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ATLAN Höllenwelt 2: Das Erwachen
ATLAN Höllenwelt 2: Das Erwachen
ATLAN Höllenwelt 2: Das Erwachen
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ATLAN Höllenwelt 2: Das Erwachen

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About this ebook

Februar 3113 alter Terranischer Zeitrechnung:

In dieser Zeit geht die United Stars Organisation - kurz USO - gegen das organisierte Verbrechen vor. An ihrer Spitze steht der Arkonide Atlan, Perry Rhodans bester Freund. Ein Zellaktivator verleiht dem mehr als zehntausend Jahre alten einstigen Imperator des arkonidischen Imperiums die relative Unsterblichkeit.

Die rätselhaften Ereignisse auf dem terranischen Kolonialplaneten Reddey und der Tod von zweitausend Menschen an Bord des Siedlerraumschiffs INANNA haben Lordadmiral Atlan in eine schwierige Lage gebracht. Weil der Arkonide nicht glauben will, dass seine ehemalige Geliebte Rhaen Tolsom eine Massenmörderin ist, überredet er Perry Rhodan zu einem gewagten Doppelspiel, in der Hoffnung, seine Gegner aus der Reserve zu locken.

Doch die Zahl der Rätsel wird nicht kleiner. Aus welchem Grund jagen monströse Attentäter auf dem Planeten Shasker eine harmlose Terraforming-Spezialistin? Wieso tauchen dort robotische Träger der Gehirnfragmente Boris Parthans auf? Und wer verbirgt sich hinter der mysteriösen Geistesmacht, die aus dem Hintergrund die Fäden zu ziehen scheint?

Folgende Romane sind Teil der Höllenwelt-Trilogie
1. "Rhaens Ruf" von Rüdiger Schäfer
2. "Das Erwachen" von Achim Mehnert
3. "Dämmerung über Höllenwelt" von Hans Kneifel
LanguageDeutsch
Release dateJul 21, 2015
ISBN9783845349497
ATLAN Höllenwelt 2: Das Erwachen

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    ATLAN Höllenwelt 2 - Achim Mehnert

    cover.jpgimg1.jpg

    Zweiter Band der Höllenwelt-Trilogie

    Das Erwachen

    von Achim Mehnert

    Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

    Kleines Who is Who

    Atlan – der Lordadmiral der USO riskiert eine gefährliche Scharade und muss Geduld aufbringen

    Daniel Pherson, Osmooth Alerin und Varen Thorik – die USO-Spezialisten der Abteilung A912 fungieren als Wächter im Hintergrund und als Widerstandkämpfer

    Eins-unter-Vielen – das Schwarmwesen wird zum Helfer des Unbekannten

    Elion Tolsom – Rhaen Tolsoms Bruder fliegt in eine Todeszone

    Faros – der Pendler wird fürs Vergessen bezahlt

    Fellmer Lloyd – der Telepath und Orter geht in den Einsatz

    Golan Intz und Padersen Korsh – Rebellen unter Rebellen

    Goletta Marl – die Anführerin einer Freiheitsbewegung scheint nicht ihr eigener Herr zu sein

    Jiut Fochter – der Vertreter der Anklage verfolgt einen harten Kurs

    Jöris – ein junger Mann verliebt sich und lernt die Angst kennen

    Klanthor a Tiggre und Lubdang – der Marsianer und der Ara begeistern sich für eine interstellare Lebensform

    Maria Vajai – die Bordmedizinerin der QUESTRON trägt eine schwere Verantwortung

    Perry Rhodan – der Großadministrator wird von seinem Freund in eine heikle Lage gebracht

    Professor Haberlyl – der Wissenschaftler ist stolz auf sein »Kind«

    Rhaen Tolsom – die ehemalige SolAb-Agentin existiert mehrmals zugleich

    Svante Pekkinen – das Positronikgenie glaubt an den großen Gott NATHAN

    Taha Kanli – der Kommandant der QUESTRON und seine Mannschaft sind zum Warten verurteilt

    Terian Sadlik – in der Terraforming-Spezialistin 3. Grades steckt mehr, als sie selbst weiß

    Thibold Froud – Rhaen Tolsoms Verteidiger hat einen schweren Stand

    Tira Midarka – die Funkerin der QUESTRON verbreitet gute Laune

    Tonkor – der Springerpatriarch sieht sich zu Unrecht verdächtigt

    Vario-0C – ein Prototyp erlebt seine Bewährungsprobe

    Kapitel 1

    Terian Sadlik

    Shasker, 24. April 3113

    Durchdringendes Trällern der Vingis erfüllte das sandgefüllte Bassin und schwappte auf den Zuschauersteg über, einen transparenten Glasplastbogen von vier Metern Breite, der sich über die Nachbildung einer Wüstenlandschaft wölbte. Die Zoobesucher, nicht nur die Kinder, sondern auch ihre Eltern, johlten vor Vergnügen bei den Darbietungen der unterarmlangen Geschöpfe von Harganis-III. Die Vingis waren von unermüdlicher Regsamkeit. Sie fanden sich zu Gruppen zusammen, bildeten Pyramiden und zeigten artistische Kunststücke, die man sonst nur in Zirkusraumschiffen wie der legendären BELLE STAR zu sehen bekam. Das Miteinander der Tiere dauerte nur Sekunden an, dann sprangen sie in alle Richtungen davon und suchten sich für die nächste Darbietung neue Partner. Sie waren nicht darauf dressiert, sondern verhielten sich ihrer Natur gemäß, und die Begeisterung der Besucher schien sie in ihrem Treiben zusätzlich anzustacheln.

    Drei Vingis wieselten an einem Baumstamm empor, dessen Ausläufer in die Nähe des Steges reichten. Zahlreiche Kinder drängten sich ihnen entgegen. Sie lehnten sich mit ihren Oberkörpern über die Brüstung, so weit es ging, und streckten die Arme aus. Die Nager trällerten ein aufgeregtes, fast heiseres Lied, um ihre Bewunderer zu begeistern – und anzulocken?

    Gerüchten zufolge waren Vingis Sirenen vergleichbar, jenen weiblichen Fabelwesen aus der griechischen Mythologie, die mit ihrem betörenden Gesang vorbeifahrende Seeleute angelockt hatten, um sie zu töten, und die lediglich von Orpheus und Odysseus überlistet worden waren. Trotz intensiver Untersuchungen hatten Exobiologen keine Bestätigung für diese Behauptungen gefunden, weshalb kaum ein zoologischer Garten in den neuen terranischen Kolonien auf diese Lebensform von höchstem Unterhaltungswert verzichten wollte. Vingis waren der Renner bei Besuchern jeden Alters.

    »Nicht zu weit über die Absperrung lehnen«, mahnte Terian Sadlik ein etwa zehnjähriges Mädchen mit zu Pippi-Langstrumpf-Zöpfen geflochtenen roten Haaren. Die kleine Sommersprossige überhörte die ohnehin überflüssige Warnung. Eine Antigrav-Rückhaltevorrichtung sorgte dafür, dass keins der Kinder zu Schaden kommen konnte.

    Terian Sadlik betrachtete die drei Tiere, die Aufsehen erregende Verrenkungen unternahmen. Es gelang ihr beim besten Willen nicht, ein Gesicht zu erkennen. Die winzigen Knopfaugen, der kleine Mund und das Geruchsorgan lagen in dem glänzenden Pelz verborgen. Angeblich waren Vingis auf dem besten Weg, Gucky als Spitzenreiter auf der Beliebtheitsskala terranischer Kinder abzulösen. Sadlik konnte es sich nicht vorstellen. Der Ilt, seit seinem ersten Zusammentreffen mit Menschen nicht von ungefähr als Mausbiber bezeichnet, besaß einen ausgeprägten Kuschelfaktor, war witzig und intelligent, wobei er zuweilen über die Stränge schlug.

    So hatte es die Terraforming-Spezialistin 3. Grades vernommen. Aus eigener Erfahrung bestätigen konnte sie das nicht, schließlich war sie Gucky persönlich nie begegnet.

    Hörensagen. Davon sollte sie als Wissenschaftlerin sich nicht beeindrucken lassen.

    Lächelnd streifte sich die schlanke Frau die langen schwarzen Haare aus dem Gesicht und entfernte sich von der Darbietung der Nager. Sie war vor vier Wochen auf Shasker eingetroffen, und weitere drei blieben ihr bis zum Antritt ihres Dienstes. Sie hatte viel Zeit für Müßiggang und zum Nachdenken, was sie keineswegs bedauerte. Im Gegenteil, sie genoss die Übergangsphase zwischen ihrem letzten Einsatz und der vor ihr liegenden Aufgabe; besonders die Tatsache, sich ohne Schutzanzug bewegen zu können, denn Shasker war in seiner Terraformung um ein Jahrhundert weiter als Sadliks vorige Station Punczik, die dritte Welt eines orangefarbenen Sterns der Hauptreihe, knapp dreitausend Lichtjahre von der Erde entfernt. Obwohl Punczik laut den Untersuchungen einer Expertenkommission beste Voraussetzungen für eine spätere Besiedelung aufwies, darunter eine dichte Atmosphäre und reichhaltige Wasservorkommen an seiner Oberfläche, besaß der Planet noch längst keine für Menschen atembare Luft. Tausende Tonnen Kleinstlebewesen waren ausgesetzt worden, ein Heer von Nanobots war mit der Urbarmachung des Landes beschäftigt, wühlte sich durchs Erdreich und verbreitete Leben tragende Sporen, und doch würden Jahrzehnte vergehen bis zum Aufbruch des ersten Siedlungsschiffes nach Punczik.

    Shasker hingegen hielt bereits heute als Beweis für die Möglichkeiten her, die Terraforming-Spezialisten der Menschheit offerierten. Gleichwohl der Planet noch nicht die besten Lebensbedingungen für Siedler bot, entwickelte sich die Hauptstadt Alcerry zu einer Mega-City, die in Ansätzen schon heute an Orbana auf Lepso erinnerte.

    Der einzige Wermutstropfen waren störende Gasbeimengungen in der Atmosphäre. Normalerweise war ihre Konzentration gering und erforderte kein Tragen von Atemmasken, doch zuweilen kam es zu Gaszusammenballungen, welche die geltenden Richtwerte überschritten. Gewaltige Atmosphärenreiniger waren rund um Shasker aktiv, um diese Gase aus der Atmosphäre zu filtern. In ein paar Jahren, so die Prognosen der Wissenschaftler, würden die Kolonisten eine Luft atmen, die derjenigen Terras in nichts nachstand. Zumindest für die nächsten zwei Jahre war Terian Sadlik dem auf Shasker tätigen Expertenteam zugeteilt. Sie hoffte, bis dahin ihren Anteil an der endgültigen Erschaffung einer erdähnlichen Welt geleistet zu haben. Shasker war eine rohstoffreiche Kolonie, und die erwarteten Erträge würden den Aufwand mehr als lohnen.

    Sadlik legte den Kopf in den Nacken und kniff die Augen zusammen. Vor dem Blau des Himmels entdeckte sie zwischen vereinzelten dünnen Wolkenfahnen kleine schwarze Objekte, Messgeräte eines planetenumspannenden Netzwerks, das die Gasbeimengungen in der Luft kontrollierte und die Atmosphärenreiniger in neuralgische Gebiete dirigierte. Über der Hauptstadt und ein paar weiteren im Aufbau befindlichen Siedlungen waren die Sonden besonders dicht gestaffelt. In den vergangenen Jahren hatte es keinen einzigen gasbedingten Unfall gegeben, was bestätigte, dass das Projekt funktionierte. Die Vorwarnzeit für die Kolonisten war selbst bei einem überraschenden Wetterumschwung groß genug, um eine Atemmaske anzulegen, und über den Tierpark spannte sich bei den ersten Anzeichen einer erhöhten Schadgaskonzentration eine schützende Energiekuppel.

    An ihr vorbeidrängelnde Kinder rissen Terian Sadlik aus ihrer Betrachtung. Der Tag war vorangeschritten und die gelbe Sonne vom Sol-Typ über den Zenit hinaus gewandert. Die schwarzhaarige Frau verspürte Hunger. Außer einem synthetischen Kaffee zum Frühstück hatte sie nach dem Aufstehen nichts zu sich genommen. Umso mehr freute sie sich auf ein ausgiebiges Mahl im Außenbereich einer der zahlreichen Garküchen, die sich entlang der Promenade des Korfainen-River reihten, benannt nach Litu Korfainen, dem Kommandanten der EX-6744, die den damals noch namenlosen Planeten vor vierzig Jahren abseits der Handels- und Reiserouten im Dschungel der Sterne entdeckt hatte.

    Terian Sadlik verließ den Zuschauersteg in südlicher Richtung und passierte eine Reihe von Gehegen, in denen exotische Tiere aus verschiedenen Welten untergebracht waren. Wie von den Vingis hatte Sadlik von den meisten Arten vor ihrem Eintreffen auf Shasker nie gehört gehabt. Dies war der erste Zoobesuch ihres Lebens, erinnerte sie sich. Der Spaziergang durch die weiträumige Anlage gefiel ihr, und sie wunderte sich, dass sie sich diesem Vergnügen nicht schon früher hingegeben hatte, nicht einmal als Kind.

    Wohn- und Geschäftstürme erhoben sich hinter den Destaya-Palmen, die den Tierpark als breiter Grünstreifen umgaben. Sadlik verließ das Parkgelände und folgte ein Stück weit dem Verlauf einer blumengesäumten Passage. Betörender Blütenduft folgte ihr bis auf die Straße hinaus, an deren Rand Schweber aufgereiht standen. Die automatischen Piloten der flachen Fahrzeuge versuchten, vorbeigehende Passanten zum Einsteigen zu bewegen. Sadlik verzichtete darauf, eins der Robottaxis zu benutzen. Von Verkehrslärm und einer Kakophonie aus Stadtgeräuschen empfangen, überquerte sie die Straße.

    Wie zu jeder Tages- und dem Großteil der Nachtzeit herrschte rege Betriebsamkeit. Der ursprüngliche Stadtkern war nach am Reißbrett entworfenen Plänen entstanden, doch in ihrem Wachstum konnte man die Metropole nicht bändigen. Wie ein Kind, das man sich selbst überließ, war Alcerry schnell aus auferlegten Zwängen ausgebrochen und entwickelte sich ungehemmt, ohne dass Grenzen absehbar waren. In den zurückliegenden vier Wochen hatte es Terian Sadlik nicht vermocht, eine Beziehung zu Alcerry aufzubauen. Mit zahlreichen Spaziergängen und Ausflügen hatte sie versucht, sich der Stadt, in der sie die nächsten zwei Jahre leben würde, emotional anzunähern. Bisher war es ihr nicht gelungen. Annehmlichkeiten wie der Zoobesuch änderten daran nichts. Sie vermisste etwas, das sie nicht definieren konnte. Vielleicht wurde es allmählich Zeit, soziale Kontakte zu knüpfen und sich einen Freundeskreis aufzubauen. Bislang hatte Sadlik keine Veranlassung dazu gesehen, denn der würde sich nach Antritt ihres Dienstes zwangsläufig von allein einstellen.

    Sie strich ihre schwarzen Haare aus der Stirn und ließ den Blick über die Türme wandern. In den gläsernen Fassaden spiegelte sich das Sonnenlicht und verwandelte die Schweber am Boden und die Gleiterströme in der Höhe in Schwärme stählerner Insekten, deren Flugmanöver von einer positronischen Verkehrsüberwachung geregelt wurden. Nur ein übergeordnetes Leitsystem war in der Lage, den auf mehreren Ebenen ablaufenden Fahrzeugfluss zu gewährleisten, ohne dass es zu Behinderungen und Unfällen kam. Eigenen Aussagen zufolge setzten die Stadtplaner systematisch fort, was die Terraformer in die Wege geleitet hatten. Die junge Frau hielt diese Einstellung für Selbstüberschätzung, die häufig genug an der Realität vorbeiging. Als Terraforming-Spezialistin trug sie nämlich dazu bei, die Ursprünglichkeit der Natur in ein geordnetes System zu verwandeln. Stadtplaner hingegen, und das trat ihrer Meinung nach am Beispiel von Alcerry deutlich zutage, brachten eine Strukturierung auf den Weg und kümmerten sich ab einem bestimmten Punkt nicht weiter darum, weil sie der Verselbständigung nicht Herr wurden.

    Ein runder Tisch zu diesem Thema mit Vertretern der verschiedenen Disziplinen wäre ein interessanter Ansatzpunkt, um sich bei ihren Kollegen einzuführen, dachte Sadlik.

    Sie folgte dem sacht in Richtung des Korfainen-Rivers geneigten Straßenverlauf, vorbei an Geschäften und den holographischen Werbebanden der ansässigen Bankinstitute.

    Verschiedene Wirtschaftsunternehmen, so hieß es, hatten sich längst die besten Pfründe bei der künftigen Ausbeutung von Bodenschätzen und anderen Ressourcen gesichert. Das aufdringliche Blinken eines Logos der General Cosmic Company erregte Terian Sadliks Aufmerksamkeit. Sie versuchte sich zu erinnern, wo sie gehört hatte, dass die GCC als Geldgeber maßgeblich am Aufbau von Shaskers Infrastruktur beteiligt war. Sie erinnerte sich nicht, doch es war bekannt, dass für die von Homer G. Adams geleitete Organisation ein wesentliches Betätigungsfeld zur Finanzbeschaffung die Besiedelung terranischer Kolonialwelten mit der Errichtung von Verkehrssystemen und Raumhäfen sowie die Erschließung und Sicherung künftiger Handelsverbindungen war.

    Die Wissenschaftlerin winkte gedanklich ab. Weder war sie eine Wirtschaftsexpertin, die derlei Verflechtungen durchschaute, noch interessierte sie sich besonders für Politik.

    Eine sanfte Brise, die vom Wasser heraufzog, trug eine Vielzahl von Gerüchen mit sich, von denen Sadlik einige Düfte Speisen zuordnete, die ihren irdischen Ursprung nicht verleugneten.

    Der Anflug einer fremden Präsenz, wie man ihn manchmal empfand, wenn man sich bei etwas Verbotenem beobachtet fühlte, streifte die Spezialistin. Sie drehte sich um und schaute die Straße zurück. Passanten schlenderten an den Geschäftszeilen vorbei, blieben gelegentlich stehen, um die Schaufensterauslagen zu betrachten, und setzten ihren ziellosen Weg fort. Gegen sie wirkten ein paar wenige hektisch dahineilende Geschäftsleute, die keinen Blick für die Umgebung oder ihre Mitmenschen übrig hatten, wie Fremdkörper. An einer Ecke standen ein paar Jugendliche, die Köpfe zusammengesteckt, als heckten sie eine finstere Verschwörung aus. Plötzlich brachen sie in Gelächter aus, klatschten sich ab und umtanzten einander. Keiner der so gegensätzlich erscheinenden Stadtbewohner Alcerrys interessierte sich für die schwarzhaarige Frau.

    Schon wieder diese Unsicherheit! Was war bloß mit ihr los? Magengrummeln erinnerte sie daran, weshalb sie hergekommen war.

    Zwischen den Häuserzeilen schimmerte die Wasseroberfläche des Korfainen. Der schmale Ausschnitt wirkte wie ein silberblauer Spiegel auf Sadlik, die ihre Schritte beschleunigte, bis sie den Ausgang aus der Häuserschlucht erreichte. Übergangslos erweiterte sich ihr Sichtbereich nach links und rechts hin, und der Fluss, beidseitig von baumgesäumten Promenaden flankiert, wand sich wie ein Band aus Quecksilber aus dem östlich gelegenen Vorgebirge in Richtung des weit im Westen liegenden Ozeans. Sie mochte diesen Anblick, der noch besser zur Geltung kam, wenn man vor einem der Cafes saß, die hoch aufragenden Wohntürme hinter und den Flusslauf vor sich, und die Gedanken treiben ließ, ohne unter Zeitdruck zu stehen.

    Sie hielt nach einem freien Platz Ausschau. Es waren nicht viele Leute unterwegs. Abgesehen von Müßiggängern, die sie tagsüber schon ein paar Mal im Bereich der Flusspromenade gesehen hatte, gingen die meisten Kolonisten ihrem Tagesgeschäft nach. Terian Sadlik hatte herausgefunden, dass Jugendliche, die von der Schule aus nicht nach Hause gingen, sondern sich verabredet hatten, einen etwas weniger bürgerlich angehauchten Bezirk einige Kilometer flussaufwärts für ihre Zusammentreffen bevorzugten.

    Sadlik entschied sich für ein unauffälliges kleines Restaurant, das vegetarische Speisen vom Planeten Ferrol anbot und, in Anlehnung an den Regierungssitz des Thort, Roter Palast hieß. Der glutrote Namensschriftzug prangte in ständig wechselnden Farbschattierungen über der Pforte, durch die Sadlik von der Fußgängerpromenade in den Außenbereich des Lokals trat. Sie war der einzige Gast und hatte die freie Platzwahl. Sie wählte einen Tisch, von dem aus sie beste Sicht auf den Korfainen-River hatte. Kaum dass sie Platz genommen hatte, schwebte ein dienstbeflissener Roboter aus dem Hintergrund auf sie zu, um ihre Bestellung aufzunehmen. Die junge Frau bedauerte, dass Menesher nicht zugegen war. Der Restaurantbesitzer war einer der wenigen, mit dem sie sich in den vergangenen vier Wochen gelegentlich unterhalten hatte. Smalltalk zwar nur, aber immerhin.

    »Ich heiße Sie im Namen Meneshers und seines brüderlichen Freundes, des Thort, im Roten Palast willkommen«, summte der Roboter mit melodischer Stimme und streckte einen Handlungstentakel aus, um der Besucherin eine Speisekarte zu reichen, die er einer Einbuchtung in seinem stählernen Körper entnommen hatte.

    »Danke, nicht nötig.« Sadlik lächelte über die Worte, mit denen die kegelförmige Maschine sie empfing. Sie fragte sich, wie der amtierende Thort Jarshall die Anmaßung aufgenommen hätte, mit der Menesher seinen dienstbaren Geist programmiert hatte. Absolutistisch regierende Staatsoberhäupter schätzten es in den seltensten Fällen, wenn sich ihnen völlig Fremde als persönliche Freunde ausgaben. »Ich weiß, was ich nehme.«

    Der Roboter ließ die Karte verschwinden. »Bitte, sprechen Sie.«

    Sadlik bestellte einen Salat mit Payana-Früchten und zerlassener Grundu-Butter und dazu ein Glas Ferrolwein.

    Der Roboter bedankte sich und schwebte davon.

    Während Sadlik auf ihr Essen wartete, fasste sie das gegenüberliegende Flussufer ins Auge, einen gewundenen, halbwegs naturbelassenen Streifen Sandstrand. Vereinzeltes Buschwerk sprenkelte den graubraunen Untergrund. Im Gegensatz zur diesseitigen Flanierpromenade hielten sich drüben wesentlich mehr Menschen und die Vertreter einiger Fremdvölker auf. Die Sonnenanbeter streckten sich auf prallfeldgepolsterten Massageliegen aus oder staksten im flachen, ufernahen Bereich des Korfainen umher. Keine zweihundert Meter hinter ihnen erhoben sich die Glas- und Stahlfassaden der Gebäude im angrenzenden Stadtbezirk, zwischen denen sich Hochstraßen und Transportbänder wanden. Zerbrechlich aussehende Stege, die aus der Ferne kaum den Anschein erweckten, einen Fußgänger tragen zu können, spannten sich zwischen den Wohnblocks.

    Die Terraforming-Spezialistin suchte den Himmel ab. Die allgegenwärtigen Messsonden garantierten dafür, dass das Idyll nicht eines Tages in einer Katastrophe unterging.

    So wie meine Kollegen und ich dafür garantieren, dachte sie, von einem plötzlichen Motivationsschub gepackt, endlich ihre neue Stelle anzutreten.

    Nach einer Weile servierte der Roboter das Bestellte, und Sadlik machte sich mit Heißhunger darüber her. Schon nach dem ersten kleinen Schluck des rubinroten Weins breitete sich ein angenehmes Wohlgefühl in ihr aus.

    Nachdem sie aufgegessen hatte, überlegte sie, ein weiteres Glas zu ordern, entschied sich aber dagegen. Sie entschloss sich zu einem Verdauungsspaziergang entlang der Promenade und spielte mit dem Gedanken, mit einer Fähre auf die andere Flussseite überzusetzen.

    Sie zahlte die Rechnung, und der Roboter bedankte sich im Namen seines Herrn und dessen brüderlichen Freundes. »Richte Thort Jarshall meine innigsten Grüße aus«, trug Terian Sadlik ihm augenzwinkernd auf.

    Die schwebende Maschine schwieg. Anscheinend war sie auf eine solche Antwort von Seiten eines Gastes nicht programmiert. Die junge Frau lächelte still in sich hinein und verließ das Lokal.

    Sie schlenderte über die Promenade in östlicher Richtung. In der Ferne zeichneten sich die Fabrikgebäude eines der Stadt vorgelagerten Industriekomplexes und südlich davon die stählernen Leiber von zwei Raumschiffen ab, deren dumpfe, vernarbte Hüllen zeigten, dass sie ihre besten Zeiten hinter sich hatten. Sadlik nahm an, dass es sich um Lastkähne zum Transport von Versorgungsgütern handelte. Als Reisende hätte sie keinen Fuß auf einen solchen Seelenverkäufer gesetzt, doch auf absehbare Zeit benötigte sie ohnehin keine Passage. Wenn ihre berufliche Weiterentwicklung den Planungen folgte, würde sie Shasker zumindest in den kommenden zwei Jahren nicht verlassen.

    In Gedanken versunken, folgte sie dem Flusslauf, der einen Bogen beschrieb. Nach einem Fußmarsch von einer Stunde entschied sie, sich zu ihrer Wohnung zu begeben. Sie sog die leicht brackige Luft ein, die das Wasser in dieser Gegend verströmte, und drehte dem Korfainen-River mit gerümpfter Nase den Rücken zu. Hundert Meter vom Ufer entfernt begann ein Gewirr schlanker Türme, die durch kühne Ausleger und wuchtige Verbindungsarkaden zu einem unüberschaubaren Konglomerat verwoben waren. Verkehrslärm drang von dem Straßenlabyrinth herunter. In diese Gegend hatte es Terian Sadlik zum ersten Mal verschlagen, und sie hatte keine Lust, sich im Gewirr der Straßen und Gassen zu verirren.

    Besser gleich einen Taxischweber nehmen, entschied sie.

    Sadlik merkte auf, als ein Lichtreflex auf die Netzhaut ihrer Augen traf und in Nervenimpulse umgewandelt wurde. Verwirrt sah sie in die Richtung, in der sie eine Bewegung ausgemacht zu haben glaubte. Niemand hielt sich an dieser Stelle auf der Promenade auf. Auf dem Dach eines Souvenirstandes, einer kleinen Bude, deren Auslage verschlossen war, schnatterten möwenartige Narku-Vögel um die Wette. Hatte sie einen von ihnen beim Anflug wahrgenommen? Hinter einer Umfriedung aus Thermopon wässerten auf Prallfeldern drei Ausflugboote, simple Modelle, die eine Umschaltung zwischen Automatik und Handbetrieb gestatteten.

    Offenbar hatte sie sich getäuscht, dachte Sadlik für einen Moment.

    Gleich darauf erwachten Zweifel in ihr, denn eine innere Stimme wollte ihr weismachen, dass dem keineswegs so wäre. Sie lauschte dem Klang nach. Er war eindringlich und warnte sie vor etwas, das sie nicht begriff. Vor einer unsichtbaren Bedrohung? Beinahe hätte die junge Frau laut aufgelacht. Wer hätte sie bedrohen sollen, und aus welchem Grund? Sie hatte nie zu Paranoia tendiert. Verwundert über sich selbst schüttelte sie den Kopf. Sie brauchte dringend ein paar neue Bekannte, die sie auf andere Gedanken brachten.

    Kreischend stieben die Narkus auf, und im selben Moment zuckte ein Energiestrahl hinter dem Souvenirstand hervor. Der feine Strahl fraß sich in die Umfriedung und löste ein Stück des Thermopons zu Gas auf.

    Desintegratorwirkung!

    Unwillkürlich langte Sadlik an ihre rechte Hüfte, um nach einer imaginären Waffe zu greifen. Die instinktive Reaktion verwirrte sie. Natürlich trug sie keinen Strahler. Das hatte sie nie getan. Ihren Kampf gegen die Unbilden jungfräulicher Welten im Zuge eines Terraformings trug sie auf andere Weise aus.

    Von irgendwoher ertönte ein entsetzter Schrei, als ein weiterer Lichtblitz über die Promenade huschte und eine hässliche Narbe in die Souvenirbude fräste. Anscheinend nahm der zweite Schütze den ersten unter Feuer.

    Sadlik verlor keine Sekunde, denn das ursprüngliche Ziel war sie gewesen. Aus dem Stand hechtete sie über die Umfriedung, rollte sich auf der anderen Seite ab, ignorierte dabei ein dumpfes Ziehen unterhalb ihrer Rippen und kam aus der Bewegung wieder auf die Beine. In geduckter Haltung verschaffte sie sich einen Überblick, schneller als sie sich das jemals zugetraut hätte.

    Zwei Gruppen, die nicht zu sehen waren, lieferten sich ein Feuergefecht. Passanten brachten sich in den nächsten Cafes und Restaurants in Sicherheit. Ein paar Spaziergänger, die zu weit entfernt von einer Deckungsmöglichkeit waren, hatten sich auf den Boden geworfen und die Köpfe eingezogen. Sie hatten Glück, dass kein Schuss in ihre Richtung abgefeuert wurde.

    Dafür weitere in die der jungen Frau. Terian Sadlik analysierte die Situation im Bruchteil einer Sekunde. Lediglich die hüfthohe Umfriedung schützte sie vor einem Treffer. Zur Straße hin, wie eigentlich geplant, konnte sie sich daher nicht orientieren. Der einzige Weg, der ihr offen stand, lag hinter ihr. Sie lief zum befestigten Flussufer, den Credit-Chip aus der Tasche fingernd, und sprang in das vordere Boot, wobei sie einen hastigen Blick hinter sich warf.

    Weitere Schüsse, aus drei Stellungen in ihre Richtung, dokumentiert durch nadelfeine Desintegratorstrahlen – aber keine sichtbaren Schützen. Wo lauerten sie? Versteckt in Deckung liegend oder unter Deflektorfeldern verborgen? Verzweiflung keimte in Sadlik, sie spürte den kalten Würgegriff der Angst und vernahm wieder die Stimme in ihrem Inneren.

    Nicht überlegen. Agieren. Schnell weg von hier!

    Die Uferpromenade verschwamm und trat hinter etwas anderem zurück. Die Umgebung veränderte sich, kollabierte und setzte sich in neuer Gestalt wieder zusammen.

    Kapitel 2

    »Ein halbes Dutzend überlegen bewaffnete Gegner in uneinsehbaren Stellungen, aller Wahrscheinlichkeit nach in erhöhten Positionen. Wie verhalten Sie sich, wenn Sie keine Chance gegen die strategischen Vorteile des Gegners haben?« Die Stimme drang aus dem Helmempfänger, sachlich, teilnahmslos, stoisch.

    Das schulterhohe Schilfgras wogte im Wind. Die Kämpferin war von ihrer Gruppe getrennt worden und auf sich allein gestellt. Unterstützung hatte sie nicht zu erwarten.

    Wer war sie? Sie erinnerte sich nicht an ihren Namen.

    Sie steckte im schützenden Kokon eines schweren Kampfanzugs, der nur eine bedingte Überlebensgarantie bot. Der Individualschirm war ausgefallen, Funkkontakt zu ihren unter Feuer liegenden Kameraden weit hinter ihr verbot sich von allein. In diese Richtung konnte sie nicht zurück, weil starke Fußtruppen sich zwischen sie und ihre Gruppe geschoben hatten. Das beschädigte Aggregat zur Erzeugung eines Deflektorfeldes emittierte einen Schauer verräterischer Impulse und ließ sich nicht ausschalten. Immerhin versahen die Ortungssysteme ihre Tätigkeit, und der Antigrav funktionierte. Schaltete sie ihn ein, verriet sie endgültig ihren Standort.

    Doch der würde ihren Gegnern ohnehin allenfalls noch ein paar Minuten verborgen bleiben. Der Ring zog sich mit jeder Minute enger um die Kämpferin zusammen.

    Daten liefen in

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