Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Weichensteller und Totengräber: Ludendorff, von Hindenburg und Hitler 1914-1937
Weichensteller und Totengräber: Ludendorff, von Hindenburg und Hitler 1914-1937
Weichensteller und Totengräber: Ludendorff, von Hindenburg und Hitler 1914-1937
Ebook721 pages8 hours

Weichensteller und Totengräber: Ludendorff, von Hindenburg und Hitler 1914-1937

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Erstmals wird eine Dreierbiographie der wichtigsten Personen der deutschen Geschichte 1914-1945 vorgestellt. Das Mit- und Gegeneinander Ludendorffs, von Hindenburgs und Hitlers wird in drei Zweierbeziehungen wissenschaftlich analysiert:

-Generale Ludendorff und von Hindenburg 1914-1918
-Putschisten Ludendorff und Hitler 1920-1925
-Staatenlenker von Hindenburg und Hitler 1925-1934

Der weitere Blick führt zu wesentlichen neuen Erkenntnissen:

- Ludendorffs Wirken wird nach wie vor stark unterschätzt. Sein Einfluß auf Hitler war größer als bisher selbst von Ian Kershaw angenommen.
- Das von Wolfram Pytas Biographie geprägte aktuelle Hindenburg-Bild muß korrigiert werden.
-Die Einzelereignisse Burgfrieden, Kaisersturz, Kapp-Putsch, Hitler-Putsch 1923 und Röhm-Putsch erfahren eine Neuinterpretation.
LanguageDeutsch
Release dateJan 7, 2014
ISBN9783732266937
Weichensteller und Totengräber: Ludendorff, von Hindenburg und Hitler 1914-1937
Author

Bernhard Wien

Dr. Bernhard Wien ist promovierter Historiker und Immobilienwirt (DIA). Er arbeitet bei einem Immobiliennachrichtendienst in Freiburg.

Related to Weichensteller und Totengräber

Related ebooks

Related articles

Reviews for Weichensteller und Totengräber

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Weichensteller und Totengräber - Bernhard Wien

    2013.

    1. Generäle

    Ludendorff und von Hindenburg (1914 - 1918)

    1. Das Augusterlebnis

    Am 1. August 1914 erklärte Deutschland Russland den Krieg.

    Für sein Land zu kämpfen galt als die höchste Form des Patriotismus. Und patriotisch waren fast alle. In ganz Europa. Gewiss nicht alle Viertel aller Städte mochten ersticken im Jubel, doch typisch waren die manipulierten¹⁶ Aufnahmen aus den Hauptstädten, die die Kriegsbegeisterung in Bilder fassten und so der zumeist nüchterneren Landbevölkerung propagierten: Lachende junge Männer - Kriegsfreiwillige - zogen durch die Straßen, schwenkten die Hüte oder präsentierten ihre Gewehre. Frauen schmückten die Ausziehenden mit Blumen. Heutigen Menschen sind diese Bilder fremd, doch wissen sie auch um das Kommende. In Wien, Berlin, Sankt Petersburg, Paris und London, den wichtigsten Städten des Kontinents feierte man kurz nacheinander, abhängig vom Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Kriegserklärungen, das gesamteuropäische Fest der Feindschaft. Es war das erste große kontinentale Erlebnis seit der europäischen Revolution von 1848. 1848 hieß es gemeinsam in die Zukunft, so wie hundert Jahre später. 1914 hingegen ging es euphorisch Richtung Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Diese Urkatastrophe war eine europäische.

    Das Gewitter entlud sich und alle wollten im Regen stehen. Ruhm und Ehre winkten jedem, wer wusste schon, wer den Feldmarschallstab im Gepäck trug. Abenteuer, fremde Länder und Meere warteten. Eine völlig neue Welt bot sich den Männern. Allgemein wurde erwartet, dass die Sieger ihre Orden Weihnachten 1914 zeigen und ihren Familien von den ruhmreichen Feldzügen berichten konnten. Die Menschen, welche jenen und die weiteren Tage nationaler Freude und Einigkeit erlebten, vergaßen sie nie. Das Augusterlebnis vereinte Adel, Bürgertum und selbst breite Schichten der Arbeiterschaft in einmaliger Übereinstimmung. Im politisch zerrissenen Deutschland herrschte meistenteils eine Einigkeit, die sich viele Zeitgenossen wie Nachgeborene, zwanzig Jahre später - nach mörderischem Zwist - mit verklärtem Blick zurückwünschen würden. Das Augusterlebnis wurde zum Politikum – für die Nationalisten ebenso wie für die SPD.

    Einer, für den der Krieg zum richtigen Zeitpunkt kam, hausend in einer einfachen Münchner Wohnung, die er verlassen, lebend in bescheidenen Verhältnissen, die er vergessen machen wollte, war Adolf Hitler (1889-1945). Der beruflich gescheiterte junge Mann meldete sich freiwillig.

    Warum auch nicht? Zu verlieren hatte er nichts mehr.

    Dass die Meldestellen bald jeden nehmen würden, ohne nach der Nationalität oder anderen Hinderungsgründen zu fragen, dass die Ausbildung und Ausrüstung der Soldaten dritter Ordnung - nach Aktiven und Reservisten - überhastet zum einen, unzureichend zum anderen sein würde, sollte er alsbald merken.¹⁷

    Für einen anderen kam der Krieg drei Jahre zu spät. 1911 war er in Pension gegangen. Das letzte Jahr vor Ausbruch des Krieges hatte ihn kein amtliches Schreiben betreffend einer Verwendung im Falle der Mobilmachung erreicht.¹⁸ Keine Chance auf eine Berücksichtigung in diesem kurzen Krieg. In Pension. Und da sollte er vorerst auch bleiben, ließ ihn der wichtigste Soldat des Kaisers, der Nachfolger von Schlieffens und zukünftige Chef der Obersten Heeresleitung, Generaloberst Helmuth von Moltke (1848-1916) am 2. August 1914 freundlich wissen. Also schrieb er einen Bittbrief an den Generalquartiermeister Hermann von Stein (1854-1927).¹⁹ Was er als altgedienter Generalstabsoffizier und General der Infanterie a.D. gerne innehätte, ein Kommando als Führer einer Armee oder wenigstens eines Armeeteils (Korps²⁰), das wollten jetzt natürlich alle hohen Generäle. Und die Aktiven, die Armee-Inspizienten, gingen vor. Dazu kamen der preußische Thronfolger und der sächsische Kriegsminister, welche sich in der Reihe selbstverständlich vorne anstellten. Ein Hauen und Stechen begann um die begehrtesten Posten, da störte ein Außenstehender wie der 66-jährige Pensionär Paul von Beneckendorff und Hindenburg (1847-1934). Sein sehnlichster Wunsch wurde nicht erhört. Ob seiner Schande traute er sich kaum noch auf die Straße.²¹

    Auch für einen Anderen kam der Krieg zu spät. Er war einer der ersten Generalstäbler im Lande - gewesen. Was jetzt passieren würde, in Deutschland und also in Europa, wer wüsste es besser als er? Er kannte die deutschen und mutmaßlichen feindlichen Aufmarschpläne nicht nur, er war von 1904 bis 1913 für die deutschen mitverantwortlich. Und nun? Zwar war das „entsetzliche Büroleben vorbei – endlich stand er „in der Schlacht -,²² auch war er Teil des Stabes der 2. Armee, doch nicht Teil der Operationsabteilung, sondern Zubringer, Kärrner, Versorger. Der grollende Offizier wartete heimlich auf seine Chance. Chancen bot ein Krieg immer und die erstbeste wollte er, Erich Ludendorff (1865-1937), ergreifen.

    2. Deutschlands militärische Strategie, der Schlieffen-Plan, stammte aus dem 19. Jahrhundert und verstieß gegen das Völkerrecht

    Selbstbewußt, wie sie waren, gedachten alle Großmächte sich das Geschehen keineswegs diktieren zu lassen. Hammer wollen sie sein, nicht Amboss. Unisono. Ihre Pläne waren offensiv und optimistisch. Die verbündeten Flankenmächte Frankreich und Russland führten Einfrontenkriege. Ihre Angriffsrichtung war klar ausgerichtet. Frankreich wollte Deutschland angreifen, Russland ebenso. Gleichzeitig mochte das Zarenreich auch Österreich-Ungarn (wegen Serbien) schlagen und musste sich entscheiden, welchem Gegner der Hauptschlag galt. Die Russen entschieden sich für den schwächeren Gegner: Österreich-Ungarn. Die beiden verbündeten Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn standen vor Zweifrontenkriegen. Österreich-Ungarn machte zunächst gegen Serbien mobil. Serbien, dessen Terroristen das kaiserlichösterreichische und königlich-ungarische (K.u.K.) Thronfolgerpaar ermordeten, wurde ein Monat nach der Bluttat, am 28. Juli 1914 der Krieg erklärt. Um ihren Einfluss auf den Balkan nicht zu verlieren, hielten der Zar und seine Untertanen in panslawistischer Treue zu den orthodoxen Glaubensbrüdern, so dass Österreich-Ungarn in einem kühnen und übereilten Zug seine Hauptkräfte gegen Russland aufmarschieren lassen musste. So überstürzt wie ihre K.u.K.-Verbündeten handelten die Deutschen nicht. Ihr Aufmarschplan stand schließlich schon seit langem und unabhängig von der politischen Konstellation fest: der uralte Schlieffen-Plan: da Deutschland weniger Soldaten hatte als seine Feinde, musste es diese geschickter einsetzen. Kontinuierliche gegenseitige Abnützung half nur dem Gegner. So wollten die Deutschen die Kräfte erst im Westen, dann im Osten konzentrieren, um den Krieg durch eine schnelle und vollständige Vernichtung der isolierten Gegner zu gewinnen. Sie verfügten über acht Armeen. Die Aufstellung für die erste Phase des Planes war im Westen offensiv, im Osten defensiv. Die Deutschen deckten mit ihren Hauptkräften, d.h. sieben Armeen ihr Kraftzentrum, das Ruhrgebiet und marschierten gegen Frankreich auf. Eine einzige Armee, die 8. Armee, stand im Osten der gefürchteten russischen Dampfwalze gegenüber. Diese 8. Armee sollte zusammen mit den K.u.K.-Truppen die Russen so lange beschäftigen, bis ihr die sieben Bruderarmeen nach dem schnellen Sieg über Frankreich zu Hilfe eilen würden. Gemeinsam sollten die vereinigten acht Armeen dann in der zweiten Phase des Planes Russland niederringen.

    Vorbild für einen solchen vollständigen Sieg des Unterlegenen war Hannibal Barkas (246-183 vor Christus). Er hatte am 2. August 216 vor Christus die Römer bei Cannae auf beiden Flügeln umfasst und ihnen so die größte Niederlage ihrer Geschichte beigebracht. (Letztlich gewonnen hatten den Zweiten Punischen Krieg allerdings die Römer).

    Cannae hatte gezeigt, dass Feldherrngenie plumper Masse überlegen war. Qualität besiegte Quantität. Daran glaubten die 1905, zu Schlieffens Zeiten, an Zahl gleichstarken, 1914 jedoch leicht unterlegenen Deutschen.

    Die politischen Rückwirkungen von Schlieffens militärischem Vernichtungs-Plan waren schlichtweg katastrophal.

    Deutschland erklärte am 1. August 1914 Russland den Krieg - um dann aber gegen das neutrale Frankreich aufzumarschieren. Deutschland löste das Problem, indem es am 3. August 1914 auch Frankreich den Krieg erklärte. Der Angriff auf Frankreich war aber nicht das eigentliche völkerrechtliche Problem, sondern die Tatsache, dass der Krieg infolge der großräumigen Umfassung der französischen Kräfte in Ostfrankreich durch den Einmarsch in die neutralen Länder Luxemburg und Belgien beginnen würde. Dieses war den deutschen Generälen keine Überlegung wert. Niemand wurde eingeweiht. Ludendorff beendete nach 1909 auch den vorher üblichen Gedankenaustausch mit anderen Abteilungen.²³ Ja, die Vordenker des Generalstabes, von Schlieffen, von Moltke und auch Ludendorff, hatten es jahrelang nicht für Wert befunden, ihren Reichskanzler in ihren Plan einzuweihen. Reichskanzler von Bethmann Hollweg fügte sich den Generälen und bezeichnete den Bruch der Neutralität Belgiens, zu welcher sich alle Großmächte, also auch Deutschland völkerrechtlich verpflichtet hatten, in aller Öffentlichkeit, vor dem Reichstag am 4. August 1914 als ein „Unrecht", welches Deutschland wieder gut zu machen suche, sobald seine militärischen Ziele erreicht seien.²⁴ Damit hatte Großbritannien Anlass, um seinerseits Deutschland den Krieg zu erklären. Die Franzosen hatten im Übrigen gleichfalls einen Angriff über Belgien in Betracht gezogen, dann aber politische Bauchschmerzen bekommen. Sie griffen erwartungsgemäß an der deutschfranzösischen Grenze an.

    Geschwindigkeit konnte über Sieg und Niederlage entscheiden.²⁵ Schon am 2. August 1914 waren deutsche Truppen völkerrechtswidrig ins neutrale Luxemburg einmarschiert. In der Nacht vom 3. auf den 4. August 1914 überquerten deutsche Kolonnen die belgische Grenze.

    3. Ludendorffs rasanter Aufstieg war von Hindenburgs Chance

    Der einigermaßen gelangweilte Generalmajor Erich Ludendorff begleitete den von ihm 1904-1913 mitgeplanten Vormarsch des rechten deutschen Flügels bei der 2. Armee, der Armee also, welche in den nächsten sechs Wochen durch Belgien, vorbei an Paris Richtung Schweizer Grenze marschieren sollte, um den Ring hinter den sich in Ostfrankreich drängenden Franzosen zu schießen. Demzufolge musste ihr Durchmarsch durch Belgien zügig innerhalb von zwei bis drei Wochen abgeschlossen sein. Jeder Verzug konnte zur tödlichen Gefahr für den Gesamtkriegsplan werden. Als der Vormarsch der Armee vor der Festung Lüttich ins Stocken kam und eine Brigade ohne Führer war, nutzte Ludendorff die Chance sofort und führte die Einheit, wenige Tausend Mann, energisch und erfolgreich gegen Lüttich. Angeblich klopfte er höchstpersönlich gegen eines der Festungstore, woraufhin ihm aufgemacht wurde. Die seinen schwachen Kräften überlegene belgische Besatzung ergab sich kampflos. Schwache Gegenwehr nur wurde also überwunden. Aber immerhin. Ludendorff hatte eine kritische Situation gar nicht erst entstehen lassen und große Teile der wichtigen Festung Lüttich ohne große Verluste und vor allem schnell in deutsche Hand gebracht.²⁶ Ludendorff, bekannt als guter Planer und Organisator, hatte nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass er auch ein guter Truppenführer war. Auch im hektischen Kampfgeschehen an vorderster Front bewahrte er Nervenstärke und Übersicht. Er genoss es regelrecht, im Feuer zu stehen und sein Leben zu riskieren. Das Einschlagen von Geschoßen in menschliche Körper machte ihm einen unvergesslichen Eindruck, keinen negativen übrigens.²⁷ Keine drei Wochen war der Feldzug im Westen alt, als der Sieger von Lüttich und Träger des Ordens Pour le mérite die 2. Armee und die Westfront für die beiden nächsten Jahre hinter sich ließ. Nach der gestoppten Karriere in Friedenszeiten bewegte sich Ludendorff seit Kriegsbeginn wie der Fisch im Wasser. Es begann seine zweite, eine erstaunliche Kriegs-Karriere.

    Der stolze Generalstäbler war per Sonderkraftwagen auf dem Weg zum Generalstab. Im Westen lief alles nach Plan. Die Deutschen näherten sich der belgischen Südgrenze. Die Lage der sich auf dem Rückzug befindenden Ostarmee, der 8., wurde jedoch von Tag zu Tag prekärer. Die Russen hatten überraschend schnell Mobil gemacht und drohten mit ihrer Übermacht die einsame 8. Armee schlichtweg zu überrennen. Standen nicht die Deutschen, sondern die Russen vor einem schnellen Sieg? Ein zaudernder deutscher Armee-Generalstab hatte die falschen Entscheidungen getroffen. Männer waren jetzt gefordert, die nervenstark und entschlossen handelten. Der Krieg beendete die ersten Karrieren. Der Chef der Obersten Heeresleitung (OHL) von Moltke handelte, der Kaiser war einverstanden. Ludendorff wurde betraut. Von Moltke entschuldigte sich beinahe dafür, dass Ludendorff den siegreichen Westfeldzug nicht mehr vor Ort erleben durfte. In herzlichem Ton schrieb der Neffe des großen Strategen der Einheitskriege an seinen einstigen Mitarbeiter: Ich weiß keinen anderen Mann, zu dem ich so unbedingtes Vertrauen hätte als wie zu Ihnen. Vielleicht retten Sie im Osten noch die Lage. Seien Sie mir nicht böse, dass ich Sie von einem Posten abberufe, auf dem Sie vielleicht dicht vor einer entscheidenden Aktion stehen, die, so Gott will, durchschlagend sein wird. Sie müssen auch dieses Opfer dem Vaterlande bringen […] Sie können natürlich nicht für das verantwortlich gemacht werden, was geschehen ist, aber Sie können mit Ihrer Energie noch das Schlimmste abwenden.²⁸ Das Opfer war die Stelle des Generalstabschefs der 8. Armee. Ein sehr schweres, beinahe ein Himmelfahrtskommando. Doch eines, bei dem er sich auszeichnen konnte. Koblenz war Ort des Großen Hauptquartiers. Die militärische Führung wollte Ludendorff Mut machen. Der bei Kriegsbeginn schmählich Zurückgesetzte wurde von v.Moltke in seine komplizierte Aufgabe eingewiesen. Der Kaiser verlieh ihm hier den Pour le mérite (Für das Verdienst). Ludendorff freute sich über die Anerkennung, ließ sich aber nicht blenden. Dass man ihn in Watte packte, bedeutete lediglich, dass es im Osten schlimm aussehen musste.

    Es war immer das gleiche. Wie oft schon waren ihm, dem bürgerlichen Ehrgeizling, Schlechtere vorgezogen worden, einzig auf Grund ihres glänzenden altadeligen Namens. Allein der alte Herr von Moltke hatte ihn anständig behandelt im dünkelhaften Generalstab. Ludendorff vergaß ihm das nicht. Er sollte von Moltke als einer der wenigen auch im Unglück treu bleiben. In diesem Augenblick aber vermerkte er bitter, dass er in der Adelsbastion Militär wieder einmal die bürgerliche Feuerwehr für vornehme Versager spielen durfte.

    Brach die deutsche Abwehr, so war der Weg nach Berlin frei. Außerdem konnten die Russen die K.u.K.-Truppen in der Flanke fassen. Der Krieg wäre verloren. Nach wenigen Wochen. Ludendorff musste eine Katastrophe gegen die Russen, ein zweites Kunersdorf (1759) verhindern. Siegen oder den Sündenbock abgeben, sein guter Name für immer mit Schande bedeckt!²⁹

    Ludendorff sollte also mit stark unterlegenen Kräften, einzig der 8. Armee, im Osten halten bis der Frankreichfeldzug der sieben anderen Armeen gewonnen war. Andere waren an dieser Aufgabe bereits gescheitert. Nun also Ludendorff. Die 8. Armee wurde von zwei getrennt operierenden russischen Armeen konzentrisch angegriffen. Die Russen versuchten, die Lehre aus den letzten Kriegen umzusetzen, gemäß der Strategie des älteren von Moltke während der Einheitskriege 1864-1871: Getrennt marschieren, vereint schlagen! Eine Armee band den Feind, während ihm die andere in Flanke und Rücken fiel. Eine russische Armee, die 1. unter dem Balten Paul von Rennenkampf (1854-1918) kam von Osten, die andere, die 2. Armee, führte Alexander Samsonow (1859-1914) von Süden her nach Ostpreußen. Im blinden Vertrauen auf den Schlieffen-Plan wollte die Armeeführung, Maximilian von Prittwitz und Gaffron (1848-1917) und Georg Graf von Waldersee (1860-1932), die deutsche 8. Armee hinter die Weichsel zurückziehen.³⁰ Mit anderen Worten: Ausweichen und die 8. deutsche Armee erhalten, bis in wenigen Wochen die Westarmeen zu Hilfe kämen. Auf keinen Fall, war von Moltkes Antwort. Er vertrat die Auffassung, dass man noch eine Operation zur Vernichtung der (Samsonow-)Armee versuchen müsste, bevor man daran denken dürfte, die militärisch, wirtschaftlich und politisch wichtige Stellung in Ostpreußen aufzugeben, wie in Hindenburgs Erinnerungen zu lesen war.³¹ Von Moltke traf operativ wie personell die richtige Entscheidung, indem er die widerstrebende Armeeführung kurzerhand absetzte und durch seine ehemalige rechte Hand Ludendorff ersetzte.

    Noch in Koblenz, also per Ferndiagnose, traf Ludendorff seine erste wichtige Entscheidung. Der 8. Armee wurde telegrafisch der Haltebefehl erteilt. Ende des Rückzuges! Auch die Grundidee seines Angriffs hatte er bereits entwickelt.³² Alles Weitere wollte Ludendorff an Ort und Stelle entscheiden. Schließlich handelte er nicht allein. Am 23. August, um 3 Uhr 45 des Nachts hielt der Sonderzug auf seiner Fahrt nach Ostpreußen in Hannover. Auf dem Bahnsteig stand ein alter Mann! Zwölf Stunden zuvor hatte er ein kurzes Telegramm erhalten.³³ Das Große Hauptquartier fragte an, ob er bereit stünde. O ja, er stand bereit! Seit Wochen! Hektisch wurde gepackt im Hause des ehemaligen Pensionärs und so manches vergessen. Von Hindenburg hatte es geschafft! Sein hartnäckiger Kampf um eine Verwendung, mehr noch das Unglück der 8. Armee und nicht zuletzt der Charakter Ludendorffs hatten ihm seine letzte, nicht allzu große Chance gegeben. Ludendorff sollte von Waldersee als Generalstabschef der 8. Armee ersetzen. Soviel stand fest. Ludendorff galt dem Hauptquartier als glänzender Kopf, als das vielleicht beste Pferd im Stall. Doch wollte man dieses Pferd nicht ohne Reiter losgaloppieren lassen. Ludendorffs Karriereknick, sein ungeschicktes und stures Vorpreschen in der Frage der Heeresvermehrung vor dem Krieg ließ es angeraten erscheinen, ihn entsprechend der Regel nicht zum Armeechef zu ernennen. Denn das ungeschriebene Gesetz lautete: Eine deutsche Armee führte nur ein Adliger und zwar ein an Jahren reicher Adliger. Ludendorff war von falschem Stande und schlichtweg zu jung. Ludendorff sollte seine analytischen Fähigkeiten als Generalstabschef zum Tragen bringen während die letzte Entscheidung einem Ruhigen und Altgedienten überlassen bleiben sollte. Drei Männer, der jüngste läppische 66 Jahre alt, kamen in Frage. Sollte man den bisherigen Armeechef Generaloberst von Prittwitz in seiner Stellung belassen oder ihn durch Colmar Freiherr von der Goltz (1843-1916) bzw. General der Infanterie a.D. von Hindenburg ersetzen? Sachliche Gründe sprachen für den bereits Ausgemusterten und im Range Niedrigsten: von Hindenburgs Festigkeit, Ruhe und Verfügbarkeit. Dazu hatte er sich um die Jahrhundertwende pflichtgemäß mit den russischen Aufmarschplänen befasst. Damit war er nicht so sehr auf dem Laufenden wie Ludendorff, der dazu russisch sprach. Außerdem spielten von Hindenburgs gute Verbindungen. Generalquartiermeister von Stein hatte sein Schreiben vom 12. August 1914 nicht vergessen. Drei Monate später sollte sich von Hindenburg, mittlerweile bereits Feldmarschall, herzlich bei von Stein dafür bedanken, dass er ihn „ausgegraben" habe.³⁴ Von Hindenburgs Bekannter, der Chef der Zentralabteilung im Großen Generalstab, Oberst Karl von Fabeck (1867-1957),³⁵ schlug ihn vor, von Moltke entschied, der Kaiser ernannte.³⁶ Standesgemäß führten nur Generaloberste die Armeen, demzufolge von Hindenburg im Range entsprechend befördert wurde. Nach dem Zwischenstopp in Hannover fuhr der Sonderzug weiter in Richtung Osten. Der neue Stabschef machte dem neuen Armeechef Meldung. Ludendorff und von Hindenburg sahen sich das erste Mal. So zumindest berichteten beide später von ihrem ersten Zusammentreffen, ein Gegenbeweis wurde bislang nicht erbracht. Obwohl seit Jahrzehnten im Offizierskorps derselben Armee dienend waren sie sich anscheinend noch nie zuvor begegnet. Das deutsche Heer war ein großes Gebilde und die beiden Offiziere waren gemäß den Ausbildungsrichtlinien im Deutschen Reich weit herumgekommen.

    Von Hindenburg lernte zuerst die Garnisonen in Stettin, Königsberg und Fraustadt in Posen kennen. Langweilig gleichmäßig erklomm der adelige Altpreuße eine Karrierestufe nach der anderen. Bald sah man ihn im Großen Generalstab und Kriegsministerium in Berlin, des Weiteren in Oldenburg, Koblenz und Karlsruhe. Zuletzt wurde er in Magdeburg eingesetzt.³⁷ Ein Kommandierender General, wie alle anderen auch. In diesem Kreise Durchschnitt.³⁸

    Ludendorff hingegen begann in Wesel, Wilhelmshaven und Kiel, sah Frankfurt an der Oder und Thorn. Höhepunkt war sein Wirken im Großen Generalstab von 1904 bis 1913. Danach ging es abwärts. Die letzten anderthalb Jahre vor dem Krieg diente er in Düsseldorf und Straßburg.³⁹ Von Hindenburg wusste nicht, wohin die Reise führte. Ludendorff trug ihm die Lage und seinen Angriffsplan vor.⁴⁰ Danach legte man sich schlafen. Zehn Stunden später hielt der Zug im ostpreußischen Marienburg. Der Empfang durch das abgelöste Armeeoberkommando war verständlicherweise frostig. Die abberufenen Versager und ihre tatendurstigen Nachfolger hatten sich nicht allzu viel zu sagen, was auch daran lag, dass die alte Armeeführung ihren panischen Entschluss, hinter die Weichsel zurückzuweichen, bereits vor Ludendorffs Haltebefehl von sich aus verworfen hatte. Der zum Frischen Haff führende Fluss Passarge sollte gehalten werden. Von einer Räumung Ostpreußens konnte also bereits vor der Ankunft der beiden neuen Chefs keine Rede mehr sein. Auch hatten die Generalstäbler, voran Oberstleutnant Max Hoffmann (1869-1927), bereits Vorschläge zur Umgruppierung der Armee entwickelt, die sich mit den Vorstellungen Ludendorffs deckten.⁴¹ Ludendorff missfiel die gedrückte Stimmung im Hauptquartier. Nach dem Abgang der alten Chefs taten er und von Hindenburg das Ihrige, um dem Stab die an der Westfront vorherrschende Siegeszuversicht einzuimpfen. Auch wenn nicht ganz klar war, worauf sich dieser Optimismus eigentlich gründen sollte.

    4. Tannenberg – das neuzeitliche Cannae

    Die kommende Schlacht von Tannenberg eingehender zu schildern, veranschaulicht die Denkweise und das Zusammenwirken der beiden Befehlshaber, die von Max Hoffmann sehr gut unterstützt wurden. Der Ausgang der Schlacht zeitigte weitreichende Folgen.

    Ludendorff und Hoffmann gruppierten die Einheiten der 8. Armee um. Sie nutzten die Vorteile der Truppentransporte mit Hilfe der Eisenbahnverbindungen und der inneren Linie, also die Tatsache, dass man, von mehreren Seiten angegriffen, seine näher zusammenstehenden Kräfte schneller bewegen kann als der Feind. Innerhalb eines Kreises bewegt man sich schneller als um ihn herum.

    Im östlichen Ostpreußen löste sich die 8. Armee von der 1. russischen Armee unter Rennenkampf und marschierte im Süden der Provinz gegen die 2. russische Armee unter Samsonow auf. Diese war leichter zu packen. Einer Schlacht gegen die schnellere 8. deutsche Armee vermochte sie nicht mehr auszuweichen. Wollte sie auch nicht. Da die siegessicheren Russen angriffen, konnten sie von den Deutschen, falls deren Zentrum dem russischen Angriff standhielt, auf beiden Flügeln umgangen, eingekesselt und vernichtet werden. Ein modernes Cannae eben.

    Innerhalb einer Woche praktizierte Ludendorff die Kunst des Möglichen. Es erschien ihm unmöglich, die 2. russische Armee Samsonows komplett zu umfassen. Er wollte das Zentrum halten und dadurch die russischen Kräfte binden, während drei deutsche Korps die Russen an ihren Flanken umgingen und einkesselten. Auf dem Papier eine einfache Sache.

    Allerdings war die russische Front zu breit, der Happen zu groß, so dass die angreifenden Truppen erst einmal durch die russische Wand brechen und Teile davon abdrängen musste. Das I. russische Korps war zu viel und musste weggedrückt werden. Es durfte solange nicht mehr auf dem Schlachtfeld erscheinen, bis alles entschieden war. Rechts drohte den durchgebrochenen deutschen Truppen also permanent die Vernichtung durch das abgedrängte, aber keineswegs geschlagene I. russische Korps. Aber auch der linke deutsche Flügel hing in der Luft. Er war durch die weit in seinem Rücken stehende Armee Rennenkampfs tödlich bedroht. Ludendorff schrieb dazu lapidar: Rennenkampf brauchte nur anzutreten und wir waren geschlagen.⁴² Ludendorff überlegte sich Alternativen für diesen Fall. Griff Rennenkampf an, so war der Umfassungsversuch gescheitert und die 8. Armee sollte wieder in die Verteidigungsstellung zurückweichen. Kehrte das abgedrängte I. russische Korps auf das Schlachtfeld zurück, so mussten die Deutschen mit allen Kräften dagegen halten.

    Grafik 1: Schlacht von Tannenberg 22.-30.8.1914

    Quelle: Reichsarchiv, Weltkrieg, Bd.2, Karten 4-11; Kuhl, Weltkrieg, Bd.1, S.48, Skizze 4.

    Rennenkampf griff – entgegen einer Falschmeldung vom 28. August -⁴³ gar nicht und das I. russische Korps nicht energisch genug an. Das deutsche Zentrum hielt dem Ansturm der Russen stand. Beide deutsche Flügel kesselten Samsonows Korps planmäßig, wenngleich nicht ohne Schwierigkeiten und Reibereien ein. Ludendorff und von Hindenburg wollten dem Kaiser am 28. August zunächst nur eine gewonnen Schlacht melden. Von einer erfolgreichen Einkreisung war keine Rede.⁴⁴ Am 29. August 1914 dann war die Vernichtungsschlacht gewonnen. Zwei Drittel der russischen Kräfte, dreieinhalb von fünf russischen Korps gingen in deutsche Kriegsgefangenschaft.

    Die Deutschen hatten Glück gehabt. Am 24. August hielten Ludendorff und von Hindenburg einen abgefangenen Funkspruch in Händen, aus welchem die feindlichen Maßnahmen für die nächsten Tage hervorgingen.⁴⁵ Die deutsche Feindaufklärung war hervorragend. Zur Funkaufklärung kam die optische wobei die Deutschen das modernste Mittel – Flugzeuge - besser zu nutzen wussten als die Russen, oder wie von Hindenurg sagte: „Ohne Flieger kein Tannenberg."⁴⁶ Die russischen Generäle tappten hingegen eher im Dunkeln und hatten der kühnen deutschen Führung nur ihren Mut entgegenzusetzen. Die interne russische Abstimmung war jämmerlich. Während die 2. Armee Samsonows furchtlos angriff und dabei in ihr Verderben rannte, zuckelte die mit Nachschubschwierigkeiten⁴⁷ kämpfende 1. Armee Rennenkampfs den Deutschen, die sich von ihr gelöst hatten, hinterher, anstatt sie energisch zu verfolgen und zusammen mit der 2. Armee in die Zange zu nehmen. Diese russische Behäbigkeit hatte Ludendorff seinem Vernichtungsangriff gegen die Samsonow-Armee zu Grunde gelegt und Recht behalten. Ein riskantes Spiel. Russisches Roulette hatte er allerdings nicht gespielt. Verhielt sich der Feind anders als vermutet, waren strategische Antworten vorbereitet. Ludendorff handelte verwegen. Er überraschte die Russen mit seinem Angriff und hatte das Kriegsglück auf seiner Seite.

    Die Zusammenarbeit zwischen Ludendorff und von Hindenburg funktionierte problemlos und überstand alle kritischen Momente, welche es in jeder Schlacht viele gibt. Die Lage war selten eindeutig, die Korps-Führer August von Mackensen (1849-1945) und Otto von Below (1857-1944) verhandelten notfalls von Korps zu Korps.⁴⁸ Dies war der Not geschuldet und keine offene Subordination wie sie der Chef ihres I. Korps, Hermann von François (1856-1933) betrieb. Als dieser Einspruch gegen Richtung und Zeitpunkt des entscheidenden Angriffs bei Usdau einlegte, wurde es laut. Der gereizte, zuweilen brutal aufbrausende Ludendorff drohte von François mit Absetzung,⁴⁹ von Hindenburg sprach kein Wort und der notorisch ungehorsame von François,⁵⁰ 1903/04 Generalstabschef bei von Hindenburg in Magdeburg, älter als Ludendorff und höher im Rang, gab vor seinen Vorgesetzten klein bei, nur, um den befohlenen Angriff vom 26. auf den 27. August zu verlegen und auch am 28. August den eigenen taktischen Vorstellungen zu folgen.⁵¹ Einmal hieß es, der rechte Umfassungsflügel, eben jenes von François geführte I. deutsche Korps, sei vernichtet, ein anderes Mal sollte das russische I. Korps bereits nahe heran sein. Kosakenmeldungen nannte Ludendorff die schockierenden Meldungen über gigantische eigene Verluste. Zwar erwiesen sie sich als falsch, setzten Ludendorff aber dennoch sehr zu. Wenn Ludendorff wankte, überwanden von Hindenburgs Ruhe und Zuversicht die Krise. Der Veteran von 1866 und 1870/71 hatte eben mehr Kriegserfahrung als der jüngere Theoretiker und einen ruhigeren, wie Ludendorff zu Recht meinte, phlegmatischeren Charakter. Ludendorff analysierte die Lage, von Hindenburg stand beinahe von Anfang an über ihr. Diesen Eindruck konnte er zumindest nach außen hin vermitteln. Einem jungen Generalstabsoffizier der 8. Armee, dem späteren Panzergeneral des Zweiten Weltkrieges, Hermann Hoth (1885-1971), imponierte wie den meisten sonst so kritischen jungen Offizieren⁵² diese Vertrauen erweckende ruhige Art des erfahrenen Truppenführers. Sie war neben dem Sieg von Hindenburgs Hauptkapital, welches er gekonnt einzusetzen wusste.

    5. Gefeiert wurde nur einer

    Eine Woche nur benötigten von Hindenburg und Ludendorff für ihren glänzenden Sieg. Eine Vernichtungsschlacht gegen einen überlegenen Feind. Entschieden durch Feldherrngenie. Der Traum der deutschen Generalität war Wirklichkeit geworden. Cannae war auch im 20. Jahrhundert möglich. So hieß das neue Diktum. Die Generalität und mit ihr Ludendorff fühlten sich bestätigt. Noch war die gewonnene Schlacht zwischen Gilgenburg und Ortelsburg ein Wunderkind ohne Namen. Die Benennung sollte möglichst griffig und propagandistischen Zwecken dienlich sein. Nach alter Tradition war dies die ehrenvolle Aufgabe des Siegers. Als Kenner der Kriegsgeschichte wählten sie den kleinen Ort Tannenberg als Namensgeber der Schlacht aus. Just vor Tannenberg hatte das deutsche Zentrum standgehalten. Der entscheidende Angriff allerdings erfolgte bei Usdau, geschlossen hatte sich der Ring bei Muschaken und Willenberg. Hoffmann wollte den Vorschlag dazu gemacht haben.⁵³ Ludendorff wählte den Namen Tannenberg ganz bewusst aus als Rache für jene Schlacht von 1410, „in dem der Deutsche Ritterorden den vereinigten litauischen und polnischen Armeen⁵⁴ unterlegen war. Von Hindenburg schrieb seiner Frau von diesem „Revanche-Sieg.⁵⁵ Die beiden Preußen löschten einen Makel aus, der ein halbes Jahrtausend Bestand hatte! Krieg und Revanchekrieg, gleichgültig, ob diese fünf oder fünfhundert Jahre auseinander lagen. Dies verdeutlicht, in welchen gigantischen historischen Dimensionen die Führung der 8. Armee dachte. Was kam da noch? Rache für den Kniefall Heinrich IV. 1077 in Canossa?

    Von Hindenburg hatte diese Entscheidung Ludendorffs wie alle anderen zuvor gutgeheißen. Um diesem Umstand entsprechend Rechnung zu tragen, werden in dieser Schrift die kommenden strategischen Entscheidungen dieses Duos mit dem Namen Ludendorffs als ihres Schöpfers verbunden sein. Von Hindenburg dachte ähnlich wie Ludendorff. Für den Zeitpunkt der Schlacht von Tannenberg wie für die folgenden Kriegsjahre ist es schwierig, eine nennenswerte Differenz in den Anschauungen dieser beiden Generäle zu finden. Ihre Übereinstimmung erleichterte nicht nur ihre Zusammenarbeit, sie machte es Gegnern auch schwer, gegen dieses immer besser harmonierende Duo, die Karriereschmiede 8. Armee anzugehen. Dem hilfreichen Zuarbeiter im Armeestab dagegen, Oberstleutnant Hoffmann und den Korps-Chefs von Mackensen und von Below stand eine glänzende Zukunft bevor. Die Namen dieser bemerkenswerten Seilschaft werden noch oft fallen.

    Für den triumphalen Sieg sagten die beiden Armeechefs in der protestantischen Kirche Allensteins „Gott dem Allmächtigen tiefbewegt Dank."⁵⁶ Eine solche Handlung wie Haltung war dem gläubigen von Hindenburg weitaus wichtiger als dem nicht nur in religiösen Dingen skeptischen Ludendorff. Doch ging Letzterer, der wie alle deutschen Soldaten das Gott mit uns auf dem Koppelschloss trug, bereitwillig auf diesen alten Brauch einer heilen preußisch-deutschen Soldatenwelt ein, in der Thron und Altar fest zusammen standen und vor Waffen starrten. Von Hindenburg und Ludendorff kamen, sahen und siegten! Der Vergleich mit der vorhergehenden Führung der 8. Armee war frappierend. Ludendorff machte von Hindenburg die operativen Vorschläge. Von Hindenburg gab ihm Recht und hielt seinen Kopf hin für die atemberaubenden Schläge seines Generalstabschefs. Eine Niederlage bei Tannenberg und damit der Zusammenbruch der Ostfront hätte natürlich das Karriereende für beide bedeutet wenn nicht gar ein Kriegsgerichtsverfahren.

    Von Hindenburg trug die Last der letzten Verantwortung. Alle Blicke richteten sich auf ihn. Mit Macht. Absichtlich. Alle amtlichen Depeschen stellten ihn in der Öffentlichkeit als den großen Sieger dar. Der Schlachtensieg bei Tannenberg, bald zum Mythos verklärt, wurde staatlicherseits ausschließlich mit dem Namen von Hindenburgs verknüpft. Von Hindenburg wurde selbst zum Mythos.⁵⁷

    Da war er wieder: der Abkömmling alten Adels, der sich Ludendorffs Lorbeer gleich mit auf das Haupt setzte, zumindest sich nicht zur Wehr setzte wenn er ihm aufgesetzt wurde. Seit diesem Zeitpunkt galt: Er wurde gefeiert, ich blieb im Dunkeln. So schrieb Ludendorff später, nach dem Krieg, in seinen Erinnerungen - bevor er den Satz strich, aus Rücksicht auf den Nimbus beider.⁵⁸ Der bürgerliche Ludendorff hatte die Schlacht gewonnen. Er war kein Sündenbock für eine Niederlage. Das wenigstens nicht. Doch der Sieger Ludendorff wurde dem Heil des Kaiserreiches geopfert. Er bekam nicht, was ihm gebührte. Seine Seele, an Narben reich, reicher noch an Hass, fand sich darein. Sie sollte sich in den kommenden Kriegsjahren auf andere Art Luft verschaffen. Dem charmanten von Hindenburg konnte Ludendorff nicht gram sein. Er stand zwar vor ihm, deckte ihn auf diese Weise aber auch gegen Beschuss. Was von Moltke bis zu diesem Zeitpunkt für ihn gewesen war - der Vorgesetzte, vertrauenswürdig obschon von Adel -, wurde nun von Hindenburg, der vermeintliche Retter Ostpreußens.

    Am 31. August 1914 beendeten die Deutschen den ersten Kriegsmonat mit einem großartigen Befreiungsschlag im Osten. Tannenberg wurde Teil des Augusterlebnisses. Ein großer Erfolg - auf einem Nebenkriegsschauplatz. Nicht der von Ludendorff erhoffte schnelle Sieg gegen Russland,⁵⁹ vielmehr lediglich der erste von vielen nötigen Siegen. Was machte Tannenberg dann so besonders? Die Überlegenheit des deutschen Heeres über das russische, was Führung, Organisation, Aufklärung und Kampfkraft anbelangte, war nach großen Anfangsschwierigkeiten deutlich zum Ausdruck gekommen und prägte den gesamten weiteren Kriegsverlauf an der Ostfront. Psychologisch gesehen war dies von epochaler Bedeutung. Die einst überragende Bedeutung Russlands für Preußens Geschick war Geschichte. Die Kriegswende im Siebenjährigen Krieg: Friedrich II. Katastrophe bei Kunersdorf 1759, die abermalige Wendung durch Russlands Frontwechsel 1760; Preußens Existenz allein durch Russlands Fürsprache 1807; schließlich die Russland-Katastrophe des militärisch nicht ganz unbegabten Napoleons 1812 impften Preußen fortwährend ein Unterlegenheitsgefühl gegenüber der unheimlichen Weltmacht des Zarenreiches ein. Auch ein Otto von Bismarck (1815-1898) warf manchen scheuen Blick gen Osten. Er führte gerne Krieg, aber unter keinen Umständen gegen Russland. Der Rückversicherungsvertrag mit dem Zaren 1887 galt ihm kurzerhand als Lebensversicherung.

    Nach Tannenberg war die Einschätzung gegenüber den Russen eine gänzlich andere. Zwischen Tannenberg 1914 und Moskau 1941/ Stalingrad 1942/43 kehrten sich die Vorzeichen um. Bei den Deutschen wuchs das Gefühl der Überlegenheit in gleichem Maße wie auf russischer Seite das Unbehagen über die Unterlegenheit gegenüber dieser furchtbaren Militärmaschine zunahm. Aus der russischen wurde eine deutsche Dampfwalze.

    Mit dem Sieg von Tannenberg drang der Name von Hindenburgs zum ersten Mal ins öffentliche Bewusstsein Deutschlands. Die Schlacht markierte das Ende des russischen Vorstoßes. Sie war der Wendepunkt des Ersten Weltkrieges im Osten - wie es der abrupte Stopp des deutschen Vormarsches im Herbst 1941 vor Moskau im Zweiten Weltkrieg sein sollte. Ostpreußen ging 1914 nicht verloren, sondern stand vor der Rückeroberung durch die Deutschen. Die Russen hatten zuvor mehr als ein Drittel Ostpreußens eingenommen und Panik unter der deutschen Bevölkerung verbreitet. Selbst Ludendorff bemerkte, dass zumindest die meisten russischen Truppen die deutsche Zivilbevölkerung musterhaft behandelten. Lediglich die Kosaken hätten aber auch geplündert und vergewaltigt.⁶⁰ Die vereinzelten Kriegsverbrechen der Russen wurden von der deutschen Propaganda wirkungsvoll ausgeschlachtet. Verschwiegen wurde, dass auch deutsche Kommandos auf dem Rückzug verbrannte Erde zurückließen. Die Zivilisten gerieten zwischen zwei Feuer. Die Härten des Krieges hatten hier ebenso wie in dem von den Deutschen brutal überrollten⁶¹ Belgien zu einer breiten Fluchtbewegung geführt. Tausende Flüchtlinge klebten an der Truppe, wie Ludendorff schrieb⁶² und behinderten bereits vor der Schlacht von Tannenberg die Marschbewegungen der 8. Armee.⁶³ Eine vollständige Aufgabe Ostpreußens durch das deutsche Heer hätte hier (wie 1945 unweigerlich geschehen) schnell zu einem Chaos geführt. In diesem Bewusstsein merkten sich die Ostpreußen denn auch den Namen von Hindenburgs in dankbarer Erinnerung. Der Retter Ostpreußens sollte hier späterhin seine treueste Wählerschaft finden.

    Von Hindenburg, der ruhige Genießer, freute sich bereits über die ersten Ehrungen von öffentlicher Seite während Ludendorff diesen gewaltigen Sieg nicht aus vollem Herzen genießen konnte: Die Nervenbelastung durch Rennenkampfs Armee war zu schwer gewesen,⁶⁴ schrieb er. Ludendorff konnte nicht abschalten. Während die Anderen feierten, ärgerte er sich über den Ungehorsam adeliger Generäle, die einen höheren Rang als er bekleideten⁶⁵ und von v.Hindenburg durch einen Armeebefehl zur Ordnung gerufen werden mußten.⁶⁶ Außerdem machte er sich bereits Sorgen um den bevorstehenden Aufmarsch gegen Rennenkampf und dessen 1. russische Armee.

    6. Ludendorff und von Hindenburg unschlagbar

    Als im Süden Ostpreußens die Schlacht von Tannenberg tobte und Samsonows 2. Armee vergeblich auf Hilfe wartete, marschierte Rennenkampfs 1. Armee gerade einmal bis zu den Masurischen Seen südöstlich Königsbergs vor. Weiter sollte sie nicht mehr kommen. Die siegreiche 8. deutsche Armee wurde durch Abgaben des Westheeres verstärkt.

    Warum die Westfront schwächen? War es nicht schlimm genug…

    … dass der militärische Schlieffen-Plan antiquiert war und nicht zur politischen Situation passte?

    … dass das Kräfteverhältnis von eins zu eins für eine Umzingelung ohnehin schon ungenügend und die Operation viel zu riskant war?

    Trotz dieser entscheidenden Mängel sah die militärische Führung ihre Westtruppen nach wie vor im planmäßigen Vormarsch begriffen. Sie wollte die Lage im Osten beruhigen. Noch bevor der Westfeldzug endgültig gewonnen war, wurde bereits vorausschauend für den folgenden Ostfeldzug umgruppiert.⁶⁷ Generalquartiermeister Hermann von Stein (1854-1927) sollte den Anstoß dazu gegeben haben.⁶⁸ Diese Entscheidung war verfrüht und fatal. Drei Korps, also mehr als eine halbe Armee, sollten nach dem Osten abgehen. Aus dem linken Flügel der Westfront sollte eines und aus dem so wichtigen rechten Angriffsflügel gar zwei Korps abgezogen werden. Nach reiflicher Überlegung beließ von Moltke jedoch das eine Korps am linken Flügel, schwächte jedoch seinen Angriffsflügel. Ob dies den Feldzug entschied, bleibt dahingestellt. Jedenfalls erleichterte es den erwarteten Sieg im Westen nicht gerade. Ludendorff, der um eine Verstärkung gar nicht gebeten hatte,⁶⁹ war eine solche mithin hoch willkommen. Diese und jede weitere Verstärkung der Ostfront zeitigte Früchte. Von Hindenburg und Ludendorff gingen mit ihren nunmehrigen sechs Korps zum Angriff über. Anders als bei der Improvisation von Tannenberg standen die Korps ordentlich aufgereiht nebeneinander und stießen fast ausschließlich frontal gegen Rennenkampf vor. Durch Tannenberg klug geworden, ließ sich dieser nicht wie Samsonow überflügeln und einkesseln. Zurückgeworfen wurde er dennoch. Der deutsche Erfolg war nicht so groß wie bei Tannenberg. An der Front lief es nicht optimal, wie Ludendorff offen zugab: Die eigenen Kolonnen beschossen sich zuweilen. Die Truppen griffen zu scharf frontal an.⁷⁰ Trotz alledem: Obzwar in Unterzahl blieben die Deutschen auf dem Vormarsch. In vier Tagen kamen sie 100km voran. Der von den Russen eroberte Teil Ostpreußens schmolz auf einen kleinen Gebietsstreifen südlich der Memel. Die Deutschen drangen nun ihrerseits mit ihrem rechten Flügel auf russisches Gebiet vor. Hatten die Deutschen bei Tannenberg bereits 90.000 Gefangene gemacht, so kamen an den Masurischen Seen noch einmal 45.000 hinzu.⁷¹

    7. Gemetzel im Westen

    Die Kriegsbegeisterung kühlte langsam ab. Ein Soldat berichtete, wie seine nach wie vor von der Zivilbevölkerung gefeierte und hoch motivierte Einheit Ende Oktober 1914 gen Westen aufbrach.

    Nach einer beispiellos schönen Rheinfahrt kamen wir am 23 Oktober (1914) in Lille an. Schon durch Belgien konnten wir den Krieg sehen. Löven war ein Schutt- und Brandhaufen. Bis Dourmey gieng die Fahrt ziemlich ruhig und sicher. Dann aber kam Störung um Störung. An einigen Stellen waren die Bahngeleise trotz strengster Bewachung gelockert worden. Immer zahlreicher kamen jetzt gesprengte Brücken, zertrümmerte Lokomotiven. Obwohl der Zug im richtigen Schneckentempo fuhr kamen die Folterpausen immer öfter. Aus der Ferne hörten wir auch schon das monotone Rollen unserer schweren Mörser. Nach langen Märschen erreichte das Regiment, welches bereits auf feindliche Flieger achten mußte, seine Bereitstellungsräume und wartete auf den ersten Befehl zum Angriff. Endlich liegt knapp hinter uns eine Deutsche Haubitzbatterie, und jagd alle 15 Minuten 2 Granaten über unsere Köpfe hinweg in die schwarze Nacht hinaus. Das heult und pfaucht durch die Luft und dann hört man weit in der Ferne 2 dumpfe Schläge. Jeder von uns horcht nach. Das erstemal im Leben hört man das ja. Und während wir so leise flüsternd eng aneinander gepreßt daliegen und zum Sternenhimmel emporsehen geht in der Ferne ein Lärmen los erst noch weit dann immer näher und näher rattert es und die einzelnen Schläge der Kanonen werden immer zahlreicher bis zum Schlusse ein einziges Rollen daraus wird. Jedem von uns zuckt es durch die Adern. Die Engländer machen einen ihrer Nachtangriffe, heißt es. Bange warten wir, ungewiß von dem was da eigentlich vorgeht. Das Abenteuer geht weiter. In großen Erdlöchern nehmen wir Stellung und warten. Jetzt sausen auch die ersten Schrapnelle über uns und platzen am Waldsaum und zerfetzen Bäume als ob sie Strohwische wären. Neugierig sehen wir zu. Wir haben noch keine rechte Ahnung von der Gefahr. Keiner von uns hat Furcht. Jeder wartet ungeduldig auf das `Vorwärts`. Und jetzt wird auch das Specktakel immer ärger. Es soll schon Verwundete geben […] Endlich heißt es `vor`. Wir schwärmen aus und jagen über die Felder die nun kommen dahin, auf ein kleines Gehöft zu. Links und rechts platzen die Schrapnells und dazwischen singen die englischen Kugeln durch, aber wir achten nicht darauf […] Da heißt es plötzlich Zugführer Stöwer angeschossen. Oh weh, denk ich noch schnell, das fängt schön an […] Jetzt fallen auch die ersten unter uns. Die Engländer haben jetzt Maschinengewehre auf uns eingestellt. Wir werfen uns also nieder und kriechen durch eine Rinne langsam vor. Manchmal stockt es, dan ist immer wieder einer angeschossen, kann nicht mehr vor, und wir müssen ihn aus der Furche herausheben […] Es sieht schon stark gelichtet aus. Jetzt kommandiert uns nur mehr ein Vizefeldwebel […] Wir kriechen auf dem Boden bis zum Waldrand vor. Über uns heult und saust es, in Fetzen fliegen Baumstämme und Äste um uns herum. Dann wieder krachen Granaten in den Waldsaum hinein und schleudern Wolken von Steinen, Erde und Sand empor heben die schwersten Bäume aus dem Wurzeln und ersticken alles in einem gelbgrünen, scheußlichen, stinkigen Dampf. Ewig können wir hier nicht liegen, und wenn wir schon fallen, denn nur noch besser draußen […] Nun geht es bei uns zum Sturm. Wir kommen blitzschnell über die Felder vor, und nach stellenweise blutigem Zweikampf werfen wir die Burschen aus einem Graben nach dem andern heraus. Viele heben die Hände hoch. Was sich nicht ergibt wird niedergemacht. Immer wieder Angriffe, immer größere Verluste. 4mal dringen wir vor und müssen wieder zurück, von meinem ganzen Haufen bleibt nur mehr einer übrig außer mir, endlich fällt auch der. Mir reißt ein Schuß den ganzen rechten Rockärmel herunter aber wie durch ein Wunder bleibe ich gesund und heil […] Am 4ten abends marschierten wir zurück nach Osterwick. Dort sahen wir erst unsere schweren Verluste. Das angreifende deutsche Regiment hatte in der Flandernschlacht binnen vier Tagen ein Zehntel allein an Toten verloren. Das ernüchterte. Es handelte sich hierbei um die Feuertaufe des 16. bayerischen Reserveinfanterieregiments `List` am 29. Oktober 1914. Es war die Einheit Adolf Hitlers. Von ihm stammte der geschönte und verfälschte Propaganda-Bericht, ein Brief an den befreundeten Münchner Assessor Ernst Hepp vom 5. Februar 1915.⁷² Wie später in Mein Kampf und in seinen politischen Reden machte sich der Niemand Hitler wichtig, mischte Fakten mit Übertreibungen und Lügen. Ja, die Hinfahrt war in guter Stimmung verlaufen, ja, an der Feuertaufe seines Regiments hatte er teilgenommen, ja, die ersten vier Fronttage waren äußerst blutig gewesen. Warum? Weil die Ausbildung dürftig gewesen war, sie modernste Waffen, mit denen sie umzugehen nicht geübt hatten, erst unmittelbar vor dem Angriff erhalten hatten. Nein, der Angriff war chaotisch verlaufen, nein, viele der Helden verloren die Nerven, nein, die Engländer verfügten nur über ein Maschinengewehr, nein, ihre unnütze Behelfsausrüstung zog deutsches Feuer auf sich, da man sie für Engländer hielt.⁷³ Solche Peinlichkeiten berichtete Hitler selbstverständlich nicht.

    Er fand sich schnell ein und lavierte sich geschickt in eine komfortable Position. Bereits am 1. November 1914 wurde er zum Gefreiten befördert. Der 9. November wurde sein Schicksalstag. Seit diesem Tage war er Meldegänger. Auch diese Tätigkeit war lebensgefährlich, doch war sein Zuhause fortan nicht mehr die vorderste Linie. Er diente beim Regimentsstab. Dort, nicht im Schützengraben, wurden die Pfründen vergeben und die Orden. Den entscheidenden Vorgesetzten viel er angenehm auf und erhielt schließlich am 2. Dezember 1914 das Eiserne Kreuz Zweiter Klasse.⁷⁴

    Doch gab es keine weiteren Beförderungen mehr. Dem eigenwilligen Hundertprozentigen wurden Führungsqualitäten abgesprochen. Das war nicht das einzige, was nicht nach dem Willen des Ehrgeizigen verlief. Aus feurigen Angriffen wurden Stellungskämpfe im ewigen flandrischen Morast. Im Winter standen die Soldaten kniehoch im Wasser. Der Krieg wurde zur blutigen Routine. Hitler schrieb weniger und weniger ausführlich. Der Endsieg, wie es bereits im Ersten Weltkrieg hieß, ließ auf sich warten.

    1914 wurde an der deutschen Westfront nicht, wie zu Kriegsbeginn beschlossen, der totale Sieg gefeiert. Stattdessen machte das todverheißende Wort Langemarck die Runde. Tausende deutscher Freiwilliger hatten bei diesem belgischen Ort einen Massenangriff inszeniert - ähnlich dem geschilderten von Hitlers Einheit. Ihr Hurrageschrei hatten britische Maschinengewehrschützen in Blut erstickt. Es mussten schwere deutsche Verluste ohne nennenswerte Wirkung auf den Feind verkraftet werden. Militärisch sinnlos, versuchte man dieses Sich-abschlachten-lassen als heroischen Opfergang zu verklären, doch stand Langemarck an der Front bald als Sinnbild einer naiven Kriegsbegeisterung alter Prägung. Das Aufeinanderprallen der im Geiste des 19. Jahrhunderts gedrillten stehenden Heere führte bereits im ersten Kriegsjahr zu deren Ende und schon 1915 prägten frisch ausgehobene und mangelhaft ausgebildete Truppen das Bild. Die Masse der deutschen Offiziere und Unteroffiziere des Friedensheeres waren bereits nach den ersten Schlachten tot oder verwundet.⁷⁵

    Infanterie ging 1914 aufrecht wie bei Waterloo gegen Maschinengewehrstellungen vor, die Kavallerie trat zu Todesritten an, Artilleristen weigerten sich, Deckung zu suchen und wurden auf offenem Feld massakriert. Der Krieg war, wie Markus Pöhlmann zurecht behauptet, 1914 noch sehr napoleonisch.⁷⁶ Der Kriegsmythos des 19. Jahrhunderts wurde hier zusammengeschossen. Wer fortan, übertrieben gesagt, dem Feind mit klingendem Spiel und flatternden Fahnen entgegenmarschierte und ihm solchermaßen das Zielen erleichterte, galt bestenfalls als dumm. Bunte Uniformen wurden endgültig durch erdfarbene vertauscht. Tarnen und Täuschen war das Überlebensgebot der Stunde. Das Schießen aus voller Deckung, das Abknallen aus dem Hinterhalt galt bereits 1915 als angemessene Kriegführung. Es waren die Deutschen, welche 1915 als erste das international geächtete Kampfgas als Waffe einsetzten. Die Alliierten brauchten fünf Monate, bis sie die führende deutsche Wissenschaft in diesem Punkt eingeholt hatten. 1916 gingen wiederum die Deutschen noch einen Schritt weiter in der Barbarisierung des Krieges. Sie verbrannten ihre Feinde bei lebendigem Leib durch den Einsatz von Flammenwerfern. Die Soldaten wurden getötet, besser: vernichtet, als handele es sich bei ihnen um Ungeziefer. Solche über Jahre immer weiter getriebene Menschenverachtung verrohte Teile einer Generation.

    8. Von Hindenburg und Ludendorff untrennbar

    Der ausbleibende große Sieg im Westen 1914 rückte die kleineren Siege im Osten immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Von Hindenburg wurde zum Heros stilisiert. Ludendorff war und blieb ein Mann des Hintergrundes. Lüttich hatte ihm den Pour le Mérite eingebracht, der große Sieg von Tannenberg lediglich das Eiserne Kreuz II. Klasse. Überhaupt war die deutsche Führung darauf bedacht, die Bäume der Sieger von Tannenberg und an den Masurischen Seen nicht in den Himmel wachsen zu lassen. Die Ablösung des glücklosen von Moltke (1. OHL) sah nicht von Hindenburg und Ludendorff als Nachfolger, sondern den dem Hauptquartier näher stehenden preußischen Kriegsminister Erich von Falkenhayn (1861-1922). Er war Chef der 2. OHL und beabsichtigte, erst wenige Stunden im Amt, Ludendorff und von Hindenburg voneinander zu trennen. Von Hindenburg sollte Chef der 8. Armee bleiben, Ludendorff Generalstabschef der in Schlesien neu aufgestellten 9. Armee werden.⁷⁷ Ludendorff freute sich mehr auf die Reise durch seine Heimatprovinz Posen als auf seinen neuen Armeechef von Schubert. Ludendorff und von Hindenburg besaßen jedoch bereits genügend Einfluss, um Falkenhayns Pläne vorerst zu torpedieren. Was Ludendorff noch von Moltke vorgeschlagen hatte, wurde von dessen Nachfolger von Falkenhayn schlußendlich akzeptiert. Der Großteil der 8. Armee wurde nach Schlesien verlagert und zur 9. Armee. Unter Führung von v.Hindenburg und Ludendorff. Die restliche 8. Armee verblieb unter von Schubert in Ostpreußen.

    Die Lage im Osten blieb dennoch kritisch. Wohl war Ostpreußen zunächst außer Gefahr, doch waren die Nachbarprovinzen Posen und Schlesien ungesichert. Ein wenig Grenzschutz, eine Art Landwehr, deren Tradition auf die Befreiungskriege 1813-1815 zurückging,

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1