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Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland: Ursachen, Auswirkungen, Reduktion
Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland: Ursachen, Auswirkungen, Reduktion
Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland: Ursachen, Auswirkungen, Reduktion
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Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland: Ursachen, Auswirkungen, Reduktion

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Arbeitslosigkeit ist eines der bedeutendsten Problem in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in vielen anderen Ländern. Aufgrund des großen volkswirtschaftlichen Aspektes sowie der gesellschaftlichen Schwierigkeiten, die mit einer hohen Arbeitslosigkeit einhergehen, stellt sich die Frage, weshalb scheinbar so wenig unternommen wird, um die Zahl der Arbeitslosen spürbar zu reduzieren. Auf diese Frage versucht der Autor eine Antwort zu geben. Dazu werden die Einflussfaktoren auf die Arbeitslosigkeit im Einzelnen untersucht um die Zusammenhänge herauszuarbeiten und dadurch die Ursachen und die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit darstellen zu können. Um auch Personen ohne betriebswirtschaftliche bzw. sozialwissenschaftliche Vorkenntnisse dieses komplexe Thema verständlich vermitteln zu können, werden wichtige Fachbegriffe definiert sowie angrenzende Probleme ausführlich erläutert. Neben der unumgänglichen Reform der Sozialversicherung werden auch Reformbemühungen auf dem Arbeitsmarkt angesprochen. Ebenso zieht der Autor erfolgreiche Ergebnisse anderer Länder heran und untersucht deren Übertragbarkeit auf Deutschland. Aufgrund der hohen Kosten, welche mit der Beseitigung der Arbeitslosigkeit verbunden sind, wurden auch verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten aufgenommen.
Die aufgezeigten Ergebnisse sind strategisch ausgerichtet und verdeutlichen, dass das Problem Arbeitslosigkeit nicht innerhalb einer Legislaturperiode gelöst werden kann sondern vielmehr eine zeit- und kostenintensive Aufgabe darstellt. Das Buch richtet sich an Wirtschaftswissenschaftler, Interessenten aus der Politik und den Arbeitsagenturen und an alle, die sich genauer über dieses Thema informieren wollen.

Thomas Borckholder wurde 1972 in Kirchheimbolanden geboren. Nach einer kaufmännischen Ausbildung studierte er Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Management, Controlling und Unternehmensberatung in Ludwigshafen sowie Sozialwissenschaften und Personalwirtschaft in Mannheim. Er ist als freiberuflicher Unternehmensberater und Trainer sowie als Lehrbeauftragter für Hochschulen tätig.
LanguageDeutsch
Release dateJul 2, 2015
ISBN9783739254944
Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland: Ursachen, Auswirkungen, Reduktion
Author

Thomas Borckholder

Thomas Borckholder wurde 1972 in Kirchheimbolanden geboren. Nach einer kaufmännischen Ausbildung studierte er Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Management, Controlling und Unternehmensberatung in Ludwigshafen sowie Sozialwissenschaften und Personalwirtschaft in Mannheim. Er ist in der kaufmännischen Leitung und als Lehrbeauftragter für Hochschulen tätig. Die Promotion im Fachbereich Sozialwissenschaften legte er an der 'Friedrich-Schiller-Universität in Jena ab.

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    Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland - Thomas Borckholder

    Internetquellen

    1Einflussfaktoren auf die Arbeitslosigkeit

    1.1Entwicklung der Erwerbstätigkeit in Deutschland

    Mit der Entwicklung der Industriewirtschaft zur dominanten Wirtschaftsweise zum Ende des 19. Jahrhunderts hat das Verständnis von Arbeit in Europa einen radikalen Umbruch erfahren und auch zu tief greifenden gesellschaftlichen Veränderungen geführt.

    Bis zum Zeitalter der Industrialisierung – also in der so genannten vorindustriellen Wirtschaft – war Erwerbsarbeit in das Privatleben integriert. Neben der Landwirtschaft, die mit ihrem jahreszeitlichen Rhythmus und den festen Aufgaben den Tagesablauf der Familie bestimmte, existierte zusätzlich – in wachsendem Umfang – die heimische Produktionswirtschaft. Sie fand zu Hause (in der Küche oder in der Stube) statt und bestimmte daher ebenso den Tagesablauf. Privatleben und Arbeit waren untrennbar miteinander verbunden. Aufgrund fehlender gesetzlicher Sozialversicherungssysteme war der Wert der Arbeit wesentlich höher als heute, da nur die tägliche Arbeit das Auskommen bzw. das Überleben sicherte. Freizeit im heutigen Verständnis existierte nicht. Lediglich der Sonntag war arbeitsfrei – weil die Kirche dies vorgab. Feste Arbeitszeiten und Entgelte waren unbekannt. Es wurde gearbeitet, wenn Aufträge vorlagen. Erst mit dem Entstehen von Industrie und Fabriken wurde eine vollständige Trennung von Arbeit und Privatleben vollzogen und damit auch die Art der Erwerbstätigkeit revolutioniert. Waren zuvor große Teile der Bevölkerung in heimischer Produktion bzw. in der Landwirtschaft als selbständige Erwerbstätige zu bezeichnen, so änderte sich innerhalb relativ kurzer Zeit deren Stellung. Die Einführung von Maschinen in der Landwirtschaft revolutionierte diese in bisher ungeahntem Ausmaß. Anstelle von Muskelkraft und dem Einsatz von Tieren erledigten Maschinen die anfallenden Arbeiten in deutlich kürzerer Zeit und ließen die Erträge beachtlich ansteigen. Ein bedeutender Nachteil dieser Entwicklung war, dass nun kaum noch Menschen im landwirtschaftlichen Bereich benötigt wurden. Der ehemals sehr arbeitsintensive primäre Sektor entließ fast seine gesamten Arbeitskräfte. Heute liegt der Anteil der Erwerbstätigen im primären Sektor nur noch bei etwa drei Prozent.

    Auch in der heimischen Produktionswirtschaft traten massive Veränderungen ein. Die industrielle Produktion entwickelte sich rasch zu einer Massenproduktion (auch wenn bei den damaligen Produktionszahlen im Vergleich zu heute noch nicht von Massenproduktion im eigentlichen Sinn gesprochen werden kann) und damit wurden die Produkte wesentlich billiger als die der heimischen Produktionswirtschaft. Daher waren viele Familien gezwungen, diese Form der Erwerbstätigkeit aufzugeben. Ebenso wie den Arbeitskräften aus der Landwirtschaft blieb ihnen nur die Möglichkeit sich in der neu entstandenen Industrie nach Arbeit umzusehen. Innerhalb kurzer Zeit trat eine Wanderung ganzer Bevölkerungsmassen vom primären Sektor (sowie aus der heimischen Produktion) in den sekundären Sektor ein, da nur hier Arbeitsplätze in ausreichende Zahl entstanden. Die Maschinen in den Fabriken erforderten viele Arbeitskräfte – wenn gleich meist nur für relativ einfache Tätigkeiten, für die eine kurze Anlernzeit ausreichte. Zwar konnte der sekundäre Sektor die Massen von Arbeitskräften (man könnte auch sagen „Arbeitslosen") aufnehmen, jedoch erhielten sie nur Löhne, die ihnen ein Leben am Existenzminimum erlaubten (wobei das hier erwähnte Existenzminimum nicht annähernd dem heute üblichen Existenzminimum entspricht). Besonders problematisch gestaltete sich das Fehlen jeglicher sozialer Absicherung. Krankheit, Arbeitsunfälle oder Alter führten fast immer zu Armut und sozialem Abstieg. Diese sich zuspitzenden sozialen Probleme haben später unter Bismarck zur Einführung der gesetzlichen Sozialversicherungssysteme geführt.

    Ein bis heute bestehendes Problem ist das Verharren im sekundären Sektor. Während sich auf Grund der Globalisierung und der Rationalisierung die Arbeitskräftenachfrage in diesem Sektor weiter verringert hat, steigt sie im Dienstleistungsbereich, also dem so genannten tertiären Sektor, weiterhin stark an. Jedoch ist die Bereitschaft, in diesen Bereich zu wechseln, deutlich geringer als es notwendig wäre. Der Abbau von Arbeitsplätzen – vor allem bei einfachen Tätigkeiten – wird weiter voranschreiten. Die dadurch freiwerdenden Arbeitskräfte können nur im tertiären Bereich untergebracht werden. Auch im Dienstleistungsbereich existieren zahlreiche einfache Tätigkeiten, die mit denen im industriellen Bereich durchaus vergleichbar sind. Dennoch ist eine Umstellung – vor allem im Kopf – notwendig. Die Arbeit in der Produktion – also an Gegenständen – fällt vielen Arbeitnehmern noch immer leichter als der Umgang mit Menschen. Die Schaffung von weiteren einfachen Tätigkeitsbereichen im Dienstleistungsbereich und eine entsprechende Qualifizierung bzw. die Vorbereitung der Mitarbeiter auf solche Tätigkeiten, kann zur Senkung der Arbeitslosenzahl in nicht unerheblichem Maße beitragen.

    Im Zuge der fortschreitenden Globalisierung wird sich – bedingt durch die technischen Entwicklungen und Rationalisierungen in der Produktion – der internationale Wettbewerbsdruck verstärken. Der Kostendruck und die geringeren Wachstumsraten in der Wirtschaft zwingen zu immer stärkerer Effizienz und Effektivität. Dabei wird zunehmend das Kapital aus dem verarbeitenden Gewerbe abgezogen und mehr und mehr in den internationalen Finanz- und Kapitalmärkten investiert.¹ Angesichts eines insgesamt geringen wirtschaftlichen Wachstums und der steigenden Arbeitskosten versprechen sich die Investoren in diesen Märkten inzwischen höhere Renditen als in der arbeits- und lohnintensiven Produktion. Dabei ist deutlich zu erkennen, wie sich die Migrationen aus den Schwellen- und Entwicklungsländern zusätzlich auf den Arbeitsmarkt in den hoch entwickelten Industrieländern auswirkt – vor allem im Niedriglohnbereich, da hier besonders viele Arbeitsplätze wegfallen. Viele lohnintensive Produktionen werden daher ins Ausland verlegt, wo die Lohnkosten um ein vielfaches niedriger sind als in Deutschland und wo keine starren Tarifverträge vorliegen. Dies wird in Zukunft zu weiteren Arbeitslosen führen, die nur im Dienstleistungsbereich neue Arbeitsplätze finden werden. Ein Ausbau dieses Bereiches und ein Umdenken in der Einstellung zur Dienstleistung sind daher unumgänglich, wenn die bereits heute sehr problematische Situation des Arbeitsmarktes sich nicht weiter verschärfen soll.

    1.2Demographische Faktoren

    Der Begriff Demographie stammt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt „Volk beschreiben". Die Statistik beschreibt mit Hilfe von Zahlen und Kennziffern, wie sich eine Bevölkerung in Umfang und Struktur durch bestimmte demographische Ereignisse verändert. Diese Veränderungen innerhalb der Bevölkerung Deutschland sind statistisch sehr gut belegt. Als wichtigste Ereignisse sind das generative Verhalten (Geburtenzahlen), das Sterben (Sterbezahlen) sowie das Wanderungsverhalten festzuhalten. Darüber hinaus beschäftigt sich die Bevölkerungswissenschaft mit den Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und demographischer Entwicklung – und dies seit Jahrzehnten. Daher ist die derzeitige Situation kein überraschendes Ereignis, sie wurde bereits vor mehreren Dekaden angekündigt, ebenso wie heute bereits der zu erwartende Entwicklungsverlauf für die kommenden Jahrzehnte bekannt ist. Berücksichtigt man die Aussagen der Politiker bzw. das Herangehen an das Thema Arbeitslosigkeit oder die damit zusammenhängenden Probleme wie Lohnnebenkosten und Geburtenrückgang, so scheint es für sie jedoch eine Überraschung zu sein, wie sich die Gesellschaft und die Zusammensetzung in der Altersstruktur entwickelt hat.

    Die enormen Schwierigkeiten der Reformumsetzungen – wie sie heute gegeben sind – hätten in der Vergangenheit wesentlich einfacher umgesetzt werden können. Umso unverständlicher, wenn berücksichtigt wird, dass die negative Entwicklung der Trends bekannt war. Aufgrund der zu erwartenden Proteste innerhalb der Bevölkerung und der Furcht vor Wahlniederlagen lassen sich der Reformstau und die Zurückhaltung in der Politik zum Teil erklären. Doch betrachten wir zunächst die demographische Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland etwas genauer.

    Für das Problem der Arbeitslosigkeit sind vor allem die Geburtenzahlen und die Altersentwicklung von besonderer Bedeutung. Als „Bevölkerungsfrage" bezeichnet man die Trendentwicklung in Bezug auf den Geburtenrückgang und die daraus resultierende demographische Alterung der Bevölkerung. Politisch relevant sind solche demographischen Änderungen erst dann, wenn Auswirkungen zu erwarten sind, auf die politisch zu reagieren ist.² Da die Entwicklung der arbeitsfähigen Bevölkerung – und damit die Beitragszahler der Sozialversicherungen – sowie die Veränderungen in der Altersstruktur – und damit die Dauer und die Höhe der Inanspruchnahme von sozialen Versicherungsleistungen – in einem direkten Zusammenhang stehen, ist eine politische Reaktion unvermeidlich. Demographische Entwicklungen laufen jedoch in sehr langen Zeiträumen ab, daher gestatten sie eigentlich genügend Spielraum für geeignete Anpassungsmaßnahmen. Leider bewirken sie aber oft ein ständiges Hinauszögern und Verschieben notwendiger Eingriffe zugunsten von Maßnahmen, die wahlpolitisch mehr Erfolg versprechen.

    Historisch zurückblickend spricht man in den Sozialwissenschaften von zwei Geburtenrückgängen. Dieser säkulare bzw. neuere Geburtenrückgang trat in allen westlichen Industriestaaten auf – mit relativ geringen zeitlichen Verzögerungen. Sie werden auch als Modell des demographischen Übergangs bezeichnet, das die Veränderungen im Bevölkerungswachstum darstellt. Es beschreibt einen geringen Bevölkerungszuwachs innerhalb von Agrargesellschaften, der durch eine hohe Sterblichkeit und ein hohes Geburtenniveau gekennzeichnet ist. Abgesehen von tieferen Einschnitten aufgrund von Seuchen oder Kriegen hält sich dieses labile Gleichgewicht über mehrere Jahrhunderte hinweg, was den geringen Anstieg der Bevölkerungszahl in Europa erklärt. Eine Veränderung tritt mit den Fortschritten in der Medizin und bei den Erkenntnissen über Hygiene auf. Die Sterblichkeitsrate sinkt langsam, während die hohe Geburtenrate unverändert bleibt. Dadurch tritt eine Steigerung im Bevölkerungswachstum ein. Die Geburtenzahl verringert sich in einem nächsten Entwicklungsschritt. Bedingt durch Modernisierung und Industrialisierung wird die Kinderzahl pro Familie beschränkt – die Bevölkerung beginnt zu schrumpfen. Diese beiden Entwicklungen lassen sich in den Ländern Europas sehr gut nachweisen – die zeitlichen Verzögerungen im Auftreten stimmen mit dem unterschiedlichen Einsetzen der Industrialisierung weitgehend überein. Die beiden Geburtenrückgänge werden nachfolgend erläutert.

    1.2.1Säkularer Geburtenrückgang

    Während der Zeit der Agrargesellschaften wurden Kinder vor allem als Arbeitskräfte betrachtet und sollten zur Absicherung des Alters der Eltern dienen. Kindheit und die Beziehung bzw. enge Bindung zwischen Eltern und Kindern, wie wir sie heute kennen, ist eine Erscheinung, die sich im 19. Jahrhundert entwickelt hat. Es veränderte sich die Einstellung der Menschen in Bezug auf die Kinderzahl und es fand eine bewusste Einschränkung der Geburten statt. Ausschlaggebend hierfür waren zum einen die Einführung des Verbotes der Kinderarbeit, wodurch Kinder ihren Wert als Arbeitskraft weitgehend verloren und eine echte Kindheit – im heutigen Verständnis – sich überhaupt erst entwickeln konnte. Andererseits bewirkte die Einführung der Sozialversicherung – vor allem der Rentenversicherung – dass nicht mehr zahlreiche Kinder notwendig waren, um die Eltern im Alter versorgen zu können. Nicht zuletzt stiegen mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht und dem damit verbundenen Schulgeld (und später dem Lehrgeld) die Kosten für die Kinder an. Je weniger Kinder in einer Familie vorhanden waren, umso besser war die Versorgung dieser wenigen Kinder gesichert³. Im Zuge dieser Entwicklung reduzierte sich die durchschnittliche Zahl von fünf Kindern pro Familie Mitte des 19. Jahrhunderts auf durchschnittlich 2,3 Kindern⁴ in den 20er Jahren. Damit wurde das so genannte Bestandserhaltungsniveau erreicht,⁵ d. h. die demographische Voraussetzung für ein Nullwachstum der Bevölkerung, da die Elterngeneration durch die nachfolgende Generation nur noch ersetzt wird, aber keine darüber hinausgehenden Kinder gezeugt werden. Aufgrund der Tatsache, dass die zu diesem Zeitpunkt bereits lebenden Kinder- und Jugendgenerationen zahlenmäßig die Elterngenerationen noch übertreffen, tragen sie zunächst noch zu einem weiteren Bevölkerungswachstum bei – das tatsächliche Nullwachstum ist erst nach 30 bis 50 Jahren zu erwarten. Diese Erwartung bestätigte sich – in beiden Teilen Deutschlands – um 1979. Es traten die vorausgesagte Stagnation und anschließend ein Rückgang der Bevölkerungszahl ein.

    1.2.2Der neuere Geburtenrückgang

    Neben dem säkularen Geburtenrückgang konnte in allen Industrienationen ab Mitte der 60er Jahre ein weiterer entscheidender Geburtenrückgang verzeichnet werden. Das letzte Geburtenhoch wurde 1964 mit 2,64 Kindern je Frau ermittelt und ist als „Baby-Boom bekannt geworden. Neben dem Wirtschaftsaufschwung werden als Gründe hierfür auch das „golden age of marriage genannte, da zu dieser Zeit viele Ehen geschlossen wurden (über 90 Prozent der Frauen bis zum 35. Lebensjahr waren in dieser Zeit verheiratet!). Der Geburtenrückgang nach 1964 fiel wesentlich stärker aus als der vorangegangene. Innerhalb nur weniger Jahre sank die durchschnittliche Geburtenzahl je Frau auf 1,4 Kinder und damit deutlich unter das Bestandserhaltungsniveau⁶. Die Gründe hierfür sind vielfältig und z. T. zusammenhängend bzw. beeinflussen sich gegenseitig. Die Wirkung der in den 1960ern eingeführten Anti-Baby-Pille wurde als ein entscheidender Grund hierfür genannt. Dies wurde auch als so genannter „Pillenknick" im Geburtenverlauf bezeichnet. Jedoch belegte die sozialwissenschaftliche Forschung, dass nicht die Pille sondern das aufgrund der Pille mögliche Verhalten in Bezug auf die Planbarkeit von Geburten entscheidend für den Rückgang ist. Während die früheren Verhütungsmittel mehr oder weniger unsicher in ihrer Wirkung waren und damit eine ungewollte Schwangerschaft häufiger nicht verhinderten, muss sich heute hingegen eine Frau tatsächlich für eine Schwangerschaft entscheiden. Dadurch besteht die Möglichkeit, sowohl den zeitlichen Aufwand für die Kindererziehung als auch die finanziellen Kosten (wobei hier vor allem die Einkommensausfälle während des Erziehungsurlaubes wie auch die späteren Einkommenseinbußen aufgrund des Wegfalls von beruflichem Know how) zu nennen sind. Da Frauen heute mehr Zeit in Bildung und Ausbildung investieren und Karrierechancen wahrnehmen, wird der Kinderwunsch häufig aufgeschoben und damit steigen das Durchschnittsalter bei der Geburt des ersten Kindes sowie das der nachfolgenden Kinder. Je länger mit der Geburt des ersten Kindes gewartet wird, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass in Folge von Karriereentwicklung und dem steigenden Einkommen die Kosten bei einer Entscheidung für ein Kind immer höher ausfallen und nach Jahren der Entscheidungsfindung schließlich ganz auf ein Kind verzichtet wird. Und selbst wenn sich die Frau für ein Kind entscheidet, so findet die Geburt meist in einem späteren Lebensalter statt und dadurch wird auf weitere Kinder verzichtet. Auch aus diesem Grund wird das Bestandserhaltungsniveau inzwischen nicht mehr erreicht.

    Neben den Bemühungen der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und den damit verbundenen längeren Bildungs- und Ausbildungszeiten sowie der Bevorzugung von Karriere anstelle von Haushalt und Kindern, spielen auch die Rahmenbedingungen der Kinderbetreuungsmöglichkeiten sowie die Transferzahlungen an Frauen bzw. Haushalte während der Elternzeit eine entscheidende Rolle bei der Planung und der Anzahl von Kindern. Nicht zuletzt wirken sich die fehlenden Teilzeitarbeitsplätze bzw. deren Abbau besonders nachteilig auf das Verhalten der Kinderplanung bei Frauen aus. Mütter haben nach der Elternzeit oft nur die Möglichkeit, eine Teilzeitstelle anzunehmen, da sie oft aufgrund fehlender Kinderbetreuungsmöglichkeiten keine Vollzeitstelle besetzen können. Die Karrierechancen wie auch das Gehalt sind bei Teilzeitarbeitsplätzen deutlich geringer, so dass bei Erfüllung des Kinderwunsches vorher Vollzeit im Berufsleben integrierten Frauen in jedem Fall Einbußen zu erwarten haben. Sind hingegen auch keine Teilzeitarbeitsplätze verfügbar, so ist eine berufliche Tätigkeit zunächst meist ausgeschlossen. Vielfach nehmen Frauen sogar Teilzeittätigkeiten an, die unter ihren Qualifikationen liegen, nur um überhaupt wieder ins Berufsleben zurückkehren zu können. Natürlich wirkt sich dies auf die Entwicklung des Humankapitals nicht besonders förderlich aus.

    Im Zusammenhang mit dem Geburtenrückgang wird auch das Phänomen der Kinderlosigkeit diskutiert, das sich in der Bundesrepublik immer weiter verbreitet. Es wird erwartet, dass 20 bis 30 Prozent der in Westdeutschland in den 1960er Jahren geborenen Frauen keine eigenen Kinder haben werden. Demographen bezeichnen dies als die „neue Kinderlosigkeit", da diese nicht durch große Krisen wie Kriege, Hungersnöte oder Epidemien bedingt sind.⁷ Der Begriff „neue Kinderlosigkeit findet seine berechtigte Anwendung, „da es sich überwiegend um eine freiwillige, durch soziale Umstände zwar verursachte, aber auf individuelle Entscheidungen beruhende Kinderlosigkeit handelt.

    Nach Dorbritz/Schwarz⁹ stehen die Ursachen für die wachsende Kinderlosigkeit im Zusammenhang mit dem Anstieg des durchschnittlichen Erstheiratsalters der Frauen, dem durchschnittlichen Alter der Mütter bei der Geburt des ersten Kindes sowie der Partnerschaftssituation. Zwischen 1975 und 2000 ist das durchschnittliche Heiratsalter in Westdeutschland von 22,7 auf 28,5 Jahre angestiegen. In den neuen Bundesländern wurde 2000 ein Wert von 28 Jahren ermittelt – 1990 lag er bei 23,7 Jahren. Schwarz¹⁰ wies in einer Studie nach, dass bei einem durchschnittlichen Heiratsalter bei Frauen von über 30 Jahren die Kinderlosigkeit sprunghaft zunimmt. Die Gründe für diesen Altersanstieg liegen – wie bereits angesprochen – u. a. in der längeren Bildungs- und Ausbildungsdauer der Frauen. Auch verwirklichen Frauen häufiger ihre Karrierewünsche und stellen die Heirat – und damit meist auch den Kinderwunsch – in den Hintergrund. Ebenso werden häufig Forderungen der finanziellen Absicherung gestellt, bevor eine Heirat eingegangen wird. Dadurch erhöht sich auch das durchschnittliche Alter der Frauen bei der Erstgeburt. Es steigt die Wahrscheinlichkeit, kein Kind mehr zu bekommen, umso stärker an, je länger mit der Geburt gewartet wird. Dies liegt z. B. daran, dass die möglichen Eltern über viele Jahre zwei Einkommen erzielt und damit einen entsprechenden Lebensstandard verwirklicht haben. Auch haben Frauen im höheren Alter häufiger bestimmte Karrierechancen wahrgenommen, die sie dann – mit der Geburt eines Kindes – nicht mehr aufs Spiel setzen wollen.

    Ein ebenso bedeutsamer Grund zur Erklärung der Kinderlosigkeit ist die Partnerschaftssituation. Vor allem in Westdeutschland ist ein enger Zusammenhang zwischen Kinderlosigkeit und Ehelosigkeit zu sehen. Dorbitz et al.¹¹ nennen in einer Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung als Grund von Frauen, sich gegen ein (weiteres) Kind zu entscheiden, häufig das Fehlen eines geeigneten Lebenspartners und damit das Risiko einer sozialen wie auch finanziellen Absicherung.

    Natürlich haben sich Soziologen die Frage gestellt, ob ein Anstieg der Geburtenzahlen in Deutschland den demographischen Wandel umkehren könnte. Grundsätzlich kann diese Frage mit ja beantwortet werden – jedoch nur theoretisch und nur strategisch betrachtet. Kurzfristige Änderungen sind ausgeschlossen. Dies lässt sich anhand einer Bevölkerungsvorausberechnung von Birg et al.¹² aus dem Jahr 1998 belegen. Demnach haben die Geburtenrückgänge im Zeitraum zwischen 1965 und 1975 („Pillenknick") eine Abnahme innerhalb der Jahrgänge ausgelöst, deren Auswirkungen noch immer nicht abgeschlossen sind und deren Konsequenzen noch Jahrzehnte weiterreichen werden. Durch den Rückgang der Zahl der potentiellen Eltern wird die Bevölkerung auch weiterhin abnehmen. Um diesen Rückgang auszugleichen, wären über Jahrzehnte erheblich Geburtenzuwächse erforderlich.

    Wie unrealistisch eine kurzfristige Trendunterbrechung ist, zeigt eine Berechnung von Birg.¹³ Um den heute vorliegenden Altenquotienten konstant zu halten, wäre ein Geburtenniveau von 3,8 Kindern je Frau erforderlich. Bei dem in den letzten 20 Jahren stetigen Absinken dieses Niveaus und dem derzeitigen Verharren auf niedrigem Stand wird deutlich, dass eine gegenläufige Entwicklung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist. Der in Deutschland vorherrschende Kinderwunsch der Eltern liegt deutlich unter dem Bestandserhaltungsniveau. Die Gründe hierfür liegen u. a. in der verlängerten Ausbildungsdauer der Frauen, in der Umsetzung ihrer Karrierevorstellungen sowie in den politischen Rahmenbedingungen der Vereinbarkeit von Karriere und Familie. Eine Verkürzung der Ausbildungszeiten, eine umfassende Betreuungsmöglichkeit von Kindern in Kindergärten und ganztägige Betreuungsmöglichkeiten in Schulen sowie ein angemessenes Kindergeld, das eine Versorgung der Kinder im ersten Jahr sicherstellt und den Eltern eine Auszeit ermöglicht, wären erste Maßnahmen, um das Thema Kinder in der Bevölkerung aufzuwerten und dem Trend der Kinderlosigkeit entgegenzuwirken. Nicht berücksichtigt sind hierbei die Verluste an Humankapital während der Kinderbetreuung sowie die gesellschaftliche Akzeptanz einer Elternzeit. Um diese in die Gesellschaft zu integrieren, sind lange Zeiträume zu berücksichtigen. Aber auch die angesprochenen politisch umsetzbaren Möglichkeiten bewirken zunächst kaum eine Veränderung. Bis – nach der Einführung solcher Maßnahmen – eine Steigerung der Geburtenzahlen eintritt, ist ein langer Zeithorizont notwendig. Außerdem ist es unabdingbar, dass diese begünstigenden Maßnahmen dann auch über Jahrzehnte erhalten bleiben, damit die nachfolgende Generation den (hoffentlich) positiven Trend fortsetzt – denn jeder Einbruch führt zu jahrzehntelangen negativen Auswirkungen bei den nachfolgenden Geburtenraten. Es ist daher erst einmal unumgänglich, dass sich Gesellschaft, Politik und vor allem die Sozialversicherungsträger auf eine schrumpfende und alternde Bevölkerung sowie die damit verbundenen Konsequenzen einstellen.

    Entscheidend in Bezug auf die Demographie sind die zu erwartenden Konsequenzen hinsichtlich des steigenden Lebensalters der Bevölkerung und der damit verbundenen Pflegeaufwendungen. Schon heute sind die alternde Bevölkerung und deren Pflegebedürftigkeit sowie die dadurch entstehenden Kosten für die Pflegeversicherung kaum noch tragbar, da immer mehr pflegebedürftige Personen immer geringeren Beitragszahlern gegenüberstehen.

    1.2.3Sterblichkeit

    Ein weiterer Punkt, der die Demographie einer Bevölkerung entscheidend beeinflusst, ist die Entwicklung der Sterblichkeit. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland ist seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich gestiegen. Betrug sie 1881 noch etwa 35,6 Jahre bei männlichen Neugeborenen bzw. 38,5 Jahre bei weiblichen Neugeborenen, so hat sich die Lebenserwartung für Jungen um insgesamt 41 Jahre und für Mädchen um 42,9 Jahre erhöht.¹⁴ Seit den 1970er Jahren konnte ein relativ starker Rückgang der altersspezifischen Sterblichkeit der über 60-Jährigen verzeichnet werden. Inzwischen erreichen von 1.000 Frauen 930 ein Alter von 60 Jahren, bei Männern sind es 870 von 1.000.¹⁵ Die Chancen, ein höheres Alter zu erreichen, stehen also nicht schlecht. Die Gründe für diese Entwicklung liegen in der Verbesserung der Lebensbedingungen. Zu nennen sind hier vor allem die verbesserte Hygiene, die Wohn- und Arbeitsbedingungen in sämtlichen Altersstufen sowie die Fortschritte in der Medizin und Pflege. Es ist zu erwarten, dass sich dieser Trend der steigenden Lebenserwartung weiter fortsetzt.

    1.2.4Familien- und Lebensformen

    Mehr oder weniger zeitgleich mit dem zweiten Geburtenrückgang verlief Mitte der 60er Jahre eine bedeutende Veränderung innerhalb der Familien- und Lebensformen. Bisher stabile Familienformen brachen auf und neue Lebensformen kamen hinzu. Um diese Veränderungen zu verstehen, ist es notwendig, die Entwicklung der bürgerlichmodernen Familie zu verfolgen.

    Entscheidend waren zwei Entwicklungen: Die Herausbildung des wohlhabenden und gebildeten Bürgertums (Kaufleute, hohe Beamte, Unternehmer) seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sowie die fundamentalen gesellschaftlichen Umschichtungen im Rahmen der Industrialisierung. Die Trennung von Berufs- und Wohnstätte führte zur Herausbildung von Erwerbsarbeit und verlagerte ehemals im Familienverband geleistete Aufgaben (Altersversorgung, Ausbildung usw.) nach außen. Dieser Funktionsverlust bildete die Basis für die Entstehung der privatisierten Familie. Auch fand eine historisch neuund einzigartige Emotionalisierung und Intimisierung ihres Binnenverhältnisses statt. Neben der romantischen Liebesehe entstand auch eine emotional-affektive Beziehung zwischen Eltern und Kindern (Entstehung der Idee der Kindheit). Weiterhin verbindet sich die Aufspaltung der bürgerlichen Gesellschaft in Privatheit und Öffentlichkeit mit einer Neudefinition der Geschlechterrollen. Es entsteht das typische Ein-Ernährer-Modell – der Mann gilt als Ernährer der Familie, während der Frau die innerhäusliche Welt und damit die Versorgung von Kindern und Haushalt zugeordnet wird. Dieses bürgerliche Familienmodell können zunächst nur privilegierte bürgerliche Schichten realisieren, obwohl in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine allgemeine Orientierung in dieser Richtung erfolgte. Erst die tief greifenden Wandlungsprozesse der 1950er und 1960er Jahre im Zuge des Wirtschaftswunders ermöglichten die Etablierung und Generalisierung eines kollektiv einheitlichen Familientyps.¹⁶

    Dieser Familientyp bildete bis in die 1960er Jahre hinein die so genannte „Normalfamilie" – ein millionenfach fraglos gelebtes Grundmuster. Großen Teilen der Bevölkerung galt sie als gesellschaftlich einzig richtige und rechtlich legitimierte private Lebensform.¹⁷ 95 Prozent der Bevölkerung heirateten, Ehescheidungen und erwerbstätige Mütter waren selten. Die Ehe mit Kindern war die übliche und „normale" Lebensform erwachsener Menschen. Unkonventionelle oder alternative Lebensformen existierten zwar vereinzelt, wurden aber offen oder verdeckt sanktioniert.

    Erst Ende der 1960er Jahre rebellierten vor allem die jungen Erwachsenen gegen das „Einheitsmodell. Alternative Modelle wie „Kommune und spätere „Wohngemeinschaften" entwickelten sich, um sich gegen die Eltern und die Masse abzugrenzen. Steigende Arbeitslosigkeit, Abbau von Sozialleistungen und die Auswirkungen des zu Ende gegangenen Wirtschaftswunders führten zu beruflichen und damit auch privaten Veränderungen. Zunehmend wurden Frauen berufstätig, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Die Bildung und Ausbildung von Mädchen und Frauen führte zu späteren Erstgeburten und geringeren Kinderzahlen. Familien mit einem Kind oder keinen Kindern häuften sich. Heiraten wurde nicht mehr automatisch zum Standard sondern richtete sich häufig an finanziellen Punkten aus. Erst nach Ausbildung und Sicherung einer beruflichen Existenz wurde das Thema Heirat aktuell. Trotzdem lebten immer mehr Paare zusammen und diese ehemals rechtlich und sozial diskreditierte Lebensform erzielte eine hohe soziale Akzeptanz. Die Tendenz der Entdiskriminierung alternativer Lebensformen ist bei den nichtehelichen Lebensgemeinschaften besonders gut zu erkennen. Das unverheiratete Zusammenleben gilt heute nicht mehr als sittenlos. Ebenso wenig ist es eine unfreiwillige Lebensform – im Gegenteil: Sie wird bewusst gewählt, um z. B. ein Zusammenleben vor einer möglichen Heirat zu erproben.

    Da junge Erwachsene nicht über Jahre im elterlichen Haushalt leben, aber auch erst in späteren Jahren eine Bindung oder Ehe eingehen wollen, nimmt Zahl der Singlehaushalte stetig zu. Hier muss jedoch differenziert werden: Zum einen gibt es die Singlehaushalte, die von jungen Erwachsenen bewusst gewählt werden, um selbständig zu leben, auch wenn noch kein Partner/keine Partnerin vorhanden ist. Andererseits hat die steigende Lebenserwartung die Zahl der Singlehaushalte erhöht, denn die über 65jährigen stellt zahlenmäßig die stärkste Gruppe der Alleinlebenden dar. Davon sind 83 Prozent Frauen – entsprechend der höheren Lebenserwartung. Jedoch ist diese Form des Singledaseins nicht bewusst gewählt worden sondern durch die ungleiche Lebenserwartung der Geschlechter bedingt. Ebenso stieg die Zahl der Ehescheidungen beachtlich und erhöhte damit die Zahl der allein erziehenden Mütter. Zwar gehen viele später wie eine Partnerschaft ein, aber nur relativ wenige Partner übernahmen tatsächlich die Stiefvaterrolle.

    Im Zuge der Gleichberechtigung wurde schließlich noch die Familienform der eingetragenen Lebensgemeinschaft gebildet. Somit findet sich heute ein vielfältiges Muster von Familien- und Lebensformen in mehr oder weniger akzeptierter Form.

    Die Veränderungen bei den Familien- und Lebensformen hat vor allem Auswirkungen auf die Kinderzahl und die familiären Beziehungen. Durch das höhere Heiratsalter und die längeren Bildungs- und Ausbildungszeiten steigt auch das Alter der Erstgeburten an und damit verringert sich gleichzeitig die mögliche Kinderzahl. Da heute ein Alleinleben sowie ein unverheiratetes Zusammenleben ohne weiteres akzeptiert sind und auch die Familienplanung sehr gut funktioniert, sind ungeplante Kinder selten geworden. Dies führt jedoch zu dem angesprochenen erhöhten Alter der Frauen bei der Erstgeburt und reduziert gleichzeitig die Zahl der Kinder auf das vorherrschende niedrige Niveau. Die geringe gesellschaftliche Anerkennung von Erziehungsleistungen sowie die hohen Kosten, die Kinder verursachen, lässt bei vielen Paaren den Wunsch nach mehreren Kindern einschränken. Vor allem Frauen, die weiterhin berufstätig bleiben wollen, haben mit Kindern erhebliche Schwierigkeiten, eine geeignete Stelle zu finden, in der sich Familie und Beruf überhaupt kombinieren lassen. Haben Frauen erst einmal eine berufliche Karriere erreicht und verfügt ein Paar somit über zwei Einkommen, so führt die Geburt eines Kindes fast immer zu einer Halbierung der Haushaltskasse. Aufgrund der meist längeren beruflichen Unterbrechung – da entsprechende Betreuungsmöglichkeiten fehlen und sich Familie und Beruf aufgrund unpassender Arbeitszeiten nicht vereinbaren lassen – bleibt ein Elternteil zu Hause und dessen Einkommen fällt somit aus. Dies führt außerdem – bezogene auf die gesamte berufliche Biographie des erziehenden Elternteils – zu einem geringeren Einkommen. Daher wird der Wunsch nach Kindern bei Zwei-Verdiener-Familien häufig deutlich hinausgezögert.

    Aber auch in Bezug auf die familiären Beziehungen spielen die veränderten Familien- und Lebensformen eine Rolle. Haushalte, in denen die Großeltern unter dem gleichen Dach leben, werden seltener und aufgrund der notwendigen beruflichen Mobilität steigen auch die Entfernungen zwischen den Generationen. Die Zahl beruflich bedingter Wegzüge steigt an und lässt die familiären Beziehungen abnehmen. Dies führt u. a. zu Belastungen im Pflegebereich. Die Pflege von Angehörigen wird (noch immer) zumeist von Frauen ausgeführt. Vergrößert sich die räumliche Distanz zwischen den Generationen, fallen die Töchter und Schwiegertöchter als Pflegepersonen aus. Dies verstärkt sich zunehmend auch aufgrund der geringen Kinderzahlen und damit auch im Fehlen von Mädchen, die später als Töchter und Schwiegertöchter die Pflege naher Angehöriger übernommen hätten. Auch aufgrund finanzieller Überlegungen

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