Minderheiten in München: Zuwanderung, Ausgrenzung, Integration - vom Mittelalter bis zur Gegenwart
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Book preview
Minderheiten in München - Karl Stankiewitz
Eigenanzeigen
Zum Buch
Multikulturalität in München
Seit ihrer Gründung ist die Mönchssiedlung an der Isar Wanderziel und Auffangbecken, Schmelztiegel für Menschen verschiedenster Völker und Religionen. Diese Dynamik führte über Perioden hinweg immer wieder zu Spannungen mit der „Stammbevölkerung. Beschrieben wird dieser bis heute anhaltende Prozess u. a. am Beispiel der zugezogenen Juden, Mönche, Muslime, Sudetendeutschen, Sinti, Schwarzen, Gast-und Zwangsarbeiter – und schließlich auch in Hinblick auf die gegenwärtige Flüchtlingswelle. Karl Stankiewitz, der als Münchner Journalist oftmals über den Umgang der Landeshauptstadt mit gesellschaftlichen Minderheiten berichtete, zeigt, wie tolerant oder unduldsam, wie aufgeschlossen oder ablehnend sich die Stadtgesellschaft „den Anderen
gegenüber verhalten hat und verhält, wie schwierig die – nicht von allen gewollte – Integration immer war und auch heute noch ist.
Zum Autor
Karl Stankiewitz,
geb. 1928, ist Journalist und Buchautor; zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema München, Bayern und Zeitgeschichte.
KARL STANKIEWITZ
Minderheiten in München
Zuwanderung, Ausgrenzung, Integration – vom Mittelalter bis zur Gegenwart
VERLAG FRIEDRICH PUSTET
REGENSBURG
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
eISBN 978-3-7917-6065-0 (epub)
© 2015 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg
Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg
Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:
ISBN 978-3-7917-2705-9
Weitere Publikationen aus unserem Programm finden Sie auf www.verlag-pustet.de
Informationen und Bestellungen unter verlag@pustet.de
»MÜNCHEN WILL GAR NICHT ERÖRTERT, MÜNCHEN WILL GELEBT UND GELIEBT SEIN.« Wer möchte Ernst Heimeran (1902–1955) ernsthaft widersprechen? Doch vielleicht wird man ihn ergänzen dürfen, ihn, den großen Verleger und Autor, der in Schwabing das Gymnasium besuchte und wie viele als „Zuagroaster" in München Wurzeln schlug: Die Liebe zur ersten oder zweiten Heimat schließt die Kenntnis über sie nicht aus – und umgekehrt.
Die Geschichte einer Stadt ist ebenso unerschöpflich wie die Geschichten, die in ihr spielen. Ihre Gesamtheit macht sie unverwechselbar. Ob dramatische Ereignisse und soziale Konflikte, hohe Kunst oder niederer Alltag, Steingewordenes oder Grüngebliebenes: Stadtgeschichte ist totale Geschichte im regionalen Rahmen – zu der auch das Umland gehört, von dem die Stadt lebt und das von ihr geprägt wird.
München ist vergleichsweise jung, doch die über 850 Jahre Vergangenheit haben nicht nur vor Ort, sondern auch in den Bibliotheken Spuren hinterlassen: Regalmeter über Regalmeter füllen die Erkenntnisse der Spezialisten. Diese dem interessierten Laien im Großraum München fachkundig und gut lesbar zu erschließen, ist die Aufgabe der Kleinen Münchner Geschichten – wobei klein weniger kurz als kurzweilig meint.
So reichen dann auch 140 Seiten, zwei Nachmittage im Park oder Café, ein paar S- oder U-Bahnfahrten für jedes Thema. Nach und nach wird die Reihe die bekannteren Geschichten neu beleuchteten und die unbekannteren dem Vergessen entreißen. Sie wird die schönen Seiten der schönsten Millionenstadt Deutschlands ebenso herausstellen wie manch hässliche nicht verschweigen. Auch Großstadt kann Heimat sein – gerade wenn man ihre Geschichte(n) kennt.
DR. THOMAS GÖTZ, Herausgeber der Buchreihe, lehrt Neuere/Neueste Geschichte an der Universität Regensburg und forscht zu Stadt und Bürgertum in der Neuzeit.
Wie tolerant ist diese Stadt?
„München ist eine weltoffene, tolerante und bunte Stadt. Menschen vieler Nationen, Kulturen und Religionen sind hier zu Hause. Humanität, Solidarität und Demokratie sind die Grundwerte, die unser kommunales Zusammenleben tragen. Das Miteinander von Menschen verschiedener Herkunft gehört zur Geschichte unserer Stadt und wird ihre Zukunft sein. Wir setzen uns entschlossen für Menschenwürde, kulturelle Vielfalt und Freiheit ein."
Mit dieser Resolution beantwortete die große Mehrheit des Münchner Stadtrats am 1. Oktober 2014 den Versuch einer extremistischen Gruppe, ihr Mütchen wieder einmal an einer Minderheit anderen Glaubens zu kühlen. Sieben Tage später forderte der Stadtrat in einem Positionspapier eine „neue Kultur im Umgang mit Zuwanderern".
Schon wahr, Toleranz herrschte in dieser Stadt über all die Jahrhunderte, unter fast allen Regimen. Und sogar mehr als Toleranz ist den altansässigen und neuen Bewohnern Münchens von Mensch zu Mensch stets zuteilgeworden: Verständnis, Schutz und Hilfe für die freiwillig oder unfreiwillig Zugewanderten und Andersartigen, für die Armen, Leidenden, Obdachlosen, Asylsuchenden.
München war und ist Heimat für alle – auch für alle „Anderen. Menschen, deren Sprache, Religion, Nationalität, Sexualität, Weltanschauung, Hautfarbe, ethnische Zugehörigkeit, körperliche oder geistige Verfassung, Lebens- oder Arbeitsweise nicht den Normen der angestammten Bevölkerung entsprechen, hat die attraktive, dynamische Haupt- und Residenzstadt allzeit magisch angezogen, beherbergt und eingebürgert. Jene haben Minderheiten gebildet, viele dieser „Andersartigen
haben sich organisiert. Die Stadtgesellschaft hat sie toleriert, integriert und zu eigenem Nutzen gefördert – früher oder später, mehr oder weniger.
Derartige Prozesse der Verschmelzung vollzogen sich, verfolgt man die Stadtchronik, besonders in den Epochen kultureller oder wirtschaftlicher Blüte sowie in kriegerischen Zeiten. Es gab und gibt aber auch Minoritäten, die von vornherein Misstrauen und Missachtung begegneten, die systematisch ausgegrenzt wurden, die nicht selten mit Duldung der Obrigkeiten verfolgt und aus dem „Schmelztiegel München eliminiert wurden. Die Abwehr des „Abnormen
war durchaus nicht die historische Ausnahme, sondern zeitweise geradezu die bürgerliche Normalität. Wiederum Andere wurden durch Selbstverschulden oder durch „des Geschickes Mächte" isoliert oder an den Rand der Gesellschaft, teilweise buchstäblich an den Rand der Stadt gedrängt. So haben sich in der Wachstumsregion München neben dem eigentlichen Bürgertum allerlei Parallelgesellschaften festgesetzt und ausgebreitet.
Dieses Buch will indes keine soziologische Untersuchung sein, sondern Geschichten einiger Minderheiten seit der Stadtgründung erzählen. Der Braunschweiger Heinrich der Löwe war ja bereits auf ein kleines Bevölkerungskollektiv gestoßen, das nach dem heute so modischen Begriff einen Migrationshintergrund hatte: auf Mönche, wie sie sich, oft aus Irland kommend, seinerzeit im Alpenvorland niedergelassen und als erste Missionare betätigt hatten.
Dann, im Mittelalter, war München ein beliebtes Wanderziel für Juden, für „Ägyptenleute (bald hießen sie „Zigeuner
) und andere Fremde, die man später pauschal als „Nichtarier" denunzierte. Im 19. Jahrhundert wurde die Stadt ein großes Auffangbecken für Arbeitssuchende und Asylanten. Sie wurde auch Tummelplatz für Aufklärer, Sektierer und Revolutionäre allen Kalibers. Organisierte Kommunisten, wie sich die revolutionären Sozialisten ab 1918 nannten, wurden noch in der Adenauer-Zeit diskriminiert.
Jahrzehnte der Toleranz und des friedlichen Zusammenlebens wechselten sich ab mit Ausbrüchen von Angst und Vorurteil, von Hass und Hysterie. Verstärkte Zuwanderungen, wirtschaftliche, industrielle und demografische Entwicklungen erforderten immer wieder neue Standards. Die latent feindlichen Auseinandersetzungen zwischen der Mehrheit und den meisten Minderheiten erreichten – nicht nur in München, aber hier besonders – einen traurigen Höhepunkt in der Ägide des Nationalsozialismus; die Folgen werden heute noch abgearbeitet.
So hat denn auch das Gegenteil von Toleranz und Empathie immer wieder den Organismus der später so genannten „Weltstadt mit Herz" vergiftet: kleinliche Ablehnung, egoistische Ausgrenzung, Unterdrückung, Verfolgung, Rassismus, Fremdenhass bis hin zur Idee und Realisierung physischer Vernichtung. So wie die Minderheiten wechselten, so wechselte der Umgang mit ihnen. München, die Fremdenverkehrsmetropole, war und ist in dieser Art des Umgangs mit dem Fremden nicht besser und nicht schlechter als andere Stadtgemeinschaften. Bürger und Behörden, aber auch Presse und verantwortliche Politiker könnten sich Schuld und Verdienst teilen.
Viele dieser Minoritäten und viele ihrer Exponenten verursachten Unruhe allerdings nur für eine begrenzte Zeitspanne, indem sie jeweils bestimmende Maximen oder Werte in Frage stellten und das bürgerliche Establishment herausforderten. Oft mischten sie sich – zum Beispiel die ersten eingewanderten Protestanten – nach Abklingen von Antipathie und Gegenwehr vollkommen mit der Mehrheit. Was man heute Integration nennt.
Übrigens waren es fast immer einzelne Bürger oder Bürgerinitiativen und weniger die städtischen Apparate, die sich als Erste für bedrohte Minderheiten eingesetzt haben – für sehr unterschiedliche Minderheiten, die wiederum vielfach miteinander verflochten waren.
Dieser Band beschränkt sich auf solche Minderheiten, die der Stadt ursprünglich von außen zugewachsen sind. Viele werden heute im offiziellen Sprachgebrauch und im weitesten Sinne als „Bürger mit Migrationshintergrund" bezeichnet. Daneben aber existieren Randgruppen, die sich aus der Gesellschaft selbst gebildet haben, von ihr eher missachtet als akzeptiert wurden und oft noch werden – Menschen, deren ideologischer, sozialer, moralischer, sexueller, gesundheitlicher Status den Normen deutlich widerspricht, zum Beispiel Anarchisten, Rechtsradikale, Separatisten, Tagelöhner, Bettler, Homosexuelle, Prostituierte, Geistes- und Seuchenkranke, Gefangene, Obdachlose. Diesen und einigen anderen Gruppen wird sich ein weiterer Band dieser Reihe widmen.
Der lange Leidensweg der Münchner Juden
Er hieß wie der Stammvater des Volkes Israel. War er auch Stammvater der israelitischen Gemeinde Münchens? Jedenfalls benennt die Stadtchronik im Jahr 1229 einen „Abraham de Municha" als Zeugen in einem Regensburger Rechtsgeschäft. Was nicht ausschließt, dass außer dem Mann mit dem biblischen Namen und schon vor ihm zugewanderte Juden in der noch jungen Isarstadt (1158 erstmals erwähnt) wohnten und vielleicht als Handwerker oder Händler ihr Brot verdienten. (In der Reichsstadt Regensburg und in Franken waren Juden schon lange zuvor nachgewiesen, in Köln sogar schon seit dem 4. Jahrhundert).
Der nächste Eintrag findet sich in der amtlichen Chronik der Herzogs- und Bürgerstadt für den 12. Oktober 1285, einem Freitag – er markiert den Anfang einer langen Leidensgeschichte: „Es findet ein schreckliches Pogrom statt, dem fast die ganze damalige Judenschaft der Stadt zum Opfer fiel." Was war geschehen?
Das Gerücht verbreitete sich in der Stadt mit Windeseile: Die Juden hätten von einem „alten Weib ein Christenkind „käuflich an sich gebracht
und es dann ermordet. Der Funke der Feindseligkeit fällt auf brennbaren Boden. Aberglaube und religiöse Schwärmerei bis hin zum Fanatismus haben während der Kreuzzüge um sich gegriffen. Dazu gehört auch die weit verbreitete Vorstellung, dass der Ritualmord der mosaischen Religion anhafte wie ein schlechter Geruch.
Etwa 50 000 Juden sollen schon im 11. Jahrhundert in Europa als „Christenmörder" umgebracht worden sein. Die Übriggebliebenen wurden in Ghettos gedrängt und in jeder Hinsicht ausgegrenzt. Vergebens hat Papst Gregor IX. (1227–1241) jedem Christen, der sich am Leben von Juden vergeht, die Todesstrafe angedroht. Nirgendwo sind die Judenverfolgungen schlimmer als im Herzogtum Baiern. Die Verschuldung des Herrscherhauses ist gewiss eine der Triebkräfte, neben Vorurteilen und falschen Verdächtigungen in einer in sich geschlossenen Bürgerschaft.
Abb. 1:
Judenverbrennung in der Schedelschen Weltchronik, 1493
So wird das – wie auch immer manipulierte – Gerücht vom Kindsmord in München zum Zündfunken für den ersten großen Gewaltausbruch in der noch jungen Stadt. Am 12. Oktober 1285