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Die Rückseite der Rose: Roman
Die Rückseite der Rose: Roman
Die Rückseite der Rose: Roman
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Die Rückseite der Rose: Roman

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About this ebook

Yoshua ist ein begnadeter Lehrer, der die ›Innere Kampfkunst‹ Aikido unterrichtet. In seiner Trainingshalle erlernen seine Schüler nicht nur den Umgang mit ihren Trainingspartnern, sondern auch mit sich selbst.
Dies ist jedoch nicht der Grund, warum Yoshua der Ruf vorauseilt, er habe es mit Dingen zu tun, die jenseits des menschlichen Vorstellungsvermögens liegen. Zu ihm kommen Menschen, die ungewöhnliche spirituelle Erfahrungen gemacht haben – und finden in Yoshua ihren Meister. Doch während sie noch an der Schwelle zur Bewusstwerdung stehen, erliegt Yoshua mit seiner schönen Trainingspartnerin Samira dem Sog eines machtvollen tantrischen Rituals, das für die ganze Menschheit von Bedeutung sein wird. Als ein geheimnisvolles Medaillon, das mit diesem Ritual in Verbindung steht, Yoshua nach Paris führt, ahnt er nicht, dass er bald in höchster Gefahr schweben wird …
LanguageDeutsch
Release dateOct 22, 2014
ISBN9783735733887
Die Rückseite der Rose: Roman
Author

Peter Friedrich

Mein Name ist Peter Friedrich, ich bin 52 Jahre alt, habe vier Kinder und lebe mit meiner wunderbaren Frau Mona bei Köln. Heute bin ich von Panikattacken geheilt und möchte mein Wissen weitergeben. Ich widme dieses Buch allen Superhelden, die an Panikattacken leiden. Seid zuversichtlich - es gibt Wege da raus!

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    Book preview

    Die Rückseite der Rose - Peter Friedrich

    Inhaltsverzeichnis

    Prolog

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Kapitel 30

    Kapitel 31

    Kapitel 32

    Kapitel 33

    Kapitel 34

    Kapitel 35

    Kapitel 36

    Kapitel 37

    Kapitel 38

    Kapitel 39

    Kapitel 40

    Kapitel 41

    Kapitel 42

    Kapitel 43

    Kapitel 44

    Kapitel 45

    Kapitel 46

    Kapitel 47

    Kapitel 48

    Kapitel 49

    Kapitel 50

    Kapitel 51

    Kapitel 52

    Kapitel 53

    Kapitel 54

    Kapitel 55

    Kapitel 56

    Kapitel 57

    Kapitel 58

    Abschluss

    Nachwort

    Prolog

    Sie lagen vollkommen entblößt in eine weiche Wolldecke eingehüllt nebeneinander. Ihre Körper waren angenehm warm und entspannt. Hätte man eine kriminal-technische Untersuchung durchgeführt, man würde feststellen, dass außer etwas Schweiß keine Körperflüssigkeiten ausgetreten waren. Der Raum, in dem sie sich befanden, war angefüllt mit dem leichten Duft eines von fern glimmenden Räucherstäbchens. Lavendel drang in ihre Geruchssinne. Yoshua hielt Samiras linke Hand in seiner rechten. Wie von fern schauten sie beide an einem hellblauen Himmel vorbei, hinauf nach oben, hinaus aus einer rautenförmigen Öffnung. Hinter dieser Öffnung ruhte ihr Blick im Dunkel einer blauen Endlosigkeit. Ohne Ziel. Ohne Gedanken. Frei von Zeit und Raum.

    Nach einem ewig erscheinenden Augenblick wurden sie sich ihres Blickes und ihrer Position gewahr. Ein lieblicher, harmonischer Sog hatte eingesetzt, der beider Bewusstsein wieder zurückbeförderte. Sie spürten eine sanfte Rückführung in ihre Körper.

    Sogleich erkannten sich Yoshua und Samira wieder, in einer hellblauen Halbkugel, deren Boden mit vielen weichen Wolldecken ausgelegt war.

    Samira war sich ihrer körperlichen Blöße bewusst, konnte aber keinen Grund zur Scham empfinden. Sie war bei ihrem Seelengefährten, der, ebenfalls entblößt und glücklich, immer noch in die Endlosigkeit schaute.

    »Yosh, wir sind wieder zurück. Ich habe eine Menge erwartet, aber das hat alle meine Vorstellungen gesprengt. Ich bin noch immer wie berauscht. Das ist das Größte, was ich je erleben konnte. Es ist unvorstellbar. Yosh?«

    Die Pause kam ihr vor wie eine kleine Ewigkeit. Hatte er sie gehört?

    »Samira?«

    »Warum sagst du nichts?«

    »Ich bin noch im Himmel«, scherzte er. »Schon lange wusste ich, dass dieser Tag kommen würde, und heute haben wir es wahrhaftig erlebt. Und das, meine Liebe, war erst der Anfang einer wunderbaren Reise.«

    Er machte eine kurze Pause. Das gemeinsame Erlebnis erfüllte ihre tiefsten Gefühle und sollte eigentlich im Anschluss daran mit einem gemütlichen Abendessen in seinem Haus gekrönt werden.

    Doch Yoshuas Auslandsreise war bereits vor einem halben Jahr geplant worden und somit unaufschiebbar. Das Flugticket und zwei gepackte Koffer standen schon zur Abreise bereit. Der Flug sollte um 20:50 Uhr starten und Yosh wollte spätestens um 18:30 Uhr zum Einbuchen am Flughafen sein. Vom Londoner Flughafen Heathrow sollte es dann weitergehen, um am Samstag um zwanzig nach sieben auf dem japanischen Flughafen Tokio-Haneda zu landen. Yosh freute sich sehr auf ein Wiedersehen mit einem seiner alten Meister, die seine Lebensvorstellungen geprägt, ja sein ganzes Leben in eine unbeschreibliche Wandlung gebracht hatten.

    Und jetzt lag er hier, gemeinsam mit Samira, in diesem igluähnlichen Gebilde. Ihre siebenwöchige Vorbereitungszeit auf diesen Tag wurde durch ein unvorstellbares Erleben gekrönt. Doch aller Genuss des Erlebens sollte jetzt in einen schnellen und friedlichen Abschluss münden. Auch wenn für Yosh die Zeit keine große Rolle mehr spielte, musste er sich dennoch an das Systemtiming halten, das in diesem Fall durch die Fluggesellschaft vorgegeben wurde. Und so hob er an:

    »Übrigens, zum Thema Reise. Wir haben ein knappes Timing erwischt. Du erinnerst dich? Ich fliege noch am Abend Richtung Japan.«

    »Oh Mann, muss das denn unbedingt sein? Jetzt, wo wir uns so nahe sind wie noch nie zuvor? Sensei, bitte verschieb deinen Abflug um … eine Nacht?« Samira rollte über ihre linke Schulter in Yoshuas Arme und küsste ihn zärtlich auf den Mund.

    »Sam, die Wirkung unseres gemeinsamen Erlebnisses heute und die darin enthaltene Option der Wiederholung hält für sieben Tage an. Und in dieser Zeit kannst du dich immer mit mir gedanklich in Verbindung setzten. Aber, so leid es mit tut, wir müssen jetzt wirklich zum Abschluss kommen. Ich will den Flug ungern verpassen.«

    Er ballte seine Fäuste, atmete tief ein und öffnete sie wieder mit der Ausatmung. Diese »Rückholung« wiederholte er gleich noch zwei Mal. Dann griff er neben sich und angelte seinen ockerroten seidenen Kimono.

    »Musst du wirklich heute Abend noch los?«

    Wortlos stand er auf und warf sich den Kimono über die Schultern. Mit geübter Bewegung verknotete er den Gürtel und reichte Samira seine Hand.

    »Komm, meine Liebe. In drei Wochen holen wir nach, was wir heute nicht mehr machen können, wenn du willst.«

    Umhüllt von seidenen Kimonos wandelten sie eng umschlungen aus dem igluähnlichen Gebilde, überquerten dann einige Gummimatten, um schließlich durch eine Glastür gelangend die kleine Halle in Richtung Wohngebäude zu verlassen. Nach dreißig Schritten schloss Yosh wortlos die Hintertür seines Wohnhauses auf und leitete Samira mit einem Kopfnicken über die kleine Eingangsstufe in den schmalen Flur. Von dort fand sie ihren Weg wie im Schlaf, denn schon tausendmal war sie ihn gegangen. Doch jetzt erfüllte der nahende Abschied ihr Herz mit einem Anflug von Traurigkeit. Sie waren ein Paar, aber nicht wie es üblicherweise bei Mann und Frau zu verstehen war. Es verband sie nun sehr viel mehr. Und nach dem heutigen gemeinsamen Erlebnis wollte sie für immer bei ihm bleiben, nicht nur als Partnerin, sondern auch als Frau. Ihre gesamte Gefühlswelt hatte sich für Yoshua geöffnet und das, was man mit Liebe beschrieb, erfüllte ihr Bewusstsein in vollstem Umfang. Noch wie in Trance zog Samira sich in dem kleinen Nebenraum um. Dabei war sie in ihren Gedanken immer noch in der hellblauen Halbkugel. Ihr Körper schien sich dabei wie von selbst anzuziehen, denn sie bemerkte mit einem Mal, dass sie, aus ihren Gedanken gerissen, mit einem Mal komplett angekleidet dastand. Oh, wie sehr sie Yoshua liebte, ihren Seelengefährten, ihren Meister und Lehrer, der nun ganz in ihr Herz gelangt war. Sie verließ das kleine Umkleidezimmer und fand Yosh im Arbeitszimmer an dem runden Eichentisch wieder. Dort saß er, ihr Sensei und Freund, ihr Seelenpartner, dessen ockerroter Kimono über dem Gürtel noch halb geöffnet war, sodass sie seine leicht behaarte Brust erkennen konnte. Sie schritt hinter ihn, umarmte ihn sanft und koste ihn kurz.

    »Ich halte nichts von langen Abschieds-Szenen. Deshalb will ich es kurz machen und dich nicht weiter aufhalten.«

    Samira kämpfte mit den Tränen, doch ihr war wichtig, in diesem Moment ihre Stärke zu zeigen, die Yoshua so sehr an ihr bewunderte.

    »Yosh, du weißt, dass ich dich über alles liebe, und ich wünsche mir, dass du so schnell wie möglich wieder zurück bist. Versprichst du mir das?«

    »Meine Liebe ist immer bei dir, Samira.« Er wollte sich vom Stuhl erheben, doch sie hielt ihn mit sanftem Gegendruck fest.

    Sie wollte nun keine Umarmung, keinen Kuss, keine Abschiedsszene. Er sollte nicht bemerken, dass ihr Tränen über die Wangen rollten. Mit einer flüchtigen Handbewegung wischte sie die Tränen ab. Sie wollte nur noch schnell fort, denn sie befürchtete sich jeden Moment in einen Weinkrampf zu verlieren. Ihr schien, als wäre das Ende der Welt gekommen.

    Ehe Yoshua begriff, wie es um Samira stand, war seine tantrische Partnerin auch schon durch den Hintereingang des kleinen Einfamilienhauses verschwunden. Er hörte das kurze Aufheulen des Motors, nicht aber Samiras Weinen. Ein Sturzbach aus Tränen rann über ihr Gesicht, und als sie den Scheibenwischer betätigte, um besser sehen zu können, musste sie gleichzeitig über ihre Reaktion lachen.

    Lachen und Weinen gingen oft Hand in Hand.

    Yosh hörte das Brummen ihres Wagens in der Ferne immer leiser werden. Jetzt war er ganz bei sich.

    »Oh, wie sehr ich dich liebe Samira, es ist unvorstellbar was du bei mir ausgelöst hast. Der Kreis hat sich geschlossen.«

    Er war sich bewusst, dass sie ihn nicht hören konnte, doch auch wenn die Zeit sich bemühte, irgendetwas zu verzögern, aufhalten konnte sie es nicht. Es kam immer, wie es kommen sollte.

    Yosh fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und atmete tief und bewusst in seinen Bauch. Ein Dielenknacken weckte seine Instinkte. Samira konnte es nicht sein, er hatte ja vernommen, wie sie weggefahren war. Ehe er sich versah, stürmte ein Unbekannter mit erhobener Faust auf ihn zu. Yosh sprang von dem runden Tisch auf und musste sich blitzschnell sammeln. Bevor er recht begriff, was hier ablief, stürmten drei weitere Angreifer in das Arbeitszimmer. Der erste holte zu einem vernichtenden Schlag in sein Gesicht aus. Yosh blockte die Attacke mit der linken Hand, indem er die Faust des Angreifers an seinem linken Handrücken vorbeilenkte und gleichzeitig durch einen kurzen Impuls dessen Arm um zwei Zentimeter weiter in die Verlängerung des Schlagzieles führte. Dadurch brachte er den Unbekannten für den Bruchteil einer Sekunde aus dem Gleichgewicht, wobei Yoshua seine rechte Faust gleichzeitig auf die Herzspitze des Angreifers rammte, sodass er röchelnd zusammenbrach und schwer atmend bewegungslos liegen blieb. Der begierig um Zerstörung ringende Schlagring hatte sein Ziel nur um Haaresbreite verfehlt. Yosh war im letzten Moment rückwärts ausgewichen und hatte die zuschlagende Faust des zweiten Angreifers mit seinem linken Unterarm mittels einer gleichzeitigen Körperdrehung nach rechts abgewehrt. Dabei erfasste er das Handgelenk des Eindringlings mit beiden Händen und stand für einen kurzen Moment mit dem Rücken zum verblüfften Gesicht des Angreifers. Gezielt zog Yosh dessen Ellenbogen mit einer nach oben verhebelnden Verdrehung des attackierenden Armes auf seine rechte Schulter. Ein kurzes, aber heftiges Knacken gab zu erkennen, dass die knöchernen Begrenzungsanschläge des Ellenbogengelenkes für längere Zeit freigegeben waren, wenn es sich überhaupt je wieder rekonstruieren ließ. Blitzschnell wirbelte er nun herum und schleuderte den vor Schmerzen brüllenden Friedensbrecher gegen den dritten auf ihn zustürmenden Aggressor. Beide knallten derart brutal mit den Schädeln zusammen, dass ihre Kampfabsichten für den Rest des Tages genauso wie ihr Bewusstsein erloschen. Als Yosh sich dem vierten Angreifer zuwandte, sah er in den Lauf einer Beretta 87 Target.

    »Wenn du im Kampf um Leben und Tod vor deinem Feind stehst, bleib ruhig und gelassen. Warte geduldig, bis du seine Lücke erkennst. Dann, wenn du sie erkannt hast, tritt ein, schnell und konsequent. Sei dabei ohne Erbarmen.«

    Wie von fern hörte Yoshua die Anweisungen seines Sensei. Was für Außenstehende in einer solchen Situation nicht erkennbar war, bestand in der Veränderung des Bewusstseins durch das sich ausweitende Adrenalin. Es wirkte im »Bauch« und gab dort für Ungeübte ungeahnte Kräfte frei. Doch das ganz Besondere war die Chemieausschüttung im Zentrum seines Kopfes. Durch diese körpereigene Droge, ausgeschüttet durch die Hypophyse, verzögerte sich Yoshuas Zeitgefühl in unvorstellbarem Maße. Nun nahm er auch den Raum um sich herum nicht mehr wahr. Die Zeit hatte ihre Illusionskraft verloren. Sie verlor sich derart, dass Yosh die Lücke seines Kontrahenten in dessen Wimpernschlag sah. Wie in einer Superzeitlupe erkannte er die oberen Augenlider seines Gegenübers. In dem Moment, da sich die Lider zum Reinigen der Pupille wie ein Vorhang über das Auge schieben wollten, erkannte Yosh die Lücke. Während dieses unmessbaren Moments des Wimpernschlags war sein Angreifer blind. Yosh sah den Lauf der Waffe und den grinsenden Mund des Fremden. Aber seine Konzentration galt ganz den Augenlidern, ohne dem Angreifer dabei in die Augen zu schauen. Alles dauerte, vom ersten Blick auf die Waffe bis zur Gegenattacke in die Lücke des Kontrahenten, den Bruchteil einer Sekunde. Sogleich presste Yoshua seinen rechten Fuß derart in den Boden, als wollte er ein Loch in die Kellerdecke rammen. Gleichzeitig flogen sein Körper zur linken Seite und beide Handkanten gegen das die Beretta haltende Handgelenk und den darüber befindlichen Unterarm. Der Angreifer wusste nicht, wie ihm geschah, denn für einen kurzen Moment stand Yosh nun seitlich neben ihm, erfasste sein Handgelenk und wirbelte mit seinem Körper derart schnell nach rechts herum, dass der Bewaffnete durch diese Körperdrehung über das schmerzhaft gestrecktes Ellenbogengelenk nach vorn geschleudert wurde. Wie ein Satellit kreiste er kurz um Yosh herum. Doch noch bevor seine beiden Füße wieder sicheren Stand hatten, wirbelte Yoshua in die entgegengesetzte Richtung zurück. Dabei zersplitterte das Handgelenk des Bewaffneten, und der von Wut und Schmerz erfüllte Aufschrei gab das nahende Ende des Angriffs zu erkennen. Nicht nur das Handgelenk brach in diesem Moment, sondern auch der Blick des durch die Luft geschleuderten Angreifers. Noch bevor dieser in Ohnmacht versinkend hart auf dem Boden aufschlug, hielt Yosh die Beretta in seiner rechten Hand. Er hörte ein die Luft zerschneidendes Geräusch, konnte aber nicht gleich ausmachen, woher es kam. Yosh spürte nur noch, wie sich mehrere metallene Widerhaken in seine Haut gruben, und sein Körper sackte unter einer geballten Stromladung zu Boden. Wie im dichten Nebel sah er zwei weitere Fremde auf sich zukommen. Einer der beiden stülpte ihm eine schwarze Kapuze über den Kopf und höhnte: »Na, du Arsch, da hilft dir dein Hokkaido auch nicht mehr.«

    Den brutalen Tritt gegen seine Stirn spürte Yoshua nicht mehr.

    Es wurde dunkel.

    Kapitel 1

    37° Celsius waren für diese Jahreszeit eher eine Seltenheit, während es in den letzten Jahren, vor dem Juli 2013, im Sommer immer mal wieder in diese Regionen gestiegen war. Diese Hitze war für so manchen älteren Menschen eine zusätzliche körperliche Belastung, viele von ihnen wurden aus den anliegenden Altenheimen in Krankenhäuser gebracht. Am Himmel erschien hin und wieder eine kleine Wolke, verbunden mit einer leichten Brise, die sanft durch das geöffnete Küchenfenster wanderte. Yosh hatte gerade seinen Mittagsabwasch erledigt, als er auch schon den Fremden durch das Küchenfenster erblickte. Dieser ging auf die Eingangstür des Hauses zu und klingelte einmal lang, sodass das Dong! etwas auf sich warten ließ. Yosh legte das Geschirrtuch zur Seite und schaute durch das Küchenfenster in ein circa vierzig Jahre altes Gesicht. Grüßend hob er die Hand und schritt zur Eingangstür. Als er sie öffnete, konnte er die Verlegenheit des Fremden förmlich spüren. Das hatte aber nicht allzu viel zu bedeuten, denn immer mal wieder kamen Fremde zu Yosh, um sich von ihm beraten zu lassen. Trotzdem konnte man ihn nicht im Telefonbuch finden und auch im Internet zeichnete sich keine Spur zu seinem Wohnort. Alle persönlichen Treffen basierten auf Mund-zu-Mund-Propaganda. Yosh wollte es so, und so sollte es auch bleiben.

    »Hey, wie geht’s?« Yosh lächelte den Fremden freundlich an.

    »Danke, gut so weit. Mein Name ist Michael Napolski. Bitte entschuldigen Sie meinen unangemeldeten Besuch. Aber ich habe gehört, dass Sie mir vielleicht weiterhelfen können.«

    Die Verlegenheit des Fremden war um ein Vielfaches angewachsen, wobei seine direkte Art Yoshua sehr imponierte.

    »Ach, wer hat Ihnen das denn gesagt?«

    Yoshua schaute betont auffällig zur rechten und zur linken Straßenseite, als wollte er überprüfen, ob sie beobachtet würden. Der Fremde folgte seinem Blick. Das war schon einmal ein gutes Zeichen, aber Yosh behielt es vorerst für sich.

    Napolskis Mund öffnete sich zögerlich.

    »Das kann ich gar nicht mehr so genau sagen, ich habe es irgendwo gehört. Man sagte mir damals, dass Sie sich mit Dingen beschäftigen, die außerhalb unseres Vorstellungsvermögens liegen.«

    »So?«

    Yoshua machte gastfreundlich die Eingangstür frei, um die Situation für den Fremden etwas zu entschärfen.

    »Wollen Sie nicht hereinkommen? Oder handelt es sich nur um eine Kleinigkeit, die wir hier draußen besprechen können?«

    Yosh musste über seine rhetorische Frage grinsen und führte den Besucher mit einer einladenden Geste an sich vorbei. Dabei berührte er leicht seinen Rücken und lenkte ihn Richtung Flur.

    »Gehen Sie gern vor und fühlen Sie sich wie zu Hause. Die offene Tür zu Ihrer Linken führt Sie direkt in mein Arbeitszimmer. Nehmen Sie bitte am runden Tisch Platz, suchen Sie sich einfach einen der sieben Stühle aus. Ich hole eben noch eine Karaffe Wasser aus der Küche.«

    Yosh gewährte seinen neuen Besuchern immer das Recht, sich im Erdgeschoss des Hauses selbstständig zu bewegen. Auch hatte es sich bewährt, sie in den ersten drei bis fünf Minuten allein in seinem Arbeitszimmer zu lassen. Das gab ihnen die Möglichkeit, sich unbeobachtet einen Eindruck von ihm zu machen, auch wenn das meist unbewusst geschah. Was seine Besucher jedoch nicht wissen konnten, war, dass Yosh, als er sich hier am Stadtrand des kleinen Ortes nördlich von Hannover niedergelassen hatte, schon vor vielen Jahren auf der Unterseite der sieben Stühle je eine Zahl angebracht hatte. Und so leuchteten die Zahlen 1-2-3-4-5-6-7 auf poliertem Messing im Verborgenen. Wenn ein Besucher sich entschieden hatte, wo er sitzen wollte, konnte Yosh durch die versteckt angebrachte Zahl schon vorab erkennen, was den Gast bewegte und in welchem Entwicklungsprozess er steckte. Ja, manchmal waren die Dinge im Leben ganz einfach. Er fügte noch etwas Zitrone und Eis ins Wasser, gab seinem Gast noch ein bis zwei Minuten zum Eingewöhnen und schritt dann durch die offenen Türen von der Küche über den schmalen Flur ins Arbeitszimmer.

    Als wenn er es nicht schon bei der ersten Berührung im Flur gespürt hätte! Michael Napolski saß auf dem Stuhl Nr. 7. Na, dann musste Yosh erst einmal in die Ganzheit hineinhören, um ein komplettes Bild zu erhalten. Denn Yoshua wusste, wer auf der 7 saß, der war im Höhepunkt seiner Schaffenskraft angelangt und fing an zu hinterfragen, ob das Leben nur ein Leben war oder ob es Dinge gab, die, wie Michael so schön gesagt hatte, außerhalb der menschlichen Vorstellungskraft lagen. Allerdings bemerkte Yosh, dass Michael für den Siebener-Zyklus etwas jünger erschien als die meisten anderen »Siebener«; wenn sich die Menschen die Sinnfrage überhaupt stellten. Yosh hatte in den Jahren seiner Beratungstätigkeit gelernt zu unterscheiden, ob jemand aus eigenem Antrieb zu ihm kam oder ob das Schicksal eine schmerzhaft erscheinende Besinnungschance herbeigeführt hatte. Ein Zyklus umfasste sieben Jahre.

    Nun, die 7, auf der der Besucher saß, war mit dem siebten Tag in der Schöpfungsgeschichte der Thora zu vergleichen. Nach dem Erschaffen der Dinge die das Leben erforderte, begann für einige Menschen eine Phase der inneren Ruhe und des Hinterfragens und der Suche nach spirituellen Antworten. Man war sich dabei aller Schaffenskraft des Lebens bewusst, sah auf die letzen Jahre nochmals zurück und erkannte, dass es doch ganz gut gelaufen war. Das war der siebte Tag und Yosh konnte kein schicksalhaftes Ereignis bei Michael erkennen.

    Die 7. Er kam aus freien Stücken zu ihm. Und deshalb konnte Yosh ihm helfen. Ob er die Hilfe dann annahm, war aber wieder eine Frage der eigenen Entscheidung.

    Yosh goss das kalte Wasser in große Gläser und nickte Michael freundlich zu. Erfreulicherweise hatte sein Besucher schon die erste Scheu abgelegt. Beim Trinken musterte er das Bücherregal und nickte einige Male bestätigend. Nicht sehr deutlich, Yosh erkannte es nur an seinen Augenbrauen, die sich unmerklich zusammenzogen. Man durfte das nicht mit dem bekannten Stirnrunzeln verwechseln, das auch das Gegenteil bedeuten konnte. Nachdem sie etwas von dem Wasser getrunken hatten, schaute Yosh ihm direkt in die Augen und fragte nach seinem Anliegen.

    »Das ist eigentlich nicht so leicht zu sagen«, begann Michael, plötzlich sehr selbstbewusst. »Ich habe in meinem Leben alles erreicht, was man erreichen kann. Ich habe ein Haus gebaut, einen Baum gepflanzt«, hier mussten beide grinsen, »bin verheiratet, habe einen halb erwachsenen Sohn und vor sieben Jahren ein erfolgreiches Unternehmen gegründet. Alles läuft wie am Schnürchen.«

    Da war ja der Siebener-Jahreszyklus wieder. Als wenn man ihn bestellt hätte. Etwas nachdenklich fügte er hinzu:

    »Ich habe wirklich alles erreicht, was man erreichen kann. Toppen kann ich diesen Zustand wohl nur noch durch noch mehr Einsatz und noch mehr Geldverdienen. Aber komischerweise kam mir vor kurzem der Gedanke, ob das nun alles sei im Leben. Vielleicht stecke ich ja in einer Sinnkrise, oder in einer Selbstfindungsphase, ich kann es nicht anders formulieren. Ich kann Ihnen nicht einmal mehr genau sagen, wer mir Ihre Adresse gegeben hat. Irgendeiner meiner Kunden vielleicht. Auf jeden Fall habe ich vor kurzem einen Zettel mit Ihrem Namen und Ihrer Adresse zufällig in einer meiner Sommerjacken gefunden; und nun bin ich hier.«

    Er zog fragend die Schultern hoch, so als wollte er hinzufügen, dass er nun nicht weiterwüsste.

    Ja, so waren sie, die Suchenden nach dem Verborgenen. Im Allgemeinen war ihre noch unbewusste spirituelle Suche genau so konsequent wie ihr beruflicher Werdegang; nur ihr Kopf stand ihnen noch im Weg. Die Bewusstwerdung setzte sich langsam in Gang und das war eine echte Herausforderung für jeden, der diese

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