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Ramana Maharshi: Sein Leben
Ramana Maharshi: Sein Leben
Ramana Maharshi: Sein Leben
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Ramana Maharshi: Sein Leben

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About this ebook

Die Beschreibung des einzigartigen und ungewöhnlichen Lebens Ramana Maharshis und zugleich eine Einführung in seine zeitlosen Lehren.

Ramana Maharshi ist einer der bedeutendsten Weisen unserer Zeit, der den Weg des Advaita für alle Menschen neu eröffnet und zugänglich gemacht hat. Nach seinem Erleuchtungserlebnis im Alter von 17 führte er über 50 Jahre lang ein einfaches Leben am heiligen Berg Arunachala in Südindien, wo er 1950 starb. Von seiner machtvollen Ausstrahlung angezogen, strömten Menschen aus allen Nationen, Kulturen und Religionen, Arme und Reiche, Gebildete und Ungebildete zu ihm. Auch nach seinem Tod hat sich daran nichts geändert, im Gegenteil. Ramanashram und Arunachala wurden zu einem viel besuchten spirituellen Zentrum und das Interesse an Ramana Maharshi zieht wachsende Kreise.

Die 2. Auflage wurde geringfügig bearbeitet und enthält wesentlich mehr Fotos, auch in Farbe.
LanguageDeutsch
Release dateFeb 15, 2011
ISBN9783842311466
Ramana Maharshi: Sein Leben
Author

Gabriele Ebert

Theologin und Dipl.-Bibliothekarin, verfasste und übersetzte Bücher über Ramana Maharshi, Ramakrishna, Vivekananda, Sarada Devi und Sunyata.

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    Book preview

    Ramana Maharshi - Gabriele Ebert

    Ebert

    1. Geburt und Kindheit

    »Welchen Wert hat diese Geburt ohne das Wissen, das aus der Suche nach dem Selbst geboren wird?«

    Ramanas Geburtshaus

    Venkataraman, der spätere Ramana Maharshi, entstammte einer alten Brahmanenfamilie. Geboren wurde er am 30. Dezember 1879 in Tiruchuli, einem Dorf mit damals etwa 500 Häusern. Tiruchuli liegt ca. 80km südlich von Madurai in Tamil Nadu, Südindien, und ist das Verwaltungszentrum für den Ramnad Distrikt. Der Ort ist sehr alt. Bereits in den Puranas finden sich mehrere Legenden über ihn. Der Bhuminata-Tempel, der Shiva als Herrn der Mutter Erde geweiht ist, wird von Pilgern gern besucht. Auch das Baden im Tempelteich ist sehr begehrt, denn sein stark schwefelhaltiges Wasser gilt als heilend.

    Sri Ramanas Vater Sundaram Iyer hatte seine berufliche Laufbahn im Alter von 12 Jahren als Dorfschreiber begonnen. Später verfasste er Eingaben und Bittschriften für Klienten und arbeitete sich schließlich zum unstudierten Anwalt hoch. Er praktizierte hauptsächlich vor dem örtlichen Schiedsgericht. Damit verdiente er genügend, um ein angenehmes Leben führen zu können. Er galt als äußerst fähig und gerecht und hatte ein Herz für die Armen und Unterdrückten. Bei den örtlichen Gerichten war er hoch angesehen. Es kam sogar vor, dass beide Parteien, Kläger und Angeklagter, ihn für ihre Seite gewinnen wollten.

    Ramanas Vater Sundaram

    Ein weiteres Merkmal Sundarams war seine ausgesprochen großzügige Gastfreundschaft. Sein geräumiges Haus in der Kartikeyan-Straße, in der Nähe des Tempels gelegen, verfügte über zwei Bereiche mit gleicher Ausstattung. Der eine wurde von der Familie bewohnt, der andere stand den Gästen zur Verfügung. Jeder Arme, der an die Tür klopfte, bekam eine Mahlzeit vorgesetzt. Von morgens bis abends erschienen unzählige Klienten und Besucher. Auch beherbergte Sundaram die neuen Beamten des Dorfes, bis sie eine feste Unterkunft gefunden hatten, und half ihnen in ihren Angelegenheiten weiter.

    In religiöser Hinsicht lag Sundaram allerdings nicht über dem Durchschnitt. Gelegentliche Wallfahrten zu Tempeln der Umgebung, das Lesen von Heiligenlegenden und der tägliche häusliche Kult prägten sein spirituelles Leben wie das eines jeden Hindus.

    Sri Ramanas Mutter Alagammal stammte aus Pasalai, einem Dorf in der Nähe von Manamadurai. Schon als Kind war sie mit Sundaram Iyer verheiratet worden. Schulbildung für Frauen gab es nicht. Von den älteren Frauen in Tiruchuli lernte sie viele Lieder vedantischen Inhalts kennen, denen sie die spirituellen Anweisungen für ihr Leben entnahm.

    Sie und ihr Gemahl waren ein ideales Paar. Sie unterstützte Sundarams Gastfreundschaft in jeder Weise, selbst wenn es galt, mitten in der Nacht für Gäste eine Mahlzeit zuzubereiten. Die Harmonie der beiden drückt sich auch in der Bedeutung ihrer Namen aus: Sundaram bedeutet Schönheit in Sanskrit und Alagammal bedeutet dasselbe in Tamil. Ramana schrieb in einem seiner Hymnen an Arunachala: »O Arunachala, mögen du und ich eins und unzertrennlich sein wie Alagammal und Sundaram.«

    Ramana kam am Montag, dem 30. Dezember 1879, als zweiter von drei Söhnen und einer Tochter eine Stunde nach Mitternacht zur Welt. Die Umstände seiner Geburt sind erwähnenswert. Es wurde nämlich in ganz Südindien der Arudra Darshan, der Tag Shiva Natarajas gefeiert, an dem er seinen kosmischen Tanz tanzt. In diesem Jahr dauerte dieser besondere Festtag von der Morgenröte des 29. bis zur Morgenröte des 30. Dezember. Die Anhänger Shivas nahmen bei Tagesanbruch im Wasserbecken des Tempels ein rituelles Bad. Anschließend wurde unter Klängen von Trommeln und Schellen und mit viel Gesang die blumengeschmückte Statue Natarajas durch die Straßen des Dorfes getragen. Um ein Uhr in jener Nacht wurde sie dann mit den entsprechenden Zeremonien wieder in den Tempel von Tiruchuli zurückgebracht. Genau zu diesem Zeitpunkt kam Venkataraman zur Welt. Es ist überliefert, dass eine blinde Frau im Entbindungszimmer die Vision eines wundersamen Lichts hatte und sagte: »Jener, der heute in eurem Haus geboren ist, muss göttlich sein.«

    Sundaram gab seinem zweitältesten Sohn den Namen Venkataraman. Ramana ist eine Verkürzung, aber niemand außer einer Verwandten nannte ihn so. Später sprach Ganapati Muni (siehe Kapitel 8) von ›Ramana Maharshi‹, und erst von da an wurde Ramana gebräuchlich.

    Venkataraman entwickelte sich völlig normal. Er war ein kräftiger Junge. Immerhin hatte ihn seine Mutter bis zu seinem fünften Lebensjahr gestillt. Er hatte ein freundliches, aufgeschlossenes Wesen und wurde von allen im Dorf geliebt. Drei Jahre lang besuchte er die Grundschule am Ort und wechselte im Alter von elf Jahren in die Gemeindeschule von Dindigul. Während sein älterer Bruder Nagaswami ein fleißiger Schüler war, fand Venkataraman wenig Freude am Lernen, verfügte aber über eine rasche Auffassungsgabe. Sport und Spiel interessierten ihn weit mehr. Der Bhuminatha-Tempel und seine Umgebung war sein bevorzugter Spielplatz. Mit seinen Freunden traf er sich gern am Tempelteich. Ein bis heute unerklärliches Phänomen ist die Veränderung des Wasserstandes im Tamilmonat Masi (Mitte Februar bis Mitte März). Mit dem zunehmenden Mond steigt das Wasser an zehn aufeinanderfolgenden Tagen jeweils um etwa 30 cm an und fällt mit dem abnehmenden Mond wieder auf seinen ursprünglichen Stand zurück. Ramana erinnerte sich, wie er als Junge fasziniert das Schauspiel beobachtete: »In meinen Kindertagen kamen wir dort alle zusammen. Wir machten auf den Stufen Zeichen, um täglich zu beobachten, um wie viel das Wasser anstieg. Es amüsierte uns. Das Wasser begann zehn Tage zuvor [vor dem Vollmond] zu steigen und überspülte täglich eine Stufe mehr. Bei Vollmond war der Speicher dann voll. Uns machte das großen Spaß.«¹

    Ein weiterer Spielplatz Ramanas war der Gaundinya-Fluss mit dem Kalayar-Tempel am Dorfrand Tiruchulis. Dort schwamm er mit seinen Freunden oder sie spielten am Tempel.

    Es gibt verhältnismäßig wenige überlieferte Episoden aus jener Zeit, doch sie machen deutlich, dass Ramana ein ausgelassener Junge war, der gern allerlei Streiche ausheckte.

    Mit etwa sechs Jahren kletterte er mit seinen Freunden auf den Dachboden, wo alte, längst verhandelte Rechtsfälle seines Vaters in Stapeln gebündelt lagen. Sie nahmen ein Bündel herunter und bastelten eine Flotte Papierschiffchen, die sie im Tempelteich schwimmen ließen. Als der Vater nach Hause kam, war er außer sich vor Zorn. Ramana verschwand daraufhin spurlos. Als er beim Mittagessen immer noch vermisst wurde, ging man nach ihm auf die Suche und fand ihn im Schrein der Göttin Sahayambals (eine der Gefährtinnen Shivas) im Tempel sitzen, bei der er Trost gesucht hatte.

    Ein andermal ging Ramana sogar so weit, ins Nachbarhaus eines Rechtsanwaltes einzusteigen. Er ließ einige Papiere mitgehen, die er in einem Schrank fand, ohne zu wissen, dass es sich dabei um wichtige Dokumente eines Rechtsfalles handelte. Er ersann ein Spiel, ging damit auf die Straße und verteilte sie an jeden, der gerade vorbeikam, als wären sie Handzettel irgendeiner Anzeige. Als der Anwalt nach Hause kam und sah, was geschehen war, verlangte er die Papiere zurück, aber vieles davon konnte nicht mehr ausfindig gemacht werden. Natürlich erzählte er Ramanas Vater davon, der sehr ärgerlich wurde und schrie: »Zieht den Jungen aus! Schert ihm den Kopf kahl und gebt ihm nur ein Lendentuch! Zu essen soll er auch nichts bekommen!« Ob die Strafe Anwendung fand, wurde leider nicht mehr überliefert.

    Ramana hatte nicht nur Streiche im Kopf, sondern auch ein mitleidiges Herz, wie folgende Geschichte beweist, die er später selber erzählte: »Eines Tages sollte er [gemeint ist ein etwa dreijähriger Nachbarjunge] ein Zuckerrohr mit einem Messer in Stücke schneiden. Da er es nicht fertig brachte, bat er seine Brüder um Hilfe. Aber sie gingen weg, ohne sich um ihn zu kümmern. Er fing an zu weinen und tat mir leid. Ich nahm das Zuckerrohr und versuchte, es zu zerkleinern. Dabei schnitt ich mir in den Finger und es begann zu bluten. Doch da er mir Leid tat, weil er weinte und ein kleiner Junge war, schaffte ich es trotzdem irgendwie, das Rohr in Stücke zu schneiden. Ich verband meinen Finger mit einem nassen Stück Stoff. Es hörte jedoch nicht zu bluten auf.«¹

    Durch den Vollzug des Ritus des Upanayama (Umlegung der heiligen Brahmanenschnur) wurde Ramana mit etwa acht Jahren zum vollwertigen Mitglied der Brahmanen. Besondere spirituelle Neigungen zeigte er aber nicht.

    Obwohl diese glückliche Familie in ihrem Hang zum religiösen Leben nicht über dem Durchschnitt lag, gab es eine Eigentümlichkeit in ihrer Geschichte. Eine alte Familienlegende erzählt, wie einst ein Bettelasket ins Haus kam. Er wurde dort aber nicht mit dem nötigen Respekt behandelt und erhielt entgegen jeder Tradition keine Mahlzeit. Da sprach der Asket den Fluch aus, dass von nun an in jeder Generation ein Familienangehöriger wie er als Asket bettelnd umherwandern müsse. Jener ›Fluch‹ tat seine Wirkung, wie sich zeigte, denn ein Mitglied einer jeden Generation entsagte tatsächlich dem weltlichen Leben und wurde Bettelasket. Ein Onkel von Sundaram Iyer väterlicherseits hatte das orangefarbene Gewand eines Sannyasin angelegt, Wanderstab und Wasserkrug genommen, um sich fortan seine Nahrung auf Pilgerschaft zu erbetteln. Sein älterer Bruder Venkatesa war eines Tages aus dem Dorf verschwunden, offensichtlich um denselben Weg einzuschlagen. Man hörte nie wieder von ihm. Seitdem war Sundaram das Familienoberhaupt.

    Allerdings gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass Sundaram Iyer jemals daran dachte, einer seiner Söhne könne einmal dasselbe tun. Genauso wenig dachte der junge Ramana daran.

    ____________

    ¹ Nagamma: Letters and Recollections. S. 78

    ² dto., S. 80

    2. Das Erwachen zum wahren Selbst

    »Die lebendige Wahrheit traf mich wie ein Blitz und war etwas, das ich sofort und fast ohne eine Begründung erkannte. ›Ich‹ war etwas Wirkliches, in dem Zustand das einzig Wirkliche überhaupt.«

    In Madurai

    Meenakshi-Tempel in Madurai (Foto: Bernhard Gagnon)

    Im Februar 1892 starb Sundaram Iyer, der erst Mitte Vierzig war, völlig unerwartet und hinterließ Alagammal mit den drei Söhnen: Nagaswami mit vierzehn, Ramana mit zwölf und Nagasundaram mit sechs sowie die Tochter Alamelu mit vier Jahren. Als Ramana von Dindigul, wo er inzwischen zur Schule ging, nach Tiruchuli kam, um seinen toten Vater ein letztes Mal zu sehen, meinte er nachdenklich: »Wenn Vater hier liegt, warum sagt man dann, er sei von uns gegangen?«

    Einer der Erwachsenen antwortete ihm: »Wenn das dein Vater wäre, würde er dich dann nicht herzlich empfangen? Daran siehst du, dass er gegangen ist.«

    Für die Familie bedeutete der plötzliche Tod ihres Oberhauptes einen einschneidenden Verlust, der zu ihrer Auflösung führte. Das Haus in Tiruchuli musste verkauft werden. Algammal zog mit den jüngsten Kindern, Nagasundaram und Alamelu, nach Manamadura zu ihrem jüngeren Schwager Nelliappa Iyer, der ebenfalls Anwalt war. Die beiden Älteren, Nagaswami und Ramana, kamen in das Haus von Subba Iyer, eines anderen Onkels väterlicherseits, der in Madurai in der Chokkappa-Naicken-Straße Nr. 11 in der Nähe des berühmten Meenakshi-Tempels wohnte.

    Ramana wurde zur Scotts Middle School und später zur American Mission High School geschickt. Er war ein mittelmäßiger Schüler, dem das Lernen zwar leicht fiel, der aber keine besondere Beziehung zum Lernstoff fand. Oft kam er unvorbereitet zum Unterricht. Wenn andere die Tageslektion aufsagten, merkte er sich gerade so viel, wie nötig war, um den Anschluss nicht zu verlieren. Später erzählte er seinen Devotees folgendes aus seiner Schulzeit: »Ich band einen Faden an den Nagel an der Wand und befestigte meine Haare daran, um während des Schulunterrichts nicht einzuschlafen. Wenn mein Kopf nach unten sank, wurde der Faden stramm gezogen, und das weckte mich auf. Sonst verdrehte mir der Lehrer die Ohren und weckte mich auf.«¹

    Ringen, Boxen, Schwimmen, Wettlaufen und Turnen sagten Ramana weit mehr zu. Er war kräftiger als die meisten Jungen seines Alters und imponierte auch den Größeren wegen seiner Kraft und Geschicklichkeit. Er spielte oft mit seinen Freunden Fußball. Es fiel auf, dass immer seine Mannschaft gewann. Dies und Ähnliches brachte ihm den Spitznamen ›Thangakai‹ (Goldene Hand) ein. In Tamil Nadu werden Menschen, denen alles gelingt, mit diesem Namen bedacht.

    Im Haus seines Onkels gab es ein Zimmer im oberen Stockwerk, das normalerweise nicht benutzt wurde. Hier spielte Ramana mit seinen Freunden ›Wurf-Ball‹, wobei der junge Venkataraman der ›Ball‹ war. Er rollte sich zusammen, und die anderen warfen ihn sich zu. Manchmal wurde er von seinen Spielkameraden nicht aufgefangen und fiel zu Boden, aber er wurde durch das unsanfte Spiel nie verletzt. Dieses Spielzimmer ist dasselbe, in dem er später sein Todeserlebnis hatte.

    Es kam auch vor, dass sich die beiden Brüder nachts aus dem Haus stahlen, um sich mit ihren Kameraden am Vaigai-Fluss oder am Pillaiyarpaliam-Wasserspeicher im Außenbezirk von Madurai herumzutreiben. »Die Betten Nagaswamis und Ramanas standen in einer entlegenen Ecke des Hauses. Jede Nacht, wenn alle schliefen, richteten sie ihre Kissen und das Bettzeug so her, dass es aussah, als lägen sie in ihren Betten. Der kleine Venkataraman [ein gleichnamigen jüngerer Freund] musste immer die Tür verriegeln, nachdem die Brüder gegen elf das Haus verlassen hatten, und sie gegen vier Uhr morgens wieder einlassen.«¹

    Mit Sanskrit und den heiligen Überlieferungen des Hinduismus wie den Veden und den Upanishaden machte Ramana keine Bekanntschaft. In beiden Schulen erhielt er Unterricht in christlicher Religion. Hindujungen hatten im Allgemeinen wenig Interesse an diesem Bibelunterricht - auch Ramana blieb davon unbeeindruckt.

    So sehr Ramana einem ganz gewöhnlichen Jungen glich, gab es doch eine Eigentümlichkeit. Er pflegte ungewöhnlich tief zu schlafen. Als ihn später ein Verwandter im Ashram besuchte, erinnerte er sich an folgendes Ereignis in Didingul: »Dein Onkel Periappa Seshaiyar lebte damals auch dort. In seinem Haus fand eine Feier statt. Alle gingen hin und besuchten anschließend abends noch den Tempel. Ich blieb alleine zurück. Ich saß lesend im vorderen Zimmer, aber nach einer Weile schloss ich Tür und Fenster und legte mich schlafen. Als sie vom Tempel zurückkamen, konnten mich weder Rufe noch das Hämmern an der Tür und am Fenster wecken. Schließlich gelang es ihnen, die Tür mit einem Schlüssel vom Nachbarhaus zu öffnen. Dann versuchten sie, mich durch Schläge aufzuwecken. Alle Jungen schlugen mich nach Herzenslust und dein Onkel beteiligte sich auch, aber ohne Erfolg. Ich wusste nichts davon, bis man es mir am nächsten Morgen erzählte. … Dasselbe geschah auch in Madurai. Die Jungen wagten nicht mich anzurühren, wenn ich wach war. Aber wenn sie etwas gegen mich hatten, kamen sie, wenn ich schlief, schleppten mich wohin sie wollten, schlugen mich nach Herzenslust und brachten mich dann ins Bett zurück. Ich wusste nichts davon, bis sie es mir am Morgen erzählten.«¹

    Das Todeserlebnis

    Vorbote von Ramanas spirituellem Erwachen war ein Ereignis im November 1895, kurz vor seinem 16. Geburtstag nach westlicher, dem 17. nach indischer Berechnung. Zum ersten Mal hörte er vom heiligen Berg Arunachala, von dem Ort also, wohin er bald aufbrechen und den er bis zu seinem Tode nicht mehr verlassen sollte.

    Der Arunachala (übersetzt: Berg der Morgenröte) in der weiten Ebene Südindiens gehört geologisch zum ältesten Bestand der Erde. Für fromme Hindus ist er einer der heiligsten Wallfahrtsorte überhaupt. So heißt ein in Südindien allgemein bekannter Spruch, den auch der junge Ramana kannte: »Wer Chidambaram schaut, wer in Tiruvarur geboren wird, wer in Benares stirbt und wer an Arunachala nur denkt, wird sicher Erlösung finden.«²

    Ramana wusste von Arunachala zu der Zeit nur, dass er eine überaus heilige Stätte sei. Bislang verband er damit keinen realen Ort auf Erden und wusste nicht, wo der Berg zu finden war. Dennoch lebte in seinem Innern von Kindheit an eine fortwährende Wiederholung von »Arunachala, Arunachala«, eine Art ständiges inneres Pulsieren (Sphurana), das spontan und ununterbrochen aus sich selbst heraus geschah.

    Das Haus in Madurai

    An einem Tag im November 1895 traf er in Madurai einen älteren Verwandten, den er fragte, woher er käme. Die Antwort lautete: »von Arunachala.« Da wurde ihm erst bewusst, dass Arunachala ein realer Ort war, den man besuchen konnte. Er fragte weiter, wo das sei, und erhielt zur Antwort: »Was! Du kennst Tiruvannamalai nicht? Das ist Arunachala.« Die Stadt Tiruvannamalai war ihm natürlich ein Begriff.

    Wenig später, Mitte Juli 1896, am Ende seines 16. Lebensjahres ereignete sich dann die große Wende. Inzwischen war er in der höchsten Klasse der Oberschule. Das sein Leben völlig verändernde Ereignis schilderte er später folgendermaßen: »Es war etwa sechs Wochen bevor ich Madurai für immer verließ, als sich die große Wandlung in meinem Leben ereignete. Das geschah ganz plötzlich. Eines Tages saß ich allein im ersten Stock des Hauses meines Onkels. Ich war wie immer gesund. Ich war selten krank. Ich schlief aber ungewöhnlich tief. … So war also an diesem Tag, als ich alleine in dem Zimmer war, mit

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