Unter Professorendamen: Ein Universitätsroman über Gastarbeiter, Karrieren und Intrigen
By Barbara Reeh
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Nicht der Lokalmatador Kortewiek wird als Germanistikprofessor an seine Heimatuniversität berufen, sondern der deutsche Literaturwissenschaftler Knirr. Die Gastarbeiterperspektive des immigrierten Professors eröffnet den „fremden“ Blick auf das niederländische Gastland und zugleich eine Außenansicht auf Deutschland während der Wendejahre. In realistischen szenischen Dialogen erscheint Selbstverständliches dann fragwürdig, oft komisch.
Kortewiek zettelt eine Intrige zur Ausbootung des deutschen Eindringlings an. Dem unlauteren Konkurrenzkampf ist Knirr hilflos ausgesetzt, denn eine latente Deutschfeindlichkeit, unvermutet starke Kulturunterschiede und Sprachschwierigkeiten erschweren seine Eingliederung in die niederländische Gesellschaft. Gerade die vermeintlichen Ähnlichkeiten zwischen Deutschland und den Niederlanden führen zu grotesken Missverständnissen, die sich Knirr und seiner Frau, einer Alt-68-er Studienrätin, in den Weg stellen.
Gelenkt wird der Hindernislauf der Knirrs von den Partnerinnen der Professoren. Sie stacheln ihre Männer an und bestimmen das Geschehen indirekt aus dem Hinterhalt: Professorendamen als Hinterfrauen.
Barbara Reeh
Barbara Reeh woonde 15 jaar lang in een Gronings dijkhuis en pendelt nu tussen Borkum en Berlijn. In 2009 verscheen haar verhalenbundel Okkos Borkum, gevolgd door de romans Unter Professorendamen en Geschlossene Anstalt, ein deutsches Internat in 2012 en 2013.
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Unter Professorendamen - Barbara Reeh
Rückzug
1 | Spielregeln
‘Auf keinen Fall aufteilen! Das wäre unser Untergang hier an der Uni. Auch nicht den leisesten Anschein geben, dass die Fachgruppe so etwas nur erwägt!’ Dr. Louis-Karel Kortewiek schrie es fast, so dass sich die kleine Gruppe neugierig noch enger um ihn mitten im Raum scharte. Sonore Stimme, effektvolle Pausen, Blickkontakte mit den Zuhörern, ein etwas längerer mit der schönen Lies, Kortewiek war in seinem Element.
‘Das hat die Fakultät schon etliche Male beim guten alten Donneur versucht, aber bei dem bissen sie natürlich auf Granit.’ Pause. Allgemeine Anerkennung für den granitenen Alten.
‘Sobald die Fakultät wieder ihren Sparkurs einschlägt, machen sich ihre Pfennigfuchser daran, unsere Germanistikstudentlein Mann für Mann, pardon’, Lies zuzwinkernd, ‘Frau für Frau, zu zählen. Und das werden von Jahr zu Jahr weniger. Machen wir uns da nichts vor. Wenn nicht unsere ganze Fachgruppe geschlossen’, und mit beschwörendem Blick zu Bernhard Knirr, dem neu berufenen Lehrstuhlinhaber, fuhr Kortewiek fort, ‘ich wiederhole: geschlossen, die Deutschkurse im Fremdspracheninstitut versorgt, dann haben wir hier an der Groninger Uni kaum noch eine Daseinsberechtigung.’
‘Ist das nicht ein bisschen übertrieben, Louka? Wenn wir Universitätsdozenten unsere Daseinsberechtigung nur aus dem Der-die-das-Gepauke für ein paar Manager ableiteten, dann könnten wir uns doch gleich alle vom Fremdspracheninstitut rekrutieren lassen.’
‘Bist du wirklich so naiv, Lies? Glaubst du, dass auch nur ein einziger gut zahlender Manager zum Fremdspracheninstitut käme, wenn es nicht mit Akademikern von der Fachgruppe Germanistik als Aushängeschild winken könnte? Der Herr Werftbesitzer will von veritablen Universitätsdozenten unterrichtet werden. Er will nach getaner Arbeit zur Uni vorfahren, um von einem Germanisten der Universität, dem Herrn Doktor’, - zu Lies rüberfeixend, ‘eine Frau Doktor haben wir ja leider noch nicht, - die höheren Weihen des Der-die-das zu empfangen.’
Zustimmung für die notwendige doppelte Verankerung der Fachgruppe Moderne Deutsche Literatur und Sprache sowohl im kommerziell tätigen Fremdspracheninstitut der Universität Groningen als auch im germanistischen Fachbereich, Zweifel, ob dazu wirklich jeder Mitarbeiter der wissenschaftlichen Fachgruppe einen der lukrativen Fremdsprachenkurse für Manager und Konsorten übernehmen müsse und dann der Einwand des neuen Lehrstuhlinhabers, Knirr, man leiste doch schließlich auch Forschung, mit der die Fachgruppe ihre Daseinsberechtigung in der Fakultät sehr wohl begründen könne.
Er brachte dies in stockendem, fehlerhaftem Niederländisch vor. Ein wenig unwillig wandten sich die Zuhörer von dem eloquenten Kortewiek ab, um angestrengt nach dem wortescharrenden, sich immer wieder räuspernden Knirr zu lauschen. Wer sich Mühe gab, konnte dessen Ausführungen entnehmen, dass er sich nicht nach Groningen hatte berufen lassen, um einem Werftbesitzer aus Hoogezand Deutschnachhilfeunterricht zu erteilen, sondern um neben der Lehre an der Universität vor allem germanistische Forschung weiter zu betreiben und eine fruchtbare Forschergruppe aufzubauen.
‘Aufbauen ist ja unverschämt’, zischelte Lies dem dicht neben ihr stehenden Kortewiek zu, ‘als hätten wir von Forschung noch keinen blassen Schimmer.’
‘Na ja, nicht jeder ist bisher schon zum krönenden Abschluss gelangt’, frotzelte Kortewiek. Lies lächelte ihn an und konterte:
‘Musst du gerade sagen! Du hast dir deine Dissertation doch soeben erst mühsam zusammengestümpert. Nach all den Jahren hätte ich nie gedacht, dass du das überhaupt noch schaffen würdest. Bei mir hingegen sind alle Forschungsergebnisse fein ordentlich im Computer, ich muss den ganzen Kram nur noch aufschreiben.’
‘Und damit beginnt erst die eigentliche Arbeit, liebe Lies!’
‘Dann muss ich mich nun schleunigst daran begeben.’ Damit stellte Lies Bakker ihre Kaffeetasse scheppernd auf die Anrichte der Germanisten-Teeküche, zupfte den knappen schwarzen Rock wenigstens ein bisschen über den Po, ließ die Küchentür sperrangelweit offen stehen, holte auf ihren Endlosbeinen zum Gang in ihr Arbeitszimmer aus, hielt mitten im Flur unter der grellen Deckenlampe inne, kramte ihren Lippenstift und einen Spiegel aus dem Schultertäschchen, malte sich die Lippen lila, presste sie aufeinander und ließ sie knallend aufploppen, fuhr sich mit den Fingern durchs weißblonde Raspelhaar, stöckelte weiter und schlug die Tür ihres Arbeitszimmer hinter sich zu. Alle Kollegen waren Männer, alle hatten ihr schweigend zusehen müssen.
‘Lob sei der Frauenquote! Unsere Lies wird uns erhalten bleiben, Dissertation hin - Dissertation her’, kommentierte Kortewiek den Abgang der Kollegin.
Bernhard Knirr musste eingestehen, dass er eigentlich nicht genau wisse, worüber sie forsche.
‘Es ist mir eine Ehre, Sie als Doktorvater über das Dissertationsthema Ihrer Doktorandin Lies Bakker aufzuklären. Seit geraumer Zeit wartet die germanistische Welt auf die Semantik der Adjektive „gut und „schlecht
– „schön und „hässlich
’.
Über schön scheine sie schon Bescheid zu wissen, meinte Knirr.
‘Über gut und schlecht auch’, fügte Kortewiek hinzu. Er gab sich keine Mühe, Gerüchte über ein mehr oder weniger beendetes Verhältnis zu Lies auszuräumen. Warum auch, eine Liaison mit einer derart verführerischen Frau hätte selbst ihm zur Ehre gereicht. Knirr schenkte sich Kaffee nach, so dass Kortewiek nicht wie die übrigen einer nach dem anderen die Teeküche verlassen konnte.
‘Na, Herr Knirr, haben Sie den Kulturschock schon überwunden, aus Groß-Berlin nach Klein-Mensinge zu ziehen?’
Ach, seine Frau sei geübt im Umzugsmanagement. Sie habe das Mühlenhaus in Klein-Mensinge schon einigermaßen wohnlich eingerichtet, jedenfalls die Küche. Im Groninger Universitätsbetrieb hingegen finde er sich noch nicht zurecht.
‘Den Eindruck machen Sie aber keineswegs. Ihre Lehrveranstaltungen laufen doch schon jetzt zu Semesterbeginn wie am Schnürchen.’
Die Lehre sei auch nicht der Knackpunkt, schwierig sei die Organisation des Lehrstuhls. Nicht einmal seine Kompetenzen gegenüber den Mitarbeitern seien ihm deutlich. ‘Ja, in Deutschland ist so was wohl alles klipp und klar in straffer Hierarchie festgelegt.’
Das könne er noch nicht vergleichen, entgegnete Knirr ruhig und bat Kortewiek sodann um eine Aufstellung darüber, welche Aufgaben welcher Mitarbeiter erfülle.
‘Wird gemacht!’
Knirr verstand zwar noch längst nicht jedes niederländische Wort, hier aber klackten die Silben überdeutlich wie Absätze von Militärstiefeln gegeneinander. Das Verhältnis zwischen ihm und Kortewiek, seinem Stellvertreter, musste offenbar dringend geklärt werden. Knirr wusste, dass sein Vorgänger, der emeritierte Lehrstuhlinhaber Donneur, sich Kortewiek als Kronprinzen ausgeguckt hatte und dieser in Windeseile gerade noch rechtzeitig zum Berufungsverfahren seine Dissertation abschloss, um dann doch den Kürzeren zu ziehen und ihn, Knirr, vor die Nase gesetzt zu kriegen.
In sachlichem Ton schlug Knirr vor, die Aufgaben zwischen ihm als Lehrstuhlinhaber und Kortewiek als seinem Stellvertreter grundsätzlich sauber abzugrenzen, das leiste keineswegs einer Aufteilung der germanistischen Fachgruppe Vorschub, vor der Kortewiek ja soeben eindringlich und überzeugend gewarnt habe.
‘Eigentlich kommen wir uns ja auch gar nicht in die Quere. Sie machen die Literaturwissenschaft und ich die Sprachwissenschaft. Und mit mir der ganze Club, den Sie vom alten Donneur übernommen haben. Die sind ja samt und sonders in die Fußstapfen des Altvaters getreten und arbeiten an linguistischen Themen.’
In der Forschung und Lehre ergäbe sich in der Tat eine natürliche Aufteilung, bestätigte Knirr. Aber auch die übrigen Aufgaben, die an einen ordentlichen Lehrstuhl geknüpft seien, könne er nicht im Alleingang übernehmen. Mit seinen langjährigen Beziehungen zum Fremdspracheninstitut der Universität sei Kortewiek doch geradezu prädestiniert, den Lehrstuhl, der ja Mitverantwortung für die Deutschkurse dort tragen müsse, in allen offiziellen Angelegenheiten im Fremdspracheninstitut zu repräsentieren. Prokura sozusagen.
Kortewiek sagte nicht Wird gemacht, sondern nickte nur und stieg gleich in die Sachdiskussion ein.
‘Gerade im Moment ist im Fremdspracheninstitut enormer Handlungsbedarf. Wenn wir bei der anstehenden Mittelverteilung nicht aufpassen wie ein Luchs, werden wir von den anderen Sprachabteilungen regelrecht untergebuttert. Die Nachfrage nach Englisch, Französisch und Spanisch steigt ununterbrochen, während die Deutschkurse auf stets gleichem Stand dahindümpeln. Damit fallen wir selbst hinter das expandierende Portugiesisch zurück. Das schwächt unsere Position im Fremdspracheninstitut ungemein.’
Nach einigem Ausweichen beantwortete er Knirrs Frage, wie denn das relative Zurückfallen der Deutschkurse zu erklären sei.
‘Ja, also ich sehe da verschiedene Gründe: Einmal gilt Deutsch nicht als Weltsprache, die für eine Handelsnation wie die Niederlande so nützlich ist wie Englisch oder Spanisch. Zum zweiten halten viele meiner Landsleute ihre Deutschkenntnisse schon für ausreichend.’
Nicht zu unrecht, warf Knirr ein, schließlich lerne doch jeder Niederländer Deutsch auf der Schule.
‘Aber sie können es ruckzuck wieder abwählen, und das tun leider immer mehr Schüler. Damit wäre ich beim Hauptgrund für die stagnierende Nachfrage angelangt. Deutsch und Deutsche sind nicht sonderlich beliebt in den Niederlanden.’
Dessen war sich Knirr bewusst, er wandte jedoch ein, dass Generationen nachwüchsen, die mit dem Zweiten Weltkrieg und der deutschen Besatzung nichts mehr zu tun hätten. Das Problem löse sich folglich sehr bald biologisch.
‘Ich fürchte, nicht so bald. Gerade bei unseren Jugendlichen herrscht nämlich eine massive antideutsche Stimmung. Die kocht bei jedem Anlass wieder hoch, vor allem beim Fußball. Auch wenn unsere jungen Leute 1974 noch in die Windeln geschissen haben, schäumt noch heute die Wut über die unverdiente niederländische Schlappe bei jedem Niederländer auf. Der deutsche WM-Titel damals hat sich wie eine zweite Besatzung in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Lassen Sie mich die Vorbehalte gegen Deutschland skizzieren: Vor dem Koloss Bundesrepublik sollten sich die kleinen Niederlande tunlichst hüten, denn die übermächtigen, wirtschaftlich potenten Deutschen sind noch stets herrschsüchtig, sogar kriegslüstern. Ihre vor Knack- und Explosivlauten strotzende Sprache eignet sich vor allem für Befehle. Und um sich diese Sprache anzueignen, muss man erst den nahezu unüberwindlichen Geheimcode der vier Fälle knacken. Nur wer Deutschen unbedingt ein Schiff verkaufen will, wird sich folglich der Tortur eines Auffrischungskurses unterziehen.’
Knirr wiegelte ab, Gott sei dank steige der wirtschaftliche Austausch zwischen den Niederlanden und der Bundesrepublik ja rasant und führe dem Fremdspracheninstitut sicher auch künftig genügend leidensbereite Kursteilnehmer zu.
‘Sicher, unser Standbein beim Fremdspracheninstitut wird uns nicht weggehauen. Expandieren, wie die anderen Sprachen, kann unsere Deutschabteilung dort aber nicht. Und wenn es dann um die Verteilung von mehr Geld und mehr Planstellen geht, gucken wir eben in die Röhre. So weit dürfen wir es nicht kommen lassen. Wir sollten sehr schnell von uns aus eine nur auf Deutschkurse zielende Werbekampagne starten, mit der wir auch noch den letzten Gemüsebauern, der seine Tomaten …’
‘Wassertomaten!’
‘… Tomaten in Deutschland verkaufen will, auf unsere Schulbank zerren.’
Knirr