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Hoffnung und Absturz: Die Medizinische Akademie Erfurt 1990-1994 Bericht und Dokumentation einer Zeitzeugin
Hoffnung und Absturz: Die Medizinische Akademie Erfurt 1990-1994 Bericht und Dokumentation einer Zeitzeugin
Hoffnung und Absturz: Die Medizinische Akademie Erfurt 1990-1994 Bericht und Dokumentation einer Zeitzeugin
Ebook580 pages2 hours

Hoffnung und Absturz: Die Medizinische Akademie Erfurt 1990-1994 Bericht und Dokumentation einer Zeitzeugin

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About this ebook

Gegen den Widerstand aller Mitarbeiter der Medizinischen Hochschule und des Rates der Stadt Erfurt, trotz zahlreicher Protestaktionen der Erfurter Bevölkerung – dokumentiert durch 75.000 Unterschriften - und entgegen der Empfehlung des Wissenschaftsrates der Bundesrepublik Deutschland, wurde unter der Regierung von Bernhard Vogel die Medizinische Akademie Erfurt (MAE) zum 31.12.1993 geschlossen.

Angeblich wegen zu hoher Kosten und für den Bedarf in Thüringen ausreichenden medizinischen Studienplätzen in Jena. Die MAE war 1954 aufgrund fehlender klinischer Studienplätze an den Universitäten der DDR gegründet worden und verstand sich als Nachfolgerin der ältesten Universität (1392-1816) auf dem Boden der DDR.

Die Neugründung der Erfurter Universität mit Schwerpunkt auf Sozial- und Geisteswissenschaften und ohne Medizinische Fakultät erfolgte im selben Atemzug.

Der chronische Ärztemangel, vor allem auf dem Lande, ist seit vielen Jahren bekannt und zum Teil durch (Partei-) politische Fehlentscheidungen zu verantworten, wie sie 1992/93 in Erfurt durchgesetzt worden sind.

Die Autorin als Zeitzeugin dieser aufregenden Jahre in Erfurt ist, aus Hamburg kommend, vom 1. Juli 1990 bis 2006 als Neurochirurgin an der MAE tätig und mitten drin gewesen im Wechselbad der Hoffnungen auf den Erhalt der Medizinischen Akademie und ihrem politisch gewollten Untergang.
LanguageDeutsch
Release dateSep 14, 2015
ISBN9783738684476
Hoffnung und Absturz: Die Medizinische Akademie Erfurt 1990-1994 Bericht und Dokumentation einer Zeitzeugin
Author

Jutta Krüger

Jutta Krüger wird im Juli 1941 geboren, als Tochter des zwei Monate zuvor auf der „Bismarck“ gefallenen Vaters. Sie wächst mit ihren drei älteren Geschwistern und dem jüngeren Halbbruder in Göttingen auf. Nach dem Studium der Medizin (und Sportwissenschaften) in Mainz, Tübingen, Wien und Hamburg beginnt sie ihre Ausbildung in der Neurochirurgischen Klinik der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main, wo sie 1980 habilitiert. Nach dem Chefarztwechsel geht sie 1981 an ein Klinikum der Maximalversorgung nach Hamburg und wird am 15.12.1986 zur Professorin an der Hamburger Universität ernannt. Nach der Abdankung des Staatsratsvorsitzenden der DDR Erich Honecker am 17.10.1989 knüpft sie Kontakte nach Ostberlin mit dem Ziel, dort zu arbeiten, von wo viele geflohen sind. Sie bekommt schließlich eine Stelle als nachgeordnete Oberärztin an der Medizinischen Akademie Erfurt, deren Untergang sie hautnah miterlebt und mit bekämpft. Nach dem politisch gewollten Untergang der Medizinischen Hochschule Erfurt und Herauslösung der chirurgischen Fächer Unfall-, Kinder-, Thorax-und Gefäß- sowie Neurochirurgie aus dem Schoß der Allgemeinen Chirurgie wird sie zur Chefärztin der Neurochirurgischen Klinik berufen, wo sie bis zu ihrer Berentung im Jahr 2006 die Abdriftung der Medizin in eine ökonomische Disziplin miterlebt.

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    Book preview

    Hoffnung und Absturz - Jutta Krüger

    Abbildungen

    1 Vorwort

    Als vor 25 Jahren die Bürger in der DDR sich auf den Weg machten, ihre Regierung abzuschaffen und ihren eigenen Staat/Sozialismus zu entwickeln, lebte ich in Hamburg und arbeitete als Oberärztin in einem Krankenhaus der Maximalversorgung.

    Die Abdankung der DDR-Regierung und die zunehmende Fluchtwelle der Bürger von Ost nach West brachten mich auf den Gedanken, den umgekehrten Weg zu gehen – und so begann ich nach längeren Vorbereitungen meine neue ärztliche Tätigkeit mit dem Tag der Währungsunion in Erfurt. Ich tauchte ein in eine andere Welt, die mich im Bereich des Gesundheitswesens an die Zeiten Ende der fünfziger Jahre und im Fach der Neurochirurgie an 1970 erinnerte. Die Situation außerhalb meines Arbeitsbereiches war erschütternd. Zwar hatten wir Berichte über die zerfallenden Städte, die zerbrechende Industrie und die kollektivierte Landwirtschaft gesehen, aber jetzt darin zu leben, war deprimierend. Verbitterung und Wut machten sich breit über die menschenverachtende Führung des untergegangenen sozialistischen Staates.

    Ich empfand diese „neue Welt" so einmalig, dass ich meine Eindrücke und Erlebnisse in fünf Berichten – zwischen September 1990 und Januar 1994 – festgehalten habe. Diese sind in dem folgenden Text kursiv gedruckt; alle anderen Zitate in Anführungsstrichen. Außerdem habe ich alle mir erreichbaren Zeitungsberichte, Erlasse und Verfügungen der Thüringer Landesregierung und anderer Institutionen gesammelt, sodass ich eine gute Übersicht über die Entwicklung bzw. Abwicklung der Medizinischen Akademie Erfurt nach der Wende habe. Die aus meiner Sicht wichtigsten Schriftstücke veröffentliche ich hiermit im Anhang. Heute, 25 Jahre danach und mit dem Abstand von acht Jahren nach Beendigung meines Berufslebens (2006), erscheint es mir an der Zeit, über den einzigartigen Vorgang der Schließung einer voll funktionstüchtigen und wissenschaftlich anerkannten Hochschule zu berichten – einer Abwicklung aus angeblich finanziellen Gründen; in einer Landeshauptstadt, die im selben Atemzug die Wiedererstehung der ältesten Universität in den Grenzen des heutigen Deutschlands erleben durfte, allerdings ohne medizinische Fakultät.

    Auch an dieser Stelle bedanke ich mich bei Frau Hedwig Röper und Frau Dr. phil. Nilüfer Krüger für die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts und bei Herrn Prof. Dr. phil. Kersten Krüger für seine geduldige Hilfe bei der Erstellung der Druckvorlage, die in Anlehnung an die Reihe der „Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte" entstanden ist. Die Neuauflage enthält neben einigen Korrekturen als Ergänzung des Anhangs die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Hochschulmedizin in den neuen Ländern von 1991.

    Jutta Krüger

    Die Abwicklung der Medizinischen Akademie Erfurt Von der Wende bis zum Schluss (1989 bis 1993)

    Betrachtungen einer Ärztin, die aus dem Westen kam

    Es war einfach zu eng geworden. Bis zu meinem 50. Geburtstag musste ich hier weg. Aber wohin – in meinem hochspezialisierten Beruf. Nach meinen bisherigen Erfahrungen mit adäquaten Bewerbungen hatte ich die Nase voll.¹ Und eine eigene Praxis aufmachen? - Die wirkliche Neurochirurgie konnte man nicht als Alleingänger in einer Praxis betreiben, und in meinem Verständnis von Medizin hatten sie und Geld nichts miteinander zu tun: „not for sale" hatte mir mein alter Lehrer mit auf den Weg gegeben.

    2 Blick zurück

    Meine Vorfahren stammen aus Mecklenburg-Vorpommern. Ich wurde in einer Kleinstadt in Mecklenburg geboren, nachdem mein Vater im Krieg gefallen war. Meine Mutter legte nach meiner Geburt 1941 das Notabitur („Begabtenprüfung") ab und begann das Medizinstudium in Rostock – ihre vier Kinder konnten auf dem Gut ihrer Tante gehütet werden. Im Jahr 1943 (also nach Stalingrad, weil sie voraussah, dass der Krieg nun verloren sei und sie nicht in sowjetischen Verhältnissen leben wollte) zog sie mit ihren Kindern nach Göttingen, wo sie zunächst weiter Medizin studierte, dann aber im 10. Semester das Studium aufgab, weil sie meinte, durch eine Tätigkeit bei der englischen Besatzungsmacht die Familie ernähren zu müssen. Ich bin also in Göttingen aufgewachsen und habe nach dem Abitur auf den letzten Drücker in einer der drei deutschen Universitäten, die noch keinen Numerus clausus eingeführt hatten, Medizin studiert; nach dem Physikum an drei weiteren Universitäten die klinischen Semester. Danach habe ich zwei Jahre Medizinal-Assistentenzeit in drei weiteren Orten absolviert, bin dann ein Jahr in eine Reha-Einrichtung in die Schweiz gegangen, um schließlich an der Neurochirurgischen Universitätsklinik in Frankfurt am Main meine Ausbildung in der Neurochirurgie zu machen. Hier habe ich mich auch habilitiert. Den danach eingetretenen Chefwechsel habe ich nicht überlebt und bin in eine Klinik der Maximalversorgung, nach Hamburg-Altona gegangen.

    Ich hatte also bisher in 11 verschiedenen Orten gelebt und daher keine heimatliche Verbundenheit irgendwohin.

    Aber jetzt: Was tun und wo? Wir schrieben das Jahr 1989.


    ¹ Krüger, Jutta: Meine Erfahrungen auf dem Weg durch die Neurochirurgie oder: (M)Eine „Herrenrede", Ärztebl. Thüring. 15 (2004), H. 10, S. 500-502

    3 Das Jahr der Wende

    Natürlich hatten wir die Veränderungen in der DDR in unseren Medien verfolgt. Seit Gorbatschows Glasnost- und Perestroika-Politik, der Durchtrennung des Stacheldrahtzaunes an der Grenze zwischen Ungarn und Österreich am 2.5.1989 durch das ungarische Militär², den Kommunalwahlen in der DDR am 7. Mai, dem Massenexodus von über hunderttausend, meist jungen DDR-Bürgern über Prag und den zunehmenden Rufen „Wir sind das Volk" auf den Demonstrationen in den Städten der DDR, saßen wir gespannt vor dem Bildschirm und bewunderten den Mut der Bürger.

    Als am 18. Oktober 1989 Erich Honecker „aus gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt erklärte, war für uns klar, dass die DDR in ihren alten Strukturen untergehen würde. Auch als der von ihm benannte neue Generalsekretär Egon Krenz sich am Abend desselben Tages zu einer „fortwährenden Erneuerung der sozialistischen Gesellschaft bekannte und die Einleitung einer „Wende" betreiben wollte³, wurden wir nicht vom Gegenteil überzeugt.

    Die Zahl der DDR-Flüchtlinge wird im August auf bis zu einer Million geschätzt – Bärbel Boley von der „Initiative Frieden und Menschenrechte" – vermutet, dass jede/r zweite ausreisen wolle.⁴ Bis Ende November 1989 sollen 4.500 Ärzte in den Westen gegangen sein.⁵ Mit anderen Worten sollen „in den letzten Wochen knapp zehn Prozent der Ärzte die DDR verlassen haben.⁶ In Hamburg habe sich nach Auskunft der Landesärztekammer „fast täglich ein Arzt aus der DDR gemeldet. Daher erwog „der Sozialsenator der Hansestadt die befristete Entsendung von Medizinern [in die DDR]. Die ärztliche Versorgung in den zehn Krankenhäusern lasse dies zu."⁷

    Also auf und los in den Osten. Aber wie? Ich hatte keine Verbindung zu meinen Verwandten in der DDR (z. B. der Schwester meines Vaters auf Rügen). Aber ich konnte bei einer befreundeten Kollegin in Westberlin übernachten. Am 26.10.1989 schrieb ich dann je einen Brief an den Direktor der Neurochirurgischen Universitätsklinik der Charité und den Direktor der Neurochirurgischen Klinik im Klinikum Berlin-Buch mit der Frage, ob ich sie während eines Besuchs einer Freundin in Berlin Mitte November einmal besuchen könne, um ihre Klinik anzusehen. Ersterer hatte wohl andere Sorgen, aber Prof. Siedschlag, von dem ich dann erfuhr, dass er der Vorsitzende der Gesellschaft für Neurochirurgie der DDR war, sagte zu und so fuhr ich mit der o.g. Freundin am 17.11.1989 nach Berlin-Buch – noch durch die Grenzkontrolle und mit Umtauschen von 25,00 DM Tageszoll. Es war das zweite Wochenende mit offenen Grenzen.⁸ Nach einer kurzen Vorstellung seiner Klinik, fragte Prof. Siedschlag, was ich denn nun wirklich wolle. Ich erklärte ihm meine Situation, dass wir an meinem derzeitigen Arbeitsplatz – einer Klinik der Maximalversorgung mit 60 neurochirurgischen Betten - mit vier erfahrenen Neurochirurgen (jeweils 20 Jahre Berufserfahrung), zwei weiteren Fachärzten und zwei fortgeschrittenen sowie weiteren drei Assistenzärzten sehr gut bestückt seien und dass ich gehört hätte, dass es z. Zt. in der DDR an ausgebildeten Ärzten mangele. Alles in allem würde ich gerne ein neues Betätigungsfeld finden; hier, in der DDR. Ich übergab ihm meine Bewerbungsunterlagen, die er durchblätterte und mir dann erklärte, dass man zwar an einigen Kliniken Neurochirurgen gut gebrauchen könne, dass es aber aufgrund meiner Qualifikation (habilitierte Professorin) nicht so einfach sein würde. Denn erstens seien die Chefarzt-Stellen alle besetzt und zweitens müsse ich wohl wegen meines Titels an eine Universitätsklinik gehen. Er setzte hinzu, dass Neurochirurgische Einrichtungen in der DDR bis auf 4 selbständige Einrichtungen im Gesundheitswesen (eine davon hier in Buch) nur in den Universitäten bzw. Medizinischen Akademien angesiedelt seien.⁹ Nachdem ich ihm versichert hatte, dass ich einfach nur in meinem Beruf arbeiten wolle und nicht einen Chefposten anstreben und auch keine (finanziellen) Bedingungen stellen würde, nahm er meine Unterlagen an sich. Er sagte dann noch, dass nach seinem Wissen in Greifswald, Leipzig und Halle Engpässe bestünden und dass am nächsten Wochenende eine Vorstandssitzung der Gesellschaft für Neurochirurgie der DDR stattfände. Dort wolle er mein Anliegen gerne besprechen. Außerdem empfahl er mir, mich mit dem Minister für Gesundheits- und Sozialwesen der DDR, Herrn OMR Prof. Dr. sc.med. Klaus Thielmann, in Verbindung zu setzen und meinen Wunsch dort vorzutragen. Das tat ich dann am nächsten Tag.¹⁰ Der Stellvertreter des Ministers, OMR Prof. Dr. sc.med. Müller, antwortete mir mit Datum vom 30.11.1989, dass eine gute Möglichkeit in den Universitäten Halle und Leipzig für mich bestünde und dass ich mich zuständigkeitshalber an den Minister OMR Bodo Schönheit wenden möge, mit dem er (Müller) persönlich diesbezüglich schon gesprochen habe. Und wegen der evtl. Einbürgerung in die DDR möge ich mich mit der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn in Verbindung setzen – die Adresse war beigefügt.¹¹

    Am 13.12.1989 schrieb mir dann spontan der Stellvertreter des Ministers für Bildung Prof. Schönheit, dass er meinen Unterlagen entnehme, dass ich („sehr berechtigt) daran interessiert sei, einen Lehrstuhl für Neurochirurgie und die Leitung einer selbstständigen Abteilung Neurochirurgie zu übernehmen. Leider bestünde aber „gegenwärtig und auf absehbare Zeit in unserem Lande keine Möglichkeit. Alle unsere Lehrstühle für Neurochirurgie sind stabil besetzt, ebenso die Abteilungsleiterpositionen. Bis auf die Leipziger selbständige Klinik sind übrigens alle Abteilungen Bestandteil der großen Chirurgischen Universitätskliniken. … „Natürlich benötigen wir dringend Fachärzte für Neurochirurgie, wie man so sagt, in der 2. und 3. Reihe. … „Sollten Sie dennoch … interessiert sein…, bin ich gern bereit, Gespräche in den entsprechenden Universitäten (z. B. Leipzig, Halle, Greifswald) zu vermitteln.¹² Am 19.12.1989 habe ich ihm u. a. geantwortet: „… ich möchte mein Wissen und meine Erfahrung und operativen Fähigkeiten einsetzen zum Wohle der Patienten – egal, wo…."¹³ Daraufhin erhielt ich von ihm einen Brief vom 18.1.1990, dass ich mich direkt mit dem Prorektor der Medizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald für eine Terminabsprache in Verbindung setzen möge. Diesem wolle er auch meine Unterlagen zusenden.¹⁴ Er hatte mir zwar eine Telefonnummer mitgeteilt, aber Telefonieren ging nicht, also habe ich ein Telegramm mit dem Terminvorschlag für den 29.1.1990 an den Prorektor Prof. Kuhl gesandt und erhielt von Prof. Dr. Dr. Lang, dem Leiter der Greifswalder Neurochirurgischen Abteilung, die telegrafische Antwort, dass er mich am 6.2.1990 in Greifswald erwarte. Dort angekommen, war ich erschüttert vom baulichen Zustand der Stadt und begeistert von der winterlichen Schönheit der Natur. Herr Prof. Lang machte einen erfreuten Eindruck, dass ich zu ihm kommen wolle und bot mir auf meine Frage nach einer nicht zu kleinen Wohnung an, sich für mich umzuhören; evtl. könne er mir sogar ein Haus vermitteln, die seien derzeit sehr günstig zu haben. Er habe da einen Makler, der ihm schon zwei Häuser angeboten habe. Danach hat er sich nicht mehr gemeldet. Ich habe ihm noch einmal mit der Bitte um eine baldige Antwort geschrieben (21.2.1990) und auch einen Kollegen, der vor Jahren aus Greifswald in den Westen geflüchtet war, gebeten, dort einmal anzurufen, aber Herr Prof. Lang rührte sich nicht und erschien auch nicht auf einer Tagung in Münster (21.3.-24.3.1990), obwohl wir uns dort verabredet hatten. Ich habe ihm daher am 25.3.1990 schriftlich abgesagt und am 29.5.1990 eine etwas ausführliche Erklärung nachgereicht.¹⁵ In einem Brief vom 26.3.1990, der sich mit meiner Absage überkreuzt hat, begründete er sein Zögern mit dem Aufbau einer neuen Neurochirurgischen Klinik und den Schwierigkeiten, für mich eine Wohnmöglichkeit zu finden.¹⁶ Wie ich später von meinem Erfurter Chef erfahren habe, hatte er gar nicht die Absicht, mich nach Greifswald zu holen, da er befürchtete, dass ich ihm seine Stelle streitig machen wollte. Die hat er dann nach der Evaluation sowieso verloren.

    Lange vorher, bereits am 27. November 1989 hatte mich der Leiter der Neurochirurgischen Abteilung in der Chirurgischen Klinik der Medizinischen Akademie zu Erfurt angeschrieben, dass er „durch den Weggang meines 1. Oberarztes … wirklich Unterstützung gebrauchen könnte".¹⁷ Es entspann sich dann ein Briefwechsel, der schließlich in einem Besuch in Erfurt vom 19. – 21. Januar 1990 mündete. Ich wurde freundlich empfangen und in der Klinik und der Stadt herumgeführt. Ich übernachtete im „Erfurter Hof gegenüber vom Bahnhof, in dem auch Willy Brandt 1970 am Fenster gestanden hatte. Das Doppelzimmer kostete 250,00 DM pro Nacht, für das uns zustehende Frühstück gab es grau-papierne Essensmarken, für Wurst, Käse und Brötchen gesondert. Das Hotel war überwiegend von russischen Gästen belegt (auffallend viele „Matkas). Während eines Frühstücks setzte sich ein deutscher Mann zu uns an den Tisch, der sich sehr interessiert nach unserem Woher, Warum, Weshalb erkundigte, und den wir mit der Auskunft, dass wir hier ganz privat seien und deshalb völlig uninteressant, zum Verstummen und Gehen veranlassten. Vielleicht haben wir überreagiert, aber er hatte was Stasi-artiges an sich, und da wollte ich ja nun wirklich nicht hin.

    Am Sonntag, dem 21.1.1990, bin ich dann noch nach Leipzig gefahren, da es hier ja besonders brennen würde (s.o.). Der diensttuende Arzt holte seinen Oberarzt von zu Hause, der mir bedeutete, dass es am mittleren ärztlichen Personal mangele. Professoren habe man in Leipzig mehr als genug, und er selbst würde auch schon seit 7 Jahren, seit seiner Promotion B (entsprach unserer Habilitation), auf seine Ernennung zum Professor warten. Er geleitete mich dann noch bis auf die Ausfallstraße gen Halle, und mir war klar, dass ich in Leipzig nicht willkommen sein würde.

    Also nach Halle und: „Bonjour tristesse. Sonntagnachmittag im alten Chirurgie-Gebäude der Martin-Luther-Universität. Der Pförtner rief den Leiter der Neurochirurgischen Abteilung zu Hause an. Dieser kam zügig, um uns in seine Räumlichkeiten zu führen, nachdem er erfahren hatte, was ich wollte. Er war wirklich in großer Not: alle Ärzte bis auf seinen stellvertretenden Oberarzt hatten Halle verlassen. Der Oberarzt war an einem „Morbus Menière erkrankt, sodass der Leiter der Abteilung mit einem „Pflicht-Assistenten (entsprach unserem Medizinal-Assistenten) alleine war. Auch die baulichen Zustände und das Equipment ließen sehr zu wünschen übrig. So hatte die Neurochirurgie einen 50 Jahre alten Op.-Tisch zur Verfügung, der unbeweglich in dem übrigen, auch nicht jüngeren Op.-Saal und -Meublement stand. Zwar erzählte Prof. Tertsch, dass er vor einigen Jahren einen neuen Op.-Tisch zugestanden bekommen habe, dieser ihm aber bei seiner Lieferung vom staatstreuen Urologen „weggenommen worden war … Ich entschied mich – trotz des besonders üblen Zustandes der Stadt Halle und der Neurochirurgischen Abteilung – zu Herrn Prof. Tertsch zu gehen und teilte ihm das am 23.1.1990 unter Beifügung meiner Bewerbungsunterlagen und meiner Vorstellung, am 1.5.1990 bei ihm anzufangen, schriftlich mit.¹⁸ Am selben Tag sagte ich Prof. Pothe in Erfurt ab.

    Da das Telefonieren praktisch nicht funktionierte, telegrafierte ich Prof. Tertsch am 30.1.1990, dass ich aus Berlin den Auftrag bekommen hätte, mich in Greifswald vorzustellen. Am 9.2.1990 habe ich ihm telegrafisch und brieflich mitgeteilt, dass ich nach Greifswald gehen würde. Wie es sich letztendlich in Greifswald für mich entwickelt hatte, ist oben zu lesen.

    Am 26.2.1993 (!) erreichte mich ein Brief aus Halle an meine alte Hamburger Privat-Adresse, dass man mich dort zunächst für ein halbes Jahr einstellen wolle und ich meine Brücken in Hamburg nicht abbrechen solle.¹⁹ Der Oberarzt war zwei Wochen nach meinem Besuch genesen.

    Ich wollte aber nicht „vorrübergehend, sondern dauerhaft aus der Hamburger Klinik weg. Deshalb war – wenn ich nicht eine Praxis aufmachen wollte, wozu ich mich überhaupt nicht eignete – die Öffnung des Eisernen Vorhangs meine große Chance für eine positive Veränderung. Deshalb hatte ich mich mit einem Schreiben vom 20.11.1989 bei dem Leiter der Ärztekammer Hamburg nach den Möglichkeiten meiner Altersversorgung erkundigt. Zehn Tage später erhielt ich die Antwort des Inhalts, dass ich beim „Weg-Verlegen meiner Berufstätigkeit und meines Wohnsitzes aus der Ärztekammer Hamburg und dem Versorgungswerk ausscheiden würde, mich aber freiwillig weiterversichern mit Erhalt einer Rente im Versorgungsfalle oder ganz ausscheiden könne und dann nur eine entsprechend der Mitgliedschaftszeiten errechnete Rente bekäme. Egal, wo ich meinen Wohnsitz dann haben würde.

    Außerdem fragte ich mit Datum vom 2.1.1990 bei Frau Prof. U. Lehr im Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit in Bonn an, ob ich „von Amts wegen „irgendwelche (finanziellen) Unterstützungen für eine Übergangszeit

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