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Krimidinner: Kriminalroman
Krimidinner: Kriminalroman
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Krimidinner: Kriminalroman

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About this ebook

Das Thaimädchen Linh möchte an der Seite des Mittelstandsbürgers Klaus Anton Imgen in Deutschland ein neues, glückliches Leben beginnen.
Doch schon bald wünscht sie, der Armseligkeit ihres trostlos gewordenen Ehelebens an der Seite des unattraktiven, ödipalen Ehemanns und der Stumpfheit einer Gesellschaft zu entfliehen, die in ihr lediglich das hübsche sexuelle Lunchpaket eines dicklichen Spießers sieht.
Die Situation ändert sich dramatisch, als sie einen neuen Liebhaber findet und ihr Ehemann Opfer eines Sexualmordes wird: An die Pfosten seines Ehebetts gebunden wird er tot aufgefunden.
Trotz eines sicheren Alibis wird Linh des Mordes verdächtigt …
LanguageDeutsch
Release dateAug 29, 2012
ISBN9783844889666
Krimidinner: Kriminalroman
Author

Hartmut Wiedling

Hartmut Wiedling, geb. 1940, Professor für quantitative Betriebswirtschaftslehre an der FH Kiel, trat 2003 vorzeitig in den Ruhestand, um sich der Schriftstellerei zu widmen. Nach seinem gesellschaftskritischen Zukunftsroman „Klosterbrut“, folgte der Erzählungsband „Doppelbilder“, der Kriminalroman „Krimidinner“, „Letztes Jahr“, ein satirischer Roman und „Odile“, die Erzählung einer zarten Schülerliebe. Als Koautor beteiligte er sich an den ersten vier ‚Bordesholm-Krimis‘ der Bordesholmer Edition.

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    Book preview

    Krimidinner - Hartmut Wiedling

    Hamletschlussszene

    1. Buch

    Deutsch als Fremdsprache

    1. Abschied

    „Du hast es geschafft!", sagen sie mir zum Abschied, stecken mir Blumen ins Haar und schenken mir einen kleinen Teddy:

    „Damit Du an uns denkst."

    „Er heißt ‚Pichai‘²."

    „Er soll dich trösten, wenn du mal traurig bist."

    „Und mit dir lachen, wenn du glücklich bist."

    Klaus-Anton wird wenig beachtet.

    „Ich glaube, er ist ganz in Ordnung, flüstert mir Jai Dee ins Ohr, „ich wäre auch mit ihm gegangen. Aber das habe ich wohl endgültig verpasst.

    „Und wie heißt du jetzt?", fragen sie.

    „Frau Imgen."

    „Wie?"

    Ich wiederhole meinen neuen Namen, doch er ist ihnen fremd. Ich schreibe ihn auf, aber sie können ihn nicht lesen.

    „Für uns bleibst du Noi Linh³. Das genügt. Das bist du."

    Wie recht sie hatten. Imgen, das war er. Nicht ich. Klaus-Anton Imgen. Angestellter in der Finanzabteilung der Gemeindeverwaltung in Düsseldorf. Neben ihm stand ich, Noi Linh, umringt von sechs Thaifrauen. Es gab Tränen. Dann, als wir zum Check-in gingen, winkten sie und lachten wieder. Riefen scherzhaft sogar noch freche, frivole Worte hinterher, die im Kichern der anderen verlorengingen.

    Der Inlandflug von Phuket nach Bangkok war wie immer. Nur dass mich meine Kolleginnen zum Airport begleitet hatten.

    Die riesige Abfertigungshalle in Bangkok erschien mir auf einmal hässlich. Zu viel Beton und Technik. Ich hatte sie sonst nie so gesehen. War immer nur beeindruckt gewesen durch die imponierende Größe. Auch war mir nie aufgefallen, wie viele Ausländer herumliefen. Aber hier wirkten sie anders als in den berühmten thailändischen Tempeln. Dort sind sie interessierte Touristen. Gäste. Unsere Gäste. In unserem Land. In unseren Tempeln. Auch dort sind wir Thailänder in der Minderzahl. Gewiss, es stört die heilige Ruhe, das fremdländische Gewimmel. Aber wir sind die Gastgeber, sie unsere Besucher. Und sie nehmen sich Zeit. Jetzt war es anders. Eine lange Schlange ungeduldiger Menschen stand vor dem Schalter der Sri Lankan Airlines. Nervös. Das Stimmengewirr war geprägt von hektischem Englisch – oder was ich dafür hielt –, untermalt zwar noch vom melodischen heimatlichen Klang des Stimmengezwitschers im Hintergrund, aber die Ausländer dominierten. Beherrschend. Fremd. Mir war, als hätte ich Thailand bereits verlassen.

    Neben der Schlange, nur ein paar Schritte entfernt, entdecke ich ein bekanntes Gesicht. Er ist kein Fluggast. Chai Huy Rak ist zum Flughafen gekommen. Er lächelt. Sieht traurig zu mir herüber und lächelt immer wieder, wenn unsere Blicke sich begegnen. Ich will zu ihm hinlaufen. Aber sein Blick und eine winzige Kopfbewegung hin zu Klaus-Anton verbieten es. Auch das geschieht lächelnd. Sogar als die Augen feucht werden.

    Dann dreht er sich um, und langsam geht er davon. Ganz langsam.

    „Toilette!", sage ich zu Klaus-Anton, und schon laufe ich hinter ihm her.

    Als er mich sieht, wird er schneller. Aber ich hole ihn ein und stelle mich vor ihn.

    „Erst kommst du, und dann läufst du weg", klage ich.

    „Ich musste ihn sehen. Muss doch wissen, wo das kleine Mädchen aus unserem Dorf bleibt", sagt er traurig.

    „Ich habe mich so gefreut."

    „Du wirst es gut haben. Besser als wir hier."

    Diesmal laufe ich davon.

    Als ich von der Toilette komme, wartet er noch auf mich. Er holt einen Schlüssel hervor und gibt ihn mir.

    „Wenn es schief geht."

    Klaus-Anton sieht meine Tränen nicht. Und wenn schon. Es ist mein Abschied von Thailand. Der Abschied von meinem ganzen bisherigen Leben.

    Klaus-Anton steht mit unserem Gepäck nervös in der Schlange. Nur noch ein Paar ist vor ihm, und er hat bereits die Pässe und Flugkarten in der Hand. Er schwitzt. Und er ist aufgeregt. Aufgeregter als bei der Polizei, als wir meine Papiere bekommen sollten.

    Ich wische ihm den Schweiß von der Stirn. Sieh da, auch er kann lächeln. Anders. Aber immerhin.

    Sri Lanka. Zwischenhalt nachts, kurz nach zwei, in Colombo. Zwei Stunden Warten. Klaus-Anton ist müde. Schläfrig. Trinkt ein Bier. Nickt ein im Warteraum. Ich schaue mich in der Shopping Lounge um. Parfums, Schuhe, Kleidung von weltbekannten Marken, Edelsteine und Souvenirs von Sri Lanka. Aber auch Uhren und Schmuck. Ich vergleiche die Ringe mit meinem, den mir Klaus-Anton geschenkt hat. Ich bin zufrieden.

    Dann kommt eine Gruppe von bleichen, erschöpften Europäern, Deutschen vermutlich. Offenbar haben sie Zwischenlandung in umgekehrter Richtung. Stimmt. Die Monitore zeigen die erfolgte Landung einer Maschine aus Frankfurt an. Weiterfahrt nach Bangkok in einer Stunde. In fünf Stunden könnte ich zurück sein in Thailand.

    Ist es nicht völliger Schwachsinn, was ich mache? Ich kenne Klaus-Anton kaum. Alle sagen, er ist O.K. Äußerlich nicht sehr attraktiv, zwar sehr groß und kräftig, aber zu dick, dünne, fettige, weder blonde noch schwarze Haare. Anthrazit. Brille. Immerhin blaue Augen, na, sagen wir blau-grau. Aber für Thailand doch blau. Nach drei Wochen Patong und Bangkok ist er immer noch bleich wie die Neuankömmlinge. Kein Wunder, stets mit Sonnenhut, am Strand das Handtuch über dem Kopf und weiße Sonnencreme im Gesicht. Aber verliebt. Nicht zudringlich. Aber doch so, dass er es zeigt. Sein Kuss ist gewöhnungsbedürftig. Seine Sexualität normal. Europäisch. Alle zwei bis drei Tage. Bei Hitze auch seltener. Nicht stürmisch. Behutsam. Rücksichtsvoll. Akzeptiert es, wenn er merkt, dass es mir nicht passt. Es gibt Attraktivere. Auch unter den deutschen Touristen. Aber die sind schwul oder in einer Gruppe unternehmungslustiger, trinkfreudiger Kumpels. Und sicher anspruchsvoller. Suchen auch keine Ehefrau. Haben vielleicht längst eine. Klaus-Anton nicht. War nie verheiratet. Lebt bei seiner Mutter. Er ist schon O.K. so.

    Ein letztes Mal Boden von Asien unter meinen Füßen. Wirklich? Will ich das? Der Flug nach Bangkok soll noch vor unserem starten. Würde ich mein Gepäck so schnell bekommen, wenn ich sage, es sei ein Notfall? Vielleicht könnte ich noch umkehren. Zur Not auch ohne Gepäck. Ich fühle den Schlüssel in meiner Jackentasche.

    Ich tu es einfach. Warum nach Deutschland fliehen? Bin doch noch so jung. Fände sicher auch in ein paar Jahren noch einen anderen, wenn ich dann noch weg will. Ich laufe zur Information von Sri Lankan Airlines. Da sehe ich Klaus-Anton. Im Schutz einer anderen Gruppe laufe an ihm vorbei! Offenbar sucht er mich. Ich verstecke mich hinter einer Säule. Dann entdeckt er mich doch. Freut sich, dass er mich gefunden hat. Nimmt mich in seine Arme. Zu spät. Ich starte nach Europa.

    Wieder im Flugzeug, habe ich das Gefühl, alle Leute schauen mich an. Halten mich vermutlich für ein Flittchen, das sich an Klaus-Anton gehängt hat. Keiner ahnt, dass wir auf Hochzeitsreise sind. Vielleicht die Stewardess. Ich glaube, die weiß sofort, was los ist. Obwohl wir ja auch auf Geschäftsreise sein könnten. Er mein Chef. Aber dann würde er sich anders verhalten – oder auch nicht. Es wäre letztlich das gleiche. Ein Mann in den besten Jahren – dabei ist er kaum über vierzig – und eine ganz junge Frau. Europäer halten mich sogar noch für minderjährig. Bin später oft als Schülerin eingestuft worden.

    Ich bin noch ganz aufgeregt. Was, wenn er mich nicht gesehen hätte, wenn ich wirklich mein Gepäck bekommen hätte. Oder ohne davongeflogen wäre? Zurück zu meinen Kolleginnen.

    Hätte mich lächerlich gemacht. Alle wollen doch weg. Und ich bin zu blöde. Die gute Hué hätte sich gefreut. Bestimmt. Hätte mir sicher auch Vorwürfe gemacht, als wenn ich einen Lottogewinn nicht hätte annehmen wollen, hätte mich aber verstanden. Wir wären vielleicht für ein paar Tage zusammen weggefahren. Ich hätte sicher für eine Weile bei ihr wohnen können. Und dann wäre alles wieder losgegangen. Wie vorher. – Wohl doch besser so.

    Klaus-Anton schläft. Ich finde keine Ruhe, freue mich, als endlich das angekündigte Essen kommt, und wecke ihn. Er legt ein kleines Geschenkpäckchen auf mein Esstablett. Es ist ein Stein aus Sri Lanka. Ein wunderschöner, fast durchsichtiger milchiger Mondstein, der in verschiedenen Farben blass leuchtet, je nachdem wie man ihn zum Licht hält. Er hat ihn heimlich in einer Ratnapura Boutique auf dem Flughafen in Colombo für mich gekauft.

    „Ein Opal?", frage ich.

    „Nein, die gibt es nicht in Sri Lanka. Außerdem bringen sie Unglück, sagt man", erklärt er mir, so gut es bei unserer katastrophalen Kommunikation auf Englisch geht.

    „Und dieser?", frage ich weiter.

    „Gut für Babies" ist seine Antwort.

    Ich küsse ihn zum Dank, obwohl ich von dieser Idee nicht gerade begeistert bin. Finde es aber rührend.

    2. Flug von Asien nach Europa

    „Sizilien, sagte Klaus-Anton und weckte mich in der Morgendämmerung aus meinem letzten asiatischen, mittlerweile bereits kleinasiatischen Traum. Ich wusste nicht, was „Sizilien bedeuten sollte, und er erklärte mir, dass wir bereits über Europa flogen. Nun schien er aufgeregter zu sein als ich.

    „Die Alpen", war seine nächste Meldung. Ich beugte mich über ihn hinweg zum Fenster und sah schneebedeckte Berge.

    „Deutschland?", fragte ich ängstlich, denn so hatte ich mir meine zukünftige Heimat nicht vorgestellt. Jedenfalls nicht schneebedeckt.

    „Nein, Schweiz, antwortete er. Obwohl ich nicht wusste, was „Schweiz bedeuten sollte, beruhigte es mich.

    Wenig später kam der Landeanflug. Unter uns in der Tiefe Ortschaften, die aus der Höhe so aussahen, als ob sie auch in Thailand hätten sein können. Dann einige Hochhäuser. „Frankfurt", war Klaus-Antons Erklärung. Es hätte ein Randgebiet von Bangkok sein können.

    Flughafen und Passkontrolle nicht viel anders als bei uns. Nur etwas zügiger alles.

    Wir hatten zwei Stunden Zeit bis zum Weiterflug nach Düsseldorf. Nun fand ich es wieder aufregender als Klaus-Anton. Erstens: Deutschland. Ich war wirklich in Deutschland. Und nicht als Touristin. Und dann als Frau von Klaus-Anton.

    In Thailand hatten meine Landsleute, wenn sie uns begegneten, nur kurz auf mich geschaut, dann aber vor allem Klaus-Anton interessiert gemustert. Hier war es umgekehrt. Jedenfalls bei den Männern. Der große Mann an meiner Seite wurde nur flüchtig wahrgenommen und die Blicke gingen dann zu mir. Und blieben bei mir. Kein Wunder. Hier, zwischen Europäern, erschien er nicht mehr groß und stark. Aber ich wirkte dennoch klein und zerbrechlich neben ihm. Er fiel nicht auf wegen seiner blauen Augen, man schaute eher auf meine dunklen Augen und langen schwarzen Haare. Und überhaupt. Ich war natürlich nicht die einzige Thai hier auf dem Flughafen, aber nun doch immerhin etwas Besonderes.

    All das kümmerte mich wenig. Viel zu sehr faszinierten mich die unzähligen Super-Luxus-Shops. Sicher. Die gab es auch in der City von Bangkok. Sogar noch mehr als hier auf dem Flughafen. Aber die unzähligen elegant gekleideten Menschen um mich herum schafften eine völlig andere Atmosphäre.

    Für Klaus-Anton war das alles nichts Neues. Interessierte ihn auch wenig. Mühsam zog ich ihn hier und da in eine Boutique, wenn ich sie ganz besonders luxuriös fand. Er folgte mir nur ungern, tat es aber mir zuliebe. Offenbar fühlte er sich in den teuren Läden unbehaglich. Oder er hatte Angst, ich wolle etwas kaufen.

    Die Preisangaben bei den wenigen Auslagen, die überhaupt ausgezeichnet waren, waren auf den ersten Blick unglaublich niedrig. Klaus-Anton musste sie für mich in Baath umrechnen, und dann war ich entsetzt. Zunächst vermutete ich, er mache sich über mich lustig, als er die unerschwinglichen Preise nannte.

    Dann begann ich, mühsam selbst umzurechnen. Es war wirklich alles unglaublich teuer. Nein, er scherzte nicht. Er scherzte sowieso nicht.

    Er drängte mich, nicht überall stehen zu bleiben, kaufte sich eine BILD und steuerte eines der vielen Restaurants an. Es passte ihm wohl nicht so ganz, aber auf meine Bitte hin ließ er mich noch einmal losziehen zu einem Geschäftebummel.

    Um 10 Uhr sollte ich wieder zurück sein. Eigentlich viel zu früh, fand ich. Wir hatten doch kein Gepäck und der Flieger ging erst um 11.12 Uhr.

    Linh‘s erster Erkundungsgang in Deutschland. Frei und auf eigene Faust. Deutsche Männer waren offenbar sehr gepflegt. Wirklich ganz besonders gepflegt. Und groß. Und sahen sehr gut aus. Besser jedenfalls als die Touristen in Patong und Bangkok. Nicht so dick. Und nicht so alt. Sahen einfach gut aus und elegant. Die Frauen übrigens auch. Die sahen mich aber kaum, hatten nur Augen für die Schaufenster. Im Gegensatz zu den Männern. Die musterten mich sehr genau. Und interessiert. Einige lächelten sogar, wenn sich unsere Blicke begegneten. Ich schien gut anzukommen. Auch bei den Jüngeren. Jedenfalls jetzt, so ganz allein.

    Bei den Frauen war es anders. War ich mit Klaus-Anton zusammen, so musterten auch sie uns. Hauptsächlich Klaus-Anton. Er war wohl ein interessanter Mann. Obwohl er nicht elegant war. Mich betrachteten sie kaum. Und wenn, dann nur kurz. Abfällig. Hielten mich für Klaus-Antons sexuellen Reiseproviant. Lächelten auch nicht.

    Vielleicht habe ich das alles damals überhaupt nicht so deutlich wahrgenommen. Ich war so begeistert von den Läden. Einer verführerischer als der andere. Ich konnte mich kaum losreißen. Im Nu war die Zeit um. Natürlich fand ich unser Restaurant nicht wieder. Ich hatte vollkommen die Orientierung verloren. Überall sah es gleich aus. Planlos irrte ich herum, bis ich eine Boutique wiedererkannte, in der ich vorher mit Klaus-Anton gewesen war. Das Lokal musste jetzt ganz in der Nähe sein. Von da aus war es einfach. Ich kam zehn Minuten zu spät. Klaus-Anton hatte schon bezahlt und stand bereits in seinem Mantel vor dem Restaurant. Er schimpfte nicht. Sagte, offenbar erleichtert, etwas, das ich nicht verstand. Ich glaube, er war froh, dass ich ihn überhaupt noch gefunden hatte.

    3. Ankunft

    Die Landung auf dem Düsseldorfer Flughafen war pünktlich und sanft, aber wenig eindrucksvoll. Vom Flugzeug aus mussten wir zunächst in einen Bus umsteigen, der uns zum Flughafengebäude brachte. Dann ging es über nicht enden wollende Gänge und Treppen zur Bagage Claim. Langes Warten in einem ungemütlichen hässlichen Raum vor einem der Gepäckbänder. Keine Boutiquen.

    „A friend will take us home", kündigte Klaus-Anton an.

    Wir wurden also erwartet.

    Endlich kam zuerst mein roter Koffer, und kurz danach Klaus-Antons riesige Tasche. Klaus-Anton hatte rechtzeitig für einen der Gepäckwagen gesorgt. Wir luden alles auf, Klaus-Anton schob den Wagen zum Ausgang, vorbei an einer nicht besetzten Zollkontrolle. Müde und ängstlich nahm ich seinen Arm, als es dann endlich hinaus ging zur Ankunftshalle.

    Aber nicht Klaus-Antons Freund sondern eine grauhaarige korpulente, schwarz gekleidete Frau winkte uns, sah kurz zu mir, ging dann aber sofort auf Klaus-Anton zu, nahm ihn mir weg, umarmte und küsste ihn wie es nur eine Mutter zu tun vermag. Sie schien ihn niemals wieder loslassen zu wollen.

    „Hallo! You are Linh. Aren’t you?", hörte ich eine freundliche Stimme neben mir, und ein liebenswürdiger Herr kam auf mich zu und streckte mir seine Hand entgegen, um mich zu begrüßen. Er stellte sich vor. Seinen Namen verstand ich nicht. Er hatte einen kräftigen, Mut einflößenden Händedruck, beugte sich dann aber zu mir herab, nahm mich vorsichtig in den Arm und küsste mich ganz dezent zur Begrüßung flüchtig auf beide Wangen.

    Inzwischen hatten sich Mutter und Sohn doch wieder voneinander getrennt, und ich war an der Reihe, von meiner zukünftigen Schwiegermutter begrüßt zu werden. Kurz und schmerzlos. Sie nahm mich für einen Augenblick in den Arm, hielt mich dann aber mit beiden Händen von sich weg, schaute mich prüfend an und sagte zu ihrem Sohn.

    „Die ist aber klein. Auf den Bildern war sie größer." Ich schaute Klaus-Anton fragend an.

    „Very little", übersetzte er.

    „She knows you from photos", so oder so ähnlich ergänzte der Freund, dessen Namen ich nicht verstanden hatte. Er hatte mich die ganze Zeit aufmerksam aber nicht zudringlich beobachtet und dabei wohl mein Erstaunen über die Kürze der Übersetzung bemerkt.

    Was sie miteinander sprachen – die Frau redete ununterbrochen – verstand ich natürlich nicht. Es hatte auch vermutlich nichts mit mir zu tun, war auch nicht für mich bestimmt, denn es wurde mir nicht übersetzt. Der Freund stand ebenso hilflos neben den beiden wie ich, bis er schließlich nach dem Gepäckwagen griff und Aufbruch signalisierte.

    Es war kalt, als wir zum Parkplatz gingen. Keine Sonne. Nur dunkle Wolken am Himmel. Mir war, als wäre die Sonne nicht mitgekommen und wir hätten sie für immer in Thailand zurückgelassen. Ich fror.

    Ich durfte vorn sitzen. Hinten die Mutter und der heimgekehrte Sohn. Sie redeten die ganze Zeit leise miteinander. Mein Nachbar versuchte in Englisch mit höflichen Fragen ein Gespräch mit mir anzufangen: Wie der Flug gewesen war, ob ich müde sei, wie lange wir unterwegs waren, ob ich aus Bangkok stamme. Ich antwortete, so gut ich konnte, also recht einsilbig mit ‚yes‘, ‚no‘, ‚good‘, ‚very good‘, je nachdem, wie ich seine Frage begriffen hatte. Nach einer Weile gab er auf, machte aber ab und zu auf Besonderheiten aufmerksam, an denen wir vorbeifuhren. Autobahn. IKEA. Fragte, ob es in Thailand auch IKEA gibt.

    In Benrath fuhr er ganz langsam um einen kleinen See herum, zeigte auf das Schloss und die goldene Kugel auf dem Schlossweiher und gab Erklärungen, die ich nicht verstand. Inzwischen erwartete er auch keine Antwort mehr.

    Dann hielt er in der Einfahrt eines kleinen Einfamilienhauses, versteckt hinter einer Hecke, umgeben von Blumen. Wir waren angekommen.

    Klaus-Anton stieg aus und half seiner Mutter aus dem Wagen. Sie ging voran und schloss auf. Klaus-Anton folgte ihr mit den Koffern ins Haus.

    Auch ich stieg aus.

    „Come on. This is your home now", rief mir der Freund zu, der auch ausgestiegen war, und machte eine auffordernde Handbewegung zur Eingangstür hin. Dabei lachte er fröhlich. Doch da kam Klaus-Anton mir schon in Hausschuhen entgegen und begleitete mich nun auch ins Haus. Im Flur bat er mich, die Schuhe auszuziehen. Seine Mutter rief etwas aus der Küche. Er ging kurz zu ihr, kam aber sofort zurück und führte mich die Treppe hinauf nach oben.

    „You and me, sagte er, als wir oben waren. Wir standen am Ende der Treppe in einem offenen Vorraum. Dann zeigte er nach unten und sagte „Mother und, wieder zur oberen Etage gewandt, wiederholte er „You and me". Und als ob er daran zweifelte, dass ich es begreife, zeigte er dabei mit den Händen nach einander auf mich und sich. Dabei schaute er mich lachend an.

    „O.K.?", fragte er, als ob er sich versichern wollte, ob ich seinen Erklärungen habe folgen können.

    „O.K.", wiederholte ich.

    „Look", forderte er mich mit einer weiten Armbewegung hin zu den Türen auf, von denen er die erste öffnete. Sie führte in das Schlafzimmer, wo unsere Koffer standen. Ich wollte ihn umarmen. Aber er schien in Eile zu sein, gab mir einen flüchtigen Kuss, entschuldigte sich und lief hinab ins Erdgeschoss, wo ich ihn mit seiner Mutter sprechen hörte.

    Ich setzte mich auf das Bett.

    Ich erinnerte mich an Klaus-Antons Empfang in meiner Familie in Thailand. Bilder von seinem ersten Besuch in unserem Dorf. Alle hatten auf ihn eingeredet. Er verstand nichts. Aber man redete ununterbrochen mit ihm. Und lachte. Er stand im Mittelpunkt. Bekam sofort Tee angeboten, die Nachbarn kamen herüber. Auch sie begrüßten ihn wie einen Freund, jeder einzeln, und alle sagte ihm ein paar freundliche Worte oder fragten ihn nach seinem Befinden, gerade so als ob er von einer langen Reise nach Hause zurückgekommen wäre. Es war wie ein Fest. Nein, nicht nur wie ein Fest, es war wirklich ein Fest.

    Schöne Bilder der Erinnerung von sehr weit her. Ich legte mich auf das Bett und versteckte das Gesicht in den Kissen, um meine Tränen zu verbergen. Vor wem? Es war keiner da, der sie hätte sehen können.

    Zum Abendessen wurde ich in die Küche nach unten geholt.

    Ich machte meine erste Bekanntschaft mit schwarzem Vollkornbrot. Dazu gab es Butter, Wurst, Schinken und Käse. Bier wurde eingeschenkt – kein Tee.

    Da ich kein Deutsch und kaum Englisch verstand – deutsches Englisch unterscheidet sich so sehr von Thailändischem Englisch, dass ich nie sicher war, ob es sich wirklich um Englisch handelte –, war die Unterhaltung stockend. Klaus-Anton versuchte zu übersetzen, was seine Mutter sagte. Oft musste er seine Worte wiederholen, bis ich sie begriffen hatte oder wenigsten so tat. Es war sehr mühsam. Hinzu kam meine völlige Erschöpfung. Am Ende unterhielten sich nur noch Mutter und Sohn. Ich wurde bisweilen durch aufmunternde Blicke und Gesten einbezogen, so etwa, wenn ich meinen Teller leer hatte und man mich aufforderte, mehr zu nehmen. Oder wenn das Gespräch der beiden meine Person betraf, was sicher nicht selten der Fall war. Im Augenblick war es so – ohne Worte – für alle die angenehmste Lösung.

    Als Mutter und Sohn satt waren – ich hatte schon lange vorher aufgegeben –, führte mich Klaus-Anton ins Wohnzimmer, wo auf einem runden Tisch mit weißer Decke drei Sektgläser und Salzstangen bereitstanden. Die Mutter war noch nicht mit hinüber gekommen. Sie hantierte in der Küche. Ich hörte Geschirrklappern und ging zu ihr, um zu helfen. Mein Hilfeangebot wies sie zunächst freundlich zurück, nahm es dann aber doch willig an, als ich begann, Bestecke abzutrocknen, die sie bereits gespült hatte. Silberbestecke, wie ich später erfuhr, die nicht in die Spülmaschine durften. Es war nicht viel zu tun, und sie schickte mich zurück ins Wohnzimmer zu Klaus-Anton, noch ehe dieser die Sektflasche und den Kühler bereitgestellt und die Flasche geöffnet hatte. Pünktlich mit dem Knall des Korkens kam sie dazu.

    Stehend stießen wir mit den Gläsern an.

    „Ich ‚Mutter’." Dabei nickte sie mir freundlich zu.

    „Ich ‚ Noi Linh Ai‘ ", führte ich unsere Unterhaltung lachend fort.

    „Wie?", fragte sie Klaus-Anton. Er wiederholte meinen Namen, sprach ihn aber so eigenartig aus, dass sie sich offenbar nicht traute, ihn zu wiederholen. Dann sagte er:

    „Ich nenne sie einfach Linh."

    Da legte sie ihren Arm um mich:

    „Ich ‚Mutter’, du ‚Linh’. O.K.?" schlug sie vor, indem sie erst mit dem Zeigfinger auf sich, dann auf mich zeigte und ergänzte, den Arm zu Klaus-Anton hin ausstreckend,

    „Klaus-Anton."

    Damit war das Wichtigste geklärt. Wir stießen noch einmal an, diesmal Auf Mutter, Klaus-Anton und Linh.

    Der Sekt schmeckte grauenhaft. Tee wäre mir lieber gewesen.

    Außerdem war ich todmüde. ‚ Mutter’ schien es zu bemerken.

    Irgendetwas wie „Ich glaube, Linh kann nicht mehr", musste sie wohl zu Klaus-Anton gesagt haben, der mich daraufhin fragte:

    „Are you tired? Want to go to bed?"

    Als ich nickte, stand er auf und brachte mich nach oben. Er zeigte mir das Bad, gab mir Handtücher. Erschöpft fiel ich ihm um den Hals. Die Tränen flossen schon wieder. Ich dachte es sei Erschöpfung. Alles war zu viel gewesen. Bevor mein Schluchzen einsetzte, löste ich meine Arme, gab ihm einen Kuss und drehte mich von ihm weg zum Waschbecken. Tat so, als wolle ich mein Gesicht waschen.

    „Good night", flüsterte er hinter mir, ich fühlte seine Hand über mein Haar streichen, und dann schloss sich die Badezimmertür hinter Klaus-Anton. Ich lauschte. Pantoffelschritte treppabwärts. Keine fünf Minuten später lag ich in tiefstem Schlaf.

    4. Erstes Erwachen

    Als ich erwachte, wusste ich nicht, wo ich war. Die Sonne schien mir durch ein Dachfenster ins Gesicht. Mühsam versuchte ich, mich zu orientieren. Das Bett neben mir war leer. Langsam erinnerte ich mich.

    Im Halbschlaf hatte ich es noch wahrgenommen, als Klaus-Anton sich schlafen legte. War aber nicht richtig aufgewacht. Es war nicht in mein Bewusstsein gedrungen. Ich schlief fast schon wieder, als er seinen Arm um mich legte und leise „Good night" sagte. Sein Aufstehen am Morgen habe ich überhaupt nicht mitbekommen. Ich glaube, ich hatte leise Geräusche wahrgenommen. Doch ich hatte es nicht zuordnen können. Als es vorüber war, muss ich wohl sofort wieder in tiefen Schlaf gefallen sein.

    Erst als die Sonne über das Bett bis zu meinen Augen hochgewandert war, erwachte ich. Mir war klar, es musste schon spät sein. Allmählich begriff ich, wo ich aufgewacht war.

    Ein kleines und helles Dachzimmer. Zwei Betten nebeneinander, daneben Nachttischchen. Eine Kommode links neben dem leeren Bett, unter einem der beiden Dachfenster. Vor dem anderen ein kleiner quadratischer Tisch mit zwei Stühlen, alles aus hellem Kiefernholz. Den Betten gegenüber, die ganze gerade Wand einnehmend, ein riesiger Wandschrank, ebenfalls aus hellem Kiefernholz wie die übrigen Möbel. Daneben die Tür zum Flur. Rechts von meinem Bett, neben dem Kopfende, der Durchgang zum Bad, der beinahe versperrt wurde durch meinen offen auf dem Boden liegenden Koffer, auf dem meine Kleidungsstücke von gestern noch so lagen, wie ich sie ausgezogen hatte.

    An der schrägen Wand weiß gestrichenes Holz. Und schließlich, in der Mitte über den Kopfenden des Doppelbetts: ein Reiseplakat von Phuket. Palmen, Strand, Meer und zwischen den Palmen ein luxuriöses Restaurant mit tempelförmig geschwungenen Giebeln, am Swimmingpool ein Springbrunnen mit zwei großen steinernen Elefanten.

    Ich betrachtete neugierig alles um mich herum. Das also war jetzt mein Zuhause, zumindest ein Teil davon. Alles schien ganz neu zu sein. Nicht schlecht.

    Ich sprang aus dem Bett, zog mich schnell an, machte mich im Bad gesellschaftsfähig und ging auf Entdeckungstour hinaus auf den Flur, schaute kurz in das gegenüber liegende Zimmer, das ähnlich aussah wie das Schlafzimmer, nur ohne Betten natürlich, und auch eine Tür zu einem Nebenraum hatte, einer kleinen Küche. Perfekt.

    Mehr brauchten wir nicht.

    Von Klaus-Anton keine Spur. Also wagte ich mich die Treppe hinunter.

    „Hallo, guten Morgen Linh!", kam es aus der Küche, gefolgt von einem unverständlichen, offenbar

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