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Mein Freund Tutenchamun: Gesamtausgabe
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Mein Freund Tutenchamun: Gesamtausgabe

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Alfred Bekker 
Mein Freund Tutenchamun 
Gesamtausgabe (Band 1 + 2 in einem Band) 
Umfang: 200 Seiten
Die Abenteuer des zehnjährigen Herkos am Hof des jungen Pharao Tutenchamun. 

Falsche Mumien 

Staub wirbelte hoch. Pferde wieherten laut auf, und Herkos sah den Streitwagen auf sich zu rasen. Die Pferde schienen vollkommen außer Kontrolle geraten zu sein. 
Der zehnjährige Junge stand da und für einen kurzen Moment war er wie erstarrt. Ein Schrei schrillte ihm entgegen. In der dichten Staubwolke, die den dahin rasenden Streitwagen umgab, war so gut wie nichts vom Wagenlenker zu sehen, außer einem Schatten. 
Der Wagen hob sich dunkel gegen die im Osten aufgehende Sonne ab und raste Richtung Westen. 
Der Westen – das war für die Bewohner Ägyptens ein anderes Wort für Totenreich. Denn im Westen ging die Sonne unter. Sie starb ebenso wie der Mensch, verschwand am Abend hinter dem Horizont und weilte dann in der Nacht im Totenreich, ehe sie am Morgen im Osten wieder aufging. 
Die Westlichen nannte man deshalb auch die Toten – und obwohl der zehnjährige Herkos kein Ägypter war und auch nicht an die Götter dieses Landes glaubte, wurde ihm nun, beim Anblick des Streitwagens doch ganz anders. 
Mit der aufgehenden Morgensonne im Rücken sah es nämlich fast so aus, als würde Osiris, der Herr des Totenreichs selbst, auf ihn zufahren. 
Herkos war schon lange genug in Ägypten, um all die Geschichten über Osiris gehört zu haben. Aber bisher hatte er immer an den Göttern seiner eigenen, fernen Heimat festgehalten und in den Legenden der Ägypter nur spannende Erzählungen gesehen. Osiris war ermordet worden und später wieder auferstanden - und nur durch diesen Mord war das Totenreich überhaupt entstanden, dessen Herr er seitdem war. 
Konnte es vielleicht sein, dass der Totengott gekommen war, ihn zu holen? 
Wenn er ein grünes Gesicht und einen Krummstab hat, dann ist er es!, dachte Herkos. Dann gibt es diesen Gott der Unterwelt wirklich, der über die Toten zu Gericht sitzt! 
Und tatsächlich. Der Umriss eines Krummstabs war als Schattenriss vor der Sonne für einen Moment deutlich zu erkennen.

LanguageDeutsch
Release dateOct 13, 2018
ISBN9781513031934
Mein Freund Tutenchamun: Gesamtausgabe
Author

Alfred Bekker

Alfred Bekker wurde am 27.9.1964 in Borghorst (heute Steinfurt) geboren und wuchs in den münsterländischen Gemeinden Ladbergen und Lengerich auf. 1984 machte er Abitur, leistete danach Zivildienst auf der Pflegestation eines Altenheims und studierte an der Universität Osnabrück für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Insgesamt 13 Jahre war er danach im Schuldienst tätig, bevor er sich ausschließlich der Schriftstellerei widmete. Schon als Student veröffentlichte Bekker zahlreiche Romane und Kurzgeschichten. Er war Mitautor zugkräftiger Romanserien wie Kommissar X, Jerry Cotton, Rhen Dhark, Bad Earth und Sternenfaust und schrieb eine Reihe von Kriminalromanen. Angeregt durch seine Tätigkeit als Lehrer wandte er sich schließlich auch dem Kinder- und Jugendbuch zu, wo er Buchserien wie 'Tatort Mittelalter', 'Da Vincis Fälle', 'Elbenkinder' und 'Die wilden Orks' entwickelte. Seine Fantasy-Romane um 'Das Reich der Elben', die 'DrachenErde-Saga' und die 'Gorian'-Trilogie machten ihn einem großen Publikum bekannt. Darüber hinaus schreibt er weiterhin Krimis und gemeinsam mit seiner Frau unter dem Pseudonym Conny Walden historische Romane. Einige Gruselromane für Teenager verfasste er unter dem Namen John Devlin. Für Krimis verwendete er auch das Pseudonym Neal Chadwick. Seine Romane erschienen u.a. bei Blanvalet, BVK, Goldmann, Lyx, Schneiderbuch, Arena, dtv, Ueberreuter und Bastei Lübbe und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

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    Mein Freund Tutenchamun - Alfred Bekker

    Mein Freund Tutenchamun: Gesamtausgabe

    Alfred Bekker

    Published by BEKKERpublishing, 2018.

    Inhaltsverzeichnis

    Title Page

    Alfred Bekker | Mein Freund Tutenchamun | Gesamtausgabe

    Falsche Mumien

    Grabräuber

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    Also By Alfred Bekker

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    About the Publisher

    Alfred Bekker

    Mein Freund Tutenchamun

    Gesamtausgabe

    EIN CASSIOPEIAPRESS E-Book

    © by Author

    © der Digitalausgabe 2013 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

    www.AlfredBekker.de

    Falsche Mumien

    STAUB WIRBELTE HOCH. Pferde wieherten laut auf, und Herkos sah den Streitwagen auf sich zu rasen. Die Pferde schienen vollkommen außer Kontrolle geraten zu sein.

    Der zehnjährige Junge stand da und für einen kurzen Moment war er wie erstarrt. Ein Schrei schrillte ihm entgegen. In der dichten Staubwolke, die den dahin rasenden Streitwagen umgab, war so gut wie nichts vom Wagenlenker zu sehen, außer einem Schatten.

    Der Wagen hob sich dunkel gegen die im Osten aufgehende Sonne ab und raste Richtung Westen.

    Der Westen – das war für die Bewohner Ägyptens ein anderes Wort für Totenreich. Denn im Westen ging die Sonne unter. Sie starb ebenso wie der Mensch, verschwand am Abend hinter dem Horizont und weilte dann in der Nacht im Totenreich, ehe sie am Morgen im Osten wieder aufging.

    Die Westlichen nannte man deshalb auch die Toten – und obwohl der zehnjährige Herkos kein Ägypter war und auch nicht an die Götter dieses Landes glaubte, wurde ihm nun, beim Anblick des Streitwagens doch ganz anders.

    Mit der aufgehenden Morgensonne im Rücken sah es nämlich fast so aus, als würde Osiris, der Herr des Totenreichs selbst, auf ihn zufahren.

    Herkos war schon lange genug in Ägypten, um all die Geschichten über Osiris gehört zu haben. Aber bisher hatte er immer an den Göttern seiner eigenen, fernen Heimat festgehalten und in den Legenden der Ägypter nur spannende Erzählungen gesehen. Osiris war ermordet worden und später wieder auferstanden - und nur durch diesen Mord war das Totenreich überhaupt entstanden, dessen Herr er seitdem war.

    Konnte es vielleicht sein, dass der Totengott gekommen war, ihn zu holen?

    Wenn er ein grünes Gesicht und einen Krummstab hat, dann ist er es!, dachte Herkos. Dann gibt es diesen Gott der Unterwelt wirklich, der über die Toten zu Gericht sitzt!

    Und tatsächlich. Der Umriss eines Krummstabs war als Schattenriss vor der Sonne für einen Moment deutlich zu erkennen.

    So viele Gedanken schwirrten dem jungen Herkos in diesem einzigen Moment durch den Kopf.

    Früh am Morgen war er losgegangen, immer am Flussufer des Nil entlang, noch bevor die Fellachen genannten Bauern auf ihre Felder gingen oder die Nilschiffe den Fluss auf und ab fuhren. Und vor allem bevor Herkos seinen Verpflichtungen am Palast nachkommen musste.

    Schon drei Jahre lebte der Junge am Hof des Pharao als Geisel. Er wurde in ägyptischer Sprache und Schrift ausgebildet und hatte ein ebenso gutes Leben wie die Prinzen und Prinzessinnen.

    Das war auch richtig so, denn er war ja auch ein Prinz – der Sohn eines Königs, der über die ferne Insel Kreta herrschte und mit dem Pharao verbündet war.

    Solange sich beide Reiche gut verstanden, würde es auch Herkos am ägyptischen Hof gut gehen. Aber falls es seinem Vater vielleicht einfallen sollte, die Feinde des Pharao zu unterstützen, wäre es ihm natürlich schlecht ergangen.

    Deswegen wuchs Herkos nicht zu Hause auf Kreta, sondern hier, in diesem fremden Land auf.

    Wieder drang ein schriller Schrei an Herkos Ohren.

    Im letzten Moment sprang Herkos zur Seite. Er landete hart auf dem trockenen, steinigen Boden. Der Wagen raste dicht an ihm vorbei.

    Herkos rappelte sich sofort wieder auf und war einen Augenblick später wieder auf den Beinen. Das aschblonde Haar war allerdings ziemlich zerzaust und die edle weiße Tunika ganz verdreckt.

    Der Wagen raste unterdessen weiter, geradewegs auf den Sumpf am Flussufer zu, wo die Papyrusstauden wuchsen und manchmal noch Nilkrokodile auf Beute lauerten. 

    Der Wagen rumpelte und jetzt sah Herkos auch zumindest von hinten denjenigen, der dieses rasend schnelle Gefährt lenkte.

    Osiris war es jedenfalls nicht, denn seine Haut war nicht grün wie die eines Leichnams.

    Es war auch kein Krieger des Pharao. Keiner der vielen tausend Soldaten, die in seinem Dienst standen, worunter die Wagenlenker und Bogenschützen normalerweise diejenigen waren, die am höchsten bezahlt wurden und die meisten Vorrechte genossen.

    Auf diesem Wagen stand nur ein Junge, der von seiner Gestalt her nicht älter als Herkos selbst sein konnte.

    Er hielt die Zügel mit seinen Händen, und mit der Linken zusätzlich noch einen Krummstab. Der Junge balancierte auf dem Wagen, der wie ein bockiges Pferd in die Höhe sprang, wenn er über eine Unebenheit oder durch Schlaglöcher fuhr. Trotz allem schien der Junge sehr geschickt und sicher. Genau so, wie Herkos es bei den besten Wagenlenkern gesehen hatte, wenn sie vor dem Pharao über die breiten Prachtstraßen der Hauptstadt fuhren, nachdem sie von einem siegreichen Feldzug zurückkehrten. Der Junge auf dem Wagen – wer immer er auch sein mochte – musste schon sehr viel Übung in dieser Kunst haben. Andernfalls wäre er wahrscheinlich schon längs in den Staub geschleudert worden.

    Nun hatte der Wagen das feuchte, schlammige Ufer erreicht und wurde langsamer. Die Räder blieben wenig später im Morast stecken. Die Pferde wieherten und schnaubten, aber so sehr sie auch zogen, sie konnten den Wagen nicht mehr weiter ziehen.

    Der Junge auf dem Wagen versuchte beruhigend auf die Tiere einzureden, aber die schienen ihn gar nicht weiter zu beachten. Irgendetwas war in sie gefahren, das sie vollkommen wild werden ließ.

    Herkos stockte der Atem, als er den Jungen auf dem Wagen erkannte.

    Das war niemand anderes als der kindliche Pharao Tutenchamun, der seit einem Jahr auf dem Thron der beiden Länder saß, wie die Ägypter selbst ihr Reich nannten.

    Genau wie Osiris als König der Unterwelt trug auch der Pharao einen Krummstab als Zeichen seiner Herrschaft.

    Osiris wäre allerdings mit seiner göttlichen Zauberkraft sicher einfach über den Fluss gefahren und nicht im Schlamm stecken geblieben!, ging es Herkos durch den Kopf. Für den Pharao hingegen galten, zumindest was dies betraf, dieselben Regeln wie für jeden gewöhnlichen Wagenlenker und sogar einen Fellachen, der seinen Ochsenkarren vorantrieb.

    Herkos kannte Tutenchamun vom Sehen her, aber sie hatten noch nie miteinander gesprochen. Er konnte sich noch gut an die Krönungszeremonien erinnern. Nie zuvor hatte er ein größeres Fest erlebt. Und in seiner Heimat wäre das, was er hier erlebt hatte, wohl so gut wie unvorstellbar gewesen.

    Herkos näherte sich dem Wagen. Er sank bis zu den Knöcheln in den Schlamm ein. Die Ledersandalen waren damit ruiniert, und Herkos machte sich schon darauf gefasst, dass man ihn deswegen später ausschimpfte. Aber das war ihm jetzt gleichgültig, schließlich war der Pharao selbst in Schwierigkeiten. Und Herkos sah es als seine Pflicht an, ihm zu Hilfe zu eilen.

    Schließlich kannte er sich mit Pferden aus wie kaum ein Zweiter. Er stapfte bis zu dem Zweiergespann. Die Tiere zogen heftig an ihren Geschirren. Aber die Wagenräder bewegten so gut wie gar nicht mehr. Eine halbe Umdrehung, mehr ging es nicht mehr voran.

    Herkos näherte sich den Pferden von der Seite. Dann bekam er eines von ihnen am Geschirr zu fassen und berührte es an den Nüstern. Es beruhigte sich und das wirkte auch auf das zweite Tier. Herkos schaffte es innerhalb kurzer Zeit, beide Tiere wieder zu handzahmen, folgsamen Tieren zu machen. Eines von ihnen war ein Apfelschimmel. Der schnaubte noch ein paar mal, so als wollte er gegen Herkos' Beruhigungsmethoden protestieren. Aber es dauerte gar nicht lange und beide Tiere waren vollkommen friedlich.

    Der kindliche Pharao hatte aufmerksam zugesehen.

    „Bravo! Amun hat dir die Macht gegeben, mit Pferden zu sprechen!"

    Herkos ließ das Geschirr des Apfelschimmels los. Er verneigte sich, denn schließlich stand er vor niemand geringerem als dem Pharao, dem Herrscher der beiden Länder Ober- und Unterägypten. Mit erst neun Jahren war der auf den Thron gekommen. Herkos hatte ihn schon oft im Palast gesehen. Zum Beispiel dann, wenn die Audienz abgehalten wurde, während er die hohen Wesire des Reiches empfing. Oder wenn er an den heiligen Zeremonien teilnahm. Der Pharao war für die Menschen seines Landes nicht nur ein König, der Recht sprach und die Armee befehligte und in dessen Namen Steuern eingetrieben wurden. Er bedeutete viel mehr für sie. Er sorgte dafür, dass die Sonne aus dem Totenreich jeden Tag wieder aufstieg und dass in jedem Jahr die Nilflut kam, die fruchtbaren Schlamm aus den Ländern im Süden nach Ägypten spülte. Und ohne diesen Schlamm hätte es keine Ernte gegeben und sehr bald hätte die Wüste bis zu den Ufern des Nil gereicht. Hunger und Not hatte es in den wenigen Jahren, in denen die Flut nicht gekommen war, in beiden Ländern des Pharao gegeben und obgleich die letzte Katastrophe dieser Art schon zu lange her war, als dass irgendjemand, der heute lebte, dies noch selbst hätte erdulden müssen, erzählte man noch heute davon.

    „Ich bitte um Verzeihung, mein Pharao, aber mir schien, dass du in großen Schwierigkeiten wärst!", sagte Herkos. Er beherrschte die Sprache der Ägypter inzwischen genauso perfekt, als wäre er hier geboren worden und hätte sein Lebtag nichts anderes gesprochen.

    „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, sagte Tutenchamun. „Ich war wirklich in großer Not. Mit den Pferden war irgend etwas. Vielleicht ist ein Dämon in sie gefahren. Aber um ehrlich zu sein glaube ich eher, dass es die Bienen waren, die plötzlich auftauchten und den Pferden so zusetzten.

    „Bienen?", wunderte sich Herkos.

    Der Pharao stieg vom Wagen herunter. Dass auch er bis zu den Knöcheln in den Schlamm einsank, schien ihm gar nichts weiter auszumachen.

    Aber das liegt vielleicht auch daran, dass ihn niemand wegen der verdorbenen Ledersandalen ausschimpfen wird – mich aber schon!, ging es Herkos durch den Kopf. 

    „Wie heißt du?", fragte der Pharao.

    Herkos neigte den Kopf.

    „Mein Name ist Herkos."

    „Ich sehe jeden Tag hunderte von Menschen und wahrscheinlich hat mir zumindest jeder Einwohner der Hauptstadt schon mal gegenübergestanden – so kommt mir auch dein Gesicht irgendwie bekannt vor."

    „Ich wohne seit drei Jahren im Palast", sagte Herkos.

    „Dann bist du länger dort als ich!, stellte Tutenchamun überrascht fest. „Ich kam ja erst hier her, nachdem mein Vorgänger Semenchkare so plötzlich starb... Und ich weiß bis heute nicht, ob es die Götter wirklich gut mit mir gemeint haben, als sie dadurch dafür sorgten, dass ich auf den Thron kam.

    „Du bist der Sohn des berühmten Pharao Echnaton, von dem man sogar bei uns auf Kreta erzählte, sagte Herkos etwas überrascht. „Wieso kannst du es bedauern, auf dem Thron zu sein?

    „Oh, bedauern ist das falsche Wort, erwiderte Tutenchamun. „Du hast Recht, ich bin der Sohn von Echnaton – aber es müsste wohl vollständig heißen: Der letzte Sohn von Echnaton. Wie mein Halbbruder Semenchkare starb, ist nie wirklich aufgeklärt worden. Vielleicht war es die Rache des Gottes Amun für das, was mein Vater getan hat... Tutenchamun zuckte mit den Schultern. „Immerhin hat er alle Götter abschaffen und durch einen einzigen Gott ersetzen wollen. Das hat man ihm vielleicht übel genommen und ich fürchte, das gilt auch für seine Nachfahren... Er zuckte mit den Schultern. „Es geschieht, was die Götter bestimmen. Was wir tun oder lassen ist sowieso nicht wichtig, denn jeder von uns wird viel länger im Totenreich bei den Westlichen sein, als bei den Lebenden. Darum kommt es eher darauf an, wie wir nach dem Tod weiterleben, als dass wir uns große Sorgen über das Hier und Jetzt machen sollten.

    Herkos verneigte sich etwas.

    Normalerweise hätte Herkos seinem Gegenüber gerne widersprochen, denn er war ganz anderer Ansicht. Alles nur auf die Götter zu schieben, fand er nicht richtig. Es kam seiner Meinung nach durchaus darauf an, was man selbst tat. Und was nach dem Tod war, konnte niemand wissen, denn kein Mensch war bisher aus dem Totenreich zurückgekehrt.

    Aber manchmal ertappte sich Herkos inzwischen dabei, an dem zu zweifeln, was er in seiner Heimat gelernt hatte. Schließlich beschäftigten sich die Ägypter Zeit ihres Lebens sehr intensiv damit, was sie nach dem Tod erwartete. Konnten all diese Menschen sich so sehr irren? Sollten all diese großen Bauwerke, die Pyramiden, die Grabstätten, die riesenhaften Totentempel am Ende umsonst gebaut worden sein? Das war schwer vorstellbar, fand Herkos inzwischen. Und so stand es in der Frage, ob die Ägypter vielleicht Recht damit hatten, sich so intensiv auf das Jenseits vorzubereiten, für den jungen Kreter inzwischen unentschieden.

    „Du bist einer von den Geiseln!, stieß Tutenchamun dann hervor. „Deswegen kenne ich dein Gesicht.

    „Ja, das ist wahr", nickte Herkos.

    Tutenchamun lachte. „Und was machst du hier in aller Frühe?"

    „Ich wollte ungestört am Fluss entlanggehen. Es gibt hier so viel zu entdecken um diese Zeit. All die Vögel und Tiere... Später am Tag trifft man sie nicht mehr und außerdem muss ich dann am Unterricht teilnehmen, um eure Sprache noch perfekter zu beherrschen."

    „Wenn es nach mir ginge, würde ich dich von dieser lästigen Pflicht gerne befreien, meinte der Pharao schmunzelnd. „Aber leider habe ich in vielen Bereichen noch keine Befugnisse, weil ich zwar Pharao bin, aber trotzdem als Kind gelte und über viele Dinge mein Großwesir entscheidet.

    „Das wusste ich nicht."

    „Ich sorge dafür, dass die Nilflut kommt und die Sonne von  den Westlichen zurückkehrt – das traut man mir zu. Aber nicht, die Staatsgeschäfte zu führen!", bekannte Tutenchamun.

    Die beiden Jungen wechselten einen etwas längeren Blick. 

    Seltsam, dachte Herkos, eigentlich scheint er ein ganz normaler Junge zu sein. Bisher hatte der kretische Prinz den Pharao eigentlich immer nur als jemanden kennen gelernt, der wie ein gottgleiches Wesen verehrt wurde und vor dem sich alle verneigten. Jemand, der in den Tempelzeremonien eine wichtige Rolle spielte und von dem unvorstellbar viel abhing. Jetzt schien ihn gar nichts von Herkos zu unterscheiden – außer vielleicht die Farbe der Haare. Denn die Haare Tutenchamuns waren viel dunkler als die von Herkos.

    „Eigenartig, sagte der junge Pharao. „Wir haben wohl beide denselben Grund, um so früh am morgen hier her zu kommen.

    „Es wundert mich, dass du dich das traust", meinte Herkos.

    „Weshalb?"

    „Na, du bist der Pharao – nicht irgendein Junge. Hast du keine Angst, dass irgendwo Feinde auf dich lauern?"

    „Welche Feinde? Das Volk liebt mich, denn es weiß, dass ich die Ernte ermögliche! Feinde habe ich eher im Palast und so kann es draußen für mich kaum gefährlicher sein, als dort. Er seufzte. „Es ist interessant sich mit dir zu unterhalten. Wir sollten das öfter tun.

    „Nichts dagegen", meinte Herkos.

    „Vielleicht können wir uns ja auch im Palast sehen."

    „Sicher..."

    „Immerhin kann ich mir bei dir sicher sein, dass du nicht nur deshalb meine Nähe suchst, weil du gerne ein Amt verliehen bekommen möchtest oder dir irgendwelche anderen Vorteile versprichst, wie so viele andere."

    In diesem Punkt hatte der Pharao natürlich recht. Herkos blieb letztlich ein Fremder, der eines Tages nach Kreta zurückkehren würde. Eine Karriere am Hof des Pharao war für ihn ohnehin nicht vorgesehen. 

    Herkos Aufmerksamkeit war etwas abgelenkt. Er strich über das Fell des Apfelschimmels, der besonders schwer zu beruhigen gewesen war. Da klebte etwas. In dem kurzen Fell des Pferdes.

    Herkos nahm die Hand zur Nase und roch daran. Dann wandte er sich an Tutenchamun.

    „Hast du nicht gesagt, dass Bienen die Pferde vielleicht so verrückt gemacht haben könnten?"

    Tutenchamun runzelte die Stirn mit den aufgemalten Augenbrauen. Den herrschaftlichen Krummstab hatte er sich ausnahmsweise hinter den Gürtel gesteckt, um die Hände frei zu haben, obwohl das eigentlich nicht einmal ein Pharao machte.

    Schließlich nickte der kindliche Herrscher. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Bienen waren."

    „Das wäre kein Wunder!", lautete Herkos' Ansicht.

    „Gehört nicht nur Pferde beruhigen, sondern auch noch Hellseherei zu deinen Talenten", wollte Tutenchamun mit noch stärker gerunzelter Stirn wissen.

    „Nein – aber es ist Honig auf dem Pferderücken. Es ist doch klar, dass die Bienen das Pferd verfolgt und völlig verrückt gemacht haben."

    Honig auf dem Pferderücken? Das war wirklich eigenartig und der junge Pharao trat sofort neben Herkos und überprüfte das mit eigenen Händen. Auch er roch an dem, was an seinen Fingern hängen geblieben war. Tatsächlich, da konnten keinerlei Zweifel bestehen.

    Seine Stirn hatte sich nun umwölkt.

    „Schnell!, forderte er dann. „Hilf mir, den Wagen wieder flott zu machen, damit wir zurückkehren können!

    „Aber du solltest darüber nachdenken, wer dir vielleicht Übles will, mein Pharao", gab Herkos zu bedenken.

    Tutenchamun nickte. „Ein übler Streich, der mir da gespielt wurde!"

    „Nein, das war mehr als ein Streich. Da wollte jemand, dass  die Pferde durchgehen und du vielleicht mit dem Wagen verunglückst!"

    Der Pharao wog den Kopf hin und her.

    Davon, so schien es Herkos, wollte der junge Herrscher nichts wissen, obgleich es für diese Entdeckung eigentlich kaum eine andere Erklärung gab.

    „Ich glaube, du übertreibst, sagte er. „Und jetzt hilf mir, den Wagen aus dem Dreck zu ziehen. Ich muss nämlich dringend zurück in den Palast. Und ich fürchte, du auch!

    AUCH WENN HERKOS EINE Geisel am Hof des Pharao war, so war er keineswegs eingesperrt und hatte große Freiheiten, sofern er an den Fest-Zeremonien am Hof teilnahm und seinen Unterricht nicht vernachlässigte. Darauf legten die Ägypter nämlich wert. Jede Geisel sollte so gut wie möglich die Sprache des Landes erlernen, denn irgendwann kehrten Jungen wie Herkos ja in ihre Heimat zurück. Und

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