Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Orlandos Erzählungen: Warum liebest du mich in Atlantis?
Orlandos Erzählungen: Warum liebest du mich in Atlantis?
Orlandos Erzählungen: Warum liebest du mich in Atlantis?
Ebook544 pages13 hours

Orlandos Erzählungen: Warum liebest du mich in Atlantis?

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Durch einen glücklichen Umstand erhielt die Lokalredakteurin der Morgenpost, Conny Müller, einen Interviewtermin bei dem Philantropen Orlando Heart.
Was sie während des Interviews erfährt, sprengt ihre bisherigen Einstellungen zum Leben. Orlando Heart berichtet von der ewigen Verbindung der Seelen, spricht von Dualseelen und beschreibt in seiner Erzählung die Liebe zwischen Artos und Susan, einem Paar das vor mehr als 200.000 Jahren in der atlantischen Hochkultur lebte. Dieses Seelenpaar war von Anfang der Zeiten füreinander bestimmt und wirkte als Teil einer altüberlieferten Prophezeiung in Atlantis.
Er schildert die sich entwickelnde Liebe zwischen Artos und Susan. Conny Müller gerät immer mehr in die Faszination dieser tiefen Liebe. Schließlich glaubt sie, sich als Seele der Susan zu erkennen. In ihr flammen spontan starke Gefühle der Zuwendung und Liebe zu Orlando Heart auf, der sich als Inkarnation von Artos sieht. Doch nach einer Phase der Begeisterung wird Conny mit ihren unbewussten Kindheitsängsten konfrontiert. Sie glaubt nicht mehr an ihre eigene Stärke und an ihre Gefühle zu Orlando Heart.

In diesem Roman beschreibt der Autor einen Teil seiner Erinnerungen an eine frühere Existenz in Atlantis.
Die Reinkarnationlehre, das Wissen um die ständige Wiederkehr der Seelen, liegt auch diesem dritten Buch von Roland S. Herzhauser zugrunde. Es schildert u.a. die Hoch- und Tiefphasen der Gefühle, denen sich wiederfindende Seelen ausgesetzt sehen.
LanguageDeutsch
Release dateOct 26, 2011
ISBN9783844850888
Orlandos Erzählungen: Warum liebest du mich in Atlantis?
Author

Roland S. Herzhauser

Roland S. Herzhauser, geboren 1946, absolvierte nach dem Studium der Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftspsychologie die Ausbildung zum Heilpraktiker. Seit 1978 ist Roland S. Herz-hauser in eigener Praxis mit Schwerpunkt Reinkarnationstherapie und Hypnoseverfahren tätig. Persönliches Interesse führte ihn schon in seiner Jugend zur Reinkarnationstheorie. Diese Theorie zu erforschen und Erfahrungen darüber zu sammeln, stellte er in den Vordergrund seiner Therapien. 2011 erschien von ihm bereits der Roman »Orlandos Erzählungen – Warum liebtest du mich in Atlantis?«.

Read more from Roland S. Herzhauser

Related to Orlandos Erzählungen

Related ebooks

General Fiction For You

View More

Related articles

Reviews for Orlandos Erzählungen

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Orlandos Erzählungen - Roland S. Herzhauser

    Therapien.

    KAPITEL 1

    Conny Müller stand startbereit in der Diele ihrer Wohnung. Sie musste in die Redaktion und betrachtete sich noch kurz im großen Garderobenspiegel. Ihr blickte eine einsachtundsechzig Zentimeter große, schlanke Frau entgegen. Schulterlange, dunkelblonde, natürliche Locken umschmeichelten ihr gleichmäßiges, schlankes Gesicht. »Zweiundfünfzig Kilogramm wiege ich. Ich bin mit mir zufrieden«, dachte sie und drehte sich kurz um die eigene Achse. Sie war an diesem Morgen in bester Stimmung. »Heute ist der 24. August 2005 und ich habe es geschafft, einen Termin bei Orlando Heart zu bekommen. Das ist eine Leistung! Dieser Eigenbrötler gab mir, ja mir, den Interviewtermin!«, summte sie wohlgemut vor sich hin.

    Beschwingt verließ sie ihre Wohnung. Sie fand, die Sonne strahlte besonders hell an diesem Morgen. Die warme Morgenluft trug wohlriechendes Lavendelaroma von der nahe gelegenen Gärtnerei zu ihr. Der Duft erfrischte und belebte sie. Ihr schien, als nickten ihr die alten Bäume der Allee, die sich vor ihrer Wohnung befanden, freundlich gesinnt zu. Der verbeulte Briefkasten an der Straßenkreuzung wurde gerade von einer alten Dame abgewischt, die Müllmänner waren mit ihrem großen Müllwagen schon unterwegs und leerten bereits die bereitgestellten Mülltonnen. Als sie Conny sahen, pfiffen sie laut und winkten Conny zu. Diese lächelte ihnen zu und hob jovial kurz ihre Hand. Alle Leute, die Conny auf dem Weg zu ihrer Arbeit begegneten, schienen gut gelaunt. Die Welt zeigte sich an diesem Morgen von ihrer schönsten Seite. Viel zu schnell tauchte vor ihr das Zeitungsgebäude auf. Schwungvoll betrat sie ihr Büro in der Lokalredaktion im dritten Stockwerk der »Morgenpost«, der angesehensten und meistgelesenen Zeitung der Region. Sie warf sich auf ihren Schreibtischsessel und blickte mit ihren grünen Augen herausfordernd zu Margit Sommer, mit der sie ihr Büro teilte, hinüber. Margit ist nicht nur ihre Arbeitskollegin, sondern auch ihre Freundin und ebenfalls wie Conny achtundzwanzig Jahre alt.

    Margit Sommer, deren Schreibtisch in seiner Front an den von Conny Müller anschloss, erwiderte gespielt gelangweilt Connys nonverbale Aufforderung. Margit war ebenfalls 168 Zentimeter groß, mittelschlank, brünette Haare in Pagenschnittform umrandeteten das mädchenhafte Gesicht Margits. Schließlich raffte sich Margit auf und lehnte sich über ihren Schreibtisch zu Conny rüber.

    »Na los, erzähle, du platzt ja gleich! Wieso hast du heute so eine gute Laune? Hast du etwas Besonderes vor?«

    »Ich kam heute per pedes«, wich Conny der Frage ihrer Freundin aus.

    »Ist dein Auto kaputt?«

    »Nein, gestern ließ ich es in der Tiefgarage hier im Haus stehen. Franz Nieling, der kleine dicke Kollege aus dem Feuilleton, brachte mich nach der gestrigen Redaktionssitzung nach Hause.«

    »Wie nach Hause?«

    »Mit seinem Auto bis an die Bordsteinkante vor meiner Haustür.«

    Margit atmete betont deutlich aus.

    »Ach so, ich dachte schon, du würdest an Geschmacksverirrung leiden.«

    »Du bist und bleibst ein Scherzkeks«, antwortete Conny Müller. Angestrengt blickte sie auf den Bildschirm ihres Laptops und warf von unten heraus einen vorwurfsvollen Blick auf Margit Sommer.

    »Nein, noch habe ich meine fünf Sinne beieinander.«

    »Liebes, darf ich dich daran erinnern, dass du meiner Frage, ob du etwas Besonderes vorhast, gerade ausgewichen bist. Ich kenne dich – also?«

    »Ich weiß, du lässt nicht locker, ich kenne dich ja auch. – Oh, etwas ganz Besonderes!«

    »Wie, etwas ganz Besonderes?«, äffte Margit Sommer ihre Freundin nach. »Was heißt das bitte? Hast du endlich einen netten Menschen, meine Mann, kennengelernt, der deinen übersteigerten Anforderungen genügt?«

    Conny Müller schaute ihre Freundin sichtlich amüsiert an.

    »Ja und nein. Alles nur noch viel besser. Ich habe morgen, genau gesagt um 15:30 Uhr, ein Interview mit Orlando Heart.«

    »Mit dem Orlando Heart in unserer Stadt?«

    »Ja!«, triumphierend blickte Conny Müller ihre Freundin an.

    »Hast du nicht!«

    »Habe ich doch!«, antwortete Conny mit offensichtlicher Freude in ihrer Stimme.

    »Das heißt, du hast erreicht, worum sich unser ›geliebter‹ Chefredakteur seit Jahren bemüht und immer wieder eine Absage erhielt? Mit dem eigenbrötlerischen Menschen Orlando Heart hast du morgen Nachmittag ein Interview, mit dem Typen, der von unserem knochigen Chefredakteur als ›arroganter, unnahbarer, neureicher, fast alter Sack‹ beschrieben wurde?«

    »Ja!«

    »Wie kam das zustande? Wie hast du das erreicht? Du hast ihm doch nicht den Kopf verdreht? Ich weiß, das kannst du bestens.«

    »Nein, ich glaube, so plump kommt man bei ihm nicht an. Ich stelle immer wieder für mich fest, dass es keine Zufälle gibt. Hör also zu:

    Letzte Woche besuchte ich Franziska Huber, unsere Kollegin aus München. Sie lud mich zu einem Vortrag in der Evangelischen Stadtakademie München, mit dem Titel Verständliche Philosophie‹, ein. Und rate mal, wer der Referent war?«

    »Ich glaube es nicht. – Orlando Heart?«

    »Genau der. Und stell dir vor. Nach dem Vortrag, der mich übrigens sehr angesprochen hatte, saß ich mit Franziska in einem kleinen, bis auf den letzten Platz besetzten Café in der Nähe des besagten Vortragsortes. Kaum saßen wir, klingelte ihr Handy. Ihr Babysitter war am Telefon und rief, bereits ziemlich panisch, um Hilfe. Franziskas kleine Tochter habe 39 Grad Fieber. Dieser Anruf führte zu einem überstürzten Aufbruch von Franziska. Sie verabschiedete sich gerade von mir, da ging die Tür auf und Orlando Heart betrat den Raum. Er schaute sich um und entdeckte den einzigen freien Platz, nämlich den an meinem Tisch. Er steuerte zielstrebig auf mich, das heißt auf meinen Tisch, zu.

    »Ist der Platz frei und wenn ja, darf ich mich zu Ihnen setzten?«, fragte er mich höflich. Ich war eindeutig im Vorteil. Er kannte mich nicht, ich ihn schon. Also sagte ich: »Gerne, wenn Sie sich anständig benehmen.«

    Da lachte er mich an und meinte: »Bis heute habe ich noch keine schöne Frau gebissen.« Nach einer kurzen Pause fügte er lächelnd, leiser hinzu: »Im Übrigen beiße ich nur zu, wenn es gewünscht wird und die Dame mir gefällt.«

    In dem sich anschließenden Smaltalk machte er einen völlig unverkrampften, legeren Eindruck. Ich fand ihn ausgesprochen sympathisch. Irgendwann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und ging zum Frontalangriff über.«

    »Wie meinst du das?«, fragte Margit mit misstrauisch zusammengekniffenen Augenlidern.

    »Hast du ihn angemacht?«

    »Nein! – Vielleicht ein bisschen. Ich war, genau wie er auch, offen und bemühte mich, sein Interesse zu wecken.«

    »Wusste ich es doch!«, platzte es aus Margit Sommer heraus.

    »Danke, mag sein – aber nicht so, wie du wieder mal denkst. Jedenfalls offenbarte ich mich und teilte ihm, so schonend wie möglich, mit, dass ich Lokalredakteurin der ›Morgenpost‹ bin und ihn liebend gerne interviewen möchte.«

    »Was antwortete er?«

    »Erst mal gar nicht. Er schaute mich ernst an und fragte dann, über was ich mit ihm sprechen wolle.«

    »Und, welches Thema hast du ihm vorgeschlagen?«

    »Nur langsam, ungeduldige Freundin. Da er meine Frage nach dem Interview nicht sofort abgelehnt hatte, dachte ich mir, dass es am besten wäre, er könnte das Interviewthema bestimmen. Also sagte ich ihm: »Lassen Sie uns über das reden, was Sie am meisten beschäftigt. Ich möchte etwas über sie als Menschen, als auch über Ihre Arbeit erfahren. – Eigentlich möchte ich alles über Sie erfahren, dachte ich mir dabei.«

    »Oh, oh, du begibst dich auf ein heißes Pflaster. Hast du noch nicht gehört, dass er ein Antichrist, ein Eigenbrötler, ein Eremit ist? Noch nie hat man ihn mit einer Frau gesehen. Auch zu den Gottesdiensten, eingeladen von den verschiedensten frömmelnden Gruppierungen, eingeladen auch von den Pfarrern beider großen Konfessionen, erschien er nie. – Und dir hat er wirklich zugesagt?«

    »Ja! Morgen Nachmittag, 15:30 Uhr. – Und soll ich dir etwas verraten? Ich bin wahnsinnig gespannt auf ihn als Menschen, auch auf das, was er zu berichten weiß. Neugierig wie er lebt, wie er sein Leben gestaltet.«

    »Du weißt doch gar nicht, in welche Richtung sich das Interview bewegen wird, thematisch«, warf Margit ein.

    »Spielt das eine Rolle? Aber ja, er gab mir ein Teilmanuskript seines neuen Buches mit, das ich lesen sollte. Wenn ich dann noch Interesse an einem Interview mit ihm hätte, sollte ich mich bei ihm melden. Und das tat ich gestern und ich freue mich auf das Gespräch!«, antwortete Conny bestimmt.

    »Was für ein Manuskript?«

    »Ein Bericht über Atlantis!«

    »Conny, bist du mit deinem Herzen bei der Sache oder mit deinem kritischen Verstand?«

    »Selbstverständlich mit meinem Verstand. Ich bin nur neugierig und ich freue mich, wie schon gesagt, auf den Termin.«

    »Gut, wie du meinst. Aber mein Gefühl sagt mir: »Nachtigall, ich hör dich trapsen!«, erwiderte Margit Sommer und lächelte verschmitzt ihre Freundin an.

    »Du mit deinen Gefühlen. Du solltest mich kennen. Bei mir muss ein Mann nicht gut aussehen, er muss Charakter, Charisma, Verstand haben. Er muss Liebe, Verständnis für mich und meine Eigenarten, Toleranz und Einfühlungsvermögen besitzen. Und so einen Mann habe ich bis heute leider noch nicht kennengelernt.«

    »Erfüllt er deine, wie du sicher weißt, völlig unrealistischen, Voraussetzungen?«

    »Er stellte sich in München, bei unserem Gespräch als interessant, gebildet, geistig ungemein beweglich und charmant dar. Nachdem ich das Manuskript gelesen hatte, träumte ich folgenden Traum.« Nachdenklich fügte Conny mit leiser Stimme hinzu: »Diesen Traum empfand ich intensiver als mein reales Tageserleben.«

    »Mach es nicht so spannend, erzähle.«

    »In meinem Traum saß ich einem Engelswesen gegenüber und fragte es nach Orlando Heart. Dieses hell strahlende Wesen schaute mich an und antwortete mir: ›Ihr habt eine Verbindung aus einer anderen Zeit. Orlando hat etwas in dir bewegt, das du kennst. Es ist die Verbindung zu uns. Und es ist ein Wissen um Dinge, die nicht alle Menschen mit euch teilen. Es ist die Verbindung zur geistigen Welt, zu einer anderen Ebene und zu Seelen, die mit euch verbunden sind. Das große Netzwerk, das euch Menschen umgibt, wird durch so ein Zusammentreffen deutlich, und manche Verbindungen sind dabei stärker als andere.

    Orlando und du, ihr habt etwas zu klären. Ihr trefft euch wieder, um die Liebe zu spüren. Sie strahlt euch beiden aus den Augen. Ihr habt sie beide gespürt. Es ist eine Liebe auf einer anderen Ebene, eine Liebe des gemeinsamen Wirkens an einer Stätte der Heilung. Ihr habt viel Zeit miteinander verbracht und euch stets aufeinander verlassen können. Ihr habt viel bewegt im heilerischen Sinn, aber ihr hattet keine großen Namen. Es war ein kleiner Stammkreis um euch, aber ein sehr starker. Es war vor vielen Zeiträumen. Die Anziehung zwischen euch ist stets zu spüren und wird niemals aufhören. Was nun daraus wird, kann ich dir nicht sagen, das steht außerhalb meiner Macht. Aber es wird gut sein, in Kontakt zu bleiben – diesen Rat kann ich dir geben.‹ Damit endete mein Traum. Mehr kann ich dazu nicht sagen. – Doch, kann ich doch. So einen Traum hatte ich, solange ich denken kann, noch nie. Er beschäftigt mich, macht mich nachdenklich, gleichzeitig erzeugt dieses Traumerleben eine gewisse Hochstimmung in mir.«

    »Wow, so klar ist dir dieser Traum, so deutlich die Worte, dass du es mir in dieser Form erzählen kannst. Das berührt ja sogar mich. Du siehst schon ganz verklärt aus, dein Gesichtsausdruck sagt mir bereits jetzt schon sehr viel mehr als deine Worte.«

    Margit blickte ihre Freundin an. Das schelmische Glitzern in ihren Augen war einem nachdenklichen Ausdruck gewichen.

    »Nichts siehst du mir an. Warte ab, wahrscheinlich komme ich nach dem Interview und erzähle dir, dass das Gespräch interessant war. Das war dann alles.«

    »Gut, ich warte ab. Ich freue mich auf deinen Bericht. Was ziehst du morgen Nachmittag an?« Süffisant lächelnd schaute Margit Conny an.

    »Nichts Besonderes.«

    »O.k., immer noch besser als nichts.«

    »Du bist eine dämliche Ziege!«

    »Ja, ich weiß, aber ich bin deine Freundin und als deine Freundin darf ich bis morgen früh auch das Manuskript lesen?«

    Conny erhob sich, schaltete ihr Notebook ab, kramte in ihrer Tasche herum und reichte Margit das Manuskript.

    »Bis Morgen.«

    »Bis dann. – Vergiss deinen Bericht nicht. Ich bin neugierig.«

    Kaum war Conny aus dem Blickfeld von Margit entschwunden, nahm diese das Manuskript an sich und begann zu lesen.

    KAPITEL 2

    Man schrieb das Jahr 4369 neuer Zeitrechnung.

    »Artos, wo bist du?« Hell und wie immer mit ihrem ureigenen lebensfrohen Unterton in der Stimme, rief Artos´ Mutter nach ihm.

    »Nicht schon wieder, ich habe doch gerade erst mit meinem Spiel begonnen«, dachte Artos.

    Er hielt sich in seinem Zimmer auf, einem hellen, lichtdurchfluteten Raum, dessen wandhohe und zimmerbreite Fensterfront direkt auf das Meer zeigte, und kauerte in seinem Lieblingssessel. Dieser Sessel war viel mehr als ein einfacher Sessel. Er hatte die Form einer geöffneten Muschel und war eine Spezialentwicklung seines Vaters für ihn. Sein Vater hatte eine biometrische Erkennung eingebaut. Dadurch war es nur Artos möglich, die Technik des Sessels zu aktivieren. Saß Artos in diesem silberfarbenen Sessel und aktivierte er die Steuerung, schloss sich der Sessel und wurde zu einer Miniaturnachbildung des Steuerstandes eines kleinen Raumschiffes der neueren Modellreihe. Alle Steuerungen, Navigationsgeräte und zu bedienenden Elemente waren dem neuesten Modell ASC 00378, einem kleinen halbautomatischen Planetenhopper, der zu Inspektionsreisen innerhalb des Planetensystems eingesetzt wurde, nachempfunden.

    »Artos, komm doch bitte runter, ich fahre mit Lutetias Boot auf das Meer hinaus. Wir gehen schwimmen und ich möchte mich von dir verabschieden.«

    Artos, dessen Zimmertür offen stand, antwortete, als er hörte, dass Lutetia, die Freundin seiner Mutter, ebenfalls anwesend war, sofort: »Ich komme, ich muss nur noch meinen Planetenhopper an die Raumstation andocken.«

    Er beeilte sich, so gut es ging. Zum einen musste sein Raumschiff ordentlich an die Raumstation angedockt werden, zum andern war Lutetia, die Frau von Master Rausan, seine heimliche Liebe. Sie war in Art und Erscheinung das perfekte Ebenbild seiner Mutter.

    Der siebenjährige Artos kam die breite, halbmondförmig geschwungene Treppe herunter. Er hatte seinen Lieblingsanzug, die Nachbildung einer tiefblauen Offiziersuniform mit einer goldenen Sonne auf dem hochgestellten Kragen, dem Zeichen des Raumschiffkapitäns und Befehlshabers eines Kriegsschiffes der außerplanetarischen Flotte, angezogen und kam sich richtig erwachsen vor. Schnell knöpfte er sich die Uniform zu. Die in einer Doppelreihe angeordneten goldfarbenen Knöpfe seiner Jacke leuchteten so hell wie seine strahlend blauen Augen, als er neben seiner Mutter deren Freundin Lutetia erblickte. Seine Mutter stand mit Lutetia in der weiträumigen Diele, von der man, wie schon im Kinderzimmer, durch die raumhohe Fensterfront einen Blick auf das unten liegende, unendlich weite, grünschimmernde Meer hatte. Beide Frauen trugen enganliegende, ihre sportliche, weibliche Figur betonende weiße Kleider. Von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte verlief ein beigefarbener breiter Streifen, der mit Goldfäden durchzogen war. Der golden abgesetzte Rocksaum reichte bis 10 Zentimeter oberhalb der Knie. Die schmalen Taillen beider Frauen wurden durch ebenfalls beigefarbene, dickere Bänder betont. »Kapitän, komm und lass dich drücken!«, rief Lutetia, sobald sie Artos in seiner Weltraumuniform erblickte. Belustigt schaute Ariane, Artos Mutter, dem Schauspiel zu. Sie und Lutetia hätten Zwillingsschwestern sein können. Beide Frauen hatten die gleiche, ihre langen Haare betonende, Frisur. Die dunkelblauen Augen Lutetias ruhten oft stolz auf Artos. Artos genoss ihre liebevolle Umarmung. Er drückte sich fest an Lutetia und atmete tief den Himbeergeruch ihres Parfums ein. Der Duft hüllte ihn ein und gab ihm das Gefühl, groß und stark, geliebt und akzeptiert zu sein. Die Umarmung von Lutetia empfand er stets als angenehm. Nicht wie die seiner Großtante Sophie. Innerlich schüttelte er sich jedes Mal, wenn er an seine Großtante dachte, die ihn mit sabbernden Küssen überhäufte, sobald sie seiner ansichtig wurde. Zum seinem Glück erschien diese äußerst selten.

    Sanft schob Lutetia Artos von sich und meinte:

    »Du und Susan, ihr werdet ganz bestimmt ein tolles Paar.

    »Was sollte das schon wieder?«, fragte sich Artos. »Susan? Bäh! Mädchen, nochmals bäh!«

    Lutetia und Rausan waren stolze Eltern des siebenjährigen Mädchens Susan, was Artos wiederum zutiefst bedauerte. Mit ihr konnte er nicht wirklich spielen. Susan interessierte sich mehr für Eltern- und Mutterspiele. »Ist eben ein Mädchen«, sagte sich Artos. Ganz besonders gerne beschäftigte sie sich mit dem Spiel »Mutter im Weltall«. Wie sollte er, der furchtlose, große Weltraumkapitän und Aufklärer, mit einem Mädchen, das immer »Mutter im Weltraum« spielen wollte, und für seine Erkundungsflüge kein Interesse zeigte, seine Zeit verbringen? Ein gleichaltriger Freund, der mit ihm Abenteuer erleben könnte, wäre der große Wunsch von Artos gewesen. – Ein Mädchen, dessen Spiele vom Kinderkriegen und Kindererziehung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände und Verhältnisse auf Siedlungsraumschiffen handelten, passte absolut nicht in sein Weltbild. Von der Raumfahrtsakademie, die er später einmal besuchen würde, das war für Artos, seit er denken konnte, klar, kam kein Junge zum Spielen zu ihm. Diese waren alle älter als Artos und wohnten in dem schuleigenen Heim auf dem Gelände der Akademie. Die Raumfahrtakademie befand sich auf dem zweihundertfünfzig Hektar großen Gelände der ASC. Einer Firma, die Raumgleiter und Sternenschiffe projektierte. Die ASC besaß Produktionsstätten, die sich in Umlaufbahnen der Erde, des Mondes und des Mars befanden. In der Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Werkes in der Nähe von Sandor arbeitete Artos Vater als Direktor der Abteilung »Raumgleiterentwicklung«.

    »Du wirst jedes Mal größer, wenn ich dich sehe!«

    Artos dachte bei sich, dass das nur an seinem Anzug liegen könnte und wuchs innerlich fünf Zentimeter. Schließlich waren erst vier Tage vergangen, seit Lutetia ihn zum letzten Mal gesehen hatte.

    »Meinst du wirklich?«

    »Sicher, würde ich sonst so etwas zu dir sagen?« Lutetia blinzelte ihm schelmisch zu. Seine Mutter kam nun ebenfalls auf Artos zu, drückte ihn fest an sich, küsste ihn auf seine, vor Scham leicht gerötete, Stirn.

    »Na so was, erst Susan erwähnen, dann dieses. Was sollte Susan von ihm denken? Wie konnte ihn seine Mutter vor Susan und Lutetia wie einen kleinen Jungen behandeln. Schließlich war er schon sieben Jahre alt, zeigte ihm Lutetia doch gerade auf, wie groß er schon war.« Seine Gedanken unterbrechend teilte ihm seine Mutter mit: »Wir fahren mit dem Boot kurz raus, schwimmen im warmen Wasser und werden in etwa zwei, drei Stunden wieder da sein.«

    »Na also, geht doch. Sie kann, wenn sie will, ganz normal mit mir reden.« – »Geht in Ordnung, Mama, ich fliege nochmals nach Meteoras und schaue dort nach dem Rechten.« Er winkte den beiden Frauen zu. Diese hoben zum Abschied jeweils ihre rechte Hand und verließen mit grazilen Schritten mit einem Lächeln auf ihren Lippen das Haus.

    Artos rannte die Treppe zum Obergeschoss hoch und bestieg in seinem Zimmer sofort wieder seinen Raumfahrtsessel. Dort setzte er seinen unterbrochenen Flug zum Planeten Meteoras fort. Meteoras wurde von den Erwachsenen immer häufiger erwähnt. Helios, der Vater von Artos, und sein Jugendfreund Rauan wurden immer sehr ernst, sprachen sie über Meteoras und seine Bewohner. Zwischen den Regierungen der Planeten Erde und Mars gegenüber der Regierung Meteoras gab es Meinungsverschiedenheiten, deren Grund Artos nicht kannte. Diese schienen für ihn auch nicht wichtig. Sein Flug in seinem Flugsimulator am Mars vorbei zum Meteoras war schon anstrengend genug. Über dem Planeten zu kreisen und Beobachtungen mittels seiner Aufklärungsdrohnen durchzuführen, beanspruchte seine Aufmerksamkeit vollkommen.

    Das Elternhaus von Artos stand in einem großen naturbelassenen Garten hoch auf einer Klippe am Großen Ozean. Im Prinzip war die gesamte, dem Meer zugewandte Front ein einziges, riesiges Fenster. Das Multifunktionsglas dieses Fenster verdunkelte sich je nach Sonneneinstrahlung. Im Garten, auf der gegenüberliegenden Seite, wuchsen bunte Wildblumen. Jede Jahreszeit brachte ihre eigene Blütenvielfalt zum Vorschein. Im Frühjahr beherrschten der gelb blühende Löwenzahn und saftige grüne Gräser den Garten. Die Sommerzeit gehörte den knorrigen, windgebeugten Pinien, den rosafarbenen Wildrosen, den alten, dunkelgrünen Farnen und kelchgroßen leuchtenden Blüten, die den Garten in ein großes Farbenspektrum tauchten. Lebhaftes Vogelgezwitscher, das rufende Zirpen der Grillen erfüllten in dieser Jahreszeit den Garten und ließen der natürlichen Symphonie des Lebens ihren Lauf. Artos Interesse an der Natur wurde unter anderem durch die gemeinsame Arbeit im Garten mit seiner Mutter, durch ihre unauffälligen Eingriffe, ihren Sinn für die Schönheit der Natur und ihre harmonische Gestaltung des Gartens bestärkt. Ariane fand, dass Schönheit und Harmonie von der göttlichen Mutter, die sie sehr verehrte, in solcher Perfektion geschaffen wurde, dass der Mensch nur wenig richten musste, um dieses Gleichgewicht des Wohlfühlens und der Schönheit zu erhalten. Artos liebte es, im warmen Gras auf dem Rücken zu liegen und dem Summen der Hummeln im warmen Sommerwind zuzuhören. Er beobachtete sie bei ihrem zielgerichteten Flug von einer Blüte zur anderen. Er liebte es, das geschäftige Treiben der Ameisen zu verfolgen. Artos bewunderte die Exaktheit ihrer Wege. Er fragte sich, wie sie es schafften, so zielstrebig auf dem Wiesenboden, geschützt durch das hohe Gras, ihren Weg zu finden. Im Herbst begeisterte ihn besonders der Wind. Blickte er aus seinem Zimmer auf das Meer, konnte Artos oft die tosenden Wellen, die der Sturm mit unbändiger Energie an den Strand jagte, beobachten. Er mochte die Naturgewalten, die Regentropfen, die an die großen Fensterscheiben des Hauses prasselten. Er liebte all jene nicht zu zähmenden Energien, die nur dem Willen der großen Göttin Thea gehorchten. Bei ruhigem Wetter konnte er immer wieder die in der Nähe des Strandes spielenden Delphine bestaunen. Zu ihnen fühlte er sich besonders hingezogen. Schönheit, Anmut, Eleganz, Freude und Intelligenz sah Artos im Tanz der Delphine. Manchmal hörte er, befand er sich am Strand, auch die lang gezogenen Rufe dieser verstandesbegabten Meeressäuger.

    Wie lange war das schon her. An diesem Tag sollte es das letzte Mal gewesen sein, dass Artos von seiner Mutter gedrückt wurde und mit ihr sprach. Acht Jahre waren seit diesem Tag vergangen.

    Im Unfallprotokoll stand, dass der Bootsführer die beiden Frauen aufmerksam beobachtete, während sie im Wasser vor dem Boot schwammen. Alles geschah so schnell, so unerwartet, dass dem erfahrenen Seemann keine Zeit zu irgendeiner Reaktion blieb. Ariane, die sich eben noch mit Lutetia fröhlich lachend unterhalten hatte, wurde mit einem schnellen Ruck in die unergründliche, dunkle Tiefe des Ozeans gezerrt. Mit einem dumpfen Klatschlaut schloss sich die Wasseroberfläche wieder. An der Stelle, an der eben noch Ariane schwamm und laut lachte, war kein Laut mehr zu vernehmen. Totenstille. Lutetia schrie entsetzt auf. Der Schiffführer, der bewundernd den beiden schönen Frauen beim Schwimmen zugesehen hatte, hechtete, ohne zu zögern, ins Wasser, tauchte und suchte mit unzähligen Tauchgängen nach Ariane. Obwohl die Sichtweite unter Wasser an die fünfzig Meter betrug, war auch für den erfahrenen Schwimmer und Taucher nichts mehr zu erkennen. Die unverzüglich eingeleiteten Suchaktion brachte keine Ergebnisse. Keine Blutspur, keine Spur überhaupt. Artos Mutter Ariane tauchte nicht mehr auf. Sie verschwand an diesem sonnigen Sommertag in ihrem achtundzwanzigsten Lebensjahr. Den ganzen Tag und die darauffolgende Nacht verbrachte Lutetia gemeinsam mit ihrem Mann Rausan und dem Vater von Artos, Helios, hoffend auf dem über dem Wasser schwebenden Schiff der Küstenwache. Sämtliche, auch noch in der Nacht, in die Tiefe geschickten Tauchroboter und Sonden brachten negative Ergebnisse. Ariane war und blieb spurlos verschwunden. Es war wie ein Mysterium. Lutetia schwor unter Tränen, als sie später von Helios nach dem Unfallhergang gefragt wurde, dass sie in dem fraglichen Moment, als Artos Mutter in die Tiefe gezerrt wurde, nichts gesehen oder gespürt hatte.

    Artos hatte tief und fest geschlafen. Als er seine Augen öffnete, sah er seinen Vater, der mit ernstem Gesicht auf einem Hocker vor dem Bett von Artos saß. In Artos kleiner Seele brannte sich diese Szene unlöschbar ein. Artos begrüßte seinen Vater stürmisch und setzte sich sofort in seinen Lieblingssessel. Er wollte seinem Vater seine Aufklärungserfolge auf Meteoras zeigen. Sein Vater setzte sich still auf das Bett von Artos und betrachtete seinen Sohn, der beschäftigt in seiner Kinderwelt aufging. Wortlos, traurig und übernächtigt schaute er Artos an. Dann, Artos stieg aus seinem Raumfahrtsessel aus und setzte sich zu seinem Vater auf sein Bett, umarmte Helios seinen Sohn. Tränen rannen über seine Wange. Er wand sein Gesicht von Artos ab. Seine Augen blickten aus dem Fenster auf die ruhig und still vor dem Haus liegende See.

    »Papa, was ist? Warum weinst du? Was hast du, bist du traurig?«

    Helios zog Artos näher an sich heran und sagte: »Artos, du weißt, Lutetia sagt dir doch immer, wie groß und stark du jedes Mal, wenn sie dich wieder sieht, schon geworden bist. Jetzt musst du groß und stark sein.«

    Artos verstand nicht. So hatte sein Vater noch nie mit ihm gesprochen. Bisher lächelte dieser stets verständnisvoll, hörte er die Bemerkungen Lutetias zu Artos.

    »Warum muss ich jetzt groß und stark sein? Wo ist Mama?« Irgendetwas stimmte nicht, fühlte Artos. Helios stand vom Bett auf, drehte sich erst von Artos weg, wandte sich wieder zu ihm hin und kniete dann vor Artos nieder.

    »Artos, deine Mama kommt nicht mehr. Es hat der großen Göttin Thea, gefallen sie zu sich zu holen. Artos, mein lieber Sohn, deine Mama lebt jetzt in der anderen Welt. Sie ist da glücklich.«

    Die Welt stand in diesem Moment still. Kein Vogel sang, kein Blatt rauschte im Wind.

    Die Worte seines Vaters erzeugten in Artos ein hohles Echo: »Mama kommt nicht wieder! Mama kommt nicht wieder! Sie ist da glücklich, sie ist da glücklich, sie ist da glücklich.« Immer und immer wieder hallten diese Worte in ihm nach. Nach einiger Zeit, Artos und sein Vater saßen jeder in seinem Schmerz versunken voreinander, brach es aus Artos heraus: »Wie kann sie da glücklich sein? Hatte sie uns nicht gerne? Warum ist sie in die andere Welt gegangen? War ich böse zu ihr? – Warum?«, schluchzend warf sich Artos an die Brust seines Vaters. Der drückte wortlos seinen kleinen unglücklichen, tieftraurigen Sohn an sich. So vergingen einige Minuten, nur erfüllt vom Schluchzen Artos und den stummen Tränen Helios. Dann sagte Helios: »Artos, deine Mama verschwand in der Tiefe des Meeres. Ich weiß nicht, was der Wille der großen Göttin ist. Ich weiß es nicht. Auch ich frage mich: Warum? Ich komme zu keinem Ergebnis. Ich weiß es nicht.«

    Artos antwortete nicht mehr. Sein kleiner Körper bebte in seinem Schmerz. In dieser Nacht durfte Artos im Bett seiner Mutter bei seinem Vater schlafen. Die folgenden Tage waren die Hölle für Artos. Er fand keinen Spaß mehr an seinem Planetenhopper. Tief in seinem Leid versunken grenzte sich Artos von seiner Umwelt ab. Die Freunde seines Vaters, Rausan und Lutetia waren täglich im Haus und versuchten Artos und seinem Vater Beistand zu geben. In den ersten Tagen nach dem Unglück ging Artos Lutetia aus dem Weg. Ja, er spürte gar einen Groll gegen Lutetia. War es nicht ungerecht, dass Lutetia lebte und seine Mutter unerreichbar in der Welt jenseits aller Dinge, wie diese andere Welt von den Priesterinnen genannt wurde, sich nun aufhalten musste? Fern von ihm und seinem Vater. Tief in seiner Trauer verborgen, tief in seinem Inneren spürte er aber die auf ihn gerichtete umfassende Liebe seiner Mutter. Aber auch vor seiner Mutter machte seine Empörung nicht halt. In solchen Momenten, in denen er sie am meisten vermisste, brach es aus ihm heraus. Wie konnte sie so leichtsinnig sein und einfach von der Bildfläche wegtauchen? Die kindliche Welt von Artos geriet mehr und mehr aus dem Gleichgewicht. Er machte der göttlichen Mutter Vorwürfe. Die ganze Welt hatte Schuld an seiner Trauer, seinem Unglück. Artos wurde immer verschlossener und zog sich mehr und mehr in seine eigene Welt, in seine Muschel zurück. Susan mochte er schon gar nicht mehr sehen. Er wies sie regelrecht ab, wenn sie mit ihm spielen wollte. Sie hatte ihre Mutter. Seine Mama war tot. »Soll sie doch mit ihrer Mutter spielen«, dachte er trotzig.

    Der Vater von Artos, Helios, vor dem tragischen Unglückstag ein weltoffener, immer zu Späßen aufgelegter großer athletischer Mann, zog sich, ähnlich wie Artos, vor der Welt zurück. Was blieb, war ein ernster, nachdenklicher Vater, der seinen Sohn nicht mehr aus den Augen ließ. »Du bist alles, was ich habe«, sagte Helios oft zu Artos. Manches Mal, dies gab es als Ariane noch lebte so gut wie nie, schlief sein Vater sogar bei Artos in dessen Zimmer. Im Elternschlafzimmer hing nun ein überlebensgroßes Bild von Ariane. In diesem Bild war sie als lachende, glückliche, junge Frau abgebildet. Sie saß ausgelassen fröhlich auf einer Schaukel. Sie schaukelte in dem Bild hin und her und schaute mit ihren großen blauen Augen dem Betrachter direkt in die Augen. Die Schaukel war an einem mit hunderttausend Blüten versehenen Kirschbaum befestigt. Dieses Bild, es war das Lieblingsbild seines Vaters, betrachtete Artos fast täglich. Er saß oft stundenlang vor dem Bild, weinte leise vor sich hin und wünschte sich, seine Mama möge wieder auftauchen, wieder lachen und mit ihm spielen, sich mit ihm necken, genauso, wie sie es früher immer getan hatte. Manchmal, wenn er traurig vor dem Bild saß, glaubte er, ihr Parfum, das nach Veilchen duftete, zu riechen. Jedes Mal wurde seine Sehnsucht nach seiner Mutter größer, seine Traurigkeit tiefer.

    Die einzigen Menschen, mit denen Artos Vater noch Kontakt aufrechthielt, waren Rausan und Lutetia. Immer wieder sprach er mit Rausan und Lutetia die Ereignisse des Unfalltages durch. Er machte sich Vorwürfe, dass er an dem besagten Tag nicht mit im Boot, nicht mit im Meer war. »Sicher hätte ich eingreifen und sie retten können, irgendwie hätte ich eingreifen können«, sagte er sich immer wieder.

    »Sie hatte so viele außergewöhnliche Fähigkeiten. – Warum sah sie dieses Ereignis nicht voraus?«, kopfschüttelnd stellte sich Helios immer wieder diese Frage. Er richtete sie auch an Lutetia und Rausan. Rausan meinte einmal dazu: »Vielleicht hatte sie es gewusst, wollte aber unnötige Schmerzen von den Menschen abhalten, die sie liebte. Vielleicht war es aber auch in den dunklen Nebeln ihrer Vorbestimmung, selbst vor ihrer Hellsichtigkeit, zu ihrem Schutz, verborgen.«

    Einige Wochen nach dem tragischen Tod seiner Mutter träumte Artos. Er saß in diesem Traum, in Gedanken an seine Mutter versunken, in seinem inaktiven Flugsimulatorsessel, als die Tür zu seinem Zimmer aufging und seine Mutter, strahlend hell, von innen heraus leuchtend, auf ihn zutrat. Sie lächelte ihn liebevoll an und sagte: »Mein lieber Artos, merke dir. Dies ist kein Traum. Keine Grenze, keine Zeit und keine Welt kann unsere Liebe zueinander unterbrechen. Ich bin für dich da. Immer bin ich für dich da. Solange du lebst, werde ich an deiner Seite sein. Du wirst mich nicht immer sehen, aber in besonderen Situationen vielleicht spüren. Sei unverzagt, ich bin stets an deiner Seite. Der Großen Mutter hat es gefallen, mich in meine Heimat zu führen. Doch ich darf deinen Lebensweg begleiten. Glaube an die Kraft der grenzüberschreitenden Liebe, glaube an die kosmische Liebe der Göttlichen Mutter. Wir auf der Erde verstehen oft nicht die Zeichen und Signale, die uns die Göttliche Mutter zukommen lässt. Oftmals handeln wir ihren Vorstellungen zuwider. Dennoch liebt sie uns. Und – ein besonderes Zeichen ihrer Liebe zu dir ist, ich darf deinen Lebensweg begleiten. Meine materielle Manifestation ist vorerst beendet. Vertraue mir. Du und Susan, ihr geht euren Weg gemeinsam. Jetzt kannst du dies noch nicht verstehen. Zu einem späteren Zeitpunkt wirst du es erkennen. Ich liebe dich. Grüße deinen Vater von mir, sage ihm, dass meine Liebe zu ihm fortbesteht. Meine Kraft lässt nun nach, ich muss wieder zurück. Denke in Liebe an mich.«

    Mit diesen Worten verblasste die Erscheinung. Jetzt erst wurde Artos bewusst, was eben geschehen war. Tränen stürzten aus seinen Augen.

    »Mama«, kam es leise aus seinem Mund. »Mama, wo bist du?«

    Da vernahm er tief in sich, ganz leise die sanfte Stimme seiner Mutter: »Ich bin bei dir.«

    Artos wachte nach diesem Traum auf. Sofort kroch er aus seinem Bett und rannte zum Schlafzimmer seines Vaters: »Papa, Papa, wach auf, ich muss dir etwas erzählen!«, rief er unter Tränen seinem schlaftrunkenen Vater zu.

    »Was, mitten in der Nacht?«, sein Vater blickte auf die in die Wand projizierte Uhr.

    »Vier Uhr dreißig. Mein Junge, was gibt es denn so Wichtiges?« Erst jetzt bemerkte Artos Vater das tränenüberströmte Gesicht seines Filius.

    »Hattest du einen Alptraum?«

    »Nein, nein, von Mama habe ich geträumt.«

    »Von Mama? Das hattest du doch noch nie.«

    »Ja, Mama sagte mir aber im Traum, dies sei kein Traum. Sie war wirklich bei mir.«

    »Artos, erzähle! Was hast du geträumt?« Jetzt hellwach, setzte sich sein Vater in seinem Bett auf und zog Artos neben sich.

    Artos berichtete seinem Vater in lebhaften Bildern sein Traumgeschehen, immer wieder liefen ihm die Tränen über seine Wangen. Geduldig hörte sein Vater ihm zu.

    »Ich wusste es«, sagte dieser mit tränenerstickter Stimme, nachdem Artos seine Erzählung beendet hatte.

    »Ich wusste es, deine Mutter verabschiedet sich nicht wortlos. Sie hatte bereits in ihrem Leben besondere Fähigkeiten. Sie wusste immer viel mehr als ich. Sie spürte das Leben in allen Dingen. Und sie war imstande, mein Leben mit Freude und Liebe zu erfüllen. Sie war einmalig. Das heißt, sie ist einmalig.« Helios wischte sich verstohlen eine Träne aus dem rechten Auge. Er nahm ein Taschentuch vom nahe stehenden Betttischchen und schniefte lautstark hinein. »Ich ahnte und hoffte es. Sie ist immer noch bei uns. – Mein Junge, du hast mir in diesem Moment das schönste Geschenk meines Lebens, außer das deiner Geburt, überreicht.« Helios drückte seinen Sohn fest an sich. »Wir sind also immer noch beisammen. Sie begleitet uns immer noch, nur in einer etwas anderen Form.«

    Nach dieser Nacht, nach diesem Erlebnis, kehrte Artos früheres, ausgeglichenes Wesen von Tag zu Tag mehr zurück. In den folgenden Nächten träumte Artos fast jede Nacht von seiner Mutter. In seinen Träumen kam sie zu ihm, setzte sich wortlos an sein Bett, streichelte über sein Haar und lächelte ihn an. Das gleiche liebevolle, schelmische Lächeln, wie auf dem Bild im Schlafzimmer seines Vaters, prägte ihr Gesicht. Dann ging sie wieder. Immer, wenn Artos sie in seinen Träumen festhalten, ihre Nähe spüren wollte, löste sich ihr Körper auf, wurde zu Nebel, durch den er griff. Sie verschwand einfach. »Du darfst mich nicht berühren. Meine Energie ist noch zu schwach«, ermahnte sie ihn in einem Traum, als er sie umarmen wollte.

    Artos folgende positive, lebensbejahende Entwicklung war neben dem glücklichen Traumgeschehen auch Lutetia zu verdanken. Durch ihre liebevolle Art gelang es ihr, Zugang zu Artos kleinem Herzen zu erlangen. Sie beantwortete immer wieder mit großer Geduld seine Fragen nach dem Ablauf des tragischen Vorganges, dem Artos Mutter zum Opfer fiel. Sie hörte aufmerksam zu, wenn er von seinen Traumerlebnissen mit ihr sprach. Sie trocknete seine Tränen, wenn ihn seine Trauer überkam. Sie verstand es, Artos ihren eigenen großen Schmerz verständlich zu machen. Er hörte aus den Gesprächen, die sein Vater abends mit Lutetia und Rausan führte, dass Lutetia außer ihrem Schmerz über den Verlust ihrer geliebten Freundin, noch unter Selbstvorwürfen litt. Sie hatte ihre Freundin am Unglückstag überredet zum Schwimmen zu gehen.

    Noch etwas anderes geschah in diesen Tagen. Susan zeigte plötzlich Interesse an Artos Raumfahrtabenteuern. Eines Abends überwand sich Artos und fragte Susan, ob sie Lust hätte, mit ihm in seinen »Planetenhopper« zu steigen. Ohne zu zögern willigte Susan zu. Nach diesem ersten Abend, dem ersten gemeinsamen Erkundungsflug zum Mars, kam Susan immer öfter zu Artos. Gemeinsam erlebten sie die verschiedensten Abenteuer, flogen von Planet zu Planet, retteten ihre Fantasiewelt. In Artos Spielwelt wurde Susan so mehr und mehr seine Kopilotin, seine Weggefährtin. Sein Vater versuchte auf seine Art seinem Leben wieder mehr Erfüllung zu geben. Er nahm größere betriebliche Aufgaben an. Aufgrund dessen, Helios war ein überdurchschnittlich begabter Ingenieur auf dem Gebiet der Raumfahrttechnik, spezialisiert auf die Entwicklung neuer Raumfahrtantriebe, war er auch oftmals wochenlang unterwegs. Auf Zureden seiner Freunde Rausan und Lutetia gab Helios seinen Sohn Artos in die Obhut der militärisch geprägten Erziehung der Raumfahrtakademie der ASC. Auch Susan sollte mit Artos in dieses Internat gehen. In dem Ausbildungszentrum der ASC, das in einem weiträumigen Park lag, befanden sich auch die Gebäude der Raumfahrtakademie. In diesen wurden die Schüler, hatten sie das fünfzehnte Lebensjahr erreicht, auf ihren späteren Berufsweg als Offiziere der Raumfahrtflotte der ASC vorbereitet. Hier lehrte Rausan, der Vater von Susan, Geografie, Astronomie und Mathematik.

    Artos und Susan wurden im Jahr 4377, nach ihrem fünfzehnten Geburtstag, in die Raumfahrtakademie übernommen. So oft es ging, verbrachten sie ihre Freizeit miteinander. Auch im Klassenzimmer saßen sie, wie in den Internatsklassen der Grundschule, nebeneinander. Sie spürten eine nicht zu beschreibende gegenseitige Anziehung. Fehlte Susan, war sie krank, fühlte Artos sich einsam und kränkelte ebenfalls. Umgekehrt war es ebenso. Ihre Gemeinsamkeit ging weit über die Freundschaft, die sie mit ihren Mitschülern verband, hinaus. Sie bildeten, ohne dass sie sich dessen bewusst waren, zunehmend ein fest zusammengeschweißtes Team. Der Grundstock zu einer tief greifenden Freundschaft und Liebe wurde gelegt.

    Nachdenklich legte Margit das Manuskript zur Seite. »Wow, auf was hat sich Conny da eingelassen. Bin gespannt, welche Ergebnisse sie von ihrem Interview mitbringt.«

    KAPITEL 3

    Die Nachmittagssonne erwärmte die Pflastersteine vor dem schmiedeeisernen zweiflügeligen Tor, das weit geöffnet war. Eine alte Mauer umgab

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1