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Namenlos - das andere Ich: Tagebuchaufzeichnungen - Spuren eines anderen Lebens
Namenlos - das andere Ich: Tagebuchaufzeichnungen - Spuren eines anderen Lebens
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Namenlos - das andere Ich: Tagebuchaufzeichnungen - Spuren eines anderen Lebens

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Ein überquellender Briefkasten, ein aufmerksamer Briefträger, die von ihm alarmierten Polizeibeamten, welche die Türe öffnen, im Haus und Grundstück erfolglos nach der Bewohnerin suchen - sie alle bringen den Stein ins Rollen:
Auf nationaler und später internationaler Ebene wird in der Folge nach ihr, der einst hoch gerühmten Fotografin und Berichterstatterin gefahndet, die mit ihren beeindruckenden, engagierten Reportagen von grandiosen und meist unwirtlichen Landstrichen Zeugnis ablegte.
Diese erzählen vom Überleben der Pflanzen, Tiere und Menschen in solchen, von Extremen bestimmten Regionen und treten den Beweis an für die Kraft, Ausdauer, den Erfindungsreichtum, die unfassbare Vielfalt und Schönheit des Lebens auf unserer Erde. Die Suche ist schließlich erfolgreich - was bleibt, ist eine tote Frau und ein Tagebuch, das von ihrer letzten Reise berichtet.
Die Flechten, Doppelwesen aus Pilzen und Algen, sind Repräsentanten einer Welt, in der - zumindest zeitweise - vom Mangel bestimmte Lebensbedingungen spezifische Anpassungen erfordern, eine vom Prinzip her symbiotische Lebensweise die Basis für ein gemeinsames Überleben bedeutet.
LanguageDeutsch
Release dateJul 30, 2013
ISBN9783732216949
Namenlos - das andere Ich: Tagebuchaufzeichnungen - Spuren eines anderen Lebens

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    Namenlos - das andere Ich - Inge Rosnitschek-Schimmel

    Inge Rosnitschek-Schimmel

    namenlos – das Andere Ich

    Tagebuchaufzeichnungen – Spuren eines anderen Lebens

    Books on Demand

    – für Saskia und Helmut –

    Inhalt

    Vorwort

    Von Flechten und Menschen

    rustici pauperrimi

    I. Teil

    Spurensuche

    1. Der Briefträger

    2. Die Ermittlung

    3. Fährtensucher

    4. Der Polizist

    II. Teil

    Das Tagebuch

    September

    22. September

    21. September

    20. September

    19. September

    18. September

    17. September

    16. September

    15. September

    14. September

    13. September

    12. September

    11. September

    10. September

    9. September

    8. September

    7. September

    3. September

    2. September

    1. September

    August

    31. August

    30. August

    29. August

    28. August

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    4. August

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    1. August

    Juli

    31. Juli

    30. Juli

    29. Juli

    28. Juli

    26. Juli

    23. Juli

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    Juni

    30. Juni

    29. Juni

    28. Juni

    27. Juni

    26. Juni

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    24. Juni

    22. Juni

    21. Juni

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    3. Juni

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    1. Juni

    Mai

    29. Mai

    27. Mai

    25. Mai

    24. Mai

    23. Mai

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    21. Mai

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    14. Mai

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    5. Mai

    3. Mai

    2. Mai

    1. Mai

    April

    29. April

    28. April

    27. April

    26. April

    24. April

    23. April

    20. April

    18. April

    17. April

    16. April

    15. April

    8. April

    7. April

    6. April

    5. April

    4. April

    3. April

    2. April

    1. April

    März

    28. März

    20. März

    18. März

    15. März

    9. März

    8. März

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    1. März

    Februar

    28. Februar

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    25. Februar

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    22. Februar

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    6. Februar

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    Januar

    31. Januar

    27. Januar

    24. Januar

    21. Januar

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    11. Januar

    8. Januar

    5. Januar

    3. Januar

    2. Januar

    Dezember

    31. Dezember

    24. Dezember

    21. Dezember

    III. Anhang

    Miigwech!

    Literaturverzeichnis

    Inge Rosnitschek-Schimmel,

    geboren 1949, aufgewachsen in Oberbayern, ist promovierte Biologin (Universität München), aber auch Malerin und Schriftstellerin. Sie arbeitete als Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Zellbiologie in Wilhelmshaven (Forschung) und an der Universität Bayreuth (Forschung und Lehre). Seit längerem lebt sie mit ihrer Familie in Mittelfranken.

    Ab 1985 veröffentlichte sie außer ihren wissenschaftlichen Publikationen auch Lyrik und Prosa in Zeitschriften und Anthologien, sowie 2004 den Briefroman »Blindgänger – des Zaunkönigs Botschaft« (ISBN 3-8334-0866-9).

    Das wichtigste Thema ihrer Malerei, die sie in zahlreichen Ausstellungen präsentierte, ist zweifellos »die Natur« - in ihrer Vielfalt, ihrem Erfindungsreichtum, ihrer Schönheit und ihrer Gefährdung insbesondere durch den Menschen.

    Des Öfteren kombiniert sie dabei auch ihre Texte mit ihren Bildern, z.B. 1997: »Einblicke in Gärten« und »Sehen – ein Tor zur Erkenntnis«, 1999: »An-Sicht, Aus-Sicht, Ein-Sicht«.

    2007 bot die Künstlerin Schuberts

    »Winterreise« sozusagen »dreidimensional« dar - mit einer Ausstellung ihrer Bilder und Lesung ihrer zwei Prosatexte zu diesem Thema, verbunden mit einer konzertanten Aufführung des Liederzyklus durch zwei Musiker.

    Der enge Bezug zur Musik wird auch in dem oben erwähnten Briefroman ganz deutlich.

    Quartett für vier bedrohte Flechtenarten

    Teloschistes chrysophthalmus

    »In Mitteleuropa ausgestorben!« *),

    (FP 8) unten rechts

    Caloplaca rubelliana

    »Selten, in Deutschland verschollen!« *),

    (FP 9) unten links

    Lobaria pulmonaria

    »Stark gefährdet!« *)

    (FP 10) oben links

    Ramalina fastigiata

    »Wegen geringer Toxitoleranz

    sehr selten geworden!« *)

    (FP 11) oben rechts

    Gesamtbild (FP 8-11): 40 X 50 cm

    (Zeichnung: I.R.-S. / Pastellkreide, Farbstifte, Tusche)

    *) zitiert aus L-58 (Wirth 1987, 1995)

    Vorwort

    Von Flechten und Menschen

    Dieses Buch – in dem meine Interessen und Aktivitäten als Biologin, Malerin und Autorin zusammenfließen – möchte ich denjenigen Lebewesen widmen, die 1753 der berühmte Carl von Linné als »armseligster Pöbel« (= lat.: rustici pauperrimi) bezeichnete.

    Solchermaßen beurteilte er eine Gruppe von Pflanzen, welche er als Algen betrachtete, und fasste sie in seinem »systema naturae« zu einer systematischen Einheit von 80 Arten unter dem Gattungsnamen »Lichen« zusammen. Etwa 300 v. Chr. hatte der griechische Naturphilosoph Theophrastus bereits die Auswüchse an der Borke von Olivenbäumen als »leiken« (= Baum-Moos) bezeichnet und 1694 der französische Botaniker de Tournefort in Anlehnung daran die Flechten von den Moosen mit dem Gattungsnamen »Lichen« abgegrenzt. Und heute? Die Angaben bezüglich der Artenzahl der Flechten (Lichenes) liegen derzeit in der Größenordnung von 14000 – 17000!

    (L-45, Masuch 1993, S. 378 und L-49, Schöller 1997, S. 77)

    Wie würde Linné – mit dem heutigen Wissen um diese Vielfalt – »Lichen« wohl jetzt bezeichnen? Rustici pauperrimi?

    Flechten mit dem Artenbegriff eindeutig zu definieren und in ein taxonomisches System einzuordnen, ist nicht unproblematisch. Handelt es sich doch in diesem Fall um einen Zusammenschluss von Pilzen und Algen, bzw. Cyanobacterien.

    Diese Doppelnatur der Flechte wurde von der Wissenschaft 1981 folgendermaßen definiert: »Eine Flechte ist eine Assoziation eines Pilzes und eines photosynthetischen Symbionten (Alge oder Cyanobacterium, sog. »Blaualge«), die gemeinsam einen dauerhaften Thallus von spezifischer Struktur ergeben« (International Association for Lichenology). Die morphologische Verwandlung zu einem typischen Flechten-Thallus ist ein sehr wesentliches Element. Aus ökologischer Sicht betrachtet, ist »die Flechte« ein Mikro-Ökosystem.

    Die moderne Flechtensystematik orientiert sich bei dem Doppelwesen Flechte bezüglich der systematischen Einteilung an der Taxonomie der Pilze. Der Pilzpartner bestimmt in den meisten Fällen das Erscheinungsbild der Flechte, während die Alge den Pilz (»Mycobiont«) mit Kohlenhydraten versorgt. Über 20 % der gegenwärtigen Pilzarten leben in einer solchen Symbiose, werden als »lichenisierte Pilze« bezeichnet und sind – unter natürlichen Lebensbedingungen – strikt auf die Alge (Phytobiont) angewiesen. Diese erlangt zwar durch den Zusammenschluss mit dem Pilz Vorteile, ist jedoch auch alleine lebensfähig.

    Besonders deutlich wird der Vorteil dieser symbiotischen Verbindung bei der Besiedlung extremer Standorten (wie Polargebiete, Wüsten und Hochgebirge), wo Flechten die Pioniervegetation bilden, höhere Pflanzen jedoch nicht mehr zu existieren vermögen.

    Am Anfang dieses Evolutionsprozesses einer wechselseitigen Anpassung bestand möglicherweise ein Parasitieren des Pilzpartners auf Algen, was sich jedoch schließlich weiterentwickelte bis hin zu einer mehr oder weniger mutualistischen Lebensgemeinschaft, aus der beiden Partnern ein etwa gleichwertiger Nutzen erwächst.

    Die symbiotische Lebensgemeinschaft »Flechte« könnte gerade für den Homo sapiens ein Beispiel dafür sein, dass längerfristig nur eine ausgewogene Beziehung das gemeinsame Überleben ermöglicht und sich damit letztlich für alle Beteiligten von Vorteil erweist. Dies gilt für das Zusammenleben der Menschen ebenso wie innerhalb der Gemeinschaft aller Lebewesen.

    »Namenlos – das Andere Ich« führt in eine Welt, in der immer wieder Flechten auftauchen, als Wegmarken, die eine Richtung anzeigen, hin zu einem ausgeglicheneren Miteinander der Arten auf unserer Erde.

    Vielleicht wird der eine oder andere Leser nach der Lektüre das Doppelwesen »Lichen« mit anderen Augen betrachten. Sind doch Flechten in der Mehrzahl recht unscheinbare Wesen, werden mehr oder weniger übersehen, ja – fallen den meisten Menschen lästig, wenn sie Gebäude, Dachziegel, Holzkonstrukte, Wege, Grabsteine und Mauern besiedeln. Oft relativ klein, ja winzig, unauffällig, grau, braun, grünlich und weißlich – scheinbar wenig attraktiv – können sie aber auch durch leuchtende Farben und bizarre Formen hervorstechen. Ein Signal in unserer vom menschlichen Wirken in bedrohlichem Ausmaß veränderten Umwelt? Eine dringliche Warnung?

    Innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums hat der Einfluss ›des Menschen‹ – besonders auch in Anbetracht des rasanten Anstiegs der Bevölkerungszahlen – dazu geführt, dass ein großer Teil der verfügbaren Ressourcen in relativ kurzer Zeit aufgebraucht sein könnte. Die vom Menschen verursachte Erderwärmung wird (soweit wir es einschätzen können) voraussichtlich zu einem Klimawandel führen, der das gesamte Netzwerk des Systems Erde zu destabilisieren droht.

    Die Spezies Homo sapiens stellt sich selbst über das System und zeichnet sich durch gedankenlose, gewinnorientierte Rücksichtslosigkeit aus – gegenüber den anderen, nicht menschlichen Mitbewohnern unseres Planeten ebenso wie häufig auch innerhalb der eigenen Art.

    Die Farben, die Strukturen der Flechten – für mich als Malerin sind sie Anregung zur Gestaltung. Aus der »Schrift der Flechten« lese ich den eindringlichen Aufruf, unser Verhalten zu ändern, auf die »Stimmen aus der Atmosphäre« zu hören. Wir sollten endlich begreifen, dass wir nicht über dem komplexen System »Natur« stehen, sondern in diesem Netz gemeinsam mit allen anderen Lebewesen hängen. Es kann uns einerseits tragen oder andererseits durch seine Maschen fallen lassen. Und – wir sollten dementsprechend handeln!

    Mit meinem »Flechtenprojekt« – bestehend aus einer Ausstellung meiner Flechtenbilder und Lesungen aus »Namenlos – das Andere Ich« im Ökologisch Botanischen Garten der Universität Bayreuth (7. 11. 2010 – 30. 01. 2011) – möchte ich »Lichens« Eigenart und Vielfalt dem Betrachter nahe bringen.

    Mit einigen kurzen Ausschnitten werde ich auch an meinen Briefroman »Blindgänger – des Zaunkönigs Botschaft« erinnern. Spuren der Flechten sind bereits dort zu erkennen. Ein Zitat aus dem 22. Brief:

    »Die Grafiken, von Flechten gezeichnet, zeigen Kreise.

    Verwunden, eingekerbt und ausufernd.

    Doch immer wieder zum Anfang zurückkommend.«

    So will auch ich den Kreis schließen, indem ich Linne‹s Worte mit einem meiner Gedichte nochmals aufgreife. Es trägt den Titel:

    »rustici pauperrimi«!

    Inge Rosnitschek-Schimmel

    – im Sommer 2010 –

    Umbilicaria cylindrica (FP 31)

    In montanen bis alpinen Lagen auf kalkfreiem Silikatgestein vorkommend, zerstreut bis sehr selten. (Zeichnung: I.R.-S. 2009 / Pastellkreide, Farbstifte, Tusche; 30 X 30 cm)

    rustici pauperrimi

    Er wusste es nicht besser

    anno Siebzehnhundertdreiundfünfzig,

    als er achtzig Flechtenarten

    zur Gattung »Lichen«

    zusammenfasste:

    »rustici pauperrimi«

    so stufte er sie ein

    in dem systema naturae.

    Einst, der berühmte Carl von Linne‹.

    Kann man es ihm verdenken?

    Auf den Spuren des Wissens seiner Zeit

    konnte er sie nicht entziffern,

    die Bilder auf Holz,

    nacktem Felsgestein.

    Doppelgesicht: die Flechte.

    Ihre Zeit schwingt anders.

    Ihre Farben, ihre Formen,

    ihr Reichtum – aus Mangel geboren.

    Ein Mycobiont – der Pilz,

    für den Phytobiont steht die Alge.

    Indikator, Künstler, Prophet

    – die Einheit: »Lichen« !

    Ein Ökosystem,

    eine Parabel per se –

    Pionier, Grenzgänger,

    entwirft sie ein heutiges Bild,

    sie fragt nicht oder argumentiert.

    In der Welt seit ferner Zeit

    hat sie sich im Extremen eingelebt –

    seit Linne’s Zeit: ein Katzensprung.

    Islandmoos, »lichen«:

    Linné empfahl es

    als bitteres Heilmittel.

    Flechten sterben schneller.

    In uns’rer Welt, wenn Lichen stirbt –

    sind wir ›rustici pauperrimi‹.

    Inge Rosnitschek-Schimmel (©)

    I. Teil

    Spurensuche

    Ich war hier.

    Ich musste gehen.

    Es blieben keine Spuren.

    Aber der weite Himmel

    hat mein Lied gehört.

    (Indianische Weisheit)

    1. Der Briefträger

    Auf dem Adressfeld des Briefumschlags stand zuoberst eine Nummer: VS 54 21 12 45 S 123

    Dann folgte ein Name – in kleinen Buchstaben, also ein unwesentliches Detail. Die Daten zum Wohnort – sie waren klar und unmissverständlich. Dank des

    Postcodes war es unerheblich, wie der Name des Ortes und des Landes lautete – der Brief hätte auch ohne diese Angaben seinen Empfänger gefunden.

    Nostalgisch hingegen der Name der Straße: Rosenweg – Haus Nr. 1. Diese Straßenbezeichnung – wirkte sie nicht symptomatisch? Wie eine ineinander verhedderte, mit Dornen bewehrte Heckenrose sperrte sie sich einer Vereinheitlichung, welche bedeuten würde: Platz zu machen für eine numerische, eindeutige Rasterangabe innerhalb eines definierten und genormten Flächengitters. Ihre trotzige Widerspenstigkeit schien jedoch den irregulär langen Ortsnamen zu rechtfertigen und der durchaus entbehrlichen Länderbezeichung die Daseinsberechtigung zu verleihen.

    Ob in einigen Jahren das Artensterben der Wörter dem Postzusteller das Leben leichter machen würde? Er bräuchte dann wahrscheinlich lediglich den deutlich am Postkasten angebrachten Zeichencode z. B. mit folgender Angabe auf dem Briefumschlag zu vergleichen:

    VS 54 21 12 45 S 123

    A – 2 / 1

    X – 12345

    Doch dieser Fall war kompliziert: die Empfängerin schien ganz offensichtlich nicht erreichbar zu sein! Der Briefträger stand ratlos vor dem bereits überfüllten Briefkasten, der außen am Zaun angebracht war. Selten nur hatte er hier eine Sendung einzuwerfen, ja des Öfteren konnte er sich die Fahrt hinauf zu diesem Einhundert-Seelen-Dorf überhaupt sparen.

    Allerdings – die fett gedruckte Nummer sagte ihm, dass dies ein amtliches Schreiben – also bedeutsam – war. Mit schlampiger Handschrift adressierte Briefe, Werbesendungen oder Ansichtskarten hätte er achtlos zu den übrigen Postsachen fallen lassen können, die schon am Straßenrand und im Vorgarten des alten Hauses verstreut lagen … vom Winde verweht. Er betrat das Grundstück und läutete an der Haustüre. Wie erwartet blieb diese geschlossen, kein Geräusch drang aus dem Haus nach draußen.

    Zögernd ging er zum Wagen zurück.

    Die Empfängerin? Gewiss, ganz gelegentlich hatte er sie gesehen. Plötzlich erinnerte er sich daran, wie er einmal im Winter hier vorbeigekommen war, und die Räder seines Postautos just in Höhe dieses Briefkastens auf der völlig vereisten Straße durchgedreht waren. Sie hatte ihm einen Eimer Split gebracht und mit angepackt. Er hatte sich gewundert, wie viel Kraft in der zierlichen, hageren Frau steckte, als sie das Fahrzeug anschob.

    Seine Erinnerung verriet ihm weder, wie alt sie damals wohl gewesen sein mochte, noch die Farbe ihrer Haare, schon gar nicht, welche Kleidung sie getragen hatte.

    Aber – als er den Brief so unschlüssig in der Hand hielt, waren ihm mit einem Male ihre Augen wieder gegenwärtig: blaugrau mit einem grünlichen Schimmer, klar, bestimmt, entschlossen. Und ein kleines Lächeln steckte auch darin – daran erinnerte er sich ohne irgendeinen Zweifel.

    Doch nun war es Sommer, das Unkraut war hoch aufgewachsen vor diesem Zaun – die Zaunwinde umschlang die Streben und breitete dachziegelartig ihre Blätter darüber aus. Das Weiß ihrer Blütentrichter stach aus dem grünen Einerlei hervor.

    Dieses helle, schlichte Blütengesicht – starrte es ihn an? Er erschrak. »Ob sie tot war? … Tot ??« Wie ein Alarmsignal schrillte diese Frage in ihm.

    Dieser übervolle Briefkasten, der die Zusendungen nicht mehr zu fassen vermochte!

    Warum hatte keiner seiner stets wechselnden Kollegen auf stets wechselnden Touren sich auch nur Gedanken darüber gemacht, weshalb der Briefkasten überquoll? Wieso hatte es heute gerade ihn getroffen? Warum fiel ausgerechnet ihm die Aufgabe zu, dieses amtliche Schreiben zu überbringen?

    Sie hatte ihm damals ganz selbstverständlich geholfen – in diesem eisigen Winter. Nicht einmal einen Mantel hatte sie angezogen, geschweige denn Handschuhe. Ihm fielen plötzlich ihre vor Kälte bläulichrot verfärbten Hände ein, die sich so kräftig gegen die kalte Karosserie des Wagens gestemmt hatten. Sie hatte ihm noch nachgewinkt und etwas zugerufen. Durch das offene Fenster klang es ihm wie »Gute Fahrt!«.

    Ja, vielleicht war sie auch nur krank, schwer krank. Zu schwach, um überhaupt bis zur Türe zu gelangen. Oder – ja, sie könnte schließlich bewusstlos geworden sein! Vielleicht heute, am Morgen oder gar erst vor ein paar Minuten? Hatte sie niemanden gehabt, der sich um sie kümmerte? Hatte keiner ihr etwas zu essen und zu trinken gebracht? Er stellte es sich vor: immer schwächer war sie geworden, bis selbst die Augenlider ihr nicht mehr gehorchten … Ob ihr noch irgendjemand helfen konnte? Irgend … jemand? Er steckte den Brief in seine Tasche zurück. Dieser durfte auf gar keinen Fall verloren gehen!

    Ausgerechnet heute hatte er sein Dienst-Handy zuhause vergessen! Es war wirklich ärgerlich, denn er wusste, erst in der Stadt war die eine und einzige Telefonzelle in dieser Gegend. So musste er wohl oder übel dorthin fahren, um seine Beobachtung zu melden. Kurz schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, irgendwo in der Nachbarschaft zu klingeln und zu fragen, ob er telefonieren dürfe. Doch die beiden nächsten Häuser waren weiter weg, erst am Ende der Straße, und die Leute wohl auch nicht zu Hause – sondern in der Arbeit oder einkaufen in der Stadt. Es gab ja in dieser Einöde nicht einmal mehr einen Tante-Emma-Laden!

    Doch dann fiel ihm wieder die Frau ein und er erschrak – nur schnell, vielleicht war noch etwas zu retten! Er sprang ins Auto und fuhr auf dem kürzesten Weg zu der besagten Telefonzelle. Von dort aus rief er die Polizei an, die sich um die Angelegenheit kümmerte und alles Notwendige veranlasste.

    Jedes Mal, wenn er danach durch dieses Dorf fuhr, um die Post zuzustellen, musste er an sie denken. Er war wohl der einzige hier, in dessen Gedanken sie noch wohnte – doch er erfuhr später nicht einmal davon, dass sie schließlich doch aufgespürt wurde. Das Wenige, was man ihm zutrug, war die Tatsache ihres Verschwindens und dass keiner im Dorf sie in den letzten Wochen gesehen hatte. Aber es gab auch niemanden, der sie vermisst hätte. Weiter fragte er nicht nach – bei wem auch?

    Im Winter wünschte er sich manchmal, sein Auto müsste vor ihrem Tor anhalten und würde beim Anfahren auf der glatten Fläche hängen bleiben. In seiner Fantasie entwarf er sich Bilder davon, wie sie aus dem Haus treten und ihm helfen würde. Oder – wenn sie dazu zu schwach geworden wäre – auch nur das Fenster öffnete, um ihm »Gute Fahrt!« zu wünschen. Das alleine würde schon helfen.

    Doch er musste keine Sendung mehr am Rosenweg 1 zustellen. Er musste dort nie wieder anhalten. Das Haus verfiel, zerbrach und die Zaunwinde hatte schon längst die Streben erobert – zumindest im Sommer war dies offensichtlich.

    Flüchtig spähte er im Vorbeifahren hinüber und ihm schien, als blicke IHR Gesicht aus den weißen Blütentrichtern.

    So sehr er sich auch bemühte, er konnte sie nicht vergessen.

    2. Die Ermittlung

    Durch die Meldung des Briefträgers wurde die Angelegenheit ins Rollen gebracht und die zuständigen Behörden schalteten sich ein.

    Polizei und Notarzt wurden als erste alarmiert und diese verschafften sich Zutritt zum Inneren des Hauses. Die Gesuchte war allerdings in keinem der Zimmer zu entdecken, auch nicht im Keller oder auf dem über eine schmale, knarrende Treppe zu erreichenden Dachboden. Weder die Durchsuchung des zugigen Holzschuppens noch die mühsame Durchforstung des weitläufigen, verwilderten Grundstücks waren von Erfolg gekrönt.

    Bei der Durchsuchung der Wohnräume bot sich den zwei Beamten und der Dienst habenden Medizinerin ein verwirrendes Bild, das unterschiedlichen Spekulationen Raum ließ. Schränke und Kommoden waren teilweise ausgeräumt – als wären sie durchsucht worden, während andere Wohnbereiche vollkommen unangetastet wirkten. In einer Schublade fanden sich einige wenige Schmuckstücke, deren Wert vor allem wegen ihrer Fremdartigkeit von den Polizisten kaum eingeschätzt werden konnte.

    Die geräumige Schublade darunter barg eine Sammlung von wertvollen Fotoobjektiven neben verschiedenstem Kamerazubehör – auffallend war hier die penible, von Sorgfalt zeugende Ordnung.

    Eine Kamera war jedoch trotz gezielter Suche nirgendwo zu entdecken.

    Kleidung lag wie zufällig auf dem Bett verstreut, daneben stapelten sich einige Schallplatten und CDs vor einem passgenauen stabilen Karton. Es erweckte den Eindruck, als hätte jemand im letzten Moment davon abgesehen, diese Dinge einzupacken oder wäre dabei gestört worden.

    Die verblasste Farbe an der Wand des Arbeitszimmers, aus der zwei Vierecke in dem ursprünglich kräftigen Gelb hervorstachen, verriet, dass zwei Bilder vor nicht allzu langer Zeit von der Wand genommen worden waren. In mehreren Stapeln standen Bücher im Raum am Boden verteilt – keiner konnte abschätzen, ob einzelne Bände fehlten und schon gar nicht welche.

    Der unverschlossene Schreibtisch wurde selbstverständlich akribisch durchsucht und alles – säuberlich geordnet und penibel aufgelistet – zum Abtransport in einer Kiste verstaut. Auffallend war jedoch, dass private Aufzeichnungen, Briefe oder amtliche Dokumente völlig fehlten, lediglich einige Rechnungen, Gebührenbescheide und ähnliche Unterlagen fanden sich in einem schlichten, grauen Ordner. Dieser enthielt auch zwei in einer Klarsichthülle abgeheftete Sparbücher, welche von den Ermittlern hastig aufgeschlagen und nach einem kurzen Blick darauf mit einem Achselzucken dorthin zurückgelegt wurden.

    Daneben war in einer geräumigen Truhe vor der Wand weitaus Eindrucksvolleres zu entdecken. In ordentlichen Stapeln waren dort meist großformatige Fotografien aufbewahrt, sorgsam in Mappen oder Umschlägen gebündelt. Schwarz-weiß oder farbig zeigten sie überwiegend grandiose Landschaften: Gebirge, Tundren, urwaldartige Wälder, Wüsten, von Sanddünen überflutet und schroffe Küsten, von Eis überzogen.

    Allen Landstrichen war eines gemeinsam: Unwirtlich und wenig verlockend für menschliche Besiedlung, standen sie dem Betrachter abweisend und feindlich gegenüber. Dennoch berührten ihn ihre Weite und Ursprünglichkeit tief und erfüllten ihn mit einer ambivalenten Sehnsucht, die aus seiner Tiefe aufstieg, von uralten Erinnerungen genährt.

    Dem Versprechen einer nahezu grenzenlosen Freiheit stand eine unbestimmte Furcht vor Hunger und Durst, eisiger Kälte und unbarmherziger Hitze gegenüber. Zahlreiche ausdrucksstarke Nahaufnahmen zeichneten charakteristische Bilder der jeweiligen Bewohner: Sie erzählten von Tieren und Pflanzen, die das Leben in solch extremen Regionen meistern, damit den Beweis antreten für die Kraft, Ausdauer, den Erfindungsreichtum, die unfassbare Vielfalt und Schönheit des Lebens auf unserer Erde.

    In der Regel suchte man allerdings vergebens nach Fotos, auf denen Menschen zu sehen waren – mit zwei Ausnahmen: Auf einem von schroffen Felsen eingesäumten Fluss war in der Strömungsmitte ein kleines Boot zu sehen, das Sachverständige später als Indianerkanu identifizierten. Dieses wurde von einer menschlichen Gestalt gelenkt – der genaue Blick durch die Lupe ließ eine Frau vermuten.

    Wer war die Kanutin? Doch wohl nicht diese ältere Indianerfrau, deren dunkles, von Falten durchzogenes Gesicht die Ermittlungsbeamten beunruhigend ruhig und gelassen aus einer Portrait-Aufnahme ansah? Ein Name, der in winzigen Buchstaben am Rand mit Bleistift vermerkt war, sagte den Männern nichts. Achselzuckend legten sie das Foto auf den Bilderstapel zurück und vergaßen es.

    Nirgendwo waren jedoch Bilder von der Bewohnerin des Hauses zu entdecken.

    Die Medizinerin sah den beiden Beamten bei ihrer Suche zu und da ihr Einsatz von niemandem angefordert wurde, hatte sie bei den wenigen Handreichungen Zeit, die Blicke schweifen zu lassen und über die Eindrücke nachzudenken. Fasziniert von den archaischen Landschaften suchte sie eine Verbindung von den Fotografien zu der vermissten Person herzustellen. Vieles deutete darauf hin, dass es sich bei ihr um die Fotografin handelte – vielleicht hatte ihr der stete Blick durch den Sucher einer Kamera auf andere oder anderes, das Festhalten des eigenen Abbilds unmöglich gemacht. Nur die Dinge erzählten von ihr, so schien es der Ärztin. Die Auswahl ihrer Motive allerdings war für den einfühlsamen Betrachter wie ein tiefer Blick in deren Inneres, aussagekräftiger, als es je ein Bild der äußeren Gestalt hätte sein können.

    Als sie allerdings abrupt zu einem eiligen Einsatz gerufen wurde und die beiden Spurensucher verlassen musste, tilgten Martinshorn und Blaulicht diese Überlegungen aus – wie ein feuchter Schwamm die Kreidezeichen auf einer Tafel.

    In der Erinnerung des Briefträgers blieb das Bild der winterlichen Gestalt der verschwundenen Frau jedoch unauslöschlich haften, auch wenn es umso stärker verblasste, je mehr Winter darüber hinweggingen.

    Bargeld wurde im ganzen Haus nirgendwo gefunden.

    Die beiden Sparbücher mit einer wenig lukrativen Verzinsung waren die einzige Entdeckung, was Hinweise auf den finanziellen Status der Vermissten betraf und man konnte nachvollziehen, dass diese Spareinlagen im Verlauf des vorangegangenen Jahres in regelmäßigen Abständen von vier Wochen durch Abhebungen von gleich lautenden maximalen Regelbeträgen bis auf einen unrelevanten Sockel abgeschmolzen waren.

    Nichts wies darauf hin, dass ein Unbefugter Geld von dem Sparkonten abgehoben hatte – doch keiner der Bankangestellten konnte sich noch an die Frau erinnern.

    Ein Verbrechen war ebenso wenig auszuschließen wie die Möglichkeit, dass sie noch am Leben war. Durch ihr Verschwinden hinterließ diese Frau viele offene Fragen. Nur sie konnte Antworten darauf geben – als Lebende die Rätsel entschlüsseln oder als Tote den Schlusspunkt in ihre Akte setzen. Die Ermittlungen wurden somit fortgesetzt.

    Eine erste Spur ergab sich, als in den säuberlich abgehefteten Telefonrechnungen mit Einzelverbindungsnachweis drei gleichlautende, zeitlich eng aufeinander folgende Telefonnummern auffielen. Diese führten die Ermittler zum einzigen Reisebüro in der Stadt.

    3. Fährtensucher

    Die Schnüffler nahmen Witterung auf und wussten relativ schnell, in welche Richtung der Hase lief. Bald waren nationale Grenzen überschritten und internationale Kooperation war gefordert. Worum ging es bei dieser Fahndung wirklich?

    Da war eine verschwundene Frau, die jedoch – soweit bekannt – niemand vermisste. Jetzt allerdings musste sie als vermisst betrachtet werden, da ein amtliches Schreiben zuzustellen war. Es handelte sich bei diesem Brief um nichts Geringeres als um einen Rentenbescheid, der eine lange Geschichte und eine langwierige Bearbeitungszeit hinter sich hatte. Noch ausgedehnter war die Wartezeit dieser Akte in staubigen Archiven gewesen. Spät, aber doch, sollte das Dokument der Empfängerin nun endlich zugestellt werden. Diese Person weiblichen Geschlechts hatte sich jedoch vorzeitig aus dem Staub gemacht und hinterließ in den Amtsstuben der Behörde große Ratlosigkeit. Vielleicht war sie ermordet worden, doch dann wäre es nur fair gewesen, auch eine Leiche zu hinterlassen. Hätte dies doch eine Menge Kosten gespart, zu einer einfachen Lösung beigetragen, keine weiteren dringlichen Fragen aufgeworfen. Doch durch ihr spurloses Verschwinden drohte die angelaufene Behördenmaschinerie ins Leere zu zielen. Deshalb musste die Empfängerin gefunden werden. Ob tot oder lebendig, dies war nicht so sehr die Frage. Denn erst dann konnten die Akten geschlossen werden.

    Die Zahnräder der Ermittlungsbehörden griffen auf den verschiedenen Ebenen nahtlos ineinander und eine Information führte zur anderen. Es ist erstaunlich schwer, sich auf dieser Welt zu bewegen, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Und in diesem Fall rochen die meisten der Fährten danach, dass die Empfängerin noch am Leben war, dass man nach keiner Toten suchen musste. Allerdings folgte man nicht immer der richtigen Spur. Sich auf etwas verlassen zu müssen, was irgendwelche Leute gehört oder gesehen haben wollen, führt in der Regel mindestens ebenso oft in die Irre als dass es von Erfolg gekrönt wird. Schließlich deuteten die wenigen, verlässlichen Hinweise auf den Norden des amerikanischen Kontinents und dieser Fährte wurde konsequent nachgegangen.

    Die dortigen Behörden übernahmen den Fall.

    Als das Wasserflugzeug mit den drei Männern an Bord – mehr als ein Jahr nach der Entdeckung ihres Verschwindens – auf einem einsam und versteckt gelegenen See landete, hatten diese einige vage, vieldeutige Informationen im Gepäck, die mehr Ähnlichkeit mit Gerüchten, denn mit sachdienlichen Mitteilungen hatten.

    Professionell ausgerüstet und durch langjährige Erfahrung in der Wildnis geschult, war für diese amtlichen Kundschafter die Suche nach der Vermissten dennoch eine Erfolg versprechende Aufgabe. In dieser äußerst dünn besiedelten Gegend wohnen die Menschen zwar in kleinen und kleinsten Gruppen sehr zerstreut und doch wissen sie oftmals mehr voneinander als die Bewohner dicht besiedelter Regionen oder gar Städte. Die hiesigen Ermittler vermögen den Wahrheitsgehalt einer Mitteilung oft sehr viel genauer an der Körpersprache als an dem Wortlaut des Gesagten abzulesen. So hatten sie während ihrer Nachforschungen nicht das Gefühl, bei ihrer Suche im Trüben zu fischen. Obwohl es kaum konkrete Fakten und eindeutige Aussagen gab, waren sie dennoch guten Mutes, die gesuchte Person auffinden und ihr, wenn nötig, auch zu Hilfe kommen zu können. Sie folgten ihrem Gespür. Sie kannten etliche solche Fälle, dass ein ›Tourist‹ dem ersehnten Abenteuer ›Wildnis‹ nicht gewachsen war.

    Erstaunlich rasch hatten sie nach einer kurzen Wegstrecke durch Gestrüpp und Unterholz das gut verborgene Blockhaus an einer Waldlichtung entdeckt und es durch die unverschlossene Türe betreten.

    Jedoch – dem beteiligten Mediziner verblieb lediglich die traurige Pflicht, den Exitus der Empfängerin des Briefes zu diagnostizieren. Während dieser den Totenschein ausstellte, machte sich einer der Polizisten daran, die primitive Schublade unter der Tischplatte auszuräumen: Reisepass, Fernglas, ein kleines Adressbuch, Stifte, ein paar – zum Teil bereits angebrannte – Kerzen, ein kräftiges, sehr scharfes Messer in einer Scheide.

    Den leeren Trinkbecher, der neben der über den Tisch gesunkenen Toten stand, packte er vorsichtig als mögliches Beweisstück in eine Plastiktüte und verstaute sie zusammen mit den anderen Gegenständen in einer Klappkiste.

    Noch war die Obduktion abzuwarten, um die eindeutige Todesursache feststellen zu können. Es waren jedoch keinesfalls augenscheinliche Anzeichen eines gewaltsamen Todes zu erkennen. Allerdings schien der Zeitpunkt des Todes noch nicht allzu lange zurück zu liegen. Wären sie vielleicht nur wenige Tage früher gekommen, hätten die Männer diese Frau vermutlich noch lebend angetroffen. Vielleicht hätte man sie retten, wieder in ihre Heimat zurückbringen können?

    Als der jüngere der beiden Polizisten und der nachdenklich wirkende Arzt die in ein Laken gehüllte Tote hinaustrugen, durchsuchte der andere Polizist, dessen Gesicht unverkennbar indianische Züge aufwies, die Hütte nach weiteren Hinweisen. Er fand bei einem Holzstapel in der Ecke ein handgeschriebenes, dickes Buch mit einem flexiblen Einband, das er flüchtig durchblätterte, nach kurzem Umsehen unauffällig einsteckte und, ohne es die anderen wissen zu lassen, mitnahm.

    Fast unmittelbar darauf betraten seine beiden Kollegen die Hütte und der Doktor blickte sich stirnrunzelnd in der engen und karg möblierten Behausung um. »Wenn die vermutete Identität stimmt,« meinte er nachdenklich und mit einem deutlichen Fragezeichen am Satzende, »dann handelt es sich bei dieser Frau um eine leidenschaftliche Berufsfotografin. Es passt allerdings nur schwer ins Bild, dass wir nirgendwo einen Fotoapparat entdecken können, oder?«

    Nochmals umrundeten sie draußen die Hütte – es war alles so, wie es sein sollte. Auch hier war nichts Auffälliges zu erkennen. Wie all diese Hütten in der Wildnis war auch diese mit dem Notwendigsten ausgestattet und nicht zugeschlossen – als mögliches Refugium für Durchziehende, die auf Unterschlupf lebensnotwendig angewiesen sind.

    Alle in der Gegend wussten, wer der rechtmäßige Eigentümer war – aber dies spielte in diesem Landstrich eine untergeordnete Rolle. Denn das Blockhaus gehörte jedem, der es zum Überleben brauchte – für eine gestundete Zeit. Es galt als ungeschriebenes Gesetz, dass jeder Nutzer so sorgsam damit umging, als wäre es sein Eigentum. Die tote Frau hatte nicht dagegen verstoßen.

    Dass das nur noch spärlich vorhandene Feuerholz an der Hüttenwand nicht vollständig wieder aufgefüllt worden war, hatte wohl der Tod vereitelt. Er war allem übergeordnet – wer hätte es ihr also als Verfehlung anlasten können?

    Keiner der wenigen Bewohner in dieser gotterbärmlich einsamen Gegend schien die Tote zu kennen und nur der kriminaltechnische Vergleich von Gebissmerkmalen oder eine DNA-Analyse hätte eindeutige Klarheit über ihre Identität schaffen können.

    Die Frau war abgemagert, wirkte (verglichen mit einer heutigen Durchschnittsfrau) so, als bestünde sie fast nur noch aus ›Haut und Knochen‹.

    Doch der Reisepass in der Schublade galt als ein untrüglicher Beweis, dass man die Gesuchte gefunden hatte. Dort stand alles über sie, was für die Behörden von Belang war.

    Viele, viele Monate nach ihrem Verschwinden hatte sie der Brief nun endlich erreicht.

    Ihr Tod wurde an das zuständige Amt in ihrer Heimat gemeldet und was darauf folgte, war Routine. Die Renten-Zahlungen, die in der Zwischenzeit auf ihrem Konto aufgelaufen waren, wurden wieder zurückgebucht und die kläglichen Reste ihres Vermögens flossen in den Stadtsäckel, das Konto wurde aufgelöst.

    Es gab sonst niemanden, von dem den Behörden bekannt gewesen wäre, dass er von ihrem Tode benachrichtigt werden müsste.

    Ihre Akte wurde endgültig geschlossen.

    4. Der Polizist

    Es war bereits spät am Abend, als der indianische Polizist zu Hause eintraf – ein bescheidenes Blockhaus am Rande der Siedlung. Kein Licht schien durchs Fenster und als er öffnete, fröstelte ihn unwillkürlich. Kalt war es in der Hütte, seine Frau war nicht zuhause und das Feuer im Ofen wohl deshalb noch nicht angezündet. Es war auch kein Essen zubereitet.

    Ein Zettel mit einer hastig aufs Papier gekritzelten Mitteilung lag auf dem Tisch. Er warf einen Blick darauf, verharrte einen Moment betroffen, machte als erstes Feuer und öffnete dann eine Konservendose, deren Inhalt er in einem Topf auf dem Ofen erwärmte. Während er das Maisgericht aus dem Kochgeschirr löffelte, blickte er nachdenklich auf die Nachricht, die ihm seine Frau auf dem Tisch zurückgelassen hatte.

    Sie teilte ihm darin mit, dass sie bereits am frühen Vormittag mit ihrer Schwester und deren Mann in dem Boot zu ihrer Familie aufgebrochen sei, die stromaufwärts am Fluss wohnte. Ihre Großmutter sei in der Nacht gestorben.

    Seine Blicke wanderten zum Fenster, hinaus in die Dunkelheit. Die Lampe über dem Tisch erhellte die Hütte und ihr Schein fiel auch nach draußen, schlug dort eine Schneise in die Finsternis, versickerte jedoch alsbald in der von düsteren Wolken verhangenen Nacht. Was mochte er dort sehen? Blickte er in Wirklichkeit nach Innen, wanderten seine Gedanken dabei in die Vergangenheit zurück? Seinem Gesichtsausdruck war nicht anzumerken, ob seine Augen dort draußen überhaupt etwas wahrnahmen.

    Als nicht weit entfernt in der Siedlung die Hunde anschlugen, belebten sich seine Züge. Er stand auf, um sich eine Dose Bier aus dem Regal zu nehmen, stellte diese vor sich auf den Tisch, versuchte erneut die alte Indianerin in seiner Vorstellung wiederzubeleben. Alt, sehr alt war sie gewesen und doch wirkte sie auf ihn jünger als etliche der Alten hier im Dorf, welche die längste Zeit umherlungerten, den alten Zeiten nachtrauerten und gar nicht erst versuchten, mit den neuen zurechtzukommen.

    Er dachte mit Hochachtung an sie, lächelte, als er sich daran erinnerte, wie jung ihre Augen aus ihrem runzeligen Gesicht gestrahlt hatten, als sie vor vielen Monaten das letzte Mal ihre Enkeltochter, seine Frau, besucht hatte. Zwischen den beiden Frauen existierte eine tragfähige Brücke, welche eine Verbindung zwischen den Zeiten schuf.

    Die Großmutter hatte eine lange Zeitspanne durchschritten, war noch in den alten Traditionen ihres Volkes aufgewachsen, die ihr Halt gaben, ohne sie jedoch einzuengen. Keine der vielen Veränderungen und Neuerungen konnte sie wirklich erschüttern.

    Wie ein Fels war sie im Zentrum des Clans gestanden, hatte Anerkennung gefunden, trotz ihrer Bescheidenheit. Sie stellte sich nicht selbst in den Mittelpunkt, sondern die Mitglieder der weiten Familie scharten sich um sie, war sie doch wie ein alter, mächtiger, sturmerprobter Strauch, in dessen Umfeld die Wurzelsprösslinge einen immer dichter und höher werdenden Ring aus Buschwerk bilden. Und nun hatte der große Sturm diesen aus dem Erdreich gerissen und davongetragen.

    So weit verstreut auch viele ihrer Nachkommen lebten – zu den meisten war die Verbindung – oft nur in Gedanken – erhalten geblieben. Unbeirrt hatte sie selbst so gelebt, wie sie es für richtig erachtete. Diesen Grundsatz ließ sie dort in der Mitte zurück und auch er war sich sicher: Selbst über den Tod hinaus würde ihr keiner die Achtung verweigern.

    Seine Frau war Lehrerin in der Siedlung und pflegte ihm und der Familie oft Lieder und Gedichte der Indianer vorzutragen – nicht nur die des eigenen Stamms. Zwei davon hatten der Großmutter besonders gut gefallen.

    Das eine verkörpert die Stimme eines Dichters vom Volk der Mohawk:

    »Ich bin ein Felsen«.

    Er erhob sich, nahm die Dose Bier und stellte sie zurück. Er war Polizist – er erlebte tagtäglich viele der Probleme der hiesigen indianischen Bevölkerung. Ich bin ein Fels?!

    Ihrer Nachricht hatte seine Frau die letzten Zeilen aus dem anderen Gedicht vorangestellt. Der Dichter, John Laughing Wolf, ein Dakota, gab diesem den Titel:

    »Die Erde ist schön«.

    Auf dem Papier war zu lesen:

    »Wofür es sich lohnt zu leben,

    dafür lohnt es sich auch zu sterben.

    Hokahey

    L-45 (Recheis & Bydlinski et al. 1984, S. 52)

    Bedächtig wiederholte der Mann die Worte und nickte. Für die alte Frau hatte es sich gelohnt: »Hokahey!«

    Erst jetzt merkte er, dass er seine Jacke noch anhatte. Er spürte mit einem Male wie hart das dicke Buch an seinen Körper drückte. Er holte es aus der Innentasche und blätterte darin. Es war fast vollständig beschrieben, auf den ersten Seiten in einer fremden Sprache, die er nicht mit Sicherheit erkannte. War das ›German‹? Seine Frau war gebildeter als er – sie würde es vielleicht wissen.

    Auf der ersten Seite stand in großen Buchstaben, unterstrichen:

    »Mein indianisches Tagebuch«

    Indian … o. k. Aber – was bedeutete: ›Tagebuch‹? Er versuchte einen anderen Zugang. Blätterte die letzte der beschriebenen Seiten auf.

    Hier fand er eine Sprache, die er verstand: ›American English‹.

    Wieder dachte er an die alte Indianerin, die Großmutter seiner Frau. Ihm wurde warm, obwohl inzwischen das Feuer ausgegangen war. Er sah sie über die Milchstraße wandern. Begegnete sie vielleicht dort der anderen, der unbekannten Frau, die ebenfalls gestorben war? Es war offensichtlich noch nicht lange her, dass diese über dem Tisch eingeschlafen war. Hatte sie darauf gewartet, dass jemand käme und ihr den Weg zur Milchstraße zeigte?

    Er wandte sich wieder dem Buch zu und las die letzte Aufzeichnung, erleichtert darüber, dass er diese verstehen konnte.

    » … die Erde ist schön!«

    Dem schlossen sich fragmentarisch zwei Fragen an:

    » ……….. wie lange noch?

    Wir – wann endlich werden wir begreifen?«

    Lange starrte er auf die Zeilen.

    Sie tanzten vor seinen Augen umher und das Gesicht der alten Indianerin schob sich immer wieder dazwischen. Gespenstisch taumelte das fremde Frauengesicht darüber.

    Er hatte ihr Antlitz nur kurz gesehen, als sie den Körper in das Laken gewickelt hatten. Und doch hatte sich das Bild in sein Gehirn eingegraben. Er würde es nie wieder loswerden. Es würde ihn bis zu seinem Ende begleiten. Er würde die beiden Gesichter wieder treffen – dort, auf seinem Weg über die Milchstraße! Er setzte auf die leere, letzte Seite des Tagebuchs die Worte:

    »Sie wurde am Tage, als die Großmutter meiner Frau starb,

    in der Hütte am Einsamen See tot aufgefunden –

    von mir, meinem Kollegen und dem Doc.«

    Er unterzeichnete mit den drei Namen.

    Sein Entschluss stand fest: Er würde die Aufzeichnungen der toten Unbekannten nur seiner Frau zeigen, niemand anderem sonst. Keine Behörde sollte das Dokument vor die inquisitorischen Augen bekommen!

    HOKAHEY!

    Er begann die Eintragungen – auf der letzten Seite beginnend – zu lesen.


    * »Hokahey« : Kriegsruf der Dakota. Hier steht er als Bekräftigung des indianischen Bemühens mit wiedererlangtem Selbstbewusstsein für indianische Rechte und Lebensauffassungen zu kämpfen – mit geistigem Einsatz.

    II. Teil

    Das Tagebuch

    Die Erde ist schön!

    Wie lange noch?

    WIR, wann endlich werden wir begreifen?

    September

    Ȇberwachsen von einem Eiskranz

    wird Stein, Moos und Flechte

    ein Hauch von Ewigkeit verliehen.«

    FP 64 – I. R.-S. (2009): Zeichnung (Farbstift, Pastell),

    30 X 40 cm (incl. Passepartout)

    »Flechte: Cladonia arbuscula (zu »Rentierflechten« gehörend) Kommt vor in alpinen Lagen, auf Sand-, Lehm- und Steinböden, oft über Moosen, benötigt regelmäßige und ergiebige Niederschläge.

    Direkter textlicher Bezug zu namenlos«: Gedicht »below zero«

    (s. Teil 2/ Das Tagebuch: 8. September)

    SEPTEMBER

    22. September

    Sie ist nicht gekommen.

    Hat sich die alte Nomadin auf die letzte Wanderschaft begeben?

    Wenn ich die Lider schließe, schiebt sich ein Bild vor meine Augen: Die letzten Blätter an den nahezu kahlen Ästen des Ahornbaumes vor dem Fenster meiner Blockhütte, wie sie vom Herbststurm gebeutelt werden, sich bizarr zusammenkrümmend mit verbleichender Kraft an die Zweige klammern und schließlich doch loslassen müssen. Ihr gestern noch leuchtendes Gelb, Orange und Rot hat sich fast über Nacht in ein brüchiges Braun verwandelt.

    War es das letzte Mal, dass sie mich mit ihrer Herbstglut erwärmten?

    Mit geschlossenen Lidern blicke ich über das Heute hinaus.

    Und ich sehe mich.

    Das letzte Mal

    gehe ich mit dem Kanister zur Quelle, um ihn dort zu füllen.

    Das letzte Mal

    lasse ich mich auf die Knie nieder auf dem saftig grünen

    Moosteppich, sammle von den dazwischen wachsenden Sträuchern leuchtend rote und dunkelblaue Beeren in den alten Rindenkorb.

    Das letzte Mal

    zünde ich das Feuer im Ofen an, um den Raum zu erwärmen und das Wasser im Kessel zu erhitzen. Ich will mir dampfend heißen Tee aufsetzen. Wohl wissend – dieser kann den kühlen Hauch des letzten Mal’s dennoch nicht vertreiben!

    Das letzte Mal

    schlage ich das Tagebuch auf, notiere meine Gedanken.

    Was werde ich schreiben?

    Das letzte Mal

    setze ich das Kanu am Fluss ein und

    lasse mich von der Strömung treiben.

    Jedes Ziel – welches es auch sein mag – wird das letzte sein.

    Sterna paradisaea soll bereits vor einigen Wochen die hiesigen

    Gefilde verlassen haben. Staunend verneige ich mich –

    das letzte Mal –

    vor diesem Vogel – der Küstenseeschwalbe.

    Vor ihr, die zwischen den Polen wandert,

    von der Arktis aufbricht zu ihrem Ziel – der Antarktis.

    Allerdings: nicht zum letzen Mal …. sie wird wiederkommen.

    21. September

    Es dauerte lange heute Morgen, bis ich mich aus der Wärme spendenden Umarmung des Schlafsacks und der darüber gebreiteten Karibudecke befreien konnte. Nahezu regungslos blieb ich mit geschlossenen Augen liegen und wunderte mich über die glühende Hitze, obwohl der Ofen längst ausgegangen sein musste.

    Hatte mich nicht des Nachts hier auf meinem Lager eisige Kälte mit Schüttelfrost überfallen, sodass ich meinte, der Winter sei als reißender Eisbär in meine Hütte eingedrungen?

    Endlich raffte ich mich mühsam dazu auf, mir eine Kanne heißen Tee zu kochen und sitze nun an meinem Tisch, nage lustlos an einem altbackenen Stück Pfannenbannock. Ja, fühle mich fast zu kraftlos dazu, vom Tee in meiner Tasse zu nippen. Das Schlucken fällt mir schwer und so muss ich mich zum Essen und Trinken zwingen.

    Trotzdem – der Anblick dieses Stück Gebäcks bringt mich sogar jetzt noch zum Lächeln. Denn es erinnert mich an das Fladenbrot im Orient und meine Gedanken wandern hinter geschlossenen Lidern in die Ferne. Sie tanzen über die Brücken hin und her.

    Meine Erinnerung erwacht und weht mir die Bilder der vergangenen Nacht in leuchtenden Schleiern über den inneren Horizont. War es das Bannock, welches mir die Kraft wiedergegeben hat, das visionäre Geschehen nun aufzuschreiben?

    Stirnrunzelnd betrachte ich den kurzen Stift. Er ist schon ziemlich »abgeschrieben« – er ist mein letzter. Dennoch spitze ich ihn sorgfältig, sammle die abgeschabten Holzkringel in einer kleinen Schachtel für den Ofen und beginne zu schreiben, ohne noch einen Gedanken an die Vergänglichkeit meines Schreibgeräts zu verlieren. Immer wieder muss ich zwischendurch die Lider schließen, wenn das Licht zu hell, zu überwältigend wird.

    Aurora borealis!

    »Noch ist es nicht Winter!«, schießt es mir durch den Kopf. »Doch wie bald, wie bald.

    Es ist Herbst.«

    Die wandernden, wehenden, tanzenden Lichtschleier erobern das Firmament, die Farben verändern sich in diesem Gespinst aus funkelndem Schein. Kann dies die Geophysik fassen, die es uns als ein komplexes Wechselspiel elektrischer Teilchen zwischen der polaren Magnetosphäre und dem Sonnenkosmos erklärt?

    Sieh! Die Lebewesen dieser Erde bleiben noch im Dunkel verborgen, schauen gebannt auf das unbegreifliche Schauspiel.

    Doch da – seltsame Schatten klettern plötzlich auf diese Bühne,

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