Stoizismus heute

STOIZISMUS

HEUTE

Eine antike Philosophie

für die moderne Zeit

Band I

von

Patrick Ussher (Bearbeitung)

und

Beatrice Pires-Stadler (Übersetzung)

Veröffentlicht Mai 2015 von

Stoicism Today

Alle Artikel sind Copyright © der jeweiligen Autoren, außer folgender Zugriffsrechte:

„Core Ideas of Stoics Ethics in Marcus Aurelius ist aus „Introduction (S. xv-xviii) von Christopher Gill aus Meditations: with selected correspondence Marcus Aurelius, herausgegeben von Hard, Robin & Gill, Christopher (2011); reproduziert in diesem Buch mit Genehmigung von Oxford University Press, mit kostenloser Genehmigung in Verbindung mit dem Autor, Christopher Gill.

„Death Acceptance" ist aus Sources of Significance: Worldly Rejuvenation and Neo-Stoic Heroism (2010) von Corey Anton, Copyright © Duquesne University Press; adaptiert und reproduziert mit Genehmigung von Duquesne University Press.

Kein Artikel darf ohne ausdrückliche Genehmigung des Autors oder ggf. des Verlegers in schriftlicher Form reproduziert werden.

Ansichten und Meinungen in diesem Buch sind die der einzelnen Mitwirkenden und widerspiegeln nicht unbedingt die Ansichten oder Meinungen des Herausgebers. Bitte beachten Sie, dass der Inhalt dieses Buches nicht als Ersatz für eine medizinische Beratung oder Behandlung bestimmt ist. Jede Person in einem Gesundheitszustand, der ärztliche Behandlung erfordert, sollte einen qualifizierten Arzt oder geeigneten Therapeuten konsultieren.

Stoizismus heute

von Patrick Ussher

Copyright © 2015 Patrick Ussher

Alle Rechte vorbehalten

Herausgegeben von Babelcube, Inc.

www.babelcube.com

Übersetzt von Beatrice Pires-Stadler

Babelcube Books und Babelcube sind Schutzmarken der Babelcube Inc.

„Wie der Fels im Meere, an dem die Wellen unaufhörlich rütteln, steht, so daß ringsum der Brandung Ungestüm sich legen muß, so stehe auch du!"

Mark Aurel, Selbstbetrachtungen, 4.49.

Über Stoizismus heute

Das Stoicism Today Team besteht aus Wissenschaftlern mit Sitz an der University of Exeter, King's College, University of London und Queen Mary, University of London, als auch aus Psychotherapeuten mit Sitz in Großbritannien und Kanada. Das Team hat drei internationale „stoische Wochen" (November 2012, 2013, 2014) organisiert. Rund 2.200 Menschen nahmen an der Stoic Week 2013 teil. Sie erhielten ein 38-seitiges Bändchen für tägliche Übungen und Ratschläge. An einem öffentlichen Tag in London nahmen mehr als 200 Menschen teil. Informationen zur Woche erschienen in mehreren Publikationen, einschließlich The Toronto Globe & Mail, The Daily Telegraph, Channel 4 Online und The Spectator. Sie wurde auch am Radio, einschließlich BBC Radio 4, BBC Wales und BBC World Service dargestellt. Etwa 2.500 Personen nahmen an der Stoic Week 2014 (24.-30. Nov.) teil. Newsweek und ABC Radio, Australien, haben darüber berichtet. Es gibt auch einen Stoicism Today Blog (siehe Link unten), aus dem die Beiträge in diesem ersten Band ausgewählt wurden. Er hatte in den letzten zwei Jahren fast 600.000 Hits. Ende November 2015 findet eine Stoic Week 2015 statt.

Jules Evans, Gabriele Galluzzo, Gill Garratt, Christopher Gill, Tim LeBon Donald Robertson, John Sellars und Patrick Ussher sind die Mitglieder des Stoicism Today Teams.

Mit dem Kauf dieses Buches unterstützen Sie einen Fond für Stoicism Today Projekte.

Internetverweise:

Blog: http://blogs.exeter.ac.uk/stoicismtoday/

YouTube Channel: https://www.youtube.com/user/StoicismToday

Twitter: https://twitter.com/StoicWeek

Facebook Group: https://www.facebook.com/groups/Stoicism/

Mitwirkende

Corey Anton (PhD, Purdue University, 1998) ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Grand Valley State University. Zu seinen Büchern gehören Selfhood and Authenticity (SUNY Press, 2001) und Sources of Significance: Worldly Rejuvenation and Neo-Stoic Heroism (Duquesne University Press, 2010).

Jan-Fredrik Braseth ist ein norwegischer Philosoph mit einem MA in Philosophie und einer Ausbildung als philosophischer Berater. Er lebt in Oslo und arbeitet als Berater für Menschen, die wegen Gesundheitsproblemen arbeitslos sind. Seine Website ist: www.janfredrik.no.

Paul Bryson ist Anwalt und lebt und arbeitet in der Metropolregion Columbus, Ohio. Stoische Philosophie interessiert ihn schon seit der Begegnung mit den Werken von Seneca als Gymnasiast im Fach Latein. Er bloggt auf: stoiclawyer.wordpress.com.

Michael Burton ist ein kanadischer Sekundarlehrer und arbeitet in Großbritannien. Er begegnete dem Stoizismus zuerst als Gymnasiast im Fach Philosophie und wird seitdem vom stoischen Gedankengut inspiriert. Er bloggt über Themen rund um Philosophie und Pädagogik auf: burtonsblogs12.blogspot.co.uk/. 

Ben Butina arbeitet im Bereich der Aus- und Weiterbildung. Er hat einen MA in Beratung und ist derzeit Doktorand in Psychologie. Neben Stoizismus interessiert er sich für östliche Philosophie und Religion. Er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern in Latrobe, Pennsylvania. Er bloggt auf: approximatelyforever.com.

Bob Collopy ist Autor, Pilot, Marketing-Direktor/Niederlassungs-leiter für ein Immobiliengeschäft und Partner in einem neuen Start-up-Unternehmen, das von der Arizona State University finanziert wird und zum Ziel hat, eine neue Art von Tauchcomputern für Taucher herzustellen und zu verkaufen. Er ist auch Pfadfinder.

Stephen J. Stephen J. Costello ist der Gründer und Direktor des Viktor Frankl Institute of Ireland. Er ist Philosoph, Logotherapist/existentieller Analytiker und Autor. Er ist seit über zwanzig Jahren Lehrbeauftragter in Philosophie und Psychologie am University College Dublin, Trinity College Dublin und seit kurzem auch an der Dublin Business School. Er ist der Autor von The Irish Soul: In Dialogue (The Liffey Press, 2002), The Pale Criminal: Psychoanalytic Perspectives (Karnac Books, 2002), 18 Reasons Why Mothers Hate Their Babies: A Philosophy of Childhood (Eloquent Books, 2009), Hermeneutics and the Psychoanalysis of Religion (Peter Lang AG., 2009), The Ethics of Happiness: An Existential Analysis (Wyndham Hall Press, 2011), What are Friends For?: Insights from the Great Philosophers (Raider Publishing International, 2011), Philosophy and the Flow of Presence (Cambridge Scholars Publishing, 2013), und The Truth about Lying (Te Liffey Press, 2013).

Kelly Coyne und ihr Mann, Erik Knutzen, sind Co-Autoren von The Urban Homestead: Your Guide to Self-Sufficient Living in the Heart of the City (Process, 2010) und Making It: Radical Home Ec for a Post Consumer World (Rodale Press, 2011). Ihre Website ist: www.rootsimple.com.

James Davinport ist ein Pseudonym. Er lebt und arbeitet in London.

Michel Daw arbeitet schon seit über 20 Jahren in der Erwachsenenbildung. Er ist Autor, Redner und bloggt über alles, was den Stoizismus betrifft. Michel und seine Frau, Pamela Daw, veranstalten eine Reihe von stoischen Workshops in ihrer lokalen Gemeinschaft, die sich regelmäßig in Kanada trifft. Er bloggt auf: livingthestoiclife.org.

Pamela Daw ist Mutter von drei erwachsenen Kindern und seit 28 Jahren mit Michel Daw verheiratet. Mit ihrem Mann führt sie eine stoische Gemeinschaft, die sich regelmäßig in Kanada trifft. Sie bloggt auf: musingsofastoicwoman@blogspot.com.

Jules Evans ist Autor von Philosophy for Life and Other Dangerous Situations (Rider, 2013). Er ist Policy-Director für das Centre of the History of Emotions am Queen Mary College, University of London. Vor kurzem hat er einen Kurs für praktische Philosophie für das Low-Moss-Gefängnis in Schottland und den Saracens Rugby Club in GB entwickelt und veranstaltet. Seine Website ist: philosophyforlife.org.

Jen Farren lebt als freiberuflicher Autor auf dem Balkan. Sie schreibt über Balkan-Kunst, Kultur und Ideen aus der Vergangenheit und Gegenwart und bloggt dazu auf: gotirana.wordpress.com. Ihre berufliche Laufbahn umfasst Forschung, Analyse, Schriftstellerei und Kommunikation für London Underground, die Polizei und die britische Regierung. Sie hat für das IROKO Theatre, das Royal Docks Project und den Heritage Lottery Fund geschrieben.

Mark Garvey ist Autor von Stylized (Touchstone, 2009), Come Together (Thomson, 2006), und Searching for Mary (Plume, 1998). Seine Artikel und Essays sind in „The Wall Street Journal, „The Oxford American, „Writer's Digest" und anderswo erschienen. Er lebt in Cincinnati, Ohio, und bloggt auf: OldAnswers.com.

Christopher Gill ist emeritierter Professor für Antikes Denken an der University of Exeter, GB. Er hat ausführlich über antike Philosophie geschrieben. Zu seinen Büchern gehören The Structured Self in Hellenistic and Roman Thought (Oxford University Press, 2006), Naturalistic Psychology in Galen & Stoicism (Oxford University Press, 2010). Er schrieb auch die Einleitung und Anmerkungen zu Epictetus: Discourses, Fragments, Handbook und Marcus Aurelius: Meditations, beide Teil der Oxford World›s Classics Serie.

Laura Inman ist Privatgelehrte, freie Autorin, Privatlehrerin und ehemalige Anwältin. Ihre Arbeit als Brontë Gelehrte umfasst The Poetic World of Emily Brontë (Sussex Academic Press, 2014) und Artikel über Emily Brontë in Brontë Studies und Victorians: Journal of Culture and Literature. Ihre Essays über Literatur und Stoizismus und ihre Kurzgeschichten sind in Online-Zeitschriften und Blogs erschienen, einschließlich ihres eigenen Blogs, thelivingphilosopher.com, ein stoischer und literarischer Leitfaden zum Leben. Sie hat einen J.D. von The Law School of the University of Texas at Austin, einen B.A. in Französisch von der University of Arizona und einen Master in English Education vom Manhattanville College in Purchase, New York.

Kevin Kennedy ist ein deutsch-amerikanischer Historiker, Schriftsteller und Tourguide und lebt und arbeitet in Potsdam, Deutschland. Er spezialisiert sich auf die Geschichte der frühen Neuzeit von Preußen, Deutschland und Mitteleuropa, interessiert sich aber auch für Urbanistik, Philosophie und natürlich für den Stoizismus.

Erik Knutzen und seine Frau, Kelly Coyne, sind Co-Autoren von The Urban Homestead: Your Guide to Self-Sufficient Living in the Heart of the City (Process, 2010) und Making It: Radical Home Ec for a Post Consumer World (Rodale Press, 2011). Seine Website ist: rootsimple.com.

Tim LeBon ist registrierter Therapeut beim UKCP (UK Council for Psychotherapy) und arbeitet für die britische Gesundheitsbehörde am IAPT (Improving Access to Psychological Therapies Projekt) in der Anwendung kognitiver Verhaltenstherapie, die er mit einer privaten Praxis als Berater und Life Coach im Zentrum von London verbindet. Er ist Gründer und Herausgeber des Journals Practical Philosophy und Autor von Wise Therapy (Sage, 2001) und Achieve Your Potential with Positive Psychology (Hodder, 2014). Seine Website ist: timlebon.com. 

Chris Lowe lebt in Halifax, Nova Scotia, Kanada. Er begann sich Ende 2013 für Stoizismus zu interessieren. Er studiert die klassischen Werke von Epiktet und Mark Aurel und verfolgt gleichzeitig ein Interesse an ähnlichen östlichen Philosophien. Chris verfolgt ein selbstgesteuertes Studium des Stoizismus und bloggt auf: stoicism.ca.

Antonia Macaro ist eine UKCP registrierte existenzielle Psychotherapeutin und Beraterin im Bereich Drogen und Alkohol. Sie hat einen MA in Philosophie und ist seit ihren Anfängen in Großbritannien in der philosophischen Beratungsbewegung involviert. Sie verfasste: Reason, Virtue and Psychotherapy (Wiley-Blackwell, 2006) und mit Julian Baggini: The Shrink and the Sage (Icon Books, 2012). Im November 2013 beteiligte sie sich in der Diskussionsrunde „Stoizismus für den Alltag" in London. Ihre Website ist: antoniamacaro.com.

Aditya Nain hat einen MA in Philosophie von der Universität Pune, Indien, und ein Diplom im Bereich Finanzwirtschaft von der University of London. Während seiner Assistenzprofessur an der SSLA (Symbiosis School for Liberal Arts) in Pune führt er auch sein PhD-Studium am Indian Institute of Technology, Bombay (IITB) im Rahmen des Programms für „College-Teachers", im Bereich der Philosophie des Geldes, weiter. Er bloggt auf: adityanain.com.

Tim Rayner ist Mitbegründer und Direktor von One Million Acts of Innovation (Australien). Er lehrt Philosophie an der University of Sydney und der University of New South Wales, Australien. Er ist Autor des Transformation-Handbuchs: Life Changing: A Philosophical Guide (2012) und des preisgekrönten Kurzfilms „Coalition of the Willing" (2010). Seine Website ist: timrayner.net.

Donald Robertson ist Psychotherapeut der kognitiven Verhaltenstherapie, Ausbilder und Autor. Er spezialisiert sich in der Behandlung von Angst und dem Einsatz von CBT und klinischer Hypnotherapie. Er ist Autor von Teach Yourself Stoicism and the Art of Happiness (Teach Yourself, 2013), Resilience: Teach Yourself How to Survive and Thrive in Any Situation (Teach Yourself, 2012) und The Philosophy of Cognitive Behavioral Therapy: Stoic Philosophy as Rational and Cognitive Psychotherapy (Karnac Books, 2010).  Er bloggt auf: philosophy-of-cbt.com.

Helen Rudd erlitt im Jahr 2006 ein Schädel-Hirn-Trauma und lag dann drei Wochen im Koma. Später, als sie realisierte, wie sehr sich ihr Leben verändert hatte, litt sie unter einer starken Depression, vor allem, weil sie nicht mehr arbeitsfähig war. Durch Stoizismus hat sich jedoch ihr Leben geöffnet, und sie macht jetzt das Beste aus jedem Tag.

Roberto Sans-Boza promovierte 1991 an der Universität von Cadiz in Spanien. Er absolvierte seine klinische Neurophysiologie-Fachausbildung im San Carlos University Hospital, Madrid und eine zusätzliche Subspezialisationsausbildung in Electrocorticographie und Videotelemetrie am Montreal Neurological Institute (Kanada). Dr. Sans-Boza erlangte 1998 seinen ersten Berater-Posten im The Walton Centre, Liverpool und Glan Clwyd Hospital, North Wales. Er trat 2013 der Abteilung für klinische Neurophysiologie in Derriford bei.

John Sellars ist Forschungstipendiat am King's College, University of London. Er hat zwei Bücher über stoische Philosophie geschrieben: Stoicism (Routledge, 2006) und The Art of Living: The Stoics on the Nature and Function of Philosophy (Bloomsbury Academic, 2013). Seine Website ist: johnsellars.org.uk.

Jeff Traylor hat eine Fülle von Erfahrungen im Justizvollzug. Sie reichen von der Umsetzung des Beurlaubungsprogramms im Gefängnis für maximale Sicherheit Ohio bis zu seinem Dienst als Ausbilder für kognitive Fähigkeiten in einer gemeindenahen Justizvollzugsanstalt. Er lehrt am Michigan Judicial Institute und hat hunderte von Professionellen, von Bewährungshelfern bis hin zu Sozialarbeitern, ausgebildet. Er absolvierte seinen Master an der Ohio State University und ist Autor von Life in the Slow Lane (King of the Road Press), einer Serie von Ohio-Reisebüchern.

Patrick Ussher ist Doktorand an der University of Exeter und arbeitet an ethischen Aspekten der stoischen Entwicklung. In seiner Masterarbeit verglich er den Stoizismus mit dem „westlichen" Buddhismus. Er bearbeitet und verwaltet den Stoicism Today Blog.

Matt Van Natta ist praktizierender Stoiker und bloggt auf: immoderatestoic.com. Er ist auch Ehemann, Vater und Notfallmanagement-Professional. Der Stoizismus dient ihm in jeder dieser Rollen.

Vorwort

Stephen J. Costello, PhD

Dieses Buch widerspiegelt und präsentiert eine breite Palette von Themen: von stoischer Ethik und Emotionen zu Vaterschaft, Gefühlen und Viktor Frankl; von stoischen Bürgermeistern und Achtsamkeit [im Englischen mindfulness, B.P.] zur praktischen Philosophie, Erziehung, Psychotherapie und Gefängnissen; von Star Trek und Sokrates zu stoischen Rechtsanwälten, Literatur und dem Leben im Allgemeinen. So gibt es in dieser eklektischen Zusammenstellung für jeden etwas.

Der Titel dieser bearbeiteten Ausgabe enthält zwei Bedeutungsträger: „Stoizismus und „heute. Das lässt vermuten, dass der alte athenische Stoizismus – jene Schule der hellenistischen praktischen Philosophie – uns auch heute, in unserer Zeit, noch etwas zu sagen hat. Die Stoiker kämpften mit dem Leiden; sie wollten ihren Willen der Welt anpassen; sie wollten Tugendhaftigkeit kultivieren, um zu gedeihen. Sie glaubten, dass das Verhalten einer Person wichtiger war als ihre Worte. Sie betrachteten die Philosophie weniger als undurchschaubare, akademische, theoretische und schwierige Disziplin, sondern eher als Lebensweise für jene, die sich zur Weisheit (sophia) und dem Guten (agathon) hingezogen fühlten.

Von Anfang an war die Philosophie beliebt, denn sie war sowohl praktisch als auch tiefgründig. Sie fand sogar die Gunst eines Kaisers – Mark Aurel. Er wurde selbst Stoiker und verfasste die berühmten Selbstbetrachtungen. Ein anderer Kaiser – Justinian I – schloss allerdings im Jahre 529 n. Chr. diese „heidnischen" Schulen der Philosophie, weil sie mit dem konstantinischen Christentum als unvereinbar wahrgenommen wurden. (Konstantin der Große hatte 325 n. Chr. das Erste Konzil von Nizea berufen.) Die stoischen Ideen durchdrangen jedoch die Spiritualität von St. Ignatius von Loyola – um nur einen Religionsstifter zu nennen –, der ältere stoische spirituelle Übungen christianisierte, wie es später auch viele andere taten.

Worin liegt also die große Anziehungskraft? Stoiker wollen, dass wir angesichts von Schicksalsschlägen Standhaftigkeit zeigen; sie wollen, dass wir Selbstbeherrschung entwickeln, insbesondere bei destruktiven und negativen Emotionen; sie wollen, dass wir unser moralisches und geistiges Wohlbefinden verbessern; sie wollen, dass wir unser Leben auf den göttlichen Logos, der die ganze Schöpfung durchdringt, ausrichten. Sie wollen, dass wir leidenschaftlich und voller Freude geruhsam sind, aber auch klug, mutig, diszipliniert und gerecht. Sie wollen, dass wir unser Leben überprüfen und tägliche Selbstdisziplin – durch spirituelle Übungen – exerzieren. Diese werden dann zu Gewohnheiten des Herzens, die uns hier und jetzt helfen. Sie wollen, dass wir uns unwichtigen Dingen gegenüber gleichgültig verhalten und uns auf das konzentrieren, was wir kontrollieren und bestimmen können, und dass wir Dinge loslassen, die wir nicht kontrollieren können. Sie wollen, dass wir in Harmonie und in einem Zustand des Glücks lieben; dass wir uns gegenseitig helfen und in der Liebe leben. Uns beunruhigen nicht die Dinge selbst, sondern die Interpretationen, die unser Verstand ihnen zuschreibt und die Standpunkte, die wir vertreten. Und lohnt es sich denn nicht, diese Ideale zu erstreben, zu haben, zu sein? Kurz gesagt, sie wollen, dass wir sinnvoller und weniger gedankenlos leben.

Der von Zenon gegründete Stoizismus zog Männer wie Seneca, den Anwalt, als auch den ehemaligen Sklaven Epiktet und Kaiser Mark Aurel in ihren Bann. Sie sind die Stars der ersten Nova. Ihre Schriften, seien es Senecas Briefe, die Diskurse von Epiktet oder die Selbstbetrachtungen von Mark Aurel, begeistern, inspirieren und veredeln. Sie überzeugen und schelten sanft, selbst wenn sie gleichzeitig ermutigen. Am Ende kann nichts die Seele, unsere innere Zitadelle, wirklich berühren. Vieles liegt in unserer Macht und unserem Bereich. Und der Rest? Der Rest gehört Gott. Es ist seine Sache, nicht unsere. Die Frage ist nicht, wie lange wir leben, sondern wie großmütig: Im Leben geht es nicht um Tiefe, sondern um Dauer. Und dies hat uns der alte, edle Stoa auch gelehrt. Willst du nicht frei sein? Hör daher auf, Sklave zu sein. Die Stoiker haben uns allen einen Weg vorgezeigt und beleuchten mit ihren Laternen die Dunkelheit unserer Zeit. Es liegt an uns, ihnen zu folgen. Oder gegebenenfalls eben nicht.

Dublin, Juli 2014.

Einleitung

Aus der robusten Philosophie und Lebensweise, mit dem zentralen Anspruch, die Pflege von Tugendhaftigkeit könne dazu führen, sowohl den Herausforderungen des Lebens erfolgreich zu begegnen, als auch ein dem Gemeinwohl dienendes strukturiertes, zielgerichtetes Leben zu führen, ist es leicht zu verstehen, warum das Interesse am Stoizismus gestiegen ist. Solange die Frage „Wie gut kann ich leben?" gestellt wird, liefert der Stoizismus immer gerne seine Antworten.

Viele dieser Antworten werden in diesem Band dargelegt, nachdem sie von jenen, die in der heutigen Zeit den stoischen Weg gewählt und davon Gebrauch gemacht haben, ausgearbeitet wurden. Als Ganzes genommen steht die stoische