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Saemtliche Werke von Jean Paul (Illustrierte)
Saemtliche Werke von Jean Paul (Illustrierte)
Saemtliche Werke von Jean Paul (Illustrierte)
Ebook11,134 pages162 hours

Saemtliche Werke von Jean Paul (Illustrierte)

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About this ebook

Jean Paul gehört zu den größten deutschen Romanautoren der romantischen Ära. Jetzt genießen Sie die kompletten Werke von Jean Paul auf Ihrem E-Reader. Diese enorme Sammlung umfasst auch spezielle Bonustexte. (12MB Version 1)

Merkmale:
* die vollständige Romane und Novellen, mit Inhaltsverzeichnissen
* kurze Einführungen in die Romane und andere Texte
* zahlreiche Bilder mit Bezug zu Jean Paul, seinem Leben und seinen Werken
* Sachbücher, Satirische Skizzen und Briefe
* die vollständigen autobiographischen Werke. Erkunden Sie Jean Pauls erstaunliche Leben!
* enthält eine Biografie als Bonus

INHALT:
Romane
ABELARD UND HELOISE
DIE UNSICHTBARE LOGE
HESPERUS ODER 45 HUNDPOSTTAGE
SIEBENKÄS
TITAN
FLEGELJAHRE
LEBEN FIBELS
DER KOMET
SELINA

Erzählungen
LEBEN DES VERGNÜGTEN SCHULMEISTERLEIN MARIA WUTZ IN AUENTHAL
LEBEN DES QUINTUS FIXLEIN
DER JUBELSENIOR
DAS KAMPANER TAL
KONJEKTURALBIOGRAPHIE
DES LUFTSCHIFFERS GIANNOZZO SEEBUCH
DES FELDPREDIGERS SCHMELZLE REISE NACH FLÄTZ
DR. KATZENBERGERS BADEREISE
DES GEBURTSHELFERS WALTHER VIERNEISSEL NACHTGEDANKEN ÜBER SEINE VERLORENEN FÖTUS-IDEALE, INDEM ER NICHTS GEWORDEN ALS EIN MENSCH

Satirische Skizzen
GRÖNLÄNDISCHE PROZESSE
AUSWAHL AUS DES TEUFELS PAPIEREN

Sachbücher
VORSCHULE DER ÄSTHETIK, NEBST EINIGEN VORLESUNGEN IN LEIPZIG ÜBER DIE PARTEIEN DER ZEIT
FREIHEITSBÜCHLEIN
LEVANA ODER ERZIEHLEHRE
APHORISTISCHES
BEMERKUNGEN ÜBER UNS NÄRRISCHE MENSCHEN
CLAVIS FICHTIANA
DÄMMERUNGEN FÜR DEUTSCHLAND
DAS HEIMLICHE KLAGLIED DER JETZIGEN MÄNNER
DER MASCHINENMANN
DIE DOPPELHEERSCHAU IN GROSSLAUSAU UND IN KAUZEN NEBST FELDZÜGEN
DIE VERNICHTUNG
DIE WUNDERBARE GESELLSCHAFT IN DER NEUJAHRSNACHT
FRIEDENS-PREDIGT AN DEUTSCHLAND
MARS' UND PHÖBUS' THRONWECHSEL IM JAHRE 1814
MEIN AUFENTHALT IN DER NEPOMUKSKIRCHE WÄHREND DER BELAGERUNG DER REICHSFESTUNG ZIEBINGEN
MUSEUM
PALINGENESIEN
POLITISCHE FASTENPREDIGTEN WÄHREND DEUTSCHLANDS MARTERWOCHE
ÜBER DIE DEUTSCHEN DOPPELWÖRTER

Briefe
JEAN PAULS BRIEFE UND BEVORSTEHENDER LEBENSLAUF

Autobiographisches
SELBERLEBENSBESCHREIBUNG
BIOGRAPHISCHE BELUSTIGUNGEN

Biografie
JEAN PAUL von Walther Harich
LanguageDeutsch
Release dateAug 11, 2015
ISBN9781909496163
Saemtliche Werke von Jean Paul (Illustrierte)

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    Saemtliche Werke von Jean Paul (Illustrierte) - Jean Paul

    SÄMTLICHE WERKE VON

    JEAN PAUL

    (1763-1825)

    INHALT

    Romane

    ABELARD UND HELOISE

    DIE UNSICHTBARE LOGE

    HESPERUS ODER 45 HUNDPOSTTAGE

    SIEBENKÄS

    TITAN

    FLEGELJAHRE

    LEBEN FIBELS

    DER KOMET

    SELINA

    Erzählungen

    LEBEN DES VERGNÜGTEN SCHULMEISTERLEIN MARIA WUTZ IN AUENTHAL

    LEBEN DES QUINTUS FIXLEIN

    DER JUBELSENIOR

    DAS KAMPANER TAL

    KONJEKTURALBIOGRAPHIE

    DES LUFTSCHIFFERS GIANNOZZO SEEBUCH

    DES FELDPREDIGERS SCHMELZLE REISE NACH FLÄTZ

    DR. KATZENBERGERS BADEREISE

    DES GEBURTSHELFERS WALTHER VIERNEISSEL NACHTGEDANKEN ÜBER SEINE VERLORENEN FÖTUS-IDEALE, INDEM ER NICHTS GEWORDEN ALS EIN MENSCH

    Satirische Skizzen

    GRÖNLÄNDISCHE PROZESSE

    AUSWAHL AUS DES TEUFELS PAPIEREN

    Sachbücher

    VORSCHULE DER ÄSTHETIK, NEBST EINIGEN VORLESUNGEN IN LEIPZIG ÜBER DIE PARTEIEN DER ZEIT

    FREIHEITSBÜCHLEIN

    LEVANA ODER ERZIEHLEHRE

    APHORISTISCHES

    BEMERKUNGEN ÜBER UNS NÄRRISCHE MENSCHEN

    CLAVIS FICHTIANA

    DÄMMERUNGEN FÜR DEUTSCHLAND

    DAS HEIMLICHE KLAGLIED DER JETZIGEN MÄNNER

    DER MASCHINENMANN

    DIE DOPPELHEERSCHAU IN GROSSLAUSAU UND IN KAUZEN NEBST FELDZÜGEN

    DIE VERNICHTUNG

    DIE WUNDERBARE GESELLSCHAFT IN DER NEUJAHRSNACHT

    FRIEDENS-PREDIGT AN DEUTSCHLAND

    MARS' UND PHÖBUS' THRONWECHSEL IM JAHRE 1814

    MEIN AUFENTHALT IN DER NEPOMUKSKIRCHE WÄHREND DER BELAGERUNG DER REICHSFESTUNG ZIEBINGEN

    MUSEUM

    PALINGENESIEN

    POLITISCHE FASTENPREDIGTEN WÄHREND DEUTSCHLANDS MARTERWOCHE

    ÜBER DIE DEUTSCHEN DOPPELWÖRTER

    Briefe

    JEAN PAULS BRIEFE UND BEVORSTEHENDER LEBENSLAUF

    Autobiographisches

    SELBERLEBENSBESCHREIBUNG

    BIOGRAPHISCHE BELUSTIGUNGEN

    Biografie

    JEAN PAUL von Walther Harich

    © Delphi Classics 2012

    Version 1

    SÄMTLICHE WERKE VON

    JEAN PAUL

    Romane

    Jean Pauls Geburtshaus in Wunsiedel

    Jean Paul, 1797

    ABELARD UND HELOISE

    Abelard und Heloise, ein Briefroman, ist Jean Pauls erstes Werk. Es entstand 1781 und blieb unveröffentlicht.

    Wunsiedel, c. 1800

    ABELARD UND HELOISE

    Im Jenner 1781

    Der Empfindsame ist zu gut für diese Erde, we kalte

    Spötter sind - in iener Welt nur, die mitweinende

    Engel trägt, findet er seiner Tränen Belonung. —

    ABELARD’S BRIEF’ AN WILHELM

    Den 1. Mai.

    Kaum hast du mich verlassen, Lieber! so folgt schon ein Brief. Ach lang’ hab’ ich dir nachgesehen, weinend nachgesehen, da wir an ienem Hügel uns schieden. Wie mir’s so warm um’s Herz ward! - Die Träne quol, da ich an deiner Seite gieng und dich vielleicht zum leztenmal umarmte. Die Tautropfen blinkerten hei, die Gegend lächelte hold, und die Sonne stralte sanft, da ich dir die Hand mit weggewandten Augen drukte - wehmütig dich ansah und schied. Ach Lieber! was ist ein Menschenleben one Freund! So kalt, so eng, so eigennüzzig! - Ich fült’ es wol, daß ich dich verlor - Verstört gieng ich nach Hause - ich hatt’ allerlei Empfindungen und Gedanken durcheinander - und empfand und dachte gerade nichts. Überal vermist’ ich dich. Ich möchte mich ganz in dein Herz schütten, ganz an deiner Seite meine Leiden, und meine Freuden dir mitteilen - aber Wilhelm ist nicht, nicht mer bei mir. Dafür schreib’ ich dir immer; und immer viel — Dies [?] war Prolog zu der Menge von Briefen, womit ich dich künftig überschütten wil.

    den 6. Mai.

    Die Phantasie wird oft unser Henker; aber auch oft zaubert sie uns Freuden, die nie wirklich sind, deren Genus aber alles übertrift. Ich bin ein Beispiel. Ich schweb’ iezt in Entzükkung, atm’ Himmelsluft und schlürfe mit vollen Zügen den Becher der Wollust aus. Ich sperre mich nicht ein - sondern Gottes milde Natur ist mein Aufenthalt. Ich steh’ früh auf; und meine erste Sorg’ ist, dem Orte, we ich wone, zu entfliehen. Hier empfang’ ich die Natur mit ofnen Armen, mit heitern Sinnen. Alles belebt mich. Alles reist mich hin zum Dank gegen den Urheber meines Lebens. Wenn die Sonne langsam am roten Horizont heraufsteigt und ihre Erde zur Freude befeuert - wenn die Nachtigal mit traurigen Tönen die Sele in Wonne schmilzt, wenn tausend Blümchen duften, tausend Vögel dem Gütigen singen, tausend und tausend Würmchen zur Freude geschaffen, unbemerkt hinschleichen - wenn ieder Tautropfen eine blinkende Sonne, und iede Sonne ein Spiegel dergötlichen Lieb’ ist - wenn ich Gottes Gegenwart, der sich im Gräschen und Zeder, in der Milb’ und dem Elephanten naht, so nahe, so lebhaft füle — dan dan sink’ ich, ich beuge die Knie und falte die Hände, und seh’ hoch hinauf zu ihm, zu diesem Guten, diesem Vater. Ich kan dan nicht reden; aber weinen, seufzen kan ich. Eine Träne drängt die andre. - Nichts erwekt mich hier aus meinen süssen Träumen. Kein Pedant - der mich mit unnüzzen, kalten Wissenschaften folterte: kein Vater - dessen Streng’ ich fürchten dürfte. Ich liebe die Wissenschaften, aber nur einige sind für mich, und ich dank’s Got, daß sie’s sind. Ich lerne das, was ich lernen wil; denn warum solt’ ich in einer Sache weiter zu kommen suchen, deren Andenken meiner Sele schon verhast ist? -

    Ich gehe mit Menschen um, die mich nie beleidigen; - und wenn sie mich beleidigen, vergeb’ ich. Ser leicht find’ ich einen Grund, der ihr Verhalten gegen mich entschuldigt. Ist’s nicht eine Freude, in so einer Welt zu leben! Überal bin ich warm, allem steht mein Herz offen! Die Welt scheint mir ein Elysium; und ich wundre mich, wie man hat ein Jammertal daraus machen können. Möcht’ ich ewig so mein Leben verträumen! Aber - aber - ach die Täuschung verliert sich einmal: ich zitre!

    den 20 Mai.

    O unbeständiges Herz! Heute läst du mich lachen, und morgen weinen. Vergleich’ meinen lezten und diesen Brief mit einander - — und du wirst den Unbeständigen ganz darinnen entdekken. Bald seh’ ich, vol Wonnegefüls, alles in Freude, alles im Junius; - — bald faltet düstre Schwermut meine Stirne, und innerer Gram zernagt alle Keime der Freude. Ich bin iezt wehmütig - ein Wort, das mir soviel ausdrükt. Ich spazziere bis Abends; bis der Mond schimmert. Ach und dan fül’ ich ein so ungewontes Senen in meinem Herzen - einen so innern Drang, Tränen zu weinen. Ich bin so vol, und doch so ler. Bis an ienes melancholische Dunkel ienes Wäldchen geh’ ich abends. Die Bäume säuseln Wehmut in mein Herz hinein - Amseln und Nachtigallen schlagen laut - Landleute begeben sich, des Tages Last müde, nach Haus. Almälig stralet die Sonne röter: almälig entsteigt der graue Nebel der dürren Erde - almälig verdunkelt sich’s um mich. Alles schweigt-Ich bin wie ein Träumender dan. Endlich blinken hie und da einzelne Stern’ in iener blauen Tief’ und am grauen Hügel steigt der Mond so ruhig, dem Leidenden so mild, hervor. Ich blikke zu ihm - und denke, wie oft wirst du, wenn dein Herz schlagende Wellen trüben, hinauf mit betränten Aug schauen. Und dan andet’s mir so trüb - so dumpf! Mein Busen schwelt! Ich irre nach Hause. Alles ist mir dan ärgerlich, was mir vorkomt, sie sollen alle gleiches mit mir fülen, die, die nicht so gestirnt sind. Ich schelte den einen Kalten, der nicht warm ist, we ich’s bin. Aber nicht lange dauert dieser Zustand... Mein Vater sumset mir täglich in die Oren, daß ich so nicht weit genug komme. Er lies mich so nach und nach wissen, daß er mich in’s Gymnasium einer nahen Stadt tun wolte. Das Ding ist mir schon verdrüslich, wenn ich daran denke. Ich fürcht’ immer, man möchte mich aus meinem süssen Traum erwekken. Und was für Kerl’s werd’ ich dort antreffen! Aber wenn sie fülten wie du, Lieber! wenn sie gut wären; dan - Glük für mich!

    den 28. Mai.

    Es ist richtig, guter Wilhelm! In vierzehn Tagen bin ich in der Stadt. Mir wird’s iezt da ganz kurios um’s Herz. Ich denk’ immer an’s Scheiden, und dies stimt mich ganz zum Traurigen, zum Wehmütigen um. Alles erscheint mir anders - alles, als wenn ich’s zum leztenmal sähe. Ach die Wiesen, die ich so oft an deiner Hand durchstrich, blühen nicht mer für mich wie sonst: sie scheinen ihren Liebling, der sie nun bald verläst, zu betrauern - iede weise Lilie, iede blasrote Rose ist mir heilig, denn sie erinnert mich meiner Hinfälligkeit. Der Mensch liebt die Veränderung: und doch hat er so viele Mühe, sie vorzunemen. Durch’s Herz geht’s mir, wenn man mir vom Zubereiten, vom Einpakken sagt. Und wenn nur keine Zeremonie mer unter uns war! Dies kalte Abschiednemen von solchen, die uns so wenig interessiren, ist Schuld an allem Gefüllosen, Unempfindlichen, das so oft uns in unserm Leben aufstöst. Eine iede Zeremonie war’s erstemal warmer Herzensausdruk. Das andremal war sie Spiel nachamender Affen, die nichts dabei empfanden - — und wurde zum drittenmal zur Mode; wobei zugleich die Sitt’ aufkam, kalt zu sein bei warmen Worten. Und ich - kan nicht Lebewol sagen, one zu fülen, was ich sage, - one mir Tränen in die Augen kommen zu lassen. Dies komt denn den kalten Narren so weibisch und schwärmerisch vor! - Wenn die ganze Sache vorbei ist, werd’ ich dir erst wieder schreiben.

    den 16 Junius.

    Endlich nach vieler Müh’ hab’ ich Zeit, dir zu schreiben. Überal ist Geräusch um mich her - überal Zerstreuung. Sol ich dir denn nun mein Ziehen der Läng’ und der Breite nach, erzälen?

    — Vielleicht würde wenig Interessantes darinnen sein: wenn du nicht der wärest, der alles von mir mit fülendem Herzen aufnäme. Der Tag meines Abzugs kam. Als die Morgensonn’ in mein Bette stralte, und ich die Augen öfnete -- waren Tränen mein Gebet. Beklemt stund ich auf. Allerlei Dinge zerstreuten mich, bis um 7. Ur frühe der Wagen vor die Türe gerasselt kam, auf dem ich mit meinem Vater in die Stadt faren solte. Über mein Aug’ war schwarzer Flor - die Tränen versiegten nicht. Jeder Händedruk; iedes Lebewol durchdrang mir die bebende Sele. O! es drängt’ im Innern - o ich wünschte, so zu sterben. Ach Freund, wenn du dieses liesest, du wirst mir nicht glauben, nicht mit mir sympatisiren können - aber erinnere dich, wenn du einmal deine Eltern, oder dein Weib, deine Kinder, oder deine Freunde verlassen must, erinnere dich, daß ich gesagt habe: Scheiden ist schwer.

    Ein herlicher Tag war’s - die Sonne gos ihr Licht so sanft in meine rotgeweinte Augen - die Wiesen dufteten so balsamisch und ein Konzert von Gottes Sängern durchtrillerte so melodisch die Luft. Ich kam in die Stadt; one noch recht zu mir gekommen zu sein. Bald gewont’ ich da ein: ob gleich ein inniges Senen mich weiter wegzog. Ich besuch’ iezt die Schule. Die Lerer sind Leute so so! Sie nären sich von Duft und Wind; sie geben ihrem Verstande nichts bedeutende Narung - und lassen das Herz verwelken. Denn man schimpft hier auf die neuen Empfindler. Keiner ist nach meinem Geschmak. Und die Schüler! da weis ich dir noch weniger zu sagen. Viel Gutes vermutet’ ich von ihnen, aber meine gute Meinung sinkt. Sie sind Ebenbild ihrer Lerer. Wenn nun’s Original schon schlecht ist; mus nicht die Kopie unerträglich sein? - Ach Kälte, Kälte! daß du liberal deine Vererer, deine Altär’ hast! Wennich doch hier einen ändern Wilhelm, Guter! anträffe - einen Freund, in den sich mein strömendes Herz ergiessen könt. Ich mache Versuche; aber bald Schauder’ ich zurük, und werfe die vermeinten Freunde wie glühende Kolen aus der Hand. - Meine warmen Herzensausgüsse werden mit Spötteln in ihre Ufer zurük getrieben: ich schäme mich dan, (wie paradox!) gut gehandelt zu haben. Wilst du sie kennen lernen? Lies dieses Gespräch.

    ICH. Wie freu’ ich mich, daß es nun wieder Sommer ist! Herlichers kan ich mir nichts gedenken, als alle Tage, früh und abends, spazzieren gehen —

    SCHÜLER. Ich auch - wenn ich gearbeitet habe! Man macht sich eine gute Mozion.

    ICH. O dieses ist’s wenigste. Dieses Vergnügen kan ich eben so gut in der Stube geniesseil. Aber, lieber Freund! die milde Natur betrachten und sich von ihr rüren lassen —

    SCHÜLER. Da müssen Sie noch wenig im Sommer spazzieren gegangen sein. Das erstemal, wenn ich im Früling’ mich im Felde befinde, da gefält mir alles. Aber im Sommer da hört’s Vergnügen schon auf - Man hat’s ia alle Tage —

    ICH. So so! Ihnen mag’s so sein - mir nicht. Ekstatisches Gefül überwältigt mich, und —

    SCHÜLER. Sie verschmachten für Hizze. (spöttelnd.)

    Mit solchen Kerl’s hat man umzugehen. Und dieser ist noch einer von der bessern Art. Denn er hat doch räsonniren gelernt. Aber hier ein Dummer, da ein Dummer. Man äft mich; denn ich bin fremd. Ich bin zu offenherzig, darum hält man mich für einen Einfältigen - darum werd’ ich so oft betrogen. Nun so hab’ ich dir denn nach Art der alten, und erenvesten Kronikschreiber alles beschrieben - und es wär’ Zeit, ein Ende zu machen. Nur dieses sol das Resultat von allem diesen sein: in dieser Stadt werd’ ich wenig besser werden; viele Mühe wird’s hingegen kosten, nur das zu bleiben, was ich bin.

    den 29. Jun.

    Wenn ich doch Zeit genug hätte! Ich leb’ unter den Leuten so mit hin. Ich befürchte gar, ihnen änlich und mir unänlich zu werden. Selten phantasir’ ich wie sonst - aber wenn ich’s tue, dan bin ich ganz Abelard. Ich weine seltner als sonst, aber die Tränen sind inniger. Ich lache mer als sonst, aber über geringere Freuden, über nichts bedeutende Dinge. Unter allen hier scheint einer mir änlich zu sein. Wir empfinden fast schon unsre Gleichheit - unsre Herzen ziehen sich an wie der Magnet das Eisen - — aber wenn nur äussere Verhältnisse nicht hindern. Entweder wir werden’s bald - oder nie. Lebe wol!

    den 12. Julius.

    Und wir sind’s bald geworden! Ich habe gesucht, und fand, was ich suchte. Lieber Wilhelm, wenn du nicht noch lebtest, so würd’ ich Pytagoras Selenwanderung annemen, und glauben, deine Sele wär’ in seinen Körper gefaren, so ganz änlich ist er dir. Aber Glük für mich! Ich habe zwei Freunde gefunden. Ein Gespräch über ein Buch fachte den Funken an, der schon in uns glimte - wir wurden ein ander dadurch näher gebracht. Wilst du’s lesen? - hier.

    ICH. Unfelbar haben Sie Stilling’s Jugendgeschichte gelesen?

    KARL. Mit Freuden erinner’ ich mich’s.

    ICH. Und ich auch - Gewis es mus Ihnen ser gefallen haben?

    KARL. O wer’s nur fülte. Dies Buch ist ganz für den Jüngling geschrieben. Ein Stral von der so unbesorgt durchlebten Kindheit umdämmert so sanft die Sele - alle unschuldige Wonnen, in der Jugend genossen, leben in der Sele wieder auf - man senet, senet sich, einem Freund’ an den Busen zu fallen und an ihm der Freudenerinnerungstränenf!] auszuweinen -

    ICH. Guter! wie oft dacht’ ich’s, wünscht’ ich’s - und umsonst.

    KARL. Und ich - auch umsonst - umsonst (nachdenkend)

    ICH. (ihn anblikkend) umsonst? - o wir fülen, Guter - wir - — wir —

    KARL. wollen’s sein - ach Freunde sein, es bleiben - Freunde. Wehmütig sah’ ich meinen Freund an -- die Tränen entdrangen den Augen. Ich entfernte mich. Denn sie ist nicht auszuhalten, die nahe Gegenwart des Weinenden. Alles wird in der Sele gespant. Alles engt uns ein! Leb wol, lieber Wilhelm! Du bist mir nun doppelt teuer, lieber. Denn ich kan dich täglich in deinem Ebenbilde lieben. Jedes Unglük wil ich aushalten - denn ich habe zwei Freunde gefunden. -

    den 24. Jul.

    Du wünschest meinen Freund näher kennen zu lernen? - Dies wird dir leicht sein; denn du brauchst nur dich zu kennen - er ist ganz dein ander Ich. Sein Vater ist Pfarrer in einem Dorfe, das eine halbe Meile von der Stadt entfernt ist. Er hat Geld genug, um woltätig zu sein: und nicht zu viel, damit in Laster zu verfallen. Fast täglich besuch’ ich ihn. Hier geniess’ ich Götterwonne. Abends, wenn der Mond sein Zimmer erleuchtet, phantasirt er mit wehmütigen Tönen auf dem Klavier - die immer trauriger, dumpfer, selenschmelzender werden, die so silbern in die Sel’ hinein tönen. -

    Wir sind ganz für einander geschaffen. Aber unsre Freundschaft würde dauerhafter, inniger sein, wenn unser Stand uns nicht von einander unterschied. Er ist ganz Freund, wenn wir allein sind; aber zurükhaltend und kalt, wenn er andre um sich hat. Eben die Gemütsart, die uns zu Freunden vereinigt, macht uns oft zu Feinden. Wir sind beide hizzig, aufbrausend. Eben deswegen giebt’s oft Zänkereien zwischen uns beiden. Aber diese kleinen Uneinigkeiten sind nur da, um die erkaltende Freundschaft wieder anzufachen - wir lieben uns nie mer, als wenn wir vorher Feinde gewesen sind. Jeder wil sein Recht behaupten, sich zu rächen; und doch ist ieder geneigt, zu verzeihen, wenn nur einer den Anfang machte. Wenn wir uns entzweien, so werden wir leicht wehmütig: hüten uns aber, es einander merken zu lassen. Dies ist getreues Gemälde der Natur!

    - — Aus diesem allem schliess’ ich: es ist ser schwer, einen Freund, den man vorher war liebte, zu hassen. Man hast nur zum Schein.

    den 28. Jul.

    Mein Freund wil mich iezt unter den Hundstagen mit zu seinen Eltern nemen. In ein par Tagen werden wir abreisen. Ich verspreche mir glükliche Tage. O herlich ist Freundschaft! Guter! stelle dir die Welt in al ihrer Herlichkeit und Pracht vor, die sie haben würde, wenn alle einander liebten, wie ich, du, und Karl. Wir würden keinen Himmel verlangen; denn wir hätten ein Paradies schon auf der Erde. Und wir Menschen beklagen uns doch oft über die Vorsehung, und bedenken nicht, daß wir selbst unsre grösten Peiniger, Henker sind. - Lebe wol, Freund! bald werd’ ich dir schreiben.

    den 1 August.

    Gestern kam ich mit meinem Freund in seiner Wohnung an. Eine der vergnügtesten Reisen, die ich ie getan habe! Abends um 6. Ur gieng ich mit ihm ab. Unter freundlichen Gesprächen erreichten wir’s Dorf. Gerade gieng die Sonn’ unter - o Freund! dies war ein Schauspiel! würdig des grossen Weltschöpfers! - Eine Röte verbreitete sich über den halben Himmel, die kein Pinsel des Malers ie erreicht hat - so schön vermischten sich die weisen, duftigen Wolken mit dem goldnen, rötenden Sonnenstrale. Tausend goldne Fliegen, tausend kleine Tiergen spielten unbesorgt im lezten Lichtstral - sie freu’ten sich der Wärme, die ihnen so wol behagte. Und wir - wir Menschen nemen so selten die Woltaten, die aus unsers guten Gottes milder Hand fliessen, on’ Argwon, one Räsonniren on - Wenn wir doch alles mit warmen Herzen, unbesorgt, genössen, was uns dazu gegeben ist! — Durch eine lange Reihe von Bäumen musten wir’s Dorf erreichen. Das Schnurren der Käfer, das Quakken der Frösch’ im nahen Teiche, das Sumsen der Mükken, das Lispeln der Bäume — alles dieses fiel uns so warm auf’s Herz! Endlich erblikten wir’s Dorf, in Linden liegen, durch deren Laub das matte Licht des Mondes durchzitterte. An der Türe der friedlichen Hütte stand meines Freundes Vater - ein erwürdiger Greis. Ruhig schmaucht’ er seinen Tabak. Mit al iener patriarchalischen Unbefangenheit, Offenherzigkeit, mit iener ungekünstelten Biederheit und Deutschheit empfieng uns der Alte und seine Gattin - weiblicher Abdruk des alten Greises! - Sie freueten sich ihren Son zu sehen; sie namen liebreich uns auf, one iene Komplimente, die kalte Heuchler, äffende Franzosen erdachten. Ein kleines Mädchen von vier bis fünf Jaren hüpfte lachend um ihren Bruder; und sah’ auf die Hände, ob sie ihr ‘was mitbringen würden. Freund! hier ist Natur! Ich leb’ hier glüklich: sei du’s auch!

    am 4. August.

    Bald wird die Glokke 12 schlagen: und ich bin noch beschäftigt, dir zu schreiben. Alles schläft schon; ich blos wache noch. Und warum? Ich komm’ eben von einem Spazziergange zurük, den ich auf dem Kirchhofe machte, welcher die Pfarwonung umgiebt. - Ich bin iezt so vol von Empfindungen, daß ich befürchtete, sie verrauchen zu lassen, wenn ich sie dir nicht gleich mitteilte. Ich sah’ unter Mondsblinkern al iene einsam zerstreute Kreuz’ auf den Gräbern der Redlichen, auf welchen ernstes Mos wuchs; iene flinkernde Todeskränze, auf denen das schimmernde Mondenlicht so sanft abpralte. Ich dachte: »Sieh’! du lebst noch und tritst mit Füssen den Staub der Brüder, die eben das waren, was du bist - und bald wirst du ihnen auch gleich werden. Denn bald wird der Wurm die blühende Wange zernagen - bald wird Moder und Verwesung deinen Anblik scheuslich machen — bald, bald wirst du hier liegen, schlummern.«

    Ich sezte mich auf einen neuen Grabeshügel. Ich sah’ die durchlöcherten Menschenknochen - die Schädel, in denen ein menschlicher Geist eh’mals wonte. Es war mir, als wenn der Verstorbnen Geister sanft mir die Wange belispelten, in mir iede Tiefe der Empfindung erschütterten. Die Bäume rauschten heilig, dumpf im Gottesakker - der silberne Mond gieng am blauen Himmel unter dem Sternenher weg — Alles dieses zusammen stürmte so in meine Sele, daß ich nieder fiel, laut betete: O guter Got! mein Schöpfer! Hier bin ich unter denen, denen ich bald gleich sein, bald an ihrer Seite mitmodern werde. Vater! ich sündige! achvergieb dem Schwachen! Hier auf diesem Grab’ bet’ ich zu dir! Las mich; las mich, wenn dieser Geist der Erd’ entflohen, und dieser Körper mit ihr vermischt wird - dich schauen, ach las mich gliiklich sein! Und, o Jesus! der du auch des Todes stillen Schlummer schlummertest, wisch’ die Tränen dem Leidenden ab! Ach guter Got! wenn ich doch bei dir schon wäre, um zu trinken des Himmels Wonn’ aus dem Becher deiner Liebe-um zu leben mit Guten, um nicht mer Tränen des Elends zu weinen, nicht mer gedrängt zu sein! —

    Erschöpft stand ich auf - floh’ und schrieb eilig dieses Blat an dich. Es tobt in mir! Ich werde wenig schlafen können. Die Unordnung, die in diesem Brief’ herscht, wird dir die ganze Gestalt meiner Sele deutlich genug enthüllen.

    am 6 August.

    Verwirrung! Ein Gedanke durchkreuzt den ändern. Ich kenne mich kaum. Ich wil dir die Ursach’ erzälen; aber unordentlich genug. Gestern abends spazziert’ ich nach einem kleinen Wäldchen. Ich war eben auf dem Rükwege wieder, und in Gedanken vertieft, als — du wirst iezt ‘was ausserordentliches erwarten, und dich betrügen - als mir ein mittelmässig gekleideter Man begegnete - das ist aber das wenigste - der ein weibliches Geschöpf am Arme fürte, das - Aber hier, Freund, feien Worte. Die erste, die mir ganz Weib scheint - nein, nicht Weib, ganz Engel. Jedes Frauenzimmer gefiel mir nur bisher; aber diese rürte mich. Ach ich liebe sie - sie, die ich nicht kenne. Ich kenne nur ihre Bildung, die mir Unschuld und Tugend verspricht - ich sah nur ihr Auge, in dem gequälte Unschuld nach Mitleid herausschmachtete; - aber ihren Namen, ihren Stand, ihre Auffürung weis ich nicht. O Herz! was bist du iezt! Ich bin nicht mer Abelard. Ich bin’s mer oder weniger - ich weis es nicht. Jezt schmacht’ich blos, sene michblos, weine blos. Tausendmal des Tages schwebt mir ihr Bild in einer solchen Glorie, solchen Reinheit, solchen Liebenswürdigkeit vor, daß ich alles vergesse, was schön ist. Fast iedes andre Frauenzimmer hass’ ich iezt - weil ich nur eine einzige liebe. Aber ich bin verdrüslich dir Dinge zu beschreiben, wozu ich keine Worte finde.

    Ich wandte mich um, sah’ nach ihr und erblikte, wie sie sich umsah. Und nach mir? - Tödten hätt’ ich den Man wollen, der sie begleitete, daß er mir ein Vergnügen raubte, welches alle meine Sinn’ erfülte, meine ganze Sele begeisterte. Freund! hilf mir! Dies Weib raubt mir alle Besonnenheit - fesselt alle meine Tätigkeit, entnervt meinen Geist! Ich mag kaum’s Maul auftun: ich mag nichts reden, als von ihr, und da möcht’ ich nie aufhören. - Mein Freund Karl scheint die Veränderung an mir bemerkt zu haben. Er fragte nach der Ursache, die ich ihm verbarg. Ein Liebender ist kalt gegen den Freund, dem er sich nicht entdekken darf - und der wärmste gegen den, dem er all’ Heimlichkeiten seines Herzens vertrauen kan - dies hab’ ich iezt an mir gelernt. Der Liebe Macht kan ein Einziger Mensch nicht ertragen; andre müssen sie mit tragen, ändern mus er sie entdekken. Darum hat ein solcher einen Freund so nötig. Leb’ wol! In mir wüten Stürme.

    am 12 August.

    Ach! umsonst hoft man, daß die Zeit die Flamme verlöschen sol, die iede Nerve durchglüht - sie facht sie vielmer an, die Liebe wächst. Die Einsamkeit vermert sie - und desto mer, ie weniger man den Gegenstand seiner Liebe nicht vor Augen hat. Unsre Einbildungskraft verschönert uns die Liebenswürdigkeit der geliebten Person in’s unendliche; da uns die Sinne sie nur in ihren natürlichen Reizen darstellen. Die Einbildung läst iede Unvolkommenheit des Bildes weg; die Sinne verbergen sie nicht. Deswegen ist Einsamkeit der Liebe so gefärlich - nein!

    nicht gefärlich, so tröstlich, so närend —

    Mein Freund Karl wendet alle Mittel an, mich meinen Schwärmereien (wie er’s nent) zu entreissen, wieder Freud in meine Sel’ auszugiessen; aber er wird seines Endzweks verfelen. Mit vieler Müh’ und Not hat er mich beredet, morgen mit ihm zu einem Kaufman in dem Städchen K- zu reisen, und bei ihm eine Summe für seinen Vater auszuzalen. Er hat mir ihn schon geschildert - der Kaufman ist ein filziger Teufel auf dieser Welt. O kriechende Insekten! Ich möchte den Kerl prügeln, one daß ich [ihn] noch gesehen habe. Und doch geh’ ich zu ihm! Freund, es ist ein wunderliches Ding darum, daß man mit dem oft gerne umgeht, den man doch von Herzen hast. Man hat eine Freude daran, daß man sie hassen kan. Es komt daher — verdamt sei doch dies kalte Räsonniren. Ich liebe, ich füle blos, und - verzeih’ mir’s, lieber Wilhelm. Kält’ und Wärme des Herzens haben bei mir iezt ihre periodische Riikker, wie’s Fieber. —

    Adieu!

    am 13. August.

    Freund ich kan mich nicht mer halten, ich überlebe die Wonne nicht, mein Herz fast sie nicht, sie zerreist mir’s Gehirn! Ich habe sie gefunden, die ich liebte, ich kenne sie und glüh’ ihr. O tausend Dank meinem lieben Karl, der sie mir entdekken half; one dem ich einen Engel weniger auf der Erde würde gekant haben. Ich wil dir’s erzälen, tausendmal erzälen: denn ich werd’ es nie sat werden. Nachmittag reist’ ich mit meinem Freund ab. Unter schönen Wetter kamen wir endlich im Städchen K- an. Ich gieng mit in’s Haus des Kaufmans, den ich dir schon vorher als einen kargen Man geschildert habe. Mein Freund bezalt die Summe von seinem Vater an ihn. Wie lächelnd er’s Geld einstrich! wie sorgfältig er hinschielte, um zu sehen, ob richtig gezält sei! Sein dürres, schwarzes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, aus dem des Geizigen Sele ganz durchschien. Er war so gastfrei, uns auf einen Kaffee dazubehalten. Man trug ihn auf - und wer? Meine, die Geliebte, die ich neulich im Wald sähe, die Gute! Ein weises Unschuldskleid mit blasroten Schleifen war ihr Gewand. Durch mein Inneres durchbebte mich ihr Anblik - fast alle Sinne vergiengen mir - ich muste vor Freuden weinen. Sie macht’ ihr Kompliment so natürlich, so ungezwungen. Ich stotterte. Star blikt’ ich sie an, und wolte mich weiden an ihrem Engelsblik - o Got, und ich kont’ es nicht ertragen. -

    Sie ist geschwäzzig. Der Geiz ihres Vaters scheint ihr manche Qual zu verursachen. Ich wandt’ al meine Selenkraft an, mich mit ihr zu unterhalten - aber da bracht’ ich kaum Ein gescheutes Wort heraus. Ich wolte mein Herz, das von Empfindung überflos, gern ihr zeigen; aber wie kont’ ich’s! Jedes Wort sagte mir zu wenig, war mir zu weitschweifig - ich wolte viel sagen, und sagte gar nichts. Sie unterredete sich meistens mit meinem Freund’. Nur, wenn sie lächelte, sah’ sie mich mit holder Engelsanmut an. Ach! sie blikket nicht nach Liebe - sie schmachtet, senet darnach. - Durch alle Glieder zitterte mir der Schauer, der mich eiskalt überlief, wenn ich ihre Hand, oder ihren Fus berürte. Wie uns doch Got so wunderlich geschaffen hat. Ein menschliches Geschöpf wie wir - ist uns Göttin - ist uns Quel der Seligkeiten, in welchen wir taumelnd sinken.

    Es wurd’ Abends: und ich glaubte, kaum eine Stunde da gewesen zu sein. Mein Freund brach auf; ich wüste nicht, wie mir geschah. Ich nam Abschied von ihr - so verwirt, so wild, so tobend! Ein unaufhaltbares Drängen entpreste mir die Worte: Vergessen Sie mich nicht. Sie antwortete darauf: wenn Sie bald wiederkommen. Das wiederhol’ ich mir so oft: es durchdrang al meine Sinne. Ich lief und eilte nach Hause. Mein Freund entdekte meinen Zustand. Es wurde mir unendlich leichter, nur mich ausschütten zu können. Aber er sympatisirt mir nicht genug. Es ist schwer, einen Freund zu finden, der an unsrer Lieb’ Anteil, warmen Anteil nimt. Ihren Namen sagt’ er mir. Sie heist Heloise. Drei Menschen in der Welt, die den Himmel verdienen, du, Heloise, und Karl. Freue dich mit mir: so wie du sonst mit mir geweint hast.

    am 16 August.

    Ich denk’ nur sie - meine Heloise. Alle Tage möcht’ ich zu ihr eilen. Mein Freund aber hält mich ab. Er sagt: es verbietet’s der Wolstand. O so hol der T- al den Wolstand, der mich hindert, glüklich zu sein. Ist’s nicht mit al unsern Gütern blos Kindertand, blos Puppenspiel? Sie sollen uns glüklich machen; und wenn sie’s einmal können, dürfen sie nicht. Dieser hat Geld - — macht’s ihn glüklich? - es hindert ihn, es zu sein. Er ist reich, deswegen sol er immer reicher werden, deswegen sol er keine arme Geliebte heuraten. O verdamte Güter! Last mich arm, last mich blos, und ich bin glüklich, in meinem Geiste glüklich. Oder - die Eltern dieses iungen Menschen haben nichts als einen berümten adelichen Stambaum aufzuweisen. Macht ihn dieser hohe Stand glüklich? Nein. Sein Herz begert’s iezt zu sein, er findet unter tausenden eine, die seine Sele liebt - aber sie ist von niedrer Geburt - Nun, darf er die, die seines Herzens Won[n]e, sein alles ist, auf die sein ganzes Wesen alle Kräft’ hinstrekt - diese darf er nicht lieben. Er sol unglüklich sein. O Bruder! wenn man sich so einengen lassen mus. Wenn uns die kalten Kerl’s mit gelassenen Blut al unsre Won[n]e, unsre Seligkeiten wegräsonniren, wegrauben, aus den Händen reissen - — wer wil sich halten? Mein ganzes Wesen strebt sich dagegen auf - ich knirsche. Ich mus - morgen mus ich zu ihr. Ich wil bei ihrem Vater mir Tuch zu einem holländischen Tuch kaufen. Ich werd’ allein zu ihr hingehen: und’s meinem Freund nicht merken lassen. Denn ich bin fast eifersüchtig auf ihn. Das ist Torheit meines Herzens? -

    am 17 August.

    Unter dem Vorwande, spazzieren zu gehen, entfernt’ ich mich von meinem Freunde. In einer Viertelstunde schon erreicht’ ich’s Städchen. Der Kaufman hatte mich mich nicht vermutet. Fast macht’ er schon eine grämische Miene; wenn ich nicht nach holländischen Tuch gefragt hätte. Wir wurden eins: ich kauft’ ihm’s ab. Aber seine Tochter sah’ ich nicht. Endlich nam ich mir’s Herz, nach ihr zu fragen. Eben trat einer herein, der mit ihm handelte, als er mir sagte, daß sie im Garten wäre. Ich ergrief diese Gelegenheit, antwortet’ ihm, daß ich ihn nicht stören wolle, und entfernte mich in den Garten. Er ist schön - der Garten, wenig Pracht - aber genug für einen, der Sin hat, die Natur zu lieben. Viele schattigte Lauben - duftende Nelken und andre Blumen, b[l]ühende, und fruchttragende Bäume reizten mich noch einmal so stark, weil ich meine Geliebte darin suchte. Endlich sah’ ich sie bei einer Rose stehen, welche erst vom Wind war entblättert und abgeknikt worden. Sie stand star - ihre Augen waren feucht. Ich überraschte sie: kaum konte sie mir antworten. Wir fiengen ein Gespräch von gleichgültigen Gartendingen an; sie arbeitet’ immer dazu. Endlich nötigt’ uns ein kleiner Regen, in eine Laube zu gehen. Wir sassen neben einander. Ach Bruder! wenn du wüstest, welches Glük dies für mich war! nur neben ihr zu sein! so nahe! Durch die fallenden Regentropfen blinkerte der gebrochne Sonnenstral so mild - Sie sagte: Eben so lächelt der Gute, ob ihm gleich Tränen entfallen. Freund! dies sagte sie gerürt. Sie blikte weg. Ich antwortete, war! war! und konte nicht ertragen die Zauberkraft dieser Wort’ an mir, die mich überwältigten; sagte: der Gütige wischt sie einmal ab, die Tränen, die Bedrängte weinen. Bruder! ich muste schluchzen, weinen. Sie nam meine Hand, drükte sie bebend. Es durchschauerte mich Himmelswonne, iede Nerve, iedes Äderchen glühte. Wir sahen einander an; und ich sah auf ihrem glühendem Gesichte die Wonne, die der Gute fült, der nach langen verschlummerten Jaren sein Haupt aus des Grabes Lager empor hebt, und seiner Taten Lon sieht, und Ewigkeit dazu - — die Augen standen gen Himmel, Gefül, Gefiül war ieder Linienzug ihres Antlizzes - die Tränen entrolten den Augen. Kont’s nicht aushalten, muste fliehen. Mit wilden Schritten gieng ich im Garten umher. Wüste nicht mer zu bleiben. Der Geist ist nicht für übermässige Wonne geschaffen. Er erträgt’s nicht. Endlich verschnauft’ ich ein wenig. Ein schöner Regenbogen glänzt’ im Tal. Jedes Blümchen duftete süs: ieder Regentropfen funkerte blizzend vom Sonnenblikke - alles lebte wieder. Wir kamen wieder näher. Ich war erschöpft und fieng folgendes gleichgültige Gespräch mit ihr an.

    ICH. Komt Ihr Vater oft in Garten? Ich glaube doch nicht, daß es ihm verdrüslich fallen wird, wenn ich mich hier so lang’ aufhaltc.

    ELOISE. O keinesweges. Man braucht seinem Geize nur genug zu tun, um alle Gefälligkeit von ihm zu erhalten. Sie kauften holländisches Tuch von ihm: nun wird er Ihnen alles erlauben. Der Geiz ist sein Laster - er ist die Ursache mancher bösen Handlung, die er schon verübte - - o meine Mutter! ICH. Wie? er wird doch —

    ELOISE. Er blos ist schuld, daß sie nun modert. Sein hartes Verfaren mit ihr, das vom Geiz entstand, raubt’ ihr iedes Vergnügen, verbittert’ ihr iede Freude. Endlich zerte der Kummer in ihr alle Lebenskraft auf — und sie ist nicht mer, für mich Unglükliche nicht mer. (Sie bükt mit nassen Augen gen Himmel) Und eben dieses Laster wird mich bald hinlief —

    ICH. Halten Sie innen! Er ist nicht blos Her! der Tyran!

    ELOISE. Ich bin unglüklich, so lang ich bei ihm bin. Ich werd’ es weniger sein, wenn er mich zu meiner Tant’ hintun wird - — und hier, Lieber, wollen wir oft —

    ICH. Wont Ihre Tant’ an dem Orte, we mein Freund Karl sich befindet? Das wär ein Glük!

    ELOISE. Ja! und in vierzehn Tagen werd’ ich ankommen. Deswegen bitt’ ich Sie, verschonen Sie mich wenigstens so lange mit Ihrer Gegenwart - die mir. so lieb ist - bis ich an diesem Orte bin. Mein Vater möchte Verdacht schöpfen. Dan aber wollen wir oft —

    Sie wurd’ unterbrochen. Denn ihr Vater kam gerade zur Gartentürherein. Wie unerträglich mir sein Anblik war! Der Teufel wäre mir weniger hassenswert gewesen, als dieser Quäler der Unschuldigen. Nun mer glaubt’ ich ihm wenig Verbindlichkeit mer schuldig zu sein, da ich das Glük mit seiner Tochter zu sprechen, on’ ihn zu befürchten, haben konte. Ich nam deswegen kalt von ihm Abschied. Das holländische Tuch versprach er mir nachzuschikken. Lebewol! das war viel geschrieben.

    am 20 August.

    Eine Szene, wie sie oft unter Freunden vorgeht, wil ich dir iezt beschreiben. Du weist aus meinen vorigen Briefen schon, daß ich und mein Karl ein wenig Uneins geworden sind. Ich kam Abends von meiner Heloise nach Haus. Auf die Frage meines Freundes, we ich gewesen wäre, gab ich fast ungestüm zur Antwort, auf dem Felde. Mich verdros es schon, daß er darnach gefragt hatte. Den ändern Tag schikte mir Heloisens Vater das holländische Tuch. Ich muste nun meinem Freund die Lüge gestehen. Es war mir unerträglich, nur um ihn zu sein. Aber Freund! ich traue dir zu viel Kentnis des menschlichen Herzens zu, als daß ich vermuten könte, du hieltest mein Betragen gegen meinen Freund für Bosheit des Herzens. Es ist ein eigen Ding mit dem Menschen. Je mer zwei Freund’ in eins zusammenfliessen, ie wärmer ihre Freundschaft ist; desto mer kontrastirt eine kleine Mishelligkeit mit der vorigen Liebe. Eben die Empfindlichkeit des Herzens, die sie zur Liebe stimt, stimt sie auch bei veränderten Umständen zum Hasse. - Ich hätte weinen mögen. Um mir Luft zu machen, gieng ich hinaus in’s freie Feld. Es war eine Stunde vor dem Sonnenuntergang. Ich lagerte mich auf einem Hügel, we ich ein weites Korngefilde, blumigte Wiesen, übersehen konte. Ich dachte so über mich nach. Mein Geist rufte die dämmernden Vorstellungen von den Tagen der Jugend, von ihren Freuden zurük. Ich lag so dort - und sah’ hinaus in die weite Welt - sente mich. Es wurde mir eng. Wie glüklich warst du, dacht’ ich, als du noch in unbesorgtem Kindheitssin alle Freude so warm genössest - als du dich freuetest über iede Kleinigkeit - als dir die Morgensonne behagte, weil ihr Stral dich wärmte - als der Abendsonnenstral dir gefiel, weil er so rot schien - als der Mond dich freute, weil er so hei schimmerte - — als noch in dir nicht Stürme das Herz durchwüteten - als du noch stil warst. Was ist der Mensch! Ich lag so da - ich übersah’ die weite Gegend, we der untergehenden Sonne roter Glanz durch die wallende Kornsat durchbrach, als die Lerche dem Schöpfer ihr Abendlied wirbelte, als ich im Dorf vom mosbewachsenen Turn herab die dumpfe Gebetglokke schallen hörte, als es dunkel wurd’ im Tal, und dunkler und immer dunkler die Röte den Horizont umschattirte, als das küle Abendlüftgen im hohen Grase, in den Buchen säuselte, als die Heuschrekk’ in den Kornblumen ihren einförmigen Gesang so fortsumsete — da erinnert’ ich mich, meinen Freund, Karl, so beleidigt zu haben - da ergrief mich’s. Ich eilte, um ihn um Vergebung zu bitten. Ich fand ihn endlich in seiner Studierstube, we er ein klagendes Adagio spielte, das so dumpf durch die bebende Sele tönte. Ich ergrief hastig seine Hand, sagte: verzeih, Freund! mir Bösewicht! Ach hier wandt’ er sich um, sah mich an und weinte Vergebungstränen - er drükte mir die Hand, und zog mich an’s Fenster, we der Mond durch die Bäum’ herdurchschimmerte, und ein Bach sanft murmelnd im Mondsstral wiederglänzte - er zog mich an’s Fenster, gen Himmel sehend, sagt’ er: Freund, las uns hier gut sein, und vergeben dem Feienden — dort, dort, zeigt’ er mit der Hand nach dem Sternvollen Himmel, dort bleiben wir ewig gut - dort beleidigt man nicht. Ich fiel ihm um den Hals - wir schluchzten. Er spielte wieder so tröstend, so silbernschallend, daß ich ausser mir war, dich, und meine Heloise herwünschte - und dan Himmelswonne, Seligkeitsgefül, Elysium! -

    am 26 August.

    Die Hundstage sind vorbei; aber bewar mich Got, daß ich den Ort verlassen solte, we ich so glükliche Tag’ habe. Zu Michaelis geh’ ich auf die Akademie. Ich werde die Schule nun nicht mer besuchen. Meine Heloise kam heute bei ihrer Tant’ an, eher, als ich’s vermutete. Mein Freund sagte mir’s. Jezt geh’ ich den Tag wol sechsmal bei ihrem Hause vorbei, um sie zu sehen. Was man ein Kind ist! Ihre Tante ist die Frau des Amtmans an diesem Ort. Der Amtman ist so ein guter alter Deutscher, von wenig Empfindung für Liebe, als blos für ehlige Lieb’ und für Geld. Gesehen hab’ ich sie blos - aber noch nicht mit ihr geredt. Morgen abend wollen wir im Garten des Amtmans zusammen kommen. Wie das Herz schlägt, entgegenpochend neuer Wollust!

    am 27 August.

    Es ist Mitternacht, und ich schreibe. Ich mus dir alles erzälen. Heut den ganzen Tag schon kont’ ich nichts arbeiten. Jede Minute wurde mir zur Stunde: ich hofte blos auf den Abend. Kaum hatt’ ich gegessen: so fand’ ich mich schon im Garten ein. Ich durchirte die langen, melancholischen Lauben. Es war einer der schönsten Sommerabende. Der Busen schwelte mir schon: eh’ ich sie noch sah. Endlich flog sie zur Gartentür’ herein: und hü[p]fte die Lauben nach einander hindurch. Mit welcher Grazie, mit welcher Anmut bewilkomte sie mich! Mein Freund Karl kam endlich auch mit dem Amtman zur Gartentür’ herein. Alle viere sassen wir nun in einer Laube - und vergnügten uns, wie iene Altväter, mit vertraulichen Gesprächen. Aber ich hört’ und sähe nicht - nur auf sie war meine Sele gerichtet. Das Gespräch geriet endlich durch eine wunderbare Wendung auf die neuen Göthesianer - Empfindler. Der Alte hatte so ‘was davon gelesen und gehört - der sah das Ding ganz auf der schiefen Seit’ an. Mich ärgert’s, sagt’ ich, daß man über die Empfindungen und Gefül’ andrer urteilen wil, on’ ihren Wert, ihre Beschaffenheit noch selbst empfunden zu haben. Wer lästert am meisten den Göthe? nur der, der ihm nicht nachfülen kan - nur der Kalte. Noch nie hab’ ich einen Jüngling gekant, der Sinnes und Gefülkraft genug hatte, mit einem Göthe zu sympatisiren - welcher auf ihn geschimpft, ihn behonlächelt hätte. Aber wol ausgedörte Pedanten, alte Knasterbärte genug, die seinen Namen enterten. »Aber manche übertreiben’s im Empfinden.« we ist aber, versezt’ ich, die Gränze gezeichnet, wie weit man empfinden sol. Ist nicht alles relativ? Der viel, der wenig - ieder nach seinen individuellen Kräften und Anlagen dazu. Und ich wil’s lieber übertreiben, lieber mich ganz hinreissen lassen von der Menschheit edlen Gefülen, als kalt wie ein Stein sein, Mitleidstränen weglächeln, andre im quälenden Jammer mit hölzernem Herzen, dürrem Gehirn, troknen Augen sehen. Jesus weinte manche menschenfreundliche Träne bei’m Grab’ eines Lazarus - o ‘s regte sich in ihm menschliches Gefül, seine Saiten seines Herzens tönten den klagenden Tönen der Unglüklichen in einem solchen Einklang zu, daß es Schande für uns wäre — Ich wolte fortfaren, als der Alte so gleichgültig, so ungerürt, von iezzigen Statssachen an zu schwazzen fieng, daß ich vor Unmut mich entfernen, und mir Luft machen muste. Ich und meine Heloise giengen mit einander weg, um im Garten zu spazzieren. Wir giengen bis in’s hinterste Ende des Gartens. In einer Laube sezten wir uns nieder, we wir den vorbeirauschenden Bach hören konten. Ach! eine Sommernacht vol Freuden, wie sie im Himmel nur sind. Wir hatten eine weite Aussicht - drüben dunkle Wälder, we die hohen Bäume so prächtig in den blauen Himmel emporsahen - da einen murmelnden Bach, der sich in den dunkeln Wald hineinschlängelte - oben über uns einen Himmel, we ein Stern am ändern funkerte. Hinter uns fieng eine Nachtigal im Gebüsch’ an zu schlagen. Wir lauschten. Schmetternd wirbelte sie die Tön’ herab, und sank, tiefer und tiefer - endlich innig, rürend, senend. So silbern tönt’s nach in der stillen Nacht, so leise sang sie die melancholischen Töne. Ich konte mich kaum mer halten. Ich umschlang meine Geliebte! O ich wagt’ es, meine Lipp’ an die ihrige zu drükken. Ha! wie Lebensglut den Sterblichen durchströmte! Wie alle Welt um mich her vergieng!

    - — Wir weinten, und Hessen unsre Tränen an unsre Busen fallen. Ich sank an sie hinan, verhülte das Antliz - meine Sele begerte aufgelöst zu werden - mit ihr - und dan hinzueilen, we kein schwacher Körper mer den Geist entstält [!] al die Wonnen zu fassen. Karl rufte mich - ich wachte wie vom Traum auf: redete kein Wort. Gieng nach Hause. - Wie wenig werd’ ich heut schlafen können; denn die Bilder der eingesaugten Wollust glühen zu tief in meinem Gehirn - nichts wird sie tilgen! - Leb’ wol!

    am 1 Septemb.

    Ich mus fort zu meinem Vater. Ich mus auf die Akademie - o wie wird’s mir! Von ihr - von ihr - sol ich. Und wie lange? Ich schwindle. Ich werde wieder mit meinem Freunde in die Stadt gehen, um da zu valediziren. Viel wird es mich kosten, nur von ihr Abschied zu nemen - auf einige Zeit. Denn eh’ ich nach der Universität O- reise, mus ich noch einmal mit ihr reden - und dan scheiden - scheiden. - — ’

    am 16 Sept.

    Ich bin iezt zu Haus bei meinem Vater. Aber wie viel hat’s mich gekostet, mich loszureissen von diesem Engel. Ich sagt’ ihr nichts davon, von meiner Abreise - abends kam ich zu ihr und lud sie ein auf einen Spazziergang im nahen Wäldchen. Sie tat’s. Wir schlenderten so unbesorgt hin: und verweilten bis der Mond an zu leuchten fieng, der hinter dem Hügel heraufgieng. Wir wurden immer wehmütiger. Endlich sagte sie: Lieber Abelard! Wir lieben uns: aber dürfen wir auch?

    ICH. Und wer wil’s verbieten? Got im Himmel freut sich darüber; und wer wär’ der Mensch? -

    HELOISE. Ach mein Vater! Ach! wir beide sind für einander geschaffen - von Got bestirnt. Und mein Vater wird ein Band zerreissen, uns unglüklich machen.

    ICH. Ich verstehe Sie nicht - ich zittere, was Sie sagen wollen.

    HELOISE. Dies - Er hat mich schon, mich Elende - einem Menschen bestimt, der eben so lasterhaft, eben so unempfindlich ist, wie mein Vater.

    Ich sank hin, vermocht’ nichts. Denn al seine Hofnung so verwelken, al die Wonnen, denen der Geist entgegenschmachtete, so entreissen sehen - in einen dunklen Abgrund, we kein Abend der Hofnung dämmert, hinabgeworfen werden - Freund! dazu ist’s Menschenherz zu schwach, es auszuhalten. Lieber! wenn du meiner Qual nicht nachempfinden kanst, so stelle dir [vor], du habest eine Geliebte, die dein Alles, deine Wonn’ ist; stel dir vor, du würdest dan hinabgeschleudert in den Abgrund, we kein Licht den Geist belebet, we alles schwarz vor dir steht, we dein künftiges Leiden dich wie ein Höllengespenst würget - und dan denke mich. Meine Geliebte tröstete mich wieder. Sie erzälte mir genauer, wie er auf der Universität wäre, we ich hinwolte, und wie er in etlichen Monaten zurükkommen würde, sie zu — Zitre Abelard! wie mich dies Wort ergrief so kalt - alles hin - hin, tönt’s in mir nach. Ach wir trösteten uns. Wir weinten. Wir redeten von Wiedersehen, vom Himmel. Wir kerten um. Vier Männer bringen eine Todenbar. Stil - giengen sie her. Meine Sele - war wie vernichtet. Meine Heloise fragte: was das wäre? Dumpf fängt hinten einer an zu reden: »Es ist, sagt’ er, ein armes Bauernmensch. Diese war immer melancholisch. Sie hatt’ einen Schaz gehabt, und der starb ihr im hizzigen Fieber. Seit der Zeit gieng sie immer mit nassen Augen herum. Sie redete mit keinem Menschen ein Wort. Endlich ersäufte sie sich. In diesem Wäldchen, we ihr Schaz liegt, wil sie auch neben ihn begraben sein.« Dumpfes Stilschweigen herscht’ um uns her, heiliges Dunkel umfinsterte den fürchterlichen Wald, graulich durchschimmerte des fliehenden Mondes Stral durch die zakkigten, finstern Bäume - umfassend durchschaurte das Bild der Selbstmörderin die bebende Sele - die stille Todesbare - das schwarze Leichentuch - ieder Schrit der Männer, die die Leiche trugen, durchhalte den schwindelnden Geist - Ruf’s im Geist zusammen al dies, Wilhelm! unddräng’sineinBild. Und dan — ich und meine Heloise sezten uns auf einen Stok. Ich unschlang sie, und seufzete tief aus den Tiefen der Sel’ heraus: »Du, gute Sel’! deren Körper iezt die nagenden Würmer närt, du, du kontest nicht ertragen, daß dein Geliebter hinschied vor dir, daß er dich verlies, und daß du einsam in der öden Schöpfung hinwallen mustest? - Ach! dein Herz war den Qualen zu eng, die’s bestürmten! Du fandest al dem Kummer, al den Stürmen keinen Ausgang, als dich hinzuwerfen in des Todes kalten, eisernen Arm - als hinzueilen vor Got, der Schwachen vergiebt, als hinzueilen zum Jesus, dem Menschenfreunde, um da ihn zu suchen, der dich liebte, um da ihn zu umarmen vor dem ganzen Himmel, allen Guten und Seligen, den Einzigen - der für dich auf keiner Erde zu finden war.« -

    Al dieses durchblizte die verkümmerte Sele, wie der schlängelnde Blizstral die schwarze Wolke. Meine Heloise lag an mir, schwieg - imierer Schmerz durchwülte die Empfindungstiefen, durchbebte die Nerven, durchschauerte Mark und Bein. Ich fieng an zu reden, zu meiner Geliebten: Ach du, die mir mein alles ist, du sagtest mir vor, ein Tyran wolle dich mir rauben - — dich - und auch mich hinstürzen in Stürme, die die Sele drängen an des Todes Pforte - ach von dir! - schreklich! nichts, nichts, keine Macht sol mich trennen von dir - o! dies Leben ist bald zu endigen, bald kan sich der arme Geist den Fesseln des Körpers entschwingen. O du! sieh’ die Träne, die mir iezt im Auge bebt! Sieh’ sie, Geliebte! ich werde weich. Wenn ich dich verlieren solte, und wenn du erfärest, daß dein armer Abelard, vom Kummer durchnagt, diese sterbliche Hütte verlassen hat, dan erinnere dich des heutigen Abends, erinnere dich der Tränen, die ich an deinen Busen verweint habe — Dan schau’ hinauf mit einer Trän’ im Aug’ auf mein neuaufgeworfnes Grab, das den kalten Überrest deines Unglüklichen dekt, schau’ hin, schau’ die Blumen vom Winde wanken, schau’ die Veilgen, die meiner Grabstätt’ entsprossen, deren Duft so schön duftet, weil sie vom Moder meines Fleisches ihre Narung ziehen, schau’ hin, wenn du dein Abendgebet mit nassen Augen gen Himmel seufzest, wenn’s Grab von des Mondes stillen Stral überdämmert wird - sieh’ mich schlafen, und folg’ mir! — Das Gefiil überwältigte mich - ich verhülte mein Haupt - al meine Kräfte waren gespant: ich war nicht mer Mensch.

    Endlich giengen die vier Männer wieder vor uns vorbei, die die Ungliikliche begraben hatten. Stille Wehmut, und menschliches Bedauren blikten aus ihren Gesichtern. Ein iung aussehender Mensch von diesen verbarg seine Augen mit der Hand - er weinte. Meine Heloise sagt’ endlich zu mir mit erstikter Stimme: Lassen Sie uns hingehen, und die Gräber der beiden Redlichen - - Der Strom von Tränen, die sie mit ihrem Schnupftuch aufhielt, unterbrach das lezte Wort. Bald gelangten wir an die beiden Gräber: nach dem wir vorher die Gebüsche durchirren musten.

    Hart ragten ihre Gräber neben einander hervor. Zwei schwarze Kreuze waren auf die Gräber gestekt. Zwei Kränze, die bald verwelken wolten, hingen an den Kreuzen. Schon hatte des Sturms Brausen die gelben Blätter von den nahen Birkenbäumen auf die Gräber hingestürmt, und die Grabeshügel wie ein gelber Teppich überzogen. Lieblich säuselt’ cs in den finstern Bäumen nahe Gegenwart der Verstorbnen - dumpf braust’ es aus des Waldes Einöden ein Brausen des Herbstes und einsam krächzte die Nachteul’ ein Todtenlied im verfallenen Schlos. Wir sahen, wir hörten, wir fülten dies. Wir sahen gen Himmel, we der Polstern gerad’ über uns funkelte, und der Mond weinend unter den weissen Wölkgen hineilte - Wir ergriefen die Hände, schauten hinauf, und den bebenden Lippen entzitterten diese Worte: Got! dort oben! der du uns siehst hier bei den Gräbern, hier im Dunkeln - bei diesen Guten hier, die sich liebten bis zum Tode, bei diesen schwören wir, daß die Liebe, die in unserm Busen flamt, nie erkalten sol - daß wir nie einander verlassen wollen, bis uns des Todes starker Arm einander entreist! Got! du siehst! wir lieben rein! o wie wollen wir dir danken, wenn wir hier glüklich werden! Und wenn’s auf der Erde nicht geschehen könte, wenn der Menschen Wut auch Geliebte zu trennen sich nicht scheut — o! so wollen wir dort, we alles sich freut, und nichts weint, dort dir ewig danken, dort in ewiger Lieb’ die Ewigkeiten verleben, die dem Edlen zur Freude bestimt sind. Vater der Lieb’ hilf uns! — Ach das war eine Szene - wie ich nie eine dergleichen wieder haben werde. Ein Blik auf die Gräber geworfen, und die Wort’ herausgestossen: Ruhet sanft! ihr Kämpfer! ihr Dulder! eilten wir nach Haus. Schon elf Ur war’s, als wir durch’s Dorf giengen. Keine Lampe des armen Landmans schimmerte mer im einsamen Dorfe, alles ruhte schon. Nur hie und da beit’ ein wachsamer Kettenhund. So schön lagen die schlechten Häuser vom Mond versilbert, nach einander hin. Ich fürte meine Helois’ am Arm. Das war ein Abend - vol von Wonnegefülen, und vol der Todesschauer.

    Erst als ich an der Türschwelle mit ihr stand, fiel’s mir ein, daß ich Abschied von ihr auf eine Zeitlang nemen müste. Sie stand so liebend vor mir da, ganz in Engelsgestalt, aus der das Menschliche so sanft nüanzirt, herausschmachtete. Ihr rotgeweintes Aug’ hob sie so mild auf, mir in’s Angesicht zu blikken.

    Ihre Hand brant’ in meiner — Endlich eröfnet’ ich ihr, daß ich nun nach Haus zu meinem Vater müste - und daß ich bestirnt sei, in wenig Wochen auf die Akademie mich zu begeben. Liebe! sagt’ ich, nun werden wir uns eine Zeitlang nicht sehen - Leben Sie wol! Ein Kus versiegelte diese Worte. Aber ich konte mich von ihr nicht losreissen - Wir standen noch eine Zeitlang da - — immer näher zog’s mich hinan. Endlich tat ich mir Gewalt an - sie rief mir nach: Vergessen Sie den heutigen Abend nicht.

    Zu früh’ nam ich und mein Freund von den alten erwürdigen Leuten Abschied. Die Tränen rolten mir die Bakken herunter, da mir der Alte so bieder Glük wünschte zu meinem Studieren. Noch einmal blikt’ ich zum Fenster hinauf, we meine Heloise heraussahe: Sie neigte sich - und wir beide wischten die Tränen ab. Hier nun bin ich bei meinem Vater. Mein Geist sent sich nach Veränderung, ist überdrüssig des ewigen Einerlei’s - alle Bücher stinken mich an. Täglich hoff’ ich auf den Tag, we ich auf O- reisen kan. Adieu! Lieber!

    am 20 Septemb.

    Meine Phantasie malt mir iezt nichts anders als schwarze Bilder, Zerstörung, Unglük. Täglich schwebt mir mein Scheiden von al den Bekamen, al den Liebenden, al den Guten vor. Und noch dazu gerade diese Jarszeit - Einsam geh’ ich umher in meinem Gram. Wenn ich höre das heilige Brausen des Zerstörens von den Gipfeln der Hain’ und das Gerassel welkender Blätter von den Ästen herunter - wenn ich sehe das Vergehen der Natur so algemein um mich her - wenn ich iedes Geschöpf der unbelebten Natur zükkend ersterben sehe - wenn die Wies’ ihren Glanz verliert, die Blume mit al ihren Reizen zur algemeinen Grabstätt’ hingeliefert wird - wenn ich überal Tod füle, liberal Untergang merke — und dan in meinem Herzen al das Wüten der Unglüksstürme, die ich schon brausen hör’ in dunkler Zukunft - in meinem Herzen der Gedanken, bald must du alles verlassen, bald must du gehen von denen, die dich lieben, und dich scheiden von der, die deiner Wonne Quel ist — und wenn dan der sinkende Geist, umdämmert von einer so froh durchleb-, ten Vergangenheit mit al ihren Freuden, traurig einer schwarzen Zukunft entgegenzittert, die Unglükswolken über seinem Scheitel zusammentreibt — ach! dan glaubt der arme Endliche vergehen zu müssen in dem Sturm des Todes um ihn her, dan glaub’ ich zu fallen, wie das gelbe Blat, das vom Baum’ herabwelkt, hin zu sein in herb[st]licher Verwüstung! —

    am 30 September.

    Morgen geh’ ich ab. Stum geh’ ich den ganzen Tag herum. O! wie wird mir’s, wenn ich an’s Abschiednemen gedenke! Morgen werd’ ich nur bis zum Dorfe reisen, we meine Heloise wont; und bei meinem Freund übernachten. Dan sol ich scheiden von meinem Karl - scheiden von meiner Heloise — ich schaudere! Got! wenn’s vorbei wäre! -

    am 1 Oktober.

    Abend ist’s. Ich bin im Hause meines Freundes. Ach so] ich dir den Abschied von meinen Eltern erzälen? Das ist mir schwer! Gestern Abends sas ich mit meinem Vater so vertraulich noch einmal beisammen; wie liebreich er mir die Regeln gab, mein künftiges Leben darnach einzurichten. Es wurde mir schwer als das leztemal »Gute Nacht!« zu sagen. Bald war die Nacht verschlummert, die ich mit wehmütigen Träumen verträumte. Wehmütig schon stand ich auf. Unten im Hause hatte man ein Gelärme. Da hört’ ich die Koffer’s zumachen, die Schlagfässer zuschlagen - Endlich kam meine Mutter in mein Zimmer. - Lieber Son! sagte sie, hast ausgeschlafen - dies ist’s leztemal in der Stube. Ach! mein Son! mein Son! du gehst iezt fort von mir - Wenn werd’ ich dich Wiedersehen - Sie weinte: ich weinte. Gieng hinunter in die Stube. Ich muste das Schnupftuch vor die Augen nemen, um die rollenden Tränen zu verbergen. Denn mir ist’s ärgerlich, von ändern sich in’s weinende Auge sehen zu lassen. Als ich in die Stube trat, fiel mir mein Koffer und meine ändern eingepakten Sachen in die Augen - auf’s Herz - — ich gieng an’s Fenster. Sah’ zum leztenmal den Birnbaum, unter dem ich so vertraulich mit meinen Spielkammeraden das iunge Leben verlebte - unter dem ich so senlich auf die Birn hofte, die mir der starke Wind abschütteln solte. Ich sah al das - — es wurde mir heilig - es drängt’ in mir, al dies so verlassen zu müssen, so hinausgeworfen zu werden in die weite Welt. Oh! - Ich trank Kaffee. Aber immer mischten sich die Tränen mit meinem Trank. Ach! wie mein guter Vater mir in die Augen sah, und wegblikte, weinte - wie die liebe Mutter mit nassen Augen den Kaffe einschenkte. Endlich kam das Pferd in den Hof angetrabt, mit welchem ich fortreiten solte. Ach! da flossen die Tränen. Da umklammerte mir mein kleines Brüdergen die Knie! »Lieber Bruder! bleib da! kom bald wieder!« ach kleines Geschöpf! wie innig, wie war hast du dies in deinem Kindessin gesagt! Got! ich kan dir’s kaum hinaus erzälen. Da stand der Vater und weinte, da stand die Mutter und weinte, da war das Hausgesinde, und weinte - immer drehte sich eins um’s andre um, die Tränen zu verbergen. Ach sie sahen mich alle! und sahen nicht den Jammer, den meine Sele fülte - nicht die Wellen, die in mir tobten. Endlich macht’ ich’s ein Ende: Nam meinen Vater bei der Hand, zerdrükt ihm sie, sagte tief heraus: Vater! Leben Sie wol! Dank für Ihre Liebe gegen mich, für Ihre Bemühung wegen mir - Dank Ihnen! o meine Mutter! leben Sie wol! Und auch du kleines Brüdergen! und alle! Ach - - - ich schluchzte. Im Hof war unser alter Holzhakker, der sah auch nach mir, rief »Leben Sie wol, iunger Her!« auch ihr! sagt’ ich mit erstikter Stimme. Ich schwang mich auf’s Pferd, gallopirte durch’s Dorf und hielt immer das Schnupftuch vor die Augen. Freund! das war ein Morgen! Und heut’ abends - o was wird da’s Herz fülen. Morgen früh um 5 Ur geht’s weiter. Heut abends Abschied von Heloise - morgen früh von Karl - Ach! iezt schon stürzen mir die Tränen auf’s Papier! Lieber! ich wil aufhören.

    am 2 Oktober.

    Noch einmal webt in mir auf, ihr Empfindungen! die ihr heute meine Sel’ erschüttertet, und fliesset noch einmal ihr Tränen, die ihr heut dem Freund’ und der Freundin geflossen seid! - Hier bin ich allein in einem Stübgen des Posthauses, we ich logire. Überal neben mir Getöse - in meiner Sel’ heilige, tiefe Stille - Ach! ich wil mich mit dir unterhalten: denn ich hab’ iezt auf der weiten Gotteswelt keinen ändern, dem ich mich eröfnen, dem ich meine Leiden erzälen könte. Also Erzälung, wie ich mich geschieden habe von meinem Karl, meiner Heloise.

    Auf dem ganzen Weg, bis an’s Dörfgen war ich vol Empfindung - vol des Gedankens an meine Eltern, mein Brüdergen, meine Bekanten. Ich kam an bei meinem Freunde. Es war uns heute nicht wie sonst; es war uns weher - Wir redeten wenig - — wir sahen einander nur an; weinten nicht, ausser mir kam bei’m Tischgebet eine Trän’ in’s Auge. Abends beschlos ich zu meiner Heloise zu gehen, und von ihr Abschied zu nemen. Ich gieng mit schwerem Herzen in den Garten des Amtm[ans], we ich sie erwartete. Im Gartenhaus lag ein Buch aufgeschlagen, ich las, und dieses:

    Oft wird heut ein Sturm des Leides

    über dich ergeh’n:

    ach! dan werden trübe Tränen

    dir im Auge steh’n.

    Aber Morgen, frommer Knabe,

    Morgen, - freue dich!

    drängen Freudentränen wieder

    aus dem Auge sich.

    Es waren Krausenek’s Gedichte. Ach wie das al auf mich paste - — Armer! Tränen weinst du iezt genug - Tränen des Leides, des Kummers; aber wenn, ach wenn wird die Zeit kommen, wo du lächelst, we die Tränen der Wollust im Auge zittern? —

    Ich gieng an’s Gartenfenster: schaut’ hinaus, war beklemt. Oh! wie die dumpfigen, schwärzlichen Wolken dahinschwammen, und den holden Mondstral vor den Augen verbargen - wie’s so duftig mich umgab - wie der Nord in die welkenden Blätter hineinrauschte, sie in Wirbeln zerstreute - wie er sausete, der Nachtgeist, der alles mit Wehen durchnam - wie die herbstliche Lüfte so kalt einem anschauerten - wie der Wind drüben auf dem Hügel die knarrenden Bäum’ abschüttelte, und das Tal mit welken Blättern bestreute - wie der getrübte Bach hinwirbelnd so fürchterlich fortklang und rolte - und wie

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