Mit Kindern Musik entdecken: Musikalisches Experimentieren und Gestalten in der frühpädagogischen Bildungsarbeit
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Praktische Tipps und anschauliche Beispiele laden zu einer spannenden musikalischen Entdeckungsreise ein: Lauschorte entdecken, Namen erfinden für Klänge oder aufspüren, wie Emotionen und Klänge zusammenhängen - dies sind nur einige Beispiele, wie Kinder und Erwachsene zu kreativen Klangforschern werden. Sie erkunden Musik und Bewegung als alltägliches Ausdrucksmittel und erproben sich spielerisch beim "klangvollen" Experimentieren, Lernen und Gestalten. Die Fragen im Buch regen Erwachsene an, Musik mit Kindern noch einmal ganz neu zu entdecken.
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Book preview
Mit Kindern Musik entdecken - Johannes Beck-Neckermann
Beck-Neckermann
Teil I
Klangforscherin und Musikgestalterin sein
Kinder handeln von Geburt an musikalisch. Hochsensibel lauschen bereits Säuglinge und Kleinkinder den akustischen Reizen ihrer Lebenswelt. Mit der Stimme erzeugen sie selbst Geräusche, Klänge und Töne. Mit den Händen greifen sie nach den sie umgebenden Gegenständen und Materialien, dabei interessieren sie sich häufig auch für deren Klangeigenschaften. Aus diesem Verständnis vom Kind als geborenem »Klangforscher« und »Musikgestalter« ergeben sich Fragen für die frühpädagogische Bildungsbegleitung. Welche Vorstellungen von »musikalischer Aktivität« und »Musikalität« liegen dieser Haltung zugrunde? Was ist nach diesem Verständnis eine musikalische Erfahrung? Das Spiel der Kinder im folgenden Beispiel macht dies deutlich.
Vier Kinder rennen durch den Raum, jedes Kind in seinem Tempo und immer der eigenen Nase nach. Dabei schütteln sie sehr ausdauernd und lautstark alle verfügbaren Rasseln.
Unmittelbar beim Beobachten entstehen hier Fragen: Sind bei diesem Spiel musizierende Kinder am Werk? Oder machen sie einfach nur Lärm? Mit welcher Haltung zu Musik und zu musikalisch aktiven Kindern müssen wir hinschauen, um zu erkennen, was hier (musikalisch) erforscht und gestaltet wird? Und jenseits dieser theoretisch-reflektierenden Fragen interessiert natürlich die Perspektive der Interaktion: Wie reagiere ich als Spielbegleiter? Soll ich die Kinder reglementieren: »Setzt euch bitte! Ich möchte nicht, dass ihr mit Instrumenten durch den Raum rennt.« Oder wäre es angebracht, das gemeinsame Spiel zu strukturieren: »Kommt mal her, ich zeige euch einen Rasselrhythmus.«
Vielleicht wäre es auch sinnvoll, das Spiel zu kommentieren und eine eigene Forschungsfrage zu stellen: »Ihr verteilt eure Rasselklänge im ganzen Raum. Nur nicht unter dem Tisch. Klingen Rasseln im Schatten nicht?« Jede dieser Reaktionen transportiert unausgesprochen eine Vorstellung von dem, was »Musik« zu »Musik« macht, und von dem, was man als Musiker tun und erleben kann und darf. Die Kinder spüren in der Reaktion der Erwachsenen, was als musikalische Aktivität erkannt und wertgeschätzt wird. Sie merken, für welche musikalischen Erfahrungen sie mit Unterstützung und weiterer Anregung rechnen können.
Im Kontext der Bildungsarbeit in Kindertagesstätten ist es wichtig zu reflektieren, durch welche Reaktionen die Kinder am deutlichsten spüren, dass sie von der Erzieherin als »Klangforscher und Musikgestalter« wahrgenommen werden. Auf dieser Basis lässt sich herausfiltern, zu welchen weiteren musikalischen Erfahrungen die Kinder angeregt werden können. Um hier eine klare Einschätzung zu treffen, muss man sich im Rahmen der frühpädagogischen Erziehungs- und Bildungsarbeit auf ein Konzept von »musikalischer Aktivität« und »Musikalität« beziehen können. Dieses baut darauf auf, musikalische Aktivität als eine jedem Menschen zugängliche und alltägliche Erfahrung zu begreifen, die unabhängig von spezifischen Begabungen ist. Anliegen der folgenden fünf Abschnitte ist es, ein entsprechendes Konzept zu formulieren.
Sich lauschend in der Welt bewegen
Die Geräusch- und Klangwelt am Schreibtisch
Am Schreibtisch sitzend, schließe ich die Augen und lausche. Eher von fern nehme ich das Ticken eines Weckers wahr. Beim genaueren Hinhören bemerke ich einen regelmäßigen Wechsel im Klang des Tickens: hoch und tief und hoch und tief usw. Im tiefen Ticken höre ich ein zweites kurzes Nachruckeln, wie ein leises, kaum wahrnehmbares Echo. Während ich dem Ticken des Weckers zuhöre, gewinnt allmählich ein Rauschen meine Aufmerksamkeit. Unter die Lüftungsgeräusche der Computer-Festplatte mischt sich das Rauschen der Heizung. Beides ist voneinander kaum zu unterscheiden. Ich lausche diesem Klangteppich von rhythmischem Ticken und Rauschen. Ein immerwährendes Weiterklingen, hin und wieder ergänzt von den Geräuschen eines vorbeifahrenden Autos und dem plötzlich alles übertönenden Neun-Uhr-Läuten der Kirchturmglocken.
Musik entsteht, wenn wir »ganz Ohr« werden und um des Lauschens willen lauschen. Ein einfaches akustisches Ereignis kann sich durch aufmerksames Hinhören in Musik verwandeln – wie im obigen Beispiel das Ticken des Weckers. Bei intensivem Hinhören sind dabei im Sekundentakt mehrere Geräusche zu entdecken. Deren regelmäßiger Rhythmus »Ticken–Stille–Ticken–Stille« kann beim Hörer eine Empfindung von Spannung, vielleicht aber auch von Langeweile erzeugen.
Wer aufmerksam in die Lebenswelt hineinlauscht, kann immer wieder diese kleinen Musikstücke des Zufalls entdecken. Vielleicht korrespondiert die Klang- und Geräuschwolke des Müllautos mit dem Gesang der Amsel. Vielleicht füllt sich die Stille einer Winternacht mit dem Knister-Rhythmus einer Kerze. Solche kleinen musikalischen Miniaturen entstehen alltäglich für diejenigen, die aus der puren Lust am Lauschen hinhören. Gleichzeitig können im Radio gesendete Musikstücke unbemerkte Geräuschkulisse bleiben. Sie fließen zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus, ohne dass dabei im Hörer Musik entsteht.
Unsere schöpferische Aufmerksamkeit und Empfänglichkeit ermöglicht es uns, in akustischen Ereignissen Musik zu entdecken. Wir erschaffen im Prozess des Hörens aktiv Musik. Nach diesem Verständnis entsteht Musikalität aus der menschlichen Fähigkeit, empfindsam, neugierig und ausdauernd zu lauschen. Wir entwickeln Musikalität in einer individuellen Art und Weise, wenn wir uns bewusst und gern lauschend in der Welt