Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Der süße Klang des Regenbogens
Der süße Klang des Regenbogens
Der süße Klang des Regenbogens
Ebook553 pages6 hours

Der süße Klang des Regenbogens

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Dieser Mann hat Angst. Zum ersten Mal in seinem Leben. Ein Rivale macht ihm das Leben schwer. Will ihn vom Thron stoßen. Was dann? Der Mann weiß: Er kann nur Teufel. Nichts sonst. Und diesen Job möchte er verdammt noch mal behalten. So beschließt er, seinen Konkurrenten loszuwerden. 1970 ergibt sich die Gelegenheit. Jimi Hendrix ist der große Star des Love & Peace-Festivals, das auf der Ostseeinsel Fehmarn stattfindet. Satan stellt dem Künstler nach, treibt ihn in die Enge.
Was niemand gedacht hätte: Luzifer ist Musikfan der ersten Stunde. Der Schlager ist ihm so lieb wie die Folklore, Elvis verschmäht er so wenig wie Chopin. Und so tarnt er sich als Willi Schneider, seines Zeichens Volksmusikant. Seit kurzem Doktor Schneider.
Heini ist Mitglied einer Schülerband, bekennender Drogenkonsument, liebt seinen roten R4, seine Mutti und auch jüngere Frauen. Er versucht seinen besten Freund Clemens davon zu überzeugen, dass der freundliche »Onkel Willi« Satan ist.
Auch Bert ist Schüler, zwei Klassen unter Heini allerdings, und stinksauer. Das Schicksal und seine Lehrer wollen, dass er genau in diesen Tagen an einer Klassenfahrt teilnehmen muss. Während der Rest der Weltjugend auf Fehmarn weilt, kraxelt er durch das Weserbergland.
Nicht auf Klassenfahrt sind hundertfünfzig Hamburger Rocker, die als Ordnungskräfte für das Festival angeworben werden. Und das machen sie. Nach Kräften für Ordnung sorgen. Manchmal sehr zum Leidwesen des Publikums.
Bevor Doktor Willi Schneider zum Angriff übergeht, erinnern wir uns an die ausklingenden Sechzigerjahre. An die Zeit der ersten Wohngemeinschaften, die ersten Versuche antiautoritärer Erziehung (die schon zu dieser Zeit an den Kindern scheitern muss) und an die Einführung des Farbfernsehens.
Schließlich werden wir auf dem Gelände des Bauern Herbert Störtenbecker Zeuge einer letzten Auseinandersetzung …
LanguageDeutsch
Release dateJan 29, 2015
ISBN9783738662610
Der süße Klang des Regenbogens
Author

Burkhardt Schmidt

Burkhardt Schmidt, Jahrgang 1954, lebt mit seiner Ehefrau auf der Insel Fehmarn. »Tage des Sturms« ist sein insgesamt siebter, zum Thema Popmusik sein zweiter Roman. Drei Krimis, zwei von ihnen an der Ostsee verortet, und drei Dramen bilden das Restprogramm. Der gelernte Schriftsetzer hat erst in späten Jahren die Leidenschaft für das Schreiben in den Mittelpunkt seiner privaten Tätigkeiten gerückt. Regional haben es Schmidts Romane zu einiger Beachtung gebracht. Der »große Wurf« ist ihm (nach seinem Kenntnisstand) noch nicht gelungen, erste Kritiken zu dieser Geschichte lassen ihn aber hoffen, dass »Tage des Sturms« ein größeres Publikum erreicht.

Read more from Burkhardt Schmidt

Related to Der süße Klang des Regenbogens

Related ebooks

Related articles

Reviews for Der süße Klang des Regenbogens

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Der süße Klang des Regenbogens - Burkhardt Schmidt

    Buch

    Dieser Mann hat Angst. Zum ersten Mal in seinem Leben. Ein Rivale macht ihm das Leben schwer. Will ihn vom Thron stoßen. Was dann? Der Mann weiß: Er kann nur Teufel. Nichts sonst. Und diesen Job möchte er verdammt noch mal behalten. So beschließt er, seinen Konkurrenten loszuwerden. 1970 ergibt sich die Gelegenheit. Jimi Hendrix ist der große Star des Love & Peace-Festivals, das auf der Ostseeinsel Fehmarn stattfindet. Satan stellt dem Künstler nach, treibt ihn in die Enge.

    Was niemand gedacht hätte: Luzifer ist Musikfan der ersten Stunde. Der Schlager ist ihm so lieb wie die Folklore, Elvis verschmäht er so wenig wie Chopin. Und so tarnt er sich als Willi Schneider, seines Zeichens Volksmusikant. Seit kurzem Doktor Schneider.

    Heini ist Mitglied einer Schülerband, bekennender Drogenkonsument, liebt seinen roten R4, seine Mutti und auch jüngere Frauen. Er versucht seinen besten Freund Clemens davon zu überzeugen, dass der freundliche »Onkel Willi« Satan ist.

    Auch Bert ist Schüler, zwei Klassen unter Heini allerdings, und stinksauer. Das Schicksal und seine Lehrer wollen, dass er genau in diesen Tagen an einer Klassenfahrt teilnehmen muss. Während der Rest der Weltjugend auf Fehmarn weilt, kraxelt er durch das Weserbergland.

    Nicht auf Klassenfahrt sind hundertfünfzig Hamburger Rocker, die als Ordnungskräfte für das Festival angeworben werden. Und das machen sie. Nach Kräften für Ordnung sorgen. Manchmal sehr zum Leidwesen des Publikums.

    Bevor Doktor Willi Schneider zum Angriff übergeht, erinnern wir uns an die ausklingenden Sechzigerjahre. An die Zeit der ersten Wohngemeinschaften, die ersten Versuche antiautoritärer Erziehung (die schon zu dieser Zeit an den Kindern scheitern muss) und an die Einführung des Farbfernsehens.

    Schließlich werden wir auf dem Gelände des Bauern Herbert Störtenbecker Zeuge einer letzten Auseinandersetzung …

    Autor

    Burkhardt Schmidt wurde 1954 in Puttgarden auf Fehmarn geboren, ging auf das Gymnasium in Burg und lebte lange Jahre in Hamburg.

    Seit einiger Zeit ist der gelernte Schriftsetzer zurück auf der Insel.

    »Der süße Klang des Regenbogens« ist sein dritter Roman.

    Viele Personen der Handlung sind nicht erfunden.

    Deshalb ist diese Geschichte zu wahr, um schön zu sein.

    Layout und Satz sowie

    Umschlaggestaltung:

    Der Autor

    Titelseite:

    Unter Verwendung eines Fotos

    von David Redfern

    Rückseite:

    Foto: Joachim Müllerchen

    Gesetzt aus der Minion Pro

    2. Auflage

    Für Fritz

    »Die Wahrheit wandelt sich in uns so stark,

    dass die anderen Mühe haben,

    sich darin auszukennen.«

    Marcel Proust

    »Die Hölle ist leer,

    und alle Teufel sind hier!«

    William Shakespeare, Der Sturm

    Inhaltsverzeichnis

    Prolog

    Der Vortag

    1. Kapitel

    2. Kapitel

    3. Kapitel

    4. Kapitel

    5. Kapitel

    6. Kapitel

    7. Kapitel

    8. Kapitel

    9. Kapitel

    10. Kapitel

    11. Kapitel

    Der erste Tag

    12. Kapitel

    13. Kapitel

    14. Kapitel

    15. Kapitel

    16. Kapitel

    17. Kapitel

    18. Kapitel

    19. Kapitel

    20. Kapitel

    21. Kapitel

    22. Kapitel

    23. Kapitel

    Der zweite Tag

    24. Kapitel

    25. Kapitel

    26. Kapitel

    27. Kapitel

    28. Kapitel

    29. Kapitel

    30. Kapitel

    31. Kapitel

    32. Kapitel

    33. Kapitel

    34. Kapitel

    35. Kapitel

    36. Kapitel

    37. Kapitel

    38. Kapitel

    39. Kapitel

    40. Kapitel

    Der dritte Tag

    41. Kapitel

    42. Kapitel

    43. Kapitel

    44. Kapitel

    45. Kapitel

    46. Kapitel

    47. Kapitel

    Die letzten Tage

    48. Kapitel

    49. Kapitel

    50. Kapitel

    51. Kapitel

    Epilog

    Abspann

    Danksagung

    Quellennachweis

    Prolog

    »Wir sind uns also einig.« Der Mann mit der grauen Baskenmütze wandte sich an den Dichter und tippte ihm mit dem schwarzen Knauf seines Stocks, der die Form eines Pudelkopfes hatte, gegen die Brust. »Sie erhalten die Manuskripte und überlassen mir Ihre Seele.«

    »So war es abgemacht«, antwortete sein Gegenüber, der das Haar streng nach hinten gekämmt trug und dessen blütenweißer Kragen von einer auffällig bunten Fliege geziert wurde. »Das scheint ein faires Geschäft.«

    Voland nickte und schaute hinaus auf den Hafen. Dieser Tage herrschte Hochbetrieb an den Piers. Der Warenumschlag in Leningrad, dem früheren Sankt Petersburg, schien alle Rekorde zu brechen.

    »Man wird Ihnen vielleicht nicht glauben. Jeder wird denken, es handele sich um einen Roman.«

    »Das ist mein Risiko«, antwortete der Dichter. »Das wahre Leben ist unwirklicher als jede Fiktion.«

    Der Mann mit dem Stock öffnete einen kleinen, ledernen Rucksack und entnahm ihm ein verschnürtes Bündel Papier. Das drückte er dem Dichter in die Hand. »Ich muss Ihnen noch einmal einschärfen, Michael Afanasjewitsch«, Voland blickte Bulgakow eindringlich in die Augen, »halten Sie sich an den vereinbarten Termin der Veröffentlichung.«

    »Sie haben mein Wort. Mein Verleger ist ein integrer Mann. Er wird alle Schritte einleiten. – Darf ich trotzdem noch einmal fragen, warum …?«

    »Dürfen Sie nicht! Ich habe meine Gründe.« Voland lächelte.

    Bulgakow nickte. »Was werden Sie jetzt unternehmen?«, fragte er.

    »Nach Hause. England.«

    Bulgakow grinste. »Also doch. Ich hatte zuerst wirklich gedacht, Sie seien Deutscher. Aber Ihre Sprache …«

    Voland lächelte wiederum.

    »Möchten Sie eine Zigarette?«, fragte der Dichter.

    »Welche rauchen Sie?«

    »Die ›Lieblingsmarke‹.«

    »Wie immer.«

    »Wie immer, ja.«

    Sie grinsten beide.

    Voland schüttelte den Kopf. »Danke, nein.«

    Der Mann mit der Fliege zog eine Zigarette, die eine konische Form aufwies und am Ende zugedreht war, aus einer Packung. Er zündete sie an und nahm einen tiefen Zug. Den Rauch beließ er einige Zeit im Mund, um ihn dann genüsslich auszublasen. Nach einigen Zügen sah er auf die glühende Spitze der Zigarette und sagte: »Astreines Kraut.« Er schaute Voland an. »Schwarzer Afghane. Schwer zu bekommen. – Möchten Sie nicht doch?«

    Wieder schüttelte der Mann mit der Baskenmütze den Kopf.

    »Nochmals danke. Ich ziehe es im Moment vor, meinem Hals etwas Gutes zu tun.« Er holte ein Etui aus der Manteltasche. Es war klein und aus hochkarätigem Gold, und als er den Deckel aufklappte, sprühte ein Brillantendreieck blaues und weißes Feuer. Voland entnahm ihm eine grüne Pastille, steckte sie in den Mund und lutschte eine Weile. Dann öffnete er die Lippen, formte sie zu einem O und hauchte in die Richtung Bulgakows.

    Der schnupperte und fragte: »Menthol?«

    »Genau gesagt: Eukalyptus.«

    »Riecht sehr kräftig.« Der Wirkstoff drang tief in des Schreibers Nase und schien sich in seinem ganzen Kopf breitzumachen.

    »Ist es«, nickte Voland. »Und Sie sollten auch eine Pastille nehmen. Es erleichtert Ihrer Seele den Ausgang.«

    »Oh! Verstehe.« Bulgakow griff in das Etui, das Voland ihm entgegenhielt und fischte eine Pille heraus. Er schaute sie skeptisch an.

    »Nur zu«, sagte Voland und lächelte. »Es tut nicht weh.«

    »Ich habe keine Bedenken«, sagte der Dichter und schob die Pastille in den Mund.

    »Messere!«

    Sie drehten sich in die Richtung des Rufers. Behemoth trug einen großen Seesack auf dem Rücken und schnaufte. »Es ist alles geregelt. Ein holländischer Frachter. Legt in zwei Stunden ab.«

    »Gut.« Voland wandte sich an Bulgakow. »Ich wünsche Ihnen alles Gute. Wir werden uns nicht wieder sehen.«

    »Ich wünsche Ihnen eine angenehme Reise. Äh, … eine Frage noch.«

    »Gern.«

    »Was machen Sie mit meiner Seele?«

    »Oh, die kommt zunächst in die Seelenkammer und dann warte ich, bis die Preise steigen. Für eine ordentliche Seele gibt es immer einen Markt. Russische gehen besonders gut.«

    »Verstehe.« Bulgakow sah den beiden nach und fragte sich, ob Voland wohl Wort gehalten und die ganze Wahrheit aufgeschrieben hatte. Es liegt in seinem Wesen, dachte der Dichter, dass man ihm nicht trauen darf.

    Würde er ihn wirklich nicht wieder sehen? Hätte er Ruhe vor ihm? Hatte er ihm seine Seele zu billig verscheuert? Und wer zum Teufel ist Gorbatschow?

    Voland und sein Gehilfe bestiegen zwei Stunden später ihr Schiff, das sie nach Southampton brachte. Nach einer Tagesreise erreichten sie die Grafschaft Cornwall. Dort verbrachten sie einige Jahre unauffällig und unerkannt, um dann im Jahre 1930 eine Passage nach den Vereinigten Staaten von Amerika zu buchen.

    Es galt, die Seelenkammer um ein weiteres Exemplar zu bereichern.

    Und so bereist der Mann mit der Baskenmütze die Welt, um seine Sammlung Stück um Stück zu erweitern.

    Zielstrebig, unbeirrbar, sorglos.

    Bis zu dem Tage, an dem er auf James Marshall Hendrix trifft.

    Der Vortag

    Die meisten Leute erkennen gute Musik nicht mal,

    wenn sie herauskommt und ihnen in den Arsch beißt.

    Frank Zappa

    1. Kapitel

    Oh, was hast Du gehört, mein blauäugiger Sohn?

    Und was hast Du gehört, mein kleiner Liebling?

    Ich hörte das Geräusch eines Donners, er brüllte eine Warnung.

    Ich hörte das Brüllen einer Welle, die die ganze Welt verschlingen könnte.

    Ich hörte hundert Trommler, deren Hände loderten.

    Ich hörte Zehntausende flüstern und niemand hörte hin.

    Ich hörte eine Person verhungern, ich hörte viele Menschen lachen.

    Ich hörte das Lied eines Dichters, der in der Gosse starb.

    Ich hörte das Geräusch eines Clowns, der in der Gasse weinte.

    Und es ist ein heftiger,

    es ist ein harter,

    wird ein harter,

    es ist ein harter, ja es ist ein harter Regen, der fallen wird.

    A Hard Rain’s Gonna Fall - Bob Dylan

    Bert

    Die Terminüberschneidung konnte kein Zufall gewesen sein. Sie hatten wirklich verhindern wollen, dass wir in die Versuchung gerieten, daran teilzunehmen.

    Als Hasso die freudige Mitteilung rüberschob, die geplante Klassenreise sei auf das erste September-Wochenende terminiert worden, war uns im ersten Moment die Tragweite nicht bewusst. Zunächst: Geil! On the road. Raus aus der Penne. Gleich ausloten, wie wir einen draufmachen könnten. Someone breaks the rules. Unbedingte Verstöße gegen die Konventionen. Querschießen zur Pflicht erheben.

    Dann die verstörende Erkenntnis: Das Festival! Genau an dem Wochenende! Wut. Unverständnis. Das haben die doch gewusst! Selbst einem Rockmusik-ignoranten Lehrkörper sollten die laufend eintrudelnden Meldungen (Zeitungen, Radio) nicht entgangen sein.

    Folgend Protest. Verweigerung. Störung des Unterrichts. Infiltration mit hörtauglicher Mucke per Kofferradios. Kurzes Aufheulen von Jimis Gitarre. Star Spangled Banner. Woodstock. Jähes Ende.

    Verwirrte, verärgerte Blicke vom Pult in die Menge. Feixen. Dann Bio bei Schnüffel. Wenngleich es dem ziemlich wurscht war. Nach dem Aufklappen der Tafel mahnt Kreide Jim Morrison an: Bevor ich in den großen Schlaf sinke, will ich ihn hören – den Schrei des Schmetterlings.

    War klar, dass wir sie auf die Palme brachten. Ich meine: Siebzig. Auf dem Lande. Achtundsechzig hatte seine kräuselnden Wellen noch nicht zu Sturmfluten aufgetürmt. Hier nicht. Die Anfänge waren da. Schülervertreter. Subversive Zirkel im Angriff auf verhasste amerikanische Vietnampolitik. Allabendliche Bilder napalmverbrannter Leiber. Dylan näselt A Hard Rain’s Gonna Fall.

    Kein Thema im Unterricht. Stures Festhalten am Jahresplan als Schutz vor eigenen Gedanken. Keine Chance, sich auszutauschen, den Staub wegzufegen.

    Ich muss auch mal sagen: Lehranstalt. Lass das Lehr weg und du weißt, wo du bist.

    Schulbesuch. Besuch?? Damit verbinde ich Einladungen, schön Kaffee und Kuchen. Locker plaudern. Aber wurden wir eingeladen? Nix! Zwangsverpflichtet. U.A.w.n.g. Morgen steht ihr auf der Matte, fertig!

    Gut, nehmen wir mal das Messer zwischen den Zähnen wieder raus. Gab so ’ne und solche. Hing meistens auch mit ihren Fächern zusammen. Mathe? Die Hölle! War doch damals schon abzusehen, dass der Taschenrechner seinen Siegeszug antreten würde. Also: Überflüssig. So auch der Vermittler. Helle. Name – nicht Programm. War Stachel im jungen Pennälerfleisch. Entsprach dem Archetypus des Arschpaukers.

    Chemie? Wollte jemand die Schule in die Luft sprengen – okay. Aber sonst?

    Andererseits: Sprachen. War erstmal Vokabeln pauken. Aber dann: Texte. Die Schönheit des Französischen, wenn es dir über die Zunge gleitet und die Lippen zu halsbrecherischen Verrenkungen animiert.

    Doch vor Ort? Hä? Je ne comprends rien! Nix verstehn! Die einzigen Wörter, die du nach jahrelangem Nichtgebrauch auch ihres Charmes wegen behältst, sind chauffage central, die Zentralheizung, weil sie während einer Woche Paris nicht funktioniert und du im chambre à coucher, dem Schlafzimmer, unter der zu dünnen Decke dich aufzuwärmen hoffst.

    Alles, was la matrone mit der Pfeife dir eingetrichtert hat, futsch. Temps perdu. (Sie rauchte natürlich nicht während des Unterrichts, wobei – es hätte – nicht? Französisch! – Es hätte gepasst. Damals.)

    Und – Deutsch. Zufällig bist du Deutscher. Das Volk der undsoweiter und auch der Richter und Henker. Du willst wissen, warum, klar.

    Aber: Du liebst die Sprache, verehrst die Dichter.

    Irgendwann treiben sie dich an den Schreibtisch. Du bemühst dich um eine Handschrift, die du später noch lesen kannst. Du tippst die Worte mit zwei Fingern in die Tastatur, hebst den Kopf und siehst den Cursor auf dem Bildschirm ungeduldig zucken, dir keine Pause gönnend.

    Der Lehrer? Klasse. Endlich mal. Henk. Henk! Wer hat ihm das Ding verpasst? Nahezu Übereinstimmung der Interessen von Eleve und Magister. Die Kombination mit Ballsport machte es so leicht: Gemeinsame Hinwendung zu Heine und Fußball, mehr noch zu Brecht und Handball, zu E.T.A. und THW. Beiderseitige Liebe zu Aufsätzen und Aufsetzern, dramaturgischen Ein- und überraschenden Weitwürfen.

    Insgesamt: Du kannst mit ihnen leben. Gentlemen’s agreement: Ich will’s lernen und ihr sagt mir, wie’s geht.

    Per aspera ad astra. Notgedrungen bimsen, was verlangt wird. Auch das, was nicht interessiert. Allgemeinbildung? Einverstanden. Aber doch nicht jeden Scheiß.

    Und wie wär’s mit einer Gegenleistung? Ein wenig Flexibilität, meine Damen und Herren! Jimi Hendrix oder Weserbergland? Das ist doch nicht euer Ernst! Karajan oder Schwarzwald? Wie würde Ihre Entscheidung lauten? Eines ist wahrscheinlich: Die Region überlebt den Künstler. Hier gilt es, Prioritäten zu setzen.

    Einige taten tatsächlich, als wenn sie nichts wüssten. (Nicht nur die Lehrer.) Festival? Auf Fehmarn? Wirklich? Und: muss das sein? – Woodstock? Nein, nie gehört. Hinter ihren Stirnen hingegen: jugendverderbendes Tandaradei.

    Wahrscheinlich wollten sie uns nicht wirklich kurzfristig aus der Schusslinie nehmen. Die Fahrt war wohl länger geplant. Beschluss des Kultusministeriums vom soundsovielten. Aber wer weiß? Es kam jedenfalls zupass.

    Wollten sie uns in Watte packen? Große Verschwörung? Lehrer, Eltern? Fernhalten vom Bösen da draußen? Die Linie würd’ stimmen: Hitler? Wer war das noch? Der Geschichtsunterricht endet mit der Weimarer Republik, Gegenwartskunde übernimmt ab Gründung BRD. Dazwischen? Wir haben einen Lehrplan, Freunde, und den halten wir ein. Könnt ihr ja zu Hause nachlesen, aber erst Hausaufgaben fertig, klar?

    Ja, der Lehrplan. 333, bei Issos Keilerei, dann vielleicht noch Pech und Schwefel im Mittelalter. Ansonsten hatten sich die Menschen eigentlich lieb.

    Das Bemühen, die Pariser Kommune anzusprechen – da müsst ihr Direktor Itze mal sehen. Was? Kommunisten? Räterepublik? Diktatur des Proletariats? Infamer Angriff auf die bürgerliche Alltagsruhe. Wirtschaftswunder, versteht ihr? Neue Jobs bei VW, die Adria in sonnenölgetränkter deutscher Hand. Nee, lasst uns in Ruhe damit. Und euch!

    Wenn du das erfährst, was in den verschwiegenen zwölf Jahren lief – du hältst den Atem an. 25 Jahre später: nix! Grabesstille.

    Wenige laute Stimmen. Klarsfelds Ohrfeige für Kiesinger. Meinhof, bevor sie sich verrannte.

    Brandt? Vaterlandsverräter! Benno Ohnesorg? Na, so ’ne Pistole geht leicht mal los. – Was wollen die alle von uns? Sollen uns doch in Ruhe lassen!

    Vorbei die Ruhe, meine Damen und Herren! It’s getting loud! Verstärker an und verstärkter Angriff auf eure Trommelfelle. Muss mal sein. Dornröschens Erweckung mit Zungenkuss.

    Und wir? Scheiße!

    2. Kapitel

    My baby left me,

    she wouldn’t tell a lie.

    Cause she said she would, she did,

    and she left me high and dry.

    My baby left me,

    last night I heard her cry.

    She wouldn’t tell me why.

    She just said bye-bye.

    My Baby Left Me - Ten Years After

    Nadja

    Das Sound existierte damals schon. Mein ich. Oder? War nicht meine bevorzugte Location in Berlin, aber dann und wann ließ ich mich dort blicken.

    Tolle Musik, richtig bretterhart, konnte man abdriften. Rock, Underground, Soul. Klasse!

    Die Szene war noch gut drauf. Vor allem: Keine harten Drogen. Nicht so’n übles Zeug wie später zu Christiane-F.-Zeiten. Wie Heroin. Langte so schon. Wurde dann mörderisch gestreckt und verpanscht. Rattengift, Waschpulver, im harmlosesten Fall Mehl oder Backpulver. Alles drin, was bei Bolle so im Regal steht und vor der Tür liegt.

    Nee, Finger davon! Die Typen, die’s vertickten, waren richtige Arschlöcher. Entmenschlichtes Pack, rücksichtslos auf Gewinn aus. Die einzigen, die mir Leid taten, waren die Fixer. Kamen nicht wieder runter von dem Zeug, die meisten versuchten es auch nicht.

    Siebzig lief es noch korrekt. Überschaubar. Feines Kraut, sehr sanft, spottbillig. Brachte die Kids gut drauf. Den Kindern steckten immer noch ’n paar Blumen im Haar. Bisschen welk schon, aber dufteten nach wie vor gut. Ein Stück Gutgläubigkeit, Naivität, hatten sie aber abgestreift.

    Ach, jetzt weiß ich wieder. War nicht da. Sound kam später. Na, egal wo. Ey, Achim! Schön, dich zu sehen! Was machst du im Punktpunktpunkt? Was? Fehmarn? Insel? Nee, kenn ich nicht. Wo? Aha. Ich dachte, nur die Tätärä hat Inseln in der Ostsee. Ja, Entschuldigung, Erdkunde war noch nie mein Fach. Wann? Doch, September könnte ich. Wer spielt? Ten Years After auch? Bin ich dabei, auf jeden Fall. Schule? Kann ich dafür, wenn ich krank bin? Geht manchmal ganz fix. Plant mich mal ein, kein Thema. Karten? Waass? Wooo? Wills mich verarschen? Wieso Beate Uhse? Is ja irre! Gut, bis dahin dann.

    Erkundigungen. Nachschauen. Recherche. Kannste mal zeigen, watt de druff hast. So als angehende Journalistin. Bernie beim Tagesspiegel anrufen. Weiß doch so was. Altrocker.

    Bernie wusste tatsächlich Bescheid. Ja, die juckeln schon seit Wochen mit buntbemalten Bussen durch halb Europa. Verkaufen Karten. Verteilen Plakate. – Nee, ich nicht. Leider keine Zeit. Und du? Was ist mit deinem Praktikum? Nächstes Jahr? Okay. Freu mich schon. Mach et jut, Nadja.

    Das Schwierige war, es Thomas beizubringen. Hielt nichts von meinen, wie sagte er, Eskapaden. Nein, hatte keine Lust, mitzukommen. Sieht so nach Aufpassen aus, meinte er.

    Entspann dich, Mann, was glaubst du, was ich dort aufzieh? Rudelbumsen? Musik, Tom, richtig schön spannende Musik. Drei Tage gute Bands. Mann, endlich mal ’n richtiges Festival gleich um die Ecke! Haben bestimmt gutes Gras da.

    Woher weißt du das? Vielleicht ist es ja ’n Kartoffelacker.

    Uff. Mein stockkonservativer Tom.

    Wer fährt denn mit? Ich: Ach, Lilian, Achim, Carola, Rudi. Glaub ich.

    Rudi? Na, so ein Zufall aber auch.

    Tom, lass es. Vergiss es. Ist doch lange vorbei.

    Wer spielt?

    Hammer-Gruppen. Ten Years After, Taste, Colloseum, Hendrix.

    Hendrix? Jimi Hendrix? Ich glaub, ich komm doch mit.

    Du kommst nicht wegen Hendrix mit, stimmt’s?

    Ach, Nadja, nun lass doch.

    Nee, lass ich nicht. Achtundsechziger, Tom. Alles mitgemacht damals. »Ho-Ho-Ho-tschi-minh«, »Leute, lasst das Glotzen sein, kommt herunter, reiht euch ein!« DKP war rechtsaußen, KPD/ML vertretbar. Liberalität mit sexueller Libertinage verwechselt, aber wenn’s um den Partner ging … Was heißt Partner? Eine der Bettgenossinnen. »Wer einmal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.« Echt? Und andersherum? Da war es dann wieder, das alte Geschlechter-Rollenspiel inkl. bohrender Eifersucht und die ganze, wie hieß es großmundig?, rückständige, überkommene Kacke. Faschistoid, sagte er mit angeekelter Miene. Dass ich nicht lache. Als ich die kleine Affäre mit Rudi hatte, da hättet ihr ihn sehen sollen! Vorbei war’s mit der Toleranz! Stand nachts mit Rosen vor meiner Tür (aber höchstens zwanzig Pfennig das Stück). Sooo klein mit Hut, wirklich!

    Er kam dann doch nicht mit nach Fehmarn. Hat wahrscheinlich drei Tage lang Ängste ausgestanden und sich in Grusel-Phantasien gesteigert.

    3. Kapitel

    Ich traf ein Kind Gottes,

    das gerade die Straße entlanglief.

    Und ich fragte es: »Hey, wohin gehst du?«

    Es antwortete:

    »Ich bin auf dem Weg zu Yasgurs Farm

    und werde in einer Rock ’n’ Roll Band mitspielen.

    Ich muss aufs Land zurück

    und werde meine Seele befreien.«

    Wir sind Sternenstaub, wir sind golden.

    Wir sind Millionen Jahre alter Kohlenstoff.

    Und wir müssen zum

    Garten Eden zurückkehren.

    Woodstock - Joni Mitchell

    Peter

    Ich weiß nicht mehr, wer damals die Idee mit dem Auftritt hatte. Wahrscheinlich Heini. Jedenfalls kam, ich glaub es war Clemens, ja, stimmt, Clemens, der kam eines Morgens mit der Mitteilung rüber – wir lagen gerade am Strand und ließen die heiße Sonne auf unseren Pelz prasseln (Fritz nannte das »Alkohol verbrennen«) – Clemens also erzählte, Heini sei bei Ferdinand gewesen um zu fragen, ob die Band – ja, ob sie da noch mitmachen könne. Es kämen ja sowieso nicht alle Gruppen, die geplant waren.

    Ferdinand wollte aber nix davon wissen. Das Programm stünde und es wäre ohnehin alles ʼn bisschen schwierig. Ach komm, hatte Heini gesagt und gebettelt, die Jungs sind echt spitze und wir kennen uns auf der Insel verdammt gut aus und so. Ferdinand wollte wissen, was das denn nun damit zu tun hat, dass man sich auf Fehmarn auskennt. Mit der Musik muss man sich auskennen, meinte er, sonst nix. Nee, wir sind wirklich klasse, Heini wieder, wir ham den Blues, Mann. Tut mir leid, ihr seid vielleicht nicht schlecht, aber, nee, geht nicht. Beim nächsten Mal dann.

    Heini wurde gallig und wenn er damals schon gewusst hätte, dass das mit dem nächsten Mal nix werden sollte, wäre er bestimmt noch saurer gewesen.

    Obwohl – Ferdinand hatte den Spruch vielleicht als Ausrede gebraucht für diesen Moment, und er war wirklich der Hoffnung oder sogar der Überzeugung, dass es ein nächstes Mal geben würde. Woodstock war Woodstock, dies jetzt war Fehmarn oder würde es werden und wer weiß, was dann kam.

    Genau diesen Spruch, der mit Woodstock und Fehmarn wird Fehmarn hatte er mit den beiden anderen ausklamüsert, und sie war Teil, griffiger, plakativer Teil ihrer PR. Ihr Mantra, konnte man sagen.

    Nun, wir kennen Heini ja und er wäre nicht Hans-Heinrich, wenn er gleich aufgeben würde. In seiner Rübe arbeitete es nun, und wenn Heini mal korrekt nachdachte, sich so richtig anstrengte, kam nicht selten was dabei raus. Was Kreatives. Ob’s nun immer gut war oder auch mal nicht, auf jeden Fall war es meist schöpferisch. Besonders gut war er, wenn’s was nachzuhaken gab. Im Sinne von: So leicht lass ich mich nicht abspeisen, nä. Ich hab da immer noch einen in der Hinterhand (Heini spielt leidenschaftlich Skat, müsst ihr wissen. Nicht immer gut, aber kreativ).

    »Ich mach dir’n Vorschlag, Helmut. Wenn ihr mal’n Leerlauf habt, mal so’ne Lücke, nä, wenn ma’ sagen die Stones Sonnabend um zwei spielen sollen und die können nicht, weil Keith unpässlich ist …«

    »Erstens, Heini, sind die Stones gar nicht dabei – leider! Mann, wenn wir uns die leisten könnten! – Zweitens, wenn sie dabei wären, würden sie nicht um zwei spielen.«

    »Verstehe. Da halten sie Mittagschlaf, wa? – Mann, war doch nur’n Beispiel! Ich meine nur, bevor sich auf der Bühne gar nix tut und die Folks werden unruhig, so richtig genervt, mein ich, da könnten die guten alten Baltic Levee Riders Gewehr bei Fuß … oder, sagen wir, Gitarre vor Bauch stehen und den Leuten echt mal zeigen, dass wir uns hinter Taste nicht verstecken müssen. Wahrhaftig! Muss uns mal hören, Mann!«

    Ferdinand prustete los. »Hinter Taste? Hinter Gallagher? Dir ham sie doch ins Hirn geschissen! Weißt du eigentlich, was du da sagst? Hang zum Größenwahn, wa?«

    Heini solle man zufrieden sein, meinte Helmut, dass er backstage ’n bisschen mittun dürfe und so. Außerdem – auf den Plakaten stünden nun mal die Namen der auftretenden Bands und wenn die eine oder andere das nicht tut, auftreten nämlich – kann passieren. Aber es kommt mir keine Kapelle auf die Bühne, die nicht angekündigt ist, fertig.

    Da kannte er Hans-Heinrich aber schlecht! Helmut sollte schon noch merken, dass er es nicht mit so’nem abgefuckten Dritte-Klasse-Roadie zu tun hatte, sondern mit dem Leader einer Rockband, die quasi auf dem Sprung in die internationale Karriere stehe und sich Herr Ferdinand glücklich schätzen dürfe, dass BLR ihm die unverdiente Ehre zuteil werden lasse, ausgerechnet sein beschissenes Festival als Sprungbrett zu nutzen.

    Und dann – Clemens grinste und zog den Ring der Bierdose mit dem Zeigefinger ab, wobei sich der pisswarme Inhalt zischend auf seinem fleckigen Hemd (handgebatikt, wie er zu erzählen nicht müde wurde) breitmachte – dann hatte Heini seine nächste kreative Idee gehabt.

    Wenn’s bei Ferdinand nicht klappt, ideete Heini, sind da ja noch die annern beiden. Er konnte wirklich stur sein wie ’n Esel.

    Gedacht – getan. Er nix wie hin zu Timm und den auch noch belatschert. Den hat er dermaßen zuargumentiert, Clemens lachte und ließ einen langen Rülpser hören, dass der überhaupt keine Chance hatte. Echt, sah kein Land! Ließ sich breitkloppen und versprach Heini sogar, Christian auch noch zu überzeugen. Dann wären sie zwei zu eins. Und wir sind schließlich, hatte Heini nickend gesagt, ’ne Demokratie, nä. Da zählt noch die gute, alte Mehrheit.

    Und so, Clemens weiter, hatte Heini tatsächlich die Zusage für’n Auftritt bekommen. Irre, nä? Wann sie spielen sollten, müsste man zwar mal abwarten und auch über die Flocken hatte man noch nicht gesprochen – Heini meinte, er würde seinen Agenten noch vorbeischicken, ha ha, billig könne man es jedenfalls nicht machen, nä. Der Heini! Echt, musste man ihm lassen. Bewegte mitunter allerhand!

    Wobei ihn Helmut (der sich nach anfänglichem Sträuben der Diktatur der Demokratie beugte) aber gleich ausbremste und meinte, freut euch mal, wenn ihr – ich betone wenn, in trockenen Tüchern ist hier noch gar nichts, klar? – wenn ihr euren Auftritt bekommt. Kohle könnt ihr echt nicht erwarten. Was meint ihr, wie viel ich für die ganzen Bands ’raustun muss? – Du?, sagte Timm, wieso du? Wir! – Ja, ja, wir! Jedenfalls ’ne Menge.

    Wie bezahlt ihr denn? Heini rotzfrech. Stundenlohn? Geht klar, wir ham Zeit.

    Was Helmut darauf genau gesagt hat, habe Heini ihm nicht überliefert, so Clemens, waren wohl keine freundlichen Worte. Er schüttelte den Kopf und wies dem Rest Bier in der Dose den Weg in sein Innerstes. »Eher nicht!«, grinste er, als seine Kehle dem gesprochenen Wort wieder zur Verfügung stand.

    »Also, ich schätz mal, wir machen’s für lau, oder?«

    Clemens katapultierte seinen Schädel bei mitgeführter Dose wieder in den Nacken um dem Blech die allerletzte Hopfenneige zu entsaugen. »Jjjoo!«, rief er dann gen Himmel, worauf sein Kopf eine Neunzig-Grad-Wende nach vorn vollzog. »Also, ich wär dafür. Hanno kricht ja als Moderator sowieso Patte. Und wir haben unsern Auftritt. Das geht schon in Ordnung.«

    4. Kapitel

    People try to put us d-down,

    (Talkin’ ’bout my generation)

    just because we get around.

    (Talkin’ ’bout my generation)

    Things they do look awful c-c-cold.

    (Talkin’ ’bout my generation)

    I hope I die before I get old.

    (Talkin’ ’bout my generation)

    My generation.

    This is my generation, baby.

    My Generation - The Who

    Fransen-Pit

    »Erzählen? Ich?

    Na, warum nicht? Ist zwar ’ne Ewigkeit her, aber alles hab ich nicht vergessen.

    Einen von uns ham sie ja schon mal gefragt, damals. Benny. Knacker-Benny. Wurde sogar gedruckt. Kluger Bursche. Hat sogar richtig Karriere gemacht. Zwei Jahre später hat er bei Rocker, dem Film von Klaus Lemke, mitgemacht. Ja, Komparse heißt das, glaub ich. Na ja, so ’n bisschen rumgestanden eben, orntlich Figur gemacht, ab und an was gegrunzt von wegen Scheiß-Luden und so, nä. Ich fand ihn echt gut. Hatte Talent, der Bengel. Ist später eingewandert, weil er hat seinen Schwager dermaßen vermöbelt, dass der eingegangen ist wie ’ne Primel. War ’n büschen bös’ hart. Kannte Benny aber nix. Hat denn acht Jahre gekricht wegen mit Todesfolge zu sein Schwager sein Nachteil. Seine Schwester hat ihn ab und an besucht und gesagt, er soll sich mal kein Kopp machen, Arno war sowieso ’n Arsch gewesen. Kein Verlust, echt.

    Ja, was wollt ich nu erzählen? Ach so, ja. Fehmarn. Benny hat damals mal ’n paar Sachen richtig gestellt von wegen kriminelle Bande, Hell’s Angels, ham alles kurz und klein gehauen und mit den Wummen gefuchtelt und so’n Scheiß. Stimmte nämlich nicht mal die Hälfte davon. Aber Presse eben. Weiß’ Bescheid? Lügen, wo sie nur können.

    Tatsache ist, siebzig gab’s noch keine Hell’s Angels, und keiner von uns, aber auch gar keiner, hat ’ne Knarre beigehabt.

    Aber gut, ich erzähl mal von Anfang an. Wir sind damals nicht wie in dem Film hundert Mann hoch auf ’n Bock nach Norden gebrettert. Nee, paar von uns sind mit ’n Motorrad los, aber wir annern mit ’n Bus achteran! Echt. Genau warn das drei Busse, weil wir warn schlappe hundertfünfzig Mann. Voll in Kutte, ganzen Schmuck an und so und dann öffentliche Verkehrsmittel. Hör bloß auf! Fehlte nur noch die Monatskarte.

    Keine Ahnung, wer die Busse besorgt hat. Benny meinte ja, Hasen-Hubert und Votzen-Ole hätten alles organisiert, aber ich weiß nicht, ob die darin so fit waren.

    Egal, jedenfalls standen Donnerstagmorgen die Kisten vor »Muddel«, unsrer Stammkneipe in Wandsbek, und wir alle rein und los. War aber so, dass da verschiedene Gangs reinkamen. Die meisten kannten wir gar nicht. Ham das irgendwo aufgeschnappt, und dann warn sie aufmal da.

    Gab schon unterwegs den ersten Stunk. Die meisten voll breit und wollten nur Putz. Kein Wunder, dass wir auf hundertachtzig waren, bevor wir überhaupt auf die Insel kamen.

    Dann gab’s ja auch noch Stress, als, ich glaub, das war Gürtel-Schorsch, weiß ich aber nicht mehr genau, als der kurz vor Lübeck mit seine Schüssel anne Tanke fährt und sagt machs ma voll und der Typ, richtig so’n fetter Wixfrosch mit Stiernacken und Nazischnitt so blubbert: Verpiss dich, du kriss hier nix! Da war Schorsch etwas ungehalten, hat sich an die Straße gesetzt und gewartet, bis eine größere Reisegesellschaft von »Muddel-Line« des Weges kam, hat einmal gewunken und als die Busse nach sehr kurzem Aufenthalt wieder Fahrt aufnahmen, da hatten die Zapfsäulen durch das Fenster den Weg gefunden in den Tankwart seine Küche neben den Kühlschrank.

    Na, klar, wenn uns einer dumm kam, so richtig dumm, dann haben wir bei ihm erstmal – Promi-Horst meinte immer: ›’n beten torech’ rücken.‹ Also, die Möbel mal eben gerade gestellt. Logo, nä?

    OK, ich mein, wir ham schon’n ziemlichen Scheiß gebaut, damals. Aber so warn wir eben drauf. Saufen, kloppen, Spaß haben. Das gibt ja den Song von den Who My Generation, wo das heißt: Ich hoffe, ich kneif den Arsch zu, bevor ich ’n alter Sack bin. Ham wir echt geglaubt, dass sich das Dasein mit höchstens dreißig erledigt hat, und ham danach gelebt.

    Und heute bin ich ’n alter Sack und leb immer noch. Ja, so ändern sich die Zeiten! Aber ich hab mich eigentlich nicht so doll geändert. Büschen ruhiger geworden vielleicht. Und meine Leber macht auch nicht mehr so mit.

    Mann, was ham wir damals gesoffen!

    Stück weiter nördlich, Gremersdorf hieß das, ham wir noch mal an so ’ne Kneipe gehalten, wegen volle Blase, kurz den Parkplatz geflutet, sind rein in den Laden, weil wir ja wieder auffüllen mussten, und ham neben diversen Getränken gleich noch was von der Einrichtung mitgenommen. Kann man ja vielleicht irgendwann mal brauchen. Ja, so lief das damals.

    Spätnachmittags kamen wir auf Fehmarn an und fuhren zum Festival-Gelände. Wetter war absoluter Mist. Regen, Sturm. Scheißenkalt war’s. Ham uns erstmal pennen gelegt, auch, weil wir komplett breit waren.«

    5. Kapitel

    Bought me a coffee grinder, got the best one I could find.

    Bought me a coffee grinder, got the best one I could find.

    So he could grind my coffee, ’cause he had a brand new grind.

    He’s a deep-sea diver, with a stroke that can’t go wrong.

    He’s a deep-sea diver, with a stroke that can’t go wrong.

    He can touch the bottom, and his wind holds out so long.

    He knows how to thrill me and he thrills me night and day.

    Oh, he knows how to thrill me and he thrills me night and day.

    He’s got a new way of loving, almost takes my breath away.

    Empty Bed Blues - Bessie Smith

    »One two. One two.«

    Probenraum der Baltic Levee Riders.

    Peter Engelhardt, anerkannter Bandchef (und so verlässlicher wie beliebter Lieferant neuester Kreationen aus dem Lübecker BTM-Angebot) prüfte das Mikrofon auf seine Tauglichkeit.

    Dann schaute er hinunter auf seine Hände, ließ die rechte ein paar Mal an seinem Bass rupfen, was der mit wohligem Brummen quittierte.

    »Gut, Freunde. Lasst uns anfangen. Erstmal White Room, dann zwei von unseren.« Er schaute sich im Raum um. »Wo ist Carla eigentlich?«

    Joachim Gerke, den alle nur »Fritz the Cat« nannten, ging zum Gitarrenverstärker und gab dem Lautstärkeregler einen kräftigen Dreh nach rechts.

    »Ornd’lich Power muss her!«, grinste er. »Die hat sich wohl wieder festgesabbelt.« Er schulterte seine Red Gibson und spielte einige Akkorde.

    Heini Jürgens ließ sich gelassen auf dem Hocker hinter seiner Schießbude nieder. Er schlug einen Trommelwirbel an und konzentrierte sich mit geschlossenen Augen auf das für den Schlagzeuger komplizierte Intro des Cream-Stücks. »Nee, sie meinte gestern, sie hätte heute ’n Termin beim Zahnarzt.«

    »Au Backe! Hoffentlich nichts Gravierendes. Mit ohne Zähne ist schlecht singen. Egal, wir können nicht auf sie warten. – Clemens, du machst uns den Jack Bruce, OK?« Peter grinste in Richtung des Rhythmus-Gitarristen, der gerade von der Toilette gekommen war und nickte. »Kein Problem.«

    Das war es wirklich nicht. Seit Clemens Clausen zur Gruppe gestoßen war, hatte sich ihre Bandbreite enorm vergrößert.

    Carla Sander, vorher alleinige Sängerin, die mit ihren siebzehn Jahren über eine erstaunlich facettenreiche und voll klingende Stimme verfügte, hatte die Band vorher in ihrer Songauswahl eingeschränkt. Sie favorisierte Balladen, Blues und Jazzimprovisationen.

    Der treibende, fließende, mitunter tosende Rock war nicht so sehr nach ihrem Geschmack. Die Band war allerdings von ihrer Instrumentierung her darauf ausgerichtet.

    Clemens, der sehr gern »den Jack Bruce machte«, weil er über ein ähnliches Stimmenvolumen verfügte wie der Bassist und Sänger der Cream, liebte den knallharten, ungekünstelten Rockgesang.

    Im Zusammenspiel mit Carla – zunächst hatte sich die Gruppe auf thematische Abwechselung beschränkt und jeweils einer Person den Leadgesang überlassen; der oder die andere fungierte dann als schlichte Background-Stimme – bedeutete dies, dass die beiden im Laufe der Zeit zueinander fanden und Wechselgesänge fabrizierten, einander ergänzten und dem anderen nichts neideten.

    Die Zuschauer ihrer glänzend vorbereiteten Auftritte merkten ihnen die Spielfreude an – und dies betraf die ganze Band, die sich von ihren Sangeskollegen mitreißen ließ.

    Gewagte Vergleiche mit Größen wie Jefferson Airplane, Sonny & Cher und Ike und Tina Turner machten im Publikum die Runde.

    Die Vertrautheit, das blinde Zusammenspiel Clemens’ und Carlas setzte sich dann irgendwann – und wenn man beide zusammen auf der Bühne agieren sah, konnte man das nur für konsequent halten – im Leben außerhalb der Band fort. Seit einem guten Jahr waren die beiden ein Paar.

    Die Band stimmte White Room an. Joachims Gitarre ließ die ersten lang gezogenen Töne immer tiefer in den Keller sägen, während Heini jeden einzelnen mit einem Trommelwirbel unterlegte, begleitet vom wummernden Bass Peter Engelhardts. Das Intro wiederholt sich einmal, dann verhält die Leadgitarre zwei Töne lang, um dann gleißende Akkorde zu setzen, wobei das Schlagzeug mit harten Schlägen zum Gesang überleitet.

    In the white room with black curtains near the station,

    black roof country, no gold pavements, tired starlings.

    Silver horses ran down moonbeams in your dark eyes.

    Dawn light smiles on you leaving, my contentment.

    Clemens’ klare, durchdringende Stimme füllte den Raum, die weiß getünchten Wände des alten Bauernhauses warfen ein dumpfes Echo zurück.

    Hanno Weiß, der Mann am Mischpult, steuerte die Klänge so gut aus, wie es die Bausubstanz des alten Gemäuers zuließ.

    I‘ll wait in this place where the sun never shines,

    wait in this place where the shadows run from themselves.

    Erschrocken fuhr Weiß zusammen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte.

    »Moin, Hanno!« Carla Sander brüllte ihm ins Ohr. Er

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1