Für den besonderen Anlass: Kasualien in der Freikirche
By Hartmut Knorr and Marc Strunk
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Immer wieder feiern wir in unseren Gemeinden "besondere Gottesdienste" (Kasualien). Dabei begegnen dem Pastor bzw. Gottesdienstleiter Erwartungen, die durch großkirchliche Liturgien und kulturelle Gewohnheiten geprägt sind. So haben die Gäste und Besucher vielfach ein festgefügtes Bild davon, wie z. B. eine Hochzeit "festlich" gestaltet werden sollte. Ebenso gibt es bestimmte Erwartungen an Beerdigungsgottesdienste. Wo finden sich aber für diese Kasualien Anleitungen in der Bibel? Gibt es Spuren im Alten und Neuen Testament, die unser Handeln begründen?
Neben diesen einleitenden Fragen geht es in "Für den besonderen Anlass – Kasualien in der Freikirche" vor allem um praktische Überlegungen und Anregungen. So finden sich Abschnitte über Taufe, Abendmahl, Trauung und vieles mehr, die eine gute Handreichung für die Verantwortung in der Gemeinde bilden.
4., durchgesehen u. bearbeitete Ausage 2019
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Für den besonderen Anlass - Hartmut Knorr
Herausgeber
Vorwort
Während ich dieses Vorwort schreibe, berichtet mir ein Gemeindeleiter unseres Bundes von einer Trauerfeier, die sie vor Kurzem als Kleinstadtgemeinde durchgeführt haben. Besonders bemerkenswert war dabei die positive Resonanz gerade auch von Besuchern, die nicht der Gemeinde angehörten.
Theologisch richtig verstanden, sorgfältig vorbereitet und zeitgemäß durchgeführt sind Kasualien eine überaus wichtige und segensreiche Komponente im Gemeindealltag. Bei den sich bietenden vielfältigen Anlässen können wir Gott und sein Handeln in den Mittelpunkt stellen. Dabei werden Menschen gesegnet und getröstet sowie Dank und Wertschätzung zum Ausdruck gebracht. Gleichzeitig ergeben sich dadurch auch gute Möglichkeiten der Verkündigung des Evangeliums, oft sogar weit über den Gemeinderahmen hinaus.
Damit diese besonderen Gelegenheiten auch gelingen können, bietet der vorliegende FThG-Band zahlreiche wertvolle Hilfestellungen. Die verschiedenen Kasualien werden dabei praxisnah behandelt. Neben dem einführenden biblischen Befund werden anschließend umfangreiche Anregungen zur Durchführung gegeben.
Ich bin sehr dankbar, dass der Materialband „Für den besonderen Anlass nun vorliegt. Er wird zum festen Bestandteil im Fach „Homiletik
unseres Ausbildungsprogramms.
Gleichzeitig stellt diese Arbeitshilfe besonders für Pastoren und Leiter mit noch wenig Gemeindeerfahrung eine echte Fundgrube dar. Doch auch langjährige Mitarbeiter werden davon profitieren und zahlreiche neue Impulse empfangen.
Horst Werner
Studienleiter Kandidaten/Vikare des BFP
Teil I: Kasualien – Begriffserklärung und Einführung
1 Einleitung
Die Gemeinde Gottes ist immer wieder neu vor die Herausforderung gestellt, ihre „Gemeindepraxis anhand des Wortes Gottes zu prüfen und zu erneuern. Dies gilt für alle Bereiche der Gemeinde: z. B. Gottesdienstformen, Leiterschaftsmodelle, Themen der Gemeindeleitung etc. Ganz besonders wichtig ist dies aber auch im Zusammenhang von Kasualien. Es stellt sich nämlich folgende zentrale Frage: Warum feiern wir als Gemeinde „besondere Gottesdienste zu bestimmten Anlässen
(Kasualien) und wie lassen sich Spuren aus dem Neuen und Alten Testament finden, die unser Handeln begründen?
Die Auseinandersetzung und die Planung von Kasualien bedarf deshalb einer theologischen Reflexion, eines theologischen Unterbaus, damit nicht Pragmatismus, sondern eine biblisch gefundene Überzeugung unser Handeln prägt. Gelingt es, dass wir unser Handeln biblisch begründen können, entsteht Ernsthaftigkeit und Tiefe, die letztlich das Gemeindeleben positiv belebt.
Mit diesen Gedanken sind aber auch Grenzen und Chancen abgesteckt. Da das Neue Testament verhältnismäßig wenig über konkrete Gottesdienstformen zu berichten weiß, kann es im Folgenden nicht darum gehen, eine „freikirchliche Liturgie" für Kasualien festzuschreiben.¹ Des Weiteren sind die folgenden Gottesdienstabläufe als Vorschläge gedacht, die das kreative Mitdenken voraussetzt und ggf. Modifizierungen notwendig erscheinen lassen. Zudem stellt sich immer wieder die Frage nach der Rolle des Heiligen Geistes, der das Gemeindeleben im Allgemeinen, Kasualien aber im Speziellen in die von Gott vorgesehene Richtung zu lenken hat. Eine zu starke Fixierung auf äußerliche Formen und Abläufe kann das Wirken des Heiligen Geistes hemmen. Hier gilt es innezuhalten und auf das Reden Gottes in der jeweils konkreten Situation zu achten und zu hören.
Eindeutig ist aber auch auf die Chancen hinzuweisen. Gerade in freikirchlichen Gemeinden ist das Verständnis von Gottesdienstformen und Kasualien häufig theologisch nicht ausreichend reflektiert worden. Im Verhältnis zu den „Großkirchen", bei denen der Gottesdienst einer bestimmten Liturgie folgt, scheint jede pfingstliche charismatische Gemeinde ihre eigene Gottesdienstform zu entwickeln – mehr oder weniger reflektiert; mehr oder weniger geprägt durch Tradition und Kultur.
Gerade bei Kasualiengottesdiensten begegnet man Erwartungen, die durch großkirchliche Liturgien und kulturelle Gewohnheiten geprägt sind. So haben die Gäste und Besucher vielfach ein festgefügtes Bild davon, wie eine Hochzeit „festlich" gestaltet werden sollte. Ebenso gibt es bestimmte Erwartungen an Beerdigungsgottesdienste. Stehen bei uns die Menschen und nicht Abläufe oder Regeln im Fokus, dann folgt daraus, dass wir zu überlegen haben, wie wir ihnen in ihren Erwartungen entgegenkommen können.
2 Begriffsbestimmungen: Kasualien, Sakramente und Amtshandlungen
Was sind eigentlich Kasualien? Kasualien bezeichnen jeden besonderen Fall („casus") der unregelmäßig das Gemeindeleben und deren Mitarbeiter zum (frei-)kirchlichen Handeln veranlasst. Dazu gehören z. B. Taufe, Begräbnis², besondere Segenshandlungen wie Ordination u. Ä.³ Ursprünglich kommt der Begriff aus der protestantischen Seelsorgelehre und unterscheidet den Kasualgottesdienst von dem Regelgottesdienst (z. B. den sonntäglichen Gottesdienst mit Predigt).⁴
Zu unterscheiden sind Kasualien von der sogenannten „Liturgie. Liturgie bezeichnet kirchengeschichtlich die gesamte „Kulttätigkeit
während eines (normalen oder kasualen) Gottesdienstes, ist also eng mit dem Verständnis von Kirchenamt und Sakrament (s. u.) verbunden.⁵ Die Liturgik oder Liturgiewissenschaft beschäftigt sich vereinfacht gesagt mit der praktisch-theologischen Reflexion des Gottesdienstgeschehens und versucht Handlungsanweisungen oder Vorschläge für die Gemeindepraxis zu erarbeiten.⁶
Diese Begriffsbestimmungen können zu Irritationen führen. Soll etwa über Umwege oder durch die Hintertür eine Liturgie für die BFP-Gemeinden festgeschrieben werden? Das dem nicht so ist, wird die genaue Verortung von Liturgie im Verständnis der Großkirchen zeigen. Eine besondere Bedeutung wird nämlich in beiden Großkirchen dem „Amtsträger" und dem Sakrament beigemessen.⁷ Das katholische Verständnis des Sakraments als heilsstiftendes Handeln braucht dazu kirchenrechtlich legitimierte Amtsträger, die die sog. „Amtshandlung" vollziehen. Damit aber die rechte Verwaltung der Sakramente gewährleistet werden kann, ist der Vollzug der Handlung in Form einer Liturgie vorgeschrieben und festgelegt.
Da nach freikirchlichem Verständnis zwar biblisch legitimierte Handlungen einen hohen Stellenwert haben, diesen aber nicht eine aus sich selbst heraus heilswirkende (also sakramentale) Bedeutung beigemessen wird, entfällt die Pflicht zur Kontrolle (frei-)kirchlicher Handlungen seitens einer Kirchenleitung. Es besteht also keine Notwendigkeit, den Amtsträgern einer Kirche kanonisch oder kirchenrechtlich den genauen Ablauf mit entsprechenden Formulierungen vorzuschreiben. Es bleibt jedem Prediger, Ältesten oder Pastor zunächst selber überlassen wie (in Absprache mit den übrigen Beteiligten) eine kirchliche (Amts-)Handlung zu vollziehen ist. Insofern sind die folgenden Entwürfe als Handreichung zur Gemeindepraxis zu verstehen, die dem Bedürfnis und der Pflicht nach Angemessenheit und Ästhetik Rechnung tragen sollen.
3 Konkretisierung
Nachdem die allgemeine Bedeutung von Kasualien geklärt ist, gilt es nun einen „Rahmen zu entwickeln, der hilft Grenzen und Chancen von Kasualgottesdiensten aufzuzeigen. Deshalb werden im Folgenden Kategorien entwickelt, in denen die verschiedenen Kasualien gruppiert werden können. Weil die Grenzen zwischen den verschiedenen Kategorien fließend sind, ist darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei nicht um in „Stein gemeißelte
Festlegungen handelt – die ständige Reflexion und Neuorientierung ist deshalb vorausgesetzt. Der Wert dieser Kategorien besteht hauptsächlich darin, einen Rahmen an die Hand zu geben, um entscheiden zu können, wann ein gewünschter Kasualgottesdienst aus biblisch-theologischen Überlegungen und deshalb aus Gewissensgründen von einer Ortsgemeinde nicht mehr vollzogen werden kann.
3.1 Kasualien als Segenshandlung
Will man die Bedeutung des Segens aus biblischer Sicht verstehen, so ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Gott als der Segnende hervorgehoben wird. Der Mensch selbst ist niemals Quelle des Segens, sondern lediglich ein von Gott gesegneter „Kanal". So verstanden ist Segen die Bitte an Gott um seine Gnade, Güte, Bewahrung, Langmut und Geduld: Gott selber segnet den Menschen, mit den Dingen, die er zum Leben braucht. Insofern liegt die Wirkkraft des gesprochenen Segens nicht bei dem Menschen, sondern bei Gott selbst.⁸
Unabhängig von der Bitte um den Segen Gottes im „normalen" Gottesdienst wird hier die Bedeutung der Kasualien als Segenshandlung deutlich: Z. B. im Zusammenhang einer Trauung bittet die Gemeinde um den Segen Gottes für die neu entstandene Familie.
Ebenso verhält es sich bei der in freikirchlichen Gemeinden üblichen „Kindersegnung". Die Bitte um Gottes Schutz und Bewahrung, die Bitte um frühe Gotteserkenntnis des Kindes prägen diese Kasualiengottesdienste. Damit ist aber auch eine Grenze aufgezeigt. Erstens bleibt Gott der Segnende und zweitens wird Gott das nicht segnen können, was gegen seinen ausgesprochenen und offenbarten Willen steht. Rolf Scheffbuch stellt in diesem Zusammenhang fest:
Darum muß auch Gott nicht das tun, was segnende Menschen vorhaben; sondern segnende Menschen werden vom lebendigen Gott gelenkt, letztlich das zu tun, was Gott segnend vorhat […]. Ja, selbst dort, wo der S.[egen] ausgesprochen wurde, muß Gott nicht gegen seinen Willen segnen.⁹
Jeder kirchliche Mitarbeiter hat deshalb anhand des Wortes Gottes und im Gebet zu prüfen, inwiefern eine mögliche Segenshandlung überhaupt sinnvoll erscheint. Da, wo geplante oder gewünschte Segenshandlungen dem Willen Gottes widersprechen, lässt sich kaum mehr von einem (christlichen) Kasualgottesdienst sprechen. Bestenfalls handelt es sich dann um kulturelle Riten, die sich einen christlichen Schein geben. Im Wesentlichen sind also Kasualiengottesdienste als Segenshandlungen eher theozentrisch – also auf Gott hin ausgerichtete Gottesdienste.
Zu den bereits oben genannten Trau- und Kindersegnungsgottesdiensten ließen sich folgende „besondere Gottesdienste" ergänzen: Ordination eines kirchlichen Mitarbeiters (inkl. Einsetzung eines neuen Pastors, Jugendpastors, Ältesten oder Arbeitskreisleiters), Einweihung eines Gemeindehauses, Gemeindejubiläen etc.
3.2 Kasualien als Proklamationshandlungen
¹⁰
Das deutsche Wort „Proklamation" leitet sich aus dem spätlateinischen Nomen proclamatio ab und meint so viel wie eine amtliche Verkündigung, einen Aufruf oder eine gemeinsame Erklärung.¹¹ Insofern wird durch eine Proklamation das zum Ausdruck gebracht, was im Griechischen mit den Verben kērussō (khrussw) und euaggelizō (euaggelizw) bzw. euanggelion (euanggelion) gemeint ist. Beide Verben verbindet die Weitergabe der Christusbotschaft. Kērussō bezieht sich dabei mehr auf die verkündigte und angebrochene Gottesherrschaft¹², euaggelizō und euanggelion dagegen auf die Proklamation der unverdienten und umsonst gewährten Rettung und Gnade durch Christus.¹³
Daraus ergeben sich für Kasualien als Proklamationshandlung zwei wesentliche Merkmale. Zum einen proklamieren sie die allgemeine und konkrete Herrschaft Gottes in dieser Welt und im Besondern im Leben eines Menschen. Zum anderen proklamieren sie die Heilstaten Gottes und im Speziellen das Erlösungswerk Christi.
Sicherlich gilt auch hier wieder der Hinweis, dass die Proklamation der Herrschaft Gottes und der Heilstat Christi Teil eines jeden „gewöhnlichen" Gottesdienstes ist.