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Schillers Bürgschaft: Von der Treue zu sich selbst und der mühelos-mühsamen Integration des Schattens
Schillers Bürgschaft: Von der Treue zu sich selbst und der mühelos-mühsamen Integration des Schattens
Schillers Bürgschaft: Von der Treue zu sich selbst und der mühelos-mühsamen Integration des Schattens
Ebook1,053 pages63 hours

Schillers Bürgschaft: Von der Treue zu sich selbst und der mühelos-mühsamen Integration des Schattens

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About this ebook

Es bedarf einiger Disziplinierung und der Begegnung mit seinen Ängsten und vorgefassten Meinungen, um sich selbst und dadurch anderen Menschen in jeder Situation unerschrocken treu sein zu können. Der treue Mensch ist wahrhaftig, steht zu seinen Entscheidungen und folgt allein sich selbst nach. Auf diesem Wege gelangt er zur Selbstwerdung: zur vollen Individuation. Neben Schillers Biografie, Recherchen zu den Hintergründen der Ballade und Gedanken zur ästhetischen Erziehung werden einige Ausflüge in allgemeine wie in die antike Philosophie und Mythologie unternommen und tiefenpsychologisch beleuchtet. Damon und Phintias gehörten den Pythagoräern an, und wir befassen uns darum auch mit dem weit verbreiteten Vegetarismus antiker Philosophen. Ferner, um eine bessere Gesamtschau zu erhalten, werden prächristliche Bezüge zu Schillers Bürgschaft angesprochen. Die Integration des abgespalten gewesenen Schattens und damit die Individuation vollzieht sich ohne direktes Nachhelfen Damons schließlich unter der Auseinandersetzung mit sich selbst wie auch mit den schicksalhaften, nicht von ihm beeinflussbaren äußeren Einflüssen, sodass sein Feind Dionys um Aufnahme in den Treuebund bittet.
LanguageDeutsch
Release dateJan 3, 2013
ISBN9783848262830
Schillers Bürgschaft: Von der Treue zu sich selbst und der mühelos-mühsamen Integration des Schattens
Author

Sofia Sörensen

Sofia Sörensen wurde 1946 in Rom als Halbitalienerin geboren. Sie studierte an der Musikhochschule Hamburg Operngesang. Konzertauftritte, Musik- und Sprachunterricht neben der Erziehung ihrer drei Kinder füllten sie viele Jahre hindurch aus. Ihr wechselvolles Leben in verschiedenen Ländern brachte aber auch reichlich schmerzvolle Erfahrungen mit sich. Mehrere psychotherapeutische und medizinische Fehlbehandlungen weckten ihr Interesse an einer ganzheitlichen Selbstbehandlung und führten sie zu der Erkenntnis: "Irren kann ich mich auch selbst. Dafür benötige ich keinen Arzt." Daraufhin absolvierte sie ein umfassendes, neunjähriges Heilpraktikerstudium mit Spezialisierung auf Homöopathie und Ernährungstherapie (ohne Abschluss) und hat sich intensiv mit allen Geisteswissenschaften befasst. Sie ergründete ihr Leiden in einer einzigartigen Selbsttherapie, und es gelang ihr nachhaltige Heilung. Zu ihrem Leben gehören Ganzheitlichkeit, Achtsamkeit und Bewusstheit, Vegetarismus, Naturheilkunde, Poesie und Musik.

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    Book preview

    Schillers Bürgschaft - Sofia Sörensen

    Inhalt

    Phönix: Er entsteht neu in größerem Glanz

    Prolog

    1. Teil

    Friedrich von Schiller und seine Zeit

    1. Brief über die ästhetische Erziehung des Menschen

    Schiller hätte nicht an Tuberkulose sterben müssen

    Zusammenfassung der Biografie

    Werküberblick

    Sturm und Drang und Weimarer Klassik

    Arkadien

    Idealismus - Materialismus - Ethik - Ästhetik - Askese - Umdeuten

    Über die ästhetische Erziehung des Menschen - (15. und 16. Brief)

    Königin Arēte und die Areté

    Wahrheit, Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit

    Das Ideal und das Leben - (Poesie)

    Reflexionen

    Geschichtliche Quellen zur Ballade

    Entstehung der Bürgschaft

    Die Bürgschaft - (Ballade)

    Die Personen und ihre Darsteller

    Hochzeitsbrauchtum im antiken Griechenland

    Antikes Weltbild

    Antike Mythologie und Mythografie

    Die Götter Griechenlands - (Poesie)

    Antike Philosophen

    Die Pythagoräer

    Vegetarismus in der Antike

    Anatomievergleich

    Zivilisationskrankheiten.

    Glaube und Vernunft

    2. Teil

    Psychogenese

    Parallelen zwischen Literatur und eigenem Leben

    Wallenstein - (Prolog)

    Poesie und Psychologie

    Poesie und Sprache

    Der Archetypus

    Der Schatten

    Tyrannei

    Anima und Animus

    Subjekt-/Objektbeziehungen

    Psychogenese im Spiegel von Schillers Bürgschaft

    Biblio- und Schreibtherapie von Sofia Sörensen

    Brief an Barbara

    3. Teil

    Die Bürgschaft

    1. Vers: Das Bekenntnis zur Tat

    2. Vers: Akzeptanz des Urteils und Bitte um Gnade

    3. Vers: Die List des vermeintlich Stärkeren

    4. Vers: Das Treueversprechen

    5. Vers 1. Teil: Vertrauen

            2. Teil: Anima und Animus

    6. Vers: Der hilflose Mensch

    7. Vers: Hoffnungslosigkeit

    8. Vers: Der Ruf nach Zeus

    9. Vers: Die Entdeckung des Selbst

    10. Vers: Die Räuber

    11. Vers: Der Kampf

    12. Vers: Mich dürstet

    13. Vers: Die Antwort des Zeus

    14. Vers: Der archaische Wanderer

    15. Vers: Damons Schatten tritt ihm entgegen

    16. Vers: Die Warnung des Schattens als Hüter zweier Häuser

    17. Vers: Die unabhängige Seele widerspricht

    18. Vers: Sich dem Henker der Meinungen stellen

    19. Vers: Das Wahrhaftigkeits- und Treuewunder ergreift alle

    20. Vers: Ich bin der Hüter meines Schattens; und er hütet mich!

    Epilog

    Ode an die Freude (Poesie)

    Verschiedene Verzeichnisse

    Detaillierter Index der umfangreichen Verzeichnisse

    Literaturverzeichnis

    Alphabetisches Glossar

    Hinweis auf weitere Bücher der Autorin

    Er entsteht neu in größerem Glanz

    Das allegorische Bild für Individuation durch Sterben und Neugeburt finden wir im antiken Phönix, der in der Glut der Morgenröte verbrennt und, neugeworden aus einem Ei, seiner eigenen Asche entsteigt. Der Name dieses mythischen Vogels und Fabelwesens bedeutet Licht und hat sich vielleicht aus der Beobachtung von Sonnenaufgang und -untergang ergeben, wo aus dem glutroten Morgenrot ein neuer Tag ersteht. In der ägyptischen Mythologie verbrennt Benu, der meistens als Reiher dargestellt wurde. In der griechischen Vorstellung baut er am Ende seines bis zu 1461 Jahren währenden Lebens ein Nest, in dem er verbrennt. Da heraus entsteht ein Ei, und ein neuer Phönix entsteigt in herrlicher Auferstehung der Asche und schwingt sich empor in den neuen Tag, um einen neuen Lebenszyklus zu durchfliegen.

    Die Tränen des griechischen Phönix heilen Wunden. Er heilt und regeneriert sich selbst und alle, die empfänglich für Tränen sind und von ihnen benetzt werden. Der Feuervogel Phönix ist das Sinnbild der Auferstehung. Das Unvergängliche ist wie ein Vogel und liegt in der persönlichen Entscheidung zu Treue, Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit und Wahrheit auch unter widrigen, vorher nicht vorausschaubar gewesenen Bedingungen. Die Konsequenz der Treue ist die Grundlage für die Liebe. Sie aber garantiert Zuverlässigkeit, Sicherheit und Wohlgefühl.

    Wir haben uns den Anforderungen nach Gut-Sein und Treue zu stellen, um am Ende ohne schlechtes Gewissen auf ein geglücktes Leben zurückschauen zu dürfen. Und sicher erblühen auch wir nach langer Wanderschaft zu neuem Leben wie der Phönix aus der Asche unserer vielen geweinten Tränen, aus der Asche der verbrannten Enttäuschungen und aus der Asche der Vergangenheit zu neuem, ewigen Werden und Vergehen: Zu Ewigem Leben!

    Meiner lieben Mutter gewidmet.

    Sie ist der treueste Mensch, der mir je begegnet ist.

    Prolog

    Schon als Zehnjährige begeisterte mich Friedrich von Schillers Bürgschaft so sehr, dass ich sie freiwillig auswendig lernte und bis heute in großen Teilen aufsagen kann. In meiner Kindheit war es nicht mehr üblich, bekannte Werke der alten Meister auswendig zu lernen. Meine Großmütter kannten all diese oftmals ellenlangen Werke noch von ihrer Schulzeit her lückenlos, und das beeindruckte mich natürlich sehr. Und ich habe mit Freuden diejenigen Gedichte freiwillig gelernt, die mich besonders ansprachen. Und dazu gehörte vor allem Schillers Bürgschaft. Zu Hause sagte ich sie dann stolz auf und bekam dickes Lob. Nicht nur, weil ich eine Leistung vollbracht hatte sondern weil wir dazu gemeinsam mit dem Kopf nickten, wenn diese klassischen Verse als gemeinsame Musik und Erkenntnis erklangen und weil sie durch mich auch in die nächste Generation weitergereicht wurden.

    Des rühme der blut'ge Tyrann sich nicht, dass der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht. Er schlachte der Opfer zweie und glaube an Liebe und Treue. Das waren Worte, die mir schon in meiner Kindheit durch Mark und Bein gingen. Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn. So nehmt auch mich zum Genossen an. Ich sei – gewährt mir die Bitte – in eurem Bunde der Dritte, sagt der Tyrann am Ende und möchte in einen solch starken Treue- und Freundschaftsbund aufgenommen werden, nicht mehr abseits von derartigen Männern stehen, seine eigene Gewalttätigkeit ablegen und seine einsame Macht in einem Dreierbund aufgehoben und aufgeteilt wissen. Integriert und aufgenommen zu sein, dazu zu gehören, ist ein starker Wunsch! Denn wir Menschen benötigen solch starke, solidarische Gemeinschaft unter gegenseitiger Treue füreinander, um uns sicher, wohl und ganz fühlen zu können.

    Wir lassen uns nie rein zufällig von Liedern und Gedichten beeindrucken, sondern aus dem Urgrund der Seele schwingt eine gemeinsam gemachte Urerfahrung mit, die sich immer wieder bestätigte und die in einem Vers, einem Lied oder einem kurzen Begriff ihr Echo findet. Die Seele fühlt sich dadurch auch vom eigenen Echo angesprochen, welches tiefen Glauben aus dem Wald zurückruft, denn Erkenntnis schafft ja Meinungen und Glauben. Und der Mensch identifiziert sich damit und antwortet: So ist es! Ja, genau so! Hierin erkenne ich meine Eindrücke, meine Erfahrungen wieder. Wie sich die Bilder gleichen. Wir möchten uns unter einem äußeren Zeichen als Gemeinschaft desselben Glaubens wiederfinden. Das beruhigt und schafft tiefes Identitäts- und Sicherheitsgefühl. Und das wird uns zum zweiten Standbein und verleiht uns Geborgenheit und Stabilität unter gemeinsamem Singen desselben schönen Liedes bis hinauf zum gemeinsamen Glaubenschoral und der Nationalhymne.

    Selbst wenn unsere Urerfahrung am Beginn unseres Lebens negativ war, so können wir doch immer anknüpfen an das, was noch vor jeder Erfahrung in uns hineingelegt worden ist und was die griechische Antike als Areté bezeichnet. Es ist die Vitalität, die Schöpfungs- und Selbsterhaltungskraft, die jedem Menschen innewohnt und mit der wir nur unverstellt in Berührung kommen können, wenn wir die Schönheit unserer Seele durch Schulung unserer guten Eigenschaften, Tugenden, der sittlichen Werte und Ethik heranbilden. Die Areté ist dem Menschen angeboren; er sollte sie allerdings pflegen. Ich gehe weiter unten differenzierter darauf ein.

    Am Ende und als Höhepunkt wollen wir in Harmonie gemeinsam ein Lied singen können, als hätten wir es selbst erdacht. Und diejenigen Lieder, die wir alle gemeinsam kennen und singen sind es, die uns aus der Seele sprechen: Ja, genau so ist es! Wenn wir das noch unterstreichen wollen, dann haken wir uns ein und dschunkeln miteinander. Wir tanzen beschwingt über das Parkett im Dreivierteltakt fliegend, denn diese Lieder vereinen uns durch gemeinsame Erfahrungen und werden als Hymne und Ode zum wesentlichen Erkennungsmerkmal.

    Solche Lieder erklingen als Festtagslieder in besonderen Situationen, als Erkennungsmerkmal, zuweilen auch als Ausdruck von Trauer, dann wieder zur Aufmunterung oder als Solidaritätszeichen, ein andermal gar als Schlachtruf, woanders dann im fröhlich-ausgelassenen Kneipenlied, in Flamenco und Volkslied wie auch im Schlager. Alle singen sie gemeinsam: Ein Prosit der Gemütlichkeit. Und am Grabe ertönt: Ich hatt' einen Kameraden. Und wenn wir gemeinsam die Nationalhymne singen, legen einige die rechte Hand aufs Herz. Sie drückt das teuerste der Bande aus: Vaterland! Sicherheit! Geborgenheit! Heimat und Zuhause! Darin sind wir sicher, da fühlen wir uns geborgen und wohl, und damit identifizieren wir uns.

    Es sind die allgemein bekannten Lieder, Gedichte oder auch nur kurzen Aphorismen, in denen wir uns in deren bekannten Aussagen wiederfinden und zustimmend nicken: Ja, das ist wahr, das spricht mir aus dem Herzen, und ich stimme zu. Und sogar in unseren nächtlichen Träumen singen wir noch derartige Lieder. Selbst im Schlaf kommen sie in allegorischen oder in archetypischen Kurzbegriffen hoch, denen eine Eigenschaft inne wohnt und die zum Erkennungszeichen wurden: zum Symptom als Begleiterscheinung eines umfangreichen Prozesses und manchmal als Erkennungsmerkmal einer ganzen Epoche.

    Wie ein Fingerzeig weisen manche Gedichte und Lieder oder auch nur kurze Passagen aus ihnen auf unser eigenes Leben hin. Es gibt mehrere einander ähnelnde Formulierungen für dies Phänomen: Archetypus, Allegorie, Symbol, Kern, Quinta Essentia, Metapher, Beispiel, Projektion, Mimesis, Mimikry¹, Symptom, Begleiterscheinung, Erkennungszeichen, Hymne und Ode. Und der Zugang zu ihnen verläuft über die Assoziation als eine Art elektrischen Potentials, das Gefühle frei zu setzen im Stande ist.

    Von der Treue zu sich selbst und der mühelos-mühsamenIntegration des Schattens schreibe ich im Untertitel, an dem ich natürlich immer wieder gefeilt habe, bis ich fand: Ja, das ist in Kurzform die Aussage meines Buchs. Denn unser Schatten integriert sich tatsächlich von selbst und ohne besonderes Dazutun, wenn wir unserem Selbstversprechen, uns treu zu bleiben, durch allerlei Selbstreflexionen und Übungen immer sicherer und standhafter treu werden. Die Mühe des direkten Versuchs können wir uns sparen, da er fehl geht und einen Erfolg eher verhindert. Alles was zwanghaft oder durch Gewalt zu erreichen versucht wird, ist über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt. Vielmehr ist der Weg der Arbeit an sich selbst mühsam, auf dem uns unser Schatten begleitet, stets hinter uns bleibend und manchmal aus dem Hinterhalt über uns herfallend. Meistens bleibt er unsichtbar und unbewusst. Und wenn er uns anspringt, erkennen wir ihn lediglich als äußeren Feind, nicht aber als Teil unserer selbst. Über den Schatten in seinen vielfältigen Verkleidungen erfahren sie reichlich anhand allgemeiner Vergleiche und unter der Durcharbeitung der Bürgschaft wie auch im Vergleich zu sich selbst.

    Nach reichlich Mühen und Ringen um uns selbst gelingt die Integration des abgespalten gewesenen Schattens tatsächlich mühelos, weil von allein. Und dieser Sieg wurde nicht von uns errungen sondern ergab sich als geschenkte Beigabe, weil wir inzwischen gelernt haben, uns selbst treu zu bleiben, nicht aber unseren vorgefassten Meinungen, die aus den Werturteilen anderer Menschen hergerührt hatten. Wie das? - Wir werden es in diesem Buch gemeinsam erleben, in dem wir konsequent der Treue zu uns selbst begegnen und unter jeder neuen Bedrohung, statt impulsiv zu reagieren, immer besonnener und gelassener werden können, unser Ziel immer vor Augen habend und unterschiedliche Grenzen kennen lernend. Ein Ziel, das als Areté seit Anbeginn in uns ruht und nur akzeptiert werden will wie unser eigenes Kind.

    Albert Schweitzer, Schützer und Freund des Lebens, den ich in meiner Kindheit - und natürlich immer noch - sehr verehrte, brachte es bereits auf den Punkt, dass nämlich wirkliche Treue immer die eigene Wahrhaftigkeit ausmacht und Wahrhaftigkeit in der Treue zu sich selbst gründet. Ohne Treue zu sich selbst, die Entscheidungsfähigkeit voraussetzt, gibt es keine Wahrhaftigkeit, und diese kompromisslose, konsequente Treue zu uns selbst ist der eigentliche Motor unserer Wahrhaftigkeit. Wenn wir uns aber statt dessen unter Selbstbeweihräucherung in die eigene Tasche lügen und gar nicht bemerken, wo wir überall unsere Übergriffe tätigen - meist im Glauben, besonders wohltätig und gut zu sein - wenn wir also unsere eigenen Handlungsweisen nicht richtig einschätzen, weil wir nicht einmal uns selbst gegenüber ehrlich sind und darüber hinaus weder gesunde Eigenliebe noch Nächstenliebe zu pflegen in der Lage sind: Wie sollten wir da wirklich wahrhaftig werden können?

    Wahrhaftig zu sein, bedarf großer Geduld mit sich selbst und anderen Menschen. Und sie bedeutet letzte Beugung vor dem Schicksal. Gegen Wände zu rennen, ist ohnehin unfruchtbar, da sie nicht weichen werden. Beugung als Hingabe zeichnete Schiller mit markigen Worten in der unbedingten, bedingungslosen Zu-Neigung zu seinem besten Freund. Er lässt seinen Damon durch die Feuer- und Wasserprobe wie in der Oper Die Zauberflöte gehen. Und diese Zauberflöte, die Paminas Vater aus uraltem Grund der tausendjähr'gen Eiche geschnitzt hatte, geleitete sie zusammen mit ihrem Tamino sicher durch alle Prüfungen und Gefahren hindurch, denn ihr Ton ist Schutz in Wasserfluten, so, wie er es im Feuer war. Um Meister seiner Seele werden zu können, braucht das Ich die Vereinigung des starken Paares Anima und Animus. Erst eine solchermaßen erstarkte Seele kann unter unbedingter Treue auf ihrem Weg Auseinandersetzungen standhalten und Gefahren meistern. Und jede Auseinandersetzung mit anderen Menschen ist sowohl eine Auseinandersetzung mit deren als auch mit den eigenen Kräften.

    Als in Schillers Bürgschaft ein Orkan losbricht, es stürmt und regnet, der Fluss unüberquerbar wird und Damon am Ufer herum irrt, die Räuber aus dem Dickicht hervorbrechen, ihn nach bestandener Probe im wilden Wasser nunmehr unter sengender Sonne der Durst quält, befinden sich Willen und Entscheidung erneut auf dem Prüfstein, und die Entscheidung wird immer wieder nur durch die Treue zu sich selbst und unter enormer Ausdauer getragen. Damon kann gar nicht mehr anders, als das zu tun, was er will. Fühlen, Wünschen, Wollen und Handeln sind in ihm zur einzigartigen Einheit verschmolzen, und darum steht der Modus seiner Handlungsweise auf diesem stabilen Fundament, das an allen Enden seiner Welt befestigt ist.

    In seiner Not ruft Damon Zeus an, und er beweist am Ende, das die Ethik der Pythagoräer keine Illusion ist, keine Farce und keine Utopie. Treue und Wahrhaftigkeit sind der stärkste Bund überhaupt! Und er muss zuallererst in jedem Individuum selbständig und durch harte Arbeit am eigenen Charakter etabliert werden, denn bündnisfähig ist nur, wer in sich selbst einen starken Bund geschlossen und alle seine Persönlichkeitsanteile bis hin zu seinem Schatten in sich integriert hat: Ich, Es, Selbst, Über-Ich und den Schatten von Ich, Es, Selbst und Über-Ich. Auf Verwandtschaft und Unterschiede von Schatten und Über-Ich kommen wir noch zu sprechen. Ebenfalls auf Interaktionen und Beziehungen zu den Archetypen.

    Wenn alle Widrigkeiten der Welt die Durchführung eines ethischen Vorhabens zunichte zu machen drohen: Dann rufe der Mensch seinen Gott an wie Damon seinen Zeus in höchster Bedrängung anruft. Aus dieser starken, in ihm selbst ruhenden Kraft heraus, die Platon Areté nennt, wächst ihm dann die Stärke zu, derer er sich solange selbst beraubt, wie er nicht er selbst geworden ist. Selbstwerdung vollzieht sich aus der angeborenen Umsetzungskraft, in der Vitalität, gesunde Dynamik, Fließgleichgewicht, Harmonie, Lebenskraft, Heilsein und Heilung ruhen. Kraft und Stärke machen unsere Hoffnung tragfähig. Sie werden ebenfalls aus dieser starken Quelle der Treue genährt. Und sie kommen nicht von ungefähr, sondern sie wachsen uns im Verein mit dem Willen, sich selbst, Gott und den Menschen treu zu bleiben, als Willenskraft zu. Je regelmäßiger wir Vorsätze formulieren und intensiv gebetsmühlenhaft herbeiwünschen, desto sicherer werden sie sich manifestieren und zur dauerhaften Wirklichkeit werden.

    Fest verankert auf mehreren Beinen müssen wir stehen. Das sind die antiken Grund-Elemente Luft, Erde, Wasser, Feuer. Und als fünftes der Geist des Menschen, der, pantheistisch empfunden, ein Anteil der Gesamtgottheit in uns ist und von ihr inspiriert wird. Christlich gesprochen die Vereinigung von Gott und Mensch, die Gottessohnschaft auch, die, psychologisch ausgedrückt, ihr Inneres Kind und damit sich selbst als Führungskraft angenommen hat. Das Gute liegt als Gnadengeschenk im Menschen selbst. Er muss es nur noch finden. In jedem Menschen ruht in der Areté das Potential, ein kraftvoller Held zu sein.

    Wir wollen uns im 1. Teil zunächst einen kurzen, nicht auf jedes einzelne biografische Detail eingehenden Überblick über Schillers Leben und die Zeit, in der er lebte verschaffen, bevor wir die Ballade im Zusammenhang lesen. Darum gebe ich zuvor auch einen kurzen Überblick über Quellen und Entstehung der Bürgschaft. Es würde allerdings den Rahmen dieses Buchs sprengen, chronologisch alle Werke des Meisters aufzuzählen oder sie gar zu besprechen. Das Ziel dieses Buchs ist vielmehr die Bürgschaft selbst mit ihrer so wichtigen Botschaft in ausführlicher tiefenpsychologischer Betrachtung: Und die Treue ist doch kein leerer Wahn!

    Nachdem wir die Ballade - mit ein paar Bemerkungen am linken Rand der zwanzig Verse auf den Seiten →ff im Gesamt gelesen haben werden, gebe ich erste tiefenpsychologische Hinweise, indem ich zunächst einmal die Personen, ihre Darsteller und das Wesentliche ihrer Charaktere² beschreibe. Es wird gut sein, immer mal wieder zum Gedicht zurückzukehren und es nochmals im Ganzen zu lesen. Fußnoten sollen rasche Informationen an die Hand reichen, und im sehr ausführlichen Glossar (Nachschlageverzeichniss) ab Seiten → finden sie Seitenhinweise auf die unterschiedlichsten Stichwörter.

    Im Kapitel Die Personen und ihre Darsteller stelle ich die zugrunde liegenden Archetypen vor sowie - nach Sigmund Freud - die Persönlichkeitsteile Ich, Es und Über-Ich. Gebote und Verbote der Eltern und später auch der Gesellschaft wurden im Über-Ich in die Gesamtpersönlichkeit als ehemals äußere Instanz integriert, sodass der Mensch deren Wertvorstellungen, übernahm. Hierin werden sämtliche Wertvorstellungen der Eltern aber auch der Gesellschaft oft lebenslang deutlich. Die Eltern repräsentieren eine oftmals lebenslange Führungsrolle, die als Über-Ich über dem Ich steht und unabhängige, eigene Entscheidungen erschweren. Damit muss sich die Persönlichkeit kritisch auseinander setzen, statt unterdrückte Bedürfnisse und vermeintliche Unarten im Schatten abzuspalten und lebenslang von einem strengen Über-Ich unter Verschluss halten zu lassen, dann allerdings unbewusst auf andere Menschen zu übertragen und sich in ihnen Prügelknaben und Sündenböcke zu suchen.

    Das vorliegende Buch kann auch dazu dienen, unter dem Vorbild von Damon und Phintias die eigenen Kräfte zu erkennen und zu mobilisieren und sich nicht mehr sklavisch unter die Wertvorstellungen anderer Leute zu ducken sondern seine eigene Richtschnur für Werte und Moral in Wahrhaftigkeit und Treue zu sich selbst zu finden, die ihrerseits direkt verbunden ist mit derjenigen Kraft und Richtschnur, die uns alle am Leben erhält. Wer dabei allerdings alle Traditionen unreflektiert in anarchistischer Weise über den Haufen wirft, beraubt sich wertvoller Erfahrungen, die unsere Eltern vorbildhaft gesammelt haben. Die dirigistische Wirkung des Über-Ichs aus dem negativen Erbteil der Eltern als dauerhafter Präsenz in der Persona³ beziehungsweise in Ihrer Präsenz in allem, was die Eltern abgelehnt haben, sollte aber durch Eigenarbeit kritisch unter die Lupe genommen werden. Beide Persönlichkeitsteile - die Persona und ihren Schatten - stelle ich immer wieder einander gegenüber und nehme dabei Bezug auf Schillers Leben und seine Ballade.

    Um eine Brücke zur Persönlichkeit des Lesers zu schaffen, stelle ich im 1. Teil bereits die wichtigsten Archetypen im Kapitel Die Personen und ihre Darsteller vor, und im 2. Teil schreibe ich noch etwas ausführlicher darüber in einem eigenen Kapitel. Grundlegende Begriffe aus Psychoanalyse und Philosophie werden jeweils gründlich erläutert, und es wird allgemein verständlich in diese Begriffswelt eingeführt. Um den Hintergrund der Ballade noch besser zu verstehen, machen wir einen Streifzug durch Hochzeitsbrauchtum, Mythografie und Philosophie der griechischen Antike. Damon und Phintias gehörten den Pythagoräern an, und darum wollen wir uns auch mit dieser philosophischen Schule und dem Vegetarismus der Antike befassen. Dabei nehme ich immer mal wieder Bezug zum Christentum, dessen Anfänge ebenfalls in der Antike liegen. Ein kurzer Blick auf andere Mythologien rundet das Bild besser ab.

    Danach schließe ich den ersten Teil mit einer Betrachtung aus dem Blickwinkel allgemeiner Vorstellungen und nicht nur des christlichen Glaubens im Vergleich zur Vernunft ab. Ferner flechte ich hin und wieder vor allem im 3. Teil eine mögliche christliche Sichtweise bei der Besprechung der einzelnen Verse immer mal wieder mit ein. Im alphabetischen Glossar finden sie, wie schon erwähnt, rasch passende Stichwörter mit Seitenhinweisen. Und da die antiken Athleten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überwiegend Vegetarier waren, habe ich im Anhang (Seite →) eine Liste mit heutigen sehr leistungsfähigen und bekannten vegetarischen Sportlern angefügt.

    Im 2. Teil führe ich in grundlegende psychologische Begriffe ein, die natürlich überflogen werden können, wenn sie schon geläufig sind. Ich glaube allerdings aufgrund meines künstlerischen Berufs, mit meinen persönlichen, oftmals sehr bildhaften Betrachtungen dazu beitragen zu können, bekannte Begriffe auf besondere Weise zu präzisieren. Die tiefe Verbundenheit der poetischen Sprache mit der Tiefenpsychologie wird immer wieder herausgekehrt. Unsere Poeten haben sich durch die Jahrtausende hindurch zu psychologischen Dramen, Romanen und Gedichten angeregt gefühlt, wenngleich Psychologie als Wissenschaft erst durch Sigmund Freud, C.G. Jung, Alfred Adler, Anna Freud, Erich Fromm und andere Mitte und Ende des neunzehnten Jahrhunderts aus der Taufe gehoben wurde. Und darum erläutere ich in einer Kurzdarstellung meine eigene Biblio- und Schreibtherapie ⁴ sowie meine eigenen Beziehungen zu Schillers Bürgschaft und den darin enthaltenen metapherhaften, allegorischen Aussagen

    In zwei separaten Büchern habe ich meine Selbsttherapie bereits ausführlich beschrieben, die einerseits durch intensives Lesen anderer Bücher und andererseits durch Schreiben und gründliches Durchstudieren des Geschriebenen intensiven therapeutischen Effekt hatten.

    Das hier vorliegende Buch hat mich erneut mit mir selbst in Berührung gebracht, und so bin ich durch meine intensiven Arbeiten daran über viele Seitenkanäle und reichliches Studium von Randgebieten, die ich für sehr wesentlich für das genaue Kennenlernen von Schillers Bürgschaft halte, noch ein gutes Stück mit mir selbst voran gekommen. Und ich rege herzlich dazu an, ihre eigenen persönlichen Bezüge zur Bürgschaft zu ergründen und zu erkennen, warum gerade sie sich von ihr angesprochen fühlen. Ein paar Ausflüge zur Ethik in Politik, Städten und Staatsführung verschafft uns weitere Brücken zur Generalisierungs-Notwendigkeit von Treue, Wahrhaftigkeit, Integration des Schattens und persönlicher Individuation.

    Und dann wollen wir uns im 3. Teil nach all diesen gründlichen Vorbereitungen schließlich dem Genuss hingeben, Stück um Stück und Vers um Vers auf der erworbenen Grundlage des vorher Dargestellten uns diesem großen Werk Friedrich Schillers zu nähern, das meiner Meinung nach den Kern seiner Lebensaussage enthält, den er uns vor allem auch in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen an den Herzog von Holstein Augustenburg hinterlassen hat, die im 1. Teil (Seiten →, →-→, →-→) zu finden sind. Ich werde nicht detailliert auf alle Briefe eingehen, gebe im vorliegenden Buch aber drei von ihnen wieder.

    Die Kernaussagen von Dramen und ganzer Viten werden oftmals viel zu vordergründig, nämlich von der Objektstufe her betrachtet. Da gibt es die Handelnden und die Behandelten, die Protagonisten und die Antagonisten. Und die ureigene persönliche Stellung wird nur selten von der Subjektstufe her beleuchtet, die so Vieles relativieren könnte, was wir an Meinungen aufbauen und was wir an Stellungen zu den einzelnen Akteuren beziehen. Gerade aber durch diese gewissenhafte, detaillierte subjektpsychologische Arbeit werden wir mit unseren Irrungen und Wirrungen vertrauter, denen wir nur durch unmissverständliche Forderungen nach Rücksichtnahme unter gesunder Liebe zu uns selbst entschieden entgegen treten können. Das erst ermöglicht auch die nachfolgende Individuation: die Selbstwerdung.

    Nur unter klarer Abgrenzung zu unseren Mitmenschen und unter Privatisierung unserer Gedanken erkennen wir unsere wirklich eigene Sicht, schaffen Entscheidungen, hinter denen wir im Sinne des Wortes auch tatsächlich stehen, schaffen uns einen unerschütterlichen eigenen Standpunkt. In der tiefenpsychologischen Betrachtung wollen wir uns deshalb gezielt davon frei machen, nur Äußerlichkeiten zu sehen und sie für die einzige Wirklichkeit zu halten, indem wir damit aufhören, wie in Platons Höhlengleichnis angebunden in einer Höhle zu vegetieren und nur in eine einzige Richtung zu schauen, wobei wir unter solchem Zustand lediglich die Schattenwürfe für die Wirklichkeit halten. Zum besseren Verständnis dieser Problematik habe ich das Kapitel Wahrheit, Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit eingefügt.

    Während meiner Arbeiten an der Bürgschaft fielen mir immer wieder prächristliche Zusammenhänge auf, und dies nicht nur im Zusammenhang mit dem Kreuz. Da alles mit allem vernetzt ist und auf dem Weg durch die Geschichte sich natürlich auch Verstand, Bildung und Ansichten entwickeln und aufeinander aufbauen, können wir, uns in die Vergangenheit zurückversetzend, immer wieder sehen, dass sich zukünftige Entwicklung bereits früh abgezeichnet hatte. Das ist auch in der Religion so. Darum habe ich diese Bezüge immer wieder mal eingestreut, sowohl auf andere Religionen als auch speziell auf das Christentum hinweisend. Im umfangreichen alphabetischen Glossar können sie, wie schon angedeutet, über entsprechende Stichwörter auch derartige Bezüge herausfinden und sich gezielt zusammensuchen, was sie interessiert. Bedenken sie bitte, dass das Christentum seine Wurzeln in der Antike hat, denn die umfasst sowohl den Zeitraum seines Entstehens als Kontakte mit Griechen und Römern. Und es haben sich ja auch tatsächlich einige Mischformen ergeben, die aber von der sich etablierenden Kirche heftig unterdrückt wurden, um die Lehre Christi rein zu halten und eine zentrale päpstliche Glaubensverwaltung als Stuhl Petri in Rom zu etablieren.

    Ferner finden sich im Anhang unter den verschiedenen Verzeichnissen reichlich Hinweise auf Ernährungsbücher, Vegetarismus und eine Liste über vegetarisch lebende Sportler und Athleten unserer Zeit. Das nimmt Bezug zum Kapitel Vegetarismus in der Antike. Die meisten Philosophenschulen lehrten innerhalb ihrer ethisch und gesundheitlich motivierten Gesundheitslehre auch den Vegetarismus. Allgemein wurde zu Mäßigung und moderatem Leben angehalten, und auch diejenigen, die Fleisch aßen, werden es nicht üppig praktiziert haben, denn sie wussten vom Zusammenhang zu Krankheiten und aßen, wenn sie gesund werden wollten, immer rein vegetarisch. Und da es weder Kühlschrank noch Vorratshaltung durch Konserven gab, war es ohnehin unmöglich, täglich Fleisch und Wurstwaren auf den Tisch zu bringen. Die Pythagoräer, wozu unsere Helden der Bürgschaft gehörten, waren Vegetarier wie andere Philosophen auch. Doch dazu mehr im entsprechenden Kapitel ab Seite →.

    Ohne Wahrhaftigkeit und Treue des Einzelnen, die nur durch ernsthafte Arbeit am Charakter zusammen mit der Vereinigung von Anima und Animus und der mühelos-mühsamen Integration des Schattens ohne versklavende Übernahme der Tyrannis durch das Über-Ich sich von selbst ergibt, kann weder das persönliche noch das soziale Leben glücken. Wirkliches Lebensglück findet der Einzelne allerdings nur dann, wenn Staat und Gesellschaft sich nach der bereits von Platon vor rund zweitausendvierhundert Jahren erkannten Idee des Guten ausrichten, statt unentwegt nur an Wirtschaftsförderung, Gewinn- und Wissensmaximierung zu denken, die unter Ausbeutung der Bevölkerung nur wenige Privilegierte bereichert. Platon wollte ganz andere Werte mit seiner Lehre vom idealen und perfekten Staat nach Syrakus tragen, die jedermann ausgewogene Zufriedenheit und ein glückendes Leben ermöglichen sollte. Dazu allerdings hätte es der Areté, Sophrosyne (Gelassenheit), Sophia (Weisheit) und eines gewissen Maßes an moderater Askese bedurft, was bis heute nur Wenigen gegeben ist.

    Diese Grundtugenden werden nicht genügend beachtet noch könnten sie unter der üblichen Missachtung und Despektierlichkeit in ihrem Wert wirklich erkannt werden. Und von daher werden sie nicht wirkschaffend als ideale Disziplinierung des ehemals ungesell'gen Wilden gelehrt noch eingeübt. Man möchte lieber Fertigkeiten anerziehen, um dann lebenslang zu schuften und sich Wissen und Haben anzuhäufeln, indem man in tradierter Weise seinem Chef als Über-Ich-Ideal dient. Darunter wird Macht idealisiert, indem man sie entweder selbst ausübt oder vor ihr kriecht und den Weg zum wahren Glück verkennt. Die menschliche künstlerische Kreativität wird nicht ausreichend dazu genutzt, das Ästhetische in seinen vielfältigen Formen genügend herauszukristallisieren, unter liebevoller Pflege einzuüben und zur Blüte des Menschseins zu verhelfen. Der Lebensgestaltung fehlt deshalb weitgehend das künstlerische, wirkschaffend gestaltende Element. Unsere Bildungsinstitute verkommen vielmehr zu Bildungsfabriken, die obendrein noch von Lobbyisten aus der Wirtschaft ebenso durchzogen sind wie Politik, Gesetzgebung und Subventionswesen. Freie Forschung und Bildung gibt es eben nicht.

    Aus dem passiven Sich-Werden-Lassen, das aus der angeborenen Areté als göttlicher Gnadengabe hervorgeht, erfolgt das aktive gute Handeln. Aus der Areté entnimmt der Mensch seine Gaben und seine Fähigkeit, sich zu seinem wahren Sein zu entwickeln, welches als Samenkorn bereits von Anfang an in ihn hineingelegt wurde. In diesem Samenkorn ist das Leben spendende Göttliche selbst enthalten, und es benötigt entsprechenden Boden, um sich entfalten zu können. Wer sich nicht aus den bei jedem Menschen angelegten guten und gesunden Führungskräften heraus passiv sich selbst werden lässt, kann nicht ungestört aktiv handeln noch Gutes und Gesundes bewirken. Der Mensch kann - biblisch gesprochen - nicht zu Gottes Ebenbild werden, wenn er sich nicht loslässt sondern aus unbewussten Ängsten heraus aktiven Machtmissbrauch betreibt. Wir können nur mit dem Wind aus Gottes Inspiration gut segeln. Wer selbst in seine Segel pusten will, braucht starke Lungen.

    In der selben Weise, wie der Mensch lernt, sich selbst und dem in ihm als Samenkorn Angelegten treu zu werden und zu bleiben, wird er auch den Naturgesetzen folgen können, die in der tugendhaften Areté als göttlichem Kern stecken und ihn zum Dienenden machen wollen. Sie ist das eigentliche Über-Ich, welches jedoch nicht als Tyrannis über den Menschen befiehlt sondern aus den ewigen Gesetzen heraus wie das Daimonion des Sokrates oder - christlich gesprochen - durch den heiligen, göttlichen Geist führen möchte. Areté und Daimonion gehören zum Seins- und Werdensgesetz (= Lebensgesetz) wie Seele, Organe, Herz und Verstand. Als intelligentes Wesen mit freier Wahl kann sich der Mensch zur Selbstführung aus seinen guten Kräften heraus entscheiden oder sich weiterhin unter die Tyrannei seines alten Über-Ichs beugen. Von seiner freien Entscheidung hängen sein Glück oder sein Unglück ab. Und die kluge Entscheidung, sich demütig und ehrfürchtig zu beugen, trifft wirklich selbstsicher nur ein starkes, aus der Ewigkeit, der Areté und dem Daimonion gestütztes Ich.

    Sich für dasjenige zu entscheiden, was von selbst wachsen und es selbst werden möchte, fällt dem Menschen oftmals so schwer, wenn er sich in Mutlosigkeit und Lethargie zurücklehnt oder aus vielerlei unbewussten Ängsten heraus ins Gegenteil verfällt und viel zu aggressiv handelt. Das menschliche Leben stellt reichlich Aufgaben, durch die der Mensch das werden kann, wozu er eigentlich berufen ist: ein treuer Mensch zu sein, der seinen Selbstführungskräften und dadurch seinem Schöpfer, den Mitmenschen, seiner Umwelt und sich selbst treu ist und bleibt. Die wirklichen Selbstführungskräfte des Menschen dürfen angenommen werden. Sie sind ein Geschenk, an dem wir uns bedienen dürfen. Ein Geschenk allerdings, das erst durch ein gesundes Maß an Zurücknahme aus Liebe zum Ganzen im Dienen (!) seinen vollen Wert entfalten kann. In der Rücksichtnahme gegen jedermann liegt auch das Geheimnis der Liebe.

    Und nun wünsche ich ihnen viel Freude mit der Lektüre dieses sorgsam recherchierten Buchs über Schillers Bürgschaft, die griechische Antike, antike und christliche Mythologie, Philosophisches, Philosophenschulen und vor allen Dingen über profunde tiefenpsychologische Zusammenhänge, die durch die archaische Sprache ebenso erkennbar werden wie durch die ihr verwandte Poesie. Erlernen wir also nicht irgendeine sondern die archaische Sprache!

    __________________________

    1   Bei der Mimesis geht es um Nachahmung des Prozesshaften, also in einem zeitlichen Ablauf. Unter Bewegungen, Mimik und Sprache werden echte Menschen und deren Charaktere und Handlungen nachgeahmt. Im weitesten Sinne Schauspielerei, also auch dann, wenn jemand sinnbildlich Theater macht statt sich so zu geben, wie er selbst ist.

    Mimese = Ein Insekt ähnelt beispielsweise einem Zweig oder Blatt, ein Fisch einem Stein. Der Sinn ist Tarnung. Tarnende Schutztracht als Abschreckung von Fressfeinden. Das soll das Überleben sichern.

    Mimikry = Nachahmung beispielsweise der Geschlechtsteile in der Gesichtszeichnung (Mandrill), Brüste der Frau als Imitation der Pobacken. Nachahmung der Zeichnung gefährlicher Tiere auf ungefährlichen, um abzuschrecken. Es geht nicht immer nur um Abschreckung sondern auch um Imitation, um aufmerksam zu machen.

    2   Charakter leitet sich ab vom Münz-Prägestempel bzw. dem Verb prägen. Der Charakter unterliegt demnach einer Prägung und prägt auch die Mitmenschen. Wir sprechen in der modernen Psychologie beim Menschen allerdings nicht von Prägung sondern vom Lernen. Damit befassen sich Lern- und Verhaltenspsychologie. Der Charakter wird zum eigenschaftlichen Erkennungsmerkmal und ist durchaus durch Lernen veränderbar. (Fußnoten 238, 292)

    3   Persona : Definition in der Fußnote 1 auf Seite →

    4   Bibliotherapie = therapeutische Wirkung beim Lesen bestimmter Themen.

    Schreibtherapie = therapeutische Wirkung durch schriftliche Formulierungen, Strukturierung und Ausarbeitung.

    Das Wort Schatten hat selbstverständlich unterschiedliche Bedeutungen. Die Schattenwürfe, von denen Platon spricht, können sowohl als die nach C. G. Jung dunkle, im Schatten liegende Seite des Menschen verstanden werden wie auch ein an der Wirklichkeit Vorbeileben. Das Alltagsleben kann durchaus am Sinn des Lebens vorbei gehen. Wenn im vorliegenden Buch davon die Rede sein wird, dass sich durch dieses oder jenes Schatten auf unser Leben legt, hat das nicht jedes Mal mit dem C.G.Jung'schen Schatten zu tun. Bitte achten sie also auf die unterschiedliche Bedeutung des Wortes. Selbst als Metapher muss es sich nicht unbedingt auf den Archetypus Schatten beziehen. Die menschliche Sprache ist gerade durch ihre Bildhaftigkeit manches Mal verwirrend. In verschiedenen Fachbereichen bedeuten bestimmte Ausdrücke dann auch Unterschiedliches.

       Alle in diesem Werk wörtlich zitierten Bibelstellen sind entnommen aus:

    Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift

    © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart

    http://alt.bibelwerk.de/bibel/?kbw_ID=42125347&

    http://www.bibelwerk.dan

    1. Teil

    Friedrich von Schiller und seine Zeit

    Johann Christoph Friedrich von Schiller wurde am 10. November 1759 in Marbach am Neckar in der Niklastorstraße 31 als zweites Kind von Johann Caspar Schiller (Barbier- und Wundarzt, Offizier und später Hofgärtner) und Elisabeth Dorothea Schiller geboren. Großvater sowohl väterlicher- als mütterlicherseits waren beide Wirte und Bäcker. Geadelt wurde er erst 1802, rund drei Jahre vor seinem frühen Tod am 9. Mai 1805 in Weimar. Er wuchs in einfachen Verhältnissen auf, besuchte zunächst die Dorfschule, dann nach einem Umzug der Familie zusammen mit seinen beiden guten Freunden Friedrich Wilhelm (1759 - 1838) und Christoph August von Hoven¹ (1761 - 1780) sowie Immanuel Gottlieb Elwert (1759 - 1811) die Lateinschule in Ludwigsburg in der Beckengasse (heute: Eberhardstraße). Seine Eltern wollten aus ihm einen evangelisch-lutherischen Geistlichen machen.

    Herzog Carl Eugen von Hohenheim holte Friedrich Schillers Vater, dessen Gärtnertalent ihm zu Ohren gekommen war, zusammen mit dessen Familie im Jahr 1770 auf die Solitude bei Stuttgart für die ausgedehnten Gartenanlagen seines barocken Prunkschlosses, das man gut und gerne mit Versailles und Sanssouci vergleichen kann, während Friedrich noch zwei Jahre lang bei seinem lateinischen Magister in Ludwigsburg bleiben musste, wo er Kost und Logis hatte. Die Solitude ist heute ein Stadtteil im Westen Stuttgarts und geht auf des Herzogs ab 1763 errichtete Sommerresidenz zurück, die als pompöses Jagd- und Lustschloss diente.

    Der Knabe Friedrich war bereits mit zehn Jahren hervorragender Lateiner, und im Alter von nur zwölf Jahren verfasste er im Jahr 1771 folgendes Gedichtchen für den Ludwigsburger Spezialsuperintendenten Georg Sebastian Zilling: O mihi post ullos nunquam venerande Decane, / Audi hilari grates nunc quoque fronte meas; / Quod libertatem nobis requiescere paulum, / A studiis nostris, atque labore, dabas.

    Auf Druck und Befehl des gestrengen Herzogs, in dessen Diensten sein Vater inzwischen stand, wurde in Friedrichs Leben hart eingegriffen, und er musste gegen den Willen seiner Eltern mit dreizehn Jahren in die Militärakademie eintreten.

    Nach anderthalb Jahrzehnten verlor der Herzog das Interesse an seinem Schloss und ließ dort hinein ein militärisches Waisenhaus für vierzehn Soldatenkinder einrichten. Der Wohnraum wurde aber schon im nächsten Jahr für die Studenten der Carlsschule (spätere Stuttgarter Universität) erweitert. Sie wurde Militärische Pflanzschule genannt und erhielt später den Namen Hohe Carlsschule. Die Zöglinge setzten sich aus Kindern der Offiziere und Soldaten aus dem Herzogtum und teilweise auch aus seinen zahlreichen unehelichen Kindern zusammen, die er durch strengen Drill zu rechtschaffenen Bürgern und treuen Untertanen heranziehen wollte. Aber schon bald wurde die Schule weit über ihre Grenzen hinaus bekannt und beherbergte über dreihundert Zöglinge aus dem In- und Ausland. Schiller musste im Alter von vierzehn Jahren am 13. Januar 1773 ebenfalls dort eintreten, sonst hätte er seinem Vater geschadet.

    Seine ersten literarischen Werke entstanden aus Protest und Auflehnung gegen den enormen Drill, der sein unbeschwertes Leben völlig auf den Kopf stellte, seine eigentlichen Anlagen unterdrückte und im Gegensatz zum Ziel dieser Lehranstalt dazu führte, dass der junge Friedrich schon früh selbständig zu denken lernte und dies auch unbedingt ausdrücken musste. Unter diesem enormen Druck entschloss er sich zunächst zum Jurastudium, wechselte aber aufgrund schlechter Leistungen nach Verlegung der Schule nach Stuttgart ab 1775 zum Medizinstudium über, wobei er sein geliebtes Latein besser pflegen konnte als mit der Juristerei und auch sein Interesse am Menschen mehr angesprochen wurde.

    Schiller wurde dennoch durchaus nicht freiwillig Arzt, denn seine Neigungen lagen weiterhin nun einmal in Dichtkunst, Dramaturgie, Philosophie und Geschichte. Und er hatte wohl auch seinen Frust aufzuarbeiten. Der absolutistische Herzog hatte allerdings keinerlei Interesse daran, sich in die Bedürfnisse seiner Untertanen einzufühlen. Hatte er Schiller doch sogar gegen den Willen seiner Eltern in die Militärakademie gezwungen, wo die jungen Männer durch militärischen Drill zu Kadavergehorsam erzogen werden sollten, um willenlose Befehlsempfänger zu werden. Das aber war ein rotes Tuch für den nach Freiheit strebenden jungen Schiller und verstärkte seinen Freiheitsdrang noch, während der Herzog alles, was außerhalb seiner, den jungen Männern gewährten Gunst lag, immerhin kostenlos studieren zu können, als jugendliche Flausen abtat, die man unbedingt brechen musste.

    Der katholische Herzog Carl Eugen hatte selbst nichts anderes gelernt, als was er nun praktizierte. Seinen Vater hatte er bereits im Alter von neun Jahren verloren. Da er noch unmündig war, führten Carl Rudolf von Württemberg-Neuenstadt und Carl Friedrich von Württemberg-Oels bis zu seiner vorzeitigen Mündigkeitserklärung im sechzehnten Lebensjahr als Administratoren die Amtsgeschäfte. 1741 schickten sie den heranwachsenden, dreizehnjährigen Carl Eugen zusammen mit seinen beiden jüngeren Brüdern an den Hof des preußischen Königs Friedrich II (1712 - 1786) zur weiteren Erziehung nach Berlin. Dort war sein Musiklehrer Carl Philipp Emanuel Bach. Und er lernte dort auch seine zukünftige erste Gattin, die evangelischlutherische Elisabeth Friederike Sophia (1732-1780), Tochter des Markgrafen Friedrich von Brandenburg-Bayreuth, kennen, verlobte sich 1744 mit ihr und ehelichte sie 1748 im Alter von zwanzig Jahren, wobei er ihr volle Freiheit in der Ausübung ihres Glaubens schriftlich zusicherte. Wegen seiner vielen Affären trennte sie sich allerdings bereits sechs Jahre später schon wieder von ihm und wurde 1780 neben ihren Eltern in der Bayreuther Schlosskirche beigesetzt.

    Der preußische Hof war für sein rigoroses Regiment bekannt, und dort wurden die jungen Adeligen zu strengster Härte gegen sich selbst sowie zum Kadavergehorsam gegenüber dem Gottesgnadentum ihrer Erzieher und Väter erzogen. Andererseits übernahmen sie das ausschweifende Leben, welches sie auf Kosten und auf dem Rücken des einfachen Volks genüsslich führten. Und einige fanden ihr Gegengewicht in der Kunst. Denken wir dabei insbesondere an den in der Musikwelt hoch geschätzten komponierenden und Flöte spielenden Alten Fritz, alias Friedrich den Großen, alias Friedrich II von Preußen.

    Dieser spätere Preußenkönig hatte sich mit dem acht Jahre älteren sechsundzwanzigjährigen Leutnant Hans Hermann von Katte wohl beim Studium der Mathematik angefreundet, und über ihre gemeinsamen Interessen an Dichtung und Musik kamen sie einander rasch näher. Möglicherweise bestand auch ein homosexuelles Verhältnis zwischen den beiden. Der Kronprinz offenbarte ihm während des großen Capements bei Mühlberg - auch Zeithainer Lustlager genannt - in der Nähe von Riesa zwischen dem 28. Mai und 28. Juni 1730, bei dem August der Starke von Sachsen wie ein Gockel seine königliche Pracht und Macht in einer aufwändigen Truppenschau vorstellte, seine Pläne, vor der Strenge seines Vaters nach Frankreich zu fliehen. Der junge Prinz war ja bei Hofe mit allem, was aus diesem Lande kam, regelrecht vollgedröhnt worden und konnte nur gebrochen Deutsch sprechen. Man stelle sich das bitte vor: Der preußische Thronfolger sprach lebenslang fließend französisch aber nur gebrochen deutsch! So war wohl Frankreich schon darum das Land seiner Träume geworden. Und nun überredete er den zunächst widerstrebenden jungen Leutnant zur Fahnenflucht. Am 5. August 1730 brannten sie zusammen durch, wurden aber erwischt, und am 6. November 1730 wurde Katte direkt unter dem Fenster des Thronfolgers geköpft. Man vermutet, dass der zukünftige Friedrich der Große genötigt wurde, dem zuzusehen, um zu lernen, was Gehorchen und Pflicht heißt.

    Und an diesem Hof wurde Carl Eugen bereits in jungen Jahren selbst ausgebildet. Er hatte nach dem Tod seines Vaters bereits mit sechzehn Jahren die volle Regentschaft des Herzogtums Württemberg angetreten und entwickelte sich zum wahren Tyrannen, der tun und lassen konnte, was und vor allem wie er wollte. Er zwang junge Männer in den Militärdienst und verkaufte Soldaten ins Ausland, wenn er Geld brauchte. Seine Untergebenen benutzte er wie Schachfiguren und bestimmte rücksichtslos über ihr Leben, wobei er sich noch als deren Gönner fühlte. Und wer ihm gehorchte, hatte genug Arbeit und Brot zum Leben. So war nun einmal die Zeit. Er war ein absolutistischer Herrscher, und sein Wort war Gesetz für jedermann. Sein ausschweifendes Leben trieb die Bevölkerung in den Ruin, und wem es nicht gelang, sich lieb Kind zu machen und durch sein Kriechverhalten seine Gunst und dadurch ein gesichertes Einkommen oder auch ein bisschen mehr zu erwerben, dem wurde oftmals übel mitgespielt.

    Der Hofstaat des Herzogs bestand aus wohl zweitausend Personen, und wenn der Herzog, was häufiger vorkam, auf Reisen ging, waren siebenhundert Bedienstete und bis zu sechshundert Pferde für unzählige Kutschen mit von der Partie. Rauschende Feste und elitärer Kunstgenuss waren fester Bestandteil seiner Vergnügungssucht, denn in allem gönnte er sich nur das Beste und Edelste. Er hatte eben einen erlesenen Geschmack anerzogen bekommen. Zu seiner Machtdemonstration - er konnte sich ja erlauben, was er wollte - gehörten zahlreiche Mätressen unter dem Adel und Liebschaften in der einfachen Bevölkerung. Das bescherte ihm reichlich uneheliche Kinder, wobei die ledigen Mütter der Armen lediglich mit einem Trinkgeld abgespeist wurden jedoch keinen weiteren Unterhalt erhielten. Dafür förderte er diese Kinder dann aber an der Carlsschule, wenn sie Knaben und begabt genug waren.

    Während seines Aufenthalts an der Carlsschule und auch während seiner Arbeiten an der Dissertation hatte Schiller ständig seine Räuber im Kopf, die er bereits ab 1777 heimlich zu verfassen begonnen hatte. Sie begleiteten ihn zwischen seinem achtzehnten und dreiundzwanzigsten Lebensjahr, so dass er sich darin mit den Spannungen auseinander setzen konnte, die ihm sein gedeckeltes Leben unter dem autokraten Tyrannen Carl Eugen auferlegten. Die jungen Männer hatten kaum Gelegenheit, sich der Freude ihrer Jugend hinzugeben, sodass sie umso ausgelassener feierten, wenn sie der strengen Zucht ab und an entfliehen konnten und auch so manches Mal feucht-fröhlich versackten. Schiller soll reichlich getrunken haben.

    Seine erste Dissertationsarbeit, die er aber nicht einreichte, lautete Philosophie der Physiologie. Davon sind große Teile verloren gegangen. Die zweite mit dem Titel Tractatio de discrimine febrium inflammatoriarum et putridarum² wurde nicht angenommen. Seine akzeptierte, also zweite eingereichte Dissertation, zeigte dann wieder, wo Schillers eigentliche Interessen lagen. Sie lautete Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen. Bei der Abschlussfeier im Jahr 1880 im Weißen Saal des Schlosses war Goethe anwesend, lernte Schiller aber zunächst noch nicht persönlich kennen.

    Schiller konnte nun zwar die verhasste Carlsschule verlassen, blieb bis 1782 aber als Regimentsmedicus im Invaliden-Grenadierregiment Augé in Stuttgart weiterhin unter dem Argusauge von Carl August. Er studierte aber heimlich William Shakespeare (1564-1616), Jean-Jaques Rousseau (1672-1747), Eduard Young (1681-1765) und die Gesänge des Ossian von James McPershon (1681-1796), und er befasste sich leidenschaftlich mit Geschichte, Philosophie und zunehmend mit der Antike. Er feilte weiter an seinen Räubern, die er schließlich erstmals im Jahr 1781, also vier Jahre nach Beginn der Arbeiten daran, auf eigene Faust veröffentlichte. Aber erst auf die Anregung von Wolfgang Heribert von Dalberg hin, dem Intendanten des Mannheimer Nationaltheaters, arbeitete Schiller sie zu einem Theaterstück um. Sie wurden schließlich am 13. Januar 1782 in Mannheim uraufgeführt, wohin Schiller ohne Erlaubnis zusammen mit seinem Freund Johann Wilhelm Petersen, einem späteren Bibliothekar, reiste, denn der Herzog hätte ihm das sicher nicht gestattet, wenn er vorher vom Inhalt des Stücks unterrichtet gewesen wäre oder überhaupt gewusst hätte, dass der junge Schiller derartige Flausen im Kopf hatte, Theaterstücke zu schreiben statt sich seinen Studien zu widmen. Er hätte sicher die verpatzte erste Dissertation darauf zurückgeführt.

    Um das Theaterstück überhaupt veröffentlichen zu können, benötigte Schiller natürlich Geld. Auch heute noch bringt das Schreiben meist weniger ein als investiert werden muss. Bei heute weit über 80.000 Neuerscheinungen jährlich ist das auch kein Wunder. Und diese Zahlen steigen noch, da durch intensive Bildungsmöglichkeiten der Bevölkerung sich reichlich Schillers und Goethes entwickeln können. Damals waren Veröffentlichungen natürlich noch schwieriger durchzusetzen als heute, wo die Tendenz von den großen Verlagen weg zu Books on Demand und ähnlichen neuen Möglichkeiten geht, um sich der Knebelung in vorgeschriebene Verlagskonzepte zu entziehen, die jegliche freie schriftstellerische Entfaltung und Gestaltung unterdrücken und mit der Tyrannis von Syrakus durchaus vergleichbar sind.

    Ohne Mäzene ging damals überhaupt nichts, wenn man selbst nicht begütert genug war. Und wer sein Brot verdienen musste, hatte weder Zeit noch Entfaltungsmöglichkeit für seine brach liegenden Fähigkeiten. Ohne Veröffentlichung aber werden künstlerische Talente nicht allgemein bekannt und können sich, dermaßen gedeckelt, nicht voll entfalten. Schon darum war Schiller zeitlebens darum bemüht, der Schreibkunst mehr Ansehen zu verleihen und öffentliche Mittel dafür los zu machen.

    Schiller lieh sich also von der gutgläubigen Korporalsgattin Fricke, bei der er während seiner Zeit als Regimentsmedikus Logis bezogen hatte, einhundertfünfzig Gulden für den Erstdruck seiner Räuber. Man munkelte, Schiller habe sogar einen Wechsel mit ihr zusammen gefälscht, um den Gläubigern zu entkommen. Und außerdem gab es Lästerzungen, die der früh verwitweten, recht lebenslustigen, jedoch viel älteren Frau und ihm ein Verhältnis andichteten. Sie wurden auf ihrer Flucht vor den Gläubigern nach Mannheim verhaftet und in Schuldhaft genommen. Schillers Vater zahlte schließlich die Schulden seines Sohnes und löste die beiden wieder aus. Aber er geriet von jetzt an immer wieder in arge finanzielle Bedrängnis und musste sich Geld leihen, was er trotz guten Willens nur selten zurückzahlen konnte.

    Was den Herzog anbelangte, so war dieser wohl mehr über Schillers Eigenmächtigkeit empört als über seine Schreiberei an sich. In späteren Jahren anerkannte er Schiller durchaus, und der verzieh Carl Eugen seinerseits dessen rigoroses Vorgehen gegen sich und auch den harten Kerkeraufenthalt, den er dessen Zorn nach der Uraufführung der Räuber zu verdanken gehabt hatte. Was einen nicht umbringt, macht eben doch stark.

    Der Herzog untersagte Schiller nach der Mannheimer Uraufführung, die verbotenen Schriften des Sturm und Drang zu lesen und weitere Dramen zu schreiben, nachdem Schiller im Alter von zweiundzwanzig Jahren mit seinem Erstlingswerk vor allem bei der Jugend durchschlagenden Erfolg hatte verzeichnen können und damit Unruhe in die Studentenschaft hinein getragen hatte. Er ließ ihn deshalb 1782 vierzehn Tage lang arretieren und erlaubte ihm fortan ausdrücklich nur noch medizinische Veröffentlichungen. Daraufhin floh Schiller zusammen mit seinem Freund Andreas Streicher (1761-1833) aus Stuttgart. Streicher wurde später ein viel gefeierter Pianist, Komponist und erfolgreicher Klavierbauer. Über Darmstadt, Frankfurt, Mainz und Worms gelangten die beiden schließlich nach Oggersheim bei Ludwigshafen an den Rhein und nahmen Quartier in einem Gasthof. Andreas Streicher schrieb über diese abenteuerliche Flucht später ein viel gelesenes Buch, wodurch die Nachwelt über alle Einzelheiten so gut informiert wurde. Er selbst wurde als sehr erfolgreicher Klavierbauer übrigens ein enger Freund Beethovens in dessen letzten Lebensjahren.³

    Schiller hatte auf der Militärakademie zwei Söhne von Henriette von Wolzogen kennen gelernt, und die überredeten nun ihre Mutter, ihrem Freund zu helfen. Und so floh er dreiundzwanzigjährig auf Anraten und Empfehlung seines Freundes Wilhelm von Wolzogen und dessen Bruder nach Bauerbach in Thüringen und lebte unter dem Namen Dr. Ritter in einem Bauernhaus, dass Henriette zusätzlich zu ihrem Landgut hinzu erworben und für ihre Kinder hatte einrichten lassen. Sie war sehr angetan von Dr. Ritters Wissen und seiner Schreibkunst und griff ihm finanziell tüchtig unter die Arme. Außerdem stellte sie ihm drei Zimmer in diesem Bauernhaus zur Verfügung, sodass er in Ruhe schreiben konnte.

    Schiller lieh sich beim Geldverleiher Israel gleich mehrere hundert Gulden, wofür seine Gönnerin persönlich bürgte. Sie war vom Talent des jungen Mannes hingerissen und überzeugt, dass er Erfolg haben würde. Und Schiller gab sich blauäugig seiner Zuversicht hin, dass seine Schreiberei ihm das gepumpte Geld rasch wieder einbringen würde, denn ohne Hoffnung war er niemals. Er glaubte an sich selbst und daran, dass er mit seiner schriftstellerischen Begabung womöglich reich aber doch zumindest sehr bekannt werden würde. Und er ließ beim Wirt im Gasthaus Zum braunen Ross fleißig anschreiben, wo er immer sehr gut gegessen und getrunken aber nicht bezahlt haben soll.

    Da er nun keine finanziellen Sorgen mehr hatte noch unter seinem falschen Namen Verfolgungen durch Herzog Carl Eugen befürchten musste, konnte er sich ungestört in dieser herrlichen Rhön-Idylle ganz dem Schreiben zuwenden, und es entstanden Louise Millerin (Kabale und Liebe) und erste Szenen seines Don Karlos. Aus dem Haus der Frau von Wolzogen, in dem Schiller vom 7. Dezember 1782 bis 24. Juli 1783 gewohnt hat, wurde später das Schillermuseum in Bauerbach. Ein Besuch dort lohnt sich!

    Henriette von Wolzogen lieh ihm selbst auch immer wieder Geld, obwohl sie nicht begütert war und fünf Kinder hatte, die sie gut ausbilden ließ. Sie bat ihn schließlich abzureisen und schickte ihm über zwanzig Briefe mit der Bitte um Begleichung seiner Schulden hinterher, aber Schiller war nicht in der Lage, sein Versprechen so rasch einzulösen wie er es gegeben hatte. Und als er es endlich hätte zurückzahlen können und wollen, war es dann zu spät. Schiller kam nie dazu, ihr auch nur einen Teil zu erstatten, denn sie starb bereits im Alter von zweiundvierzig Jahren im August 1788; wie man sagt an Brustkrebs. Doch der freundschaftliche Kontakt zum Hause Wolzogen und seinen Freunden blieb ihm erhalten, wie wir noch sehen werden.

    Am 27. Juli 1783 traf Schiller mit seinem fertiggestellten Drama Louise Millerin, das er auf Anraten des sehr bekannten Schauspielers, Dramatikers und Intendanten August Wilhelm Iffland später Kabale und Liebe nannte, in Mannheim ein. Giuseppe Verdi behielt in seiner späteren Bearbeitung als Oper allerdings den Namen Luise Miller bei. Nach der wenig erfolgreichen Aufführung seines Dramas Die Verschwörung des Fiesco zu Genua am 11. Januar 1783 in Mannheim, hatte er mit Kabale und Liebe am 13. April 1784 unter stürmischem Applaus den lang ersehnten durchschlagenden Erfolg.

    Schiller wollte vom Schreiben leben, und er setzte sich später auch in seinen Briefen über die ästhetische Kunst noch damit auseinander, dass dies möglich sein müsste, weil der Dichter in seinem Talent behindert wird, wenn er in artfremden Berufen sein Geld verdienen muss. Die dichterische Freiheit setzt wirtschaftliche Unabhängigkeit voraus. Seine dichterische und finanzielle Freiheit allerdings finanzierten ihm eine ansehnliche Zahl Menschen, weil das Geld eben doch nicht so hereinkam wie die Ehre, die ihm im Laufe der Zeit noch weit vor seiner finanziellen Anerkennung zuteil wurde. Aber allein von den Lorbeeren kann niemand leben.

    Und bis heute ist es bei den meisten Künstlern nicht viel anders, denn wir kennen nur eine Hand voll, die gut verdienen. Der große Rest mit unbekannten Namen, der jedoch oftmals genauso so viel Talent und Können hat, lebt oftmals an der Armutsgrenze. Aber die Kunst ruft ihn, und er kann nicht anders, als ihr zu folgen. Wie oft habe ich es selbst erlebt, dass die Leute davon ausgingen, dass ich umsonst singen, umsonst spielen und ganze Abende umsonst gestalten sollte, weil Kunst ebenso kostenlos erwartet wird wie humanitäre Zuwendungen.

    Der enorme Arbeitsaufwand, die teuren Noten und, wenn es sich um Tanzmusik mit meiner Keyboardanlage handelte, auch der enorme technische und extrem Kosten intensive Aufwand, der auch noch die Anschaffung eines Lieferwagens erforderte, zählten überhaupt nicht. Ich habe sicher genauso oft auf Wohltätigkeitsveranstaltungen gesungen und gespielt wie auf mit Trinkgeldern bezahlten Veranstaltungen aller Arten, und nur selten erhielt ich an der Costa Blanca eine angemessene Gage. Zum guten Ton des Künstlers, so meinen künstlerische Banausen, gehört es, dass er sich und sein Können verschenkt und für gute Laune sorgen soll.

    Heute haben wir wenigstens auch von staatlicher Seite eine Sozial-, Kranken- und Rentenversicherung speziell für Künstler, so dass sie nicht völlig unversorgt sind, wenn sie erkranken oder alt werden. Das aber gab es zu Schillers Zeiten nicht, und so musste er zusehen, wie er sich trotz und wegen seines Freiheitsdrangs und dem Muss zum schriftlichen Ausdruck über Wasser halten konnte. Wer anderweitig arbeiten muss, hat keine oder nur eingeschränkte Zeit zum schriftlichen Arbeiten und schon gar nicht dafür, seinen Stil erst einmal richtig auszufeilen. Denn vor den Erfolg haben die Götter Schweiß gesetzt, und, wie Bernhard Shaw sagte: Genie ist ein Prozent Inspiration und neunundneunzig Prozent Transpiration.

    Nachdem Schiller Bauerbach den Rücken zugekehrt hatte, wurden Mannheim, Leipzig, Dresden, Weimar und Jena seine weiteren Stationen. Er wurde zunächst einmal 1783 als Theaterdichter in Mannheim engagiert, wo er drei Stücke im Jahr zu liefern hatte. Dort wurde am 11. Januar 1783 mit wenig Erfolg Die Verschwörung des Fiesco uraufgeführt. Er verlor aber seinen Vertrag bereits ein Jahr darauf wegen schwerer Krankheit und geriet erneut in erhebliche finanzielle Not. Friedrich Schiller erkrankte an einem Wechselfieber, als er 1783 mit einer Kutsche von Karlsruhe nach Mannheim gefahren war. In verschiedenen Biografien wird häufig von Malaria gesprochen, weil sie am Oberrhein weit verbreitet war. Ebenso könnte es sich aber um einen anderen schweren grippalen Infekt gehandelt haben.

    Er schonte sich nicht, arbeitete verbissen weiter und wollte seine Schulden los werden. Auch später verdrängte er seine häufigen Krankheiten und verheimlichte sie sogar vor seinen Eltern, um sie nicht zu beunruhigen. Und da er sich nicht schonte noch auskurierte, wurde er schon früh ein kränkelnder Mann. Man sagte ihm in der Weimarer Zeit nach, dass er sehr genau berechnete, wie er sein Haus abbezahlen konnte und seine Veröffentlichungen daran ausrichtete. Schiller hatte also inzwischen gelernt, dass er mit seiner Schreibkunst durchaus Geld verdienen konnte. Und in der Tat hinterließ er bei seinem frühen Tod sein Haus schuldenfrei.

    Doch gehen wir in seine Mannheimer Zeit zurück, wo seine verschiedenen, vor allem weiblichen Gönnerinnen ihm erst einmal nicht mehr unter die Arme greifen konnten oder wollten und er seinen Job als Theaterschreiber rasch wieder verloren hatte. Weil auch sein Vater nicht die gesamten Schulden seines Sohnes begleichen konnte, half ihm Schillers ebenfalls durchaus nicht begüterter Vermieter, der Maurermeister Anton Hölzel, denn er hatte dessem Sohn in schwerer Krankheit helfen können. Schiller soll ihm das Geld in späteren Jahren wieder zurückbezahlt haben.

    Im Jahr 1784 lernte Schiller die schriftstellernde Charlotte von Kalb in Mannheim kennen, von der allerdings zu Lebzeiten nichts veröffentlicht wurde. Im Verlauf der Jahre pflegte sie Kontakte mit Goethe, Hölderlin und Jean Paul und starb schließlich völlig verarmt nach einer Serie von schweren familiären Schicksalen. Sie war mit einem Offizier verheiratet, den sie nicht liebte, und ihr Mann erschoss sich im Jahr 1806 ebenso wie später einer ihrer Söhne.

    Schiller hatte sich in der Bauerbacher Zeit in Charlotte von Wolzogen, der Tochter seiner dortigen Gönnerin Henriette von Wolzogen, heftig verliebt gehabt. Sie war aber bereits einem anderen Mann versprochen gewesen. Die Louise in Kabale und Liebe trägt ihre Züge. Auch um dieser unglücklichen Liebe zu entgehen, war er aus Bauerbach weg und nach Mannheim gegangen, wo er sich nun Hals über Kopf in die ihn sehr verehrende jedoch verheiratete Charlotte von Kalb verliebte. Das trieb ihn sehr um und stürzte ihn in seelische Konflikte, denn sie war fest entschlossen, ihren Mann für ihn zu verlassen. Als Schiller später mit ihr in Weimar war, setzten die beiden dort ungeniert ihre Liebschaft fort. Sie hatten sogar Heiratspläne und zeigten sich auch öffentlich als Paar. Und Charlotte von Kalbs Mann nahm es offensichtlich als gegeben hin. Sie führte Schiller in die Weimarer Society ein, und ihrer Vermittlung hat er auch den Titel Sachsen-Weimarscher Rat zu verdanken.

    Im Vorgriff und auch rückgreifend auf seine Zeit als Regimentsmedicus in Stuttgart sei noch ein wenig mehr über Friedrich Schillers Beziehung zu Frauen geplaudert, um darüber einen Gesamtüberblick zu vermitteln, bevor wir mit seinem Dichterleben fortfahren. Er hatte so einige Liebschaften mit Soldatenweibern und Wirtinnen gehabt und war durchaus kein Kostverächter, wie man vielleicht meinen könnte, wenn man seine Schriften liest und wahrnimmt, was er in seinem ideellen Tugend- und Moralstreben insbesondere über die weibliche Rolle als züchtiger Hausfrau und Mutter der Kinder im häuslichen Kreise, wo sie weise regiert, so schrieb und dachte. Solche Gedanken bezogen sich allerdings auf die verheiratete Frau, von der allgemein Anstand, Zucht, Ordnung und absolutes Anschmiegen an ihren Gatten erwartet wurde. Ebenso bezogen sich solche Vorstellungen auf die Jungfrau, die der Jüngling mit züchtig verschämten Wangen vor sich stehen sieht, woraufhin sein Herz ein namenloses Sehnen erfasst, er allein irrt und auf den Fluren Blümchen sucht, womit er seine Liebe schmückt.

    Denken wir nur an seine Ausführungen in seiner 1799 verfassten Glocke: Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder und herrschet weise im häuslichen Kreise, Und lehret die Mädchen, und wehret den Knaben, und reget ohn' Ende die fleißigen Hände, und mehrt den Gewinn mit ordnendem Sinn. Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden, und dreht um die schnurrende Spindel den Faden, und sammelt im reinlich geglätteten Schrein die schimmernde Wolle, den schneeigten Lein, und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer und ruhet nimmer. In ein solches Bild passten weder geistreiches Gespräch noch gesellschaftliches Parkett oder gar leidenschaftliche Erotik sondern eher eine pragmatische Haushalts- und Lebensführung. Und die Ehefrau sollte mehr der reinen Natur entsprechen, nicht aber einer Philosophin, einer die Freiheit liebenden Künstlerin oder gar einem höfischen Kunstwesen gleichen. Nicht das Porzellanpüppchen noch die geistreiche, weltgewandte Mätresse war der Ehe würdig sondern allein die Frau, die einen engen Bezug zu Natürlichkeit und Natur als Charakterstärke auswies oder aber, wenn man sich in der Aristokratie bewegte, Vermehrung von Landbesitz, Einfluss und die Aussicht auf Landesfrieden als Aussteuer mitbrachte.

    Besonders hervorzuheben ist im Rahmen von Schillers Beziehungsleben seine mögliche Liebschaft zur Gustel von Blasewitz (Johanna Justine Renner) während seiner Dresdner Jahre von 1785 bis 1787. Sie bediente in der Fleischerschen Schenke, die schon seit 1730 existierte und heute als Schillergarten am Schillerplatz 9 direkt an der bekannten Brücke Das Blaue Wunder zu besuchen ist. In Wallensteins Lager hat er seine Gustel verewigt, in dem er einen Jäger rufen lässt: Potz Blitz! Das ist ja die Gustel aus Blasewitz! Wahrscheinlich war Gustel aber nur eine gute Freundin Schillers, denn sie war bereits vergeben. Wichtiger ist aber in dieser Zeit seine Liebe zu der Dresdner Hofdame Henriette von Arnim (1768-1847), für die er ein paar Monate lang heftig entflammte. Er soll ihr teure Geschenke gemacht haben, obwohl er selbst auf Pump lebte. Auch sie war bereits einem Anderen versprochen, und seine Freunde suchten ihn von seiner Leidenschaft abzuhalten. Wir kommen nochmals kurz auf sie zurück.

    Zu Schillers Anbeterinnen gehörte auch die Verlegertochter Margarete Schwan, zu der er sich im Winter 1784/85 sehr hingezogen fühlte. In Frankfurt lernte er die Schauspielerin Sophie Albrecht kennen. Und mit der anspruchsvollen und sehr gewandten Adeligen Caroline von Beulwitz, geborene von Lengenfeld, fühlte er sich ab seiner Leipziger Zeit allerdings wohl nur geistig verbunden. Sie wurde auch zu einer Schlüsselfigur zwischen seiner Zeit bei den Wolzogens in Bauerbach und seinem Schritt nach Leipzig, den er letztlich seiner resoluten Freundin Charlotte von Kalb zu verdanken hatte.

    Schillers Kontakt zum Hause Wolzogen bestand weit über den Tod seiner Gönnerin hinaus weiter, denn in späteren Jahren heiratete seine literarisch⁵ aktive Schwägerin Caroline, deren Ehe mit dem Rudolstädter Hofrichter Friedrich von Beulwitz⁶ nicht gut gegangen war und geschieden wurde, den ältesten Sohn von Henriette von Wolzogen, also den Sohn von Friedrich Schillers Gönnerin aus seiner Bauerbacher Zeit. Der Legionsrat Wilhelm von Wolzogen, den sie dann heiratete, war zugleich jener gute Studienfreund Schillers an der Hohen Carlsschule gewesen, dem er die Güte von dessen Mutter verdankt hatte, in Bauerbach gewohnt und an Kabale und Liebe in Ruhe gearbeitet haben zu können. Doch weiter unten mehr über Caroline und ihre angenehm ruhige Schwester Charlotte, die Schiller später heiraten sollte.

    Es gab für Schiller und ganz allgemein in seiner Zeit offensichtlich zwei verschiedene weibliche Welten. Einerseits die Damen von Welt, mit denen man seine Interessen teilen, geistige Gespräche führen und erotische Abenteuer haben konnte und auf der anderen Seite die einen stillen Herd und Ruhe versprechenden, zurückgezogenen und oftmals auch geistig weniger bemittelten mädchenhaften Gretchentypen, wie auch Goethe sie in seiner urnatürlichen, so gar nicht in Gesellschaft und Etikette passende Christiane Vulpius schätzte, mit der dieser achtzehn Jahre lang in wilder Ehe lebte, bis er sie schließlich anderthalb Jahre nach Schillers Tod, am 14. Oktober 1806 doch noch ehelichte.

    Schiller sehnte sich danach, nach all der Drangsal, dem enormen Druck seiner Jugend und den so erdrückend gewesenen finanziellen Sorgen, in den eigenen vier Wänden häuslichen Frieden zu finden, nicht aber auch dort noch anspruchsvolle Gespräche führen zu müssen, die sein Gehirn weder abschalten ließen noch ihm Ruhe bringen konnten. Und seine Freundin Caroline, die das auf Anhieb erkannte, arbeitete eifrig darauf hin, dass er ihre stille Schwester ehelichte. Schon darum, damit diese ebenso in ihrer Nähe bleiben konnte wie der von ihr so sehr geschätzte Friedrich.

    Caroline war mit Charlotte von Stein⁷ gut befreundet, einer Hofdame der Herzogin Anna Amalia von Braunschweig-Wolffenbüttel (1739-1807). Und die Herzogin bewog ihren Sohn, den jungen Herzog Carl August, dazu, sich als Mäzen Schillers zu erweisen und ihm neben dem Titel Hofrat ein Gehalt von 200 Talern im Jahr zu geben. Dies allerdings nicht so sehr, um Schiller zu helfen sondern eher, um dessen Vorgänger los zu werden.

    Frau von Stein war die Patentante von Charlotte von Lengefeld und wahrscheinlich auch von ihrer Schwester Caroline. Die Patentante von Friedrich Schillers Ehefrau war also jene Charlotte von Stein (1742-1827), die ihrerseits eine zehnjährige Liaison mit Goethe hatte. Da kann man sich die Verbindungen und Beziehungen, die alle miteinander hatten, gut vorstellen. Jeder war mit jedem gut bekannt, und man protegierte sich gegenseitig, denn die gesellschaftlich höchste Schlüsselstellung nahm bei alledem immer der Adel mit seinem weitreichenden Einfluss ein, der zugleich Geldadel war und sich durch das von Künstlern hoch geschätzte Mäzenatentum auszahlte. Und das

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