Der deutsche Islam
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Cemil Sahinöz
Der Autor Dr. Cemil Sahinöz (Soziologe, Religionspsychologe, Familienberater, Integrationsbeauftragter, geboren 1981) ist Gründer und Chefredakteur der Zeitschrift "Ayasofya". Er hat verschiedene Bücher zu soziologischen, gesellschaftlichen, psychologischen und theologischen Themen verfasst. Sein erstes Buch schrieb er mit 15 Jahren und mit 16 Jahren brachte er seine erste monatliche Zeitschrift heraus. Sein Aufsatz "Situation der türkischen Familien in Europa" wurde 2006 von Diyanet zum "Besten Aufsatz des Jahres" gewählt. Zu verschiedensten Themen hält er Vorträge, Seminare, Fortbildungen, Konferenzen und Workshops. Er ist in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften als Journalist und Kolumnist tätig. Als Journalist begleitete er den deutschen Bundespräsident Christian Wulff und den türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül bei ihrem Osnabrück-Besuch. Sahinöz moderierte den Podcast "Misawa Talk". Hauptberuflich ist er in der Integrationsagentur und Familienberatung und nebenbei in der türkischen Glücksspielsuchthotline tätig. In der Vergangenheit arbeitete er als Lehrer, Projektmanager, Seelsorger für muslimische Häftlinge, Übersetzer, Editor und Leiter von pädagogischen Angeboten. Seine Webseite (www.misawa.de) wurde unter 42 deutschen Islamseiten in den Bereichen "Offenheit", "Dialog", "Meinungsfreiheit", "Toleranz" und "Demokratisch" in einer Forschungsarbeit an einer Universität am besten bewertet. Als Dank und Auszeichnung für sein Engagement im Bereich Integration wurde er von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel im Bundestag in Berlin empfangen und seine Arbeit auf diesem Gebiet gelobt. Sahinöz traf sich u.a. auch mit dem muslimischen Berater von Barack Obama, Rashad Hussain, und tauschte sich mit ihm über den Islam, die Muslime und ihren Organisationen in Deutschland aus. Der AIB (Europäischer Arbeitgeber und Akademiker Verbandes NRW) verlieh ihm im Juni 2011 den "Akademiker- und Integrationspreis." In der Focus Ausgabe Nr. 39 (19.09.2015) wurde er als einer der intellektuellen, muslimischen Jugendlichen in Deutschland vorgestellt und als "Seelsorger" betitelt. Sahinöz war zudem Vorsitzender des Bündnis Islamischer Gemeinden (Dachverband der muslimischen Einrichtungen in Bielefeld) und Gründungsmitglied, Generalsekretär und ehemaliger Vorsitzender der European Risale-i Nur Association (Dachverband der Nurculuk Bewegung in Europa).
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Book preview
Der deutsche Islam - Cemil Sahinöz
Nachdruck oder Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.
Inhalt
Vorwort - Muslime in Deutschland
Der deutsche Islam
Islamische Organisationen in Deutschland
Islamischer Religionsunterricht
Religionspädagogik bei Said Nursi
Ist eine Reformation im Islam nötig?
Extremismus. Verstehen und Handeln
Gründe für steigenden Extremismus
Sind die Imame an der Gewalttätigkeit der Jugendlichen verantwortlich?
Krieg, Gewalt und Terrorismus im Islam
Ehrenmord und Zwangsheirat
Religion oder Kultur?
Dialog der Kulturen. Friendship of the Civilizations
Du sollst deinen Nächsten Lieben - Nächstenliebe im Islam
Das Osmanische Reich und die Juden
Innermuslimischer Dialog in Deutschland
Jesus im Islam
Trinitätslehre im Verständnis des Islams
Muhammad. Sein Leben, Seine Botschaft, Sein Vermächtnis
Sport im Leben des Propheten Muhammad
Bilder im Islam
Wie real ist die Realität?
Die spirituelle Anatomie des Menschen
Spiritualität des Islams kommt zu kurz
Warum lässt Gott Ungerechtigkeit zu?
Die Definition der Definitionslosigkeit. Die Übersetzung islamischer Begriffe
Polygamie und die Ehen des Propheten Muhammed
Die Frau (und der Mann) im Islam. Differente Bedeutung der Körperlichkeit im Islam und im Christentum
Halal-Ernährungsfragen der Muslime in der Diaspora
Moscheekontrollen und Imame aus dem Ausland
Moschee-Steuer – Juristisch, Politisch und Theologisch
Scharia vs. Grundgesetz? Ein Lebensweg und kein Grundgesetz
Der Islam und die AFD - Welches gehört zu Deutschland?
Der Ramadan ist ein Teil Deutschlands
Literatur
Vorwort - Muslime in Deutschland
Als sich 1980 unter Muslimen die Nachricht verbreitete, Muhammad Salim Abdullah wolle eine „Geschichte des Islam in Deutschland" schreiben, reagierten zahlreiche Muslime in Deutschland mit Erstaunen. Sie hielten eine solche Arbeit für eine vergebliche Anstrengung. Und dennoch erschien das Buch ein Jahr später unter diesem Titel (Abdullah, 1981), und man wunderte sich, ob der eigenen Vergangenheit, weil sie bis in das 18. Jahrhundert zurückreichte. Später wiesen Kritiker mit Recht daraufhin, dass die Suggestion des Buches, es gäbe eine in sich geschlossene und kontinuierliche Historie der Muslime auf dem Gebiet, das seit 1871 als Deutschland bezeichnet wird, nicht stimmt.
Dennoch hat der Blick in frühere Jahrhunderte ihre Berechtigung, weil damit deutlich wird, dass nach Andalusien die Verbindung zu den Muslimen nicht abbrach, sondern auf vielfältige Weise erhalten blieb (Braudel, 1985). So kamen nach der zweiten Belagerung Wiens 1683 und den anschließenden so genannten Türkenkrieg Muslime als Kriegsgefangene an die Fürstenhöfe der deutschen Staaten, von denen manche auch nach dem Friedensvertrag mit dem Sultan dort blieben. Während einige wenige dieser Männer zum Christentum konvertierten und danach Karriere machten, blieben andere ihrem Glauben treu und starben als Muslime, was die erstaunte Umwelt auf ihren Grabsteinen vermerkte (Behrendt, 2006).
Die erste geschlossene muslimische Gruppe kam 1739 nach Potsdam. Es waren besonders hoch gewachsene Tataren, die als Soldaten in die Truppe der „Langen Kerls" integriert wurden. Sie erhielten in Potsdam durch den damaligen preußischen König Friedrich Wilhelm I. einen eigenen Gebetsraum. Unter seinem Sohn, Friedrich dem Großen, nahmen ca. 1500 muslimische Reiter an den Schlesischen Kriegen teil, die nach dem Friedensschluss nicht entlassen wurden, sondern eigene Garnisonen in Ostpreußen¹ zugewiesen bekamen. Zuvor hatten diese „bosniakischen Reiter" auf Befehl des Königs einen Imam aus ihren eigenen Reihen erhalten. Anfang des 19. Jahrhundertes wurden die Regimenter mangels Personal in Ulanen-Regimenter umgewandelt und erst nach 1919 aufgelöst.
Im 19. Jahrhundert scheint es wohl einzelne Persönlichkeiten gegeben zu haben, die während ihrer Reisen in den Orient zu Muslimen wurden. Gleichzeitig unterhielt das preußische Berlin gute Verbindungen zur Hohen Pforte (Kutay, 1986), die zu mehreren Verträgen führten, in deren Folge Offiziere und Soldaten im Osmanischen Reich Dienst taten. Neuere Forschungen zeigen, dass sich nicht alle von ihnen so vorbildlich benahmen, wie es der spätere Feldmarschall Graf Molkte, Admiral Souchon oder von der Goltz Pascha taten (Demm, 2006, S.691).
Gleichzeitig kamen zahlreiche Türken nach Deutschland, um hier zu studieren oder ihre Ausbildung als Ingenieure und Offiziere zu ergänzen (Tuksayul, 1985, S.214); zudem förderte die Deutsch-Türkische Vereinigung gezielt Studenten und Lehrlinge, in dem sie deren Aufenthalt in Deutschland und ihre Ausbildungskosten trug (Talib, 1997). Sie kehrten nach 1919 fast alle in ihre Heimat zurück.
Während des Ersten Weltkrieges richtete der deutsche Generalstab bei Wünsdorf in der Nähe Berlins ein Sonderlager für muslimische Kriegsgefangene ein (Höpp, Reinwald 2000), von denen manche nach 1919 nicht in ihre Heimatländer zurückkehren konnten oder wollten. Unter der Leitung des indischen Professoren Jabbar-Kheiris gründeten diese und andere Muslime 1922 eine islamische Gemeinschaft, die 1925 eine eigene Moschee im Berliner Stadtteil Wilmersdorf eröffnen konnte. Hier trafen sich Muslime aus den unterschiedlichsten Kulturen und Ländern. Es waren Flüchtlinge, Diplomaten, Kaufleute, Reisende und einzelne deutsche Muslime.
In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhundertes entfaltete sich in Berlin ein lebhaftes und vielfältiges islamisches Leben, das Gerhard Höpp in mehreren Beiträgen der „Moslemischen Revue" kritisch darstellte (Höpp, 1991, S.150). Hier sammelten sich viele Muslime, die mit den Verhältnissen in ihren Heimatregionen bzw. -ländern unzufrieden waren, wie ein britischer Diplomat feststellte. Sie gründeten Vereine, die die eine und andere Zeitschrift herausgaben. So richtete der Islamische Weltkongress 1932 eine Geschäftsstelle ein und wurde 1926 das Islam Archiv aufgebaut.
In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen bauten iranische Schiiten in Hamburg nicht nur einen erfolgreichen Teppichhandel auf, sondern zugleich eine lebendige Gemeinschaft. Das Vereinsleben der kleinen Gemeinschaft um die Berliner Moschee, die für die deutschen Muslime zu ihrer Moschee wurde und an deren Leben sie sich engagiert beteiligten (Abdullah, 1981c, S.21), fand ihren Ausdruck in mehreren Publikationen gleich der Zeitschrift „Moslemische Revue" und einer Koranübersetzung Maulana Sadr-du-Dins, die im Frühjahr 1939 erschien. In den Kontext jener Jahre gehören zwei weitere Persönlichkeiten, die über die Zeiten hinweg Bedeutung gewannen: Es war zum einen Leopold Weiss, dem späteren islamischen Gelehrten Muhammad Asad (Windhager, 2002), und zum anderen Lev Nussenbaum, dem renommierten Schriftsteller Essad Bey (Höpp, 2002, S.385). Beide gehörten nicht der Gemeinschaft selber.
Die Entwicklung des Vereines muss von jener der vierziger Jahre getrennt gesehen werden. Während die nationalsozialistische Regierung einerseits die Berliner Gemeinschaft mit Misstrauen beobachtete und muslimische Roma in die Konzentrationslager schickte, war sie zugleich daran interessiert jene Muslime für sich zu gewinnen, die bereit waren, mit ihnen gemeinsam gegen ihre militärischen Gegner zu kämpfen. So schlossen sich im Zuge des Vormarsches der deutschen Truppen in Nordafrika, im Süden der damaligen Sowjetunion und auf dem Balkan insgesamt ca. 250.000 Muslime der Wehrmacht an, die zur geistlichen Betreuung dieser muslimischen Soldaten zwei so genannte Mullah Schulen in Göttingen bzw. Dresden einrichtete. Die prominenteste Gestalt jener Jahre wurde Hajd Amin al-Husseini, der als Großmufti von Jerusalem in die Geschichte der Palästinenser eingehen sollte.
Mit dem Ende des zweiten Weltkrieges brach auch das islamische Leben in Berlin zusammen. Zwar sammelten sich in Süddeutschland Reste der einstigen Truppen, soweit sie von den Alliierten nicht gemäß den Verträgen von Teheran und Jalta an die Sowjetunion ausgeliefert worden waren, sowie manche Familien, die vor den Sowjets geflohen waren, aber diese Minderheit von ca. 100.000 Personen blieb unter sich. Einer ihrer Schwerpunkte wurde die bayrische Landeshauptstadt München.
1951 gründeten die Muslime eine „Geistliche Verwaltung der Muslimflüchtlinge", deren Hauptimam Nureddin Namamgani wurde und dem 1974 Djemaleddin Ibrahimovic folgte. Beide Männer waren Feldgeistliche gewesen.
So wie bereits in München 1945 Muslime zusammenkamen, um die Festgebete zu verrichten, trafen sich auch in Berlin versprengte Muslime, weil sich eine deutsche Muslima, Umm Ahmed, aufopfernd um die zerstörte Moschee kümmerte, obwohl sie ihren Sohn, Mohammed Ahmed Mosler, während des Krieges verloren hatte. Im Juni 1949 übernahm Mohammad Aman Hobohm, der längere Zeit in London studiert hatte, die Leitung der Moschee. Es gelang ihm der Gemeinschaft wieder zu Bedeutung zu verhelfen, indem er sich aktiv am Nachkriegsleben Westberlins beteiligte. In den ersten Jahren nach 1945 hatte sich bereits die Eigentümerin des Moscheegrundstückes um das Gebäude gekümmert. Es war die heute nicht mehr der Umma angehörende Ahmadiyya-Bewegung. Ihre Imame prägten bis in die sechziger Jahre den islamisch-christlichen Dialog in Deutschland.
Als sich in den Aufbaujahren die Universitäten wieder zu ihrer Arbeit zurückgefunden hatten, immatrikulierten sich Studenten aus zahlreichen islamischen Mehrheitsgesellschaften. Sie wandten sich fast ausschließlich der Medizin oder einer der Ingenieurwissenschaften zu und nur selten den Sozialwissenschaften, die in den folgenden Jahren zu den Diskurswissen-schaften wurden. Aufgrund ihrer politischen Einstellung studierten die einen in der Deutschen Demokratischen Republik und andere in der Bundesrepublik Deutschland. Mancher persische oder palästinensische Student blieb aus politischen Gründen nach dem Examen in der Bundesrepublik, ohne sich als Muslime zu engagieren.
1952 gründeten mehrere deutsche Muslime in Hamburg die „Deutsche Muslim Liga" (DML), der sich bald andere deutsche Muslime anschlossen, ohne dass der deutsche Pass Voraussetzung für eine Mitgliedschaft wurde.
Im Kontext des Ost-West-Konfliktes sammelten sich in München von 1950 an Muslime aus den unterschiedlichsten Ländern, die nach 1945 von sowjetischen Truppen besetzt worden waren bzw. einen pro-sowjetischen Umsturz erlebt hatten. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stand jedoch nicht der ihnen teure Glaube, der Islam, sondern das Bemühen um die Freiheit ihrer Völker. Beispielhaft für diese Exil-Organisationen sei der „Weltkongress der Uighuren" genannt². Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime 1989 schloss sich die eine und andere Gruppe einem islamischen Verband an.
Dieser westdeutschen Entwicklung stand keine korrespondierende im Osten gegenüber. Das später von Muhammad Salim Abdullah in Saarbrücken wieder gegründete Islam Archiv versuchte mehrfach Kontakte zu Muslimen in der DDR zu knüpfen, was weder inoffiziell noch offiziell gelang. Die ostberliner Verwaltung antwortete auf Anfragen stets mit der Behauptung, es gäbe in der DDR keine deutschen Muslime, was sich als „Irrtum" erweisen sollte. Als Muhammad Salim Abdullah in den achtziger Jahren einen Vortrag im RIAS gehalten hatte, meldete sich ein deutscher Muslim mit der knappen Mitteilung per Telefon, es gäbe deutsche Muslime in der DDR.
Im Laufe des Jahrzehntes von 1950 bis 1960 erwuchs aus dem Wiederaufbau des zerstörten Landes das deutsche Wirtschaftswunder, das seinen wachsenden Bedarf an Arbeitskräften erst in den westeuropäischen Ländern, dann auf dem Balkan zu decken versuchte, um sich dann der Türkei zu zuwenden. Damit kamen muslimische Türken in die Industriezentren, die anfangs überhaupt nicht bemerkt wurden, weil sie in Wohnheimen untergebracht wurden. Im Gegensatz zu den orientalischen Studenten, Kaufleuten und deutschen Muslimen kamen sie nicht aus den Eliten ihrer Heimat, sondern gehörten zu den dortigen Modernisierungsverlieren, die häufig bereits eine schwierige Wanderungsgeschichte aus dem türkischen Osten zur Westküste hinter sich hatten. Keiner von ihnen plante in Deutschland zu bleiben. Sie wollten wie die Gastarbeiter vor ihnen möglichst rasch Geld verdienen, um mit ihren Familien eine neue Existenz in der Heimat aufbauen zu können. Dies galt auch für die muslimischen Jugoslawen, Bosnier, und Marokkaner. Hingegen richteten sich die wieder erfolgreich arbeitenden schiitischen Kaufleute in Hamburg auf einen längeren Aufenthalt ein.
Im Verlauf der siebziger Jahre wurde nicht nur das 1927 in Berlin gegründete Zentralinstitut Islam Archiv reaktiviert, sondern bemühte sich der in Karachi ansässige Islamische Weltkongress unter seinem Generalsekretär Inamullah Khan seine schon in der alten Reichshauptstadt bestehende Vertretung wieder aufzubauen. Durch die Vermittlung des inzwischen in den diplomatischen Dienst eingetretenen Amman Hobohm wurde Muhammad Salim Abdullah mit der Repräsentanz in Bonn beauftragt, während Wolf D. Ahmed Aries dies für Nordrhein-Westfalen übernahm. Mit der Rückendeckung dieser islamischen NGO gelang es in den kommenden Jahren in Bonn und Düsseldorf eine islamische Lobbyarbeit aufzubauen. Hinzu kamen eine große Zahl engagierter Männer und Frauen, Muslime und Christen, die die Arbeit tatkräftig unterstützten. Auf diese Weise wurde Muhammad Salim Abdullah für mehr als Jahrzehnt die Stimme des Islams in Deutschland oder, wie jemand es formulierte, die Stimme der Stummen muslimischen Gastarbeiter.
Der Versuch, die in jenen Jahren öfters wechselnden Regierungen in Ankara für die religiösen Nöte ihrer Auslandsbürger zu interessieren, stieß auf teilweise gänzlich undiplomatische Ablehnung. Darüber hinaus neigten die türkischen wie jugoslawischen Konsulate dazu, jegliche religiöse Entfaltung ihrer Landsleute zu verhindern. Es waren unruhige Jahre, in denen die islamischen Mehrheitsgesellschaften um ihren Platz in der Moderne politisch und militärisch rangen. Der einzig ruhige Raum jener Zeit war das Islam Archiv, das seinen Sitz von Saarbrücken in das westfälische Soest verlegen konnte. Dort sah man, dass viele muslimische Gastarbeiter wie Studenten nicht in ihre Heimatländer zurückkehren würden, weil sie sich in Deutschland politisch bzw. religiös so engagiert hatten, dass sie mit Repressalien rechnen mussten; zudem hatten sich Ärzte, Ingenieure und Kaufleute bereits problemlos integriert. Ihre Kinder und jene der älteren Gastarbeiter besuchten die Grundschulen, so dass sich die Frage nach einem islamischen Religionsunterricht stellte. Hinzu kamen Fragen gewerkschaftlicher Vertretung der muslimischen Arbeiter, deren Mitgliedsbeiträge die Gewerkschaften gerne einnahmen, ohne ihnen die entsprechenden Plätze in den Betrieben oder ihrer Hierarchie einzuräumen. Gleichzeitig suchten die Muslime nach solchen Räumen, die sie zu Gebetsstätten umbauen konnten. Aus juristischen und versicherungsrechtlichen Gründen mussten sie Vereine gemäß dem deutschen Vereinsrecht aufbauen, die sie bei den Amtsgerichten anmelden mussten. Die dafür notwendigen Satzungen wurden von vielfach deutschen Muslimen geschrieben - so 1969 in Hannover und 1972 im rheinischen Velbert.
Damit begann die mühselige Integration der Muslime in die deutsche Gesellschaft. Sie wurde zu einer mehrfachen wechselseitigen Lerngeschichte für die Mehrheits- und die Minderheitsgesellschaft, die oft genug in politische wie denkerische Sackgassen führte. In der Reflektion des Prozesses lassen sich mindestens drei Entwicklungsstränge unterscheiden.
Die organisatorische Entwicklungslinie führte von den Moscheevereinen über das Islam Archiv zum ersten islamischen Dachverband dem Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (1986), dem Jahre später 1994 der Zentralrat der Muslime in Deutschland folgte. Die oberste Religionsbehörde der Türkei gründete 1984 in Berlin die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion (DİTİB), der die einzelnen Moscheevereine direkt angehören. Sie wuchs jedoch erst mit ihrem Umzug nach Köln in die Arbeit hinein. Hingegen sind die beiden anderen Verbände echte Dachverbände von mehreren Verbänden, deren Basis die Moscheevereine sind. Lange Zeit meinte man, dass über diese Struktur die Mehrheit der Muslime erfasst würden, bis der Bochumer Professor Krech 2007 eine Studie