Geschichten im Nu: ... dem Tod, ... dem Leben
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Diese drei Prosatexte tun dies.
Frauke Lamberts
Frauke Lamberts, geboren 1965 in Frankfurt am Main, studierte Deutsche Literatur, Sprachwissenschaften und Komparatistik in Bochum, Konstanz, Pavia und Mainz. 2004 erfolgte die Promotion. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Mainz.
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Book preview
Geschichten im Nu - Frauke Lamberts
Inhaltsverzeichnis
LUTZ UND LUCIE
Die neun Babys
Inkle & Yariko
Impressum
LUTZ UND LUCIE
EINS
Dringend möchte Lutz einen durch seine nassen Wimpern bekränzten Blick auf seine Schwester Luzie werfen, die auf einem Bein hüpfend lacht, im Halbschatten auf einer Freibadwiese im Frankfurter Raum.
Noch steht etwas im Weg. Lutz ist am achten August 1938 geboren und am achtzehnten Januar 1939 gestorben, seine große Schwester hat mit ihrer Lebensspanne die Seinige fürsorglich umarmt, denn sie ist am vierundzwanzigsten April 1937 geboren und mit gut 2 Jahren am sechsundzwanzigsten Juni 1939 gestorben. Als Lutz kam, konnte sie gerade laufen und als Lutz ging, konnte er neuerdings frei sitzen, als sie ging, wiederholte er die Phase seines irdischen Lebens seit seinem Tod um die gleiche Spanne. Das sind ungeheuerliche, gewaltige Schritte hin zum Erlebnis seines Wunsches, mit Lucie zusammen zu sein. Lucie will ihre so rüde unterbrochene Umarmung des blaßlockigen Bruders fortsetzen, ihn klar und entschieden weiter kennen lernen, unter Zuhilfenahme aller verfügbaren Mittel. So richtig, mit feste auf der Erde stehen und allem? Ja und eigentlich und ja.
Denn der Tod ist nicht der romantische Ausgleich aller Ungleichheit, sondern markiert lediglich den Übergang von einer Biographie in die andere, die sich nahezu ungebrochen fortsetzt. (Kittelmann 17)
Um ihr Publikum herbeizulocken, schnalzen einige Wörter verhalten auf, so zufällig, als glitten sie wie entspannte Fische durch ihren abendlichen Teich. Vor unserem spontan einberufenen Plenum sitzt nun ganz bestimmt keine dickliche Klein-Suse, die eine aus seelischer Mattheit geborene uninspirierte, geradezu lahme Geschichte über die Geschwister aufs Papier herunterdudelt, möglichst zudem auf Geheiß einer dies fordernden Bildungsanstalt, sondern die schöpferischen Kinder wollen ihre ureigene Biographie selbst hervorbringen. Sie holen sich himmelwärts Rat. Denn Gott hatte einst genau das gleiche Problem wie sie. Und er hatte es gelöst.
Gott war alles und alles kann sich selbst nicht sehen. Er war überall zugegen. So fand ihn sein Wille, legte sich dynamisch entlang winziger Kräftegradienten exakter Träumereien bis er seinem Gott solcherart schlängelnd begegnete. Dieses Treffen gab den ersten Augenblick der Welt frei in Form der Ausgangslage: ein Etwas war als Tiefe ohne Masse mit Wasser umgeben entstanden und lag als riesige und schwarze Linse prallvollen Abwartens in Dunkelheit; so formte sich ein Schöpfer sein neues und eigenes Draußen, entwarf Form: weil sein Geist darüber hin schweben konnte.
Als nächstes schenkte ein namenloses Leuchten einen vagen Blick für Gottes Auge her, dann wurde eine Grenze gezogen und die erste Dunkelheit konnte als die Erste Nacht benannt werden. Nachdem die Erste Nacht und ein zweites Leuchten vergangen waren hat sich der Erste Tag komplett mit Abend und Morgen auf stiller Bühne aufgeführt gehabt.
Es lauert der permanente Verdacht gleichsam als helles Gesicht eines überpünktlich erscheinenden Souffleurs am Bühnenrand, seitlich der einzigen beiden Zuschauer, dass alle Augenblicke aus einem einzigen Moment entstammen. Und damit alle Augenblicke nicht wieselflink wieder in diesen einen Moment zurückfinden und verschwinden können, hat Gott die Nächte und Tage erfunden.
Die zweite von Gottes Wille geleitete Trennung geht mittels erster erschaffener Masse (die Feste) durch die Wasser und ergibt den Himmel; der zweite Tag vollendet sich, Himmel und Wasser sind nie mehr eins. Erst jetzt, im Verlauf des zweiten Tages, befiehlt Gott den Wassern sich zu sammeln, eine neuerliche Grenze zu ziehen; dem Wasser, dem Meer wird die trockene Feste gegenüber gestellt. Sie benennt Gott als die Erde. Der dritte Tag entsteht durch Gottes Wille und es ergeht sein Befehl an die trockenen Gebiete der Erde: Pflanzen sollen hervorgebracht werden. Dies geschieht. Worte der Liebe:
„Stein-Quendel:
Eine 1-2jährige, 10-30 cm hohe Pflanze mit aufsteigenden Stengeln, kleinen, eiförmigen, gesägten Blättern und hellvioletten Blüten, die eine flache Oberlippe haben und zu 6 in Scheinquirlen stehen. Ihr Kelch ist am Grunde sackförmig erweitert und zur Fruchtzeit geschlossen.