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Der Kessel von Gundestrup: Ursprünge der keltischen Mythologie
Der Kessel von Gundestrup: Ursprünge der keltischen Mythologie
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Der Kessel von Gundestrup: Ursprünge der keltischen Mythologie

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Das bekannteste Bild des Kessels von Gundestrup ist sicherlich der Gott Cernunnos, der auf seinem Kopf ein Hirschgeweih trägt, wie ein Yogi dasitzt und in seiner Hand eine Schlange hält.
Aber warum sitzt ein Hirschgott zwischen den verschiedensten Tieren und meditiert? Wenn man sich die übrigen zwölf Bilder auf dem Kessel in Ruhe betrachtet, beginnt allmählich eine Geschichte deutlich zu werden – ein Ritual, bei dem ein Mann ins Jenseits und wieder zurück reist.
Man kann um diese Bilder immer weitere Kreise zu ziehen: Gab es bei den Kelten eine solche Zeremonie? Kannten alle Indogermanen eine solche Symbolik? Hatten alle Völker, die wie die Indogermanen von den mesopotamischen Ackerbauern zu Beginn der Jungsteinzeit abstammen (z.B. die Ägypter und Sumerer), eine solche Mythe wie die, die der Kessel von Gundestrup erzählt?
Nach dieser Weitung der Kreise um die Bilder des Kessels kann man dann Schritt für Schritt wieder ins Hier und Jetzt zurückkehren, wobei sich neue Fragen ergeben: Sind solche Jenseitsreisen wie die, die die Bilder des Kessels erzählen, wirklich real? Wenn man sie ein wenig anders bezeichnet, kann man sie auch heute wiederfinden: das Nahtod-Erlebnis, bei dem man mit der eigenen Seele den Körper verläßt und über ihm schwebt und ihn dabei unter sich liegen sieht. Dies Erlebnis zeigt sehr eindrücklich, daß man mehr ist als nur der materielle Körper ...
Und schließlich kommt man bei der Rückkehr zum Hier und Jetzt auch zu der Frage: Was kann der Kessel von Gundestrup für mein eigenes Leben bedeuten?

Ich würde mich freuen, wenn das Buch einige Leser zu einem Ausflug in die Mythen der frühen Kelten und in die eigene innere Bilderwelt einlädt und sie ein wenig bereichert und ihnen neue Möglichkeiten zeigt.
LanguageDeutsch
Release dateApr 8, 2015
ISBN9783738679144
Der Kessel von Gundestrup: Ursprünge der keltischen Mythologie
Author

Harry Eilenstein

Ich bin 1956 geboren und befasse mich nun seit 45 Jahren intensiv mit Magie, Religion, Meditation, Astrologie, Psychologie und verwandten Themen. Im Laufe der Zeit habe ich ca. 230 Bücher und ca. 50 Artikel für verschiedene Zeitschriften verfasst. Seit 2023 schreibe ich an einem achtbändigen Fantasy-Roman "Maran", in den auch alle meine Erfahrungen mit Magie, Meditation, Astrologie, Religion, Psychologie und ähnlichem miteingeflossen sind. Die ersten vier Bände sind bereits erschienen. Seit 2007 habe ich meine jahrzehntelange Nebentätigkeit ausgeweitet und bin nun hauptberuflich Lebensberater. Dies umfasst die eigentlichen Beratungen, aber auch das Deuten von Horoskopen, Heilungen, Rituale, Schwitzhütten, Feuerläufe, Hilfe bei Spukhäusern u.ä. Problemen, Ausbildung in Meditation und Feng Shui und vieles mehr. Auf meiner Website www.HarryEilenstein.de finden sich ein Teil meiner Artikel und auch einen ausführlichen Lebenslauf.

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    Book preview

    Der Kessel von Gundestrup - Harry Eilenstein

    Göttin

    I. Der Fund des Kessels

    Der 9kg schwere Kessel wurde 1891 in Gundestrup 50km westlich von Kopenhagen in Dänemark gefunden. Er ist 42cm hoch und hat einen Durchmesser von 69cm. Er wurde zwischen 500 v.Chr. und 100 v.Chr. von den Kelten der La Tene-Epoche hergestellt. Da sein Rand deutliche Gebrauchsspuren aufweist, muß er zunächst längere Zeit in Benutzung gewesen sein, bevor er in seine Einzelteile zerlegt und in dem damals bereits ausgetrockneten Moor bei Gundestrup niedergelegt wurde. Bei dem Fund des Kessels lagen die dreizehn Bildplatten lose in der Bodenschale.

    Er wurde aus 97% Silber angefertigt, das teilweise vergoldet wurde. Der Boden des Kessel ist eine flache Schale, in deren Mitte sich eine runde, geprägte Platte befindet. Der Rand des Kessels wurde aus dreizehn Platten zusammengeschweißt: fünf längere Platten innen und acht annähernd quadratische Platten außen, die ebenfalls alle mit Bildern geprägt sind.

    Vermutlich hatte der Kessel ursprünglich auch zwei Griffe, die aber ebenso wie eine der acht äußeren Platten verloren gegangen sind. An der oberen Kante befand sich ein gewölbter Silberstreifen, durch den der Kesselrand abgerundet wurde. Von diesem Streifen ist nur ca. ein Viertel erhalten geblieben.

    Die Bodenplatte, die fünf Innenplatten und die sieben erhalten gebliebenen Außenplatten sind alle mit Bildern von Gottheiten und verschiedenen Szenerien geprägt worden, die viele Details zeigen. Vor allem wegen dieser Bilder ist der Kessel von Gundestrup für die Kenntnis der Kelten zu dieser Zeit sehr wertvoll.

    Die Gottheiten hatten ursprünglich eingesetzte Glasaugen, von denen aber nur noch wenige erhalten geblieben sind.

    Da die Bilder auf dem Kessel sowohl eindeutig keltische Motive wie z.B. den Hirschgott Cernunnos, aber auch ebenso eindeutig nicht-europäische Motive wie Elefanten, Großkatzen und Antilopen aufweisen, kann man vermuten, daß der Kessel in keltischem Auftrag und vielleicht auch von keltischen Handwerkern in einer Gegend hergestellt wurde, in der diese afrikanisch-asiatischen Tiere gut bekannt waren. Dies wird vermutlich Südosteuropa gewesen sein.

    Der Bereich, in dem Kelten in den fünf Jahrhunderten vor Christi Geburt siedelten und der nahe genug an Afrika oder Kleinasien lag, ist der Bereich um das Schwarze Meer. Möglicherweise haben auch die dortigen Thraker, die für ihre Schmiedearbeiten berühmt waren, den Kessel im Auftrag der Kelten hergestellt.

    Die archäologischen Funde der Kelten aus der La Tene-Zeit, aus der auch der Kessel von Gundestrup stammt, weisen allgemein viele orientalische Motive auf, wie sie sich z.B. auch bei den Thrakern und Skyten an der Küste des Schwarzen Meeres sowie bei den Griechen finden.

    Es stellt sich die Frage, wie ein Kessel, der in dem Stil der südosteuropäischen Kelten hergestellt wurde, nach Gundestrup kam. Es gibt zunächst zwei denkbare Varianten. Im ersten Fall wurde er in Südosteuropa benutzt und dann in Dänemark lediglich in dem Moor niedergelegt; im zweiten Fall wurde er neu nach Dänemark gebracht, dort längere Zeit benutzt und dann versenkt.

    Da es recht unklar ist, was Menschen dazu bewogen haben sollte, einen solchen Kessel, der ihre eigene Mythologie zeigt, sofort zu versenken, wenn sie ihn durch einen Zufall, einen Kauf o.ä. erhalten hatten, ist der zweite Fall wohl wahrscheinlicher: Die dänischen Kelten haben den Kessel bei den geschickteren Handwerkern im Südosten bestellt und dann in ihrem Kult verwendet.

    II. Die kulturelle Umgebung der Kesselniederlegung

    Das ursprüngliche, etwa kreisförmige Siedlungsgebiet der Kelten lag um 750 v.Chr. zwischen dem Bodensee und Frankfurt und reichte nach Osten und Westen in den Schwarzwald und die Vogesen hinein (Hallstatt-Kultur). Ab 500 v.Chr. dehnte sich dieses Gebiet vor allem nach Osten hin auf ca. die dreifache Größe aus (La Tene-Kultur). Um 300 v.Chr. findet sich die keltische Kultur und Sprache dann von Frankreich bis ans Schwarze Meer sowie in Großbritannien, in Westspanien, Portugal und in der Zentraltürkei.

    Der Name „Kelten bedeutet die Tapferen und der Name „Galater, mit dem sie sich auch bezeichneten, bedeutete die Edlen. Die Kelten waren in einzelnen, selbständigen Stämmen organisiert. Es bestand aber dennoch ein Bewußtsein über die Zusammengehörigkeit dieser Stämme – so galt z.B. jeder keltische Druide unabhängig von seiner Herkunft bei allen keltischen Stämmen als Autorität.

    Zu der Zeit der Herstellung des Kessels lebten die Kelten in befestigten Siedlungen, die auf Anhöhen lagen, die von mehreren kleinen, unbefestigten Siedlungen umgeben waren. Die Grabfunde zeigen, daß die einzelnen Stämme von Fürsten beherrscht wurden, die über einen beträchtlichen Reichtum und daher wohl auch über große Macht verfügten. In den reicheren Gräbern wurden die Fürsten in voller Rüstung, mit reichen Beigaben, zu denen auch ganze Wagen zählten, bestattet.

    Die Kelten lebten als Bauern und Viehzüchter vor allem von Emmer, Dinkel, Gerste, Hirse, Bohnen, Erbsen, Linsen, Rüben, Zwiebeln, Kohl und gelegentlich auch von Rinder-, Schweine- und Schafsfleisch. Das Standartgericht war den Funden von Essensresten zufolge ein Bohnen-Gerste-Eintopf. Dazu trank man bei besonderen Gelegenheiten Bier und seltener auch Met.

    Die Rinder gaben Milch, aus der vor allem Käse hergestellt wurde. Die Schafzucht war sehr verbreitet – aus ihrer Wolle stellte man Kleidung her. Die Pferde wurden vorwiegend für die kriegerischen Auseinandersetzungen gebraucht. Hunde bewachten die Schafherden und die Siedlungen und wurden auch bei der Jagd gebraucht.

    Die Kelten bauten auch unter Tage Salz und Eisenerz ab und waren in Europa führend in der Herstellung von Damaszenerstahl, der vor allem für Schwerter benutzt wurde. Auch im Wagenbau waren die Kelten führend – sie betrieben damals in Europa die wichtigste Rüstungsindustrie, die vor allem die Römer belieferte.

    Die Kelten trieben einen regen Handel nach Süden hin zu den Römern, den Griechen und zu den Völkern in Mesopotamien und im Iran. Neben Waffen und Wagen exportierten sie auch Salz, Eisen, Zinn, Wolle, Textilien und Schuhe. Importiert wurden vor allem Glas, Wein und Luxusgüter.

    Ab 300 v.Chr. prägten die Kelten auch eigene Münzen. Vorher waren bei ihnen nur vereinzelt griechische und römische Münzen in Gebrauch gewesen.

    Die Kultur war patriarchal organisiert, aber es standen den Frauen trotzdem alle Stellungen prinzipiell offen. So führte z.B. die britische Keltin Boudicca den Stamm der Icener bei dem Aufstand gegen die Römer um 60 n.Chr. an. Auch unter den Druiden gab es Frauen.

    Die Druiden waren die intellektuelle Kaste der Kelten und hatten große Ähnlichkeit mit den indischen Brahmanen. Sie waren Priester, Sänger, Geschichtsschreiber, Richter, Forscher, Dichter, Bewahrer der Tradition und noch vieles mehr. Da sie ihr Wissen prinzipiell nur mündlich überlieferten, ist nur wenig von den Mythen und der Weltanschauung der früheren Kelten bekannt.

    Das Grundprinzip der Weltanschauung der Kelten und der Druiden war die Fhirinne, die Wahrheit. Dies ist die allen magisch-mythologischen Weltanschauungen gemeinsame Vorstellung, daß es für alle Dinge eine richtige Daseinsweise gibt. Wenn man die Richtigkeit erkennt und sich entsprechend verhält, wird man ein gutes und glückliches Leben führen und in Harmonie mit der Welt sein. Die Mythen selber sind die Beschreibung dieser Lebensweise und der evtl. Folgen einer Abweichung von ihr.

    Diese Qualität wird von den Indern Rita oder Dharma genannt, von den Ägyptern Ma'at, von den Sumerern Me, von den Persern Asa, von den Navaho-Indianer Ho-zhong usw. Die wörtliche Bedeutung dieser Begriffe zeigt verschiedene Seiten dieser grundlegenden Qualität:

    ... wenn man im Einklang mit der rhythmischen Weltordnung lebt, wird man in Geborgenheit ruhen und sich in Schönheit entfalten.

    Die Druiden sahen wie ihre Kollegen aus anderen magisch-mythologischen Weltanschauung das gesprochene Wort als magisch wirksam an – insbesondere wenn es im Einklang mit der Fhirinne, also der Wahrheit stand. Diese Ansicht war allgemein eine der Grundlagen für die Magie.

    Sowohl die Kelten und die Thraker als auch die Inder sowie ansatzweise die Germanen und einige griechische Philosophen wie z.B. Pythagoras vertraten die Ansicht, daß die Seele sich immer wieder aufs neue inkarniert. Diese Vorstellung scheint weitgehend auf die Indogermanen beschränkt zu sein, zu denen die genannten Völker alle gehören.

    Die Druiden kannten den Feuerlauf und benutzten ihn in religiösen Zusammenhängen. Bei einem Feuerlauf geht man barfuß über glühende Kohlen. Aus der Verwendung des Feuerlaufs als Gottesurteil hat sich unsere Redewendung „dafür lege ich meine Hand ins Feuer" entwickelt.

    Die Druiden übten sich auch in verschiedenen Formen der Meditation, der magischen Beherrschung vor allem des Wetters, und der Trance, die der Kontaktaufnahme mit den Ahnen diente. Die Herstellung dieser Verbindung mit den Ahnen war in allen alten Kulturen die Aufgabe der Schamanen und wurde in den späteren Kulturen dann zu einer der vielen Aufgaben der sich aus den Schamanen heraus entwickelnden priesterlich-intellektuellen Kaste. Bei den Kelten waren dies die Druiden, bei den Indern die Brahmanen, bei den Persern die Magier, bei den Ägyptern die Sem-Priester, bei den Juden die Propheten usw.

    Die Zahl 8 wurde als Symbol für Vollständigkeit, Zyklus angesehen. Dies liegt daran, daß die Menschen von der Steinzeit an bis in die frühe Zeit der Königreiche in einem Binärsystem rechneten. Es gab also die Stellenwerte 0, 1, 2, 4, 8, 16, 32 usw., aber keine „Zähl-Zahlen – man setzte jede gewünschte Zahl einfach aus diesen Mengenbezeichnungen zusammen. So war z.B. die 13 in diesem System 8+4+1 und die „27 bestand aus „16+8+2+1. Die Acht galt in diesen Vorstellungen als die runde Menge". Diese Bedeutung findet sich aufgrund des hohen Alters dieser Vorstellung bzw. Rechenweise auf der ganzen Welt wieder: die acht keltischen Jahresfeste, Buddhas achtspeichiges Rad der Lehre, die Götterachtheiten der Ägypter, die acht Trigramme des chinesischen I Gings, die 8x8 Hexagramme des I Gings (von dem sich u.a. das Schachbrett ableitet), die 8x8 Felder des westafrikanischen Ifa-Orakels, die achtblättrige Seelenblüte der Sumerer, der achtteilige Kalender der Mayas usw.

    Das Rechtsverständnis der Kelten und auch der meisten der anderen damaligen Völker bestand darin, zunächst einmal in jedem Einzelfall nach einer einvernehmlichen Lösung zu suchen und erst dann, wenn keine solche Lösung gefunden werden konnte, sich an einem Präzedenzfall in der früheren Geschichte zu orientieren und nach ihm zu entscheiden. Allgemeingültige, abstrakte Gesetze sind eine deutlich neuere Erfindung – die englische Rechtsprechung beruht z.B. noch immer auf einer Sammlung von Präzedenzfällen.

    Von der Musik der Kelten ist nur wenig bekannt. Sie benutzten in Zeremonien die Carnyx-Trompete, deren vordere Öffnung als Kopf einer Schlange, eines Drachen oder eines anderen Tieres gestaltet wurde. Es wurde auch die Lyra (Leier) und die Kithara (Leier mit größerem Klangkörper) gespielt.

    In der keltischen Kunst sind häufig Ranken und geometrische, mit dem Zirkel konstruierte Motive zu finden, die sich dann später zu komplexen Flechtmustern weiterentwickelten, die man auch bei den Germanen und bei den ebenfalls indogermanischen Skythen in Südosteuropa finden kann. Es handelt sich bei diesem Kunststil also nicht um einen rein keltischen, sondern um einen „europäischen" bzw. westindogermanischen Stil.

    Politisch ist die Zeit zwischen 600 v.Chr. und 100 v.Chr., aus der der Kessel von Gundestrup stammt, international zunächst von Religionsgründern und anschließend von neuen Reichsgründungen und der Erbauung von sechs der sieben antiken Weltwunder geprägt.

    Das sechste vorchristliche Jahrhundert war die Zeit der „Entdeckung des Ichs", der Entfaltung der Individualität, der Eigenverantwortlichkeit und der Selbstbestimmung des Menschen: In China hatten um 600 v.Chr. Lao-tse, Dschuangs-tse und Konfu-tse gelehrt, in Indien Buddha und Jaina, in Persien hatte Zarathustra die Religion erneuert, in Thrakien hatte Zalmoxis die Selbstverantwortung des Menschen gepredigt und Mysterien gegründet, und in Griechenland haben um 450 bis 350 v.Chr. Sokrates, Plato und Aristoteles das Wesen des Menschen und der Welt erforscht. Alle diese Religionsgründer und Philosophen betonten die Eigenverantwortung und Eigenständigkeit des Menschen. Um 600 v.Chr. wurden auch die Mysterien von Eleusis, die Mithras-Mysterien und die Orpheus-Mysterien gegründet, die dasselbe Ziel hatten.

    Die Auswirkungen dieser neuen Eigenständigkeit und Selbstverantwortung sowie des sich daraus ergebenden Selbstbewußtseins der Menschen zeigt sich unter anderem auch in der Errichtung der sechs jüngeren Weltwunder der Antike. Es wäre somit denkbar, daß sich von diesem neuen Bewußtsein und Streben der Menschen auch etwas in den Bildern des Kessels von Gundestrup wiederfindet.

    Die Errichtung von sechs der sieben Weltwunder in den 230 Jahren zwischen 580 und 350 v.Chr. zeigt unter anderem auch die organisatorischen und finanziellen Mittel der Völker in dieser Zeit sowie ihr größeres Selbstbewußtsein, das sie offenbar auch nach kollektiver Selbstdarstellung streben ließ. Diese Bauten sind sozusagen der architektonische und künstlerische Widerhall des von den Religionsgründern und Philosophen ab 600 v.Chr. erfaßten und verkündeten Menschenbildes.

    Lediglich das erste der antiken Weltwunder, die Pyramiden von Gizeh, wurden schon um 2.600 v.Chr. erbaut und stammen somit aus einer Epoche.

    Die folgende Aufstellung ist nur eine kurze Übersicht über die wichtigsten geschichtlichen Daten dieser Zeit.

    600 – 500 v.Chr.:

    - Religionsgründer: Buddha, Jaina, Lao-tse, Dschuangs-tse, Konfutse, Zarathustra, Zalmoxis

    - in Mittel- West- und Osteuropa lebten Kelten, im Norden Germanen, in Italien Etrusker und Römer, im Südosten Griechen und Thraker; reiche Gräber der Keltenfürsten, Blüte der etruskischen Kultur

    - Errichtung des größten Tempels der Antike, des Artemistempel in Ephesos (Weltwunder); Hängende Gärten von Babylon (Weltwunder)

    - Babylonier herrschten in Kleinasien; Perser erobern Babylonien und Ägypten; Bau des zweiten Tempels in Jerusalem

    500 – 400 v.Chr.:

    - die Griechen wurden von den Persern besiegt; die Römer gründen die römische Republik; 12m hohe Zeusstatue in Olympia (Weltwunder)

    - Perserherrschaft in Kleinasien und Ägypten

    400 – 300 v.Chr.:

    - Römer besiegen die Etrusker; Kelten erobern Rom; Alexander der Große errichtet das Makedonierreich, das von Griechenland bis Ägypten und Indien reicht; Mausoleum von Halikarnassos in der heutigen Türkei (Weltwunder)

    - In Mexiko wird das Königreich Teotihuacán gegründet

    300 – 200 v.Chr.:

    - Rom wird zur Weltmacht, Kriege zwischen Römern und Kelten und zwischen Rom und Karthago (Nordafrika); Kelten plündern Teile Griechenlands; 30m hohe Bronzestatue des Gottes Helios in Rhodos (Weltwunder), 160m hoher Leuchtturm am Hafen von Alexandria in Ägypten (Weltwunder)

    - König Ashoka gründet das erste indische Großreich

    - die chinesischen Fürstentümer werden zu einem einheitlichen Reich unter einem Kaiser vereint

    200 – 100 v.Chr.:

    - Rom besiegt die Makedonier und Karthago; Kelten besiegen Römer

    - Kleinasien: Gründung des Partherreiches, das über Mesopotamien und den heutigen Iran herrschte

    Die 30m hohe Bronzestatue des Helios, der „Koloss von Rhodos", zeigt, welches Niveau die Bronzebearbeitung inzwischen erreicht hatte – der Kessel von Gundestrup war in der damaligen Zeit also nur ein kleineres Kunstwerk.

    III. Die Bilder des Kessels von Gundestrup

    Der Kessel ist mit großem Aufwand hergestellt und den Gebrauchsspuren zufolge auch lange Zeit benutzt worden. Es stellt sich daher die Frage, welchem Zweck er gedient hat.

    Man kann davon ausgehen, daß die Bilder auf dem Kessel sowohl ein Ausdruck der allgemeinen Weltanschauung ihrer Benutzter waren als auch in engem Zusammenhang mit dem Verwendungszweck des Kessels standen. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, aus den Bildern des Kessels auf seine Bedeutung für ihre Benutzer zu schließen, wobei man dabei die Kenntnisse über die Druiden und die allgemeine Weltanschauung der Kelten zu Hilfe nehmen kann.

    Man wird auch davon ausgehen können, daß die Anordnung der Bilder auf dem Kessel nicht willkürlich ist, sondern das sie entsprechend der Weltanschauung der Hersteller und Benutzter angeordnet sind. Leider ist diese Anordnung sehr unsicher – für die Reihenfolge der inneren fünf Tafeln gibt es bisher sieben Anordnungsvorschläge und auch die Folge der äußeren Bildtafeln ist schon in der verschiedensten Weise rekonstruiert worden.

    Um sich der in dem Kessel dargestellten Bilderwelt schrittweise anzunähern, sind folgende fünf Schritte möglich, die sich zunächst einmal vor allem aus den Bildern selber ergeben:

    Die Beschreibung der Bildplatten

    Die Häufigkeit der einzelner Motive

    Die Betrachtung der einzelnen Motive

    Das Gesamtbild

    Die inhaltliche Folge der Bildplatten

    In den nächsten fünf Kapiteln werden die Bilder auf dem Kessel von Gundestrup mithilfe dieser fünf Ansätze betrachtet.

    Der Kessel besteht aus acht äußeren Bildplatten (von denen eine fehlt), fünf inneren Bildplatten und der zentralen Bildplatte, die zusammen ein „keltisches Mandala" ergeben. Die Folge der acht äußeren sowie der fünf inneren Bildplatten ist leider unbekannt.

    III. A Die Beschreibung der Bildplatten

    III. A 1. Die Mittelplatte

    Das Thema der zentralen Platte des Kessels ist der Stier. Da er in einer unnatürlichen Haltung liegt, kann man davon ausgehen, daß er tot ist.

    Auch die Person über ihm liegt in dieser Weise. Sie hält ein Schwert in ihrer linken Hand. Sie scheint Brüste zu haben, aber ihre Frisur und ihre Kleidung ist die eines Mannes – die Brüste sind daher vermutlich die etwas überbetont dargestellte Brustmuskulatur eines Mannes.

    Links von dem Mann läuft ein Hund und unter dem Stier befindet sich eine Raubkatze. Rechts unten neben dem Stier liegt ein toter Hund, der nur eingraviert, aber nicht im Silber getrieben ist. Zwischen diesen fünf Gestalten befinden sich Ranken mit Blättern.

    Das Opfern eines Stieres ist aus dem Totenkult vieler europäischer und kleinasiatischer Völker und auch von den Ägyptern bekannt. Ein spezieller Zusammenhang zwischen Stier und Kult wird von den Druiden berichtet: Um den Kontakt mit den Ahnen aufzunehmen bzw. um die Geister Verstorbener zu Ruhe zu bringen, hüllten sich die Druiden in das Fell eines frisch geopferten Stieres.

    Derselbe Brauch ist auch von den Germanen bekannt. Sie setzten sich bei dem Utiseta (Draußensitzen) genannten Ritual auf einem Kreuzweg auf das Fell eines Rindes, um mit den Ahnen Kontakt aufzunehmen. Dieser Brauch ist von der Kirche nach der Missionierung immer wieder verboten worden. Da sich dasselbe Ritual auch weit entfernt im Zusammenhang mit dem Bestattungsritual bei den altägyptischen Schamanen-Priestern, die Sem (Helfer) genannt wurden, findet, muß es sich hier um eine sehr alte Tradition handeln, die mit den zentralen religiösen Fragen zu tun hat.

    Dieser Brauch der Druiden, der Germanen und Ägypter erklärt sich z.T. durch eine alte Bestattungssitte. In Ägypten und in Kleinasien wurden Tote in der Jungsteinzeit und in der ersten Zeit der Königtümer in ein Kuhfell gehüllt und dann bestattet. Die Kuh ist seit der Altsteinzeit das Tier der Großen Mutter, da die großen Rinderherden ein Symbol der Fruchtbarkeit waren. Wenn man nun einen Toten in ein Kuhfell hüllte, befand er sich symbolisch in der Kuh-Mutter und wurde dann im Jenseits von ihr wiedergeboren. Diese Symbolik hat sich am deutlichsten und detailliertesten in der altägyptischen Religion erhalten.

    Sowohl die Indogermanen als auch die Ägypter und die kleinasiatischen Völker stammen von den jungsteinzeitlichen Ackerbauern in Mesopotamien ab, die daher auch die kulturellen Ahnen der Kelten sind.

    Diese Symbolik hat noch eine tiefere Schicht. Die Ankunft der Toten im Jenseits wurde von den frühen mesopotamischen Ackerbauern und den von ihnen abstammenden Völkern als eine Wiedergeburt im Jenseits durch die Große Mutter bzw. die Muttergöttin angesehen. Dieser Wiedergeburt ging in den meisten Mythen von Ägypten bis nach Indien und Nordeuropa eine Wiederzeugung, d.h. eine Vereinigung des Toten mit der Muttergöttin voraus. Da die Herdentiere die Symbole für die Fruchtbarkeit und die Zeugungskraft waren, wurde der Tote auf seiner Reise ins Jenseits mit einem Stier identifiziert, damit er sich selber aufgrund der Zeugungskraft des Stieres erfolgreich wiederzeugen konnte.

    Der Kessel wurde nicht als Ganzes in dem Moor versenkt bzw. vergraben, sondern vorher in seine einzelnen Teile zerlegt. Das weist darauf hin, daß der Kessel ins Jenseits gesandt wurde, denn damals hat man alle Opfergaben, die man den

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