Selbstorganisiertes Lernen als Arbeitsform in der Grundschule: Situative Frischkost nach 40 Jahren Arbeitsblatt-Didaktik
By Falko Peschel and Boris Pfeiffer
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Seit fast zwei Jahren arbeitet die Klasse 4a, deren Lernprodukt Gegenstand dieses Berichts ist, nach der Methode des selbstorganisierten Lernens. Eines der Merkmale dieser Lernvariante ist der Verzicht auf Arbeitsblätter. Es geht, nach Maßgabe des Kerncurriculums, oft um selbstbestimmte Lerninhalte. Zur Entwicklung persönlicher Strukturen lernen die Schüler die Planung, Gestaltung, Präsentation und Bewertung von Unterrichtsinhalten. So bauen sie eine Beziehung zu ihren Projekten auf, können sich besser mit der Materie identifizieren und erkennen den Wert und Mehrwert ihrer Arbeit. Das führt zu einer inneren Befriedigung, löst Blockaden vor unbekannten Arbeitsbelastungen und baut Ängste vor scheinbaren Leistungshürden ab. Oft merken die Schüler gar nicht, wie viel sie eigentlich gelernt haben.
Die Recherche von Maiko Kahler zeigt, dass die letzten Untersuchungen bezüglich des Mediums „Arbeitsblatt“ nahezu 20 Jahre zurückliegen. Das verwundert vor allem deshalb, weil Arbeitsblätter aus dem Unterrichtsgeschehen inzwischen kaum wegzudenken sind. Sie werden oft unreflektiert und wie selbstverständlich im Unterricht eingesetzt. Fragwürdig ist diese Praxis besonders deshalb, weil es keine aktuellen Untersuchungen zum Nutzen des Mediums „Arbeitsblatt“ gibt.
Borris Pfeiffer kommentiert auf einfühlsame Weise das entstandene Schüler-Projekt „E.T.E.K.“ und weist dabei auf die Besonderheiten hin, für die es sich lohnt, anders zu arbeiten.
Das Anliegen Falko Peschels ist die Eigenverantwortung der Schüler zu stärken. Der Verzicht auf den Einsatz von Arbeitsblättern spielt auch hierbei eine wichtige Rolle. Einfache Beispiele zeigen, wie Schule unter den gegebenen Voraussetzungen verändert werden kann und welche Chancen das selbstorganisierte Lernen bietet.
Falko Peschel
Dr. Falko Peschel ist Grundschullehrer und Erziehungs-wissenschaftler mit dem Schwerpunkt Theorie und Praxis des Offenen Unterrichts. Er hat Lehraufträge an den Universitäten Bremen, Koblenz und Siegen und ist Mitglied im Kompetenzteam des Landes Nordrhein-Westfalen sowie Gründer und Schulleiter der „Bildungsschule Harzberg“ als Fortbildungseinrichtung für Lehrer sowie als private Ersatzschule im Primarbereich. Seine Suche nach der „verlorenen Offenheit“ hat ihn seit dem Studium an viele Alternativ- und Regelschulen im Inland und Ausland geführt. Diese Erfahrungen und die Erprobung eines herausfordernden Konzeptes Offenen Unterrichts prägen seine Veröffentlichungen.
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Book preview
Selbstorganisiertes Lernen als Arbeitsform in der Grundschule - Falko Peschel
rundschule – Lernen lieben lernen
Herausgegeben von Maiko Kahler
Band 1
Grundschule – Lernen lieben lernen
Die Suche namhafter Autoren gelang auf liebenswerte Weise. Zum einen wollten die beteiligten Schülerinnen und Schüler unbedingt ein eigenes Buch „erschaffen", zum anderen besuchten wir die Autorenlesung von Boris Pfeiffer, bei der die Kinder die Lust am Schreiben geradezu kriminalistisch entdeckten. Allen Schülern danke ich daher für ihre Mühe durchgängig ‚situativ’ gehandelt zu haben und gleichzeitig für ihr Durchhaltevermögen, diese ‚Frischkost’ als Unterrichtsziel selbstorganisierten Lernens mitentwickelt zu haben.
Dankbar bin ich den Eltern, die durch ihr Vertrauen die Entwicklung dieser Klasse erst ermöglicht haben und dazu beitrugen, dieses Buchprojekt zu realisieren.
Besonders danken möchte ich Boris Pfeiffer, durch dessen Unterstützung die Schüler ihre eigenen Ziele noch effektiver weiterentwickeln konnten. Schließlich wachsen Kinder nicht schneller, wenn man an ihnen zieht, sondern wenn sie das Lernen lieben lernen und sich selbst besser organisieren können.
In Freundschaftsbücher soll man immer sein Vorbild eintragen, was mir an dieser Stelle sehr leicht fällt. Hiermit möchte ich mich bei Falko Peschel für seinen Beitrag, seine Vorstellungen und Ideale bedanken, die auch mir jeden Tag helfen, Schule als das begreifen zu können, was mir wichtig ist.
Dieses Buch dokumentiert einen Teil der Arbeitsweise der Schülerinnen und Schüler. Wirkt es anfänglich vielleicht ungewohnt, für sein Lernen selbstverantwortlich sein zu müssen, so soll es am Ende plötzlich eine Selbstverständlichkeit sein. Die ergänzenden Beiträge sollen Mut machen, auch ohne Arbeitsblätter diese Unterrichtsziele von Anfang an im Blick zu haben.
Langenhagen im Januar 2012
Der Herausgeber
Inhalt
Maiko Kahler
Vorwort
Boris Pfeiffer
Einführung
Maiko Kahler
Entwicklung von Arbeitsblättem
Theoretische Grundlagen
Definition von Arbeitsblättem
Die Wurzeln der Arbeitsblatt-Praxis
Denkendes Papier: Das Formular
Das Reichs-Arbeitsblatt
Formularkunde: Das Postschulzimmer von 1927
Formularkriterien als Hilfen für eine Arbeitsblatt-Optimierung
Denkende Menschen: Gaudigs Arbeitsschule der Selbsttätigkeit
Vom Umdrucker zum Personal Computer
Klasse 4a
E.T.E.K
Kapitel 1: Emily und Emma
Kapitel 2: Tim
Kapitel 3: Karl
Kapitel 4: Die Klasse 5e
Kapitel 5: Verschwunden
Kapitel 6: Gefunden und gegründet
Kapitel 7: E.T.E.K
Kapitel 8: Ausflug nach Hameln
Kapitel 9: Das Sumpfmonster
Kapitel 10: Gefangen
Kapitel 11: Unerwartet
Kapitel 12: Befreiung
Kapitel 13: Rückkehr
Kapitel 14: Chilien
Kapitel 15: Die Klasse 6
Kapitel 16: Abschiedsfeier
Kapitel 17: Das Leben danach
Falko Peschel
Das beste Arbeitsblatt … ist das leere Blatt
Vom Arbeitsblatt zur Eigenproduktion
Organisatorische Öffnung – geschlossene Arbeitsblattdidaktik
Methodische Öffnung – offene Reisetagebücher
Inhaltliche Öffnung – individuelle Eigenproduktionen
Selbstverantwortung zulassen
Literaturverzeichnis
Über die Autoren
Maiko Kahler
Vorwort
Lernen lieben lernen, unter diesem Motto konnten sich die Schüler und Schülerinnen des vorliegenden Klassenprojektes zu Beginn unserer Arbeit noch nicht so viel vorstellen. Undenkbar also, sollte man meinen, dass am Ende der Grundschulzeit dann doch noch so ein tolles Ergebnis entstehen konnte. Vor der eigentlichen Schülerproduktion, einer Geschichte von Jugendlichen, die einige Abenteuer erleben und sich E.T.E.K. nennen, steht die didaktische Darstellung der Unterrichtskonzeption, die dieser Arbeit zugrunde liegt. Hierbei handelt es sich schwerpunktmäßig um einen Praxisbericht, der als Dokumentation für Schüler, Eltern und alle weiteren Interessierten dient. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Darstellung selbstorganisierten Lernens ohne Arbeitsblätter. Dazu wird die Geschichte des Arbeitsblattes nachgezeichnet und gleichzeitig werden von Falko Peschel die Möglichkeiten aufgezeigt, die sich ohne den Einsatz von Arbeitsblättern ergeben.
Die vorangegangenen Erfahrungen zeigen, dass selbstorganisiertes Lernen immer dann stattfinden kann, wenn Schüler motiviert an ihren Projekten arbeiten. Einmal mehr geht es darum, die Wünsche der Kinder mit ihrem vorhandenen Wissen zusammenzuführen und mit der Realisierung eines konkreten Projektes zu verknüpfen (vgl. Kahler 2002, S. 26). Das vorliegende Ergebnis in eben diesem Sinne kann möglicherweise deshalb als Blaupause dafür dienen, wie ähnlichen Herausforderungen, beispielsweise bei inklusiven Unterrichtsformen, zukünftig begegnet werden kann. Dann ist es notwendig, „sich von den althergebrachten Arbeitsblättern zu lösen und neue Wege zu gehen (Peschel in diesem Bd., S. 84), wie beispielsweise das E.T.E.K.-Projektergebnis der Klasse 4a zeigt. Peschel unterstreicht, dass man den Kindern nicht durch gesteuerte Beschäftigungen die lehrplangeforderte Möglichkeit zum selbstorganisierten Lernen nehmen sollte. Die Überfrachtung mit pädagogischen Angeboten bewirkt ansonsten genau das Gegenteil, nämlich den Entzug der Schülerverantwortung für das eigene Lernen (vgl. ebd.).
Die Vision selbstorganisierten Lernens ohne Arbeitsblätter prägt die Arbeit in dieser Klasse seit dem 3. Schuljahr. Dabei herrschte in der Gruppe phasenweise ein etwas „ruppiges" Klima, wobei das Lernen scheinbar oft in den Hintergrund geriet. Vordergründig wurden vielfältige Konflikte ausgetragen, deren Ursachen im Nachhinein profan wirkten, in der jeweiligen Situation aber durchaus ihre Berechtigung fanden. Erschwerend kam hinzu, dass fünf Schüler mit ADHS-Diagnose die Klasse besuchten. Fast entschuldigend klingt es dann, dass Lehrer im Rahmen ihrer Ausbildung nur auf die Durchführung scheinbar guten Unterrichts vorbereitet werden und weniger auf schwierige Schüler! Im Hinblick auf das Ergebnis stellte diese Situation schon deswegen eine nicht seltene, aber dennoch besondere Herausforderung dar.
Fast zwei Jahre arbeitet die Klasse nun nach der Methode des selbstorganisierten Lernens ohne Arbeitsblätter. Nach Maßgabe des Kerncurriculums geht es dabei oft um Eigenproduktionen von Unterrichtsinhalten. Zur Entwicklung persönlicher Strukturen lernen die Schüler die Planung, Gestaltung, Präsentation und Bewertung von Unterrichtsinhalten. So bauen sie eine Beziehung zu ihren Projekten auf, können sich mit der jeweiligen Materie besser identifizieren und erkennen den Wert und Mehrwert ihrer Arbeit. Dies führt zu einer inneren Befriedigung, löst Blockaden vor unbekannten Arbeitsbelastungen und baut Ängste vor scheinbaren Leistungshürden ab. Oft merken die Schüler gar nicht, wie viel sie eigentlich lernen. Eine Äußerung stand sinnbildlich für die Gefühle vieler Schüler: „Wir möchten endlich richtig lernen! Wir schreiben nur Geschichten, präsentieren unsere Arbeiten, verfassen Handouts, analysieren unsere Lernfortschritte und zensieren sie auch noch! Aber wir haben das Gefühl, nichts gelernt zu haben."
Eine veränderte Lern- und Lehrkultur scheint eine Erklärung für die Meinung der Schüler zu sein. Bis zum Ende der zweiten Klasse waren den Schülern die Prinzipien selbstorganisierten Lernens fremd, und auch für die Eltern stellten die neuen Unterrichtsformen