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Kurze Durchsage: Gedichte & Prosa
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Kurze Durchsage: Gedichte & Prosa
Ebook146 pages30 minutes

Kurze Durchsage: Gedichte & Prosa

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About this ebook

Kurze Prosa, manchmal nur vier, fünf Zeilen lang, und Gedichte, in denen sich die Handschrift des Autors am deutlichsten zeigt.
Mit neuen Gedichten und kurzen Prosastücken sowie einer Auswahl früherer Arbeiten führt Klaus Merz, ein "Meister der literarischen Ökonomie" (Tages-Anzeiger) bis zu seinen Anfängen Mitte der sechziger Jahre zurück. Ergänzt wird die Sammlung durch ein Nachwort von Werner Morlang: Die rund sechzig neuen Texte aus den letzten vier Jahren sind ganz ausdrücklich der Fortsetzung verpflichtet, die der Unaufhörlichkeit der Welt ihren Tribut zollt und bis in die Tiefen unserer Kindheit und in die Höhen unserer bisweilen krausen Träume hinunterreicht. Die zwölf Haikus 'Geografie' zum Beispiel sind höchst bewegliche, reiselustige Texte, dennoch wissen wir spätestens seit der Prosaminiatur 'Vom Reisen': Klaus Merz ist ein Bleibender, will sagen, er bleibt bei den Dingen, die ihn umtreiben, bei der unerschöpflichen Exotik unseres Daseins. Er beharrt auf seinem poetischen und lakonischen 'Weidwerk':
Die Witterung eines Wortes,
eines Satzes aufnehmen,
die wirklich gesagt
sein möchten.
Das hat mit Jagd
zu tun, mit Sehnsucht.
Und es kann lange
dauern.
LanguageDeutsch
PublisherHaymon Verlag
Release dateDec 6, 2013
ISBN9783709971178
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    Kurze Durchsage - Klaus Merz

    Eich

    I

    FORTSETZUNG

    (1992–1995)

    FLUG

    Nur mit den Armen rudernd,

    fliegen wir nächtelang

    durch die Gegend.

    Die Sternwarten

    leuchten.

    Aus der Neandertalzeit

    hat man das Grab

    eines Kindes entdeckt,

    das auf einen Schwanenflügel

    gebettet lag. Dieser Flug

    setzt uns fort.

    SCHRIFT

    Wenn die Wirklichkeit selber

    Sätze machte, nichts

    bliebe uns mehr

    zu erzählen. Und

    was zu leben wäre,

    wäre erlebt.

    STAND DER DINGE

    Am harten Klang

    zusammenprallender Porzellan-

    rinder sind wir erwacht.

    Auch die andern

    Gegenstände im Zimmer,

    Vasen, Bilder,

    sind jetzt nicht mehr

    einfach da.

    Ihre lauernde Gegenwart

    kann jederzeit um-

    schlagen in nackte

    Gewalt.

    FLUT

    Gegen Morgen zeigt mir

    am Fluß eine Brückenheilige

    ihre Scham. Feucht,

    aber nicht schamlos.

    Ihre Kniekehlen

    zittern.

    BESUCH AUF DEM LAND

    Herbstwind fackelt

    die Laubbäume ab.

    Die Stiefmütterchen

    stehen im Kreis.

    Und alle Steine

    tragen Namen.

    MALVEN

    Zwischen den falben

    Samentaschen noch immer

    die großen Tubatrichter

    der Malven, Stempel & Narbe

    in der tiefroten Mitte

    ihres öffentlichen

    Geschlechts.

    Stoisch wendet

    die Blume der Welt

    ihr Innerstes zu

    für einen Tag.

    NEBENSCHAUPLATZ

    Schnecken haben

    die Steine beschriftet: PAX

    steht in fahrigen Zeichen

    am Gartenrand, die Buchstaben

    glitzern. Nirgendwo

    war seit langem so viel

    Zuversicht lesbar. Komm,

    leck mir das Salz

    von der Hand!

    KIRCHBERG

    Eine Kuh legt

    der andern Kuh

    den Kopf ans Euter.

    Die Glocken läuten.

    Aus dem Schwingbesen

    der Gastgeberin steigen

    Singvögel auf.

    ERSCHÜTTERUNG

    Ein Mann führt Klage

    gegen einen Baum. Nein,

    er betet zu ihm, nimmt ihn

    ins Gebet. Bis die Äste sich

    tatsächlich beugen,

    auf ihn herab,

    und sich schütteln.

    STADTAUSWÄRTS

    Die Eckhäuser stoßen

    in den leeren Himmel hinauf.

    Aus den Schornsteinen fährt Rauch.

    Wir hören die Ankerketten rasseln.

    Nur die Abflußrohre

    geben uns vorübergehend

    noch ein wenig Halt.

    WIEDERSEHEN

    Auf der Straße nach Charenton kommt mir mein Freund entgegen. Den Brustkasten weit aufgeklappt, zeigt er seine Herzkranzgefäße. Und zuversichtlich, wie er uns sein Lebtag immer erschienen ist, erläutert er mir noch einmal das erfolglose Vorgehen der Ärzte in seiner Brust.

    MARZIPAN

    Die heilige Walburga schwitzt Wasser zwischen Oktober und Februar. Ihre Gebeine werden im Sandsteinkasten der Gruftkapelle gelagert, ein Aluminiumtrichter fängt das Schwitzwasser auf. Man kann es nicht kaufen, es wird von den Nonnen als Heilmittel verschenkt. Wenn man sie darum bittet.

    Da besorg ich mir lieber eine Nachbildung der Zunge des heiligen Nepomuk, Patron des Beichtgeheimnisses und Beschützer vor übler Nachrede: Ich bezahle, schweige. Und bleibe gesund.

    JENSEITS VON EDEN

    Als Adam erkannte, daß er nackt war und für diese erschreckende Erkenntnis dazu verurteilt, sein Brot auf alle Zeiten im Schweiße seines Angesichts zu essen, schlug er sich, noch bevor

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