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Yaffa, Gottes Kaktusfeige
Yaffa, Gottes Kaktusfeige
Yaffa, Gottes Kaktusfeige
Ebook213 pages2 hours

Yaffa, Gottes Kaktusfeige

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About this ebook

Yaffa, ein jüdisches Mädchen, wird 1946 in einem Flüchtlingslager in Österreich geboren. Unter vielen Widerständen gelangt die Familie nach Palästina, wo das Mädchen inmitten der ersten schwierigen Jahre des Staates Israels aufwächst. Nach vielen Schicksalsschlägen wandert Yaffa mit 14 zu ihrer Mutter nach Amerika aus, wo sie auf recht abenteuerliche Weise zum Glauben an Christus kommt und beginnt, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten.
LanguageDeutsch
Release dateMay 28, 2013
ISBN9783848299201
Yaffa, Gottes Kaktusfeige
Author

Yaffa McPherson

Yaffa McPherson lebt mit ihrem Mann Ken in Amerika, wo sie als Schriftstellerin und Gastrednerin durch das Land zieht. Ihr Ziel ist es, Christen dabei zu helfen, Gott und die Bibel von der hebräisch-biblischen Denkweise her zu verstehen. Sie ist zusammen mit ihrem Mann Ken Mitgründer der Intimate Awe Ministries. Näheres unter www.easyhebrew.com .

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    Book preview

    Yaffa, Gottes Kaktusfeige - Yaffa McPherson

    Yaffa

    Gottes Kaktusfeige

    Die wahre Geschichte einer Kindheit in Israel

    Yaffa McPherson

    Books on Demand

    Zum Umschlagbild

    In Israel wird ein gebürtiger Israeli als Sabra (Kaktusfeige) bezeichnet. Die in Israel geborene Person wird mit den besonderen Merkmalen der Kaktusfrucht verglichen: eine stachelige äußere Schale und ein weicher Kern. Da Israel in seinen ersten Jahren als Staat wenige gebürtige Israelis hatte, wurde anfänglich jedes Kind, welches seine ersten Worte in Israel sprach und seine ersten Schritte in Israel tat, ebenfalls als gebürtiger Israeli angesehen. Deshalb wurde ich als Sabra bezeichnet.

    Copyright © Grafik vorderer Umschlag Yaffa McPherson

    Copyright © Foto hinterer Umschlag Ken McPherson

    Inhaltsverzeichnis

    Kapitel 1 Erste Erinnerungen

    Kapitel 2 Wo ist Yaffa?

    Kapitel 3 Seltsame Freundschaft

    Kapitel 4 Kaffee, Brot und Malerei

    Kapitel 5 Erste Entdeckung

    Kapitel 6 Gott ist keine Maus

    Kapitel 7 Bat Mitzwa

    Kapitel 8 Was nun, Gott?

    Kapitel 9 Kinderheim

    Kapitel 10 Yaffa, die Geschichtenerzählerin

    Kapitel 11 Sollen wir unser Land aufgeben?

    Kapitel 12 Kein Zurück

    Kapitel 13 Amerika, wir kommen!

    Kapitel 14 Englisch statt Französisch

    Kapitel 15 Jesus - Nein danke!

    Kapitel 16 High School

    Kapitel 17 Hoffnung

    Kapitel 18 Gottes Familie

    Kapitel 19 Erste Schritte mit Gott

    Kapitel 20 Zweite Entdeckung

    Kapitel 21 Befreit

    Um die Identität der genannten Personen zu schützen, wurden einige Namen geändert.

    Erste Erinnerungen

    Ich wache in meinem wackeligen Kinderbett auf, das in der Ecke des einzigen Raumes einer Bretterbude steht, und entdecke, dass ich allein bin. Anders als sonst sind die Fensterläden geschlossen. In dem halbdunklen Raum finden dünne silberne Lichtstrahlen ihren Weg durch die Lücken zweier gebrochener Holzbretter. Ich stehe im Kinderbett und starre auf die silbernen Lichtstrahlen, während ich in der leeren Stille warte und warte. Da keiner nach Hause kommt, fange ich an zu weinen. Dann schreie ich: „Großmutter! Groß-mu-tter! Stunde um Stunde - sitzen, stehen, liegen und dann wieder auf meinen Beinen - ich schreie ununterbrochen: „Groß-mu-tter!... Keine Antwort. Meine Stimme wird schwach. Ich höre auf zu schreien, um zu schluchzen. Kaum davon erholt, schreie ich wieder. Immer noch kommt niemand.

    Nach einiger Zeit durchzieht mich Panik und als letzte Rettung schreie ich lauter, in der Hoffnung, von draußen gehört zu werden. Mit meiner letzten Kraft schreie ich ununterbrochen, flehend um die Gegenwart von irgendjemanden, aber vergebens. Die silbernen Lichtstrahlen verschwinden. Ich döse, wache dann auf und schreie, bis mir vor Angst schwindelig wird.

    Mein Hals tut weh; mein Körper ist schwach. Die dicken Lagen von Lumpen, die ich als Windeln trage, sind schwer und nass. Ich suche nach einer trockenen Stelle auf meiner Matratze. Mein ganzer Körper juckt und sticht. Ich bin zu ängstlich und zu müde, um aus dem Kinderbett zu klettern. Immer nasser und hungriger schreie ich bis zur totalen Erschöpfung. Silberne Lichtstrahlen erscheinen und verschwinden wieder. Aufwachen... Schreien... Dösen... Immer noch kommt niemand. Aufwachen, Schreien, dann wieder Dösen. - Ich erreiche den Punkt, an dem mir alles egal wird. Schwächer und immer schwächer - ich will einfach nur noch meine Augen schließen.

    Plötzlich werde ich durch das Krachen der aufbrechenden Tür aus dem Schlaf gerissen. Ein Polizist stürzt herein. Großmutter kommt herein, Vater gleich hinter ihr. Mit neuer Kraft strecke ich mich aus nach Trost, aber niemand kommt. Die einzigen Worte, die ich höre, sind die Proteste meiner Großmutter gegenüber den Polizisten. Die einzige Berührung, die ich an meinem nassen Körper fühle, ist der eisige Luftzug von der aufgebrochenen Tür.

    Als das alles passierte, war ich noch nicht ganz drei Jahre alt und an die darauffolgende, skandalöse Scheidung kann ich mich kaum erinnern. Die wiederholten Albträume des Verlassenseins überschatteten sie. Neben den verheerenden Folgen dieser Krise musste ich auch noch die Erklärungen meiner Großmutter ertragen, warum das alles passiert war: „Deine lügende, egoistische Mutter hat dich für drei Tage ganz allein gelassen. Wer weiß, was noch alles passiert wäre, hätte ich dich nicht gerettet!" Enttäuscht über meine Mutter war ich meiner Großmutter dankbar und glücklich über die Scheidung.

    Ich erinnere mich daran, wie boshaft die Nachbarn mich verurteilt und gehänselt haben. Damals war eine Scheidung eine seltene Sache unter den Juden - eine Schande, die Ausgrenzung verdiente.

    Zu der Zeit lebten wir in der kleinen Stadt Yaffo, der biblischen Hafenstadt Joppe. Wir waren 1947 dorthin von Europa eingewandert, ein Jahr bevor Israel wieder eine Nation wurde. Ich war damals ein Säugling. Betreffend meiner Mutter kann ich mich nicht daran erinnern, dass sie jemals bei uns gelebt hat, obwohl das schon so gewesen war.

    Schon bevor meine Großmutter den Haushalt übernahm, diente mein Vater in der israelischen Marine und war selten zu Hause. Seine Abwesenheit machte meine Verzweiflung noch schlimmer. Großmutter bot keinen Trost für Vaters Abwesenheit. Stattdessen war sie ganz und gar intolerant gegenüber mir und meinem pausenlosen Geplapper. Sehr oft schickte sie mich einfach weg. Anfangs, wenn sie das tat, flüchtete ich zu meinem Asphaltplatz, die Straße. Dort beobachtete ich die Menschen - Araber und Juden - wie sie an unserem Haus vorbeigingen. Es gab keinen anderen Platz zu dem ich hätte gehen können, wenn Großmutter mir den Aufenthalt in unserer Ein-Zimmer-Wohnung verbot. Wenn sie in diesem Gemütszustand war, war zu Hause nicht mein Zuhause. Schließlich wagte ich mich hinaus, barfuß und in schlecht passender Kleidung, um mit arabischen Kindern in unseren Slums zu spielen. Unsere Straße führte herunter zu dem schlammigen, verlassenen Hafen, und wenn ich mich reckte, konnte ich in der Ferne das Mittelmeer sehen. Ich vermied es, in diese Richtung zu gehen, weil mir das Meer Angst machte. Lieber ging ich den Berg hinauf zum Spielen. Das einzige, was ich zum Spielen hatte, ob drinnen oder draußen, waren meine Gedanken. Nachzudenken wurde zum dominierenden Zeitvertreib in meinem Leben.

    Ich war erst vier, als Großmutter sich entschloss, mich in die Schule zu schicken. Von der Vorstellung allein bekam ich schon Angst. Hätte sie mich nicht so erbarmungslos an meinem knochigen Arm festgehalten, als sie mich eines Tages zur Schule brachte, wäre ich sofort wieder zurück nach Hause gerannt. Ein strenger Blick der Schulsekretärin genügte, mich zu brechen. Das löste bei mir einen meilenweiten emotionalen Rückzug aus. Immer noch unfähig, mich aus Großmutter’s Griff zu befreien, duckte ich mich

    „Darf ich bitte Geburtsurkunde sehen?" fragte sie in gebrochenem Deutsch, nachdem Großmutter sich entschuldigte, dass sie nicht Hebräisch sprechen konnte.

    „Es tut mir leid, wir sind einfach noch nicht dazu gekommen, eine von Deutschland anzufordern. Sie können sicherlich verstehen, dass ich nicht die Nerven dazu hatte, nach all dem, was ich durchgemacht hatte. Wir haben extra keine Geburtsurkunde bei uns gehabt, nachdem Yaffa geboren wurde. Wir planten unsere illegale Flucht und wir hatten sie deshalb versteckt."

    Mein persönliches Dilemma war zweifach. Seit Großmutter übernahm, hatte ich Deutsch aufgeschnappt, die Sprache, in der sie zu Hause mit Vater sprach. Man dachte, ich könnte nur Ungarisch. Von meiner geistigen Entwicklung her war ich meinen Emotionen weit voraus und verstand für mein eigenes Wohl viel zu viel.

    Weil ein Nachweis für mein Alter fehlte, spürte man sofort eine Voreingenommenheit zwischen der offensichtlich in Israel geborenen, jungen Sekretärin und meiner ungeduldigen, europäischen Großmutter, die sich so seltsam verhielt. Die Spannung in ihren Stimmen machten mir Angst. Als Großmutter beide Hände brauchte, um wild zu Gestikulieren, nutzte ich diese Gelegenheit sofort. Augenblicklich schlich ich mich fort und setzte mich in einer entfernten Ecke auf den Boden. Mit dem Daumen im Mund hörte ich konzentriert zu, als die Sekretärin mit unterdrückter Aufregung sprach.

    „Wir können Ihre Beteuerung, dass sie fünf ist, nicht akzeptieren, betonte die Sekretärin. „Schauen Sie nur - ihr Verhalten - wie eine Zweijährige. Sie würde Schwierigkeiten mit anderen Kinder haben. Vielleicht nächstes Jahr...

    „Nein! Großmutter schlug auf den Tisch, „Ich will, dass sie jetzt in die Schule geht!

    Ich zog meinen Daumen aus meinem Mund und duckte mich

    „Aber ohne Dokumente kann sie keine öffentliche Schule besuchen. Vor dem Gesetz existiert sie gar nicht. Wir helfen Ihnen gerne, die Urkunde anzufordern, wenn sie uns .. einen Augenblick bitte ... gehen Sie bitte nicht weg ..."

    Großmutter riss mich aus der Ecke und ich schlitterte hinter ihr durch die Tür, während ich die grausamen Kommentare der Sekretärin immer noch in meinem Kopf verarbeitete. Wie niederschmetternd es war, dass ich wie eine Zweijährige erschien, obwohl ich, anders als von Großmutter angegeben, noch nicht ganz fünf war.

    Ich hatte bis jetzt nicht gewusst, wie schnell sie gehen konnte. Wir rannten den Hügel hinab, während ihre Finger sich in meinen Arm gruben. Angst ergriff mein Herz, als ich rannte, ab und zu springend, um mitzukommen. Obwohl ich meine Beine kaum noch bewegen konnte, wagte ich es nicht, meine Schritte zu verlangsamen, aus Angst, sonst wie eine Stoffpuppe am Boden mitgezogen zu werden. Sie würde nicht für mich langsamer werden. Wohin sie mich auch immer brachte, sie war in furchtbarer Eile, dorthin zu kommen.

    Der Hafen! Wie konnte sie nur? Ich brach in Tränen aus und starrte auf die Wellen, die genauso wütend waren, wie Großmutter. Entkommen war unmöglich. Mein Ende ist gekommen... Ich schloss meine Augen.

    Großmutters schweres, keuchendes Atmen machte sie endlich langsamer, aber stoppte sie nicht. Stattdessen riss sie ruckartig an meinem schmerzenden Arm und wir bogen in eine Seitenstraße ein. Ich tauchte wieder aus meinen niedergeschlagenen Gedanken auf und kam dankbar zu dem Schluss, dass sie mich nicht ins Meer werfen würde. In nächsten Moment merkte ich, wie ich durch die Türen eines seltsamen, schmuddeligen Büros ging. Eine Nonne in Schwarz saß hinter einem alten, ramponierten Schreibtisch. Sie grüßte uns mit einem schweigenden, frommen Nicken.

    Die arabischen Nachbarskinder hatten mir schon von dem Kloster erzählt, wo es spukte, und ich fürchtete mich ganz furchtbar vor diesen Nonnen. Wir Kinder, sowohl Araber als auch Juden, hielten abergläubisch Abstand von diesen gefürchteten „Wesen". Weil man keine Hände, keine Füße und keinen Hals sehen konnte, sah ihr bedeckter Kopf so aus, als sei er nicht am Körper befestigt. Für uns waren sie Geister. Ihre blassweißen Gesichter schienen über der Masse der schwarzen Kleidung zu schweben. Wir Kinder mit braunen Gesichtern forderten uns gegenseitig zur Mutprobe heraus, sie zumindest aus der Ferne zu beobachten. Danach rannten wir mit pochendem Herzen nach Hause.

    Ein Schauer ging durch meinen kleinen Körper, als ich Großmutter in einer fremden Sprache sprechen hörte.

    Sie will mich bei diesen gespenstischen Nonnen lassen und ich werde nie wieder nach Hause zurückkehren können.

    Als nächstes wurde ich zu einem muffigen Raum mit grünen Wänden am Ende einer langen Treppe nach unten geführt. Dort starrte mich ein anderes blassweißes Gesicht an. Zum ersten Mal sah ich, das es Augen, Nase und Mund hatte. Der Mund öffnete sich und das „Wesen" sprach mit mir. Starr vor Angst preßte ich meine Lippen aufeinander, meine Augen suchten nach Großmutter... Sie war verschwunden.

    Weinend wehrte ich mich gegen jegliche Berührung des „Wesens", so dass ich in die Richtung vorwärtsstolperte, in die es mich trieb. Wir betraten einen kerkerhaften Klassenraum. Würde ich am Ende auch wie ein Gespenst aussehen? Das fragte ich mich, als ich einen Platz zugewiesen bekam und mir ein Buch ausgehändigt wurde.

    Erst am Nachmittag, als ich wieder nach Hause geschickt wurde, verstand ich, dass ich in der Kloster-Schule angemeldet worden war. Großmutter sagte nicht ein Wort über die Schule, als ich zu Hause ankam. Und ich auch nicht. Ihr Schweigen gab mir lautstark die Botschaft, dass sie ihre Meinung nicht ändern würde.

    Unvorstellbar! Ein katholisches Grundstück zu betreten galt bei den meisten Juden als eine schwerwiegende Sünde. Für die arabischen (muslimischen) Kinder galt es als Fluch und für mich als grausame Strafe. Für meine Großmutter, die weder für Religion noch für mich Verständnis hatte, war es ein perfektes Mittel zur Rache. Es machte ihr weder etwas aus, dass ich, wie zu erwarten, das einzige jüdische Kind dort war, noch, was für eine Doppelmoral es für mich darstellen würde.

    Ich war mir sicher, dass Vater niemals eine nicht-jüdische Schule in Betracht gezogen hätte. Er sagte gewöhnlich zu meinem älteren Bruder Mischa: „Schäme dich niemals, dass du Jude bist." Wie heuchlerisch ich mich jeden Tag auf dem Weg zur Schule auch fühlen mochte, hatte ich doch Angst, mich bei Großmutter zu beklagen. Es war ihr doch völlig egal, wie ich mich fühlte.

    Bittere Ängste waren meine täglichen Begleiter zum gefürchteten Kloster. Obwohl mein Bruder mich jeden Morgen dorthin brachte, durfte er nicht weiter als bis zur Pforte mitkommen. Großmutter ging niemals wieder mit mir dorthin, und das war auch gut so. Ich schauderte immer noch bei dem Gedanken an ihren schmerzhaften Griff und ihre Ablehnung an jenem ersten Tag. Und jetzt war die scheinbar endlose Treppe abwärts zur Schule eine lange, einsame Reise. Jeder Tag war eine Qual.

    Weil ich am Anfang nur sehr wenig Französisch sprach, kam ich in der Schule nicht mit. Die Konsequenz war tägliche Bestrafung.

    „Yaffa, lies die Geschichte der Kuh laut vor", befahl mir die Lehrerin eines Tages auf Französisch.

    Alle Augen auf mich gerichtet, schaute ich nur auf mein Buch, gelähmt vor Angst und unfähig, Französisch zu lesen.

    „Allez, Allez! (Mach schon!) sagte sie ungeduldig mit erhobener Stimme, „wir müssen mit dem Unterricht weitermachen ...

    Ich konnte es nicht ertragen, ihr die Genugtuung zu geben, mich für meine fehlende Fähigkeit vor der gesamten Klasse bloßzustellen, die sowieso schon kurz davor war, zu lachen. Deshalb schwieg ich.

    Großmutter konnte fließend Französisch, sodass die Nonne annahm, ich könnte es auch. Das meiste der Geschichte war in meinem Gedächtnis eingegraben, weil die Nonne es schon laut vorgelesen hatte. Hätte ich mich nicht vor der Nonne gefürchtet, hätte ich es ihr einfach nachmachen können. Ich fand die Geschichte sowieso kindisch mit einer Überschrift wie „La Mu Mu".

    „Du musst in der Klasse laut sprechen, kleines jüdisches Mädchen, oder für deinen Ungehorsam bestraft werden!"

    Meine Angst vor der Bestrafung war um Haaresbreite kleiner als meine Angst, laut zu sprechen. Ärgerlich nahm ich mir vor, dass von diesem Tag an niemand meine Stimme hören würde, vor allem nicht die Nonnen mit den blassen Gesichtern. Der Teufelskreis begann. Wegen meines „Ungehorsams" schlugen sie die Fingerknöchel meiner Hände mit einem Lineal. Wegen dem Schmerz, den sie mir zufügten und wegen der Demütigung, die sie verursachten, gab ich auch nicht ein einziges Mal nach. Auch als ich später mehr Französisch verstehen konnte, hat niemand davon jemals erfahren! Damit Großmutter nicht die täglichen Bestrafungen noch verschlimmern würde, vermied ich es sogar, meinem Bruder davon zu erzählen, zu dem ich sonst großes Vertrauen hatte.

    An einem wolkigen Morgen, als ich begleitet von meinem Bruder und unserem Hund Tomi am Kloster ankam, bat ich Mischa zu warten, bis ich außer Sicht wäre. Als ich die Hälfte der Treppe hinabgestiegen war, merkte ich, dass ich kein Taschentuch in meiner Hosentasche trug. Ich drehte mich in Panik zu Mischa um, der stürmisch eines durch die Luft schwenkte und rief: „Großmutter hat es aus Versehen in meine Tasche getan!" Die Konsequenzen jagten mir Angst ein. Es war streng verboten, ohne ein Taschentuch zu dieser Schule zu kommen. Ich wußte, dass es zu spät war, die Treppe wieder hinaufzulaufen, denn ich wurde von einer Nonne beobachtet und erwartet.

    Absichtlich verlangsamte ich meine Geschwindigkeit und ging die Treppe weiter hinunter. Jede Stufe bedeutete

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