Ich diss dich
By Arno Strobel
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Lisa ist zutiefst erschüttert, als ihre beste Freundin Vanessa Selbstmord begeht. Sie ist sich sicher, dass die Fotos auf Facebook der Auslöser waren! Doch wer hat sie hochgeladen, etwa Vanessas Exfreund Phillip? Lisa versucht die Hintergründe für den Tod ihrer Freundin aufzudecken und tritt dabei eine Lawine los, die sie selbst zu überrollen droht.
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Book preview
Ich diss dich - Arno Strobel
Es begann zu regnen.
Die ersten Tropfen zerplatzten auf dem weißen Sargdeckel, als der Pfarrer den Weihwasserwedel in den silbernen Behälter neben sich eintauchte. Es schien, als wolle Gott sagen: „Lass mal, das übernehme ich selbst."
Lisa spürte die kühlen Regentropfen auf ihrer Kopfhaut, aber sie scherte sich nicht darum. Was spielte es für eine Rolle? Was spielte überhaupt eine Rolle an diesem Nachmittag im Mai, an dem ihre beste Freundin in einer Holzkiste lag, die gleich für immer in der Erde verschwinden würde?
Lisa horchte in sich hinein, forschte wie so oft in den letzten Tagen nach einem Gefühl, das Vanessas Tod in ihr ausgelöst hatte. Und fand wie jedes Mal nur diese Leere. Wie ein tiefes, schwarzes Loch, das genau dort saß, wo es sonst immer warm wurde, wenn Lisa besonders glücklich war.
Aber da war auch noch etwas anderes. Das Bedürfnis, gegen die Ungerechtigkeit anzuschreien, bis ihr die Stimme versagte.
Sie hörte die monotonen Worte des Pfarrers, ohne zu verstehen, was er sagte. Wieder einmal versuchte sie zu begreifen, was es für Vanessa selbst wohl bedeutete, tot zu sein. War sie jetzt irgendwo anders? An einem Ort, an dem es schöner war, wo es ihr besser ging? Schwebte sie als Geist über ihnen und sah bei ihrer eigenen Beerdigung zu? Erlebte sie vielleicht sogar, wie sie in dem geschlossenen Sarg lag, unfähig, sich bemerkbar zu machen, weil das Leben aus ihrem Körper geflossen war? Oder hatte alles, was sie gewesen war, was sie ausgemacht hatte, vollkommen aufgehört zu existieren? Einfach fort, als hätte es sie nie gegeben?
Hinter Lisa schluchzte ein Mädchen aus ihrer Klasse. Alle waren gekommen und standen in einem Pulk zusammen. Sämtliche Mitschülerinnen und Mitschüler, viele Lehrer. Gerhard Ludes, ihr Geschichtslehrer, stand mit gesenktem Kopf ein paar Meter neben ihr. Er war blass und sah ziemlich fertig aus.
Ja, alle waren da. Nur er nicht.
Wieder einmal füllten sich Lisas Augen mit Tränen, aber anders als zuvor rührten sie nicht von der Trauer um Vanessa. Diesmal war es blanke Wut. Die Umgebung zerfloss zu einem konturlosen Durcheinander aus Schwarz-Weiß-Tönen. In einer fahrigen Bewegung wischte Lisa sich mit dem Handrücken über die Augen und versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren.
Schräg gegenüber stand Vanessas Familie. Eine dunkle Sonnenbrille verdeckte die Augen der Mutter. Sie hatte den Kopf ein wenig gesenkt, sodass die langen Haare wie ein dunkler Vorhang zu beiden Seiten des Gesichts nach vorne fielen. Ihre Schultern zuckten in unregelmäßigen Abständen, während sie ein Taschentuch gegen Mund und Nase gedrückt hielt. Daneben bemühte sich Vanessas Vater mit starrem Gesicht um Haltung. Seine Hände lagen auf Leons Schultern, und es war nicht zu erkennen, ob er seinen zehnjährigen Sohn festhielt