Blut an meinen Händen: Aufzeichnungen eines Mörders
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About this ebook
Getrieben von dem nachhaltigen, unerschütterlichen Bestreben, das Bild des rechtschaffenen Unternehmers von sich zu erhalten und die Fortführung seiner Geschäfte zu ermöglichen, verhandelt er mit den Finanzprofis um Kredite, während im Zimmer nebenan der übel zugerichtete Körper seiner Freundin liegt. Dabei droht ihn sein chronisches Asthma jeden Moment außer Gefecht zu setzen. Zudem zwingt ihn eine Fülle alltäglicher Situationen stets von Neuem dazu, Ausflüchte und Lügen zu erfinden, denn weder das Zimmer nebenan, in dem die Tote liegt, noch das blutige Badezimmer, in dem die Tat geschah, darf jemals jemand anders als er selbst zu Gesicht bekommen.
Doch es ist nur eine Frage der Zeit, dass sein Lügengebäude einstürzen wird.
Schließlich tötet er erneut, um Augenzeugen zu vermeiden, und wird schließlich zum gejagten Verbrecher, der auf seiner Flucht weitere Untaten begeht ‒ dies alles an einem einzigen Tag im Oktober, einem Tag, der sein Leben abgrundtief verändern wird.
Mike Christiani
Mike Christiani ist das offene Synonym für Michael Hoppe. Er wurde am 26. 01. 1962 in Wurzen bei Leipzig geboren und erwarb nach dem Abitur und abgeleistetem Grundwehrdienst im Fernstudium ein Diplom als Elektroingenieur, Fachrichtung Technische Kybernetik. Mitte der Neunziger Jahre trat er zum ersten Mal als Autor an die Öffentlichkeit, mit einigen kleinen Kriminalgeschichten, die innerhalb der neu aufgelegten Blaulicht-Krimiserie des Magdeburger Block-Verlages erschienen sind. Er lebt allein in einer Mietwohnung am Rande von Leipzig und beschäftigt sich neben dem Schreiben auch mit der technischen Seite der E-Book-Erstellung sowie daran angrenzenden Fachgebieten.
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Book preview
Blut an meinen Händen - Mike Christiani
Inhaltsverzeichnis
Blut an meinen Händen
Titel
Vorbemerkung
Jählings am Abgrund
Gefangen in der alten Rolle
Unverhoffter Besuch
Kein Ende in Sicht
Blutiges Finale
Abrechnung
Nachbemerkung
Impressum
Titel
Mike Christiani
Blut an meinen Händen
Aufzeichnungen eines Mörders
Vorbemerkung
Diese Geschichte ist so unglaublich, dass nahezu alle, die sie bislang von mir zu hören bekamen, ernsthaft an meinem Verstand zweifelten. Nur einige wenige Jungs hier im Hochsicherheitstrakt sehen das anders und halten mich stattdessen für einen erfinderischen Selbstdarsteller. Doch diese Geschichte ist genau so geschehen, wie ich sie im Folgenden erzählen werde – und sie ist der Grund, weswegen ich im Strafvollzug für gemeingefährliche Gewalttäter hier im sächsischen Leipzig für den Rest meiner Lebenszeit verwahrt bleiben werde.
Jählings am Abgrund
Eine einzige provokante Bemerkung von Sina hatte an jenem 20. Oktober 2011 genügt, um in mir alle Dämme brechen zu lassen. Ich hatte das Mädchen mit meinen beiden Händen im Nacken gepackt und dann wohl zehn- bis zwanzigmal – vielleicht auch noch öfter – mit dem Gesicht gegen die Kante des Handwaschbeckens geschlagen. Erst als ihre Muskulatur erschlafft und ihr ersticktes Wimmern verstummt war, als ich das Leben aus ihrem Körper geradezu entweichen gefühlt hatte wie Luft aus einem zerstochenen Ballon, war meine grenzenlose Wut in Angst umgeschlagen. Mein Leben war mir, solange ich denken kann, schon immer seltsam schräg und absonderlich erschienen wie ein missratenes Bauwerk, das irgendwann einzustürzen drohte. In diesen Minuten nun, das wurde mir mit einem Schlag klar, war genau dieses Szenario eingetreten! Meine erste bewusste Reaktion auf diese Erkenntnis war, dass ich auf meine Armbanduhr schaute. Ja, ich vermag es nicht zu leugnen: Überall war Blut, im Waschbecken, auf den Fliesen, auf Sinas und auf meinen Kleidern, auf dem Spiegel – doch ich informierte mich über die aktuelle Tageszeit, als wollte ich nur meinen persönlichen Terminplan abgleichen. Jener Blick auf die Uhr aber bescherte mir sogleich einen weiteren Schock: In einer Viertelstunde, um sechzehn Uhr fünfzehn an diesem 20. Oktober 2011, würde Besuch an meiner Wohnungstür läuten. Es würden die Vertreter einer Finanzdienstleistungsgesellschaft sein, von deren Entscheidungsfindung meine weitere wirtschaftliche Existenz abhing.
Nicht die Nerven verlieren, versuchte ich mich zur Ruhe zu zwingen, da ich spürte, dass mein Atem flach und schnell in meiner zunehmend enger werdenden Brust pulsierte. Das Wichtigste, das du jetzt erst einmal tun musst, das ist, ganz ruhig und gleichmäßig zu atmen.
Es war diese Krankheit, die mir immer wieder Grenzen setzte, die in den ungeeignetsten Momenten ihre fatale Wirkung entfaltete: das sogenannte nicht allergische Asthma. Die chronisch entzündeten Bronchien in meiner Lunge konnten sich beim Ausatmen plötzlich verengen, sodass ich das Gefühl hatte, ersticken zu müssen. Schon geringe körperliche Belastungen vermochten dies auszulösen, erst recht jedoch eine Ausnahmesituation wie die, in der ich mich gerade befand. Im Fall einer Asthma-Attacke aber wäre an einen Empfang der Herren von der Finanzdienstleistungsfirma nicht mehr zu denken gewesen, was unweigerlich das Ende meines Lebenswerkes bedeutet hätte. Da mir diese Vorstellung jedoch nicht minder grauenhaft erschien als der Anblick der blutigen Fliesen vor mir, setzte ich fortan alles daran, meine Atmung zu kontrollieren und den Ansturm des Entsetzens in meinem Kopf zu kanalisieren, um meine Handlungsfähigkeit den neuen Gegebenheiten anzupassen.
****
Heute freilich, da ich diese traurige Rückschau halte, im neu erbauten Trakt einer Strafvollzugsanstalt für „schwere Jungs" verwahrt und mir die Zeit als eine Art Knastpoet vertreibend, schaudere ich bei der Erinnerung daran, dass mich keine drei Minuten, nachdem ich dieses Mädchen erschlagen hatte, schon wieder die Sorge um meine wirtschaftliche Existenz umtrieb. Ich denke, das hatte einen gewissen Krankheitswert. Dennoch scheint es auch ein wenig nachvollziehbar. Den wenigen Sekunden des Affekts stand schließlich meine eigene Vergangenheit gegenüber – eine garstige Vergangenheit, die schwer an den Wurzeln meiner Eigenliebe gerüttelt und die einst fruchtbaren Anlagen meines Geistes in einen wüsten Krater aus Hass und Aggression verwandelt hatte. Nur daraus ist mir schließlich auch erklärbar, dass ich im Anschluss an meinen entsetzlichen Ausbruch noch Schlimmeres tat: dass ich keine Stunde später erneut einen Menschen umbrachte, dass ich meiner Frau Annabelle mit einem Tranchiermesser zusetzte, dass ich einer anderen Frau lebensgefährliche Kopfverletzungen zufügte, dass ich bei meiner Flucht mit dem Wagen ein Kind zu Tode fuhr, einen Wochenmarkt verwüstete und etliche Menschen dabei verletzte und tötete, schließlich einen Polizisten erschoss und einen weiteren so schwer verletzte, dass er den Rest seines Lebens als Schwerstpflegefall verdämmern wird.
All dies war noch im letzten Akt meines ersten Lebens geschehen.
Das zweite, das ungeschminkte, frei vom Ballast unzähliger Verpflichtungen und dieser ständigen Angst vor Identitätsverlust, das führe ich nun in dieser Strafvollzugsanstalt. Ich werde die Stunden, die mir in dieser Zelle bleiben, zur Aufarbeitung meines ersten Lebens nutzen. Es hatte immerhin dreiundfünfzig Jahre angedauert. Die meiste Zeit davon hatte ich mich gefühlt wie ein gefesselter Mann in einem querfeldein fahrenden, klapprigen Jeep: Nie hatte ich das Steuer einmal in die Hand bekommen können, schutzlos war ich durch den Sumpf von Erfolglosigkeit, Erniedrigung und Intrigen gejagt, dabei immer nur einen einzigen Gedanken in meinem Kopf bewahrend: Deine ganz große Stunde wird noch kommen, Norman Baumeister! Du musst nur abwarten und darfst deine Hoffnung niemals begraben.
****
Doch nun? Nun also stand ich vor der Leiche meiner ungleichen Geliebten, eines Schulmädchens von gerade einmal sechzehn Jahren.
Und was dann? Ins Gefängnis? Mit dreiundfünfzig Jahren hinein, und als Altersrentner wieder hinaus? Und das war' s dann, Norman Baumeister! Gott hat es so gewollt, schließlich kann nicht jeder auf der Sonnenseite leben. – Oh nein! Ich wollte nicht ins Gefängnis, um Jahrzehnte zwischen dunklen, kahlen Anstaltsmauern zu vegetieren und darauf zu warten, dass das Asthma meine Bronchien zerfraß und die Bilder in meinem Kopf allmählich flach und grau wurden, weil dem Geist die neue Nahrung fehlte. Doch ebenso wenig wollte ich den Rest meines Lebens auf der Flucht vor Gläubigern und Gerichtsvollziehern sein.
Nein! Ich durfte nicht aufgeben! Ich würde genau in diesen schrecklichen Minuten die Nerven behalten müssen, denn sonst war unweigerlich alles umsonst gewesen! Das bedeutete, ich würde die Finanzdienstleister empfangen müssen – in zwölf Minuten, in einer von Spuren bereinigten Wohnung. Eine Alternative dazu gab es nicht mehr, denn ich hatte diese Herren in den letzten Tagen schon zweimal unabsichtlich versetzt. Ein drittes Mal würden sie mir nicht durchgehen lassen. Morgen aber ging das Gesamtvollstreckungsverfahren über meine Gebäudeausrüstungsfirma in die entscheidende Phase, und ich