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Leere Augen: Stuttgart-Krimi
Leere Augen: Stuttgart-Krimi
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Ebook375 pages4 hours

Leere Augen: Stuttgart-Krimi

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About this ebook

Eine mysteriöse Mordserie schreckt die Bewohner von Stuttgart auf und stellt die Kommissarin Arabella Herzog und ihr Team vor ein Rätsel. Doch was haben ein Unternehmer, ein Fotograf und die anderen Mordopfer gemeinsam, außer, dass ihre Leichen nummeriert sind?
Gekonnt verwebt Gudrun Weitbrecht die Schicksale einer Vielzahl an Figuren, ermöglicht tiefe Einblicke in die Psyche der Protagonisten und legt menschliche Abgründe offen.
Ein Krimi, in dem Täter zu Opfern werden und Opfer zu Tätern.
LanguageDeutsch
Release dateSep 16, 2014
ISBN9783765021077
Leere Augen: Stuttgart-Krimi

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    Book preview

    Leere Augen - Gudrun Weitbrecht

    Inhaltsverzeichnis

    Das Buch

    Die Autorin

    Januar

    eins

    März

    zwei

    drei

    vier

    fünf

    sechs

    sieben

    acht

    neun

    April

    zehn

    elf

    Juli

    zwölf

    dreizehn

    August

    vierzehn

    fünfzehn

    sechzehn

    siebzehn

    September

    achtzehn

    November

    neunzehn

    zwanzig

    einundzwanzig

    zweiundzwanzig

    dreiundzwanzig

    Dezember

    vierundzwanzig

    fünfundzwanzig

    sechsundzwanzig

    siebenundzwanzig

    achtundzwanzig

    neunundzwanzig

    Januar

    dreißig

    einunddreißig

    April

    zweiunddreißig

    dreiunddreißig

    Und nie sollst du vergessen sein. Schwarzwald-Krimi

    Und die Schuld trägt deinen Namen. Kriminalroman

    Leseprobe aus Und die Schuld trägt deinen Namen

    Retos Verdächtigung. Kriminalroman

    Mannheim-Krimis

    Das Buch

    Eigentlich hätte Arabella Herzog über ihre neue Stelle als Kommissionsleiterin bei der Stuttgarter Mordkommission glücklich sein können. Doch schon bald stellt es sich heraus, dass eine mysteriöse Mordserie ihre Fähigkeiten als Ermittlerin auf die Probe stellt. Beharrlich verfolgt sie in der Schwabenmetropole die Spuren des Täters. Sie stößt im Schwarzwald auf alte Familiengeheimnisse und rollt am Rhein einen längst vergessenen Fall auf.

    Als sie auf einer Party dem Anwalt Arno Steinfeld und ihrer ehemaligen Klassenkameradin Judith begegnet, ahnt sie noch nicht, wie nah sie der Lösung des Falls ist.

    Auch nicht, dass ihr Leben und das von Judith eine überraschende Wendung nimmt, sogar in Gefahr gerät.

    Arabella Herzog blickt in menschliche Abgründe und erkennt, dass fast niemand so ist, wie es den Anschein hat, sondern nahezu jeder, dem sie begegnet, etwas zu verbergen hat. Im Laufe der Zeit wird klar, dass hier Täter zu Opfern und Opfer zu Tätern werden.

    Die Autorin

    Gudrun Weitbrecht, Jahrgang 1947, ist gebürtige Hessin, in einem kleinen Dorf am Rande des Westerwalds aufgewachsen und lebt seit 1973 in Stuttgart. Sie ist verheiratet und hat einen inzwischen erwachsenen Sohn.

    Nachdem sie lange Zeit in einem medizinischen Beruf gearbeitet hat, fing sie an zu schreiben und veröffentlichte 2001 ihren ersten Kurzkrimi. Er wurde gemeinsam mit ihrem Porträt als Clip im Hessischen Rundfunk verfi lmt. Seitdem erfolgten zahlreiche Veröffentlichungen von Kurzkrimis sowie Kriminalromane.

    Sie ist außerdem Herausgeberin sowie Mitautorin von vier Schwabenanthologien, hat an Schulen Krimiworkshops gegeben und Kreatives Schreiben unterrichtet.

    Leere Augen ist ihr dritter Kriminalroman.

    Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit Personen und Sachverhalten sind rein zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt.

    Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter ww.dnb.de abrufbar.

    © 2014 Der Kleine Buch Verlag, Karlsruhe

    Projektmanagement: Julia Prus, Der Kleine Buch Verlag, Karlsruhe

    Lektorat: Beatrice Hildebrand, Der Kleine Buch Verlag, Karlsruhe

    Umschlaggestaltung: röger & röttenbacher GbR, r2 | Büro für Gestaltung, www.roeger-roettenbacher.de

    Umschlagbild: © Glasshouse Images / LOOK-foto

    E-Book Konvertierung & Formatierung: Beatrice Hildebrand, Der Kleine Buch Verlag, Karlsruhe

    Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes (auch Fotokopien, Mikroverfilmung und Übersetzung) ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt auch ausdrücklich für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen jeder Art und von jedem Betreiber.

    ISBN: 978-3-7650-2107-7

    Dieser Titel ist auch als Printversion erschienen: ISBN 978-3-7650-8807-0

    http://www.derkleinebuchverlag.de

    http://www.facebook.com/DerKleineBuchVerlag

    Jeder Mensch ist ein Abgrund,

    es schaudert einen, wenn man hinunterschaut.

    Georg Büchner

    Januar

    eins

    Als Eric gegen 22 Uhr den Fernseher ausschaltete und seinen Jogginganzug gegen Jeans und T-Shirt tauschte, ahnte er noch nicht, dass er sich heute ein letztes Mal für die Arbeit fertig machen würde.

    Irgendetwas beunruhigte ihn. Woher dieses Gefühl kam, wusste er nicht. Es war nicht seine gewohnte Unruhe, ein Kribbeln am ganzen Körper, die Wut, die ihn bisher getrieben hatte, sondern eine neue Empfindlichkeit – so als ob etwas Unbekanntes, nicht Fassbares auf ihn lauerte.

    Auf dem Firmenparkplatz lag eine dünne Schneedecke, die nur von seinen Reifenspuren und Fußabdrücken gezeichnet war. Niemand sonst parkte hier, das Unternehmen ordnete über den Jahreswechsel Kurzarbeit an. Die Nachtschicht fiel schon länger aus. Während des Aufschwungs bis nach der Jahrtausendwende hatte das Unternehmen drei Schichten gefahren. Die Konjunktur in der Autobranche lief zwar im Augenblick gut, was sich auch auf die Zulieferer auswirkte. In den letzten Jahren hatte es dennoch Entlassungen gegeben. Vielleicht war es nur eine Frage der Zeit, bis er dran war, falls sie seinen Lebenslauf näher unter die Lupe nahmen. Daran würde auch sein Vater nichts ändern können. Eric mochte nicht daran denken.

    Er stieg aus seinem 3er BMW und nahm den Rucksack aus dem Koff erraum. Darin waren sein Vesper und zwei Flaschen Bier.

    Als er die 200 Meter zu Fuß zum Fabrikgebäude ging, übermannte ihn wieder das Gefühl verfolgt zu werden. Nachdem er die Straße mit den Industriegleisen überquert hatte, erreichte er die Schranke. Rasch schlüpfte er an ihr vorbei und schaute in die Pförtnerloge. Sie war unbesetzt. Während er die Stechuhr bediente, sah er sich um. Niemand war zu sehen. Er überlegte, seit wann er sich so verhielt. Alles hing miteinander zusammen. Dass seine Ankunft und das Verlassen des Firmengeländes penibel erfasst wurden, machte ihn nicht zum ersten Mal wütend. Wie er es hasste beobachtet zu werden. Mit Grausen erinnerte er sich daran, als die in Oliv gekleideten Männer das Guckloch öffneten, um einen Blick auf ihn und den Raum zu werfen. Aber die Zeiten waren Gottseidank vorüber.

    Schon bei seinen ersten Rundgängen auf dem Firmengelände hatte er eine lockere Zaunstelle hinter dem Fabrikgebäude entdeckt. Wenn er sie hochschob, war sie gerade groß genug für eine Person. So konnte er unbemerkt das Grundstück betreten und verlassen, zumal es dort keine Überwachungskameras gab.

    Von da waren es nur ein paar Schritte bis zum Hintereingang des Haupthauses. Ganz easy war es gewesen, den dazugehörigen Schlüssel nachmachen zu lassen. So konnte er nicht nur unbemerkt von außen das Haus betreten, sondern es auch während seiner Tour verlassen, damit er seine nächtlichen Bierchen trinken und dabei rauchen konnte. Alkohol und Zigaretten verbot die Unternehmensleitung während der Arbeitszeit und in den Hallen strikt.

    Nur ein paar Sekunden lang erlag er der Versuchung, den kürzeren Weg durch den Zaun und den Hintereingang zu nehmen. Aber die blöde Zeituhr stand wie ein warnendes Mahnmal da, und so wenig er sich in der Vergangenheit an Regeln gehalten hatte, bemühte er sich jetzt umso mehr, ein normales, unauffälliges Leben zu führen. Nichts sollte seine neue Freiheit stören. Solange er sich im Griff hatte, würde alles so bleiben.

    Freigesprochen! Beim Gedanken an das Urteil musste er grinsen. Das sollte ihm mal jemand nachmachen!

    „Ich helfe dir ein letztes Mal, hatte ihm der Alte eingebläut, nachdem er mit ihm das Gerichtsgebäude nach dem Richterspruch verlassen hatte. „Versau es nicht wieder!

    Allerdings konnte Eric die Strafpredigt des Alten nicht ganz ernst nehmen. Bereits nach Abbruch von Schule und Lehre hatte er das Gleiche gebrüllt und ihn dabei verdroschen. Eric hasste ihn. Aber wenigstens ließ der Alte als Betriebsrat seine Kontakte spielen und hatte ihm den Job als Werksschutz besorgt.

    Die Fabrik bestand aus mehreren Gebäudekomplexen und befand sich am Rande eines Wohngebiets in Feuerbach mit umliegenden Parkplätzen für Mitarbeiter und Besucher. Die zahlreichen Werksanlagen deckten einen Teil des nordöstlichen Stadtgebiets ab. In den angrenzenden Grundstücken hatten sich früher Betriebe niedergelassen, die inzwischen pleite waren oder aufgehört und die Grundstücke verkauft hatten. In einer ehemaligen Maschinenfabrik residierte neuerdings ein Sozialkaufhaus. Ein anderes Areal besetzten zahlreiche undefinierbare Kleinbetriebe, unter deren Müllbergen sich Ratten heimisch fühlten. Ein Abbruchunternehmen lieferte Schutt an. Eric hörte dort die ganze Nacht Hunde bellen.

    Eigentlich war sein neuer Job kinderleicht: Alle halbe Stunde eine Runde durch diesen Teil der Firma laufen. Fenster und Türen überprüfen. Auf die Bildschirme schauen, ob alle Kameras funktionieren oder ob sich etwas Ungewöhnliches ereignet hat. Neue Videokassetten am Ende seiner Schicht einlegen. Die vorherigen archivieren. Am Morgen das Übergabeprotokoll abhaken.

    Eric genoss es, allein zu sein. Es machte ihm nichts aus. Im Gegenteil, es gab ihm das Gefühl, sein eigener Herr zu sein.

    Schon bald hatte er herausbekommen, wie man die Überwachungskamera vor der Tür zum Aufenthaltsraum ausschalten konnte. Drinnen gab es keine, dafür aber ein Sofa. Ab ein Uhr würde er es sich darauf gemütlich machen und die restliche Nacht pennen. Für den Hungerlohn riss er sich jedenfalls nicht den Arsch auf. Verbittert dachte er daran, dass er am zwanzigsten des Monats regelmäßig pleite war. Gut, dass ihm seine Mutter dann immer Scheine zusteckte. Heimlich, damit der Alte nichts merkte.

    Bei dem Gedanken an seine Mutter kam so etwas wie Dankbarkeit auf, obwohl er sie für einfältig hielt. Aber auf sie konnte er sich verlassen, schließlich hatte sie ihm in der Vergangenheit immer wieder aus der Patsche geholfen. So auch bei der letzten Sache, die dann glimpflich vor Gericht ausging. Nur blöd, dass sie ihm nun dauernd mit ihrer Nörgelei auf den Wecker ging, seitdem er wieder in sein altes Kinderzimmer eingezogen war.

    Ansonsten lief zurzeit alles easy. Seinen Klotz am Bein, Sandy, die Bitch mit dem Kind, war er losgeworden. Aufgrund des Bratens in ihrer Röhre hatte er sie heiraten müssen. Nur wegen ihr und dem Unterhalt für das Kind war er jetzt ständig klamm. Trotzdem entspannte sich sein engelhaftes, unschuldig wirkendes Gesicht zu einem Lächeln, wenn er an seinen Sohn dachte. Obwohl … Seit dieser blöden Sache hatte er ihn nicht mehr gesehen.

    Bei dem Gedanken an Sandy stieg in ihm die Wut hoch. Immer wieder hatte er ihr gesagt, dass sie in der Schwangerschaft nicht rauchen und trinken solle. Aber sie hatte nur an sich gedacht, sich einen Deut darum geschert und ihn ausgelacht. Wie gerne hätte er damals eine kleine Familie gehabt. Sandy hatte alles versaut.

    Das Kribbeln, die Unruhe kam wieder, er fühlte seine angestaute Wut. Am liebsten hätte er mit seinen Fäusten etwas zertrümmert oder mit den Füßen zertreten. Hier ging das nicht. Sie würden ihm auf die Schliche kommen, falls er Firmeneigentum zerschlug. Schließlich konnte er nicht alle Kameras ausschalten; das würde auffallen. So musste er bis morgen früh warten. Vielleicht kam ihm irgendein Assi in die Quere, an dem er seinen angestauten Zorn loswerden konnte.

    An der Hauswand des Hauptgebäudes stand ein verbeultes Fahrrad. Es gehörte Josef. Josef war die Tagesschicht und ein Ehemaliger, der sich ein Zubrot zur Rente verdiente. Das war das Einzige, was Eric von ihm wusste. Und dass der Penner bei Wind und Wetter sein Fahrrad nahm und es nicht wie vorgeschrieben in den Ständer schob, sondern an die Hauswand lehnte. Fahrradfahrer hielten sich sowieso nie an Regeln und meinten, sie dürften sich im Straßenverkehr alles erlauben. Eric hasste sie.

    Er schob seine Chipkarte in den Schlitz neben dem Eingang. Abrupt wurde die Tür von innen geöffnet. Der Flur lag in absolutem Schwarz, denn Josef schaltete jedes Mal beim Gehen sämtliche Lichter aus. Schon fertig angezogen, stand sein Kollege bereit und befestigte gerade seine Hosenklammern, die im Dunklen leuchteten. Eric fand es lächerlich. Der Freak konnte sich noch nicht einmal ein Auto leisten. Wie jedes Mal verabschiedete sich Josef mit einem genuschelten: „Keine besonderen Vorkommnisse. Guts Nächtle."

    „Nabend", brummte Eric und ging demonstrativ schnell an ihm vorbei. Er hatte keine Lust, sich mit dem Alten zu unterhalten – oder gar anzufreunden. Sofort legte er den Schalter für die Neonlampen wieder um. Seit seiner Zeit in Stammheim fürchtete er die Dunkelheit wie der Teufel das Weihwasser.

    Der Flur, das Treppenhaus und die Werkshalle wurden in ein grell bläuliches Licht getaucht und ließen sie kalt und trostlos aussehen.

    Neben dem Aufenthaltsraum für die Arbeiter befanden sich Spinde. Eric stellte seinen Rucksack hinein, zog Lederjacke, Jeans und die Boots aus, bis er nur in Boxershorts und T-Shirt da stand. Dann schlüpfte er in die bereitgestellte, frischgewaschene, schwarze Baumwollhose, in die dazugehörige Jacke und die klobigen Arbeitsschuhe. Die Kleidung war vorgeschrieben. Zwar fand er die Schuhe ausgesprochen hässlich und unbequem, aber bevor er seine Eigenen durch das Öl beschmutzte, das zum Reinigen der Maschinen benötigt wurde, zog er lieber die Treter an.

    Eric kramte seinen Kamm hervor und fuhr damit durch sein blondes Haar. Es ließ ihn wie einen Botticelli-Engel aussehen. Wenigstens waren die Haare wieder nachgewachsen, nachdem er es bei seinem Zwangsaufenthalt aus Angst vor Übergriffen schwuler Mithäftlinge abrasiert hatte, obwohl er ahnte, dass es wahrscheinlich nichts genutzt hätte.

    Seinen Ausweis mit der Chipkarte, auf dem ihm sein Foto entgegen lächelte, klemmte er an die Brusttasche. Anschließend nahm er die Tageszeitung mit den Stellenausschreibungen aus seinem Rucksack. Er steckte die Taschenlampe, die er vorsorglich immer bei sich trug, in die rechte Hosentasche der Jacke.

    Ihn fröstelte. Die Firma wollte an den Betriebskosten sparen und drehte während der Nacht die Heizung herunter. Eric nahm seine Lederjacke wieder aus dem Spind und zog sie über. Den Rucksack mit dem Bier und den Zigaretten würde er nachher holen, sobald er seine Pause antrat.

    Er blickte sich um. Alles war ruhig. Die Maschinen waren abgestellt. In der Luft hing ein eigentümlicher Geruch, ein Gemisch aus Öl, Schweiß und Putzmitteln. Alles schien normal zu sein. Trotzdem spürte er, dass etwas nicht stimmte. Sein Instinkt schickte ein Warnsignal an sein Gehirn. Das Frösteln war mehr als eine Reaktion auf die Temperatur.

    Mit angespanntem Körper und auf alles gefasst, ging Eric langsam durch die Halle. Er kontrollierte die Fenster und den Hintereingang. Verschlossen. Ein paar Kisten standen herum. Er schob sie zur Seite, öff nete die Tür nach draußen und trat an die frische Luft. Mit seiner Taschenlampe, den Lichtkegel in der Runde kreisend, leuchtete er den Hof aus. Keine Fußspuren im Schnee zu sehen. Schulterzuckend ging Eric wieder hinein und versuchte das Schloss einschnappen zu lassen. Aber die Tür klemmte. Er legte die Taschenlampe innen auf einem Fenstersims ab und zog mit beiden Händen mit aller Kraft an der Klinke, damit der Ausgang verschlossen war.

    Das Gebäude war außer ihm menschenleer. Weder drinnen noch draußen gab es Hinweise, dass sich jemand Unbefugtes Zutritt verschafft hatte. Trotzdem verstärkte sich das Gefühl des Beobachtetseins.

    Vielleicht bin ich in letzter Zeit zu viel allein gewesen und meine Nerven liegen blank, dachte Eric.

    Gewöhnlich begann er seine Schicht zuerst mit einer Tasse Kaff ee und las dazu ausführlich die Zeitung.

    Das Büro mit den Bildschirmen lag im ersten Stock über der Werkshalle. Dort gab es auch eine Kaffeemaschine, daneben standen kleine Einzelportionen Kaffeesahne. Wie ihm Josef gleich zu Anfang erklärt hatte, war es üblich, für Kaff ee und Sahne 50 Cent in ein Sparschwein zu stecken. Eric hielt sich selten daran, obwohl er mindestens zwei Tassen in den ersten Stunden seiner Schicht trank. Bis jetzt hatte ihn noch niemand gerügt. Während er die Treppe in den oberen Stock hinaufstieg, klackten die Stahlkappen seiner Arbeitsschuhe auf den Metallstufen. Er war fast oben, als er anhielt und über das Geländer nach unten schaute. Am Fuß der Treppe, in einem Winkel, befand sich die Tür zum Lager und stand offen. Eric war sich sicher, dass sie vorhin verschlossen war.

    Als er das Büro betrat, drückte er den Lichtschalter.

    Nichts. Der Raum blieb dunkel. Gleichzeitig gingen alle Neonröhren in der unteren Etage aus. Eric suchte nach seiner Taschenlampe. Verflucht, er hatte sie auf dem Fenstersims vergessen. Im gleichen Moment ergriff ihn Panik. Er spürte es: Diesmal war es mehr als ein Gefühl, diesmal war es ein lebendiges, atmendes Wesen, das auf ihn lauerte.

    Seine Nackenhaare und die Härchen auf den Handrücken sträubten sich. Wie angewurzelt stand er da. Seine Augen versuchten, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Voller Alarm, die Fäuste ballend, schüttete sein Körper kampfbereit Adrenalin aus. Er spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken herunterrann.

    „Wer bist du? Was willst du?", schrie Eric in die Schwärze hinein. Nur wenige Sekunden verstrichen, in denen er krampfhaft überlegte, wer ihm da auflauerte. Dann tastete er sich mit ausgestreckten Armen an die Tür heran. Das Licht ging so plötzlich wieder an, wie es ausgegangen war. Blinzelnd versuchten sich seine Augen wieder an die Helligkeit zu gewöhnen. Niemand zu sehen. Erleichtert ließ er sich auf das Sofa fallen.

    Eric blieb keine Zeit sich zu wehren. Er sah die Szene in jedem winzigen Detail. Die Gestalt des Eindringlings, groß, schlank, muskulös, die Arme hinter dem Körper versteckt. In einem weißen, blickdichten Overall und schwarzer Sturmhaube, die das Haar bedeckte und nur die Augen frei ließ. Sie blickten ihn kalt und prüfend an. Geradezu tänzerisch bewegte sich die Gestalt auf ihn zu, zog einen Arm hinter dem Körper hervor. Eric blinzelte noch immer, trotzdem erkannte er das Logo eines Herstellers von Insektiziden – eine riesengroße Fliege. Das Letzte, was er sah, war der feine Nebel des Sprays, das aus der Düse spritzte. Es traf ihn im Gesicht, drang in seine Augen ein, machte ihn blind, raubte ihm den Atem. Er bekam kaum Luft, seine Augen schmerzten höllisch. Zusammengekrümmt hielt er sich die Hände vor das Gesicht.

    Ohne dass er es wusste, hatte er so die perfekte Haltung für den Angreifer eingenommen. Ein 36er Schraubenschlüssel krachte auf seinen Nacken und zerschmetterte die oberen Halswirbel. Durch die Wucht des Schlags schnellte Erics Kopf wieder hoch. Mehrere Hiebe zerstörten sein Gesicht, bis es nur noch ein blutender Breihaufen war. Noch immer bei Bewusstsein rutschte Eric wie eine Gliederpuppe vom Sofa und glitt zu Boden. Nun war es nur noch eine Frage von Sekunden, bis ihm der Angreifer sämtliche Rippen zerschmetterte, sich eine Rippe in seine Lunge bohrte und Eric zu Boden ging. Danach spürte er die heftigen Tritte auf seinem Brustkorb, immer wieder. Wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft schnappend, gab sein zuckender Körper nach einigen Augenblicken den Kampf auf.

    Die Tagesschicht fand Eric. Sein Gesicht konnte nur durch das Foto auf seinem Firmenausweis identifiziert werden. Auf seiner Brust – oder dem, was von ihr übrig war – prangte die Zahl 2. Der Mörder hatte sie fein säuberlich mit Zigaretten eingebrannt.

    Als Reporter eines Privatfernsehsenders Josef interviewten, meinte dieser, dass Eric zwar zurückhaltend, aber freundlich gewesen sei. Er habe keinem Menschen etwas zuleide getan. Ein solches Ende hätte er nicht verdient.

    Zu diesem Zeitpunkt wusste noch niemand, dass dieses Verbrechen eine Reihe unterschiedlichster Morde in der Schwabenmetropole einläutete und Eric nicht der Einzige bleiben würde.

    März

    zwei

    Arabella Herzog zog einen der schweren Umzugskartons vom Flur ins Wohnzimmer. Dort gab es noch ein Regal, in dem vorher die Kochbücher von Mathias gestanden hatten. Mittlerweile waren sie in die Küche gewandert, damit Arabella wenigstens einen Teil ihrer Lektüre aufstellen konnte. Eigentlich war die über 100 Quadratmeter große Wohnung für zwei Personen groß genug. Neben der Küche und dem gemeinsamen Wohn- und Schlafzimmer besaß jeder von ihnen ein eigenes Arbeitszimmer. Trotzdem stritten sich Mathias und sie immer wieder über den Platz für ihre mitgebrachten Möbel und Gegenstände.

    Genau genommen ist es kein richtiger Streit, dachte Arabella. Männer sehen die Dinge nur anders.

    Mathias hatte mit dem Kopf geschüttelt, als er die vielen Umzugskartons und Kleiderkisten registriert hatte, die von Möbelpackern in den ersten Stock geschleppt worden waren. Noch ungläubiger staunte er über die Unmassen von Schuhen, die in ihrer alten Wohnung originalverpackt in Einbauschränken verstaut und so für ihn unsichtbar gewesen waren. Aber diese Schränke fehlten in ihrer neuen Bleibe. Arabella hatte noch nichts Vergleichbares zum Einräumen gefunden; die Schuhkartons standen überall im Weg. Demonstrativ stellte sie ihre roten Gummistiefel, die sie bei schlechtem Wetter und Außeneinsätzen zu Tatortbesichtigungen anzog, neben einen Farbeimer in den Flur.

    Sicher würde es noch Wochen dauern, bevor sie ihre Habe einräumen konnte. Für einige Möbel und Gegenstände bot sich als Interimslösung die Lagerbox einer Spedition an.

    Wichtiger als alles andere aber waren die Leitzordner, in denen sie in den letzten zwölf Jahren eine berufliche Bibliothek mit Zeitungsausschnitten und Querverweisen angelegt hatte. Neben der Computerrecherche ein wahrer Fundus an Informationen.

    Vielleicht hätte sie vor ihrem Umzug nach Stuttgart noch mehr aussortieren sollen. Aber sie war nicht mehr dazu gekommen. Bis zuletzt hatte sie Zweifel, ob überhaupt eine Stelle bei der Stuttgarter Mordkommission frei werden würde. Die Wahrscheinlichkeit hatte sie als sehr gering eingeschätzt und sich auf eine lang andauernde Wochenendbeziehung eingestellt.

    Seitdem sie und Mathias sich vor einem Jahr während des Karnevals kennen gelernt hatten, pendelte sie zwischen Koblenz und Stuttgart hin und her. Aber dann ging alles ganz schnell. Völlig überstürzt hatten sie geheiratet. Vielleicht gab die Tatsache, dass sie nun einen Ehering trug, im Innenministerium den Ausschlag.

    Mittlerweile waren seit ihrem Umzug fünf Wochen vergangen. Ihr stand noch ein Rest Urlaub zu, bevor sie ihre neue Stelle im Polizeipräsidium antreten würde. Ursprünglich hatte sie sich vorgenommen, sich zuerst einmal in Ruhe in ihrem neuen Domizil einzuleben und sich mit der Stadt vertraut zu machen. Bisher kannte sie nur einige Läden – vorwiegend solche, die Schuhe verkauften.

    An den Wochenenden, an denen sie in ihrer alten Dienststelle keine Bereitschaft schieben musste und zu Mathias fuhr, verbrachten sie die meiste Zeit im Bett oder er kochte für sie. Einmal waren sie über den Weihnachtsmarkt geschlendert, hatten Glühwein getrunken und er hatte ihr ein kitschiges Lebkuchenherz geschenkt. Als sie es später suchte, lag es zwischen ihren High-Heels. Ein anderes Mal gingen sie in eine Besenwirtschaft. Sie lag mitten in den Weinbergen zwischen Bad Cannstatt und Schmiden. Mathias erklärte ihr die Sache mit dem Besen und hatte dabei ein Viertele Roten zu viel getrunken. Seit diesem Zeitpunkt wusste Arabella, dass das Viertele im Schwabenland der Name für den Schoppen im Rheinland war und traditionell in einem bauchigen Henkelglas ausgeschenkt wurde. Sie selbst nippte nur am Wein und brachte Mathias nach Hause.

    Damals lebte er noch in einer winzigen Zweizimmerwohnung, die er nach seiner Scheidung gemietet hatte. Arabella wäre ohnehin nie in sein ehemaliges Reihenhaus gezogen, welches außerdem nicht so schnell frei werden würde, da es seine Ex-Ehefrau weiterhin für sich und die zwei Kinder beanspruchte. Als er Arabella kennenlernte, ließ sich Mathias auf einen Deal ein, um endlich Ruhe vor seiner Ex zu haben.

    „Jeder Monat meiner Ehe hat mich im Nachhinein 5000 Euro gekostet", erzählte er Arabella.

    Sie sah ihm die

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