Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Adacay
Adacay
Adacay
Ebook126 pages1 hour

Adacay

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Ina: Am liebsten hätte sie Sylvia ins Gesicht gebrüllt: Komm zu dir, sei auf der Hut. Es endet für dich auf irgendeinem Waldboden, mit Tränen und schlechtem Gewissen.
Frank: Er war kein Abenteurer, obwohl ihn das Abenteuer faszinierte, solange es in irgendeiner Form kalkulierbar blieb. Frank scheute das Risiko.
Sylvia: In einem imaginären Beduinenzelt empfand sie auf samtenen Kissen Geborgenheit. Männer in langen Gewändern gaben ihr Wärme und beschützten sie.
Peter: Er dachte daran, was die schrecklichste aller Möglichkeiten wäre. Wenn sie ihre Koffer packen würde, um ihn zu verlassen. Aber warum?
Ahmet: In der Liebe war alles möglich. Zu weit war es zu schaffen. Bestimmt. Sylvia würde zurückkommen.
LanguageDeutsch
Release dateSep 18, 2014
ISBN9783735770233
Adacay
Author

Klaus Blumberg

Klaus Blumberg wurde 1953 in Stuttgart geboren, und lebt heute in der Nähe von Ratzeburg. Er schreibt Romane und Erzählungen. Zuletzt ist bei Books on Demand sein Roman: Die letzten Tage der Edda Hoppe, erschienen.

Read more from Klaus Blumberg

Related to Adacay

Related ebooks

Related articles

Reviews for Adacay

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Adacay - Klaus Blumberg

    Ahmet

    Ina

    Als sie in den Spiegel schaute, sah sie ein Gesicht, das ihr nicht gefiel. Ihre Nase war dick, an der Nasenwurzel breit und ausufernd. Ein nicht symmetrischer Kontrast in dem ansonsten schmalen Gesicht. Ihre Augen, hellblau wässern, schwammen wie Korken auf dem See ihres unnatürlich hellen Teint. Sie war keine Schönheit, wie sie resigniert feststellte, aber immerhin schon Mitte Vierzig und verheiratet. In Momenten wie diesem fragte sie sich selbstkritisch, was ihren Mann wohl bewogen hatte, sie zu heiraten. Damals. Es war kein Kind unterwegs.

    Liebe? Es fiel ihr schwer diesen Begriff für sich zu interpretieren. Sex? In dieser Hinsicht funktionierten sie als Paar, zumindest in der Anfangszeit.

    Das Licht über dem Spiegel begann sie zu blenden. Sie kniff ihre Augen zusammen, während sie mit einem Wattepad eine Unebenheit auf ihrer Wange mit Makeup übertünchte. Dann löschte sie das Licht und ihr Gesicht verschwand aus dem Fokus der Lampe. Sie öffnete das schmale Milchglasfenster nach draußen und ließ Tageslicht und Luft herein. Sie hörte nun Franks Stimme aus der Küche. Er trällerte irgendeine Schlagermelodie, während er das Frühstück zubereitete. Im Hintergrund dudelte das Radio. Seine gute Laune war ihr manchmal unheimlich. Während ihr Gemüt ständigen Stimmungsschwankungen ausgesetzt war, schien er die Ausgeglichenheit selbst zu sein. Manchmal dachte sie, er spiele ihr vielleicht etwas vor, sei nur an der Oberfläche ruhig, während es in seinem Innern rumorte. Ein Schwelbrand, der sich jederzeit bis nach außen durchfressen konnte und dann alles um ihn herum vernichtete. Irgendwann wache ich mit einem Messer im Bauch auf, dachte sie. Mit diesem Bild im Kopf trat sie auf den Flur hinaus. Das beige Nachthemd umflorte Knochen und Haut ihrer schlanken, etwas verhuschten Gestalt. Frank trat in diesem Moment aus der Küchentür:

    »Komm zum Frühstücken, meine Elfe.«

    Im Vorbeigehen streifte Ina die kleine Vase auf dem Sideboard im Flur und knickte dabei den Stil eines getrockneten Straußes. Adacay, eine türkische Bergteepflanze, um genau zu sein. Die wie eine Ähre geformte Frucht fiel ihr direkt vor die Füße. Sie bückte sich, nahm die Pflanze vom Fußboden und roch beim Aufnehmen daran.

    Den Strauß hatte sie selbst gepflückt, während ihrer Reise mit Sylvia, in der Türkei. Auf dem Rückweg von Pamukale hielt der Bus in den Bergen, vor einer Teppichknüpferei. Während Sylvia mit den übrigen Insassen an der Präsentation von Teppichen teilnahm, blieb Ina zunächst am Rande des Parkplatzes stehen – bis sie in dem karstigen Gelände einen Pfad entdeckte, der zu einer kleinen Anhöhe führte. Ohne zu Zögern machte sie sich auf den Weg.

    Die Luft brannte wie in einem Backofen. Weit und breit waren weder Baum noch Strauch zu sehen. Mit gesenktem Kopf schaute Ina auf die hellen ausgeblichenen Steine, die überall wie hingeworfen herumlagen. Ihr Körper warf keinen Schatten. Auf der Anhöhe angekommen, sah sie die Pflanze. Zwei Handbreit über dem steinigen Boden. Mit festem Stiel und einer Blüte – wie eine Ähre geformt, von zartem pastellfarbenem Grün, vermischt mit einem Hauch Korngelb. Ina setzte sich auf einen großen Stein. Unter ihr glühte die Ebene. Die Sonne hatte sich auf das rote Dach der Teppichknüpferei gesetzt. Es glitzerte aus der Entfernung wie eine weggeworfene Chipkarte. Links davon schlängelte sich die Straße wie eine glänzende Schneckenspur den Bergrücken hinunter bis ins Tal – bis zur Küste.

    Nachdem sie sich ausgeruht hatte, versuchte Ina die Pflanze zu pflücken, die jedoch fest in dem karstigen Erdboden verankert war. Zum Glück fand sie in ihren Hosentaschen einen Nagelknipser und schnitt damit die Pflanze am Stiel ab. Sie wollte sich einen ähnlichen Strauß zusammenstellen, wie Sylvia ihn von Ahmet bekommen hatte. Ahmet hatte erzählt, das man aus der Ähre einen vorzüglichen Tee brühen konnte.

    Damals kannten sie Ahmet gerade drei Tage. Drei Tage die Ina wie eine Ewigkeit vorkamen. Ahmet arbeitete als Kellner in dem Hotel, in dem die beiden Frauen ein Zimmer gemietet hatten. Am ersten Abend im Restaurant saßen sie beide an einem Tisch direkt am Fenster. Beim Hinausschauen konnten sie in der Dunkelheit das Meer erahnen. Ahmet überreichte den beiden Damen galant die Weinkarte. Sylvia bemerkte süffisant, dass er für einen Türken ungewöhnlich groß sei, bestimmt über eins achtzig. Ahmet wog die Flasche in seiner großen Hand, schrägte sie zur Begutachtung leicht an. Sein dunkler Handrücken war behaart, seine Hände gepflegt, die Fingernägel sauber geschnitten. Er trug ein dunkles Sakko über einem weißen Hemd, das seinen dunklen Teint noch unterstrich. Beim Einschenken hob er leicht die rechte Augenbraue, die aus einem dichten Streifen schwarzen Haars bestand, über dunklen, fast schwarzen Augen. Er schenkte Ina zuerst ein, damit sie den Wein begutachten konnte. Vielleicht hielt er sie für die Ältere, die Erfahrenere. Ina errötete, nahm einen kleinen Schluck und nickte zustimmend. Ahmet strich sich mit der Hand durchs Haar und lächelte.

    Am nächsten Abend formulierte er umständlich eine Einladung. Es sei dem Personal nicht gestattet, mit den Gästen auszugehen, sagte er. Er und seine Freunde wollten aber zum Grillen in die Berge fahren, und es sei für die Damen sicherlich interessant, auf diese Weise Land und Leute kennen zu lernen. Außerdem sei die Situation unverfänglich, wenn sie beide mitkämen.

    »Man hat ja schon so viel gehört«, meinte Sylvia skeptisch.

    Sie wollten sich nicht unnötig in Gefahr begeben.

    »Wenn Ahmet mitkommt besteht keine Gefahr«, antwortete Ahmet und lächelte auf eine so unwiderstehliche Weise, das den beiden Frauen gar nichts anderes übrig blieb, als die Einladung anzunehmen.

    Fast wäre dann doch noch alles schief gegangen, denn die Freunde stellten sich als einzelner Freund von Ahmet heraus. Ein plump wirkender Mann, der Abdul hieß und viel zu kurze, verschlissene Hosen über dreckverschmierten Turnschuhen trug.

    »Unser Fahrer«, sagte Ahmet stolz und deutete auf Abdul und sein Gefährt, das in den Augen der beiden Frauen kaum die Bezeichnung Auto verdiente.

    »Ich komme nicht mit«, sagte Sylvia und verschränkte die Arme über der Brust.

    »Keine Sorge, Abdul ist ein großartiger Fahrer.«

    Die Straße wand sich auf abenteuerliche Weise durch das Taurusgebirge. Der Grillplatz lag auf einer Anhöhe. Von dort konnte man auf die Ebene – bis ans Meer schauen. Im Dunst kräuselte sich das Wasser. Die beiden Männer hielten Fleisch an Stöcken über das offene Feuer. Sylvia schaute versonnen in die Flamme und Ina entdeckte neben einem Stein die Pflanze.

    »Adacay«, murmelte Ahmet und beantwortete damit eine Frage, die Ina noch gar nicht gestellt hatte.

    Später krabbelten Skorpione unter den Steinen hervor und schnitten quer über den Grillplatz.

    »Ich bleibe keine Minute länger«, schrie Sylvia.

    Am dritten Abend wurde deutlich, dass Ahmet es auf Sylvia abgesehen hatte. Er besaß diesen eindeutigen Blick, wenn er sie ansah.

    Nach dem Abendessen sagte Sylvia zu Ina: »Ich muss dich heute Abend alleine lassen.« Ina trank den letzten Rest Wein aus ihrem Glas. »Er hat mich eingeladen.«

    »Und du konntest nicht absagen?«

    Ina verbrachte den Rest des Abends auf dem Zimmer. Sie öffnete die Balkontür und löschte das Licht. Sie hörte wie das Meer gegen die Felsen klatschte. Dann knipste sie die Nachttischlampe an und versuchte, in einem Buch zu lesen. Aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Immer wieder liefen ihr die Buchstaben weg, ohne in ihrem Gedächtnis haften zu bleiben. Irgendwann klappte sie das Buch zu und löschte das Licht. Die Lichter der Promenade flackerten wie betrunken an der Zimmerdecke.

    Als junges Mädchen war Ina Stammgast im Himbeerparadies gewesen, ihrer heimischen Dorfdisco. Dort lernte sie irgendwann Jojo kennen. Jojo hieß eigentlich Jochen, aber niemand nannte ihn so. Er gehörte zu den Jungen, die nicht schüchtern waren, keine Angst vor Mädchen hatten und einige Jahre älter waren als Ina. Er nahm sich nicht viel Zeit für seine Annäherungsversuche. Bereits beim dritten Tanz begann er mit der Fummelei. Ina klopfte ihm liebevoll auf die Finger, denn Jojo besaß einen gewissen Charme, eine liebevolle Unverfrorenheit. Sie konnte ihm einfach nicht böse sein.

    In den frühen Morgenstunden flüsterte er ihr ins Ohr: »Darf ich dich nach Hause bringen?«

    »Nur wenn du anständig bleibst.«

    »Großes Matrosenehrenwort.«

    Es begann zu dämmern und Ina fühlte sich federleicht – in einer Art Schwebezustand, der immer einsetzte, wenn sie etwas Alkohol getrunken hatte. Die Luft roch würzig und frisch.

    Sie nahmen den Weg zum Kanal. Jojo hatte seine Arme um sie gelegt und zog sie ständig an sich, was ihrem Mund ein kehliges dunkles Lachen entlockte. Er lachte, während er mit seinem Fuß die kleinen Kiesel wegkickte, die überall auf dem Weg verstreut lagen. So steuerten sie eine Bank an, die kalt und grau am Kanal stand. Unter ihnen gluckste das Wasser in den Abflussschächten. Im Osten ging die Sonne

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1