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Edgar Allan Poe
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Edgar Allan Poe

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Dieses umfassende Werk enthält viele phantastische Erzählungen, Gedichte und Verse des großen Dichters Edgar Allan Poe, in denen er exemplarisch seine Begabung, Scharfsinn mit Phantastik zu verbinden, und seinen außergewöhnlichen Hang zum Unheimlichen beweist. Nicht umsonst gilt er als Inkarnation der Schwarzen Romantik.
LanguageDeutsch
Release dateJan 30, 2013
ISBN9783943883138
Author

Edgar Allan Poe

New York Times bestselling author Dan Ariely is the James B. Duke Professor of Behavioral Economics at Duke University, with appointments at the Fuqua School of Business, the Center for Cognitive Neuroscience, and the Department of Economics. He has also held a visiting professorship at MIT’s Media Lab. He has appeared on CNN and CNBC, and is a regular commentator on National Public Radio’s Marketplace. He lives in Durham, North Carolina, with his wife and two children.

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    Edgar Allan Poe - Edgar Allan Poe

    Lempertz Klassiker

    Edgar Allan Poe

    Edition Lempertz

    Das Gut zu Arnheim

    Von der Wiege bis zum Grabe segelte mein Freund Ellison in einem wahren Sturm von Wohlergehen dahin. Ich meine hier das Wort Wohlergehen noch nicht einmal so sehr in seinem äußeren, weltlichen Sinne, sondern verstehe darunter wirkliches inneres Glück. Die Person, von der ich rede, schien geboren zu sein, um den Doktrinen eines Turgot, Price, Priestley und Condorcet als Symbol zu dienen, ein leuchtender Beweis für die Möglichkeit dessen, was man einmal die ‘Chimäre der Perfektionisten’ genannt hat. Es kommt mir vor, als hätte ich während der Lebensdauer Ellisons das Dogma widerlegt gesehen, welches sagt, dass im Wesen des Menschen ein geheimnisvolles Prinzip als Gegner jeglichen Glückes wirke. Eine genaue Untersuchung seiner Lebensweise hat in mir die Ansicht befestigt, dass im Allgemeinen das Elend der Menschen seinen Ursprung in der Verletzung einiger einfacher Gesetze der Menschlichkeit hat, dass die Elemente der Zufriedenheit latent in uns liegen, und dass selbst heutzutage, in der Dunkelheit und Verworrenheit aller Gedanken über die große soziale Frage, der Mensch, das Individuum, unter gewissen ungewöhnlichen Umständen glücklich sein kann.

    Mein junger Freund war von solchen und ähnlichen Ansichten vollkommen durchdrungen; indes ist es nicht überflüssig zu bemerken, dass das ungetrübte Glück, das sein Leben überstrahlte, das Resultat eines streng befolgten Systems war. Denn es liegt wohl auf der Hand, dass sich Ellison ohne jene instinktive Philosophie, die zuweilen die Erfahrung vollkommen ersetzt, in den Wirbel von Unglück gestürzt haben werde, der alle vom Schicksal außerordentlich begünstigten Menschen umkreist. Doch beabsichtige ich nicht, einen Essay über das Glück zu schreiben. Die Ideen meines Freundes lassen sich in wenige Worte zusammenfassen. Sie beschränken sich auf nur vier Prinzipien oder, genauer, vier Elementarbedingungen zum Glück. Für die hauptsächlichste hielt er, es klingt seltsam genug, körperliche Übungen im Freien. Er pflegte zu sagen: Die Gesundheit, die man auf andere Weise erwirbt, ist dieses Namens kaum wert. Er sprach mit Feuer von den Freuden der Fuchsjagd und nannte die Ackerbauern die einzigen Menschen, die man als Klasse füglich für glücklicher halten könne als irgendeine andere. Die zweite Bedingung war die Liebe zum Weibe. Die dritte und am schwersten erfüllbare war die Verachtung jeglichen Ehrgeizes. Die vierte Bedingung endlich war das Objekt seines unaufhörlichen Strebens; und er behauptete, dass, wenn alle anderen Bedingungen gleich gut erfüllt würden, die Größe des erreichbaren Glücks im Verhältnis zu der Geistigkeit dieses Objektes stehe.

    In ganz merkwürdiger Weise hatte das Schicksal meinen Freund Ellison mit seinen Gaben überhäuft. An Anmut und persönlicher Schönheit übertraf er alle Menschen, die ich je gekannt habe. Sein Verstand war von der Art, für die die Erwerbung von Kenntnissen weniger eine Arbeit als Intuition und Notwendigkeit ist. Seine Familie gehörte zu den vornehmsten des Landes. Seine Gattin war die lieblichste und zärtlichste Frau. Er hatte stets ein bedeutendes Vermögen besessen; als er volljährig wurde, stellte es sich heraus, dass das Schicksal zu seinen Gunsten wieder einmal eine jener Bizarrerien vollführt hatte, die das Ganze soziale Milieu, indem sie sich ereignen, in höchstes Erstaunen setzen und es kaum jemals verfehlen, die moralische Konstitution der von ihnen Betroffenen gänzlich umzugestalten.

    Ungefähr hundert Jahre vor der Großjährigkeit des Herrn Ellison war in einer entfernten Provinz ein gewisser Herr Seabright Ellison gestorben. Dieser Herr hatte ein fürstliches Vermögen erworben und da er keine direkten Verwandten besaß, war er auf die Laune verfallen, dies Vermögen, und zwar für den Zeitraum von hundert Jahren von seinem Tode an, sich einfach aufhäufen zu lassen. Nachdem er selbst auf das Genaueste und mit großer Klugheit bestimmt hatte, wie das Geld angelegt werden sollte, vermachte er seinen gesamten Besitz derjenigen Person, die, nach Ablauf des hundertsten Jahres nach seinem Tode, sein nächster Blutsverwandter sein werde. Mehrere Versuche waren gemacht worden, dies seltsame Vermächtnis für nichtig zu erklären, da jedoch alle Einwendungen ex post facto kamen, blieben sie wirkungslos. Sie hatten nur zur Folge, dass die Eifersucht der Regierung erregt wurde und ein Gesetz ins Leben trat, das eine derartige Anhäufung von Kapital für die Zukunft untersagte. Es konnte jedoch nicht mehr verhindern, dass der junge Ellison an seinem einundzwanzigsten Geburtstage als Erbe seines Vorfahren Seabright in den Besitz eines Vermögens voll vierhundertundfünfzig Millionen Dollar gelangte.

    Als es bekannt wurde, welch großen Reichtum er geerbt hatte, wurden, was erklärlich ist, viele Vermutungen über die Art seiner Anwendung laut. Die ungeheure Höhe der Summe und ihre sofortige Erreichbarkeit verwirrten alle Köpfe, die sich mit der Lösung dieser Frage abgaben. Hätte es sich um den Besitzer irgendeiner berechenbaren Summe gehandelt, so hätte man sich wohl vorstellen können, auf welche von den tausend landläufigen Arten er sein Geld ausgeben würde. Hätten seine Reichtümer bloß die seiner Mitbürger überschritten, so hätte man mit Sicherheit annehmen dürfen, dass er sich irgendeiner gerade modernen Extravaganz überlassen werde, dass er sich in den Strudel der politischen Intrigen stürzen oder nach der Ministerwürde streben, dass er sich einen höheren Adelsrang erkaufen oder Kunstsammlungen anlegen, dass er die Rolle eines freigebigen Mäzens der Künste und Wissenschaften spielen oder große wohltätige Stiftungen fundieren werde. Für den unschätzbaren Reichtum jedoch, der ihm so plötzlich zugefallen, boten alle diese und ähnliche Arten, Geld anzuwenden, ein viel zu beschränktes Feld. Man berechnete, dass selbst zu dem niedrigsten Zinssätze von drei Prozent das jährliche Einkommen Ellisons nicht weniger als dreizehn Millionen fünfhunderttausend Dollar betragen würde, monatlich also eine Million einhundertfünfundzwanzigtausend Dollar, oder sechsunddreißigtausendneunhundertsechsunddreißig Dollar täglich; oder eintausendfünfhunderteinundvierzig Dollar in der Stunde, gleich sechsundzwanzig Dollar in der Minute. Der Weg für Vermutungen war also überallhin versperrt. Man konnte sich durchaus nicht denken, was nun geschehen sollte. Einige gingen so weit, zu vermuten, dass Herr Ellison sich selbst wenigstens der Hälfte seines Vermögens als einer lästigen Überfülle berauben und die ganze Schar seiner Verwandten mit diesem Überfluss bereichern werde. In der Tat trat Ellison seinen Angehörigen das außergewöhnlich große Vermögen ab, das er schon vor seiner ungeheuerlichen Erbschaft besessen hatte.

    Es überraschte mich nicht im Geringsten, dass er selbst sich über die Frage, die seinen Freunden so viel Kopfzerbrechen machte, längst im Klaren war. Auch setzte mich seine Entscheidung durchaus nicht in Erstaunen. Den Forderungen der Nächstenliebe hatte sein Gewissen Genüge getan. Und an die Möglichkeit einer von Menschen selbst vollbrachten Vervollkommnung des allgemeinen Zustandes der Menschen überhaupt glaubte er, wie ich leider gestehen muss, in nur sehr beschränktem Maße. Kurz, zu seinem Glück oder Unglück kehrte er stets wieder auf sich selbst zurück.

    Er war im edelsten und weitesten Sinne ein Poet. Er verstand überdies den wahren Charakter, die erhabenen Ziele, glaubte an die höchste Würde und größte Notwendigkeit des poetischen Gefühls. Sein Instinkt sagte ihm, dass die vollkommenste, wenn nicht die einzige Befriedigung dieses Gefühles in dem Schaffen neuer Formen der Schönheit bestehe. Einige Besonderheiten, in seiner Erziehung vielleicht oder in der Natur seiner Verstandesfähigkeiten, hatten seinen ethischen Spekulationen eine Neigung zum Materialismus gegeben; und wahrscheinlich führte ihn diese Neigung zu dem Glauben, dass das beste, wenn nicht allein berechtigte Gebiet der Ausübung poetischer Fähigkeiten das Schaffen neuer Formen rein physischer Schönheit sei. Dies war wohl auch die Ursache, dass er weder Musiker noch Dichter wurde, wenn wir hier dieses Wort einmal in seiner Alltagsbedeutung gebrauchen wollen. Vielleicht hatte er es auch nur versäumt, das eine oder andere zu werden, weil er seiner Lieblingsidee folgte, der Überzeugung nämlich, dass in der Verachtung jeglichen Ehrgeizes eine der wesentlichsten Bedingungen zum Erdenglücke liegt. Und ist es wirklich so schwer zu glauben, dass, wenn ein Genie höherer Ordnung notwendig ehrgeizig ist, ein solches höchster Ordnung selbst über dem steht, was man Ehrgeiz nennt? Und könnte es auf diese Weise nicht Vorkommen, dass viel Größere als Milton zufrieden ‘stumm und rühmlos’ blieben? Ich glaube, dass die Welt, wenn nicht durch eine Reihe anstachelnder Zufälle ein Genie jener höchsten Ordnung zu der ihm widerstrebenden Ausführung seiner Ideen gezwungen wird, niemals das vollkommene, triumphierende Werk sehen und nie bemerken würde, was die menschliche Natur auf den reichsten Gebieten der Kunst zu schaffen fähig ist.

    Ellison wurde weder Musiker noch Dichter, obwohl kein Mensch Musik und Dichtung heißer liebte als er. Unter anderen Lebensumständen wäre er vielleicht Maler geworden. Die Skulptur ist, obgleich ihrem Wesen nach dichterisch, eine Kunstform, deren Sphäre und Wirkung zu beschränkt ist, als dass sie seine Aufmerksamkeit lange und tiefer in Anspruch hätte nehmen können. Ich habe nun alle Gebiete aufgezählt, in welchen sich der poetische Geist nach Behauptung der Kenner äußern kann. Ellison jedoch behauptete, dass das reichste, wirklichste und natürlichste, wenn nicht sogar das allerausgedehnteste Gebiet in unerklärlicher Weise vernachlässigt worden sei. Noch nie hat irgendeine Definition von dem Landschaftsgärtner als von einem Dichter gesprochen; mein Freund jedoch glaubte, dass die Schöpfung eines Landschaftsgartens der Muse eine ganz besonders glückliche Gelegenheit zu Äußerungen geben werde. Hier breitete sich in der Tat der Fantasie das herrlichste Feld zu unaufhörlicher Verbindung von neuen Formen der Schönheit aus; denn die Elemente dieser Verbindungen sind die schönsten, die die Erde dem Künstler überhaupt darbietet. In der Vielgestalt und Farbigkeit der Blumen und Bäume erkannte Ellison den mittelbarsten und kräftigsten Willen der Natur zu physischer Schönheit. Und zu der Leitung und Konzentration dieses Willens, oder besser, zu seiner Anpassung an die Augen, die ihn auf Erden erkennen sollten, glaubte er sich verpflichtet, die besten Mittel anzuwenden und Frucht bringend zu arbeiten: um so nicht nur seinen Beruf als Dichter zu erfüllen, sondern auch den erhabenen Zwecken zu dienen, um derentwillen die Gottheit dem Menschen das poetische Gefühl gegeben habe. Seine Anpassung an die Augen, die ihn auf Erden erkennen sollen. Durch die Erklärung, die Ellison diesem Satz gab, wurde mir etwas offenbar, das mir lange Zeit ein Rätsel geschienen, ich meine die Tatsache (die nur ein Ignorant bestreiten kann), dass in der Natur keine solche Verbindung von Szenerien besteht, wie ein genialer Maler sie schaffen kann. Man findet in der Wirklichkeit keine Paradiese, wie sie auf der Leinwand Claude Lorrains erstrahlen. In der entzückendsten natürlichen Landschaft wird man immer einen Fehler oder ein Allzu viel, viele Fehler, viele Allzu viel, entdecken. Während die einzelnen wesentlichen Bestandteile der Geschicklichkeit jedes Menschenkünstlers Hohn sprechen, wird die Zusammensetzung dieser Teile stets der Verbesserung bedürfen. Kurz, auf der ganzen Oberfläche der Erde wird man keinen Punkt finden können, von dem aus gesehen die Komposition der Landschaft für ein künstlerisches Auge nicht irgendeinen Fehler enthält. Und doch, wie unverständlich ist dies! Man hat uns mit Recht gelehrt, in jeder anderen Beziehung die Natur als vollkommen zu verehren und wir fürchten uns, bei der Nachbildung ihrer Einzelheiten mit ihr zu rivalisieren. Wer wagte es, die Farben der Tulpen nachzuahmen oder die Proportionen der Lilie zu verbessern? Die Kritik, die von der Skulptur oder Porträtkunst behauptet, dass hier die Natur mehr geadelt und idealisiert als nachgeahmt wird, befindet sich im Irrtum. Keine gemalte oder plastische Nachbildung von Elementen menschlicher Schönheit kann mehr tun, als sich der lebenden, atmenden Schönheit nähern. Nur auf die Landschaft allein kann dieses Prinzip der Kritik mit Recht Anwendung finden und da sie seine Wahrheit hier fühlte, trieb die unbesonnene Neigung zu Verallgemeinerungen sie dazu, dasselbe auch auf allen anderen Kunstgebieten für richtig zu halten. Da sie seine Wahrheit fühlte, sagte ich, denn das Gefühl führt uns niemals zu erkünstelter Überzeugung und Trugschlüssen. Die Mathematik hat keine absolutere Beweiskraft, als das Kunstgefühl für den Künstler hat. Er glaubt nicht nur, sondern weiß positiv, dass diese und jene scheinbar willkürliche Zusammenstellung seiner Stoffe die wahre Schönheit zum Resultat haben wird. Seine Gründe jedoch sind noch nicht bis zur Formel gereift. Einer Analyse, die tiefer sieht als alle bis jetzt bekannten, bleibt es überlassen, diese Gründe vollständig zu erforschen und zu formulieren. Immerhin ist der Künstler schon heute durch die Stimme all seiner Brüder von der Richtigkeit seiner instinktiv gefassten Meinungen vollständig überzeugt. Stellen wir uns einmal eine fehlerhafte Komposition vor und nehmen wir an, dass man ihre Anordnung verbessert und dass man die Verbesserung allen Künstlern der Welt zur Beurteilung vorlegt. Ein jeder von ihnen wird ihre Notwendigkeit zugeben. Mehr noch! Um dem Fehler der betreffenden Komposition abzuhelfen, würde jeder der Künstler die gleiche Verbesserung vorgeschlagen haben.

    Ich wiederhole, dass allein in der Komposition der Landschaft die physische Natur der Vervollkommnung fähig ist und dass ich das Geheimnis, weshalb sie gerade in diesem einen Punkte der Verbesserung fähig erscheint, nicht lösen konnte. Meine eigenen Gedanken hierüber lagen in dem Glauben beschlossen, dass der Urwille der Natur die Oberfläche der Erde so geschaffen habe, dass sie in jedem Punkte dem Gefühl des Menschen für die Vollkommenheit in der Schönheit, dem Erhabenen oder dem Malerischen Genüge tue, dass jedoch diese ihre Urabsicht durch die bekannten geologischen Umwälzungen vereitelt worden sei, durch die Umwälzungen von Formen und Farbenzusammenstellungen, in deren Verbesserungen und Mischungen die Seele aller Kunst liegt. Die überzeugende Kraft dieser Annahme wurde jedoch durch die aus ihr resultierende Notwendigkeit, diese Umwälzungen als anormale und zwecklose anzusehen, sehr abgeschwächt. Ellison jedoch behauptete, dass sie Anzeichen des Todes seien und suchte sie so zu erklären: Nehmen wir an, die irdische Unsterblichkeit des Menschen sei eigentlich ihre Urabsicht gewesen. Die erste Anordnung der Oberfläche der Erde war also diesem seligen Zustande angepasst, einem Zustand, der nicht verwirklicht, doch beabsichtigt wurde. Diese Umwälzungen waren nur Vorbereitungen für seinen später beabsichtigten und auch verwirklichten sterblichen Zustand.

    Überdies, behauptete mein Freund weiter, was wir als eine Vervollkommnung der Landschaft ansehen, kann wirklich eine solche sein, doch nur vom moralischen oder menschlichen Standpunkte aus. Jede Änderung der natürlichen Szenerie kann möglicherweise für das Gesamtbild einen Makel bedeuten, wenn wir uns dasselbe, im großen, en masse gesehen, von irgendeinem von der Oberfläche der Erde entfernten, doch nicht außerhalb ihrer Atmosphäre liegenden Punkte überschaut vorstellen. Jeder wird leicht verstehen, dass die Vervollkommnung eines in der Nähe gesehenen Details den allgemeinen, erst auf eine gewisse Entfernung hin erreichbaren Eindruck stören kann. Es ist auch nicht unmöglich, dass es eine Klasse von Wesen gibt, welche, einst menschlich, dennoch der Menschheit unwahrnehmbar bleiben, für die ordentlich erscheint, was uns unordentlich, malerisch, was uns nicht malerisch ist; mit anderen Worten eine Art irdischer Engel, für deren durch den Tod verfeinertes Schönheitsgefühl noch mehr als für unseres die Gottheit vielleicht die ungeheuren Landschaftsgärten der Hemisphären entstehen ließ.

    Im Laufe dieses Gespräches führte mein Freund eine Stelle aus dem Buche eines Schriftstellers an, den man für eine Autorität auf dem Gebiete der Landschaftsgärtnerei hält: ‘Eigentlich teilt sich die Landschaftsgärtnerei nur in zwei Stile, den natürlichen und den künstlichen. Der eine sucht die ursprüngliche Schönheit der Landschaft wieder zu erwecken, indem er seine Mittel der Umgebung anpasst; indem er Bäume pflanzt, die mit den Hügeln oder der Ebene ringsumher harmonieren und jene schönen Beziehungen von Größen, Verhältnissen und Farben entdeckt oder unterstreicht, die sich, dem gewöhnlichen Beobachter verborgen, dem erfahrenen Schüler der Natur sofort enthüllen. Das Resultat des natürlichen Stils der Gärtnerei äußert sich mehr als Abwesenheit aller Fehler und Störungen und in der Herrschaft einer gesunden Harmonie und Ordnung als in der Schöpfung irgendwelchen besonderen Wunder und Mirakel. Der künstliche Stil hat so viel Variationen, wie es Geschmacksarten zu befriedigen gibt. Er hat eine gewisse allgemeine Beziehung zu den verschiedenen Baustilen. Erinnern wir uns an die majestätischen Alleen und stillen Verstecke von Versailles; an die italienischen Terrassen; an den zusammengesetzten alten englischen Stil, der mit der häuslichen Gotik oder dem alten elisabethanischen Stil Ähnlichkeit hat. Was man auch immer gegen den Missbrauch der künstlichen Landschaftsgärtnerei sagen mag, die Einführung reiner Kunst in einen Landschaftsgarten teilt ihm eine neue, große Schönheit mit. Diese ist zum Teil eine moralische, zum Teil eine äußere, die dem Auge durch ihren Ausdruck von Ordnung und Absicht gefällt. Eine Terrasse mit einer alten, moosbewachsenen Balustrade ruft uns sofort die schönen Geschöpfe ins Gedächtnis zurück, die in früheren Zeiten auf ihr geweilt haben. Das geringste Zeichen von Kunst spricht uns von Sorgfalt und menschlichem Interesse.’

    Aus dem eben Gesagten, sprach Ellison weiter, "werden Sie schon entnommen haben, dass ich die Idee, die ursprüngliche Schönheit der Landschaft wiederherstellen zu wollen, zurückweise. Diese Schönheit ist niemals so groß wie jene, die man neu hinzufügen könnte. Natürlich hängt alles von der Wahl eines geeigneten Ortes ab. Was von dem ‘Entdecken oder Unterstreichen jener schönen Beziehungen von Größen, Verhältnissen und Farben’ gesagt war, ist von einer Unbestimmtheit, die nur die unzureichenden Gedanken verschleiern sollte. Der fragliche Satz bedeutet vielleicht etwas, vielleicht auch nichts und kann uns zu nichts nützen. Und dass ‘das Resultat des natürlichen Stils der Gärtnerei sich mehr in der Abwesenheit aller Fehler und Störungen und der Herrschaft einer gesunden Harmonie und Ordnung als in der Schöpfung irgendwelcher besonderen Wunder und Mirakel äußert’, ist eine Behauptung, die mit Rücksicht auf den schleichenden Verstand der Masse, nicht für den genialen Menschen gemacht wurde. Das eben erwähnte negative Verdienst konnte nur von jener hinkenden Kritik gefällt werden, die auf dem Gebiete der Literatur einen Addison in den Himmel heben wollte. In der Tat, eine Tugend, die darin besteht, das Laster zu meiden, appelliert unmittelbar an den Verstand und kann folglich auch in eine Regel beschränkt, eine erhabenere Tugend jedoch, die im Schaffen glüht, kann nur in ihren Resultaten verstanden werden. Eine Regel ist nur auf negative Verdienste anwendbar, über diese hinaus kann die Kunst der Kritik nichts weiter als suggerieren. Man kann uns lehren, einen ‘Cato’ zu konstruieren, kann uns jedoch nicht sagen, wie man ein ‘Parthenon’, ein ‘Inferno’ schafft. Ist das Werk jedoch geschaffen, das Wunder vollbracht, so wird die Fähigkeit, es zu verstehen, allgemein. Die Sophisten der negativen Schule, die aus Unfähigkeit, zu schaffen, das Schaffen beschimpften, rufen jetzt am lautesten Beifall. Was in dem embryonalen Zustande des Prinzips ihren Pedantenverstand beleidigte, zwingt ihrem Instinkt für Schönheit im Zustande der Vollendung stets Bewunderung ab.

    Die Ansichten des Autors über den künstlichen Stil sind weniger verwerflich. ‘Die Einführung reiner Kunst in einen Landschaftsgarten teilt ihm eine neue, große Schönheit mit.’ Dies ist richtig. Und auch die auf das Gefühl von menschlichem Interesse bezügliche Bemerkung. Sein Prinzip ist, so wie er es ausdrückt, unbestreitbar. Doch vielleicht reicht es nicht aus, ist über dasselbe hinaus noch etwas zu finden, eine Wirkung, die den Bereich der Mittel, über die die Menschen gewöhnlich verfügen, überschreitet und die, wenn sie erreicht wird, in die Landschaftsgärtnerei einen Reiz einfuhren würde, der denjenigen, der ihr ‘das Gefühl’ bloß ‘menschlichen Interesses’ geben kann, weit überträfe. Ein Dichter, der über ungewöhnlich große pekuniäre Hilfsquellen verfügte, könnte, während er die notwendige Idee von Kunst oder Kultur, oder, wie unser Autor sich ausdrückt, von ‘Interesse’ beibehält, seine Entwürfe so mit neuer Schönheit, mit Unendlichkeit in der Schönheit durchtränken, dass sie in dem Betrachter das Gefühl von dem Wirken geistiger Kräfte lösten. Und man wird begreifen, dass, wenn er ein solches Resultat erzielt, sein Werk all die Vorteile jenes ‘menschlichen Interesses’ behält und noch dazu von der Sprödigkeit und der sichtbaren Technik der bloß weltlichen ‘Kunst’ befreit ist.

    In der rauesten Wildnis, in der abschreckendsten Landschaft äußert sich die Kunst eines Schöpfers, doch ist diese Kunst nur durch Nachdenken zu erkennen. Sie hat niemals die unwiderstehliche Kraft eines Gefühles. Stellen wir uns also vor, dass dieser Ausdruck der Absicht Gottes einen Grad weniger stark hervortrete, mit dem Gefühl für menschliche Kunst harmoniere, demselben so angepasst ist, dass er ein Mittelding zwischen beiden bilde: stellen wir uns zum Beispiel eine Landschaft vor, deren Großartigkeit und geschickte Abgrenzung, deren Schönheit, Pracht und Seltsamkeit in uns die Vorstellungen von Sorgfalt, Pflege und Überwachung seitens höherer, jedoch der Menschheit verwandter Wesen auslösen, so wäre das Gefühl des Interesses gewahrt und die neue Kunst, von der das Werk durchdrungen wäre, würde ihm den Hauch einer vermittelnden oder sekundären Natur geben, einer Natur, die nicht Gott noch eine Emanation Gottes, sondern die Natur ist, wie sie sein würde, wenn sie aus den Händen jener Engel hervorginge, die zwischen Gott und dem Menschen schweben."

    In dem Opfer seines ungeheuren Vermögens für die Verkörperung eines solchen Planes, in der persönlichen Überwachung der Ausführung seines Werkes, die ihn zu Übungen im Freien nötigte, in dem Gegenstand all seiner Pläne, in der hohen Geistigkeit dieses Gegenstandes, in der Verachtung jeglichen Ehrgeizes nach außen hin, in den unversiegbaren Quellen, die sein Ziel seinem Durst nach Schönheit öffnete, dieser herrschenden Leidenschaft seiner Seele, die dennoch nie ganz gesättigt werden konnte, und vor allem in der Liebe seiner Frau, deren Schönheit und Güte sein Dasein wie die Purpurlüfte eines Paradieses umschmeichelten, suchte und fand Ellison Befreiung von den der Menschheit angeborenen Sorgen und ein größeres, positiveres Glück, als es Madame de Stael je in ihren hingerissenen Träumereien blühen sah.

    Ich fürchte, es wird mir unmöglich sein, dem Leser eine deutliche Vorstellung von den Wundern zu geben, die mein Freund ausführte. Ich möchte sie gerne beschreiben und schrecke doch vor der Schwierigkeit zurück und zögere zwischen der Beschreibung von Einzelheiten und dem Gesamtbilde. Vielleicht ist es das Beste, die beiden in ihren Extremen zu vereinigen.

    Herr Ellison richtete seine Aufmerksamkeit natürlich zuerst auf die Wahl eines geeigneten Ortes. Anfangs dachte er an die üppige Natur der Inseln im Stillen Ozean. Schon hatte er sich zu einer Reise in die Südsee entschlossen, als eine mit Nachdenken zugebrachte Nacht genügte, um diesen Plan wieder fallen zu lassen.

    Wenn ich ein Misanthrop wäre, sagte er, so würde ich einen solchen Ort wählen. Die gänzliche Einsamkeit, die vollkommene Abgeschlossenheit, die Schwierigkeit, dort hin- und wieder zurückzugelangen, wäre in diesem Falle der größte Reiz. Doch bin ich kein Timon. Ich wünsche Ruhe, doch nicht den Druck der Einsamkeit. Ich muss es stets in meiner Gewalt haben, die Dauer meiner Zurückgezogenheit bestimmen zu können. Es werden sehr oft Stunden kommen, in denen ich der Sympathie poetischer Geister für mein vollendetes Werk bedarf. Ich muss einen Ort finden, der nicht allzu weit entfernt von einer großen Stadt liegt, deren Nähe mir im Übrigen auch die Ausführung meines Werkes wesentlich erleichtern wird.

    Auf der Suche nach einem solchen Orte reiste Ellison mehrere Jahre umher und ich hatte den Vorzug, ihn begleiten zu dürfen. Unzählige Orte, die mich mit Entzücken erfüllten, schienen ihm aus Gründen, die mich nach einigem Nachdenken stets überzeugten, ungeeignet. Endlich gelangten wir an ein hoch gelegenes Tafelland von wunderbarer Fruchtbarkeit und Schönheit, das einen Rundblick gewährte, der an Weite dem, welchen man vom Gipfel des Ätna hat, nicht viel nachstand und sowohl meiner als Ellisons Meinung nach die weitgerühmte Aussicht von jenem Berge in allen Dingen des wahrhaft Malerischen übertraf.

    Ich weiß sehr wohl sagte er einmal mit einem Seufzer des Entzückens, nachdem er das Bild wohl eine Stunde lang wie gebannt betrachtet hatte, ich weiß sehr wohl, dass in meiner Lage neun Zehntel aller Menschen hier zufrieden bleiben würden. Dies Panorama ist wirklich wundervoll und ich würde mich in Frieden an ihm erfreuen, wenn es nicht eben so übermäßig herrlich wäre. Alle Architekten, die ich kenne, hatten die Neigung, um der ‘Aussicht’ willen ihre Gebäude auf der Spitze eines Hügels oder Berges zu errichten. Es liegt auf der Hand, dass dies eine schlechte Spekulation ist. Größe jeder Art, doch besonders die des Raumes, macht unruhig, regt auf, ermüdet auf die Dauer und drückt nieder. Es kann nichts Besseres geben für eine gelegentlich gesehene Landschaft, für eine, die man immer vor Augen haben muss, gibt es nichts Schlimmeres. Die für den beständigen Anblick unangenehmste Größe ist die der Ausdehnung und die schlimmste Ausdehnung der Raum. Sie steht in Widerspruch mit dem Gefühl und dem Bedürfnis nach Abgeschlossenheit, das wir zu befriedigen wünschen, wenn wir uns ‘aufs Land zurückziehen’. Wenn wir von dem Gipfel eines Berges ausschauen, können wir der Empfindung nicht wehren, ‘draußen’ in der Welt zu sein. Der Seelenkranke meidet weite Aussichten wie die Pest.

    Erst gegen Ende des vierten Jahres unserer Nachforschungen fanden wir eine Gegend, die Ellison zu befriedigen schien. Es ist ohne Zweifel überflüssig, zu sagen, wo sich diese Gegend befand. Der kürzlich erfolgte Tod meines Freundes öffnete sein Besitztum einer gewissen Klasse von Besuchern und gab dem Gute von Arnheim eine Art geheimer, fast feierlicher Berühmtheit, die, obwohl sie bedeutend größer war, derjenigen glich, die Fonthill so lange Zeit hindurch auszeichnete.

    Gewöhnlich begab man sich auf dem Flusse nach Arnheim. Man verließ die Stadt am frühen Morgen. Während des Vormittags glitt man an Ufern von ruhiger und traulicher Schönheit vorüber, wo auf den glänzend grünen Wiesen Scharen weißwolliger Schafe weideten. Nach und nach schwand der Eindruck von Kultur zu dem eines bloß pastoralen Lebens hin. Dieser änderte sich allmählich in einen Eindruck von Abgeschlossenheit, der sich bald zu einem vollkommenen Bewusstsein von Einsamkeit steigerte. Als sich der Abend nahte, wurde der Fluss enger, die mit reicherem, üppigerem, dunklerem Laubwerk bewachsenen Ufer langsam steiler und das Wasser durchsichtiger. Der Fluss machte tausend Biegungen, sodass man seine Oberfläche niemals weiter als bis vielleicht auf eine achtel Meile überschauen konnte. Jeden Augenblick schien das Fahrzeug in einen Zauberkreis gekommen zu sein, den undurchdringliche Laubwände ringsum abschlossen, ein Dach aus ultramarinblauer Seide überspannte und der ohne Boden war, denn der Kiel des Schiffes tanzte mit wundervoller Geschicklichkeit auf dem eines phantomhaften Fahrzeuges, das irgendein Zufall umgestürzt und das nun das wirkliche Schiff beständig zu stützen und zu begleiten schien. Die Wasserstraße wurde nun eine Schlucht, ich bediene mich dieses Wortes, obwohl es hier eigentlich nicht anwendbar ist, weil die Sprache kein anderes hat, das den auffallendsten und unterscheidendsten Zug der Landschaft besser wiedergibt. Der Eindruck der Schlucht wurde nur durch die hohen, parallel laufenden Ufer hervorgerufen, sonst war nichts in der Landschaft dazu angetan, ihn zu erregen. Die Wände dieses Hohlweges, zwischen denen das Wasser klar und friedlich dahinströmte, erhoben sich bis zu einer Höhe von hundert, ja, wohl hundertfünfzig Fuß und waren so gegeneinander geneigt, dass sie beinahe kein Tageslicht hindurchließen, während das lange, federartige Moos, das dicht von dem überragenden Gesträuch herabhing, dem Abhang eine seltsame, feierliche Düsterkeit verlieh. Die Windungen des Flusses wurden immer häufiger und geschwungener und schienen im Kreislauf wieder auf sich zurückzukommen, sodass der Reisende längst jede Vorstellung von der Richtung, die er verfolgte, verloren hatte. Überdies fühlte er sich immer tiefer in eine erlesene Empfindung von Seltsamkeit versinken. Noch hatte er das Gefühl, sich in der Natur zu befinden, doch schien ihr Wesen eine Veränderung erfahren zu haben. Aus diesem ihrem Werke sprach eine geheimnisvolle, feierliche Symmetrie, eine ergreifende Übereinstimmung, eine zauberhafte Eigentümlichkeit. Kein abgestorbener Zweig, kein welkes Blatt, kein verlorener Kieselstein, kein Klümpchen brauner Erde war irgendwo zu sehen. Das kristallhelle Wasser schwoll an dem glatten Granit und dem fleckenlosen Moos in so scharfer Linie empor, dass es das Auge zugleich verwirrte und entzückte. Wenn man nun einige Stunden den engen Wasserkanal entlanggeglitten war und die Düsterkeit der Landschaft mit jedem Augenblick zunahm, brachte eine unerwartete Biegung das Schiff plötzlich in ein kreisrundes, im Vergleich zu der Breite des Schlundes sehr großes Becken. Es hatte ungefähr zweihundert Ellen Durchmesser und war rings, ausgenommen an der Stelle, die dem Einfahrtspunkte gerade gegenüberlag, von Hügeln umgeben, die genau so hoch wie die Mauern, die sich am Fluss entlang erhoben, doch von ganz anderem Charakter waren. Vom Rande des Wassers an erhoben sie sich in einem Winkel von einigen vierzig Grad und waren ohne die geringste Unterbrechung von oben bis unten in das Gewand prächtigster Blüten gehüllt. Kaum ein grünes Blatt war in dieser Flut duftender, wallender Farben zu entdecken. Das Becken war sehr tief, das Wasser jedoch so durchsichtig, dass der Boden, der mit kleinen, runden, alabasterweißen Kieselsteinen über und über bedeckt lag, deutlich zu sehen war, das heißt, wenn man es übers Herz bringen konnte, einen Blick von dem Abbild der blühenden Hügel im Wasser zu verwenden. Auf ihnen wuchsen weder Bäume noch Gesträuch irgendwelcher Art. Dieser Anblick löste in dem Beschauer ein Gefühl von Reichtum, Wärme, Farbe, Ruhe, Einheitlichkeit, Güte, Zartheit, Anmut, Lust und einer zauberhaften Überkultur aus, die ihm Träume von einem unbekannten Stamme von Feen erregten, die fleißig, mit vollkommenstem Geschmack begabt, mächtig und prachtliebend sein mussten; doch wenn das Auge von der feinen Abschlusslinie am Wasser unten an dem tausendfarbigen Abhang entlang hinauf bis zu den Falten der überhängenden Wolken nach oben glitt, drängte sich einem unwillkürlich die Vorstellung eines weiten Kataraktes von Rubinen, Saphiren, Opalen und goldenen Onyxen auf, der sich schweigend in unaussprechlicher Pracht vom Himmel stürzte.

    Der Besucher, der plötzlich aus der Finsternis der Schlucht in diese Bucht gelangt, sieht mit Entzücken und Erstaunen die volle Sonnenscheibe, die er längst hinter dem Horizont verschwunden glaubte, als einzige Grenze einer unermesslichen Fernsicht durch eine andere wundersame Spalte in der Hügelkette. Hier verlässt der Reisende das Schiff, das ihn bisher getragen und besteigt ein leichtes, elfenbeinernes Boot, das außen und innen mit Arabesken in lebhaftem Scharlach geziert ist. Der Schnabel und der Schwanz des Schiffes erheben sich hoch über dem Wasser und endigen in einer scharfen Spitze, sodass das Ganze die Form einer unregelmäßigen Sichel hat und mit der stolzen Anmut eines Schwanes auf dem hellen Spiegel ruht. Auf dem mit Hermelin bedeckten Boden liegt ein Ruder aus Atlasholz, aber kein Diener, kein Ruderer ist zu sehen. Der Gast braucht jedoch nicht den Mut zu verlieren: die guten Geister nehmen sich seiner an. Das größere Schiff verschwindet und er bleibt allein in dem Boot zurück, das regungslos in der Mitte des Sees liegt. Doch während er darüber nachdenkt, welche Richtung einzuschlagen sei, empfindet er eine sanfte Bewegung der zauberhaften Barke. Sie kreist langsam um sich selbst, bis ihr Schnabel gegen die Sonne gerichtet ist. Mit sanfter, doch stetig zunehmender Geschwindigkeit gleitet sie vorwärts, während das leichte Gekräusel, das sie hervorruft, sich als himmlische Melodie an den Elfenbeinwänden zu brechen scheint, und so die einzig mögliche Erklärung für die süße, melancholische Musik abgibt, nach deren geheimnisvollem Ursprung sich der staunende Reisende vergeblich umsieht.

    Das Boot gleitet unterdessen immer weiter und nähert sich dem Felsentore, das die Durchsicht begrenzt. Zur Rechten erhebt sich eine Kette hoher, üppig bewachsener Hügel. Doch bemerkt man noch immer, dass die charakteristische Eigenschaft, größte Sauberkeit, selbst an der Stelle vorherrscht, wo die Ufer langsam ins Wasser sinken. Nicht das geringste Anzeichen von Uferschlamm oder von sonstigen Unreinlichkeiten ist zu entdecken. Die Ansicht zur Linken ist sanfter und trägt mehr den Anschein der Künstlichkeit. Hier steigt das Ufer sehr weich auf und bildet einen breiten Rasenteppich, der sammetglatt und so strahlend grün ist, dass er den Vergleich mit dem reinsten Smaragd aushalten kann. Die Breite dieses Plateaus schwankt zwischen zehn und dreihundert Ellen und reicht vom Flussufer bis zu einer Mauer, die sich, fünfzig Fuß hoch, in zahllosen Windungen, die jedoch im Allgemeinen dem Flusse parallel laufen, dahinzieht, bis sie sich in der Ferne nach Westen hin verliert. Sie besteht aus einem einzigen fortlaufenden Felsen und ist dadurch entstanden, dass man den ursprünglich zerklüfteten Abhang am südlichen Flussufer in einiger Entfernung senkrecht abschnitt; doch nicht das geringste Zeichen dieser Arbeit ist zurückgeblieben. Die Schnittfläche des Steines hat die Farbe von Jahrhunderten und ist mit Efeu, Geißblatt, Heckenrosen und Clematis üppig bewachsen. Die Einförmigkeit der Boden- und Gipfellinie der Mauer wird durch hohe, prächtige Bäume angenehm unterbrochen, die einzeln oder in kleinen Gruppen auf dem Plateau der Mauer entlang und auf der Domäne hinter der Mauer, doch in ihrer nächsten Nähe, wachsen, sodass sie ihre langen Äste über dieselbe hinwegstrecken und bis in das Wasser tauchen. Eine undurchdringliche grüne Laubwand lässt dem Auge daher keinen Blick über die Mauer hin frei.

    Dies alles beobachtet man, während das Boot der Stelle zugleitet, die ich das Felsentor, das die Durchsicht begrenzt, genannt habe. Je mehr man sich ihm nähert, desto mehr verliert man den Eindruck eines Abgrundes; man erblickt zur Linken einen neuen Ausweg aus der Bucht und auch die Mauer läuft in dieser Richtung, immer den Fluss entlang, weiter. Das Auge kann jedoch nicht weit in diese neue Richtung hineindringen, denn Wasser und Mauer biegen sich immer mehr nach links und bald ist die eine, bald das andere im Laubwerk verschwunden.

    Der Kahn jedoch gleitet wie durch Zauber die Windungen hinab und das der Mauer gegenüberliegende Ufer bietet hier denselben Anblick wie vor dem so genannten Tore. Hohe Hügel, die sich zuweilen zu Bergen erheben und eine wilde, üppige Vegetation tragen, schließen noch immer jede Fernsicht seitlich aus.

    Mit sanfter, doch stetig zunehmender Geschwindigkeit gleitet der Reisende vorwärts, bis er nach vielen kurzen Windungen seinen Weg plötzlich durch ein riesiges Tor aus gebräuntem Gold aufgehalten sieht, das, mit seltsam prächtigen Gravierungen und Ziselierungen geschmückt, die Strahlen der sinkenden Sonne zurückwirft, die mit ihren letzten Flammen den ganzen Wald ringsumher zu durchlohen scheint. Das Tor ist in die Mauer eingelassen, die hier den Fluss im rechten Winkel zu durchschneiden scheint. Ein paar Augenblicke später jedoch sieht man, dass der Hauptteil des Wassers in sanfter, weit geschweifter Biegung zur Linken, wie früher, die Mauer entlang weiter fließt, während sich ein immerhin wasserreicher Arm vom Hauptstrom abzweigt und mit leichtem Schäumen unter dem Tore verschwindet. Der Kahn gerät in diesen kleineren Strom und nähert sich dem Tore, dessen schwere Flügel sich langsam und majestätisch öffnen. Das Boot gleitet durch sie hindurch und eilt schnell in ein weites Amphitheater hinunter, das vollkommen von purpurnen Bergen eingeschlossen ist, deren Fuß ringsumher ein glänzender Fluss bespült. Und nun eröffnet sich unseren Blicken das ganze Paradies von Arnheim. Eine hinreißende Melodie klingt in unser Ohr; ein seltsam schwerer, süßer Duft umflutet uns und wir sehen einen traumhaften Reichtum von hohen, schlanken morgenländischen Bäumen, üppige Büsche, Scharen goldener, strahlend gefiederter Vögel, lilienumrahmte Seen, Wiesen, die mit Veilchen, Tulpen, Mohn, Hyazinthen und Tuberosen übersät sind, weich gewundene Bänder silberner Flüsschen und, wie in seliger Verwirrung hier und da aufspringend, Bauwerke halb gotischen, halb maurischen Stils, die wie durch einen Zauber in der Luft zu schweben scheinen, mit Hunderten von Erkern, Minaretten, Zinnen und Bogenfenstern in der roten Sonne schimmern und das phantastische Werk aller Sylphen, Feen, Genien und mächtigen Zwerge der Welt zu sein scheinen.

    Mellonta Tauta

    An Bord der Himmelslerche

    1. April 2848

    Nun, mein Heber Freund, kommt die Strafe deiner Sünden: ein langer Plauderbrief. Ich verkünde dir feierlich: für all deine üblen Angewohnheiten will ich dich strafen. Für deine Langweiligkeit, für deine Unbeständigkeit, dein Faseln und ödes Schwatzen. Außerdem bin ich hier mit ein- oder zweihundert Subjekten in ein schmutziges Luftschiff gesperrt, die alle Vorhaben, eine Vergnügungstour zu machen. (Was für einen merkwürdigen Begriff doch gewisse Leute von Vergnügen haben!) Einen Monat wird es wohl mindestens währen, ehe ich den Fuß wieder auf festes Land setzen darf. Kein vernünftiges Wesen, mit dem man sich unterhalten kann! Keine Möglichkeit, etwas zu tun! Nun und wenn der Mensch keine Arbeit hat, dann ist es an der Zeit, mit den Freunden zu korrespondieren. Merkst du jetzt, warum ich diesen Brief schreibe? Meiner Langweile und deiner Sünden wegen!

    Setze also deine Brille auf und mache dich gefasst, angeödet zu werden. Ich habe vor, dir jeden Tag zu schreiben, so lange diese abscheuliche Reise dauert. Heiho! Wann wird der Menschenschädel endlich einer vernünftigen Erfindung zugänglich sein? Werden wir in alle Ewigkeit zu den tausend Unannehmlichkeiten einer Ballonfahrt verdammt bleiben? Wird nie jemand eine flottere Art der Beförderung ausfindig machen? Dieser Schlendrian ist meiner Meinung nach beinahe eine Tortur. Auf Ehre, seit unserem Aufstieg haben wir nicht viel mehr als hundert Meilen in der Stunde zurückgelegt. Sogar von den Vögeln werden wir überholt, wenigstens von manchen. Ich versichere dir, ich übertreibe durchaus nicht. Freilich erscheint unsere Vorwärtsbewegung langsamer, als sie tatsächlich ist; wohl weil wir keine Gegenstände neben uns haben, die uns zur Schätzung unserer Schnelligkeit dienen könnten und weil wir mit dem Winde fliegen. Nur wenn wir einem Ballon begegnen, ist eine Möglichkeit vorhanden, unsere Fluggeschwindigkeit zu bemessen und dann sieht, wie ich zugebe, die Sache besser aus. Übrigens: trotz meiner Gewöhnung an diese Art des Reisens kann ich mich eines Schwindels nicht erwehren, sobald ein anderer Ballon, vor starkem Winde treibend, dicht über uns dahinfliegt. Das erscheint mir immer, als ob ein ungeheurer Raubvogel auf uns herunterstoßen und uns in seinen Fängen forttragen wolle. Einer flog heute früh bei Sonnenaufgang so dicht über uns weg, dass sein Schlepptau das Netzwerk berührte, an dem unsere Gondel aufgehängt ist. Da weiß man, was Besorgnis heißt. Unser Kapitän behauptete, wenn der Stoff unserer Ballonhülle dieselbe Schundseide gewesen wäre, die vor fünfhundert bis tausend Jahren in Gebrauch war, so würden wir unrettbar Schiffbruch gelitten haben. Wie der Mann mir erklärte, war diese Seide aus den Eingeweiden einer Art von Würmern gefertigt. Der Wurm wurde sorgfältig mit Maulbeeren (einer der Wassermelone ähnlichen Frucht) gefüttert und, wenn genügend gemästet, in einer Mühle zerquetscht. Die so entstehende Paste wurde in ihrem Urzustand Papyrus genannt und hatte eine Reihe von Behandlungen durchzumachen, bis sie schließlich zur Seide wurde. Unglaublicherweise wurde dieses Gewebe für Frauenkleider außerordentlich bevorzugt! Doch wurde es ziemlich allgemein auch zur Herstellung von Ballons gebraucht. Später wurde, wie es scheint, ein besseres Material entdeckt, nämlich eine Art von Flaumwolle, welche die Samenkapsel einer Pflanze umgab, die vulgär Euphorbium hieß und botanisch Wolfsmilch genannt war. Diese Art Seide nannte man wegen ihrer großen Dauerhaftigkeit Buckinghamseide, sie wurde in der Regel vor dem Gebrauch mit einer Lösung von Kautschukgummi überzogen. Dies ist eine Substanz, die in mancher Beziehung dem heute allgemein verwendeten Guttapercha ähnlich gewesen sein muss. Dieser Kautschuk hieß India Rubber oder Rubber of Twist und war zweifellos einer der häufigen Schwämme. Lass mich nicht wieder hören, dass ich nicht im tiefsten Herzen ein Altertumsforscher bin.

    Da ich eben von Schlepptau spreche, unser eigenes hat, wie es scheint, soeben von einem der kleinen magnetischen Dampfer, die im Ozean unter uns massenhaft herumschwärmen, einen Mann über Bord geschleudert. Diese Dampfer sind Schiffe von etwa sechstausend Tonnen und immer außerordentlich überfüllt. Es sollte verboten werden, dass sie mehr als eine bestimmte Anzahl von Passagieren aufnehmen dürfen. Natürlich wartete man nicht, bis der Mann wieder an Bord steigen konnte und bald war er mitsamt seinem Rettungsgürtel außer Sicht. Ich freue mich, mein lieber Freund, in einem so aufgeklärten Zeitalter zu leben, wo man sich um ein einzelnes Individuum nicht mehr kümmert. Wahre Humanität rechnet eben nur mehr mit Massen.

    Übrigens, da ich gerade von Humanität spreche, weißt du, dass unser unsterblicher Wiggins in seinen Ansichten über soziale Zustände durchaus nicht so originell ist, wie seine Zeitgenossen glauben? Pundit versichert mir, dass dieselben Gedanken fast in derselben Form vor etwa tausend Jahren von einem irischen Philosophen namens Furrier ausgesprochen und in die Wirklichkeit umgesetzt wurden, indem er einen Kleinhandel mit Katzenfellen und Pelzen betrieb. Pundit weiß Bescheid, du weißt’s; also muss es wohl stimmen. Wie wunderbar sehen wir täglich die tiefsinnige Bemerkung des Hindu Aries Trotteies bestätigt, der nach Pundit sagte: Wir müssen also behaupten, dass dieselben Ansichten nicht nur einmal, zweimal oder wenige Male, sondern in immer währender Wiederkehr den Kreislauf wiederholen.

    2. April. Wir sprachen heute mit dem magnetischen Kutter, der die eine Abteilung der schwebenden Telegraphendrähte zu beaufsichtigen hat. Ich erfuhr, dass es damals, als diese Art von Telegraphie zuerst durch Horse eingeführt wurde, für absolut unmöglich galt, die Drähte über die See zu spannen. Jetzt ist es allerdings unverständlich, wo die Schwierigkeit gelegen hat! So ändert sich die Welt. TEMPORA MUTANTUR, entschuldige, dass ich Etruskisch zitiere. Was würden wir heute ohne den atlantischen Telegraphen anfangen? (Pundit sagt, atlantisch sei ein altes Adjektiv.) Wir drehten ein paar Minuten lang bei, um dem Kutter ein paar Fragen zu stellen und hörten unter anderen wichtigen Neuigkeiten, dass in Afrika Bürgerkrieg wüte und in Europa und Asien die Pest ihr nützliches Werk in prachtvoller Weise vollbringe. Ist es nicht wirklich merkwürdig, dass die Menschheit, bevor die Humanität ihr blendendes Licht auf die Philosophie warf, Krieg und Seuche als schwere Plagen ansah? Weißt du, dass tatsächlich in den früheren Tempeln Andachten abgehalten wurden, um diese Plagen (!) von der Menschheit abzuwenden? Ist es nicht wirklich schwer zu verstehen, aus welchen Beweggründen unsere Vorväter so handelten? Waren sie so blind, nicht zu erkennen, dass die Vernichtung einer Myriade von Individuen der größte Vorteil für die Masse sei?

    3. April. Es ist wirklich ein großartiges Vergnügen, die Strickleiter hinaufzuklettern, die auf die Plattform der Ballonhülle führt und von dort die Umgebung zu betrachten. Von der Gondel unten, weißt du, ist die Aussicht nicht so umfassend; du kannst in vertikaler Richtung wenig sehen. Wenn man jedoch hier auf der elegant gepolsterten offenen Plattform sitzt, wo ich dir eben dies schreibe, kann man nach jeder Richtung hin alles sehen, was vorfällt. Gerade jetzt ist ein ganzer Schwarm von Ballons in Sicht. Sie bieten einen sehr munteren Anblick und der Luftraum hallt wider von dem Durcheinander so vieler Millionen menschlicher Stimmen. Ich habe gehört, dass die Zeitgenossen dem Cello (Pundit behauptet, er habe Viola geheißen), der für den ersten Luftschiffer gilt, kaum zuhörten, als er die Möglichkeit feststellte, die Luft nach allen Richtungen zu durchkreuzen, indem man einfach auf- oder absteige, bis man einen günstigen Luftstrom erreicht hätte. Sie hielten ihn für einen genialen Narren, weil die Philosophen (?) jener Zeit die Sache für unmöglich erklärten. Uns erscheint es jetzt umgekehrt unglaublich, wie etwas so selbstverständlich Ausführbares dem Verständnis der früheren Gelehrten entgehen konnte. Doch sind ja zu allen Zeiten dem Fortschritt der Künste und Wissenschaften die größten Schwierigkeiten gerade von den so genannten Wissenschaftlern bereitet worden. Allerdings sind unsere heutigen Wissenschaftler nicht ganz so verblendet wie die früheren. Übrigens habe ich dir zu diesem Punkt noch etwas Sonderbares zu erzählen. Weißt du, dass noch nicht tausend Jahre vergangen sind, seit die Metaphysiker sich dazu verstanden haben, die Menschen von der merkwürdigen Einbildung zu befreien, dass nur zwei Wege zur Erkenntnis der Wahrheit führten? Glaube es, wenn du kannst! Vor langer, langer Zeit, scheint es, lebte im Dunkel der Vergangenheit ein türkischer oder Hindu-Philosoph, der schon erwähnte Aries Trotteies, der für jene Art der Forschung eintrat, die man damals als die deduktive oder aprioristische bezeichnete. Er ging von dem, was er Grundsätze oder selbstverständliche Wahrheiten nannte, aus und schritt dann logisch zu Schlussfolgerungen fort. Seine berühmtesten Schüler waren ein gewisser Neuklid und ein gewisser Cant. Aries Trotteies fand größten Anklang, bis ein gewisser Hog mit dem Beinamen Ettrick Shepherd auftauchte, der ein ganz anderes System verkündete, welches er das a posteriori oder induktive nannte. Sein System geht hauptsächlich auf die Empfindung zurück; er ging durch Beobachtung, Analysierung und Klassifizierung der Tatsachen, instantiae naturae, wie sie in gekünstelter Weise damals genannt wurden, vor und brachte sie in allgemeine Gesetze. Mit einem Wort: Aries Trotteles’ Methode war auf Noumena, Hogs’ Methode auf Phaenomena gegründet. So groß war damals die Bewunderung, die diese letztere Methode erregte, dass bei ihrem ersten Bekanntwerden Aries Trotteies in Verruf geriet. Schließlich gewann er aber wieder Boden und konnte so das Reich der Wahrheit mit seinem moderneren Rivalen teilen. Jetzt behaupteten die Gelehrten, dass die Wege nach Aristoteles und Bacon die beiden einzigen zur Erkenntnis seien. Bacon aber, musst du wissen, bedeutet Hog, nur klingt es besser und etwas gewählter. Nun kann ich dir, mein lieber Freund, aufs bestimmteste versichern, dass ich diese Frage in billiger Weise und mit wirklicher Autorität behandle. Du kannst dir wohl denken, wie eine so sichtlich absurde Vorstellung den Fortschritt alles wahren Wissens hemmen musste, das doch fast ausnahmslos in intuitiven Sprüngen vorwärts geht. Das alte Prinzip beschränkte die Forschung auf Kriechen und Schleichen. Besonders für Hog war man hundert Jahre lang so sehr eingenommen, dass allem Denken, soweit es diesen Namen mit Recht verdient, definitiv ein Ende gemacht wurde. Niemand wagte eine Wahrheit auszusprechen, die er nur in seiner eignen Seele empfunden hatte. Es kam durchaus nicht darauf an, ob die Wahrheit auch als solche nachweisbar war. Denn die gelehrten Dickschädel jener Zeit sahen nur auf den Weg, der zur ihr geführt hatte. Das Ende wollten sie sich nicht einmal betrachten. Die Mittel wollen wir sehen, riefen sie, die Mittel! Wenn es sich nach Betrachtung der Mittel herausstellte, dass diese weder unter die Kategorie Aries oder Ram noch unter die Kategorie Hog einzureihen waren, dann gingen die Gelehrten nicht weiter, sondern erklärten den Theoretiker für einen Narren und wollten weder mit ihm noch mit seiner Wahrheit irgendetwas zu tun haben. Nun kann man nicht behaupten, dass durch das Schleich- oder Kriechsystem auch im Laufe langer Zeiten die größte Summe von Wahrheiten eingeheimst werden könnte. Denn die Unterdrückung der Einbildungskraft war ein Übel, das auch nicht durch die überlegene Sicherheit der früheren Forschungsmethoden ausgeglichen werden konnte. Dieser Irrtum glich dem Irrtum jenes klugen, der sich einbildete, er könne einen Gegenstand umso besser sehen, je näher er ihn seinen Augen brächte. Diese Leute verwirrten sich selbst durch die Einzelheiten. Wenn sie nach Hog vorgingen, waren ihre Tatsachen keineswegs immer Tatsachen. Das wäre ja nicht so sehr von Übel gewesen, wenn sie nicht angenommen hätten, es seien Tatsachen und müssten Tatsachen sein, weil sie wie solche aussähen. Gingen sie aber ä la Ram vor, so war ihr Weg gewundener als ein Bockshorn. Denn sie fanden niemals ein Axiom, das überhaupt ein Axiom gewesen wäre. Sie müssen selbst für die damalige Zeit recht verblendet gewesen sein, dass sie dies nicht bemerkten; denn schon damals waren viele der vorher festgestellten Axiome nicht mehr gültig. Z.B. ex nihilo nihil fit, ein Körper kann nicht wirken, wo er ist, Antipoden können nicht existieren, Dunkelheit kann nicht aus Licht entstehen, alle diese und etwa ein Dutzend ähnlicher Behauptungen, die man früher ohne Zögern als Axiome anerkannt hatte, wurden schon zu der Zeit, die hier in Betracht kommt, als unhaltbar verworfen. Wie absurd war es also von diesen Leuten, sich in ihrem Glauben an die Axiome als unveränderliche Grundlagen der Wahrheit zu versteifen! Selbst ihre vernünftigsten Denker noch machen es einem leicht, die Nichtigkeit und Unhaltbarkeit ihrer Axiome nachzuweisen. Wer war der vernünftigste Logiker jener Zeit? Lass mich überlegen! Ich will schnell Pundit fragen und bin in einer Minute zurück ... Ah, ich hab’s! Es gibt ein Buch, das vor ungefähr tausend Jahren geschrieben und kürzlich aus dem Englischen, das, nebenbei gesagt, die Grundlage der amerikanischen Sprache gewesen zu sein scheint, übersetzt worden ist. Pundit sagt, es sei entschieden das Beste alte Werk über Logik. Der Autor, der zu seiner Zeit sehr geschätzt war, war ein gewisser Miller oder Mill und als wichtige Tatsache finden wir verzeichnet, dass er ein Mühlpferd namens Bentham besaß. Doch wollen wir uns nun zum Buche selbst wenden. Ah!, Die Fähigkeit oder Unfähigkeit, zu begreifen, sagt Herr Mill ganz richtig, ist in keinem Falle als Kriterium axiomatischer Wahrheit anzusehen. Welcher wirklich Moderne würde je daran denken, diese Wahrheit zu bestreiten? Das einzige, was uns verwundern kann, ist, dass Mill es für nötig achtete, überhaupt etwas so Selbstverständliches zu erwähnen. Soweit gut; nun zu einer anderen Behauptung. Was finden wir hier?, Sich widersprechende Behauptungen können nicht beide wahr sein, das heißt, sie können nicht in der Wirklichkeit koexistieren. Hier glaubt Mill z.B. dass ein Baum entweder ein Baum oder kein Baum sein könne. Sehr gut; aber ich frage ihn: warum? Seine Antwort ist diese und will einfach nur diese sein: weil es unmöglich ist, zu begreifen, dass von widersprechenden Behauptungen beide wahr sein können. Aber das ist nach seinen eigenen Ausführungen überhaupt keine Antwort; denn hat er nicht eben als Wahrheit aufgestellt, dass die Fähigkeit oder Unfähigkeit, zu begreifen, nicht als Kriterium axiomatischer Wahrheit betrachtet werden kann?

    Nun beklage ich mich über diese früheren Philosophen nicht so sehr deswegen, weil ihre Logik, ihren eigenen Äußerungen zufolge, äußerst wertlos, fantastisch und ohne Basis ist, sondern wegen ihrer imbezilen Anmaßung, dreist alle ändern Wege zur Wahrheit, alle ändern Mittel zu ihrer Erreichung zu verwerfen und die Seele, die nichts so sehr liebt, als sich aufzuschwingen, auf die beiden verkehrten Wege, den des Schleichens und den des Kriechens, zu zwingen. Nebenbei, mein lieber Freund, glaubst du nicht, dass es diese alten Dogmatiker in Verlegenheit gebracht haben wurde, wenn sie hätten entscheiden sollen, auf welchem ihrer beiden Wege wohl die wichtigste und erhabenste ihrer Wahrheiten tatsächlich erreicht worden ist? Ich meine das Gravitationsgesetz. Newton verdankte es Kepler. Kepler gab zu, dass seine drei Gesetze auf Mutmaßungen beruhten, diese drei Gesetze, die vor allen ändern den großen englischen Mathematiker zu seinem Prinzip führten, zu der Grundlage aller physikalischen Prinzipien, zu deren Verständnis wir das Reich der Metaphysik betreten müssen. Kepler mutmaßte, d.h. er erfand. Er war seinem Wesen nach ein Theoretiker, ein heutzutage hoch geachtetes, damals aber verächtliches Wort. Würden ferner diese alten Mondkälber nicht auch in Verlegenheit geraten sein, wenn sie hätten erklären müssen, auf welchen der zwei Wege ein Kryptograf zur Entschleierung eines ungewöhnlich schwierigen Kryptogramms gelangt oder welchen der beiden Wege Champollion benutzte, um die Menschheit zu jenen unvergänglichen und fast zahllosen Wahrheiten zu führen, die der Entzifferung der Hieroglyphen entsprangen?

    Noch ein Wort über diese Frage und ich höre auf, dich zu langweilen. Ist es nicht erstaunlich, dass diese verblendeten Leute mit all ihrem ewigen Geschwätz über die Wege zur Wahrheit gerade den verfehlten, den wir jetzt so klar als die gerade Straße erkennen, den Weg der Folgerichtigkeit? Erscheint es nicht merkwürdig, dass sie es versäumten, aus den Werken Gottes den hochwichtigen Schluss zu ziehen, dass eine vollkommene Folgerichtigkeit eine absolute Wahrheit sein müsse! Wie einfach ist unser Fortschritt seit dem späten Bekanntwerden dieses Lehrsatzes gewesen! Die Forschung ist diesen Mondkälbern aus der Hand genommen und den wahren, einzig wahren Denkern, den Männern von lebhafter Einbildungskraft, übertragen worden. Diese theoretisieren. Kannst du dir das verächtliche Geschrei vorstellen, das unsere Vorfahren bei diesen Worten ausstoßen würden, wäre es ihnen möglich, eben jetzt über meine Schulter zu sehen? Die heutigen Forscher theoretisieren, wie ich sagte; ihre Theorien werden einfach verbessert, reduziert, in Systeme gebracht, nach und nach von den Schlacken ihrer Inkonsequenz befreit, bis endlich eine vollkommene Folgerichtigkeit klar zutage tritt, die auch von den Albernsten als absolute und fraglose Wahrheit erkannt wird, eben weil sie eine Folgerichtigkeit ist.

    4. April. Das neue Gas tut im Verein mit der neuen Verbesserung des Guttaperchas Wunder. Wie sicher, bequem, leicht lenkbar und in jeder Beziehung zweckmäßig sind unsere modernen Ballons! Eben nähert sich uns ein riesenhafter im Tempo von mindestens hundertfünfzig Meilen in der Stunde. Er scheint mit Menschen überfüllt zu sein (er befördert wohl dreihundert bis vierhundert Insassen). Trotzdem erhebt er sich zu einer Höhe von beinahe einer Meile und blickt auf uns Arme mit souveräner Verachtung herab. Immerhin sind hundert, ja sogar zweihundert Meilen in der Stunde ein Bummeltempo. Erinnerst du dich an unsern Flug mit der Bahn durch den kanadischen Kontinent?, Völle dreihundert Meilen in der Stunde; das war Reisen. Nichts zu sehen, als einzige Beschäftigung Flirt, Feste, Tanz in den glänzenden Salons. Erinnerst du dich, welch seltsames Gefühl wir empfanden, wenn durch Zufall ein Blick auf die Außenwelt fiel, während der Zug sich in voller Fahrt befand? Alles wirkte als Einheit, als Masse. Was mich betrifft, so muss ich zugestehen, dass ich die Fahrt im Bummelzug, etwa hundert Meilen in der Stunde, vorzog. Da konnten wir Glasfenster haben, sie sogar offen lassen und es war möglich, einen einigermaßen deutlichen Ausblick auf die Gegend zu genießen ... Pundit sagt, dass der Weg der kanadischen Eisenbahn schon vor ungefähr neunhundert Jahren bis zu einem gewissen Grade bezeichnet gewesen sein muss! Er geht sogar so weit, zu behaupten, dass sichtbare Spuren des Schienenweges noch heute wahrnehmbar seien und dass diese Spuren auf eine so weit zurückliegende Periode zurückgeführt werden könnten. Anscheinend bestand damals nur ein Doppelgeleise; jetzt besitzen wir, wie du weißt, ein Zwölffaches, und drei bis vier neue sind in Vorbereitung. Die früheren Geleise sind sehr schwach fundiert und liegen so nahe nebeneinander, dass sie nach heutigen Begriffen leichtsinnig, wenn nicht sogar außerordentlich gefährlich genannt werden können. Hält man doch die jetzige Dammbreite von fünfzig Fuß kaum für sicher genug. Ich persönlich bezweifle durchaus nicht, dass irgendeine Art von Schienenweg in lang zurückliegenden Zeiten existiert haben muss, wie dies Pundit versichert; denn mir erscheint nichts so selbstverständlich, als dass zu irgendeiner Zeit, die mindestens siebenhundert Jahre zurückliegen mag, der nördliche kanadische Kontinent mit dem südlichen vereinigt war; die Kanadier waren demnach sicher durch die Notwendigkeit gezwungen, eine große Bahnverbindung durch den Kontinent zu führen.

    5. April. Die Langeweile verzehrt mich. Pundit ist der einzige Mensch an Bord, mit dem man sich unterhalten kann; aber ach, der arme Kerl! Er kann von nichts sprechen als von der Vorzeit. Er hat sich den ganzen Tag damit beschäftigt, mir die Überzeugung beizubringen, dass die alten Amerikaner sich selbst regiert hätten! Hat je irgendwer solchen Unsinn gehört? Dass sie in einer Art von Jeder-für-sich-Vereinigung lebten, nach der Art der Präriehunde, von denen wir im Märchen hören. Er sagt, dass sie von der denkbar tollsten Idee ausgingen, nämlich, dass alle Menschen frei und gleich geboren seien;, und dies den Gesetzen der Abstufung zum Trotz, die doch so sichtlich allen Dingen im moralischen und physischen Universum aufgeprägt sind. Jeder wählte, wie sie es nannten, d.h. er mischte sich in die öffentlichen Angelegenheiten, bis man schließlich zu der Einsicht kam, dass viele Köche den Brei verderben und dass die Republik (dies war der Ausdruck für das abgeschmackte Ding) eigentlich überhaupt nicht regiert wurde. Übrigens wird behauptet, dass der erste Umstand, der die Selbstherrlichkeit der Philosophen, die diese Republik aufgebaut hatten, ganz besonders störte, die überraschende Entdeckung war, dass das allgemeine Wahlrecht Gelegenheit zu sehr betrügerischen Intrigen gab, durch welche jede beliebige Anzahl von Stimmen von jeder beliebigen Partei, sie musste nur gemein genug sein, sich ihrer Betrügereien nicht zu schämen, zu jeder Zeit erhalten werden konnte, ohne dass Vorsichtsmaßregeln oder Aufdeckung des Unrechts möglich gewesen wäre. Nach dieser Entdeckung war nur mehr einige Überlegung nötig, um die Konsequenzen klar darzulegen; nämlich, dass das Lumpenpack zur Herrschaft kam, mit einem Wort, dass eine republikanische Regierung nie einen ändern Charakter als einen schuftigen haben könnte. Während nun die Philosophen im Begriff waren, sich über ihre eigene Torheit und den Mangel an Voraussicht diesen unvermeidlichen Übelständen gegenüber zu schämen und sich anstrengten, neue Theorien zu finden, wurde die Sache zu einem plötzlichen Abschluss gebracht durch einen Kerl namens Mob, der alles und jedes an sich riss und einen Despotismus heraufführte, gegen den die Herrschaft der berühmten Zeros und Hellofa- gabalusse erträglich und erfreulich war. Man sagt, dass dieser Mob (übrigens ein Fremder) der abscheulichste aller Menschen gewesen sei, die je die Erde verwirrt hätten. Er war an Größe ein Riese, unverschämt, räuberisch, unflätig; zornig wie ein Stier, mit dem Herzen einer Hyäne und dem Gehirn eines Pfauen. Er starb schließlich durch den Druck der eigenen Energien, die ihn erschöpften. Trotz alledem war auch er, wie jedes Ding, auch wenn es noch so niedrig ist, von Nutzen. Die Menschheit lernte von ihm eine Lehre, welche sie bis zum heutigen Tage nicht vergessen hat, nämlich die, sich niemals in unmittelbaren Widerspruch zu den Analogien zu setzen. Was nun den Republikanismus betrifft, so konnte für ihn auf der ganzen Erde keine Analogie gefunden werden, wenn wir nicht den Fall der Präriehunde ausnehmen wollen, eine Ausnahme, die mehr als irgendetwas anderes zu beweisen scheint, dass die Demokratie eine wundervolle Regierungsform ist, für Hunde.

    6. April. Heute Nacht hatten wir einen tadellosen Blick auf Alpha Lyrae, dessen Scheibe durch das Fernrohr unseres Kapitäns einen Winkel von einem halben Grad misst und ein Bild bietet, wie unsre Sonne an einem nebligen Tage. Alpha Lyrae ähnelt, obgleich er viel größer ist, unserer Sonne in Bezug auf Flecken, Atmosphäre und viele andere Einzelheiten. Pundit sagt, dass das binärische Verhältnis, das zwischen diesen beiden Weltkörpern besteht, erst im letzten Jahrhundert geahnt wurde. Die evidente Bewegung unsers Systems im Himmelsraume wurde seltsamerweise einer Bahn zugeschrieben um einen ungeheuren Stern im Mittelpunkt der Milchstraße. Es wurde behauptet, um diesen Stern oder mindestens um ein allen Welten der Milchstraße gemeinsames Gravitationszentrum, von dem man vermutete, dass es in der Nähe des Alkyon in den Plejaden liege, drehten sich alle diese Himmelskörper, wobei unser eigener den Umlauf in der Zeit von hundertsiebzehn Millionen Jahren vollbringe. Wir jedoch, mit unserm heutigen Wissen, mit unsern ungeheuren teleskopischen Verbesserungen usw. finden es natürlich schwierig, den Ursprung eines solchen Gedankenganges zu erfassen. Der erste Vertreter des Gedankens war ein gewisser Mudler. Wir müssen vermuten, dass er zunächst durch einfache Analogie zu dieser gewagten Hypothese kam. Aber wenn dies schon der Fall war, so hätte er wenigstens auch bei der Entwicklung die Analogie beibehalten müssen. Ein großer Zentralkörper wurde tatsächlich vorausgesetzt; insofern war Mudler im Recht. Dieser Zentralkörper hätte aber dynamisch größer sein müssen als alle ihn umgebenden Körper zusammengenommen. Man hätte dann aber folgendermaßen fragen müssen: Warum sehen wir ihn nicht?!, Wir besonders, die wir uns in der Mitte des Schwarms befinden, in dessen Nähe sich doch auf alle Fälle diese unfassbare Zentralsonne befinden müsste. An diesem Punkt hat sich vielleicht der Astronom mit der Annahme eines nicht leuchtenden Körpers geholfen und hier hat er die Analogie plötzlich fallen lassen. Aber selbst wenn er den Körper als nicht leuchtend annahm, wie brachte er es fertig, zu erklären, dass er nicht durch das unübersehbare Heer herrlicher Sonnen sichtbar wurde, die ja von allen Richtungen her ihn beleuchten mussten? Zweifellos war der endgültig festgehaltene Schluss die Annahme, dass ein allen sich bewegenden Körpern gemeinsames Gravitationszentrum existiere. Aber auch hier musste man die Analogie fallen gelassen haben. Es ist wahr, dass unser System sich um ein gemeinsames Gravitationszentrum dreht, aber es tut dies in Abhängigkeit von einer materiellen Sonne, deren Masse das übrige System mehr als aufwiegt. Der mathematische Kreis ist eine Kurve, die aus einer Anzahl von geraden Linien besteht; aber die Vorstellung dieses Kreises, die wir in aller Erdgeometrie als die mathematische bezeichnen im Gegensatz zu der praktischen Vorstellung, ist, als Tatsache genommen, eine Voraussetzung, die wir allein in Bezug auf jene titanischen Kreise anzunehmen ein Recht haben, mit denen wir in unsrer Einbildung rechnen, wenn wir unser System mit seinen Gefährten um einen Zentralpunkt in der Milchstraße kreisen lassen. Spornt die stärkste menschliche Einbildungskraft, auch nur den Versuch der Vorstellung eines so unfassbaren Kreises zu machen! Es würde schwerlich paradox sein, zu behaupten, dass ein Blitzstrahl, der streng auf der Peripherie dieses unfassbaren Kreises sich bewegt, in einer geraden Linie verlaufen müsste. Unmöglich wäre es, wahrzunehmen, dass der Weg unsrer Sonne auf einer solchen Peripherie, dass die Richtung unsres Systems auf einer solchen Bahn für menschliche Beobachtung, selbst wenn sie Jahrmillionen dauerte, auch nur im leisesten Grade von der geraden Linie abweiche. Und trotzdem hatten sich diese früheren Astronomen augenscheinlich mit dem Glauben geschmeichelt, dass eine entschiedene Kurve während der kurzen Spanne ihrer astronomischen Geschichte, während eines einfachen Augenblicks, während dieses absoluten Nichts von zwei oder drei Jahrtausenden wahrnehmbar geworden sei! Wie unbegreiflich, dass solche Überlegungen sie nicht mit einem Schlage über den wirklichen Stand der Dinge aufklärten, über die binäre Umdrehung unsrer Sonne und des Alpha Lyrae um ein gemeinsames Gravitationszentrum!

    7. April. Letzte Nacht haben wir unsre astronomischen Beobachtungen fortgesetzt. Wir hatten einen feinen Ausblick auf die fünf Begleiter des Neptun und betrachteten mit großem Interesse das Aufstellen eines ungeheuren Kämpfers auf ein paar Giebelbalken am neuen Daphnistempel im Monde. Es war interessant, sich zu überlegen, dass so winzige Wesen wie die Mondbewohner, die so wenig Ähnlichkeit mit den Menschen haben, eine so große mechanische, unsrer so weit überlegene Befähigung zeigen. Es ist auch schwer, sich vorzustellen, dass die ungeheuren Waffen, mit denen die Mondbewohner so leicht umgehen, so wenig Gewicht haben, wie es unser Verstand lehrt.

    8. April. Heureka! Pundit strahlt vor Stolz. Ein aus Kanada kommender Ballon sprach heute mit uns und warf uns einige Zeitungen an Bord; sie enthalten außerordentlich wichtige Nachrichten über kanadische oder vielmehr amerikanische Altertümer. Ich glaube, es ist dir bekannt, dass seit einigen Monaten Arbeiter damit beschäftigt sind, die grundlegenden Vorbereitungen zu einem neuen Brunnen im Paradiese, dem größten Lieblingsgarten des Kaisers, zu treffen. Es scheint, dass das Paradies seit unvordenklichen Zeiten eine Insel gewesen ist; d.h. seine nördliche Grenze war, so weit die Erinnerung zurückreicht, immer ein Flüsschen oder vielmehr ein sehr schmaler Meeresarm. Dieser Arm wurde allmählich verbreitert, bis er seine jetzige Breite von einer Meile erreichte. Die Gesamtlänge der Insel beträgt neun Meilen; die Breite ist verschieden. Das ganze Gelände war, wie Pundit behauptet, vor etwa achthundert Jahren dicht mit Häusern bebaut, von denen manche zwanzig Stock Höhe hatten. Der Grund und Boden wurde aus irgendeinem unbegreiflichen Grunde für ganz besonders wertvoll in dieser Gegend gehalten. Das schreckliche Erdbeben des Jahres zweitausendundfünfzig zerstörte die Stadt (sie war fast zu groß, um den Namen Dorf zu führen) von Grund aus, sodass auch die unermüdlichsten unter unsern Altertumsforschern niemals imstande waren, von dieser Stadt irgendwelche ausreichenden Denkmale wie Münzen, Medaillen oder Inschriften aufzutreiben; nichts, mit dem sie auch

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