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Auswanderer von Sylt 1867-1914: Ein Beitrag zur Familiengeschichte der Insel Sylt
Auswanderer von Sylt 1867-1914: Ein Beitrag zur Familiengeschichte der Insel Sylt
Auswanderer von Sylt 1867-1914: Ein Beitrag zur Familiengeschichte der Insel Sylt
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Auswanderer von Sylt 1867-1914: Ein Beitrag zur Familiengeschichte der Insel Sylt

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"Auswanderer von Sylt 1867-1914" behandelt die Auswanderung von auf Sylt geborenen oder dort lebenden Personen in königlich-preußischer Zeit.
Den größten Teil der Auswanderer zog es in die Vereinigten Staaten von Amerika; doch auch in Kanada, Südamerika, in Australien oder Asien finden sich Spuren von ausgewanderten Syltern.
Der Schwerpunkt dieser Dokumentation liegt auf der Beschreibung der Einzelschicksale der 590 bisher identifizierten emigrierten Personen, wobei die Quellenlage bei den einzelnen Auswanderern sehr unterschiedlich ist.
Quellen wie Ausreise-Erlaubnisscheine der Eltern, Anträge zur Entlassung aus dem preußischen Untertanenverband, Einträge in den Passagierlisten der Auswandererschiffe, Einträge in U.S. Volkszählungen und Erwähnungen in weiteren ergänzenden Quellen wurden den jeweiligen Personen zugeordnet, so dass sich ein Bild vom Schicksal dieser Auswanderer ergibt.
LanguageDeutsch
Release dateJul 6, 2015
ISBN9783739290898
Auswanderer von Sylt 1867-1914: Ein Beitrag zur Familiengeschichte der Insel Sylt
Author

Elisabeth Westmore

Elisabeth Westmore (geb. Ingwers) wurde in Morsum auf Sylt geboren. Nach einer Buchhandelslehre in Westerland studierte sie Geschichte und Germanistk (M.A.) an der Freien Universität Berlin. Bis zu ihrer Übersiedlung nach Grossbritannien leitete sie in Berlin ein Jugendhotel. In England war sie für einige Zeit als Deutschlehrerin tätig. Heute lebt sie auf der Isle of Wight.

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    Auswanderer von Sylt 1867-1914 - Elisabeth Westmore

    Autorin

    POLITISCHE, WIRTSCHAFTLICHE UND SOZIALE BEDINGUNGEN DER AUSWANDERUNG AUS NORDFRIESLAND

    In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildete sich der deutsche Nationalstaat, und bedeutsame Veränderungen wurden ebenfalls durch die industrielle Revolution hervorgerufen. Von diesen Vorgängen waren auch die Herzogtümer Schleswig und Holstein betroffen.

    Nach dem Krieg zwischen Dänemark und Preußen/Österreich 1864 und dem preußisch/österrreichischen Krieg von 1866 konnte Preußen sich die Vorherrschaft in den Herzogtümern Schleswig und Holstein sichern. Durch das Besitzergreifungspatent vom 12. Januar 1867 wurden die beiden Herzogtümer zu preußischen Provinzen. Viele Schleswig-Holsteiner, die lieber einen eigenen schleswig-holsteinischen Staat gehabt hätten, standen der Einverleibung in den preußischen Staat zuerst ablehnend gegenüber. Besonders stark kam dies bei dem dänisch gesinnten Teil der Bevölkerung zum Tragen.

    Mit der Gründung des Deutschen Reichs im Januar 1871 wurden die beiden Herzogtümer zu Provinzen des kaiserlichen Deutschlands.

    Nachdem bereits im Juni 1866 die preußische Alleinherrschaft über die Herzogtümer verkündet worden war, bestand die erste und höchst unpopuläre Maßnahme des preußischen Staates in der Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht.¹ Alle Männer, die nach 1842 geboren worden waren, hatten von nun an einen dreijährigen Militärdienst abzuleisten. Für die seefahrende männliche Bevölkerung der nordfriesischen Inseln², die zu dänischer Zeit in Friedenszeiten von der Militärpflicht entbunden gewesen war, erwies sich dies als ein besonders schwerer Schlag.

    Neben den politischen Veränderungen wandelten sich auch die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen. Im Jahre 1867 erließ der preußische Staat neue Bestimmungen zur Regelung der Fortbildung zum Steuermann und Kapitän. War es vorher die Eignung der jungen Seeleute gewesen, die es ihnen ermöglichte schon früh zum Steuermann aufzusteigen, mussten nun mindestens 33 Monate und davon 12 als Vollmatrose zur See gefahren worden sein, bevor die Steuermannsprüfung abgelegt werden konnte. Für die Zulassung zur Schifferprüfung auf Großer Fahrt waren dann noch einmal zwei Jahre als Steuermann auf Kauffahrteischiffen notwendig. Im Gegensatz dazu war es in Amerika wesentlich einfacher aufzusteigen, da hier die Qualifikation zählte und nicht das Alter oder die Fahrenszeit³.

    Neben den neuen Bestimmungen für die Seefahrer hatte sich auch die Situation der Seefahrt selbst verändert. Der Rückgang des Walfangs und die zunehmende Dampfschifffahrt, die weniger Seeleute benötigte als die Segelschifffahrt, führte dazu, dass die ehemals seefahrende männliche Bevölkerung an der Westküste des Herzogtums Schleswig sich zunehmend neuen Erwerbsquellen zuwenden mußte.

    Doch nicht nur die seefahrende Bevölkerung war von den ökonomischen Veränderungen betroffen. Während die Industrielle Revolution in Preußen insgesamt einen wirtschaftlichen Aufschwung bewirkte, war die Entwicklung in Schleswig-Holstein in den ländlichen Gebieten eher ungünstig. Die industrielle Produktion von Gütern traf viele handwerkliche Berufszweige sehr hart. So wurden Güter wie Schuhe, Stoffe und Möbel in Massenproduktion hergestellt und die ländlichen Schuhmacher, Weber und Tischler konnten mit den Preisen nicht mehr konkurrieren.

    In der Landwirtschaft wurden ebenfalls durch den Einsatz von Maschinen immer weniger Arbeitskräfte benötigt. Doch auch ohne die Konkurrenz der Technik hatten es die Landarbeiter schwer, ihre Familie zu ernähren, vor allem im Winter, wenn nicht genug Arbeit für die Tagelöhner zur Verfügung stand. Es gab zwar ein wohlhabendes Bauerntum, aber dem raschen Bevölkerungswachstum in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts stand nicht ausreichend Arbeit in der Landwirtschaft gegenüber. Zu der Schicht der Tagelöhner gesellten sich zunehmend die Bauernsöhne, die nicht den elterlichen Hof übernahmen oder durch ein Erbe eine eigene Existenz aufbauen konnten.

    Diesen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen in der Heimat stand die Verheißung eines besseren Lebens in Übersee, und besonders den USA, gegenüber. Bei diesen Auswanderungsmotiven spricht die Forschung von den sogenannten Push- und Pull-Faktoren; „push steht für die Gründe, die die Auswanderer aus den ursprünglichen Gebieten „wegdrückten, „pull für die Gründe, die sie in ein anderes Gebiet „anzogen.

    Nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkrieges (1861 – 1864) und der zunehmenden Industrialisierung in den Nordstaaten begann das Zeitalter der Masseneinwanderung in die USA: Amerika versprach Freiheit und sozialen Aufstieg, Arbeitskräfte wurden benötigt.

    Auch ein Teil der Bevölkerung der nordfriesischen Inseln machte sich auf den Weg. Besonders die jungen Männer, traditionell mobil bedingt durch die Seefahrt, zog es zuerst in die neue Welt. Die Briefe, die sie in die Heimat schickten, zogen Verwandte und Freunde nach. Und heimkehrende Besucher oder Rückkehrer gaben Kunde davon, dass man in der Fremde sein Glück machen konnte. Große und schnelle Dampfschiffe brachten die Emigranten in die neue Welt.

    Die erste Auswanderungswelle in die USA erreichte 1872/1873 ihren Höhepunkt, mit Rückgängen in der Auswanderungszahl während des deutsch-französischen Krieges 1870/71 (Auswanderungsverbot) und 1875 – 1879, einem Zeitraum wirtschaftlicher Krise in den USA.

    Ab 1880 erholte sich die amerikanische Wirtschaft und ein erneuter Auswanderungsschub setzte ein. Die Auswanderung in die USA hielt bis in die neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts an, danach gingen die Zahlen zurück. Das Ende der Landnahme⁴ in den USA war hierfür ein Grund, ein weiterer die gößere Nachfrage nach Arbeitskräften in Deutschland.⁵

    „ES IST SOMIT MEINEM GENANNTEN SOHN DORT EIN FORTKOMMEN IN AUSSICHT GESTELLT, WIE ICH ES IHM HIER NICHT ZU BIETEN VERMAG…"

    Am 16. September 1876 schreibt der 21jährige Wenningstedter Otto Carl Jansen an das Königliche Landratsamt in Tondern ein „Gesuch um Entlassung aus dem preußischen Unterthanenverbande"⁷:

    „Nachdem Unterzeichneter 2 Monate in stehendem Heere als Jäger gedient hat, dann aber als zeitig dienstunbrauchbar entlassen ist, wie es nach dem beifolgenden Militair-Pass hervorgeht, und später beim Ober-Ersatz-Geschäft auf 1 Jahr zurückgestellt ist erlaubt Unterzeichneter sich die gehorsamste Bitte an das Königliche Landrathsamt zu richten, dafür wirken zu wollen, daß meine Entlassung aus dem preußischen Unterthanenverbande beschafft werde, aus nachstehenden Gründen:

    Zwei alte Leute, ohne Kinder, in Amerika, die 1 Farm besitzen, suchen einen jungen Deutschen zu ihrer Stütze in ihren letzten Tagen und zwar mit der Bedingung, daß falls dieser Mensch bei ihnen bleiben wird, so lange sie leben, diese ihm die Farm als Erbtheil übermachen wollen und habe ich nun die Hoffnung, daß ich, nachdem ich zunächst die Farm in Augenschein nehme, ich mit diesen Leuten bis ans Ende aushalten werde. Da ich von Haus aus unbemittelt bin, ist es schwer für einen Landmann sich jetzt selbständig niederzulassen.

    Der wirkliche Grund meines Gesuchs liegt n u r in dem Vorhergesagten und nicht in der Absicht mich der Dienstpflicht im stehendem Heer zu entziehen. Auch werde ich hinsichtlich des Leidens in meinem Fußgelenk wohl nie dem Militairdienste genügen können. Ich gebe mich daher der Hoffnung hin, daß Königliche Landrathsamt möge mein Gesuch befürworten, daß ich aus dem preußischen Unterthanenverbande entlassen werde.

    Ganz gehorsamst

    Otto Carl Jansen

    Wenningstedt Sylt, den 16. September 1876"

    Otto Carl Jansen will nach Amerika auswandern. Wie die meisten Emigranten ist er „unbemittelt" und ohne Hoffnung, sich in der Heimat in dem von ihm gewählten Beruf erfolgreich niederlassen zu können. Jedoch im Gegensatz zu vielen jungen Männern, die es in die Vereinigten Staaten zieht, hat er bereits ein Auskommen in Aussicht.

    Am 13. Oktober 1876 erhält er die Antwort der Königlichen Regierung in Schleswig, dass auf seinen Antrag zur Zeit nicht eingegangen werden könne, da er für ein Jahr zurückgestellt sei und daher also nicht ohne Genehmigung der Militär-Behörde aus dem Staatsverband entlassen werden könne. Der preußische Staat entließ nur ungern seine wehrpflichtigen jungen Untertanen.

    Dieser Bescheid scheint ihn nicht von seiner Ausreise abgehalten zu haben. Bei der US-Volkszählung von 1880 finden wir ihn als Farmer in Chesterfield, Virginia.¹⁰

    Viele der jungen Männer, die es von Sylt nach Übersee und zumeist nach Amerika zieht, wagen diesen Schritt schon in einem sehr jungen Alter, oft gleich nach der Konfirmation. Ohne Aussicht auf ein Fortkommen auf der Insel, aufgrund ihres Alters noch nicht im Blick der preußischen Militärbehörde und voller Tatendrang und Zuversicht machen sie sich auf in ein neues Leben. Solange die jungen Männer ihr 17. Lebensjahr noch nicht erreicht hatte, waren sie nicht wehrpflichtig. Danach konnten sie jederzeit zum dreijährigen Militärdienst einberufen werden. Und auch die Tatsache, dass sich in der Ferne bereits Verwandte oder Bekannte erfolgreich angesiedelt hatten, hat beim Entschluss zur Ausreise oft mitgespielt, wie nachstehendes Dokument zeigt.

    „Verhandelt in der Königlichen Landvogtei zu Keitum am 12. März 1883

    Es erscheint der Eingesessene Peter Andreas Petersen aus Westerland in Begleitung seines am 1. Februar 1868 in Lütje-Morsum geborenen Sohnes Carl Lorenz Petersen, überreicht einen Geburtsschein desselben und stellt dabei folgenden Antrag:

    Ich bitte, daß mein Sohn Carl Lorenz Petersen aus dem preußischen Unterthanenverbande entlassen werde, da derselbe nach Nordamerika auswandern will, woselbst sich bereits ein Bruder und ein Sohn von mir befinden, welche ihm dort zu seinem Fortkommen weiter behüflich sein werden

    Peter A. Petersen

    Der Carl Lorenz Petersen erklärt Folgendes:

    Es ist mein freier Wille aus dem preußischen Unterthanenverbande entlassen zu werden und nach Nordamerika auszuwandern, um dort bei meinem Bruder und Onkel mein Fortkommen zu suchen. Beredet bin ich dazu in keiner Weise von anderer Seite.

    Carl Lorenz Petersen"¹¹

    In den Entlassungsanträgen der unmündigen Auswanderer finden wir die Erklärungen, dass die Ausreise aus freiem Willen und ohne Druck von anderern Personen geschieht. Eine Massnahme, die die jungen Männer, oft noch fast Kinder, davor schützen sollte, sich unfreiwillig in ein Abenteuer zu begeben, um die Familie von der finanziellen Bürde ihrer Ausbildung und ihres Unterhalts zu befreien oder von Amerika aus die zurückgebliebene Familie zu unterstützen.

    Keitumer Konfirmanden im Jahre 1904 – Jungen wie diese, mehr Kinder als junge Erwachsene, wanderten oft bald nach der Konfirmation aus¹²

    Insbesondere für kinderreiche und finanziell schlecht gestellte Familien sind selbst die Kosten für die Ausreise ein großes Opfer, wie der Lehrer und Küster Nis Jacobsen aus Westerland in seinem Antrag zur Entlassung aus dem Untertanenverband für seinen Sohn Christian August ausführt: „…Hierzu tritt noch daß, bevor er sich dort die gegenwärtig inne habende Lebensstellung erwerben konnte, meinerseits nicht unbeträchtliche Opfer gebracht werden mußten, die dann als verloren anzusehen wären und dem Unterzeichnenden, der eine große Familie bei mäßigem Einkommen zu ernähren hat, würde es schwer fallen, ein solches Opfer für das Fortkommen seines Sohnes gebracht zu haben, wenn dasselbe nicht eine Lebensfrage für den Sohn beseitigt hätte…".¹³

    Aussicht auf Besitzerwerb und auf ein besseres Fortkommen, die Flucht aus bestehender Armut und die Pflicht zur Untersützung bedürftiger Verwandter treiben die jungen Leute zur Emigration, wie eine Passage aus dem Gesuch der Witwe Esther Maria Schwensen für ihren Sohn Martin aus dem Jahre 1872 zeigt:

    „…So lange ich meinen Mann hatte, lebte ich frei von Nahrungssorgen, als er mir aber im Jahre 1866 durch den Tod entrissen wurde, war ich auf den Verdienst meines jüngsten Sohnes Martin angewiesen, mein ältester Sohn Sören hatte sich bereits verheirathet und hatte genug mit seinem eigenen Hausstande zu thun. Mein Sohn Martin, dem es bei allem Fleiß schwer wurde, mich und sich selbst zu ernähren, glaubte aber für mich besser sorgen zu können, wenn er zur See ginge.

    Zu diesem Zweck verließ er mich und die Insel und ging im Jahre 1869 mit einem Passe nach Hamburg, wo er auch bald eine Gelegenheit fand, um nach Newyork in Amerika zu gehen. In Newyork angelangt fand er eine sehr vortheilhafte Anstellung bei einer Dampfschiffahrtsgesellschaft, bei welcher Gesellschaft er sich noch gegenwärtig befindet, sehr gut verdient und mir jährlich zu meiner Unterstützung und Erhaltung reichlich Geld sendet. …"¹⁴

    „…Sämmtliche Anwesende, waren damit einverstanden, daß dem p. Thygesen, die noch zu seiner Reise nöthigen Mittel, vom Armenvorstande auszuzahlen sein möchten, und nach Verhältniß, der bis jetzt aufgebrachten Armengelder zu repartiren seien…¹⁵

    Die Armut treibt auch die Familie Thygesen zur Auswanderung. Im Jahr 1873 reist die 10köpfige Familie nach Australien; sie sind so arm, dass der Vater bei der Keitumer Armenkasse um das Geld für die Reise bitten muss, welches ihnen auch gewährt wird. Für die Armenkasse ist sicher die einmalige Zahlung für die Ausreise wirtschaftlicher als die beständige Unter Stützung einer vielköpfigen Familie: Zudem verpflichtete sich Andreas Thygesen zur Rückzahlung des Darlehens, als er am 20. Juni 1873 den Erhalt des Reisegeldes bestätigt: „…und verpflichte ich mich sobald meine Verhältniße es erlauben, diese Summe dankbar an das Kirchspiel Keitum zurück zu erstatten"¹⁶

    Während ein Teil der Auwanderer um die Entlassung aus dem preußischen Staatsverband ersucht, reisen andere erst einmal mit Reisepass, der teilweise zeitlich begrenzt ist, oder ohne staatliche Erlaubnis, in die neue Welt. Doch der Staat vergisst die jungen Männer nicht. In den Tonderner Landrats-Akten finden sich zahlreiche Beispiele, dass die Eltern der jungen Männer vor den Gemeindevorsteher des Ortes zitiert werden, um über den Verbleib ihres wehrpflichtigen Sohnes Auskunft zu geben. Zuweilen haben die Eltern selbst seit längerer Zeit keine Nachricht erhalten, oder zumindest geben sie dieses vor. In den Quellen finden sich Aussagen wie die des Boy P. A. Lorentzen aus Morsum zur Situation seines Sohnes: „Mein Sohn ist im Frühjahr 1874 vom Bremen nach St. Francisco abgegangen, u. seit der Zeit dort sich aufgehalten. Seit einem Jahr befinde ich mich ohne Nachricht von ihm, und weiß ich jetzt nicht, ob derselbe todt oder am Leben sein wird. Boy A. P. Lorenzen"¹⁷

    Nachdem der Entschluß zur Reise gefaßt ist, die Anträge gestellt sind und die Reisevorbereitungen getroffen sind, kommt der Tag der Abreise und des Abschieds. Oft ist es ein Abschied für immer, andere Auswanderer kommen ein-oder mehrmals zu Besuch auf ihre Heimatinsel zurück.

    Zwei Eintragungen in einem Lister Tagebuch aus dem Jahre 1894 skizzieren den Aspekt der Abschieds. Der Lister Gemeindevorsteher Jes H. Paulsen notiert:

    „Morgens 8 Uhr fuhr ich Christine Weirup mit ihren drei kleinen Kindern hinunter nach Meinertz Fahrzeug, welcher dann mit ihnen nach Munkmarsch segelte, von wo sie um Mittag mit dem Dampfschiff nach Hoyer gehen und in Tondern übernachten, um Morgen früh mit dem Zuge nach Hamburg zu fahren, von wo sie am nächsten Sonntag nach Nord-Amerika auswandern. Von Hamburg aus reist Weirups ältester Sohn Carl und dessen Tante Tilde Weirup mit ihnen nach Amerika"¹⁸

    Christines Mann Sievert Weirup ist, wie nicht selten bei der Auswanderung von Familien, bereits vorausgereist, um Arbeit und Unterkunft zu finden. Er lebt seit Juni 1893 in Connecticut und arbeitet in seinem erlernten Beruf als Bäcker.

    Wenige Monate nach Christines Abreise begibt sich auch deren verwitwete Mutter auf den Weg in die neue Heimat: „Dienstag, den 14. August 1894 Morgens 8 Uhr segelte Caroline Jessen geb. Hautorn Lassen, welche gestern ihr 74. Lebensjahr erfüllte, von hier nach Hoyer ab in Begleitung von Niels Diedrichsen von hier und dessen Sohn Diedrich, welche sie bis Hamburg begleiten werden, von wo sie am Donnerstag nach Newjork in zweiter Kajüte abfahren wird. Zwölf Lister begleiteten sie bis ans Ufer"¹⁹

    Die 1820 in List geborene Caroline Jessen hatte zu Beginn des Jahres 1894 ihr Haus mit Garten in ihrem Heimatort List für 1800 Reichsmark verkauft und reist nun nach Hartford, Connecticut, wo nicht nur ihre Tochter mit Familie lebt, sondern wo sich auch ihr Sohn Ernst Hautorn Jessen bereits 1886 niedergelassen hat. Diese Familie bleibt auch in der neuen Heimat als Familienverband bestehen.

    Von Mutter Caroline berichten die Quellen nichts weiter; in der Volkszählung von 1900 ist sie weder im Haushalt des Sohnes noch dem der Tochter aufgeführt. Ihre Kinder und Kindeskinder jedoch lebten und arbeiteten in Connecticut und Nachkommen finden sich in den USA bis zum heutigen Tage.

    Bei der Auswanderung in die Vereinigten Staaten finden sich zahlreiche Beispiele für den Nachzug von Familienmitgliedern. Bei der hier beschriebenen Familie sind nicht nur Mutter, Sohn, Tochter, Schwiegersohn und Enkel ausgewandert. Peter und Konrad Weirup, zwei Brüder des Sievert Weirup, fanden ebenfalls ihren Weg in die USA. Auch aus anderen Sylter Familien zog die Emigraton eines Familienmitgliedes den Nachzug weiterer Familienmitglieder rnach sich. Als weitere Beispiele seien hier genannt die Brüder Knutzen aus Tinnum, die sich sich erfolgreich als Einzelhändler in Kalifornien niederliessen oder die Geschwister der Morsumer Familie Nissen, die ebenfalls als Kaufleute in den USA prosperierten.

    Neben den auswandernden Familien findet sich als zahlenmäßig größte Auswanderer-Gruppe die der jungen Männer, die bald nach ihrer Konfirmation und Schulentlassung das Abenteuer der Emigration wagten. Sie stehen in der Tradition der Sylter Seefahrer, die im Alter von 13, 14, 15 Jahren auf ihre erste Fahrt gingen. Und wenn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Seefahrt nicht mehr die gleichen Chancen bot wie in Generationen zuvor, so versprach nun die Reise in das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten" die Hoffnung auf Wohlstand, Erfolg und Abenteuer.

    Der Munkmarsche Hafen – für viele Auswanderer der letzte Blick auf die alte Heimat

    Die Mehrzahl der nordfriesischen Emigranten reiste von Hamburg ab, aber auch von Bremen oder Kopenhagen ging es nach Amerika. Bei den meisten reichte es nur für eine Passage im Zwischendeck, und selbst diese Ausgabe war für viele Familien nicht leicht aufzubringen.

    Wie sich so eine Reise im Zwischendeck gestalteten konnte, beschrieb eine Auswanderin von Föhr in ihren Memoiren: „Ich hatte keine Vorstellung davon, was es bedeutete ‘Zwischendeck’ zu reisen in jenen Tagen. An Bord hieß es, wir sollten die Treppe hinuntersteigen. Und als wir unten ankamen, was sahen wir da? Der große Schiffsraum war vollgestopft mit Holzgestellen auf kurzen Beinen. Quergelegte Bretter ergaben eine Art Pritsche. Darauf lagen dünne Matratzen aus Stroh – sonst nichts. Das sollten unsere ‘Betten’ sein! Reihe an Reihe standen sie, mit schmalen Gängen dazwischen. Man sollte eine Wolldecke mitbringen… Unter jedem Bett entdeckte ich einen Kübel, und an der Treppe sah ich ein großes Faß, über dessen Zweck ich mir nicht im klaren war… Als wir die freie See erreicht hatten, bekamen wir eine Ahnung davon, welche Strapazen uns bevorstanden. Das Schiff fing an zu schaukeln, und die ersten Mitreisen wurden seekrank. Sie erbrachen sich in die Kübel, die unter den ‘Betten’ standen; jetzt erfuhr ich auch die Bedeutung des großen Fasses an der Treppe: Dorthinein wurden die Eimer entleert!"²⁰

    * * *

    Für eine große Anzahl Sylter Auswanderer läßt sich nachweisen, dass sie in ihrer neuen Heimat ein gutes Auskommen fanden; sie arbeiteten als Farmer, Seeleute, Kaufleute oder Handwerker. Einige wurden wohlhabend und zuweilen gibt ein Spitzname hiervon Auskunft, wie z. B. bei Julius Matzen aus Morsum, der „Julius Dollar" genannt wurde und der sich nach seiner Rückkehr nach Deutschand wieder in Morsum niederließ.

    Die nachstehend abgebildete Anzeige²¹ aus einer Zeitung in Austin zeigt, worum es ging:

    SUCCESS -ERFOLG

    Erfolg, den die Gebrüder Nissen, ehemals aus Morsum, bei ihren kaufmännischen Unternehmungen in der neuen Heimat offensichtlich hatten.

    Doch nicht jede Emigration ist von Erfolg gekrönt: Von so manchem Emigranten verliert sich jede Spur, sie bleiben verschollen oder sie erlebten ein tragisches Ende.

    Ein Blick auf die Auswanderer der Familie Sobiela aus Keitum zeigt, wie unterschiedlich das Schicksal der Auswanderer sein konnte. Der 1821 geborene Franz Sobiela, der, nachdem er in Keitum eine Einheimische geheiratet und eine Familie gegründet hatte und später sein Glück in den USA suchte, blieb verschollen. Sein Sohn Jürgen, geboren 1858 in Keitum, erkrankte in Südamerika, kehrte nach Sylt zurück und starb am Strand von Westerland. Andere Mitglieder der Familie jedoch suchten und fanden Abenteuer und Auskommen in Übersee.

    Vom Ende einer alten Listerin, die nach Kaliforien ausgewandert war, erfahren wir durch einem Tagebucheintrag von 1894; es bleibt nichts als ein vergessener Korb: „…ferner brachte er (P. P. Friede) mit einen Schloßkorb mit den nachgelassenen Effecten der in Kalifornien verstorbenen Ingeline Borg, welcher Korb beinahe zwei volle Jahre unterwegs gewesen, respective in Bremen gestanden, weil die Adresse undeutlich gewesen oder verschwunden."²²

    * * *

    Viele der Sylter Auswanderer kamen auf die Insel zurück, um Verwandte und Freunde zu besuchen. Sie hatten bei den Behörden um Aufenthaltsgenehmigung zu ersuchen. In vielen Fällen geschah dies problemlos, doch waren die Besucher noch im wehrpflichtigen Alter, waren diese Gesuche an die preußische Bürokratie oft mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden.

    Jens Lorenz Matzen aus Morsum, der 1881 ordnungsgemäß mit Entlassungs-Urkunde aus dem preußischen Staatenverband entlassen worden war, hatte keine Schwierigkeiten beim Besuch in der Heimat. Sein Gesuch gibt einen Eindruck über Grund und Dauer des Besuchs sowie über seine Lebensverhältnisse in den USA:

    „23. Dezember 1887 Morsum

    An die Königl. Regierung in Schleswig

    Nachdem der gehorsamst Unterzeichnete sich heute unter Vorzeigung der Legitimationspapiere der hiesiegen Ortsbehörde gemeldet, möchte derselbe nunmehr bei der Hohen Königlichen Regierung die ganz ergebene Bitte aussprechen, hochdieselbe wolle ihm den Aufenthalt bei seinen Eltern und Geschwistern bis zum März 1888 gestatten.

    Mein Beruf ist Schiffer auf dem Michigan-See und der Verdienst deshalb während der Wintermonate unterbrochen, deshalb habe ich auf Wunsch meiner Eltern diese Periode benutzen wollen, um ihnen einmal wieder zu sehen und zu besuchen.

    Da die Hin-und Rückreise mit ziemlich hohen Kosten verbunden ist, hoffe ich, daß eine Hohe Königliche Regierung die gewünschte Erlaubniß nicht verkürzen wolle.

    Entlassungssurkunde liegt bei

    Es zeichnet allerunterthänigst

    Jens Lorenz Matzen"

    Zur Unterstützung dieses Gesuchs bestätigt der Gemeindevorsteher Thiesen das vorher Gesagte und meldet, dass Matzen am 15. Dezember über England in Hamburg ankam. Ein beiliegendes Attest des Landschaftsarztes Dr. Nicolas bescheinigt Matzens Erholungsbedürftigkeit.

    Die Königliche Regierung in Schleswig gewährt eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 15. März 1888. Matzen reist am 4. März 1888 ab, wie das Landratsamt Tondern die vorgesetzte Behörde in Schleswig informiert.²³

    Ganz anders verlief das Geschehen im Falle des Martin Matzen Schwensen. Dieser war bereits in den USA, als seine Mutter für ihn im Jahre 1872 einen Antrag zur Entlassung aus dem preußischen Untertanenverband stellte. Der Antrag wurde abgelehnt mit der Begründung, dass Schwensen selbst diesen nicht unterzeichnet und er zudem seine Wehrpflicht noch nicht abgeleistet habe.

    Als Schwensen 1886, nach dem Tode seiner Mutter und gesundheitlich geschwächt, nach Sylt zurückkehrte in der Hoffnung auf Genesung und ein finanzielles Auskommen, wird sein Antrag auf Aufenthalt auf Sylt von den Behörden abgewiesen. Er erhält den Ausweisungs-Bescheid, dass er binnen eines Monats auszureisen habe, da er sich seiner Wehrpflicht entzogen hatte.

    Die Emigranten, die nach mehreren Jahren im Ausland und meist nach Erlangung der amerikanischen Staatsbürgerschaft²⁴ ihre Heimat besuchten, freuten sich nicht nur, einige Zeit im Kreise der Familie verbringen zu können. Sie brachten auch Bücher und Nachschlagwerke, Anregungen und neue Ideen mit, wie dieser Tagebucheintrag zeigt:

    „Von dem Sylter-Amerikaner Carl Petersen (Sohn des Peter Andr. Petersen) bekam ich zugesandt zum durchsehen das goße Amerikanische Bilderwerk: ‘The dream City a Portfolio of Photographic Views Worlds of the Columbian Exposition’".²⁵

    Auch gab es Besuche in der Gegenrichtung: Am 11. Mai 1893 schifften sich die Morsumer Honoratioren Boy A. Simonsen, Peter C. Nissen, Andreas B. Simonsen und Boy B. Oben in Hamburg auf der „Normannia" ein. Alle hatten Verwandte in Übersee und alle sind nur für eine begrenzte Zeit in Amerika.

    Sie reisen in 2. Kajüte, man hat es hier bequemer als im Zwischendeck. Der 15jährige Julius Matzen aus Morsum reist mit ihnen. Auf dem gleichen Schiff findet sich auch der junge Carl N. Jensen aus Morsum, der zusammen mit Ole Petersen reist. Weiter sind die Sylter Peter Dirk Petersen und Andreas C. Johannsen an Bord. Man sieht es

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