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So wurden aus Bibelforschern die Zeugen Jehovas: Untersuchungen zur Geschichte der Wachtturm-, Bibel- und Traktatgesellschaft, Hamburg 2015
So wurden aus Bibelforschern die Zeugen Jehovas: Untersuchungen zur Geschichte der Wachtturm-, Bibel- und Traktatgesellschaft, Hamburg 2015
So wurden aus Bibelforschern die Zeugen Jehovas: Untersuchungen zur Geschichte der Wachtturm-, Bibel- und Traktatgesellschaft, Hamburg 2015
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So wurden aus Bibelforschern die Zeugen Jehovas: Untersuchungen zur Geschichte der Wachtturm-, Bibel- und Traktatgesellschaft, Hamburg 2015

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About this ebook

Nachprüfbar, gewissenhaft und allgemeinverständlich stellt Dr. Hellmund die aktuellen Forschungsergebnisse über Lehre und Geschichte der Zeugen Jehovas vor. Er nennt die Fakten über Werden und Wandel dieser weltweit bekannten Religionsgemeinschaft.
Ein Schwergewicht des Buches liegt auf den Aussagen des WACHTURM über zukünftige Ereignisse, besonders über Berechnungen des Endes dieser Welt und "Harmagedon". Forschungen des Autors beweisen: Was Russel, der Gründer und Rutherford, sein Nachfolger, über damals künftige Ereignisse wie 1874, 1914, 1918 und 1925 behaupten, haben sie nach dem Scheitern dieser Prophezeihungen so abgeändert, dass diese ein bisschen mit den Tatsachen übereinstimmen.
Quellen für diese Weissagungen sind - neben der Bibel und eigener Inspiration - auch die Maße der Cheops-Pyramide. Nach Russels Tod gibt es interne Machtkämpfe. Den Kampf um sein Vermögen - den gewinnt Rutherford, den Kampf um seine Lehre nicht. Russels geistiges Erbe wird tot geschwiegen.
Rutherford macht aus Bibelforschern - die nie selbständig in der Bibel forschen durften - die "Zeugen", Christen mit einer missionarischen Monokultur. Nur Mitgliederwerbung zählt, Diakonie zählt nichts.
Das Buch ist auf dem neuesten Stand der Forschung.
LanguageDeutsch
Release dateJul 8, 2015
ISBN9783738690484
So wurden aus Bibelforschern die Zeugen Jehovas: Untersuchungen zur Geschichte der Wachtturm-, Bibel- und Traktatgesellschaft, Hamburg 2015
Author

Dietrich Hellmund

Dr. theol. Dietrich Hellmund war bis 1997 Pastor in Hannover und Hamburg. Neben seinem Pfarramt beauftragte ihn die Kirchenleistung mit der Seelsorge an Sektenopfern und ihren Angehörigen, mit der Information der Gemeinden durch Vorträge über andere Religionen, Kirchen, Sekten und Weltanschauuungen. Persönliche Begegnungen mit Zeugen Jehovas führten ihn zur Beschäftigung mit ihrer Lehre. Seine Doktor-Arbeit ist eine Geschichte über diese Gemeinschaft. Sie bringt viele bis dahin unbekannte Fakten. Er nennt die Quellen und belegt, wie die Leitung dieser Gemeinschaft Einsicht in eigene alte Texte verweigert, die sie einst mit viel Trara als Siege der Wahrheit verkaufte. Hellmund war in mehreren kirchlichen Gremien 30 Jahre lang vertreten, die sich mit Weltanschauuungsfragen befassen.

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    So wurden aus Bibelforschern die Zeugen Jehovas - Dietrich Hellmund

    Hellmund

    So wurden aus Bibelforschern Zeugen Jehovas

    § 1. Die Glaubensgemeinschaft und ihr Gründer

    Der Gründer dieser RG (Religionsgemeinschaft) ist ohne Frage der US-Amerikaner Charles Taze Russell ¹ (16.02.1852 - 31.10.1916).

    Weniger klar ist das Geburtsjahr dieser RG². Historiker haben die Wahl zwischen 1870 - damals traf Russell auf eine Gemeinde der Second Adventists - und 1879. Damals erschien der WACHTTURM als Sprachrohr der neuen RG zum ersten Mal.

    Klar ist das Land, in dem Russell seine ersten Anhänger gewann: die USA. Noch heute ist dort die Zentrale der RG. Noch heute ist Englisch die Ausgangssprache, in der alle Druckerzeugnisse dieser RG zuerst erscheinen. Die religiöse Freiheit, wie sie in den USA möglich ist, ist für die Leitung dieser RG der Maßstab, den sie für sich in jedem anderen Land beansprucht.

    Die von Russell gestiftete RG hat oft ihren Namen gewechselt. Im Anfang kam Russell ohne Selbstbezeichnung aus. Nicht zuletzt aus geschäftlichem Interesse bezeichnete er sein Unternehmen als christlich und unterdrückte jeden Hinweis darauf, dass er eine neue Kirche gründen wollte. In dieses geistige Umfeld passt auch die frühe Selbstvorstellung als „Geschäftsfirma"³.

    Seit etwa 1913 gilt die Bezeichnung „International Bible Students Association (Internationale Vereinigung ernster Bibelforscher - kurz: IVEB). 1931 erfolgte auf Initiative des zweiten Präsidenten dieser RG, J.F. Rutherford (1869-1942), die Umbenennung in „Jehova‘s Witnesses, in „Jehovas Zeugen".

    Die Gründe für den neuen Namen hat Rutherford mit Verweis auf Jes. 43,12 schon auf der Vorderseite des WT angegeben. Aber die Wahrheit ist wohl eine andere.

    Der Begriff „Forscher (Student) im alten Firmenschild setzt ja das eigenständige Erkunden neuer Wege, Erklärungen und Lösungen voraus. Im Blick auf „Bibelforschung muss das bedeuten:

    Jedes Mitglied dieser RG darf beim Nachdenken über biblische Texte eigene Auslegungen haben und verbreiten. Genau das darf bei Rutherford nicht sein. Er beanspruchte in Sachen Bibelauslegung und auch sonst das Alleinvertretungsrecht in Sachen Wahrheit.

    Offizielle Selbstbezeichnung der Anhänger ist heute Zeuge/Zeugin Jehovas oder auch Jehovas Zeuge/Zeugin. In unserem Buch verwenden wir für die Anhänger dieses Glaubens das Kürzel ZJ; für die ganze Gemeinde das Kürzel WTG (für Wachtturm-Gesellschaft).

    Das Wort Gesellschaft spiegelt einen seltsamen Sachverhalt:

    Die finanzielle und geistige Leitung dieser Religionsgemeinschaft lag bis 1945 in der Hand einer Aktiengesellschaft.

    Diese unter dem Namen „Zion's Watch Tower Tract Society 1881 gegründete, 1884 gesetzlich eingetragene und damit rechtsfähige „Geschäftsfirma war zugleich die Muttergesellschaft mehrerer Tochterfirmen⁴. Zu Russells Zeit konnte jeder schon für 10 Dollar 1 Stimmrecht kaufen, also 1 Aktie. Damit konnte er bei den jährlichen Hauptversammlungen das Stimmrecht ausüben⁵.

    Zu Unrecht haben Kritiker aus dem nationalsozialistischen oder kommunistischen Lager in dieser Kapitalgesellschaft eine Konzentration amerikanischen oder jüdischen Kapitals gesehen und dagegen polemisiert⁶.

    Ihnen entgingen die Unterschiede zu normalen Aktiengesellschaften.

    Immer war der Verkauf solcher Aktien für Russell eine Form des Spendensammelns. Nie verkaufte er so viele Aktien, dass die Anteile im Streubesitz das von ihm gehaltene Mehrheitspaket der Stimmrechte hätten überstimmen können. Sein Einfluss auf diese Firma war immer absolut.

    Nie gab es auf diese Aktien Dividenden, nie! Nie gab es für diese Aktien Börsenkurse.

    Nie wurden diese Aktien an einer Börse gehandelt.

    Seit 1945 wurde der Aktienverkauf an Außenstehende eingestellt⁷.

    Der Idee nach ist diese Firma seit ihrer Gründung „a non-profit Corporation, d.h. ein gemeinnütziger Verein. Sie ist mit den von ihr abhängigen Firmen, Verlagen usw. „nur ein Rechtsinstrument für die nicht eingetragene Gruppe der Zeugen Jehovas der ganzen Welt⁸. Russells Selbstbezeichnung WTG veranlasste die Leitung, dem Begriff GESELLSCHAFT eine neue, religiöse Sinnfülle zu geben. Sie nannte sich etwa seit den achtziger Jahren des 20. Jhs. NEUE WELT GESELLSCHAFT.

    An deren Spitze steht die LEITENDE KÖRPERSCHAFT DER ZEUGEN JEHOVAS.

    § 2. Quellen und Darstellungen zur Geschichte der ZJ

    A. Die Quellen

    Wer mit missionierenden ZJ in Deutschland zu tun bekommt - und wer macht diese Erfahrung nicht? - der bekommt den Eindruck: Die ZJ wollen mit jeder Menge Schrifttum über sich und über die Bibel informieren. Dieser erste Eindruck täuscht.

    Richtig ist vielmehr: Man bekommt jede Menge Literatur über die Bibel und, durchaus nachrangig, einiges auch über diese Glaubensgemeinschaft in die Hand gedrückt, natürlich kostenlos (schon dies war nicht immer so). Man erhält also den WACHTTURM und ERWACHET in den aktuellen Ausgaben des Jahres oder auch des Vorjahres, also die Texte, die jeder ZJ in den Fußgängerzonen zur Verteilung bereithält.

    Bücher und Broschüren werden auch kostenlos zur Verfügung gestellt, wenn man sich an einem kostenlosen Bibelstudium beteiligt (die Texte kosteten früher Geld, das „Bibelstudium", genauer: das Durcharbeiten von Texten der WTG, war immer gebührenfrei für Interessierte - die sollten ja als Mitglieder gewonnen werden). Die Kosten für die Verteilliteratur werden durch Spenden der ZJ finanziert.

    Ein Problem sind freilich andere Textausgaben der WTG. Wer z.B. den KÖNIGREICHDIENST haben oder einfach nur einmal lesen will, muss sich sagen lassen: Alle periodisch erscheinenden Ausgaben werden nur an die Mitglieder ausgegeben, die dürfen sie nicht Außenstehenden zugängig machen. Es gibt eine ganze Reihe solcher Texte und Bücher, die nur intern abgegeben werden⁹.

    Ein ganz anderes Problem stellen Bücher und WACHTTURMAusgaben dar, die vor Jahren oder vor Jahrzehnten zum ersten Mal von der WTG gedruckt und mit allem Nachdruck der kommerziellen Werbung in Massen unter das Volk gebracht worden sind.

    Wer selber solche alten Ausgaben hat - aus welchem Zufall immer - der wird die Erfahrung machen, dass kein heutiger ZJ diese alten Texte lesen oder gar dazu Stellung nehmen möchte. Das ist längst überholt, wird gesagt, heute gibt es Besseres zum gleichen Thema. Wir haben „neues Licht". Das ist das Stichwort: Neues Licht = neue Erkenntnisse = neue Wahrheiten.

    Hier stoßen wir auf ein wirkliches Problem dieser Glaubensgemeinschaft. Nicht immer galten hier die gleichen religiösen Grundüberzeugungen.

    Im Blick auf die Quellen heißt das - und unter dem Begriff Quellen verstehen wir die von der WTG gedruckten Bücher, Broschüren, Verteilzettel, Werbeplakate, Einladungen, aber auch Akten über Interna, über Schriftverkehr mit staatlichen Behörden, Eingaben an Gerichte usw. - bereits der einfache ZJ, vor Kurzem erst dabei oder schon ZJ in zweiter Generation, wird jeder Diskussion über Vergangenes in Lehre und Leben dieser Glaubensgemeinschaft aus dem Wege gehen. Und die LEITENDE KÖRPERSCHAFT DER ZEUGEN JEHOVAS, die selber alle diese Quellen hat, verweigert Außenstehenden jede Einsicht in ihre Archive¹⁰.

    1965/66 machte ich erste Erfahrungen mit dem gezielten Verschweigen der Vergangenheit dieser RG. Ich suchte für meine Doktor-Arbeit über die Geschichte der ZJ Primärquellen, also Schriften aus der Frühzeit Russells und Rutherfords. Also Traktate und Bücher, die vor langer Zeit mit viel Trara unter das Volk gebracht wurden. Hohe verkaufte Auflagen wurden als Siege der biblischen Wahrheit gefeiert.

    Deswegen schrieb ich an das deutsche Zweigbüro, damals in Wiesbaden, und bat um Kopien oder Ausleihe der frühen WTAusgaben und einiger Russell-Schriften.

    Statt einer Antwort besuchten mich ohne Anmeldung zwei ZJ. Sie fragten nach dem Stand meiner Vorarbeiten, wollten insbesondere wissen die Tendenz und Zielvorgabe des geplanten Buches. Ich sagte: Bei einer theologischen Doktorarbeit gibt es so etwas wie eine Tendenz oder Zielvorgabe nicht. Ich wolle und solle die Geschichte dieser RG so schreiben, wie sie wirklich war. Wichtig sei nie Lob oder Tadel, wohl aber die umfassende Information über Neues oder Vergessenes.

    Erstaunt registrierten meine Gäste, dass es bei einer Dissertation eine vorgefertigte Meinung nicht gibt. „Ich will alle Seiten hören und bilde mir dann mein eigenes Urteil".

    Sie wollten mir Schriften aus ihrem Bücherstand geben und staunten: das alles hatte ich schon. - Sie gingen und kamen nie wieder.

    Nach einem Vierteljahr wiederholte ich meine Bitte an das Zweigbüro in Wiesbaden. Die kurze Antwort: Sie hätten mir ja die Brüder geschickt und wüssten nicht, wie sie mir sonst noch helfen sollten.

    Der Brief war nicht unterschrieben, doch unterstempelt:

    „Wachtturm B.& T. Gesellschaft Deutscher Zweig e.V.".

    Mein zweiter Versuch ging an die Welt-Zentrale in New York/USA. Ich bat um Einsicht in das Schrifttum der Russell-Zeit, nannte einige Frühschriften Russells, die die Zentrale hatte, wie ich wusste. Ich bat um Einsicht in frühe WT-Ausgaben.

    Die Antwort kam schnell und überraschend aus dem Bethel in Wiesbaden-Dotzheim.

    Die unterstempelnde Dame „Wachtturm B.&.T. Gesellschaft" teilte mir mit: Man würde mir ja gerne helfen, aber leider seien in der Nazi-Zeit alle Bestände entschädigungslos enteignet worden. Was ich haben will, hat man nicht.

    Im Volksmund nennt man diese Handlungsweise „Jemanden verladen". Aber: Wenn so eine Bitte so beantwortet wird, dann liegt die Verantwortung für den Inhalt dieses Schreibens nicht bei einem einzelnen ZJ, sondern Stil und Inhalt hat die ganze Leitung der WTG zu verantworten.

    1966 nutzte ich die Gelegenheit einer Tagung in Frankfurt zu einem unangemeldeten Besuch im Bethel Wiesbaden-Dotzheim. Ein Kollege war auch dabei.

    An der Pforte nannten wir unsere Namen und wünschten die Anlage zu sehen.

    Gern zeigte uns ein Führer alles, was er für wichtig hielt: ZJ bei ihrer Arbeit, Druckerei und Setzerei, den Speisesaal und anderes. Fast am Ende des Rundganges fragte ich, ob es hier nicht ein Lesezimmer gäbe mit den Schriften der WTG, eine Bücherei also. „Ja, ja, antwortete er, „ich werde sie Ihnen gerne zeigen. Da sah ich dann die alten Bücher, die die Nazis enteignet hatten oder eben doch nicht:

    Da waren alle Wachtturm-Ausgaben in deutscher Sprache, gerade die, die ich hatte auswerten wollen. Auf meiner Frage hin durfte ich das eine oder andere in die Hand nehmen und stellte fest: Gerade die für mich wichtigen Jahrgänge um 1914 und 1925 herum standen hier, offenbar oft gelesen. - Dann war die Besichtigung vorbei.

    Einen besseren Test auf die Wahrheitsliebe und die Glaubwürdigkeit der alten Dame Wachtturm Bibel- & Traktat-Gesellschaft kann es gar nicht geben.

    Im September 1997 begegnete ich bei zwei Tagungen, veranstaltet von der WTG auf der Wewelsburg und in Hamburg, mehrfach hohen Funktionären der WTG, darunter einem Mitglied der Leitenden Körperschaft der ZJ, angereist aus New York. Meine neuen Bekannten kannten mein Forschungsergebnis über die Leiden der ZJ im Dritten Reich und die positive Bewertung des Martyriums. Sie ermutigten mich, meine Bitte um Einsichtnahme in ältere, meist in Millionenauflage unter das Volk gebrachte Bücher zu erneuern. Ich bat ja nicht um Einsicht in interne Akten oder Briefe in den Archiven.

    Das Schlusswort in dieser Sache ist das Schreiben von Herrn Wolfram Slupina von der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit der ZJ in Selters:

    „Wir können verstehen, dass Sie es bedauern, nicht mehr in ältere, nicht mehr angebotene Literatur Einsicht nehmen zu können. Auch viele unserer Mitgläubigen haben an älterer Literatur großes Interesse. Sie wird jedoch nicht mehr nachgedruckt, noch gibt es bei uns einen Kopierservice. Wir sind überzeugt, dass der Erfolg Ihrer Arbeit durch diese Umstände nicht beeinträchtigt wird. Auch weiterhin können Sie gern die aktuellen Publikationen unserer Religionsgemeinschaft erhalten, die wir der interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen"

    (Brief vom 4. Jan. 2000 an mich).

    Schön, endlich einmal WTG-Post zu bekommen, die nicht nur unterstempelt und ohne Unterschrift ist.

    Eine ähnliche Erfahrung mit der WTG beschreibt Horst Knaut im Buch „Profeten der Angst"¹¹.

    Diese typische Verweigerungshaltung der WTG wirft Fragen auf:

    Was ist in den alten Texten von Russell und Rutherford so schlimm, dass Funktionären das Verschweigen der beste Ausweg ist?

    Russell starb 1916, sein Nachfolger 1942. Welchen Schaden will die WTG abwenden, wenn sie ihre eigene Vergangenheit im Dunkeln lässt?

    Für die Erforschung der Frühgeschichte dieser RG gilt gegenwärtig:

    Die literarische und schriftliche Hinterlassenschaft Russells hat die WTG in ihren Archiven und gewährt unabhängigen Forschern keinen Zugang.

    In meiner Dissertation habe ich gezeigt, dass alle Angaben über Russells Anfänge und seine Entwicklung in seinem Bibelverständnis auf der inhaltlichen Auswertung seines Aufsatzes „Ernte-Sammlungen und -Sichtungen" stammen. Veröffentlicht im WT Oktober 1916, also 1 Monat vor seinem Tod.

    Wie die Memoiren mancher Politiker haben Russells Erinnerungen noch heute hohen Quellenwert, aber auch unübersehbare Schwächen. Seine Leser erfahren: Er hat eigentlich alles richtig gemacht, und eigentlich sind ihm keine großen Fehler unterlaufen, so ist ihm sein Werk geglückt. Was nicht in diese Rückschau passt, verschweigt er¹².

    Dies vortreffliche Selbstbildnis wird etwas korrigiert durch Bücher, die die WTG in apologetischer Absicht auf den Markt brachte. Marley Cole hat Russell in Schutz genommen gegen Presseangriffe und hat darum auch einige Skandale im Privatleben Russells kurz beschreiben müssen. Uns stehen heute diese Presse-Artikel nicht mehr zur Verfügung. So hat das Cole-Buch, obwohl es diese Skandale möglichst knapp schildert, in diesem Bereich Quellenwert. Mit Schweigen werden die frühen Endzeit-Berechnungen Russells übergangen.

    Wir wissen noch immer nicht, was in Russells Frühschriften wie HERALD OF THE MORNING oder THREE WORLDS ausgesagt wurde. In einem Buch von 1993 hat die WTG dazu in unklarer Form Inhalte angedeutet. Hierzu braucht man Einsicht in die Erstausgaben¹³.

    Wer immer die Geschichte der RG der Zeugen Jehovas erforscht, muss mit Russells Schrifttum beginnen. Das gilt trotz der Tatsache, dass sich die WTG von den meisten Ansichten Russells getrennt hat. Er muss in Rechnung stellen, dass viele Aussagen Russells in mehreren Fassungen vorliegen. Doch sind spätere Auflagen derselben Schrift nicht als zweite oder revidierte Auflage ausgewiesen.

    Besonders gilt das von seinem Hauptwerk, den sechs Bänden seiner Schriftstudien. Seine meisten Zukunftsvisionen, vor allem das Jahr 1914/1915 betreffend, sind in Russells Todesjahr 1916 mehr schlecht als recht mit den bis dahin bekannten Tatsachen harmonisiert worden. Nicht nur einmal werden seine Prophezeiungen ins pure Gegenteil verkehrt. Diese heimlichen Änderungen betreffen besonders Zukunftsaussagen in den Schriftstudien-Bänden II, III und IV. In meiner Dissertation 1971 ist das nachgewiesen und von Forschern wie Twisselmann, Stuhlhofer und von Süsskind überprüft und für richtig befunden worden und in ihre Texte eingegangen.

    Ein Problem ist für jeden Historiker der Zugriff auf die Quellen des ersten Jahrhunderts WTG-Geschichte; nach 1916 von der WTG abgesplitterten Gruppen - wie etwa „Tagesanbruch oder andere „Russelliten - haben Neuauflagen der meisten Bände herausgebracht. Meist in der letzten Revision Russells¹⁴.

    Ein Sonderfall ist der unter C.T. Russells Namen stehende Band VII der Schriftstudien.

    Die inhaltlichen Probleme dieser Schrift behandeln wir in § 18. Hier sei nur gesagt, dass viele BF nach Russells Tod (1916) dies Buch nicht als authentisches Werk des Toten anerkennen - wohl zu Recht. Deshalb haben die von der WTG sich trennenden RG dies Buch nie als „echten Russell" anerkannt und darum auch nie neu abgedruckt.

    Ein weiterer, wichtiger Text der WTG ist Rutherfords Broschüre von 1920: „Millionen jetzt Lebender werden nie sterben" - wichtig, weil sich hier Rutherford als Weltuntergangsprophet versucht¹⁵. So gibt es für die im Buch stehende Weissagung Rutherfords zu 1925 mehrere Textfassungen. Doch in diesem Fall: der gleiche Inhalt.

    Ab Mitte der zwanziger Jahre des 20. Jhds. entwickelt sich Präsident Rutherford zu einem religiösen Autor mit Massenauflagen, die in der WTG an die Anhänger verkauft werden, die ihrerseits das Schrifttum bei den missionarischen Einsätzen verkaufen sollen. Diese Broschüren und Bücher werden in viele Sprachen übersetzt und erreichen Millionen-Auflagen.

    In Rutherfords Präsidentschaft (1917-1942) fällt die Gründung von drei periodisch erscheinenden Schriften.

    Awake! (Erwachet!) (Ursprünglich: The Golden Age - Das Goldene Zeitalter). Erstausgabe englisch: 1.10.1919.

    Erstausgabe deutsch: 1.1.1922.

    Die Jahrbücher der ZJ (Yearbooks) erscheinen seit 1927 mit Statistiken über Literaturabsatz, Hausbesuche und Entwicklung der Mitgliederzahlen.

    Der Königreichdienst (Kingdom ministry) erscheint ab 1917 und wird nur intern an die Verkündiger abgegeben.

    Nach Rutherfords Tod (1942) erscheinen die von der WTG „freigegebenen Bücher" und sonstigen Schriften nur noch anonym.

    Sie wurden bis etwa 1990 verkauft und heute - finanziert durch Spenden - kostenlos an die interessierten Leser abgegeben.

    Nur ein einziges Mal noch spielt bei einem von der WTG verfassten Buch eine zweite Auflage und Textfassung eine zentrale Rolle.

    Diese wichtige Ausnahme ist das 1946, also 1 Jahr nach dem 2. Weltkrieg veröffentlichte Buch: „Let God Be True (deutsche, in den USA gedruckte Ausgabe von 1948: „Gott bleibt wahrhaftig). Der Grund für die zweite Auflage ist ein einziger Satz auf Seite 224: „Viele ihrer Leiden (gemeint sind die Juden) haben sie sich durch ihre Geschäftemacherei und ihr rebellisches Handeln zugezogen".

    Die von der WTG veranlasste zweite Auflage hat eine wichtige Vorgeschichte. Ihre Bedeutung macht schon der Umstand klar, dass keine der früheren von der WTG vertriebenen Russell- und Rutherford-Schriften auf die inhaltlich schwerwiegenden Textänderungen hinweist, die die von mir genannten Bücher enthalten. Hier, bei „Gott bleibt wahrhaftig", ist der Begriff ZWEITE AUFLAGE sogar auf den äußeren, andersfarbigen Buchdeckel aufgedruckt. WARUM?

    Ob nun erste oder zweite Auflage - auf unbefangene Leser wirkt dieses Buch von immerhin 350 Seiten Umfang wie ein vollständiger Abriss der Lehre der ZJ. In 24 Kapiteln werden Glaubenswahrheiten der ZJ behandelt. So gelesen ist es ein Katechismus der WTG.

    Diesen Eindruck unterstreicht nachdrücklich das von der WTG veranlasste, 1956 in Englisch und Deutsch erschienene Buch von Marley Cole: Jehovas Zeugen. Die Neue-Welt-Gesellschaft. Geschichte und Organisation einer Religionsbewegung¹⁶. Cole schreibt über die ZJ brav und bieder: „Im Jahre 1946 erschien ihr klassischer Bibelkommentar „Gott bleibt wahrhaftig!", der 24 grundlegende Lehren der Bibel umfasst. 1952 brachten sie eine Neubearbeitung des Buches heraus, denn in den vier dazwischenliegenden Jahren hatte sich ihr Verständnis bezüglich einiger dieser Lehren durch weitere Bibelforschung vertieft (S. 74).

    „Lehren, durch weitere Bibelforschung vertieft? - ich will weitere Bibelstudien der WTG nicht ausschließen, doch der allein entscheidende Grund für diese auffällige ZWEITE AUFLAGE sind nicht Bibelstudien. Den entscheidenden Grund finden wir in der Weglassung des Satzes auf Seite 224 der Erstauflage. Die Zweitauflage erwähnt mit keinem Wort den antisemitischen Satz, wonach sich die Juden durch Geschäftemacherei und „rebellisches Handeln (was ist das?) viele ihrer Leiden selbst verdient haben. Wohl als göttliche Strafe, wie der Leser denken soll.

    Zu der Erkenntnis, dass dieser Satz antisemitisch und darüber hinaus äußerst unmenschlich ist, ist der anonyme Verfasser dieses Textes kaum durch vertieftes Bibelstudium gekommen. Die entscheidende Nachhilfe im Denken und Mitgefühl haben wohl Interventionen jüdischer Rechtsanwälte in Vertretung jüdischer Organisationen geleistet.

    Man muss diesen Satz im zeitlichen Kontext lesen. 1945 war der Krieg in Europa zu Ende. Zur Hinterlassenschaft des Dritten Reiches gehörten die mit jüdischen Häftlingen gefüllten KZ.

    Millionen Juden in Gaskammern und Hungerlagern ermordet. In diesem historischen Kontext schreibt ein Anonymus 1946 den Satz über die Strafe der Juden und widmet zudem dies Werk „dem Höchsten, einem Gott der Wahrheit"! (S. 3)

    Die WTG sperrt sich noch heute gegen die Erkenntnis, dass dieser Satz antisemitisch ist¹⁷. Aber sie tat - 1952, also nach jahrelangem Zögern und Sich-Sperren - das, was amerikanisches und deutsches Presserecht als Gegendarstellung fordern: Sie entfernte aus der Zweitauflage den unheilvollen Satz ersatzlos und erklärungslos - und versteckte die verlangte Änderung, indem sie in anderen Kapiteln des Buches ohne zwingende Notwendigkeit weitere Textänderungen vornahm. So konnte die ZWEITE AUFLAGE den Lesern, in der Regel also den ZJ, ohne viele Worte als „Neues Licht" verkauft werden.

    Mit Marley Coles Buch haben wir ein Werk zitiert, das ganz sicher nicht zu den Büchern über die ZJ gehört, wo es dann als „unkritisch-positiv" einzuordnen wäre, sondern ein von der WTG inspiriertes und als versteckte Werbung gedachtes, das Image der ZJ positiv beeinflussendes Geschichtswerk sein soll¹⁸.

    Damit gehört Marley Coles Buch zu einem neuen Quellentyp:

    B: Bücher, die nicht von der WTG verlegt werden, aber in ihrem Auftrag herausgegeben werden:

    Zu den Publikationen dieser Gruppe rechnen wir auch Filme und Dokumentationen, die für den unersättlichen Bedarf von Presse, Rundfunk und vor allem Fernsehen mit Hilfe und Informationen der WTG erstellt worden sind. Dazu rechnen wir zum Beispiel die auf Veranlassung der in Brooklyn, N.Y., USA beheimateten Watchtower Society produzierte Videodokumentation: Standhaft trotz Verfolgung - Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime" (1997).

    Oft ist bei den Werken dieser Gruppe die Urheberschaft der WTG kaum oder - wie bei Cole - gar nicht erkennbar. Das gilt für alle Medien.

    Eine Quelle ersten Ranges ist DER GEWISSENSKONFLIKT von Raymond Franz¹⁹

    Auf der Titelseite steht: „Ein ZJ berichtet. Aber auch: „Raymond Franz, ehemaliges Mitglied der Leitenden Körperschaft der ZJ.

    Wir ergänzen die Mitteilungen über den Autor: „Als er schrieb, war er ZJ. Immer bleibt er Neffe des Vizepräsidenten und dann des Präsidenten der WTG Frederick William Franz. R. Franz begann als einfacher ZJ und arbeitete sich hoch in das Leitungsgremium dieser RG: In dieser Funktion erlangte er ein spezielles Wissen über Interna, die sorgfältig vor der Öffentlichkeit und den normalen Anhängern verborgen gehalten wurden. So enthält das Buch unverzichtbare Informationen aus der „Regierung dieser RG.

    Natürlich ist das Buch voller brisanter Enthüllungen ein „rotes Tuch" für die Leitung der WTG geworden. Sie warnt auch die ZJ vor dem Lesen.

    So gehört dieses Memoiren-Werk auch zu einer ganz anderen Information. Wichtige Bücher über die ZJ sind

    Erinnerungen ehemaliger Amtsträger dieser RG.

    Diese Ehemaligen waren nie in einflussreichen Posten wie Raymond Franz. Es waren Sonderpioniere wie William J. Schnell oder v. Süsskind oder Versammlungsdiener wie H.J. Twisselmann. Also Männer oder Frauen an der Basis. Ohne besonderen Einfluss, ohne sensationelle Informationen. Öfter sind es Lebensberichte von ZJ, die nicht als Erwachsene Zugang zu den ZJ gewonnen haben, sondern die ZJ in zweiter Generation sind, also in eine ZJFamilie hineingeboren sind.

    Das Besondere dieser Berichte von Ehemaligen sind selten bisher nicht veröffentlichte Schriftstücke oder der Forschung unbekannte Quellen. Der Reiz dieser Lebens- und Leidensgeschichten sind die Einblicke, die Außenstehende über den Alltag von ZJ in Haus und Familie, in Beruf und Zeugnisgeben und Glaubensleben der Mitglieder der WTG gewinnen.

    Oft künden schon die Buchtitel von Erfahrungen, die im Rückblick die Abwendung von dieser RG bestimmt haben. Die Druckerzeugnisse der WTG sind die Theorie des Glaubens - die Praxis dieses Glaubens fordert einen teuren Preis. Viele ZJ zahlen ihn gern. Andere zerbrechen daran. „Die Wahrheit über die ZJ" ist also die stark Ich-bezogene Sicht von Abtrünnigen.

    Diese Opfer erzählen ihre Opfer an Kraft, Zeit, Geld, die sie einst gern, oft im Übermaß - und doch unter sozialer Kontrolle eingebracht haben in den Opfergang von Jahrzehnten²⁰.

    Die zunehmende Zahl der Berichte von Ex-ZJ soll eine Sache nicht verschweigen: Weltweit wächst die Zahl der ZJ stetig, einige Jahre wie 1925/1926 oder 1975/1976 ausgenommen. Das verraten uns die JAHRBÜCHER DER ZEUGEN JEHOVAS (YEAR-BOOKS). Mit viel Liebe zur Statistik und fast ohne Informationen über Vermögen und Spendenaufkommen²¹.

    Immerhin dürfte die WTG weltweit längst ein Milliarden-Vermögen haben. Wer meint, diese Gelder kämen vor allem den hauptamtlich tätigen ZJ an der Basis zu, irrt sehr. Oft müssen Angehörige oder Freunde den Bethel-Arbeitern oder Vollzeitpionieren mit Geld aushelfen²².

    Wir stellen einige Ehemaligen-Berichte vor:

    Eva-Maria Kaiser und Ulrich Rausch²³ präsentieren dem Leser sechs Einzelschicksale. Nach Meinung der Autoren gewähren sie tiefe Einblicke in die menschenverachtenden Strukturen dieser RG. Wir lesen also die Motive, die zur Abwendung von der Kirche, der Hinwendung zu den ZJ und danach zum Verlassen der WTG führen. In diesem Buch und einigen anderen begegnet uns ein Hauptmotiv dieser Konvertiten-Literatur: die ABRECHNUNG mit dem „Leben von einst".

    Hans-Jürgen Twisselmann und Günther Pape waren ZJ und werden danach aktiv für die Kirchen, zu denen sie nach der Trennung von den ZJ gehören. Twisselmann wird evangelisch-lutherischer Pastor und gründet für Sektenopfer den „Bruderdienst". Pape wird für die katholische Kirche tätig und leitet ebenfalls eine Anlaufstelle für Sektenopfer. Beide wirken auch durch ihr viel gelesenes Schrifttum.

    Mit Josy Doyon begegnet uns mit ihrem Erstlingswerk 1966 zuerst eine Frau, die ZJ wird und ihre neuen Glaubensgeschwister als „Hirten ohne Erbarmen erlebt. Es folgt das Fazit: „Ich war eine ZJ.

    W.J. Schnells Buch: „Falsche Zeugen stehen wider mich. 30 Jahre Sklave des Wachtturms ist der Anfang dieser Konvertitenliteratur und blieb- bis zum Erscheinen des „Gewissenskonfliktes von R. Franz - das Werk, das Außenstehenden die genauesten Einblicke in interne Abläufe der WTG gestattete. Vor seiner Trennung von der WTG war er Sonder-Pionier und Zonen-Diener, also die längste Zeit seines Lebens als ZJ, hauptberuflich und schlechtbesoldet für diese RG tätig. Sein Schlusswort:

    „Mein Sklavenleben möge ihnen eine Warnung sein. Ich brauchte dreizig Jahre, um wieder frei zu werden".

    Eckhard von Süsskind: „Zeugen Jehovas. Anspruch und Wirklichkeit der Wachtturm-Gesellschaft (1985) ist schon von der Person her interessant. Wie Günther Pape ist der früh verstorbene Autor (1948-1991) ZJ in der zweiten Generation, von Kind auf in diesem Glauben. Nach einer kaufmännischen Lehre wird er Missionar der WTG, erst als Pionier, dann als Sonder-Pionier. Seine Frau sagte mir: „Keiner kann von dieser kleinen Sondervergütung der WTG für diese Arbeiten leben. So tragen seine ZJ-Eltern Kranken-und Rentenversicherung (dafür fühlte sich die WTG nicht zuständig). Zumal die Sondervergütung der WTG Abzüge enthalten kann, wenn das vorgegebene Leistungsziel nicht erreicht wird.

    Er absolviert die „Gilead-Schule in New York", die zentrale Kader-Schmiede der WTG²⁴. Sein Ablösungsprozess von der WTG dauert sieben Jahre, ausgelöst durch ein Verfahren der WTG gegen einen Freund, der nicht predigen konnte: „Nur die ZJ können gerettet werden". Er kündigt der WTG, bevor diese ihn ausschließen kann ...- Danach wird er Krankenpfleger.

    Den Wert seines Buches bestimmen viele Zitate aus WTG-Büchern, zu deren Lektüre heutige ZJ kaum Zugang haben, weil sie kaum zu haben sind und die WTG ihre Bibliothek nicht öffnet. Eine Besonderheit: In einer übersichtlichen Synopse hat v. Süsskind die „Prophezeiungen" für das Jahr 1914 dem gegenübergestellt, was Russell an den gleichen Buchstellen nach 1914 - aber in Kenntnis der realen Fakten - in seine Schriftstudien als angebliche Voraussagen hineinschrieb.

    Geholfen aber haben diese nachträglichen „Verbesserungen" der WTG nicht, aber, wie ihr Schweigen beweist, sie sind ihr peinlich²⁵.

    Mündliche Berichte heute noch aktiver ZJ

    sind eine wichtige Quelle, besonders dann, wenn man sie etwas besser kennt. Zuerst hört man nur die offizielle Meinung, die die WTG empfiehlt. Kennt man sich, kann man auch mal fragen: Wie erziehen sie und ihre Bekannten ihre Kinder? Gewaltfrei, wie es moderne Pädagogen wollen, oder mit Schlägen, wie es der WT immer wieder rät?

    Wie wirkt sich ihre Missionstätigkeit auf ihre Ehe aus? Erträgt das ihr(e) Partner(in)? Auch dann, wenn er/sie einen anderen Glauben oder keinen hat?

    Wie viele Ehen - Zeuge mit Zeugin - werden geschieden? Ist nicht der Alltagstress zu einem gerüttelten Maß daran schuld, dass das Zeugnisgeben keine Zeit mehr lässt für eine private Ehegestaltung? Was heißt für sie „biblisch geschieden, was man in vielen Heiratsanzeigen der Regenbogenpresse lesen kann? Welche Personen entscheiden darüber, ob jemand „biblisch geschieden ist? Die Anzeigensteller dieser häufigen Inserate sind doch wohl noch aktive ZJ, denn diese seltsame Bezeichnung benutzt niemand außer den ZJ²⁶.

    Besondere Quellen und Darstellungen zur Geschichte der ZJ sind auch:

    Schriften von Glaubensgemeinschaften, die ehemals zur WTG gehörten:

    Texte der Kirche des Reiches Gottes

    Texte der Tagesanbruch Bibelstudien-Vereinigung

    Texte der Freien Bibelgemeinde e.V.

    Texte der Laien-Heim Missionsbewegung

    Texte der Menschenfreunde

    Quellenwert haben diese Schriften der Ehemaligen nur deshalb, weil in ihnen die Gegenposition zur WTG-Darstellung zu lesen ist, etwa zum Verlauf des Schismas von 1917.

    Wichtiger ist, dass die russellitischen Gruppen unter diesen Abspaltungen auch Schriften Russells neu abgedruckt und damit eine Nachfrage befriedigt haben²⁷. Außerdem gibt es noch:

    Texte von Glaubensgemeinschaften, die sich in Afrika von der WTG abgespalten haben.

    Dazu gehören die Bamulonda und Kitawala²⁸.

    Wir gehen nicht weiter auf diese Gruppen ein. Es erscheint uns aber der Hinweis wichtig, dass es alles in allem etwa sechzig bis achtzig selbstständige Gemeinschaften gibt, die ihren Ursprung in der WTG und ihren Lehren haben. Damit gehören die ZJ zu den Glaubensgemeinschaften, die neben den Pfingstlern am meisten zur Zerrissenheit der Christenheit in der Neuzeit beigetragen haben.

    Damit kommen wir zu den Gesamtdarstellungen über die ZJ.

    In der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ist es den ZJ gelungen, eine statistische „Schallmauer" zu durchbrechen. Seitdem gibt es eine Millionenschar von ZJ in der Welt. Sie sind in allen Staaten der Welt, auf allen etwas größeren Inseln wenigstens mit einigen Missionaren vertreten.

    Das hat Folgen für die Auseinandersetzung mit ihnen. In Deutschland kämpfen sie seit etwa 1990 um ihre Zulassung als „Körperschaft des öffentlichen Rechts und werden das auch erreichen; denn sie sind eine Gemeinschaft „auf Dauer.

    Die andere Konsequenz ist ihr „Beachtetwerden in der Literatur. Sie haben inzwischen in jedem anspruchsvolleren Konversationslexikon ihren Artikel, sei es als JZ oder als ZJ. Ob Brockhaus, Meyer oder Bertelsmann - sie sind mindestens in einer Kurzdarstellung präsent. Ausgeprägter ist das noch in theologischen Nachschlagewerken. Ob nun das „Lexikon für Theologie und Kirche (katholisch) oder „Religion in Geschichte und Gegenwart (evangelisch) oder im „Evangelischen Kirchenlexikon - die Herausgeber kommen nicht mehr an ihnen vorbei. Das gilt auch für jede Neuauflage dieser Nachschlagewerke²⁹.

    Die Literatur über die Zeugen Jehovas wird dementsprechend auch für die Spezialisten immer unüberschaubarer³⁰.

    In der Gruppe der theologischen Lexika, die alle Religionen, alle Konfessionen und Glaubensgemeinschaften, alle Sekten oder alle Weltanschauungen unter bestimmten Aspekten behandeln, wie immer die Eingrenzung oder Abgrenzung lauten mag, seien wenigstens einige Standardwerke genannt.

    Notwendigerweise ist ihre Darstellung der ZJ extrem zeitgebunden. In der WTG haben wir eine Glaubensgemeinschaft vor uns, die zentrale Glaubensaussagen verschiedentlich geändert hat.

    Denn was die WTG um 1900 als Quintessenz des biblischen Glaubens predigt und in ihren Schriften verbreitet, ist um 1920 unübersehbar anders geworden. Bereits um 1935 hat die WTG ihre Glaubensaussagen wiederum so stark geändert, dass auch in der Sicht ihrer eigenen Anhänger fast das ganze ältere Schrifttum der ZJ nicht mehr als maßgebend betrachtet wird, die aktuellen Ausgaben des WT geben die jeweils neue, ab jetzt gültige Meinung und Bibelauslegung vor. Dieser radikale Wandel im Erscheinungsbild und in der Lehre der WTG ist das zweifelhafte Verdienst der zweiten Präsidenten der WTG namens Rutherford. Nach dessen Tod (1942) ändert sich unter den nachfolgenden Präsidenten der WTG nochmals das Lehrgebäude der WTG und das Erscheinungsbild der ZJ. So wird aus dem totalen Konfliktverhältnis zu allen Staaten der Welt eine allmählich freundlichere Beurteilung. Neue Konflikte tauchen auf wie die Wehrersatzdienstverweigerung oder die Verweigerung der Bluttransfusion. Auch optisch wird einiges anders. Jetzt hat in Deutschland jede Versammlung ihren „Königreichsaal" (so heißen die ZJ-Kirchen). Das signalisiert ein neues Zeitverständnis: Wer das nahe Weltende erwartet, baut sich keine Kirche. Wer sich in der Welt einrichtet, hat bald eine Kirche.

    Diese Veränderungen muss eine anspruchsvollere Darstellung der ZJ-Geschichte berücksichtigen. Sie muss erkennen lassen, dass heutige ZJ einer Glaubenslehre folgen, die es früher so nicht bei der WTG gab.

    Die bekanntesten Standardwerke zur Konfessionskunde sind im deutschen Sprachgebiet:

    Algermissen, Konrad: Konfessionskunde. 7. Aufl. 1957.

    Hauth, Rüdiger: Kleiner Sektenkatechismus. 6. Aufl. 1995.

    Hutten, Kurt: Seher, Grübler, Enthusiasten. 15. Aufl. 1997.

    Obst, Helmut: Apostel und Propheten der Neuzeit. 2. Aufl. 1981.

    Reller, Horst: Handbuch religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen. 6. Aufl. 2008.

    Wichtige Werke nur über die Zeugen Jehovas: (in Auswahl)

    Doyon, Josy: Hirten ohne Erbarmen. Zehn Jahre Zeugin Jehovas - der Bericht eines Irrweges. 2. Aufl. 1979

    Franz, Raymond: Der Gewissenskonflikt. 1988.

    Garbe, Detlef: Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im „Dritten Reich". 3. Aufl. 1997.

    Gassmann, Lothar: Zeugen Jehovas. Geschichte, Lehre, Beurteilung. 2. Aufl. 2000.

    Gebhard, Manfred: Die Zeugen Jehovas. Eine Dokumentation über die Wachtturmgesellschaft. 1970

    Haack, Friedrich-W.: Jehovas Zeugen. 15. Aufl. 1993. In der Münchener Reihe.

    (Dazu viele weitere Publikationen dieses Autors)

    Hellmund, Dietrich: Geschichte der Zeugen Jehovas (in der Zeit von 1970-1920). Mit einem Anhang: Geschichte der Zeugen Jehovas in Deutschland (bis 1970). 1972. - (Dazu weitere Veröffentlichungen).

    Kaiser, Eva Maria / Rausch, Ulrich: Die Zeugen Jehovas - Ein Sektenreport. 1996.

    Knaut, Horst: Propheten der Angst. 1975.

    Köppl, Elmar: Die Zeugen Jehovas - Eine psychologische Analyse. 1985.

    Nobel, Rolf: Falschspieler Gottes - Die Wahrheit über Jehovas Zeugen. 1985.

    Pape, Günther: Ich war Zeuge Jehovas. 5. Aufl. 1978.

    (Dazu viele weitere Publikationen dieses Autors).

    Price, E.B.: Gottes Kanal der Wahrheit - ist es der Wachtturm? o.J.

    Raquet, Sigrid: Keine Angst vor den Zeugen Jehovas. 1998.

    Rogerson, Alan: Viele von uns werden niemals sterben - Geschichte und Geheimnis der Zeugen Jehovas. 1971.

    Schnell, William: Falsche Zeugen stehen wider mich. 1969.

    Süßkind, Eckhard von: Zeugen Jehovas. Anspruch und Wirklichkeit der Wachtturm-Gesellschaft. 1985.

    Twisselmann, Hans-Jürgen: Vom „Zeugen Jehovas" zum Zeugen Jesu Christi. 8. Aufl. 1987. (Dazu viele weitere Publikationen dieses Autors).

    Weber, Herbert / Valentin, Friederike: Die Zeugen Jehovas. Zwischen Bewunderung und Befremdung. 1994.

    Wunderlich, Gerd: Die Paradiesverkäufer. Erfahrungen auf einem Irrweg. 2. Aufl. 1985.

    Dazu eine Monographie:

    Stuhlhofer, Franz: Charles T. Russell und die Zeugen Jehovas. 1990.

    Diese Liste von Veröffentlichungen über die ZJ lässt sich ohne große Mühe um ein Vielfaches verlängern. Davon sehen wir ab.

    So sind die Standardwerke zur Konfessionskunde natürlich auch Bücher, die der Apologetik dienen: der Information über Gemeinschaften und Weltanschauungen, die die Kirchen angreifen und diese zur Antwort und Auseinandersetzung veranlassen. So sind Konrad Algermissen und Friederike Valentin katholisch, Kurt Hutten, Horst Reller, Friedrich-Wilhelm Haack und Rüdiger Hauth evangelisch. Sie alle arbeiteten in Dienststellen, die Informationen über religiöse Gruppen und Weltanschauungen sammeln, für Vorträge in Gemeinden oder für Seelsorgefragen in diesem Bereich zur Verfügung stehen und darüber publizieren.

    Neben dieser „pastoralen Gruppe" der Autoren ist eine zweite Gruppe unverhältnismäßig stark vertreten.

    Nicht weniger als neun der genannten Autoren sind ehemalige ZJ! Nun ist es nichts Ungewöhnliches, dass Konvertiten die Wege und Irrwege ihres Glaubens beschreiben. Kleine Glaubensgemeinschaften haben in dieser

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