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Geschwiegen. Gestorben.
Geschwiegen. Gestorben.
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Ebook173 pages2 hours

Geschwiegen. Gestorben.

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About this ebook

Hauptkommissar Christian Landau arbeitet mit seinem Team an einem Fall, der beinahe gar nicht als solcher erkannt worden wäre. Doch Dr. Hellrich ist ein gründlicher Hausarzt, der genau weiß, wie eine ärztliche Leichenschau gemacht wird. Er kann bei der toten Johanna Glasig keinen natürlichen Tod bescheinigen.
Scheinbar wahrheitsgemäße Zeugenaussagen erweisen sich bei näherer Betrachtung nicht als solche. Und plötzlich hat die Mordkommission nicht nur einen Verdächtigen.
LanguageDeutsch
Release dateJun 29, 2015
ISBN9783738675726
Geschwiegen. Gestorben.
Author

Siegfried Lindhorst

Siegfried Lindhorst, Jahrgang 1953, war fast sein gesamtes Berufsleben als Kriminalbeamter in einer Mordkommission im Westen des Landes tätig. Er weiß, dass jeder Fall sich von anderen unterscheidet. Tatmotive können ähnlich sein, Tatwaffen ebenfalls. Auch werden bestimmte Örtlichkeiten immer wieder zu Tatorten. Aber das, was ein schweres Verbrechen bei Opfern und ihren Angehörigen auslöst, ist in jedem Fall einzigartig.

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    Geschwiegen. Gestorben. - Siegfried Lindhorst

    15

    1.

    Die beiden Fensterflügel waren weit geöffnet, und die altmodischen, erkennbar stark vergilbten Gardinen wehten sachte, bewegt durch den leichten Frühlingswind an diesem Morgen. Auch die Sonne hatte sich schon einen Weg durch die anfangs geschlossene Wolkendecke gebahnt. Jetzt um acht Uhr zeigte sie bereits eine beachtliche Kraft. Ein bilderbuchartiger Frühlingstag musste es einfach werden. Das Beet vor dem geöffneten Schlafzimmerfenster zeigte sich in voller Blütenpracht, die Farben der Frühlingsblüher erschienen bedingt durch die Sonne noch kräftiger, voller, schöner. Die Vögel im gleich daneben liegenden Klosterpark zwitscherten so bunt durcheinander, dass man meinen konnte, ein Wettstreit sei unter diesen Tieren ausgebrochen.

    Die Luft war noch frisch, und sie trug den Duft des Frühlings in sich. Das machte gute Laune, sorgte für eine optimistische Stimmung bei den Menschen in der Kleinstadt Klosterhausen.

    Nicht so bei Elke Glasig. Die fünfzig Jahre alte Hausfrau stand vor dem Bett ihrer Schwiegermutter Johanna Glasig, die seit dem Tod ihres Mannes Theodor Glasig das halbe Erdgeschoß des gut bürgerlich anmutenden Backsteinbaus am Klosterpark bewohnte.

    An diesem schönen Frühlingsmorgen war Johanna Glasig nicht zum Frühstück in der großen Wohnküche erschienen, die von ihr gemeinsam mit dem im Haus wohnenden Sohn Thomas und dessen Ehefrau Elke genutzt wurde. Elke Glasig hatte sich zunächst nichts dabei gedacht und das ungewöhnliche Fernbleiben der Schwiegermutter mit den Anstrengungen von deren achtzigsten Geburtstag am Vortag erklärt.

    Üblich war es, dass Johanna und Elke zusammen das tägliche Frühstück pünktlich um halb acht einnahmen.

    Thomas, der äußerst erfolgreiche Immobilienmakler war meistens um diese Uhrzeit schon mit seinem BMW-Touring unterwegs zu einem seiner fünf Büros, die er in Klosterhausen, Lübeck, Kiel, Flensburg und Westerland unterhielt.

    Thomas, zwei Jahre älter als seine Ehefrau, war ein häuslicher und familiärer Mensch. Als sein Vater, der Gründer der Firma Immobilien Glasig, vor fünf Jahren starb, war es keine Frage für ihn, dass seine Mutter in das geräumige Haus Klosterpark Nummer vier einzog.

    Elke Glasig war mit ihrem Mann gleicher Meinung gewesen. Obwohl es immer mal wieder kleinere Zwistigkeiten mit Johanna auszustehen gab, lebte sie doch ohne Widerspruch mit ihrer Schwiegermutter unter einem Dach.

    Die Tage ähnelten sich. Morgens das gemeinsame Frühstück in der großen Wohnküche, danach lebte jeder getrennt für sich in seinem Wohnbereich, was für Johanna meistens den Aufenthalt in ihrem ebenfalls dem Klosterpark zugewandten Wohnzimmer und für Elke die häusliche Arbeit im gesamten übrigen Hause und viermal in der Woche morgens den Besuch des großen Sport- und Freizeitcenters Klosterhausen bedeutete. Darauf bestand Elke Glasig, und an diesem Morgen wäre um zehn Uhr der Saunabesuch gewesen, wenn sich dieser Tag nicht ganz anders entwickelt hätte.

    Johanna lag zugedeckt in ihrem Seniorenbett und reagierte nicht auf die Rufe ihrer Schwiegertochter: „Johanna, das Frühstück ist fertig. Du musst aufstehen, Johanna."

    Elke trat näher von der rechten Seite an das Bett heran, schlug die Bettdecke ein wenig zur Seite. Sie berührte die auf dem Rücken liegende alte Frau an der rechten Schulter und schüttelte sie, doch Johanna rührte sich nicht. Elke beugte sich zu der Frau herunter. Sie horchte. Erschrocken stellte sie fest, dass ihre Schwiegermutter nicht mehr atmete.

    „Johanna", rief die Schwiegertochter, und ihre Stimme klang panisch. Sie schüttelte die leblose Frau stärker, als wolle sie sie ins Leben zurück schütteln. Doch Johanna rührte sich nicht. Ihr Kopf kippte zur Seite und Elke sah die Augen. Die Lider waren nicht ganz geschlossen, die Augen dahinter waren stumpf. Der Blick war gebrochen, wie man so sagt. Elke wandte sich ab und verharrte einen Augenblick an dem Fenster zum Klosterpark. Sie ließ beide Flügel ganz geöffnet und verließ eilig das Schlafzimmer.

    *

    Der knallrote Fünfer-BMW-Touring war gerade auf den Parkplatz des Autohofes in Jagel gefahren. Thomas Glasig hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, auf seinen mindestens einmal pro Woche erforderlichen Fahrten zur Flensburger Filiale hier einen Cappuccino zu trinken. Als er ausstieg, signalisierte sein Handy mit der auffälligen Originalmusik „You’ll never walk alone von Gerry and the Pacemakers einen eingehenden Anruf. Ein Blick auf das Display zeigte ihm, dass seine Frau die Anruferin war. Er nahm das Gespräch an, und ohne weitere Begrüßung sagte er: „Na, mein Schatz, habt ihr beide gut gefrühstückt?

    „Da ist was mit Johanna", entgegnete Elke mit erregter Stimme und ihr Mann wusste sofort, dass etwas Ernstes geschehen war.

    „Wie? Was ist mit meiner Mutter?" Auch seine Stimme hatte sich verändert. Thomas Glasig setzte sich wieder in seinen BMW.

    „Sie ist nicht zum Frühstück gekommen, da bin ich zu ihr ins Zimmer. Sie atmet nicht mehr, Thomas."

    „Das kann nicht sein, erwidert Thomas ungläubig, „gestern an ihrem Geburtstag war doch noch alles in Ordnung. Hast du schon den Arzt gerufen, Elke?

    „Nee. Ja. Arzt? Nee, hab ich noch nicht angerufen. Soll ich? Johanna guckt so merkwürdig." Elke redete wirr.

    „Mensch, ruf‘ Dr. Hellrich an! Der soll sofort kommen!"

    Thomas brüllte diese Sätze förmlich ins Handy. Er hörte nur noch das zögerliche „ja, mach’ ich" seiner Frau. Dann war das Gespräch beendet.

    *

    Der Arzt war schnell zur Stelle. Dr. Hellrich betrieb seine Praxis für Allgemeinmedizin ganz in der Nähe in der Klosterallee. Als Elke ihn um zehn nach acht anrief, saßen zwar schon die ersten Patienten im Wartezimmer, aber der Praxisbetrieb hatte noch nicht begonnen. Er eilte zu Fuß die knapp einhundert Meter durch den Mönchsgang von der Klosterallee in die parallel dazu verlaufende Straße ‚Am Klosterpark‘.

    Elke Glasig stand an der Haustür, als der Sechzigjährige nur wenige Augenblicke nach dem Anruf leicht schnaufend mit seiner Arzttasche in der Hand erschien. „Kommen Sie, Dr. Hellrich", hauchte Elke Glasig. Dann zeigte sie mit der linken Hand in den Wohntrakt, den ihre Schwiegermutter in diesem großen Haus bewohnte.

    „Danke, sagte der Arzt, „ich kenne mich hier ja aus.

    Dr. Hans-Hubert Hellrich war der Hausarzt der Familie Glasig. Seit Jahrzehnten schon. Er war es auch, der den unheilbar an Darmkrebs erkrankten Theodor Glasig bis zu dessen Tod begleitet hatte. Täglich hatte er ihn zuletzt in dessen Haus zwei Straßen weiter aufgesucht, um ihm das schmerzlindernde Morphium zu spritzen, weil der Patient es ohne dieses Mittel einfach nicht mehr ausgehalten hatte.

    Nachdem Johanna Glasig zu ihrem Sohn gezogen war, machte er dort gelegentlich Hausbesuche.

    Im Schlafzimmer seiner Patientin blieb er gut zwei Meter vom Bett entfernt stehen und sah sich sorgfältig um. Elke Glasig war ihm gefolgt. „Was ist denn mit meiner Schwiegermutter?", fragte sie.

    „Oh, antwortete der Mediziner und ging auf das Seniorenbett zu, „ich befürchte, dass ich hier nichts mehr tun kann. Dann fühlte er mit der linken Hand Johanna Glasigs Halsschlagader. Sein Gesichtsausdruck wurde ernster und seine folgenden Bewegungen wirkten wie vorgeschrieben. Er zog sich jetzt Einmalhandschuhe über und schob mit der linken Hand die Augenlider hoch. Danach fasste er an das Kinn und stellte fest, dass es kaum noch beweglich war.

    „Ja, Frau Glasig, wie ich schon sagte, ich kann hier nichts mehr tun. Ihre Schwiegermutter ist eingeschlafen. Sie lebt nicht mehr."

    „Johanna tot? Wa..warum? Wie…wieso?" Elke Glasig stotterte. Sie konnte keinen Satz zustande bringen.

    Der Arzt drehte sich zu ihr und legte ihr seine rechte Hand, die noch immer in einem Handschuh steckte, auf die Schulter. „Frau Glasig, Ihre Schwiegermutter ist achtzig Jahre alt geworden. Da ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Mensch nicht mehr kann."

    „Ja, aber Johanna war doch noch so mobil. Erst gestern hatte sie ihren achtzigsten Geburtstag. Alles war schön. Und heute ist sie tot? „Das ist nicht ungewöhnlich. Der Tonfall von Dr. Hellrich war geprägt von starkem Einfühlungsvermögen für diese schwere Situation. Zweifellos hatte der Arzt schon häufig mit Angehörigen am Bett eines Toten gestanden. Er fand die richtigen Worte, die einem Angehörigen das Unfassbare näher brachten.

    Aber Dr. Hellrich war auch ein äußerst gründlicher Arzt, der genau wusste, was jetzt noch zu tun war.

    „Frau Glasig, würden Sie mich jetzt mal mit Ihrer Schwiegermutter alleine lassen? Ich muss sie noch einmal untersuchen."

    Elke Glasig verstand nicht. Fragend blickte sie den Arzt an.

    „Ach, lassen Sie mich erklären, Frau Glasig. Als Arzt, der den Tod feststellen soll, muss ich klar entscheiden, ob Ihre Schwiegermutter eines natürlichen Todes gestorben ist oder nicht. Sicher wird es hier so sein, aber ich darf das nicht einfach so bescheinigen, wenn ich es nicht selbst genau untersucht habe."

    „Aber Johanna ist doch tot. Sie ist heute Morgen einfach nicht mehr aufgewacht. Was wollen Sie denn jetzt noch untersuchen? Sie ist gestern nach ihrer Geburtstagsfeier wie immer um zehn Uhr ins Bett gegangen und dann in der Nacht gestorben. Das ist doch ein natürlicher Tod, Herr Doktor, oder?"

    „Sicher, Frau Glasig, es wird auch so gewesen sein. Und es wünscht sich wohl jeder von uns, dass man so friedlich einschläft. Aber verstehen Sie bitte, dass ich mir Ihre Schwiegermutter noch einmal genau ansehen muss. Lassen Sie mich jetzt bitte meine Arbeit tun." Mit diesen Worten schob er die sportlich, schlanke Frau aus dem Raum und schloss die Schlafzimmertür hinter sich. Er wollte die Untersuchung nicht im Beisein der Angehörigen machen.

    Dann begann er mit der genauen Untersuchung der Toten. Er entkleidete die Leiche völlig und sah sich sorgfältig die Vorderseite des auf dem Rücken liegenden Körpers an.

    Dr. Hellrich hatte sich im Laufe der Jahre einen ganz festen Ablauf dieser Leichenschau angeeignet, der nach seiner Meinung keinen Körperbereich ausließ, um eine möglichst genaue Todesursachenfeststellung zu treffen.

    Angefangen von beiden Armen zum Kopf, den er mit beiden Händen sorgsam abtastete, um dort gegebenenfalls Verletzungen zu entdecken, betrachtete er danach genau die Mund- und Nasenhöhle, wobei das Öffnen der Mundhöhle ihm wegen der einsetzenden Leichenstarre einige Schwierigkeiten bereitete. Anschließend sah er den Hals an. Brust und Bauch wurden genau so sorgfältig in Augenschein genommen wie der Genitalbereich und die Beine. Zum Schluss drehte Dr. Hellrich die tote Frau auf die Seite, um die Rückseite anzusehen.

    Auch hier entdeckte er keine Auffälligkeiten.

    „Natürlicher Tod", sagte er leise zu sich selbst und wollte gerade die Schlafzimmertür wieder öffnen, als ihm noch ein wichtiger Punkt einfiel. Die Augen. Er untersuchte die Augen der Verstorbenen, in dem der die Lider mit einer Pinzette nach oben und nach unten schob. Als er die kleinen punktförmigen Unterblutungen im Bindegewebe beider Augen entdeckte, wurde sein Gesicht noch ernster.

    2.

    Die tägliche Frühbesprechung im 1. Kommissariat der Kriminalpolizei Klosterhausen hatte pünktlich begonnen. Um acht Uhr waren alle Mitarbeiter wie üblich erschienen, und Christian Landau, der fünfundfünfzig Jahre alte Chef des 1. Kommissariats, hatte es vorher geschafft, die Kaffeemaschine mit einer seiner Meinung nach ausreichenden Portion gemahlenen Kaffees und entsprechender Wassermenge in Gang zu setzen. Vielleicht lag es an seinem guten Vorsatz zum Wochenbeginn, dass er als erster an diesem Tag im Büro und somit für die Kaffeezubereitung zuständig war. Wäre einer seiner Kollegen, Gerrit Nielsen oder Lukas Grote, an diesem Tag mit Kaffeekochen dran gewesen, dann hätte Landau wieder für eine entsprechende Verdünnung sorgen müssen, denn von der Kunst des Kaffeekochens verstanden die beiden anderen nach Meinung des Chefs nicht viel. Das Ergebnis war in jedem Fall ein rücksichtslos starkes und eklig bitter schmeckendes Gebräu, das Landau auch schon in Einzelfällen dazu verleitet hatte, gänzlich auf diesen zweifelhaften Genuss zu verzichten und stattdessen Tee zu trinken.

    Die beiden Kolleginnen im

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