Capital History: Die großen Krisen der Weltwirtschaft: Blasen, Crashs und Paniken aus fünf Jahrhunderten
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Book preview
Capital History - Gruner Jahr Wirtschaftsmedien
Herzlichen Glückwunsch, lieber Leser, Sie sind offenbar ein kluger Antizykliker. Und Sie schauen voraus, indem Sie zurückschauen. Denn sonst hätten Sie sich nicht dieses Heft gekauft, ein Heft über die großen Krisen der Weltwirtschaft.
HORST VON BUTTLAR
Chefredakteur
Für uns, die Redaktion von Capital, ist dies eine besondere Ausgabe – denn erstmals bringen wir Capital History als eigene Marke an den Kiosk. Wir glauben, dass Wirtschaftsgeschichte wichtig ist und nicht nur lehrreich, sondern überaus spannend, Krimi, Saga und Dokumentation in einem. Kaum etwas hat die Menschheit, hat Fortschritt, Wohlstand und Verderben so geprägt wie die großen Krisen, Crashs und Paniken. Und wer sich genauer damit beschäftigt, wird Muster erkennen. Dass etwa Spekulationsblasen unvermeidlich sind. Dass Banken pleitegehen können. Staaten sowieso. Dass die Erholung nach großen Krisen wie der Lehman-Pleite langsam und schmerzhaft ist.
Warum aber sollten Sie sich das noch mal antun? Ist das alles, Lehman, die Eurokrise, nicht endlich vorbei? Auf diese Fragen gibt es eine simple Antwort: Nur wer die Lektionen der Geschichte verstanden hat, kann auch die Zukunft begreifen. Oder, wie mir vor Kurzem der Bankier Friedrich von Metzler sagte: „Eine langfristige Strategie kann man nur entwickeln, wenn man die Geschichte kennt." Sein Bankhaus gibt es immerhin seit 1674.
Herr von Metzler erzählte davon, wie sein Vater ihm die Lehren aus der Krise der 30er-Jahre (siehe auch Seite 68) immer wieder eingetrichtert hatte: Wenn eine große Bank pleitegeht, bricht Panik aus, im Geldsystem kommt es zum Infarkt. Eine Zentralbank muss dann die Märkte mit Geld fluten, den Kreislauf um jeden Preis in Gang bringen.
Ich glaube, dass wir Deutschen immer noch zu wenig über die großen Krisen wissen, unsere Wahrnehmung und unser Krisenmanagement sind geprägt von der Hyperinflation der 20er-Jahre, die schier übermächtig unser kollektives Gedächtnis überlagert. Das hat etwa zur Folge, dass wir wenig wissen über die Gefahren der Deflation. Oder die Rolle von Zentralbanken.
In den USA ist das anders: Da waren wie durch einen glücklichen Zufall nach Ausbruch der Finanzkrise einige Menschen an der Macht, die Experten auf dem Gebiet der Großen Depression waren – allen voran Ben Bernanke, von 2006 bis 2014 Chef der US-Notenbank. Nie wieder, so die Richtschnur seines Handelns, sollte Amerika in so eine tiefe Depression stürzen – und deshalb hat die Fed seitdem den Markt so aggressiv mit Liquidität versorgt.
Wir haben also Nachholbedarf, auch wenn wir die nächste Krise damit nicht verhindern werden. Denn wie notierte schon 1856 Walter Bagehot, der spätere Chefredakteur des „Economist: „Eines ist sicher: dass eine stattliche Menge dummer Menschen eine stattliche Menge dummen Geldes besitzt.
Viel Spaß (ja, das gilt auch für Krisen) beim Lesen!
Capital History erhalten Sie auch als E-Magazin bei iTunes oder als E-Book bei Amazon, Apple iBooks, Libri oder Skoobe
Inhalt
1. Blasen enden nie
Die Welt hat in der Geschichte viele Spekulationsblasen erlebt - und erlebt sie noch. Doch der Begriff ist trügerisch. Er gaukelt vor, dass es sich um das immer gleiche Phänomen handelt. Dabei kommt es auf die Unterschiede an.
2. Was kostet die Welt?
Unter Philipp II. stieg Spanien zur Supermacht des 16. Jahrhunderts auf. Doch der allmächtige Regent war ein ständiger Bittsteller bei seinen Bankern.
Er führte sein Land in den Bankrott. Nicht nur einmal.
3. Der Etat bin ich
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts droht Frankreich die Pleite. Der brillante Schotte John Law rettet das Land mit einem neuartigen Kreditsystem. Dann reißt er es in den Abgrund.
4. Als stünde der Feind vor der Stadt
Mitte des 19. Jahrhunderts hat der Kapitalismus gesiegt, und die Welt berauscht sich am Fortschritt. Doch 1857 geht im globalen Kasino das Licht aus – weil in New York eine Bank pleite ist.
5. Neues Deutschland
1873 verbrennen sich die Deutschen das erste Mal die Finger an Aktien: Auf die Gründerjahre folgt der Gründerkrach. Das Erbe dieser Krise hat Deutschland geprägt. Nicht nur im Guten.
6. Last man Standing
Die Krise von 1907 begann mit einem Erdbeben und einer missglückten Spekulation. Sie endete mit der Gründung der amerikanischen Zentralbank – und dem letzten großen Auftritt des Bankiers J. P. Morgan.
7. Wegen Pleite geschlossen
Im Sommer 1931 brachen die deutschen Banken zusammen. Aus einer schweren Rezession wurde die Weltwirtschaftskrise. Aus einer wackeligen Demokratie eine Diktatur.
8. Unsere Währung ist euer Problem
Beinahe drei Jahrzehnte lang hat das Währungsabkommen von Bretton Woods den Welthandel beflügelt. Doch Anfang der 70er-Jahre kollabiert das System, weil seine Architekten einen gefährlichen Fehler eingebaut haben.
9. Schiffbruch mit Tiger
1997 fand das „Ostasiatische Wunder" ein jähes Ende: Die überhitzte Wirtschaft der Tigerstaaten stürzte ab. Der IWF eilte zu Hilfe. Und machte alles nur noch schlimmer.
10. Die beste Blase aller Zeiten
Mit dem Siegeszug des Internets erfasste die Welt Ende der 90er-Jahre ein euphorischer Fortschrittsglaube. Kurz darauf implodierte die New Economy.
11. Lernen aus der Geschichte
Der Finanzmarktforscher und Wirtschaftshistoriker Benjamin Friedman über die Lehren aus den großen Crashs der vergangenen Jahre.
Capital
HISTORY
Die großen Krisen der Weltwirtschaft
In einer neunteiligen Serie beleuchtet Capital die großen Krisen der Weltwirtschaft. Von den Pleiten der Habsburger im 16. Jahrhundert bis zur Asienkrise 1997
1929
Sie sind Zuschauer des Massakers, aber viele von ihnen auch Opfer. Am 24. Oktober 1929, dem Schwarzen Donnerstag, versammeln sich Hunderte besorgte Bürger auf den Treppen gegenüber der New Yorker Börse. Eine Panik unter den Anlegern hatte die Kurse crashen lassen. In Europa kam die Welle zeitverschoben als Schwarzer Freitag an. Er wurde zum Auftakt der Weltwirtschaftskrise.
2008
Geschichte wiederholt sich nicht. Oder doch? Wieder einmal drängen sich am 30. September 2008 Schaulustige auf den Stufen. Seit die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers zwei Wochen zuvor die Pleite erklären musste, ging es mit den Kursen steil bergab. Und wieder riss die Finanzkrise die globale Ökonomie in den Abschwung.
Blasen enden nie
DIE WELT HAT IN DER GESCHICHTE VIELE SPEKULATIONSBLASEN ERLEBT – UND ERLEBT SIE NOCH. DOCH DER BEGRIFF IST TRÜGERISCH. ER GAUKELT VOR, DASS ES SICH UM DAS IMMER GLEICHE PHÄNOMEN HANDELT. DABEI KOMMT ES AUF DIE UNTERSCHIEDE AN.
TEXT: ROBERT J. SHILLER
Man möchte meinen, dass wir seit dem Platzen der größten weltweit je existierenden Immobilienblase und dem Ende einer großen globalen Börsenblase im darauffolgenden Jahr in einer Welt nach der Blase leben. Aber man hört immer wieder von Blasen – neue oder andauernde Immobilienblasen in vielen Ländern, eine neue globale Börsenblase, eine langfristige Blase auf dem Anleihemarkt in den USA und anderen Ländern, eine Ölpreisblase, eine Goldblase und so weiter.
Dennoch habe ich bei meinem Besuch in Kolumbien vor einiger Zeit keine Blasengeschichte erwartet. Aber auch dort berichtete man mir von einer aktuellen Immobilienblase. Mein Fahrer fuhr mit mir durch das Seebad Cartagena und zeigte mir mit einem Ton der Verwunderung in der Stimme verschiedene Häuser, die für Millionen Dollar verkauft worden waren.
Kolumbiens Zentralbank, die Banco de la República, führt einen Hauspreisindex für drei große Städte: Bogotá, Medellín und Cali. Der Index ist zwischen 2004 und 2012 effektiv (inflationsbereinigt) um 69 Prozent gestiegen, hauptsächlich nach 2007. Diese Zuwachsrate der Preise erinnert an die Erfahrung aus den USA, als der S&P/Case-Shiller-Hauspreisindex für zehn US-Städte vom niedrigsten Stand 1997 zum höchsten Stand 2006 effektiv um 131 Prozent zunahm.
Das wirft die Frage auf: Was ist eine Spekulationsblase genau? Das „Oxford English Dictionary definiert eine Blase so: „Alles, was zerbrechlich, substanzlos, leer oder wertlos ist, eine trügerische Vorführung. Seit dem 17. Jahrhundert oft verwendet für irreführende Wirtschafts- oder Finanzpläne.
Das Problem ist, dass Wörter wie „Vorführung und „Plan
eine absichtliche Handlung nahelegen statt eines verbreiteten sozialen Phänomens, das nicht von einem Unternehmer geleitet wird.
Vielleicht wird das Wort Blase zu leichtfertig verwendet.
Der Ökonom Eugene Fama ist davon überzeugt. Laut Fama, dem wichtigsten Verfechter der „Hypothese der effizienten Märkte, existieren Blasen nicht. In einem Interview 2010 mit John Cassidy für den „New Yorker
sagte er einmal: Ich weiß noch nicht einmal, was ,Blase‘ bedeutet. Diese Wörter sind in aller Munde. Ich glaube, sie bedeuten gar nichts.
In der zweiten Ausgabe meines Buchs „Irrationaler Überschwang: Warum eine lange Baisse an der Börse unvermeidlich ist habe ich versucht, eine bessere Definition für eine Blase zu finden. „Eine spekulative Blase
, schrieb ich damals, „ist eine Situation, in welcher sich die Nachricht von Preiserhöhungen durch psychologische Ansteckung von einer Person zur anderen ausbreitet, in einem Prozess, bei dem die Geschichten überhöht werden und so den Preisanstieg zu rechtfertigen scheinen. Das wiederum zieht „immer mehr Investoren an, die, trotz der Zweifel über den wahren Wert der Investition, einerseits aus Neid auf den Erfolg der anderen, andererseits aufgrund des Kitzels des Spiels nicht widerstehen können
.
Das scheint der Kern des Wortes in der Bedeutung zu sein, in der es am meisten verwendet wird. Aus dieser Definition geht implizit auch die Erklärung dafür hervor, warum es so schwer für „intelligentes Geld" ist, erfolgreich gegen Blasen zu wetten: Die psychologische Ansteckung ist einer Haltung förderlich, die die Preisanstiege rechtfertigt, sodass die Teilnahme an der Blase fast rational genannt werden kann. Aber sie ist nicht rational.
Die Geschichte ist in jedem Land anders und reflektiert überall die besonderen Umstände, die nicht immer mit denen anderer Länder übereinstimmen. In Kolumbien zum Beispiel hat die Regierung unter dem gut angesehenen Präsidenten Juan Manuel Santos damals die Inflation und Zinssätze auf das Niveau der Industrieländer gesenkt, dabei die Bedrohung durch die FARC-Rebellen beseitigt und der kolumbianischen Wirtschaft eine Vitalitätsspritze verpasst. Die Geschichte ist gut genug, um eine Immobilienblase zu erzeugen.
Da Blasen hauptsächlich sozialpsychologische Phänomene sind, sind sie auch schwierig zu kontrollieren. Das Eingreifen der Regulierungsbehörden seit der Finanzkrise kann Blasen in der Zukunft verringern. Aber die öffentliche Angst vor Blasen kann auch die psychologische Ansteckung befeuern und noch mehr selbst erfüllende Prophezeiungen hervorbringen.
Ein Problem mit dem Wort Blase ist, dass es die Assoziation einer größer werdenden Seifenblase hervorruft, die plötzlich und unwiederbringlich zerplatzt. Aber Spekulationsblasen sind nicht so einfach zu beenden, sie können etwas kleiner werden, wenn sich die Geschichte ändert, und dann wieder an Volumen zunehmen.
Es wäre korrekter, diese Episoden „Spekulationsepidemien" zu nennen. Wir wissen von Grippewellen, dass eine neue Epidemie plötzlich wieder hereinbrechen kann, während die davor gerade verschwindet. Und zwar dann, wenn eine neue Form des Virus auftaucht oder wenn ein Umwelteinfluss die Ansteckungsrate erhöht. Gleichermaßen kann eine neue Spekulationsblase überall auftauchen, wenn eine neue Geschichte über die Wirtschaft auftaucht und wenn sie genügend narrative Stärke besitzt, um eine neue Ansteckung der Investoren zu entfachen.
Das ist es, was im Hausse-Markt in den 1920er-Jahren geschehen ist, der 1929 seinen Zenit erreichte. Wir haben diese Geschichte verzerrt, indem wir an Blasen als eine Episode denken, in welcher die Preise