Verschwundene Adjektive
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Olga Zimmermann erzählt in ihrer Debütnovelle vom Kampf zwischen Adjektiven und Verben und deren Bedeutung in der deutschen Sprache. Eine metaphorisch-literarische Studie über Gefühle und Tätigkeiten, über Herz- und Verstandesangelegenheiten; darüber hinaus ein Plädoyer für die soziale Akzeptanz unkonventioneller Lebensstile.
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Book preview
Verschwundene Adjektive - Olga Zimmermann
BIOGRAPHISCHES
1.
In dieser Geschichte, die ich Euch gerne erzählen möchte, geht es um den größten Liebhaber der Adjektive, den die Welt je erblickt hat. Niemand auf der Welt hatte so eine zärtliche, romantische und fast schon erotische Beziehung zu Eigenschaftswörtern. Er liebte sie, er lebte sie. Durch Adjektive betrachtete er alle seine zwischenmenschlichen Beziehungen, seine Liebsten, seine Feinde und natürlich fiel ihm da ein Haufen an Wie-Worten ein, wenn er mal seine eigene Persönlichkeit beschreiben musste. Er sah sich als ein unmodernes, einem früheren Zeitalter entflohenes, tugendhaftes, intellektuell gewandtes Subjekt. Er ordnete sich gerne ins 19. Jahrhundert ein – in diese Zeit, in welcher die Linguistik für Menschen eine bedeutend größere Rolle gespielt hatte. Die Entwicklung der Sprache und ihre Präzision hatte in der damaligen Zeit mit der enormen Entwicklung der Wissenschaft den Schritt halten müssen. Diese vornehme und galante Epoche, spiegelte sich, nach seiner Meinung, äußerst wirkungsvoll in seinem ritterlich anmutenden Betragen und in seinem bis zur Brillanz geschliffenen, etwas manierierten und ungeheuer schaffensorientierten und gelenkigen Umgang mit Sprache wider. Wie aus einer ewigen Quelle, die zu keiner Zeit vom Austrocknen bedroht schien, sprudelten die Adjektive aus dem Mund und flossen von der Hand dieses Mannes, zu jeder Gelegenheit und zu jeder Tages- und Jahreszeit. Er mochte sie alle. Es gab keine mehr oder weniger Lieben. So ein Mann war das nämlich. Er konnte die Liebe zu allen Adjektiven gerecht aufteilen.
Zugegeben – er benutzte sie in seinem Sprachgebrauch. Das Wort ›benutzen‹ ist ja bereits mit einem negativen Sinn behaftet. »Was könnte man schon von einem Verb erwarten«, würde der Liebhaber der Adjektive sagen. »Die Verben sind immer so direkt, nackt, plump und profan. Was könnte so ein Verb alleine bewirken, wenn es kein starkes beschreibendes Wort davor oder dahinter zur Unterstützung hat?! Nichts! Absolut und kategorisch – nichts! Dann wüssten wir beispielsweise nicht, dass das besagte Verb NEGATIV behaftet sein soll. Da wären wir schon mal in eine höchst missverständliche Lage hineingeraten, hätten uns sozusagen auf dem Holzweg befunden.« So würde der Sprachverehrer reichlich gestikulierend für seine geliebten Adjektive jeder Zeit in den Kampf ziehen. Ja, so entschlossen und unerbittlich war er in seiner Zuneigung zu Adjektiven. Niemals würde er gegen sein Los und Schicksal ankämpfen. Die Verbindung zwischen der sichtbaren Realität und der inneren Gefühlswelt dieses Mannes schaltete sich ausschließlich per Bildung eines Adjektivs. Der Mann, von dem ich Euch erzählen möchte, hielt sich demzufolge nicht für etwas Besonderes. Er dachte manchmal, dass die Gefühle bei allen Menschen durch ein Wort entstehen. Damit etwas als schön empfunden werden kann, sollte sich als allererstes im Kopf ein Begriff entstehen. Davon war er sein Leben lang sehr, sehr überzeugt! Denn er wusste es nicht besser. So war sein Los. Das Los des Wortschöpfers.
Der Mann, von dem ich Euch nun zu berichten habe, wählte sich seinen Beruf mit einem bestimmten Kalkül. Der machte ihn sehr zufrieden. Sogar glücklich. Denn er konnte sich tagein tagaus seiner Lieblingsbeschäftigung widmen: er war Literaturkritiker und schrieb leidenschaftlich und hingebungsvoll Kritiken über Bücher und deren Autoren. Seine Texte waren stets sehr lang, ausführlich, mit nützlichen und fairen Adjektiven versehen, die dem Autor gute Hinweise gaben, ob nun er auf dem gewählten stilistischen wie inhaltlichen Weg bleiben, sich eventuell in einer Sackgasse befand und schleunigst da wegkommen, oder gar bitte, bitte und im Namen der lesenden Menschheit keine weitere Zeile aufschreiben sollte. Präzision und Kürze wären bei so einer verantwortungsvollen Aufgabe, nach Meinung des Kritikers, fehl am Platz, leichtsinnig, ja sogar gefährlich.
Auf keinen Fall wollte er, dass seine Kritiken missverstanden würden, er wollte weder jemanden damit kränken, noch unverdienterweise in den Himmel loben. Der Mann wusste genau, was die Verantwortung bedeutet. Er konnte sie mit mindestens hundert Adjektiven einkleiden. Das wären zum Beispiel: ›stabil‹, ›monumental‹, ›verlässlich‹, ›dauerhaft‹, ›glaubwürdig‹, ›pflichtbewusst‹ und so weiter und so fort. Der Literaturkritiker besaß eine außerordentlich große Garderobe an beschreibenden Begriffen. Mühelos sendete er seine Empfindungen und sein Wissen elegant in Wort gekleidet an den Adressaten.
Mark Twain sollte in Bezug auf das literarische Schreiben eines Tages mal gesagt haben: ›Wenn Sie ein Adjektiv finden, bringen Sie es um.‹
»Schade, dass die Klassiker unantastbar sind«, dachte der Kritiker. Zu gerne würde er sich den guten Mann mal vorknöpfen. »Wenn Sie den aufgeblasenen, wichtigtuerischen, nach Naphthalin riechenden Mark Twain finden, bringen Sie ihm den Respekt vor dem Adjektiv bei.« Noch besser: »Versehen Sie alle seine Werke mit Unmengen an fabelhaften, starken Adjektiven!« Was für den Klassiker wahrscheinlich den sicheren Tod als Autor bedeuten würde. Uff! Gut, dass Twain bereits tot war und das nicht erleben musste.
Der Literaturkritiker vertrug keinen Spaß, wenn es um seine geliebten Adjektive ging!
2.
Der Literaturkritiker war mit einer sehr eleganten, wunderschönen und warmherzigen Frau verheiratet. Als er sie zum ersten Mal erblickte, wusste er genau, dass er eben der ganz besonderen Frau begegnet war.
Das war eine magische Begegnung. Es war Mitte Oktober und einer dieser Tage, an denen die Sonne ihre Kraft verschwenderisch verausgabte, wohl im Wissen, dass sie nicht mehr allzu viele Gelegenheiten dazu bekommen würde. Rot- und Goldtöne dominierten die Natur und gaben ihr in Kombination mit dem strahlend blauen Himmel ein fast surreal wirkendes Bild, bei dem man sich fragen musste: ›Ist es noch schön, oder schon stilwidrig?‹