren zerschmettert. In der Rechten hielt er einen Dolch und eine Art Geißel, mit drei Bleiriemen versehen, um sich zu vertheidigen. Das war vergeblich, er ward sofort ergriffen und zuerst nach der Wache des Chateau d'Eau, dann nach der Conciergerie gebracht.

    Nationalgardisten und Sergeanten der Municipalgarde waren zu gleicher Zeit in das Haus gestürzt, dessen Thor offen stand. Im dritten Stockwerk erbrachen sie mit Kolbenschlägen die verschlossene Thür zu der Wohnung, aus welcher die Schüsse unzweifelhaft gekommen waren.

    Man fand hier eine Reihe kleiner Zimmer. Von dem nach vorn hinaus, wo geschossen worden, führten zwei Kammern nach der Küche, die nach dem Hofe hinausging. Hier war das Fenster, an welches der Mörder das Seil befestigt und die Flucht versucht hatte. Noch erfüllte ein dicker Rauch die Gemächer, dergestalt, daß man die Gegenstände darin kaum erkannte. Nachdem er sich zerstreut, fand man die Wohnung leer. In der ersten Kammer lagen zwei Flintenläufe, zwei andere in der Entrée zur zweiten. Alle waren noch heiß.

    Darauf entdeckte man auch die Höllenmaschine. Eine Menge Flintenläufe derselben lagen zerstreut auf der Erde. Ein zehn andere saßen noch fest, wie eine Batterie in zwei Querbalken, von denen der hintere beweglich war, um damit aus dem Fenster hinauszuzielen.

    Auch diese Läufe waren sämmtlich noch heiß. Zwei auf der Batterie waren gesprungen; auch von denen, die auf der Erde lagen, waren es zwei; muthmaßlich die Ursache, weshalb der ergriffene Mörder eine so schwere Verwundung erlitten, denn die Flintenläufe auf der Batterie waren mit Blut befleckt. Der Kalk von den Mauern umher war von der Wirkung des plötzlichen Losfeuerns an vielen Stellen abgesprungen. Auf dem Fußboden, besonders in der mittlern Kammer, war viel Blut vergossen.

    Der Ergriffene nannte sich Girard. Er wollte nichts von Mitschuldigen wissen und sonst nichts von den Details, über die man ihn befrug. In diesem Ableugnungssystem verharrte er aber nur drei bis vier Tage und endete damit, daß er die allervollständigsten Bekenntnisse ablegte.

    Er hieß nicht Girard, sondern Fieschi und war von Geburt ein Corse. Er nannte viele Mitschuldige, Pepin, Morey und Boireau, die sämmtlich gefangen gesetzt wurden. Der summarische Inhalt seiner Aussagen, in Bezug auf sich selbst und die Verbrecherthat, ist folgender.

    Joseph Maria Fieschi war, der Sohn armer Eltern, am 3. Decbr. 1790 zu Murato in Corsica geboren. Bis zum 18. Jahre war er Schäfer, wie es sein Vater gewesen. Im Jahre 1808 trat er in ein Bataillon, welches, in Diensten der Großherzogin Elise Napoleon, nach Toscana ging. Später ward er nach Neapel in die dortige corsicanische Legion geschickt. Er machte den Feldzug nach Rußland unter König Murat mit. Jung und feurig gab er hier Beweise großen Muthes und ward mit dem Orden der Ehrenlegion geschmückt.

    Er war glücklich aus Rußlands Schneegefilden, von der Berezinanacht zurückgekehrt in sein sonniges Italien, ohne den Muth zu kühnen Wagnissen eingebüßt zu haben. Er schloß sich der Handvoll Soldaten an, mit denen Murat den Thron von Neapel wiedererobern wollte. Nachdem Murat fusilirt war, drohte auch Fieschi dasselbe Loos. Doch gelang es ihm, zu entkommen und sein Vaterland Corsica wieder zu erreichen.

    Nach solchen Wagnissen lebte es sich für den Abenteurer schlecht beim kümmerlichen Verdienst von seiner Hände Arbeit. Er ward als betheiligt bei einem Ochsendiebstahl vor die Assisen gestellt, schuldig erklärt und zu 10 Jahren Gefängniß verurtheilt. Fieschi erduldete diese volle Strafe im Gefängniß von Embrun. Als Oberkoch im Krankenhause angestellt, zeigte er sich als ein halsstarriger, trotziger, stolzer Mensch, der auch hier schwer an Subordination zu gewöhnen war.

    Als er seine Freiheit erhalten, trieb er sich in den Provinzen um, bis Paris wieder das Feld seiner Thätigkeit ward. Hier fand er sie, wie er sie wünschte: er ward ein rüstiger Kämpfer in den Julitagen.

    Hier fand er auch eine alte Bekannte wieder, eine Witwe Lassave, mit der er in Embrun gefangen gesessen. Trotz der Strenge des Gefangenenreglements hatte die Liebe Mittel gefunden, die Schranken der inneren Kerkerverschlüsse zu umgehen. Im freien Paris gab es keine Schranken für Beider Neigung. Fieschi spielte den Großmüthigen gegen die Geliebte. Er schenkte mehr, als er selbst besaß. Er miethete unter dem Namen der Witwe Lassave eine Wohnung, die er mit einigem Luxus ausstattete. Aber die Liebe ohne Schranken ging über ihr ursprüngliches Ziel hinaus. Die Witwe Lassave entdeckte zu ihrem Verdruß, daß Fieschi eine noch zärtlichere Neigung zu ihrer Tochter Nina Lassave empfand und jagte ihn dafür aus ihrer Wohnung, wie aus ihrem Herzen und ihrem Umgang.

    Ohne Asyl, ohne Brot, ohne Hülfsmittel, versuchte er als Polizeiagent ein Unterkommen zu erhalten. Der Polizeipräfect Baude, früher Redacteur, dem die Julirevolution einen historischen Namen gemacht, wußte auch die Eigenschaften eines solchen Mannes zu schätzen. Diese Unterstützung fehlte ihm aber bald und er arbeitete eine Zeit lang in einer Fabrik von buntem Papier. Aber er fand es gerathener, sich selbst Papiere zu eigenem Gebrauch zu färben. Er fertigte sich Certificate als politisch von der Restauration Verfolgter an und gewann dadurch einige Unterstützung, auch eine kleine Anstellung, die aber wieder nur kurze Zeit dauerte.

    Da, ohne alle Hülfsquellen und schon wegen Betrügereien verfolgt, machte er Pepin's Bekanntschaft.

    Pepin war ein nicht unvermögender Kleinhändler in der Rue du Faubourg Saint-Antoine. Er war ein alter Republikaner; die Vermuthung stritt bereits gegen ihn, daß er bei allen demokratischen Aufständen im Hintergrunde betheiligt sei. Wegen des Aufstandes vom 5. und 6. Juni 1832, an dem er Theil genommen, war er schon einmal zum Tode verurtheilt gewesen. Der Cassationshof hatte das Urtheil cassirt.

    Mit Pepin gingen noch zwei politisch verdächtige Personen um, ein Arbeitsmann Boireau und ein Sattler Morey. Fieschi machte auch deren Bekanntschaft.

    Obgleich er wenig gelernt hatte, beschäftigte er sich doch gern mit mechanischen Arbeiten und Kunststücken. Der Plan zu einer Höllenmaschine war ihm schon lange im Kopfe umgegangen. Es sollte zur Vertheidigung einer Festung dienen. Die Zeichnung, die er davon gefertigt und Pepin gezeigt, erregte die Aufmerksamkeit desselben (sagt Fieschi), dessen Haß gegen die neue Regierung unerschöpflich war.

    Pepin sprach darüber mit Morey und Boireau. Man berieth sich und verständigte sich. Fieschi erhielt Geldunterstützungen. Die Zusammenkünfte wurden fortgesetzt. Endlich kam man überein, Louis Philipp müsse sterben.

    Fieschi übernahm es, mittels der von ihm erfundenen Maschine den König vom Leben zum Tode zu bringen. Nachdem ein Modell jener hergestellt war, machte man verschiedene Versuche. Der Erfolg schien unzweifelhaft, und man setzte den Tag auf den 28. Juli 1835 fest, wenn der König auf den Boulevards die Heerschau über die Nationalgarde abhalten werde.

    Fieschi miethete das oben erwähnte Quartier auf dem Boulevard du Temple im Hause No. 50. Meubles brachte er nicht hinein, aber er bezahlte den Miethzins im voraus und nannte sich dabei Girard.

    Von dem Augenblicke an kamen die Verschworenen sehr oft zusammen. Pepin und Morey gaben Fieschi das benöthigte Geld, um die Maschine selbst vollkommen herzustellen. Boireau nahm nicht entschieden daran Theil. Er schien die Sache als einen Spaß betrachten zu wollen. Fieschi aber arbeitete mit Feuereifer. Er hatte die Ausführung zu einer Ehren- und Gewissenssache gemacht.

    Er selbst kaufte alles zur Maschine Nöthige ein, das Holz, die Flintenläufe, das Pulver, das Blei. Die Maschine selbst bestand, die Beschreibung ist nicht deutlich, aus einem eichenen Kasten oder Rahmstück, das auf vier Ständern oder Sparren ruhte. Auf der Oberfläche befanden sich vierundzwanzig Flintenläufe, die auf starken Querbalken ruhten und in dieselben eingeschnitten waren. Es war nun ein doppelter Mechanismus angebracht. Einmal konnte man die ganze Batterie in die Höhe oder herunter schrauben; dann, mittels des hintersten Querbalkens, die Batterie tiefer oder höher richten und visiren. Ein Pulverfaden verband die Zündlöcher sämmtlicher vierundzwanzig Flintenläufe.

    Dies, wie angeführt, ist der summarische Inhalt von Fieschi's Geständnissen über die Vorangänge der That, oder Das, was man als gewiß annehmen konnte. Daß man nicht Alles, was von den Lippen des lebhaften, vom sanguinischen Blut der Südländer getriebenen Mannes kam, für Wahrheit nehmen konnte, daß in seinen Aussagen nur Lichter aufzuckten, die freilich Vieles aufhellten, dafür aber desto größere Dunkelkeit auf Anderes warfen, ergibt sich aus dem Folgenden. Pepin, Morey und Boireau stellten alle Betheiligung in Abrede und suchten Fieschi als einen verworfenen Menschen und unglaubwürdigen Schwätzer darzustellen. Durch dritte Zeugen ist über die Thatsache der Verschwörung nicht viel ermittelt worden, wie denn überhaupt aus der Untersuchung, die dem Gerichtsverfahren voranging, wenig der Oeffentlichkeit übergeben ist. In der Anklage liegt die Vermuthung ausgesprochen, daß Fieschi's Complicen ihrerseits die Höllenmaschine so überladen hatten, daß sie durch Zerspringen ihn selbst tödte und sie damit des Thäters, Mitwissers und möglichen Angebers erledigt würden.

    Pepin war es einmal, während man in seiner Wohnung eine Haussuchung anstellte und ihn dabei zuzog, gelungen, zu entspringen. Zwei Monate hatte er sich zu verstecken gewußt, ward aber endlich in einer Pächterei in den Umgebungen von Meaux wieder eingefangen.

    Am 30. Jan. 1836 wurden Fieschi, Pepin, Morey, Boireau und ein fünfter schwächer Angeschuldigter, Bescher, vor den Gerichtshof der Pairs gestellt.

    Auf die Frage des Präsidenten leugneten die vier Letzteren, wie sie bis da gethan, und verharrten in diesem System durch den ganzen Proceß. Sie stellten Fieschi als einen unverschämten Lügner dar, und es fehlte nicht an der Parteianschuldigung, daß er von den Freunden des Regierungssystems gedungen sei, um durch seine Aussagen diesem verhaßte Männer und Anhänger des republikanischen Princips zu verderben. Ernstlich und mit der Hoffnung auf Erfolg konnte dieses Vertheidigungssystem nicht gemeint sein, galt es doch vielmehr nur den Schein retten, den Schein, den man doch noch für wichtig hielt, daß die republikanische Partei nicht zu einem Mittel gegriffen, vor dem die öffentliche Stimme, der Rest von Sittlichkeit, der in der Nation geblieben, sich entsetzte.

    Fieschi verharrte bei seinen Geständnissen. Er wiederholte seine Erzählung von Allem, was vorangegangen, was während der That sich ereignet, aber in dem lebhaften, von einem Gegenstande zum andern überspringenden Styl, den wir kennen lernen werden. Mehr als zwanzig Personen hatten inzwischen das Leben in Folge seiner Mordthat verloren, eine That, die er durchaus nicht zu rechtfertigen oder nur zu entschuldigen versuchte.

    Pepin vertheidigte sich schwach. Bei jeder Angabe, welche Fieschi gegen ihn erhob, begnügte er sich mit der Erwiderung: »Herr Fieschi täuscht sich«.

    Morey schien um den Ausgang des Processes wenig bekümmert. Er sprach wenig, gab nur auf die wichtigsten Fragen Antwort und blieb dabei, daß Fieschi ein elender Kerl sei, mit dem er nur in unbedeutenden Beziehungen gestanden. So auch die beiden Anderen.

    Zuerst ward als Zeuge über den Vorfall selbst ein Brigadier der Stadtsergeanten, Dorville, vernommen, welcher in der Suite des Königs gewesen. Seine Aussage ist in der obigen Geschichtserzählung enthalten und wir entnehmen nur einige Züge daraus, die für die Anschauung charakteristisch sind.

    »Nachdem ich den König bis zu dem Hause escortirt hatte, wo wir waren, doch von der andern Seite des Boulevard, sah ich einen der Söhne des Königs, ich glaube, es war der Herzog von Orleans, der seinem Vater zur Linken ritt, plötzlich durch eine Bewegung seines Pferdes auf die Person seines Vaters zugedrängt. Von dieser Berührung glitt der Hut des Königs von seinem Kopfe und der König konnte ihn kaum festhalten, indem er schnell die Hand daran drückte. In diesem Augenblicke machte das Pferd des Königs plötzlich Kehrt, dergestalt, daß der König der Nationalgarde, welche am Jardin Turc aufmarschirt stand, den Rücken wandte. Kaum aber hatte das Pferd diese Bewegung gemacht, als ich einen furchtbaren Knall hörte, in Mitte dessen man aber mehre einzelne Schüsse unterscheiden konnte. Diese Schüsse kamen aus einem kleinen Fenster unterhalb des Daches des Hauses. Vom Fenster hing eine Jalousie halb herunter und ein dichter Rauch quoll aus ihr hervor. Ich sah nur noch zwei Oberoffiziere zur Erde stürzen und einen Marschall, dessen Gesicht ganz mit Blut bedeckt war, wie er sich auf sein Pferd stützte, als ich augenblicklich auf das Haus stürzte.« Hierauf folgen die uns bekannten Entdeckungen.

    Vom Präsidenten aufgefordert, Näheres anzugeben über Das, was sich nach der Explosion zugetragen, wie er verwundet worden und ob er zu Boden gefallen sei, nahm Fieschi das Wort:

    »Nein, ich weiß bestimmt, daß ich nicht gefallen bin, obgleich der Trumpf ein Bischen hart war. Ich fuhr nur mit der Hand an meine Stirn, und dann stützte ich mich an die Mauer, um zum Fenster zu gelangen. Den Strick ergriff ich noch und so ließ ich mich hinunter. Die Person, die mich arretirt, habe ich vollkommen erkannt. Ich danke ihr recht sehr, daß sie mich nicht maltraitirt hat. Ich entsinne mich auch sehr gut auf Alles, was im Billard vorging. Auf der Wache kriegte ich einen Faustschlag von einem braven Nationalgardisten. Das vergebe ich ihm. Auch erinnere ich mich, als wir über die Brücke Louis Philipp kamen, wie ich da den Vorhang der Sänfte lüftete und sprach: »Ach, wenn sie mir nur was zu trinken gäben, das würde mir viel Schmerzen ersparen.« Ich erkannte auch die Conciergerie, als wir dort eintraten, und da sagte ich: Wohlan, hier gehe ich nicht wieder hinaus, als auf dem Wege zum Schaffot.«

    Fieschi's Geständniß ward zum Theil durch das Zeugniß seiner Geliebten, Nina Lassave, bekräftigt.

    In den ersten Tagen des April kam Fieschi zu ihr nach der Salpetrière, wo sie angestellt war (employèe), und sagte ihr, sie könne jetzt ungehindert ihn besuchen. Er habe sich auf dem Boulevard du Temple eine Wohnung gemiethet. Aber das erste Mal möge sie zu Pepin kommen und ihn dort aufsuchen. Sie begab sich auch dorthin unter dem Vorwande, ein halb Viertelchen Zucker zu kaufen. Fieschi war im Laden und ging mit ihr aus. Am Sonntag vor dem Attentat ging sie abermals zu Pepin, unter dem Vorwand, Kaffee zu kaufen. Fieschi war wieder im Laden und führte sie dann in seine Wohnung. Sie sah den Anfang der Maschine, die am Fenster stand, und sagte zu Fieschi: »Du arbeitest also wieder in deinem Metier?« Er antwortete Ja, schien aber sehr verstört. Er nannte abermals einen andern Ort, wo sie sich treffen könnten, wie es auch geschah. Dort forderte er aber Nina den Schlüssel zu seiner Wohnung wieder ab, den er ihr früher gegeben, indem er sagte, sein eigener wäre verdorben.

    »Am 27. Juli«, fuhr sie fort, »ging ich wieder aus, um Fieschi zu besuchen. Er war ausgegangen, aber er hatte hinterlassen, ich solle nur zu dem Mädchen Annette gehen, dort würde er mich aufsuchen. So geschah es auch, aber er schien da über alle Maßen traurig. Er sagte mir, er wäre leidend, er hätte die ganze Nacht nicht geschlafen. Am andern Morgen solle ich ihn nicht wieder besuchen, er würde zu mir in die Salpetrière kommen.

    »Am Dienstag konnte ich nicht denken, daß er kommen würde; ich ging also um 11 Uhr Morgens aus der Salpetrière mit der Frau Laroux, die dort dient, und ihrem kleinen Jungen, der 8 Jahre alt ist. Sie wollte ihren Mann aufsuchen, der Nationalgardist ist und den sie beim Chateau d'Eau treffen mußte, und ich ging nach dem Boulevard du Temple, um zu Fieschi hinaufzusteigen, dessen seltsames Benehmen seit einigen Tagen mich wirklich besorgt gemacht. Wir gingen ganz sacht; das machte sich aber von selbst wegen der großen Hitze und des Kindes und weil Alles so voll war.

    »Es war ungefähr eine halbe Stunde nach Mittag, als wir auf dem Boulevard du Temple ankamen. Etwa dreißig Schritte war ich noch von Fieschi's Hause entfernt, als wir ein furchtbares Geräusch hörten. Alles war entsetzt. In den Menschenhaufen sagte man sich überall, daß man auf den König geschossen hätte, und daß die Schüsse aus der dritten Etage eines Hauses kamen, welches dicht am Café Mille Colonnes wäre und grad gegenüber dem Jardin Turc. Da hatte ich im Augenblicke eine furchtbare Vorahnung. Fieschi's verwirrtes Ansehen in letzter Zeit, wie er immer zu hindern wußte, daß ich nicht zu ihm hinaufsteigen sollte, alles Das kam mir plötzlich zu Sinn und ich zweifelte kaum mehr daran, daß er es sei, der das Verbrechen begangen hätte.

    »Um mich davon zu überzeugen, drängte ich mich vor, bis nahe an seine Wohnung. Leute zeigten mir das Fenster, aus welchem die Schüsse gefallen, und – es war Fieschi's Zimmer! Man sagte zugleich, daß der Mörder selbst schon umgekommen wäre, indem einige Flinten im Innern seiner Stube gesprungen seien.

    »Einen Augenblick hatte ich den Kopf verloren. Fieschi war ja meine einzige Stütze. Meine Mutter hatte mich schon seit länger verlassen. Die Größe seines Verbrechens machte mich erstarren. Einen Augenblick hatte ich den Gedanken, man könne mich verfolgen, weil ich ja seine Geliebte war. Dieser Gedanke verfolgte mich noch eine gute Weile.

    »Ich lief nach der Rue Saint-Sebastien zu Annette. Sie wußte schon davon, und als ich sie bei Seite zog und ihr meine Vermuthung mittheilte, hatte sie, nach Dem, was sie gehört, ebenfalls gleich gedacht, das könne nur Girard sein. Annette empfahl mir auf die Seele an, daß ich still sein solle, und tröstete mich, daß man vielleicht gar nicht wissen werde, daß ich seine Geliebte sei. Ein paar Augenblicke mußte ich im Hinterflur ausruhen, um wieder zu mir selbst zu kommen, denn ich war halb todt, als ich ins Haus stürzte. Nun sagte ich ihr, ich wollte in die Salpetrière zurück, um meine Sachen zu holen, und dann möchte sie mich doch nur diese Nacht bei sich aufnehmen. Sie willigte auch ein, nachdem ihre Herrin es ihr erlaubt. Dann stürzte ich nur so nach der Salpetrière zurück, wechselte das Hemde, indem ich das vom Hause zurückließ, schnürte mein kleines Bündel und eilte, daß ich nur wieder zu Annette käme, wo ich mich allein für sicher hielt, und bei ihr bis am andern Morgen blieb, ohne nur den Kopf zur Thüre hinauszustecken.

    »Mittwoch um 9 Uhr Morgens ging ich auf ein Leihhaus, um ein Paar Ohrringe zu versetzen, denn ich hatte auch keinen Sou, um mir nur fünf Francs zu verschaffen. Am Mittag ging ich dann in die Wohnung des Herrn Morey, Rue Saint-Victor No. 23. Und nun muß ich sagen, warum ich zu diesem Herrn ging.

    »Es sind nun zwei Jahre, daß ich ihn mehrmals in der Wohnung meiner Mutter gesehen, als wir mit Fieschi zusammen in der Rue Croulle Barbe wohnten. Am Montag hatte ich ihn auch mit Fieschi auf dem Boulevard gesehen; und da ich keinen andern Menschen kannte, der mit Fieschi Verbindungen hätte, da dachte ich, ich würde doch bei ihm einigen Rath und Trost finden. Ich stieg eine Treppe hinauf und da fand ich ihn auch. Ich war ganz in Thränen und er sagte: »Nun, was gibt es denn?« – Ich erwiderte: »Ach, Sie wissen es eben so gut als ich.« – Da sagte er: »Also Fieschi ist's, der den Schuß gethan? Ist er todt?« – Ich erwiderte: »Man sagt, so wäre es. Sie waren mit ihm am Montage?« – »Nein«, sagte er; ausgegangen bin ich am Montage, aber mit ihm kam ich nicht zusammen.« – »Warum«, erwiderte ich, »suchen Sie mir das zu verbergen? Ich habe Sie ja mit meinen eigenen Augen gesehen. Sie waren mit Fieschi in einem Café auf dem Boulevard.« – Da sagte er: »Ja, das ist wahr.« Ich setzte ihm auseinander, wie unglücklich ich wäre, daß ich nicht wüßte, was aus mir werden solle; ach, ich konnte vor Thränen nicht sprechen.

    »Da sagte er mir nach einigen Augenblicken: »Gehen Sie nach der Barrière du Tronc, erwarten Sie mich dort; wir wollen dann miteinander sprechen.«

    Nina Lassave, früher verhaftet, weil sie durch ihr Benehmen und ihr Verhältniß zu Fieschi verdächtigt schien, ist nächst Fieschi die Hauptzeugin, um gegen Pepin und Morey die Anschuldigung, die Jenes Geständniß auf sie geworfen, zu kräftigen. Die übrigen vernommenen Zeugen bekundeten nur so unbedeutende Details, daß die späteren Berichte über diese Hochverrathsprocesse es nicht mehr der Mühe werth hielten, sie aufzunehmen. Das Hauptgewicht der Anklage ruhte in Fieschi's Geständniß, auf die Glaubwürdigkeit desselben kam Alles an; es lag daher der Anklage und der Vertheidigung ob, im Deductionswege dasselbe zu vertheidigen und anzugreifen.

    Der Proceß nahm vierzehn Sitzungen in Anspruch. Martin du Nord trat als Generalprocurator auf. Parquin sprach als Vertheidiger Fieschi's, eine Rolle, die, seltsamerweise, in diesem Processe eher die eines Anklägers genannt werden muß, denn indem er die Glaubwürdigkeit seines Clienten zu verfechten hatte, war seine von den Verhältnissen bedingte Aufgabe, die Schuldbarkeit seiner Complicen ans Licht zu bringen.

    Parquin schloß seine Rede, die als ein Meisterstück betrachtet wurde, folgendermaßen:

    »Nehmen wir an, daß Fieschi fortwährend stumm geblieben wäre, daß er auf keine Fragen sich eingelassen, keine Mitschuldigen genannt hätte, und daß er heute, allein auf diese Bänke geführt, ausriefe: »Ich habe Mitschuldige, aber ich will sie nicht nennen. Ich nehme mein Geheimniß mit ins Grab. Wenn man es aber durchaus wissen will, wohlan, ich will es verkaufen: der Preis ist mein Leben.«

    »Ist da Jemand unter Ihnen, der zweifelt, daß die Behörden vor der Höhe dieses Preises zurückschrecken würden? daß Sie es vorziehen würden, den Kopf dieses armseligen Menschen fallen zu sehen, statt des größern Vortheils, dafür alle Verzweigungen eines ungeheuern Complottes zu entdecken?«

    »Meine Herren, Fieschi war größer und großmüthiger. Als er die Wahrheit sagte, geschah es, ohne daß er eine Belohnung forderte, ohne daß sie ihm verheißen war. Nicht ein flüchtiges Wort kam von seinen Lippen, daß er eine solche Hoffnung hege. Im Gegentheil, er hat protestirt, immerfort, in allen Verhören und Unterredungen, und er protestirt auch noch dagegen, daß ihm Gnade gewährt werde. Sollte nun sein Schicksal der Theilnahme weniger werth sein, weil er freiwillige Enthüllungen gemacht hat, weil er, mit dem Willen, das Schreckliche, was er verübt, was an ihm, auszugleichen, der Behörde den Weg gezeigt und der Justiz in ihren Nachforschungen geholfen hat? Wenn er feigerweise darum gehandelt hätte, würde man ihm das Leben gelassen haben. Und dieses Leben, gegen das er die allertiefste Verachtung zeigt, sollte man ihm nun wirklich entreißen!«

    »Nein, meine Herren, das wäre nicht Gerechtigkeit, das wäre nicht Billigkeit! Ich setze noch hinzu: Es wäre eine Lehre für künftige Verbrecher.«

    Aber Fieschi wollte wirklich nicht gerettet werden. Er verstand vollkommen, was sein Vertheidiger bezweckt, und ergriff darauf das Wort:

    »Ehrenwerthe Pairs! Geben Sie nicht Achtung auf die Fehler meiner Sprache. Ich will mich schon verständlich machen, so gut es geht. Ich fühle mich glücklich, daß ich bis heute gelebt habe. Morgen kann ich sterben. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie es mich freut, wie ich zufriedengestellt bin, daß ich den heutigen Tag noch erlebt, daß ich meine Mitschuldigen angegeben und daß ich das Vergnügen habe, meinem Vaterlande nützlich geworden zu sein. Aber was Großes kann ich weiter nicht sagen, nachdem meine Advocaten Alles ausgesprochen haben.«

    »Ich war Soldat. Sie haben meine Dienstzeugnisse darüber. Ich habe die Feldzüge in Calabrien und Sicilien mitgemacht. Ich wurde gefangen genommen und nach Malta geführt. Aber ich entwischte

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