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Nur daß wir ein bischen klärer sind: Der Briefwechsel 1989 und 1990
Nur daß wir ein bischen klärer sind: Der Briefwechsel 1989 und 1990
Nur daß wir ein bischen klärer sind: Der Briefwechsel 1989 und 1990
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Nur daß wir ein bischen klärer sind: Der Briefwechsel 1989 und 1990

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About this ebook

"Die wichtigere Frage: in all dem, was wir schreiben, schlägt nicht nur die Zeit durch, sondern auch die angestrengte Haltung, die uns die Zeit des Zusammenbruchs aufnötigt. Unsere Witze sind gut, aber sind sie auch leicht? Die Gegenstände sind die richtigen, aber behandeln wir sie unbeschwert? Wir schreiben mit Haltung; wirken wir da nicht leicht steif?" (Müller an Hacks)
"Die Frage, die an mir nagt, ist wichtiger. Die BRD-Gitanes schmecken nicht so gut wie die französischen, die es im Shop gab, sind auch, glaube ich, zu teuer. Ich erwäge, meine Zigaretten in Frankreich zu kaufen. Weißt Du möglicherweise, wie hoch bei Zigaretten der Zoll ist ...?" (Hacks an Müller)
LanguageDeutsch
Release dateOct 18, 2012
ISBN9783359500100
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    Book preview

    Nur daß wir ein bischen klärer sind - André Müller

    Impressum

    ISBN eBook 978-3-359-50010-0

    ISBN Print 978-3-359-01437-9

    © 2002 Eulenspiegel · Das Neue Berlin

    Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG

    Neue Grünstr.18, 10179 Berlin

    Umschlagentwurf: Peperoni Werbeagentur, Berlin

    Die Bücher des Eulenspiegel Verlags erscheinen

    in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

    www.eulenspiegel-verlagsgruppe.de

    André Müller sen. · Peter Hacks

    Nur daß wir ein bischen klärer sind

    Der Briefwechsel 1989 und 1990

    Herausgegeben von den Korrespondenten

    Eulenspiegel Verlag

    An Müller Berlin

    Lieber André, die Wirsing (mit, glaube ich, ihrem Hilde-brandt hinter sich) ist keine dumme Truppe; sie hat dem Schulz seine Winke gut aufgefangen. Daß sie aus der »Jona«-Dramaturgie ableitet, daß ich der Zensur anhange, scheint an Genie zu grenzen. Sie hat es aber bloß aus der Zensur-Forderung aus meinem Dramatiker-Manifest.

    Jedes Wort von Schulz übrigens widerspricht jedem Partei-papier seit dem Plenum. Honecker sagt jetzt, was ich sage; (seine Rede zur KP-Gründung war vorzüglich, nicht eine Lüge mehr als nötig). Also werde ich sehr bald wieder verboten sein.

    Du schuftest am Shakespeare, ich an Jahn; willst Du Dich da beschweren? Aufbau behauptet, sie hätten eine dreibändige Kasette herzustellen vor: mit 1 Hacks-Band, 1 Ascher-Band und 1 Jahn-Band. Ich sehs noch nicht. Es wäre ein Erfolg, fast ein Durchbruch.

    Die Lage, lieber André, sie ist unzweifelhaft schwanger. Aber was für ein Dezember wieder. Mit dem Nebel, der vor meinen Augen, und dem Nebel, der in meinem Kopf ist, kann ich nicht erkennen, ob sie einen kleinen Herakles oder ein kleines Monster zu gebären vorhat.

    Gremlica wird die Kugelköpfe nachdrucken.

    Behandle den Schernikau gut und vertrauensvoll. Er ist ein sicherer Mann.

    Bleib gesund.

    Peter

    3.1.1989

    Zur Einführung. Müller und Hacks war vergleichsweise zeitig aufgefallen, daß Erich Honecker unter Gorbatschow begonnen hatte, sich von der revisionistischen Politik, die er seit dem VIII. Parteitag betrieb, abzuwenden, und daß in der DDR mit keinem Widerstand gegen die Liquidation des Staates durch Gorbatschow mehr zu rechnen war als ausgerechnet und allein dem seinigen.

    Hacks an Müller, Siebenschläfer 1988: »Das größte Geheimnis ist Honecker. Ich habe seit 20 Jahren noch immer nicht heraus, was er beabsichtigt. Seit 20 Jahren bietet er die DDR zum Verkauf an, und seit 20 Jahren hat er sie noch auf dem Ladentisch liegen. ... Warum versäumt er, Apparat, Parteibrauchtum, Schule und Eigentumsform marktgängig zu machen? Warum wird er in dem Grade störrischer, in dem Gorbatschow luschiger wird? Warum wird jetzt sein Sturz besprochen?«

    Müller an Hacks, 22. 7. 1988: »Ich gestehe, daß ich über Honecker auch schon die seltsamsten Vermutungen gehabt habe. Ich schwanke zwischen vier Lesarten ...«

    Noch aus der Andropow-Zeit stammt Hacks’ Tragödie »Jona«. Semiramis, Königin in Ninive, meint Honecker; sie hat ihren Vorgänger Schamsch (Ulbricht) umgebracht und richtet das Reich von Assur durch Unfähigkeit zu Grunde. (Der Sarkophag des historischen Königs Schamasch Adat befindet sich auf der Museumsinsel zu Berlin. Man kann sagen, dieser Herrscher sei, wie Ulbricht, in Berlin begraben). Anfang 1989 nun befindet sich Hacks in der Lage, daß sein bisher ungespieltes Stück gegen Honecker, auf den er inzwischen seine letzte Hoffnung setzt, von den inzwischen honeckermordenden Medien (etwa auch Elmar Fabers Aufbauverlag, Manfred Wekwerths Berliner Ensemble und Gerhard Ebert im Neuen Deutschland) plötzlich gefragt und geradezu überlaufen ist. Die Rede im vorliegenden Brief geht von der Zweimonatsschrift »Sinn und Form«.

    *

    Sibylle Wirsing, Dieter Hildebrandt, Westberliner Kritiker.

    Die Zensur-Forderung aus meinem Dramatiker-Manifest, Hacks hatte ein illegales Komitee der DDR-Dramatiker verleitet, von der Regierung die Einführung der Zensur in der DDR zu verlangen.

    Schulz, Max Walter Schulz, Chefredakteur von »Sinn und Form«, der, nach jahrelanger Verweigerung, Hacks’ »Jona« im (Dezember)-Heft 6-1988 abgedruckt hatte.

    Gremlica, richtig: Hermann L. Gremliza, Herausgeber der Zeitschrift »konkret«.

    Die Kugelköpfe, Hacks: »Die kleinen Männer mit den Kugelköpfen«, eine physiognomische Betrachtung über die Ähnlichkeit zwischen M. Gorbatschow und R. Bahro; »Perestroika ist einfach das russische Wort für New Age«; Erstdruck in Thomas Metschers und André Müllers Zeitschrift »Kultur und Gesellschaft« 11/12 1988.

    An Hacks Köln, 3. 2. 1989

    Liebster Peter,

    »Schöne Wirtschaft« ist eingetroffen. Meinen herzlichen Glückwunsch. Ich nehme es nachher mit nach Juntersdorf und lese es dann zum vierten Male; einzelne Kapitel habe ich noch öfter gelesen, und das Manuskript lag fast ein Jahr auf meinem abendlichen Büchertisch. Der Teufel mag wissen, weshalb mich das so interessiert. Aber die Privatuniversität von Herdecke studierte die gleiche Sache; ich lieh einer Dozentin das Manuskript zum lesen. Sie vervielfältigte es und reichte es rum. Es ist denen aber zu marxistisch.

    Ansonsten lebe ich schlecht. Diese blöden Parteikämpfe erreichen einen, auch wenn man nicht will, und erreichen sie einen, ärgert man sich. Mies will die Einheit erhalten und gibt also ständig der Opposition nach, die frecher ist als vorher. Was er Montags halbwegs richtig sagt, widerruft er Dienstags, mit Entschuldigungen an die O., als falsch. Es ist unerträglich. Ich werde für die letzte Nummer mit Manuskriptentzug bestraft. Im übrigen hatten wir immer recht, wenn wir die Apoisten nicht mochten. Was davon in die DKP geraten ist, entlarvt sich Tag für Tag als Ratte: Stalins Verbrechen in der Pädagogik, Stalins Verbrechen in der Gartenkunst, Stalins Verbrechen in der Sexualwissenschaft. Wenn ich die Nummern füllen will, muß ich das nur nehmen. Ganze Rattenscharen kommen. Und was von der APO nicht zu den »Erneuerern« zählt, taugt auch nicht. Nicht einer taugt davon. Es sind jeweils die 19, von denen in »Schöne Wirtschaft« gehandelt wird.

    Das Schlimmste ist aber: man kann sich dem Rattenklüngel nicht wirklich entziehen. Ich versuche es unentwegt und scheitere damit.

    Ich schicke Dir in den nächsten Tagen, was ich von »Candide« geschrieben habe. Es ist der Versuch für mich selber, um festzustellen, ob der von mir gedachte Stil geht. An Fabel für die Bundesrepublik habe ich nur: er sucht das Fräulein, findet und verliert sie wieder und wird am Ende mit ihr als angeblicher Agent entlarvt und in seine Gärtnerei zurück-geschickt. Die Schwäche der Fabel rührt aus ihrem Mißbrauch für Zeitkritik. Aber ich will ihn kurz durch die Ausbeutung (zwei oder drei kurze Kapitel) schicken, lang durch die romantischen Lösungsversuche der Weltverbesserer und am Ende noch kurz durch die Kunst. Wobei ich immer die ironisch erklärenden Kapitel einschiebe, die ich mir ausgedacht habe.

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