Urs der Zauberbär
By Raimund Eich
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Raimund Eich
Raimund Eich lebt im Saarland. Neben Büchern über seine Heimatstadt Neunkirchen, Tatsachenromanen, heiteren und besinnlichen Gedichten und Geschichten hat er einige Werke mit gesellschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Themen veröffentlicht. Gerne lässt er auch naturwissenschaftliche und technische Aspekte in sehr anschaulicher Form mit einfließen. Daraus resultieren einzigartige Bücher, spannend, dramatisch, informativ und unterhaltsam zugleich.
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Book preview
Urs der Zauberbär - Raimund Eich
Rückkehr
Auf der Flucht
Urs spürte, wie seine Beine immer schwerer wurden, fast so, als hätte er Blei an den Füßen. Doch die Angst trieb ihn immer weiter voran. Er bekam vom vielen Laufen fast keine Luft mehr und schnaufte wie ein kleines Walross. Schließlich stolperte er über eine Baumwurzel und stürzte der Länge nach auf den Boden. Mühsam versuchte er, sich wieder aufzurappeln, doch seine Kräfte hatten ihn völlig verlassen. Er zitterte am ganzen Körper. Was er da gerade erlebt hatte, war einfach zu viel für den kleinen Bären. Das furchterregende Gebrüll seine Mutter, das ihn in die Flucht getrieben hatte, dröhnte noch immer in seinen Ohren. Noch nie zuvor hatte er sie so erlebt. Seine Mama war immer sehr liebevoll mit ihm umgegangen, und jetzt …? Wieso hat sie mich denn nur angegriffen und verjagt, rätselte er, doch er fand darauf einfach keine Antwort.
Hilflos suchend blickte er um sich. „Wo bin ich denn eigentlich hier?, krächzte er heiser, denn seine Kehle war vom vielen Laufen wie ausgedörrt. Nur ein paar Meter weiter rechts sah er einen kleinen Teich. Die Sonne spiegelte sich im Wasser und weckte neue Lebensgeister in ihm. Mit letzter Kraft schleppte er sich ans Ufer, tauchte seinen Kopf ins kühle Wasser und trank und trank mit langen hastigen Zügen so viel, bis ihm fast der Bauch zu platzen drohte. Dann hob er den Kopf und wischte sich mit den Tatzen das abperlende Wasser aus dem Gesicht. Sein Blick fiel auf die Wasseroberfläche. Entsetzt fuhr er plötzlich zurück, denn aus dem Wasser starrte ihn ein weißer Bärenkopf mit großen Augen an. Vor lauter Schreck machte er einen Satz zur Seite. Urs kratzte sich verwirrt mit der linken Tatze am Hinterkopf. Was er da gerade gesehen hatte, ein Gespenst im Wasser, das war doch wohl nur ein Trugbild. „So ein Unsinn, das habe ich mir bestimmt nur eingebildet
, sagte er zu sich selbst. „Ich schaue jetzt noch einmal nach und dann ist der Spuk sicher weg", machte er sich selber etwas Mut und pirschte mit verkniffenen Augen ganz vorsichtig noch einmal an den Rand des Teiches. Ganz langsam öffnete er die Augen wieder und … nein, er hatte sich doch nicht geirrt. Aus dem Wasser blickte ihm tatsächlich ein schneeweißer Bär entgegen.
Urs fasste sich schließlich ein Herz. „Hallo, du da unten, äh … was machst du denn hier im Wasser?, stotterte er. Doch obwohl auch der andere die Lippen bewegte, hörte er keinen Ton. Seine Angst wich allmählich etwas, denn der Bär im Wasser machte eigentlich einen ganz friedlichen Eindruck. „Heh du, du musst schon aus dem Wasser kommen, wenn du mit mir reden willst. Wenn du unter Wasser sprichst, dann kann ich das ja hier nicht hören
, sagte er und winkte den anderen zu sich nach oben. Doch der, was machte der denn? Der plapperte auch wieder irgendetwas und winkte genau in die entgegengesetzte Richtung nach unten. Der spinnt wohl, sagte Urs zu sich selbst. Der glaubt doch nicht im Ernst, dass ich zu ihm ins Wasser steige. Wer weiß, was der vorhat.
„Heh, du komischer weißer Wasserbär, jetzt lass den Quatsch und komm endlich rauf zu mir, rief er und streckte seine rechte Tatze ins Wasser, um dem anderen herauszuhelfen. Doch sein Griff ging ins Leere. So viel er auch im Wasser herumwühlte, da war niemand. „Also doch nur ein Gespenst, oder bin ich etwa verrückt geworden?
, brummte er und starrte entgeistert vor sich hin. Als das aufgewühlte Wasser sich wieder zu glätten begann, war plötzlich wieder der weiße Bärenkopf zu sehen. „Oh je, oh je, ich bin tatsächlich verrückt geworden", jammerte Urs und schüttelte heftig seinen Kopf, und der Bär im Wasser ebenso. Plötzlich wurde Urs bewusst, dass das da im Wasser kein fremder Bär sein konnte, kein Eisbär, sondern … ja, er selbst war es offensichtlich, oder treffender ausgedrückt sein Spiegelbild, das ihm da entgegenstände. Zur Sicherheit wackelte er nochmals mit dem Kopf hin und her, und tatsächlich, auch der weiße Bärenkopf im Wasser wackelte.
„Aber wieso bin ich denn auf einmal so … so weiß wie … wie ein Eisbär?, stammelte er verwirrt. Dann dämmerte es ihm allmählich. „Oh je, dann hat der Zaubertrick wohl doch funktioniert
, brummte er vor sich hin. „Kein Wunder, dass mich meine Mama nicht wiedererkannt und für einen Eisbären gehalten hat. Aber dann … jaah, dann ist meine Mama ja überhaupt nicht böse auf mich, jubelte er und sprang mit einem Satz auf. „Ich muss gleich zu ihr und ihr alles erklären
, sprudelte es aus ihm heraus und in Windeseile machte er sich auf den Rückweg. Doch schon bald hatte er in der fremden Gegend völlig die Orientierung verloren und irrte ziellos umher. Zu allem Übel wurde es allmählich immer dunkler, bis man fast überhaupt nichts mehr sehen konnte. Auf einer kleinen Lichtung, die im fahlen Mondlicht vor ihm lag, gab er schließlich auf. Hilflos suchend blickte er um sich, ob ihm vielleicht jemand helfen könne, doch weit und breit war niemand zu sehen. Er war ganz alleine hier. Urs war noch nie nachts alleine gewesen, und etwas mulmig war ihm schon dabei. „Papperlapapp, ich suche mir hier jetzt ein ruhiges Plätzchen und dann schlafe ich einfach bis morgen früh. Dann werde ich den Weg zurück zu meiner Mama schon wieder finden, versuchte er, sich selbst etwas Mut zu machen. „Und Angst, pah, Angst haben doch nur Angsthasen. Aber ich, ich bin Urs, ein großer und starker Braunbär, vor dem man sich in Acht nehmen muss
, brummte er sicherheitshalber so laut er nur konnte, denn er wusste schließlich nicht, ob sich hier nicht doch irgendwer irgendwo versteckt hatte. Unter einer großen Hecke fand er schließlich ein Schlupfloch, in das er hineinkroch und sich auf dem Boden zusammenrollte. Er wünschte sich nichts mehr, als jetzt in seiner Bärenhöhle im Zoo zu sein, in der er sich beim Einschlafen abends immer ganz eng an seine Mama kuschelte. Völlig erschöpft von den Ereignissen des Tages schlummerte er schließlich ein und träumte von seinem Zuhause im Zoo und von den aufregenden Erlebnissen, die ihn hierher geführt hatten.
Wie alles begann
Sein Zuhause war ein schöner Zoo an einem breiten Fluss mitten in einer großen Stadt, in dem der kleine Braunbär Urs mit seiner Mama lebte. Das Bärengehege lag auf einer kleinen Anhöhe ganz hinten im Zoogelände, sodass er von dort aus den vorbeifahrenden Schiffen zuschauen konnte. Das Bärengehege war nicht sonderlich groß und nur durch einen hohen Gitterzaun vom Fußweg für die Zoobesucher abgetrennt. Ein Kletterfelsen in einer Ecke des Geheges mit einer kleinen Höhle zum Ausruhen und Schlafen, ein paar Baumstämme und ein dickes Tau, das quer durch das Gehege gespannt war, das war alles. Doch Urs war glücklich in seiner kleinen Bärenwelt. Er kletterte gerne auf den Baumstämmen herum oder versuchte sich an dem Klettertau wie ein Affe durch das Gehege zu hangeln. Und weil er noch etwas tollpatschig und ungeschickt war, purzelte er hin und wieder zum Vergnügen der Zoobesucher zu Boden. Urs liebte es, vor Publikum kleine Kunststücke vorzuführen. Ganz besonders stolz war er auf einen alten, ganz verbeulten schwarzen Zylinderhut und auf ein kleines Holzstöckchen, denn das war sein Zauberstab. Den klappbaren Zylinderhut hatte er beim letzten Kinderfest im Zoo einem Zauberer, der direkt vor dem Bärengehege seine Zaubertricks vorgeführt hatte, mit einem schnellen Griff seiner rechten Tatze durch das Gitter aus der Hand gerissen und seine Beute ganz schnell in der Bärenhöhle versteckt. Nur den schönen weißen Zauberstab, an den war er nicht mehr herangekommen. Und so hatte er sich statt dessen von einem Ast, der durch die