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Königin und Kojoten
Königin und Kojoten
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Königin und Kojoten

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Was als Romanze beginnt, wird in einer Gesellschaft, in der Geld und Statussymbole wichtiger sind als alles andere, schnell zu einem Spiel auf Leben und Tod. Und Fernanda, die Heldin dieses furiosen Romandebüts, spielt mit.
Fernanda glaubt, in Julio den Mann ihres Lebens gefunden zu haben - und lässt sich (zu) vieles gefallen. Wie Julio sein Geld verdient, liegt auf der Hand und wird von ihr dennoch verdrängt:
In einer Stadt wie Monterrey im Norden Mexikos, wo sich die Kartelle seit Jahren befehden ist der Drogenhandel zu einer Selbstverständlichkeit geworden, an der sich niemand mehr stört.
Mit derselben fatalen Selbstverständlichkeit lässt sich Fernanda, geblendet von einem Leben im Luxus, immer mehr in Gewalt und Gegengewalt verstricken.
Die mexikanische Autorin Orfa Alarcón schildert diesen Prozess in einer rasanten, beängstigend realistischen Sprache. So sehr der Leser im Rhythmus der gerappten Texte der Band Cártel de Santa auch mit Fernanda leidet - ihre allmähliche Emanzipation macht alles nur noch schlimmer ...
LanguageDeutsch
Release dateMar 10, 2014
ISBN9783803141491
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    Königin und Kojoten - Orfa Alarcón

    weiter...

    1

    Mir war klar, dass er mich mit einer Hand töten könnte. Er hatte im Dunkeln nach meinem Hals gegriffen, sein Körper lag auf mir. Lautlos hatte er das Haus durchquert, ohne Licht zu machen. Ich bin nicht erschrocken, weil er immer kommt, ohne sich anzukündigen, Herr und Gebieter. Er hielt mir den Mund zu und murmelte etwas Unverständliches. Ich durfte nicht fragen. Er biss mich in die Brüste, ohne meine Arme loszulassen, als würde ich sonst Widerstand leisten.

    Ich habe mich solchen Spielen nie widersetzt. Ich finde es aufregend, wenn einer Macht ausübt, den anderen unterwirft. Und noch mehr erregte mich der Gedanke, dass es für Julio nicht nur um Sex ging: Er bezwang meinen Körper, meinen Geist und meinen Willen. Tag und Nacht, allein oder in Gesellschaft, schlafend oder wach.

    »Ich will nicht noch mal hören, dass dich das ekelt.«

    Ich wusste nicht, was er meinte. Er hielt mir wieder den Mund zu, was mich wahnsinnig machte, so verrückt war ich danach, ihn zu beißen. Seit ich ihn das erste Mal sah, wollte ich mit meiner Zunge über seinen Hals fahren, ein Hund sein und ihm das Gesicht lecken. Seit mein Kiefer sich das erste Mal seinen Lippen genähert hat, hätte ich am liebsten von ihm abgebissen, seine Seele gekostet. Gut dressierter Hund. Reicher Leute Hund. Hund mit Killerinstinkt – vom ersten Moment an haben seine Augen mir Angst eingeflößt.

    »Damit du aufhörst, dich für was Besseres zu halten.«

    Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Er drang in mich ein.

    Ich biss ihn in die Hand, damit er sie von meinem Mund nahm.

    »Ich will dich lecken. Von oben bis unten.«

    Julio bot mir seinen Hals dar, vertrauensvoll wie einer treuen Dienerin, und ich begann, ihn abzulecken, so gierig wie beim ersten Mal. Wir drehten uns um: Ich oben, er unten. Ich leckte bis zu seinem Bauch hinab.

    »So ist ’s gut, ja, ja – was hörst du denn auf?«

    »Dein Schweiß ... schmeckt irgendwie anders.« Ich wischte mir den Mund ab.

    »Mach schon, besorg ’s mir, bis ich komme.«

    Zum ersten Mal mochte ich seinen Geschmack nicht, schmeckte er fremd, sauer, eklig.

    »Na los, blas mir einen.« Er hielt meinen Kopf fest.

    Mir wurde übel von diesem neuen Geschmack. Ich stemmte mich gegen ihn.

    »Was ist los? Gefall ich dir nicht mehr?« Er lachte und platzierte sich wieder wie am Anfang, als er nach einer Woche Abwesenheit direkt ins Bett gekommen war, woher auch immer, wer weiß auf welchen Wegen, mit welchem Schmutz an seinem Körper, dem Schweiß wie vieler Frauen; wütend drang er in mich ein, wie es eben seine Art war, als wolle er sich selbst beweisen. Meine Lust wich dem Schmerz, ich rang nach Luft, hoffte nur noch, dass er zu einem Ende käme, bevor er mir alle Knochen brach.

    »Damit du aufhörst, dich für was Besseres zu halten«, wiederholte er.

    Endlich kam Julio und schlief ein. Ich schmiegte mich an ihn, wäre ebenfalls eingeschlafen, hätte ich nicht noch immer den fauligen Geschmack im Mund gehabt. Schlaftrunken stand ich auf, um zu pinkeln und mir die Zähne zu putzen. Da begriff ich, was Julio meinte: Als ich nach der Zahnpasta griff, sah ich im Spiegel mein blutbeflecktes Gesicht. Brüste, Hände, das Innere meiner Schenkel, alles voller Blut. Ich schrie auf. Als wäre mir der Geist meiner Mutter erschienen. Ich schrie so laut, bis ich heiser wurde. Bis Julio ins Bad trat und mir eine Ohrfeige verpasste.

    »Damit du es weißt, das ist das Blut von einem Scheißkerl mit verdammt dicken Eiern. Und der ist draufgegangen, weil man im Leben nur weiterkommt, wenn man Schläge austeilt. Also komm mir nicht wieder, dass du kein verfluchtes Steak braten kannst, weil ’s dich ekelt. So ein Schwachsinn zieht bei mir nicht.«

    Erstarrt stand ich da und wollte nur noch unter die Dusche.

    »Wenn man austeilt!« Julio zog ab und schlug die Tür hinter sich zu.

    I

    Ich habe ihn im Vorbereitungskurs für die Uni kennengelernt. Das klassische Muttersöhnchen: Seine Mama brachte ihn bis zum Schultor und holte ihn dort wieder ab. Zu der Zeit hatte ich nur supercoole Typen im Kopf, und das war er noch nicht, aber ich redete mit ihm, weil er nett war, und da ich nicht leicht Freundschaften schloss, konnte ich mir nicht den Luxus erlauben, wählerisch zu sein.

    Kurz, er wurde mein bester Freund. Während des ganzen Kursjahrs heulte ich mich bei ihm aus, und da gab es einiges zum Heulen. Nicht, weil mein Leben besonders tragisch gewesen wäre, aber in dem Alter nimmt eben alles schreckliche Dimensionen an. Die Streitigkeiten mit meiner Schwester und meiner Tante, mein angeknackstes Selbstwertgefühl, die beliebten Jungs, die mich natürlich nie beachten würden ... alles war gleich das Ende der Welt. Außerdem war ich so eine Langweilerin, dass ich beim Abschlussfest die typische miese Tour aus den amerikanischen Filmen am eigenen Leib erfuhr: vom beliebtesten Jungen der Schule eingeladen und dann versetzt. Und ich machte es sogar noch schlimmer, indem ich so naiv war, allein zum Ball zu gehen, um nach ihm zu suchen, weil ihm ja vielleicht etwas dazwischengekommen sein konnte, sodass er mich nur nicht abgeholt hatte (ja, ja, er hatte mir sogar weisgemacht, er würde mich zu Hause abholen). Den Rest kann man sich denken: das doofe dicke Mädchen im Abendkleid, das sich auf der Toilette die Augen ausheult. Die angeblichen Freundinnen, die der Heulsuse genervt ein paar tröstende Worte zuwispern und sofort weitertanzen.

    Aber meine Geschichte hat ein Extra: einen entschlossenen Komparsen, der die Tür zur Damentoilette nicht nur aufstieß, sondern trotz der allgemeinen Entgeisterung durchschritt.

    »Na komm, du wirst doch nicht wegen diesem Idioten heulen. Du hast schließlich mich.«

    Er zog mich nach draußen, und in diesem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Julio war nicht mehr der schmächtige, nach Eau de Cologne riechende Schnösel. Julio war energisch genug, um mit mir zu machen, was er wollte. Ich hatte das Gefühl, als sähe ich ihn zum ersten Mal, nicht den Julio von früher, sondern einen ganz neuen, den ich gar nicht kannte und der tatsächlich mit mir machte, was er wollte.

    II

    Wer hätte den nicht gern gehabt? Mara betrat den Saal mit so erhobenem Kinn und herablassendem Blick, als säße sie am Steuer eines BMW oder als trüge sie den letzten Schrei von Tous, bevor er überhaupt in den Geschäften war, oder als spaziere sie Arm in Arm mit Orlando Bloom höchstpersönlich herein. Tatsache. Sie hatte instinktiv ein spöttisches Lächeln aufgesetzt, das ihr aber nicht richtig gelang, weil sie es nie geübt hatte; es war das erste Mal, dass sie mit etwas angeben konnte, und noch dazu mit etwas, worum man sie wirklich beneiden konnte. Mara, dreißig Jahre, klatschdick Schminke, mit einer roten Kunstlederjacke und darunter einem Top, das sexy sein sollte, was ich aber erst viel später merkte, als ich sie auf der Toilette traf und ihr mit einem Blick zu verstehen gab, dass ich die Partie gewinnen würde. Wer hätte den nicht gern gehabt, ein besser aussehender Mann war mir im Leben noch nicht untergekommen.

    »Na, gefällt dir mein Freund?«, fragte sie und sah mich im Spiegel an; direkter traute sie sich nicht.

    »Aber klar.«

    Mara hatte den abgefuckten Korridor an Julios Arm durchquert. Oder ihn vielmehr mitgezerrt. Als ich ihn sah, wusste ich, dass ich meine letzten falschen Wimpern verspielen würde, um ihn zu kriegen. Ich saß auf diesem blöden Stuhl am Eingang, ohne mich entschließen zu können, ob ich zur Party reingehen sollte oder nicht. Es war das Willkommensfest an der Uni, und die Erstsemester waren so euphorisch, als kämen sie zum ersten Mal mit Ausweis in eine Disko rein. Ich versuchte, Dante und eine Freundin per SMS zu überzeugen, uns an einem dezenteren Ort zu treffen, wo uns keine achtzehnjährigen Kiddies auf die Pelle rücken würden. Ich tippte gerade die zigste Nachricht, als ich Mara mit ihrem Typen eintrudeln sah.

    Seit Wochen hatte Mara während der Pausen im Hörsaal von ihm gesprochen, ihn aber nie genauer beschrieben. Keiner von uns anderen war eingefallen, nachzuhaken. Bei Mara stellte man sich einen Schnarcher mit Glatze, Brille und Bauch vor, der auf irgendeinem Amt stempelte. Mara kriegte nie was Ansehnliches ab. Sie trafen sich seit ein paar Wochen, und als Mara ihn einmal fragte, was sie nun seien, habe er geantwortet, es sei ihm nicht eilig, ihre Verbindung zu definieren, sie sei das Beste, was ihm je passiert sei, er wolle nichts überstürzen und damit vielleicht kaputtmachen. Mir war nicht ganz klar, ob Mara aus mangelnder Erfahrung oder aus Dämlichkeit sagte, sie finde das wundervoll, so zumindest erzählte sie es mir am nächsten Tag: »Mein Baby ist einfach wundervoll.« Mir schauderte bei der Vorstellung des Glatzkopfs in Windeln. Deshalb ging ich auch ohne jede Spur von Neugierde auf die Willkommensparty, ich dachte nicht mal an die Geschichte, weil ich davon ausging, dass Mara gar nicht erst kommen würde, um ihren Freund nicht mitbringen zu müssen, über den wir uns sonst den Mund zerreißen würden. Aber sie kam. Stolz, als habe sie George Clooney am Wickel, und mehr als einer von uns klappte beim Anblick ihres Exemplars die Kinnlade herunter (ich wette, wir waren uns alle unausgesprochen einig, dass das zu viel Kerl war für Mara Pummelbrillenschlange).

    Dante schickte mir eine SMS, ein »minderjähriger Loser« habe ein Auge auf ihn geworfen, wir könnten gehen, wann immer ich wolle, worauf ich antwortete: »ICH GEH 1 MOMENT REIN, HAB FRISCHFLEISCH GESEHN«.

    Mara wankte bemüht lässig auf ihren zwölf Zentimeter-Absätzen. Ich würde reingehen, mich eine Weile nicht vom Fleck rühren, ein paar Drinks angeboten kriegen. Irgendwann würde ich mich an den Typen ranmachen, ohne dass er etwas von meiner Beobachtungstaktik gemerkt hätte.

    Mara tat wieder so, als sähe sie mich nicht, sie kam nicht mal zu mir, um mit ihrem Nicht-Glatzkopf anzugeben. Aber er nahm sie auch völlig ein, Mara war gar nicht mehr fähig, irgendetwas anderes mitzubekommen.

    Ich ließ einen angemessenen Zeitraum verstreichen; lang genug, damit Mara sich mit ihrem Femme-fatale-Getue lächerlich machen konnte, aber nicht so lange, dass eine andere Bitch mir zuvorgekommen wäre.

    Mara war die Älteste unserer Gruppe. Wir fanden sie alle furchtbar – weil sie sich so schrecklich anzog, weil sie so dämlich war (aber trotzdem immer gerade genug auswendig lernte, um die besten Noten einzuheimsen) und weil sie sich in allen Kursen ständig meldete, um irgendeinen Schwachsinn zu labern. Sie war unglaublich dämlich (einmal brachte ein Kommilitone sie in einem Kurs zum Heulen, als er sagte, sie solle sich lieber zu Hause um ihre Tochter kümmern, statt ihre Zeit an der Uni zu vergeuden, was nur dazu führte, dass sie noch übereifriger wurde und ihr Foto auf die Ehrentafel kam). Zu mir war sie allerdings sehr nett. Da sie eine Freundin meiner Schwester war, dachte sie, dass sie folglich auch meine Freundin war. Fehlschluss. Aber Mara nahm es uns nicht übel, dass wir uns über sie lustig machten. Ich wette, sie bewunderte, respektierte oder beneidete uns sogar, weil wir nicht für eine Familie zu sorgen hatten. Sie versuchte immer, sich in die Gruppe zu integrieren, indem sie uns ihre Notizen lieh oder mit uns lernte. Eine Zeit lang hatten wir sie nicht mal mehr so dick, und sie erzählte uns ganz treuherzig von sich: wie sie per Anwalt um das Sorgerecht für ihre Tochter kämpfen musste, von den Problemen mit ihrer Mutter, von ihrem neuen Freund ... Sachen, die uns herzlich wenig interessierten, denn Mara gehörte nicht zu uns. Ihr neuer Kerl interessierte mich jetzt aber sehr wohl.

    »Du hast uns gar nicht vorgestellt, Mara«, sagte ich, ohne sie zu begrüßen, damit gleich klar war, um wen es hier ging.

    »Das ist Julio.«

    »Tanzt du nicht?« Das war mein Einsatz.

    Während der nächsten Stunde ließ ich ihn nicht mehr los.

    Mara führte sich auf wie ein verzogenes kleines Mädchen: Sie schrie, plärrte, heulte. Irgendwann folgte sie mir auf die Toilette und sagte:

    »Mein Freund gefällt dir also, was?«

    Aber klar doch.

    Ich verließ die Toilette vor ihr, damit sie mich bei ihrer Rückkehr in den Armen des »Exemplars« sah.

    Mara redete danach natürlich nie wieder ein Wort mit mir, und es war vorbei mit irgendwelchen Gefallen für die Clique, zu der sie auch gar nicht mehr gehören wollte. Ich fühlte mich ein bisschen schlecht, ihr die Sache mit Julio verdorben zu haben, aber Gott. Ob die Beziehung es wert war? Kurz, krankhaft, intensiv wie sie war, allemal, allein seine Stimme, sein Auftreten, seine Haut machten alles wett. Ganz egal, wie schlimm und schmerzhaft es kam, wie geschunden mein Herz zurückblieb.

    III

    »Großer dunkelhaariger Wahnsinnstyp.« Er sah aus wie einer einschlägigen Annonce entstiegen. Ein Wahnsinnstyp von hinten. Normalerweise verfliegt das Verlangen, ist es einmal gestillt, doch dieses Verlangen sollte nicht einmal verfliegen, als es längst gestillt war. Ich ging direkt auf ihn zu und stellte mich hinter ihn in die Schlange am Busfahrkartenschalter. Eine raue, dabei nicht kratzige Stimme. Mir fiel ein, dass ich kein bisschen Make-up im Gesicht hatte, meine Augen aufgequollen waren, meine Haare nach Rauch stanken und mein Kopf dröhnte. »Abgefucktes Partygirl mit Hangover und Jointwolke.«

    Das hörte sich eher an wie eine Annonce für die Müllabfuhr.

    Aber das hielt mich nicht davon ab, mich hinter dem Prachtexemplar zu postieren. Unwahrscheinlich, dass er sich überhaupt nach mir umdrehen würde. In meinem Zustand würde sich niemand nach mir umdrehen. Der Besuch bei meiner Tante Marina, der eigentlich vierundzwanzig Stunden dauern sollte, war auf eine Nebenspur geraten, als ich ein paar Geologiestudenten kennenlernte, die mangels sonstiger Vergnügungen in Linares ihre eigene Party organisierten und ein Pseudo-Nirwana in einer ehemaligen Hacienda von Guadalupe veranstalteten. Nicht, dass die Typen besonders spannend gewesen wären, aber ich fand es gut, dass sie sich

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