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Die Tochter: Eine Erzählung
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Die Tochter: Eine Erzählung
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Die Tochter: Eine Erzählung

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About this ebook

»Wie lange war dein Vater eigentlich weg?, fragt Wolfgang.
Lange, sagt Kori und schaut aus dem Fenster.
Total irre, sagt Wolfgang.
Wieso fragt er das, denkt sie, er weiß es doch. Alle wissen es.
Der Vater war zwanzig Jahre weg. Zwanzig Jahre. Alle dachten, er ist tot. Nur ich und die Mutter nicht. Mutter hat immer behauptet, dass er am Leben ist. Und das habe ich ihr geglaubt. Aber ob sie auch dachte, dass er zurückkommt? Vielleicht war ich die Einzige, die wusste, dass er wiederkommt.«

Koris Kindheit und Jugend sind geprägt von der Sehnsucht nach dem unbekannten Vater und von der Ablehnung durch die Mutter. Sie kämpft mit dem inneren Konflikt zwischen dem Wunsch nach Selbstständigkeit, Wegwollen, ein eigenes Leben haben und der gleichzeitigen Angst davor, auch das Wenige noch zu verlieren, was sie zu haben glaubt. Sie versucht verzweifelt, die Wahrheit zu verstehen, die Geschichte, wie sich alles in ihrem Leben und im Leben der Familie entwickelt hat. Sie glaubt, wenn sie die Wahrheit weiß, wird alles anders und sie muss nicht mehr nur Opfer sein.
LanguageDeutsch
Release dateNov 14, 2014
ISBN9783738683929
Die Tochter: Eine Erzählung
Author

Christel Wagner

Christel Wagner, aufgewachsen in Köln und Bonn, lebt heute in Mainz und im Hunsrück. Nach unterschiedlichen Studien und Ausbildungen arbeitet sie im psycho-sozialen Bereich. Überzeugte Geschichtenerzählerin und -schreiberin.

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    Die Tochter - Christel Wagner

    Kapitel

    1. Kapitel

    Kannst du mich hören? Ich sag jetzt Sophie zu dir. Sophie. Immer sollte ich Tante zu dir sagen, obwohl du gar nicht meine Tante bist. Deine Hand ist kalt, aber noch nicht ganz, ich seh ja, wie du atmest. Sie haben gesagt, ich soll nicht lange bleiben.

    Es regt dich auf. Und dann bin ich schuld. Die Zimmer habe ich alle geputzt, so wie du es mir beigebracht hast. Alles sauber, sogar das Klopapier habe ich vorne geknickt, damit die Gäste sehen, dass es nicht benutzt ist. Wie du es immer wolltest.

    Meinst du, dass noch Gäste kommen? Wir haben ja jetzt einen schlechten Ruf. Die Eltern sind dauernd in der Gaststube. Oder mehr die Mutter. Die wäscht immer wieder dieselben Gläser. Ich bin einfach gegangen. Hab den Bus genommen.

    Die Schläuche machen mir Angst. Aber ich seh, dass du lebst. Ich seh es auf dem Monitor. Hörst du mich überhaupt? Sophie, Sophie. Immer soll ich schuld sein. Ich weiß, dass der Vater bei dir war. Ich hab ihn gesehen in der Eingangshalle. Da bin ich schnell aufs Klo, hab mich verdrückt. Vater ist dein Liebling. Aber er regt dich auf. Wer weiß, was er dir erzählt hat. Er lügt ja sowieso. Der Herr Vater.

    Ich hab ja auch hier im Krankenhaus gelegen nach der ganzen Sache. Außer dir und Reni hat mich keiner besucht, die Eltern sowieso nicht. Mein Vater hatte wohl Angst, ich weine oder ich rede zu laut. Über alles. Aber ich sag ja gar nichts. Vielleicht hört ja eine von den Schwestern zu, und wir kriegen wieder Schwierigkeiten. Wenn die Polizei noch mal kommt, habe ich auch Angst. Ich halt den Mund, weil ich ja sowieso die Blöde in der Familie bin. Die, die immer rumschleicht. Und nichts versteht. Sagt jedenfalls Volker. Und ich soll dauernd tun, was er will, nur weil er mein älterer Bruder ist.

    Sophie, mach bitte die Augen auf.

    Kori merkt, dass sie weinen muss, holt sofort ein Tempo aus ihrer Tasche und wischt über ihr Gesicht. Noch nie hat sie so viel auf einmal zu einem Menschen gesagt. Sie spürt die Hitze der Wörter in ihrem Körper und denkt, dass sie ganz rot sein muss. Vor Aufregung.

    Sophie bewegt den Kopf ganz leicht, das rechte Augenlid zuckt für einen Moment. Kori hört, wie sich hinter ihr jemand räuspert. Der Schrecken in ihr macht, dass sie unbeweglich sitzt. Eine Schwester geht an den Monitor, drückt daran herum, es piepst. Die Schwester fordert sie auf, jetzt zu gehen. Zwei Besuche hintereinander seien zu viel. Nur einer solle kommen.

    Kori geht die Straßen entlang. Der Bus zurück fährt erst später. Zur Haltestelle mag sie nicht. Es könnte sein, dass sie angesprochen wird. Sicher warten dort Leute aus dem Dorf. Geredet hat sie für heute genug. Weiß nicht, ob die Krankenschwester etwas gehört hat und wen sie alles kennt. Das beunruhigt sie.

    Vater ist überall bekannt, jedenfalls bei den Älteren. Abends kommen die alten Männer in die Gaststätte, sitzen mit Vater am Tisch und stecken die Köpfe zusammen. Sie hüten Vaters Unschuld. Sie geben Alibis bei der Polizei. Für Vater und Volker. Vater und Volker, Vater und Sohn.

    Kori regt sich wieder auf. Die Aufregung ist in den Beinen, die zittern. Das mag sie nicht, bleibt also stehen und blickt in ein Schaufenster. Dort sind Kleider. Als die Beine ruhiger sind, betritt sie den Laden und kommt gleich zum ersten Stand, einem Rondell mit Pullovern für den Sommer und Blusen.

    Wieder beginnt das Zittern in den Beinen, die sie jetzt durchdrückt, ganz steif macht. Nimmt einen Bügel, auf dem ein Pullover hängt, in die Hand.

    Das ist nicht Ihre Größe, sagt eine Frau neben ihr. Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen kleinere Größen. Was tragen Sie, 36? Sie sehen ja sehr schmal aus. Welche Farbe suchen Sie?

    Kori möchte sagen, gar keine, aber es gelingt ihr nicht. Sie folgt der Frau durch den Raum, bleibt neben ihr an einem anderen runden Ständer stehen. Die Beine sind jetzt besser.

    Die Frau greift nach einem grünen Pullover, hält ihn Kori vor die Brust, sagt, perfekt, sowohl die Größe als auch die Farbe, und schön leicht. Probieren Sie in der Kabine, die ist gleich hier nebenan.

    Als könne sie es nicht verhindern, nimmt Kori den Pullover, die Frau schließt den grauen Vorhang hinter ihrem Rücken. In der Kabine steht ein Hocker, auf den setzt sie sich. Dem Spiegel, der an der Wand gegenüber hängt, kann sie nicht ausweichen. Sieht sich an.

    Deine Mutter war auch nicht sehr schön, hatte die Oma früher zu ihr gesagt. Immer dann, wenn sie über ihre Mutter etwas wissen wollte.

    Sie beugt sich zum Spiegel, fährt mit dem Zeigefinger über die dunklen Brauen, sieht, dass ihre Nase, die sie schrecklich findet, weil zu groß, gerötet ist. Ihr Gesicht ist blass. Hinter dem Vorhang fragt die Stimme der Verkäuferin, ob sie fertig sei.

    Kori springt auf, lässt den Pullover zurück, flieht aus dem Geschäft auf die Straße. Rennt, blickt sich um, als ob jemand hinter ihr her sei. Da ist niemand und sie beruhigt sich langsam beim schnellen Gehen.

    Im Bus sitzt sie hinter dem Fahrer. Bemerkt, wie erschöpft sie ist und schließt die Augen. Sofort ist das Bild ihrer Mutter da, mit den schweren dunklen Augenbrauen, der großen Nase, die sie wohl absichtlich vererbt hat, gemein wie sie ist. Aber, denkt Kori, ihren fetten Hintern habe ich wenigstens nicht.

    Gegen die Brauen und die Nase konnte ich nichts machen. Danach war Schluss, ihren dicken Körper habe ich nicht genommen. Er ist mir zuwider. Mag ihm nicht zu nahe kommen. Und wenn sie noch so stolz ist auf ihn und angibt mit ihrer Haltung.

    Halt dich gerade, gab sie zur Antwort, wenn Kori irgendetwas fragte.

    Kann ich rausgehen?

    Halt dich gerade!

    Ich soll was kaufen für die Schule.

    Halt dich gerade!

    Kori öffnet die Augen, weil die Mutter verschwinden soll. Blickt aus dem Fenster, sieht, wie die Abstände zwischen den Häusern sich vergrößern. Mehr Gärten, einige Felder. Sie erinnert sich noch an die Bauernhöfe von früher. Als das noch ein Dorf war. Jetzt ein lang gezogener Vorort der Stadt, aber für die Leute bleibt es das Dorf.

    Kori betritt den großen, gepflasterten Hof. Volkers Auto steht neben dem Eingang zum Lokal. Er wird drin sein mit den Eltern, an einem Tisch sitzen. Sie werden etwas trinken, miteinander reden. Schnell geht Kori zu dem kleinen Weg, der links am Haus entlang zur Rückseite führt.

    Leise öffnet sie die hintere Tür, muss noch durch die Küche, schleicht sich den Treppenaufgang hoch. Aus dem Lokal hört man die Stimme des Vaters und Volkers Lachen. Sie geht in den zweiten Stock, in ihr Zimmer. Verriegelt die Tür und atmet tief aus. Jetzt ist sie sicher.

    Die Luft im Raum ist stickig und Kori öffnet das Fenster. Eine Weile schaut sie auf den Garten. Dann zieht sie ihre Jeans aus, hängt sie über den Haken an der Tür, legt sich aufs Bett und schläft ein.

    Unruhig erwacht sie, schwitzt. Hat sie geträumt? Irgendetwas war da, aber sie kann sich nicht erinnern. War es der Traum von einem Meer, den sie schon einige Male hatte? Kori weiß es nicht. Noch nie war sie am Meer. Kennt es nur von Filmen und Bildern, eines hängt in dem vorderen Gästezimmer.

    Ein einziges

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