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Lexikon des internationalen Films - Filmjahr 2011: Das komplette Angebot im Kino, Fernsehen und auf DVD/Blu-ray
Lexikon des internationalen Films - Filmjahr 2011: Das komplette Angebot im Kino, Fernsehen und auf DVD/Blu-ray
Lexikon des internationalen Films - Filmjahr 2011: Das komplette Angebot im Kino, Fernsehen und auf DVD/Blu-ray
Ebook2,233 pages26 hours

Lexikon des internationalen Films - Filmjahr 2011: Das komplette Angebot im Kino, Fernsehen und auf DVD/Blu-ray

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About this ebook

Für jeden Filminteressierten unverzichtbar: Auch für das Jahr 2011 bietet das Filmjahrbuch für jeden Film, der in Deutschland und der Schweiz im Kino, im Fernsehen oder auf DVD/Blu-ray gezeigt wurde, eine Kurzkritik und zeigt mit klaren Maßstäben inhaltliche Qualität und handwerkliches Können.

Die Rubriken Die besten Kinofilme, Sehenswert 2011 und schließlich die Prämierung von rund 50 besonders herausragenden DVD-Editionen (der Silberling der Zeitschrift film-dienst) machen Lust, den einen oder anderen Film kennenzulernen oder ihn erneut anzusehen.

Das Jahrbuch 2011 trägt der steigenden Zahl von Blu-ray-Editionen in einem eigenen Besprechungsteil Rechnung.

Ein detaillierter Jahresrückblick lässt Monat für Monat die besonderen Ereignisse des vergangenen Filmjahrs Revue passieren.

Der Anhang informiert über Festivals und Preise.
Zugabe: Mit dem Kauf des Buches erwirbt man für sechs Monate die Zugangsberechtigung für die komplette Online-Filmdatenbank des film-dienst im Netz mit über 70.000 Filmen und 220.000 Personen und somit Zugang zu allen Kritiken und Hintergrundinformationen.

Neu ist in dieser Ausgabe ein Schwerpunkt zum Kinder- und Jugendfilm
LanguageDeutsch
Release dateApr 4, 2012
ISBN9783894727970
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    Book preview

    Lexikon des internationalen Films - Filmjahr 2011 - Schüren Verlag

    Filmjahr 2011

    LE HAVRE (Pandora)

    Filmjahr 2011

    Lexikon des Internationalen Films

    Das komplette Angebot in Kino, Fernsehen

    und auf DVD/Blu-ray

    Redaktion

    Horst Peter Koll und Hans Messias

    Mitarbeit DVD/Blu-ray

    Jörg Gerle

    Herausgegeben von der Zeitschrift FILM-DIENST

    und der Katholischen Filmkommission für Deutschland

    Mit einem Kino-Brevier des Verbands der deutschen Filmkritik e.V.

    (VdFk)

    und einem Brevier zum Kinderfilm in Deutschland

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Lexikon des Internationalen Films

    Begründet von Klaus Brüne (1920–2003)

    Das Magazin FILM-DIENST erscheint alle 14 Tage. Kostenloses Probeheft unter: film-dienst-Leserservice, Heinrich-Brüning-Str. 9, 53113 Bonn. Im Internet: www.film-dienst.de

    Bildnachweis: wenn nicht anders angegeben: Archiv FILM-DIENST

    Diesem Buch liegt eine Karte für Ihren persönlichen Zugang zur Internet-Datenbank der Zeitschrift FILM-DIENST bei. Sollte diese Karte verloren gegangen sein, melden Sie sich bitte bei Olga Bowdurez, bowdurez@kna.de.

    Originalausgabe

    1.–5. Tsd.

    Schüren Verlag GmbH

    Universitätsstraße 55 · D-35037 Marburg

    www.schueren-verlag.de

    © Schüren Verlag 2012

    Alle Rechte vorbehalten

    Gestaltung: Erik Schüßler

    Korrektorat: Thomas Schweer

    Umschlaggestaltung: Wolfgang Diemer, Köln

    Piktogramme: Wolfgang Diemer

    Umschlagfoto vorne: PINA (NFP 7 Warner Bros.),

    Umschlagfoto hinten: TRUE GRIT (Paramount),

    Foto Buchrücken: DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE (Tobis Film)

    Datenbankkonzeption: TriniDat Software-Entwicklung

    Druck: CPI – Clausen & Bosse. Leck

    Printed in Germany

    ISSN 2191-317X

    ISBN 978-3-89472-750-5

    Auch als ePub: 978-89472-797-0

    Inhalt

    Vorwort «Filmjahr 2011»

    Im Jahr der dritten Dimension Das Kinojahr 2011 in einer Art von Jahreschronik

    KINDERFILM-AKTION 2012: Der Kinderfilm in Deutschland könnte besser sein

    Kein Mut, kein Geld

    Steckt der deutsche Kinderfilm in einer Krise?

    Katrin Hoffmann

    Für Vielfalt

    Margret Albers

    Gut gemeint reicht nicht

    Vom SIngen im Chor des Kinderfilms

    Klaus-Dieter Felsmann

    Letzte Vorstellungen

    Schön, dass der Kinderfilm in Deutschland in Schwung kommt

    Christian Exner

    Mehr Durchblick

    Beim Kinderfilm kompromisslos auf Qualität setzen

    Reinhold T. Schöffel

    Der Kinderfilm kann gar nicht besser sein Wider überholte Denkmuster des Jugendmedienschutzes

    Holger Twele

    Der Kinderfilm hat keine Lobby

    Margret Köhler im Gespräch mit Produzentin

    Uschi Reich

    «Besucherzahlen oder ‹die Quote› dürfen nicht als alleiniger Maßstab des Erfolgs dienen»

    Manfred Hobsch im Gespräch mit Kulturstaatsminister Bernd Neumann

    «Wir müssen bei der Entwicklung von Drehbüchern ansetzen»

    Manfred Hobsch im Gespräch mit Angelika Krüger-Leißner (SPD)

    «Es reicht nicht, den Kampf gegen bekannte Marken anzukündigen…»

    Manfred Hobsch im Gespräch mit Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    «Für uns Filmemacher war es damals sehr viel einfacher, Originalstoffe finanziert zu bekommen»

    Katrin Hoffmann im Gespräch mit Regisseur Arend Agthe

    «Und dann ging es Jahre lang keinen Schritt weiter…»

    Fragen an Regisseur/Autor Bernd Sahling zu seinem neuen Spielfilm

    «Der Kinderfilm sitzt nicht am Katzentisch»

    Reinhard Kleber im Gespräch mit Alfred Holighaus

    Petition des Berliner Film- und Fernsehverbands

    Kinderfilm – eine Gattung nimmt Fahrt auf

    Das Kinojahr 2011 aus Kindersicht

    NOTIZEN ZUM KINO # 08

    Brevier des Verbands der deutschen Filmkritik e.V. (VDFK)

    (Deutsche Sektion der FIPRESCI)

    Brennpunkt Berlinale

    von Frédéric Jaeger, Hans-Georg Rodek

    Die Berlinale unter Dieter Kosslick

    Eine Chronik deutscher Feuilletons

    Die Berlinale kann gar nicht besser sein! Oder doch? Sechs Thesen zur Berlinale

    Von Rüdiger Suchsland

    Das Gras wachsen hören Stimmen aus dem Symposium

    zusammengestellt von Wilfried Reichart

    Der abgeschlagene dritte Platz Internationale Ansichten zum Stand der Berlinale

    von David Hudson

    Lexikon der Filme 2011

    Die besten Kinofilme des Jahres 2011

    «Sehenswert» 2011

    Kinotipp der katholischen Filmkritik

    Die Silberlinge 2011

    Die herausragenden DVD-und Blu-ray-Editionen

    Preise

    Preis der deutschen Filmkritik 2011

    Festivalpreise 2011 der internationalen katholischen Organisation SIGNIS

    Deutscher Filmpreis 2011

    Bayerischer Filmpreis 2011

    Hessischer Filmpreis 2011

    Europäischer Filmpreis 2011

    Französische Filmpreise 2011 («Césars»)

    Internationale Filmfestspiele Berlin

    Internationale Filmfestspiele in Cannes

    Die internationalen Filmfestspiele in Locarno

    Die internationalen Filmfestspiele in San Sebastián

    Die internationalen Filmfestspiele in Venedig

    Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg

    Weitere Festivalpreise 2011

    Caligari-Filmpreis 2011

    Amerikanische Akademiepreise 2011 («Oscars»)

    Lexikon der Regisseure 2011

    Lexikon der Originaltitel 2011

    Die Anschriften aus Film und Fernsehen können im Internet u. a. auf der Seite http://film-dienst.kim-info.de/anschriften.php recherchiert werden.

    Vorwort

    «Filmjahr 2011»

    Das Kino befindet sich in einer Umbruchsituation. Digitalisierung lautet das Schlagwort. Aus Filmen werden Datenpakete. Wenn der digitale Projektor im Vorführraum endgültig die knatternde 35mm-Maschine ersetzt hat, dann wird man den Kindern in Zukunft erklären müssen, wie das alles einmal war, als die Bilder noch auf Zelluloidstreifen festgehalten wurden. Im Bereich der Produktion und Postproduktion ist die Digitalisierung schon seit Ende der 1990er-Jahre an der Tagesordnung. Dabei zeigten sich zwei gegenläufige Tendenzen: Die Möglichkeiten der digitalen Technik erlaubten sowohl eine Steigerung des Aufwands bei der Produktion als auch eine Reduzierung auf die einfachsten Möglichkeiten des Films. Kein Blockbuster erscheint seitdem, der nicht mit aufwändigen Spezialeffekten digital nachbearbeitet worden wäre. Aber mit einfachen Digitalkameras wurden auch Spiel- und Dokumentarfilme (Dogma-Filme, THE BLAIR WITCH PROJECT, BUENA VISTA SOCIAL CLUB) realisiert, die durch einen bewussten Verzicht auf ein Zuviel an Technik auf die Ursprünge des Kinos zurückverwiesen.

    Blockbuster reizen derzeit weiterhin die technischen Möglichkeiten digitaler Technik aus, 3D-Filme sorgen für Zuwächse beim Umsatz. In Deutschland haben 3D-Filme inzwischen nach Angaben der Filmförderungsanstalt einen Marktanteil von 22,8 Prozent erreicht. Das furiose Finale der Harry-Potter-Saga, HARRY POTTER UND DIE HEILIGTÜMER DES TODES in zwei Teilen, steht symptomatisch für den Trend, mit Hilfe der Technik fantastische Welten zu erzeugen, die den Zuschauer förmlich ins Geschehen hinein ziehen. Aber das bedeutet nicht, dass sich das Kino mit den technischen Möglichkeiten immer mehr auf das Fantastische verlegt. Wim Wenders hat die 3D-Technik in PINA, seiner grandiosen Hommage an die Choreografin Pina Bausch, eindrucksvoll genutzt, um die analoge Kunst des Tanztheaters im Kino neu erlebbar zu machen. Terrence Malick versuchte in THE TREE OF LIFE, dem Gewinner der «Goldenen Palme» in Cannes 2011, nicht weniger als die gesamte Geschichte der Schöpfung in Bildern einzufangen. Und dann bezauberte ein Film die Zuschauer in Cannes, THE ARTIST, der als Stummfilm und in Schwarz-Weiß die gute alte und große Zeit des Kinos zu Beginn der Tonfilm-Ära aufleben lässt und erinnert darin, dass Emotionen die beste «Technik» des Kinos sind. (THE ARTIST kam im Januar 2012 in die deutschen Kinos.)

    Das Kino bleibt also spannend und vielfältig. Die ganze Breite des Angebots findet sich wie gewohnt in der vorliegenden Bilanz des Filmjahrs 2011. Neben den Lexikoneinträgen zu jedem Film, der in Deutschland im Kino, im Fernsehen und auf DVD/Blu-Ray veröffentlicht wurde, gibt es Informationen über die Preise bei internationalen Filmfestivals, über herausragende Filme, die Jahreschronik, Beiträge des Verbands der deutschen Filmkritik und – erstmals – einen Themenschwerpunkt «Kinderfilm». Dieser soll einerseits für die schwierige Situation des guten Kinderfilms sensibilisieren, andererseits die Orientierung innerhalb des Jahresangebots erleichtern, dies mit Hilfe von Empfehlungen des Kinder- und Jugendfilmzentrums für Deutschland. Das Jahrbuch will also nicht nur ein Erinnerungsalbum sein, in dem man blättert, um sich an das zu erinnern, was man gesehen hat, sondern es will auch dazu anregen, sich intensiver mit Filmen auseinanderzusetzen, die man im Kino verpasst hat oder unbedingt mehrfach sehen muss.

    Für die Mühe beim Erfassen und Überprüfen der Daten des Kinojahrs 2011 danken die Herausgeber den beteiligten Redakteuren und Mitarbeitern, Horst Peter Koll, Hans Messias sowie Jörg Gerle. Ein besonderer Dank gilt wie immer auch den FILM-DIENST-Kritikern, auf deren Rezensionen sich die Lexikoneinträge stützen, sowie dem Schüren-Verlag für das publizistische Engagement.

    Dr. Peter Hasenberg

    Katholische Filmkommission für Deutschland

    Im Jahr der dritten Dimension

    Das Kinojahr 2011 in einer Art von Jahreschronik

    Unterm Strich bot 2011 einen vitalen, bemerkenswert abwechslungs- und ereignisreichen Kinojahrgang. Wobei, zugegeben, für die Mehrheit der deutschen Kinogänger der Höhepunkt dieses Kinojahrs bereits mit dem «Harry Potter»-Finale erreicht war – selbstredend nun auch in 3D, und das als durchaus überzeugendster Versuch, die dritte Dimension in einen «Real»-Film zu übersetzen, überzeugend vor allem, weil hier die Künstlichkeit des Kino-3D zum «natürlichen» Stilelement des Fantastischen wird.

    Das Motto des Films «Es endet alles» ist aber auch jenseits von «Harry Potter» eine motivische Konstante des Filmjahrs 2011: Katastrophen, GAUs und die Konfrontation mit den «letzten Dingen» tauchen immer wieder auf. Bereits beim Festival in Cannes stößt Terrence Malicks THE TREE OF LIFE (Start: 16.6.) auf Lars von Triers MELANCHOLIA (Start: 6.10.) – beides «kosmische», eschatologische Entwürfe über die «conditio humana» in einem ebenso grandiosen wie gleichgültigen Weltall, wobei THE TREE OF LIFE mit dem leidenden Individuum sympathisiert und letztlich die tröstliche Vision eines Aufgehoben-Seins im «großen Ganzen» entwirft, während von Trier gerade in der Aussicht auf die totale Auslöschung sein Heil findet. Um eine Reaktion im Angesicht einer verheerenden Krise, aber auch um die «moralische Konstitution» der Gesellschaft, die sie herauf beschworen hat, geht es auch in DER GROSSE CRASH – MARGIN CALL (Start: 29.9.), konkret: um den Börsencrash 2008. Und vielleicht könnte man auch Christoph Hochhäuslers UNTER DIR DIE STADT (Start: 31.3.) in diesem Kontext als «Katastrophenfilm» betrachten. Zwar dient in dem Liebesdrama aus der Frankfurter Hochfinanz der Bankencrash nur als Hintergrundfolie, doch das Psychogramm einer Machtelite, die mit virtualisierten Werten in schwindelerregenden Dimensionen jongliert – und dazu gehört hier nicht nur das Geld, sondern auch die eigene «konstruierte» Identität –, skizziert den Drahtseilakt, der den Absturz impliziert. UNTER DIR DIE STADT wird neben Andreas Dresens HALT AUF FEIER STRECKE (Start: 17.11.) zum herausragenden Beitrag des künstlerisch in 2011 nicht gerade glänzenden deutschen Films.

    Wie sieht es angesichts solcher Krisenszenarien mit der vielbeschworenen Kinokrise aus? Zumindest mit Blick auf die Besucherzahlen gibt es keinen Anlass für Untergangsfantasien: Gegenüber dem mauen Vorjahr lässt die Auslöschung des Kinos zugunsten des Internets und des Heimkinos wohl noch auf sich warten. Vielleicht auch deshalb, weil großangelegte, bildgewaltige Untergangsfantasien wie MELANCHOLIA immer noch auf der großen Leinwand die größte Wucht entfalten. Dabei ist es kurios: Immer noch wird landauf landab von den «besten Filmen 2011» geredet, auch wenn damit «nur» die wirtschaftlich erfolgreichsten Kinofilme gemeint sind. Wobei keiner der in Deutschland an der Kinokasse erfolgreichen Filme gegen den Spitzenreiter der französischen Besuchercharts ankommt: Die Komödie ZIEMLICH BESTE FREUNDE findet in Frankreich mehr als 16 Mio. Zuschauer, während der «beste» deutsche Kinospielfilm KOKOWÄÄH (Start: 3.2.) heißt und etwa 4,3 Mio. Zuschauer anzieht. Damit rangiert Til Schweigers harmlos-heitere Komödie in den deutschen Kinocharts hinter HARRY POTTER UND DIE HEILIGTÜMER DES TODES – TEIL 2 (6,5 Mio. Besucher) und PIRATES OF THE CARIBBEAN – FREMDE GEZEITEN (4,4 Mio.) auf Platz 3. Wenn man sich vor Augen führt, dass ein beliebiger TATORT-Krimi allein an einem Sonntagabend locker die Vier-Millionen-Grenze überspringt, dann ahnt man, welch hartes Brot inzwischen eine Kinofilmproduktion darstellt. Immerhin gibt es bei den Besucherzahlen 2011 ein kleines Plus im Vergleich zum Vorjahr (1,6 Prozent auf 120.846.951 Besucher), während der Gesamtumsatz um 3,8 Prozent (913.590.032 Euro) steigt, was wohl primär aus den Zuschlägen bei den immer zahlreicheren 3D-Vorstellungen resultiert. Bei deutschen Filmen (bzw. Filmen mit deutscher Beteiligung) stieg die Besucherzahl auf 24 Mio. (2010: 18,4 Mio.), der Umsatz auf 168 Mio. Euro (2010: 119,7 Mio. Euro). Damit erreichten deutsche (Co-)Produktionen einen Marktanteil von 20 Prozent, bezogen auf die Besucherzahlen.

    Allen Unkenrufen zum Trotz etabliert sich 3D immer mehr im Kinoalltag als festes (Markt-)Segment – zumindest des Blockbuster- und Eventkinos. Auch aus den Blu-ray-Regalen ist das Dreidimensionale inzwischen nicht mehr wegzudenken, selbst wenn es (noch) sehr deutlich an substanzieller Ware mangelt und die Inhalte noch auf sich warten lassen. Längst richtet sich auch der Fernsehmarkt auf 3D-TV ein, und der Trend schreitet offenbar schneller voran als bisher erwartet. Das Kino als 3D-Trendsetter bietet 2011 eher Mediokres, vor allem solide Animationsfilme, die nahezu alle nicht auf die neue Plastizität verzichten wollen. Die 3D-Kinofilm-Palette reicht von THE GREEN HORNET über RIO, SANCTUM, THOR, PIRATES OF THE CARIBBEAN: FREMDE GEZEITEN bis zu DIE DREI MUSKETIERE, CONAN THE BARBARIAN, DIE ABENTEUER VON TIM UND STRUPPI – DAS GEHEIMNIS DER EINHORN, HAPPY FEET 2 und DER GESTIEFELTE KATER.

    Januar

    Seit dem 1. Januar stehen im Verleih von defa-spectrum die letzten Spielfilme, die zwischen 1990 und 1993 unter dem Namen DEFA in Babelsberg gedreht wurden, zur Verfügung. Es handelt es sich um Produktionen, die das Studio nach der Umwandlung vom Volkseigenen Betrieb in eine GmbH herstellte: filmische «Überläufer» von der Plan- in die Marktwirtschaft. Darunter Filme von Egon Günther (STEIN), Frank Beyer (VERDACHT), Heiner Carow (VERFEHLUNG) und Horst Seemann (ZWISCHEN PANKOW UND ZEHLENDORF). Ulrich Weiß, der acht Jahre lang nicht drehen durfte, inszenierte als seinen letzten großen Spielfilm MIRACULI, Herwig Kipping debütierte mit DAS LAND HINTER DEM REGENBOGEN. «Alle diese Produktionen setzten sich, mit nie gekannter geistiger Freiheit und hohem künstlerischen Anspruch, kritisch mit der DDR-Vergangenheit auseinander. Im Kino gingen die Filme dann aber unter, weil sich der Osten nicht mehr und der Westen noch nicht für diese Thematik interessierte.» (Ralf Schenk in FILM-DIENST 2/11)

    Noch sind Nischen im sich nun von Woche zu Woche praller füllenden Kinostartplan, und die nutzt der ambitionierte deutsche (Autoren-)Film zu einigen interessanten «Duftmarken»: Allein im Januar starten der sehenswerte Fußball-Dokumentarfilm DAS LEBEN IST KEIN HEIMSPIEL (6.1.) von Frank Marten Pfeiffer und Rouven Rech, EINE FLEXIBLE FRAU (6.1.) von Tatjana Turanskyi, SATTE FARBEN VOR SCHWARZ (13.1.) mit Senta Berger und Bruno Ganz, Rudolf Thomes frech-lustvolles Komödienspiel DAS ROTE ZIMMER (13.1.), die Dokumentation KENT NAGANO – MONTREAL SYMPHONY (13.1.), BALLADA von Andreas Maus, das beklemmend dichte Drama GLÜCKLICHE FÜGUNG von Isabelle Stever (20.1.), IM ALTER VON ELLEN (20.1.), eine irritierende Exkursion an die Ränder bürgerlicher Lebenswelten und Sehnsüchte von Pia Marais, sowie das historische Liebesdrama BERGBLUT von Philipp J. Pamer (27.1.) Die Zahl der 2011 im Kino erstaufgeführten Spielfilme steigt gegenüber 2010 um drei Prozent an. Die SPIO formuliert trocken: «Insbesondere die Anzahl der majoritär deutschen Koproduktionen hat deutlich zugelegt (+26%). Die Anzahl der erstaufgeführten Dokumentarfilme ist gegenüber 2010 von 74 Filmen um 8 Filme auf 82 Filme angestiegen. Der ‹Boom› in diesem Bereich setzt sich ungebremst fort. Der Anteil der Koproduktionen an den Spielfilmen ist mit 49% gegenüber 2010 nahezu gleich geblieben. Bevorzugte Kooperationsländer waren Frankreich (21 Filme), Großbritannien (8 Filme) und Österreich (7 Filme). 120 deutsche Produktionsfirmen waren an den deutschen Erstaufführungen beteiligt.»

    Im Alter von 72 Jahren stirbt am 14.1. die britische Schauspielerin Susannah York, von der Alec Guinness sagte, sie sei «the best thing in films since Audrey Hepburn». Den Durchbruch schaffte sie mit Tony Richardsons TOM JONES – ZWISCHEN BETT UND GALGEN (1963), in dem sie mit kapriziöser Tugendhaftigkeit die wahre Liebe des Titelhelden spielt. In Fred Zinnemanns EIN MANN ZU JEDER JAHRESZEIT (1966) brillierte sie ebenso wie in Robert Aldrichs DAS DOPPELLEBEN DER SISTER GEORGE (1969). Unvergessen ihr physisch zermürbender Auftritt in Sidney Pollacks NUR PFERDEN GIBT MAN DEN GNADENSCHUSS (1970) als Marathon-Tänzerin. Ihr größter schauspielerischer Erfolg wurde SPIEGELBILDER (1972) von Robert Altman.

    Februar

    Der Skandalfilm des Jahres 1974 machte sie auf einen Schlag berühmt: DER LETZTE TANGO IN PARIS, ein «Kunstfilm» in Pornografie-Verdacht. Heute wirken die Sexszenen zwischen Marlon Brando und Maria Schneider fast harmlos, dennoch bleibt der Film eine beklemmende Studie über Einsamkeit und Verzweiflung. Maria Schneider war noch keine 20, als ihr Bernardo Bertolucci die Hauptrolle übertrug. Man kann mutmaßen, dass diese exzessive Sinnsuche auch im wirklichen Leben die Schauspielerin umtrieb: Alkohol und Drogen spielten eine große Rolle, Entziehungskuren und Aufenthalte in Nervenheilanstalten waren die Folgen. Weitere große Filmerfolge blieben ihr versagt. Sie spielte die geheimnisvolle Terroristin in Michelangelo Antonionis BERUF: REPORTER (1974), eine der Teilnehmerinnen des Liebeskarussells in Otto Schenks REIGEN (1973), die bisexuelle Gehbehinderte in Daniel Schmids VIOLANTA (1977). Rollenangebote in CALIGULA (1979) und Bertoluccis 1900 (1976) lehnte sie ab. Maria Schneider stirbt 58-jährig am 3.2. in Paris.

    Am Ende stehen Erfolgszahlen: Die 61. Internationalen Filmfestspiele Berlin (10.–20.2.) können auf etwa 300.000 verkaufte Eintrittskarten ver- und somit beweisen, «dass das Publikum nach wie vor mit Interesse und Begeisterung elf Tage lang in den Festivalkinos auf filmische Entdeckungsreise geht». Hinzu kommen 20.000 Akkreditierte aus 116 Ländern, darunter etwa 3.900 Pressevertreter; auch der European Film Market wächst erneut und registriert gute Geschäfte. Somit ist das Festival sowohl spektakuläres Publikumsfestival als auch gelungene Filmmesse. Was freilich nicht die ganze Wahrheit des Phänomens «Berlinale» ist. Bot der kontrovers diskutierte Wettbewerb tatsächlich die bestmögliche Zusammenstellung? War der Reigen aus 16 Filmen konkurrenzfähig gegenüber Cannes und Venedig? Welche Rolle spielt Hollywood überhaupt noch in Berlin? Nicht zuletzt die Häufung mitunter allzu «anstrengender» Erzählformen lässt in diesem Jahr manchen erschöpften Beobachter über seine eigene Wettbewerbsauswahl fabulieren, vor allem auch, weil herausragende(re) Filme in anderen Festival-Sektionen zu entdecken sind. Ohnehin sind 16 von 385 Filmen nur die Spitze eines Festival-Bergs, und außerdem sind es ja nicht die Filme allein, die das Phänomen «Berlinale» ausmachen. Da geht es um Glanz & Glamour, den betörenden Charme der Jury-Präsidentin Isabella Rossellini, die politischen Statements angesichts des Schicksals von Jafar Panahi, aber auch um Gerüchte, Gerüchte, Gerüchte, die diesmal sogar wissen wollen, dass Dieter Kosslick zum letzten Mal das Festival leitet (was umgehend dementiert wird). Es gibt zudem eine überragende Retrospektive zu Ingmar Bergman; für die Kinder- und Jugendfilme der Sektion «Generation» mit dem Haus der Kulturen der Welt einen neuen Festivalort (mit Besucherrekorden), ebenso fürs Panorama-Special-Programm, das in den Friedrichstadtpalast und ins Kino International umsiedelt, weil der angestammte Zoo-Palast wegen Renovierungs- und Umbaumaßnahmen geschlossen bleibt. Als höchst lebendig und inspirierend erweist sich einmal mehr der «Talent Campus» für junge Filmschaffende aus aller Welt. Wenn man jetzt noch hinzu addiert, dass die «Berlinale» zu Berliner «Kiez»-Kinos aufbricht, dann lässt sich die Bedeutung des Festivals für die gesamte Kino-Stadt Berlin, aber auch für die überregionale Kinokultur und -struktur überhaupt erst erahnen: Die «Berlinale» setzt deutliche Zeichen und schafft wie kein zweites Event höchste Wahrnehmung für das, was Kino immer noch leisten kann: intensive Begegnungen zwischen Menschen, Künsten und Kulturen.

    Katharina Thalbach wird am 13.2. mit dem «Progress-Paula-Preis» geehrt, eine zum zweiten Mal verliehene Auszeichnung für Filmschaffende, die ihre Karriere bei der DEFA begonnen und sich heute um den gesamtdeutschen Film verdient gemacht haben. Die «Paula» steht als Preis sowohl für die Bedeutung des deutschen Filmerbes als auch zukunftsweisend für die Stärkung des deutschen Filmschaffens.

    Am Anfang ist die Bühne des Wuppertaler Tanztheaters leer. Diesen oft so magischen Raum aus der Erinnerung heraus mit neuem Leben, mit Atmosphäre und Emotionen zu füllen, das mag Wim Wenders nach dem Tod von Pina Bausch im Sommer 2009 schwer gefallen sein. Über viele Jahre hinweg plante er eine filmische Annäherung an die berühmte Choreografin und Ballettdirektorin, suchte nach einer adäquaten filmspezifischen Herangehensweise (auch nach einer angemessen Technik), doch dann stand er angesichts des unerwarteten Tods der knapp 69-jährigen Ausnahmekünstlerin mit leeren Händen da. Dennoch blieb wohl so etwas wie eine Verpflichtung, und es waren am Ende Pina Bauschs Tänzerinnen und Tänzer, die Wenders überzeugten, dass man den Film «jetzt erst recht» machen müsse – zumal, so Wenders, Pina Bauschs Blick noch auf allem lag. So füllt sich nun, zunächst zögerlich und behutsam, mit vielen «sanften» Überblendungen, der Bühnenraum mit Leben, mit Kulissen, mit Licht, Musik und Bewegungen. Es ist wie das Hinabtauchen in einen Traum – oder vielleicht auch das genaue Gegenteil: das Erwachen aus einem Traum, wenn man sich vergewissert, dass nach einem tiefen Schlaf immer noch etwas da ist, das nachwirkt und bleibt. PINA – TANZT, TANZT, SONST SIND WIR VERLOREN (Start: 24.2.) als «Dokumentarfilm» im herkömmlichen Sinn zu kategorisieren, fällt schwer. Viel zu persönlich, viel zu poetisch und betont «unaufklärerisch» nähert er sich der Künstlerin, ihrem Ensemble und ihrem choreografischen Werk, setzt primär auf die reine Wirkkraft dieser ganz besonderen, «magischen» Tanzform als schillerndem, ebenso schönen wie beunruhigenden Spiegel eines individuellen Daseins- und Kunstverständnisses, bei dem sich die Trennung von Bühne und Leben aufhebt und sich subtil beobachtete Psychogramme heutiger Menschen abzeichnen. Pina Bauschs tänzerische Kunst benötigt logischerweise den dreidimensionalen (Bühnen-)Raum, sodass Wenders’ Hinwendung zum 3D-Film nachvollziehbar und konsequent ist. Die Wirkung ist verblüffend, vor allem dann, wenn 3D nicht «realistisch» erscheint, sondern eine eigenartige stilisierte Faszination ausübt. Tatsächlich gelingt es Wenders, der Kunst Pina Bauschs ein eigenes «filmisches Bühnenbild» entgegenzustellen, wenn er sinnlich, poetisch, im guten Sinn auch spektakulär innere Zustände nach außen bringt und einen eigenen emotionalen Film-Raum schafft, in dem sich die getanzte psychologische Handlung entfaltet.

    In Hollywood spitzt sich der Konflikt zwischen dem herkömmlichen Kinogeschäft des Studios und alternativen Verwertungsformen zu, die den veränderten Sehgewohnheiten der Zuschauer Rechnung tagen. Das Geschäft mit den Streaming-Zugängen via Internet boomt, die US-Firma Netflix, sieht frohgemut in die Zukunft. Nun droht den Studios neues Ungemach in Form von HDTV-Geräten, die eine direkte Verbindung zwischen Fernsehen und Internet liefern. Noch machen die Hollywood-Studios gute Miene zu diesem Spiel und schließen sich in Interessenverbänden zusammen, die Verwertungsrechte und illegale Nutzung im Auge behalten sollen; und noch ist der Platz der Kinos gesichert, doch die nachgeordneten Medien rücken den einstigen Monopolisten immer näher.

    Am 28.2. stirbt Jane Russell, die mit dem wenig schmeichelhaften Etikett «Busen-Wunder» Hollywoods von der Werbung der 1940er- und 1950er-Jahre effektiv eingesetzt wurde. Sie war eine Entdeckung von Howard Hughes (GEÄCHTET, 1941), der ihre Reize für seine Werbezwecke zu nutzen wusste; stets aber suchte sie Rollen mit durchaus emanzipatorischem Anspruch, spielte im Western DIE SCHÖNSTE VON MONTANA (1952) eine herbe Revolverheldin und lehrte in der parodistischen Posse SEIN ENGEL MIT DEN ZWEI PISTOLEN (1948) Ganoven und Indianer das Fürchten. In BLONDINEN BEVORZUGT (1953) gelang ihr ein schillerndes Kopf-an-Kopf-Rennen mit Marilyn Monroe, wobei lustvoll das Image der knallharten Verführerin parodierte.

    März

    Eine umfangreiche Ausstellung im Museum für Film und Fernsehen in Berlin präsentiert Ingmar Bergman, setzt thematische Schwerpunkte, die auch die Biografie des schwedischen Regisseurs einbeziehen und sich seinen inneren Triebfedern annähern. Zahllose Exponate, in Schaukästen ausgestellte Drehbücher, eilig hingeworfene Notizen, Szenenentwürfe, nähern sich der Arbeit und der Arbeitsweise Bergmans; im Mittelpunkt stehen freilich Filmausschnitte, die einen sinnlichen Eindruck seines Schaffens vermitteln.

    Am 3.3. feiert Jutta Hoffmann ihren 70. Geburtstag, eine der prägenden Darstellerinnen des DEFA, die ausgerechnet im Verbotsfilm KARLA (1966), der Geschichte einer jungen Lehrerin, die gegen Heuchelei und Opportunismus aufbegehrt, eine ihrer schönsten und eindrucksvollen Rollen fand. Als der Film 1990 doch noch in die Kinos kam, wurde sie mit der jungen Giulietta Masina verglichen, die ebenfalls mit großen Augen in eine Welt sah, deren Regeln ihr weitgehend verschlossen blieben.

    Seinen letzten Dokumentarfilm DIE GROSSE ERBSCHAFT (2011), entstanden in Zusammenarbeit mit Bruder Fosco, stellte Donatello Dubini bei den Filmtagen in Solothurn vor; die Geschichte der ursprünglich Tessiner Familie Dubini in einem eher persönlichen Film, anders als die früheren Arbeiten der Brüder Dubini, die sich mit Film oder Kunst beschäftigten, etwa HEDY LAMARR – SECRETS OF A HOLLYWOOD STAR (2005) oder THOMAS PYNCHON – A JOURNEY INTO THE MIND OF P. (2001), oder aber Personen der Zeitgeschichte zum Thema hatten (KLAUS FUCHS – ATOMSPION, 1989). Donatello Dubini, Gründungsmitglied des Kölner Filmhauses, dem er über 30 Jahre verbunden blieb, stirbt am 26.3. im Alter von 55 Jahren in Köln.

    Aus München verlautet, dass Andreas Ströhl, Leiter des Filmfests München, seinen Posten aufgibt und zum Goethe-Institut zurückkehrt, wo er die Leitung der Abteilung Kultur und Information übernimmt. Bei den Gesellschaftern der Münchner Filmwochen bricht Hektik aus; immerhin kommen neun Bewerber um die Nachfolge in die engere Wahl. Gewählt wird überraschend Diana Iljine, die u.a. als Filmeinkäuferin für RTL 2, Telepool und Premiere tätig war. Der 46-Jährigen werden Durchsetzungskraft und Vernetzung in der Branche, auch Kontakte zu wichtigen Produzenten und Verleihern nachgesagt. Bei der offiziellen Vorstellung erklärt sie, Ströhls Arbeit mit eigenen Akzenten weiterführen zu wollen, mit mehr internationalen «Pretiosen» und Premieren, etwas mehr Glamour und Anziehungskraft für junge Zuschauer.

    April

    Gottlob trage er nicht die Verantwortung für die Entscheidung, wer am Ende mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet werde. In seiner Rede im Berliner Friedrichstadtpalast zur Eröffnung der Preisgala (am 8.4.) spricht Kulturstaatsminister Bernd Neumann über die deutsche Filmförderung, deren Mittel nicht reduziert werden sollen. Und er lobt das Filmpreis-Verfahren durch die Deutsche Filmakademie: «Es kann keine kompetentere Bewertung eines Filmjahrgangs geben, als durch die Mitglieder der Filmakademie selbst. Die demokratische Entscheidung durch 1.200 Filmfachleute ist unangreifbarer als jede andere Form der Entscheidungsfindung. Deshalb haben alle heutigen ‹Lola›-Gewinner ihren Preis uneingeschränkt verdient.» Demnach müsste in Stein gemeißelt für die Ewigkeit dastehen: VINCENT WILL MEER ist, ausgezeichnet mit dem «Filmpreis in Gold», der beste deutsche Kinofilm des Jahres 2010, vor ALMANYA – WILLKOMMEN IN DEUTSCHLAND («Silber») und WER WENN NICHT WIR («Bronze»). Natürlich muss eine solche quasi «amtliche» Feststellung nicht unbedingt sicher oder verbürgt sein: Das unterhaltsame komödiantische Road-Movie-Melodram von Ralf Huettner, geschrieben vom Hauptdarsteller Florian David Fitz, hat seine Meriten, gleichwohl folgt er einem eher brav-konventionellen Komödienschema, weshalb man schon sehr genau auf feine Nuancen achten muss, die vor allem die vorzüglichen Darsteller kreieren – an talentierten, ausdrucksstarken Schauspielerinnen und Schauspielern mangelt es hierzulande ja ohnehin nicht. Doch hätte es im Kinojahr 2010 einen thematisch vergleichbaren, in jeder Hinsicht konsequenter entwickelten deutschen Kinofilm gegeben, der eine Auszeichnung weit mehr verdient gehabt hätte, aber gänzlich unberücksichtigt blieb: RENN, WENN DU KANNST von Dietrich Brüggemann war wohl doch zu «jung» und zu «einfühlsam», um zu den «Besten» zu gehören. Bei den Nominierungen für den besten Film wird die große (audio-)visuelle Kraft und Leidenschaft von Chris Kraus’ POLL ignoriert. Immerhin erlebt der Film einen kleinen Siegeszug mit vier Auszeichnungen in den Einzelkategorien, darunter für Daniela Knapps vorzügliche Kameraarbeit. Nach wie vor weiß die Akademie nichts mit dem so essenziellen Genre Kinderfilm anzufangen: Lieb- und fantasielos anmoderiert im «Kinderquatsch»-Jargon à la Michael Schanze, konkurrieren zwei gänzlich unvergleichbare Werke fürs junge Publikum um den Preis. So tröstlich die Auszeichnung für den Dokumentarfilm CHANDANI UND IHR ELEFANT ist, so ernüchternd die Abwesenheit eines (Trick-)Films wie DAS SANDMÄNNCHEN – ABENTEUER IM TRAUMLAND, der liebevoll und sorgfältig ganz junge Zuschauer zum Fabulieren und Nachsinnen einlädt – auch über die Faszinationskraft «Kino». Gleichwohl bleibt der Deutsche Filmpreis eine wichtige, wenn auch nie ganz überzeugende Angelegenheit, weil ihm der schwierige Spagat zwischen glaubwürdiger Leidenschaft fürs Kino und selbstverliebtem Glamour-Bedürfnis nie so recht gelingen will. So berührend die Standing Ovations für Wolfgang Kohlhaase (Ehrenpreis für hervorragende Verdienste um den deutschen Film) auch sind, so mischt sich doch auch Misstrauen darüber unter, ob diese «Liebe» zu einem herausragenden Filmautor gleich zweier deutscher Staaten tatsächlich verinnerlicht ist. Dabei bleibt Kohlhaases liebenswürdiges Eingeständnis als hoffnungsstiftendes Versprechen: «Ich bin nicht nur erfreut, sondern ermutigt, und das braucht man in jedem Alter.»

    Bei der Verleihung des 9. Deutschen Hörfilmpreises wird die Hörfilmfassung der Komödie GANZ NAH BEI DIR von Almut Getto mit dem Preis der Jury und dem Publikumspreis ausgezeichnet. Unter den zehn Nominierungen setzt sich in der Kategorie Internationale Produktion DIE PÄPSTIN durch; mit einem Sonderpreis der Jury für die besondere Qualität der Filmbeschreibung wird der Kinderfilm LIPPELS TRAUM geehrt. Hörfilme ermöglichen es blinden und sehbehinderten Menschen, Filme wahrzunehmen. Sie sind mit einer Audiodeskription versehen, die zentrale Elemente der Handlung sowie Gestik, Mimik und Dekors schildert.

    Zwischen zwei Kriegen heißt ein Filmessay von Harun Farocki, der sich auf die deutsche Zwischenkriegszeit und ihre Zerstörungskräfte konzentriert. Der Titel wäre eine gute Überschrift für Farockis unermüdliches Forschen zu diesem Thema und seiner Einsicht, dass ein Krieg den nächsten hervorbringt, dass immer schon der nächste Krieg vorbereitet wird. Welche Bilder es sind, die den Kampfhandlungen vorausgehen, sie begleiten oder am Ende von ihnen übrig bleiben, hat Farocki besonders herausgearbeitet. In einer beeindruckenden Ausstellung auf der Mathildenhöhe in Darmstadt sind alte und neue Arbeiten des Filmemachers auf Bildschirmen und in Installationen zu sehen. Seine Video-Serie SERIOUS GAMES zeigt US-Soldaten bei Computerspielen zur Vorbereitung von Einsätzen. Man wird Zeuge, wie sie mit dieser Software vertraut gemacht werden, die sich, so Farocki in einem separaten Audiokommentar, mehr an Pawlow als an Freud orientiert.

    Mai

    Es kann um das 64. Festival de Cannes (11.–22.5.) nicht zum Besten bestellt gewesen sein, wenn ein operettenhafter Skandal wie der um Lars von Triers «Nazi»-Entgleisung sich auch im Rückblick an vorderster Stelle behauptet. Von Trier, dreimaliger Gewinner der «Golden Palme», der für seine Provokationen und Selbstdarstellungen bekannt ist, versteigt sich bei der Pressekonferenz für sein Weltuntergangsdrama MELANCHOLIA zu der Äußerung, dass er Hitler zwar keinen guten Kerl nennen würde, er aber dennoch vieles verstehen könne. Stunden später relativiert der dänische Filmemacher dies und entschuldigt sich öffentlich. Er sei weder antisemitisch noch habe er rassistische Vorurteile; aber auch sei er kein Nazi (was er gleichwohl auf der Pressekonferenz zuvor behauptete). Richtig brisant werden Triers konfuse Äußerungen erst durch die harsche Reaktion des Festivals, das den dänischen Provokateur postwendend zur «unerwünschten Person» erklärt und vom Wettbewerb ausschließt. Die mediale Lawine, die der Eklat nach sich zieht, spiegelt das Defizit der diesjährigen «Selection officielle»: Etwas Aufregenderes oder Spektakuläreres als die boulevardeske Verkettung nervöser Selbstrechtfertigung und dem Bedürfnis des Festivals, wenigstens einmal eine Grenze zu ziehen, ist in der Filmauswahl nicht zu finden. Eigentlich kann man den Vorfall auch als Sturm im Wasserglas bezeichnen, denn trotz der ganzen Aufregung und Empörung ändert dies nichts daran, dass MELANCHOLIA im Herbst als «Bester Europäischer Film» ausgezeichnet wird. Ansonsten ist Cannes ein Treffpunkt der üblichen Verdächtigen, sieht man einmal von Terrence Malick ab, der mit seinem metaphysischen Poem THE TREE OF LIFE verstört, oder von Michel Hazanavicius’ THE ARTIST, einen lupenreinen Stummfilm (mit Geräuschen und Musik) als Hommage an den amerikanischen Stummfilm. Der Film wird lange als Favorit für die «Goldene Palme» gehandelt, was angesichts des noch immer grassierenden 3D-Hypes wie die Faust aufs Auge gewirkt hätte. Doch der Jury unter Vorsitz von Robert De Niro ist nicht nach radikalen Entscheidungen zumute, weshalb die ganze Bandbreite eines Wettbewerbs bedacht wird.

    Das Filmmuseum München ehrt den bengalischen Regisseur Satyajit Ray mit einer umfangreichen Werkschau und ruft das Schaffen eines Filmkünstlers in Erinnerung, dessen Filme zwar zum festen Kanon der Filmgeschichte gehören, mangels Abspielmöglichkeiten jedoch in Vergessenheit zu geraten drohen. Nun bietet sich die Möglichkeit, Rays Werke zu bewundern und zu analysieren, wobei der Blick für die kurzen Glücksmomente in seinen Filmen geschärft werden soll, die im Umkehrschluss für die Vergänglichkeit sensibilisieren. Die Retrospektive startet mit der weltberühmten APU-Trilogie. Satyajit Ray starb 1992 mit 70 Jahren; im selben Jahr wurde er mit dem «Ehren-Oscar» ausgezeichnet.

    Der Filmkritiker Michael Althen, geb. am 14.10.1962, erliegt am 12.5. in Berlin seinem Krebsleiden. Er erwarb sich einen herausragenden Ruf durch seine Begeisterungsfähigkeit und Entdeckerfreude, schrieb seit 1984 als Filmkritiker für die Süddeutsche Zeitung, gehörte zum «neuen» Feuilleton der SZ, zur Gruppe jener Autoren, die experimentellere Schreibweisen und ungewohnte Themen ausprobierten. 1998 übernahm Althen die Filmredaktion der Süddeutschen; seit 2001 arbeitete er als Filmredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Althen schrieb Bücher, dreht Filme, u.a. mit Dominik Graf DAS WISPERN IM BERG DER DINGE – DER SCHAUSPIELER ROBERT GRAF. Als Redakteur ermutigte er junge Kollegen, ihre eigene Haltung zu bewahren, und nicht nur analytisch zu Werke zu gehen, sondern auch auf die Gefühle zu hören.

    Unter dem Arbeitstitel «Dokumentarfilm des Zukunft – Zukunft des Dokumentarfilms» treffen sich die Teilnehmer der «Dokville 2011», des jährlichen Treffens der Dokumentarfilmbranche in Ludwigsburg (26./27. 5.). Wilhelm Reschl, Geschäftsführer im Haus des Dokumentarfilms in Stuttgart, beklagt in einer vorab verschickten Mail u.a. die Mitschuld der Filmemacher am Nischendasein, das der lange Dokumentarfilm in den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern fristet. Er macht «einen zunehmenden Hang zu exotischen Themen» geltend. In den erregten Reaktionen auf die Mail wird auch auf Georg Diez’ Ruf nach einer Fernseh-Revolution verwiesen und angemerkt, dass ein Filmemacher den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wohl kaum verändern könne. Andres Veiel stellt fest, dass man Lobbyarbeit betreiben müsse, da bei den Sendern genug Mittel vorhanden seien – sie müssten nur umverteilt werden. Symptomatisch für «Dokville 2011» ist, dass die kämpferischen Reden auf den anschließenden Podien versanden oder zu abstrusen Vorschlägen führen. Redakteure der Sender fühlen sich angegriffen, das Wort «Kulturauftrag» wird tunlichst vermieden.

    Juni

    Vor zwei Jahren änderte die Motion Picture Academy die Regeln für ihre «Oscar»-Nominierungen: Statt fünf wurden zehn Filme für den Wettbewerb zugelassen, um den Wettbewerb stärker für populäre Filme öffnen und mehr Zuschauer vor die Bildschirme locken. Die Rechnung ging nicht auf: In ihrer Verzweiflung, den «Academy»-Preisen mehr Aufmerksamkeit zu sichern, ändert die Academy ihre Regeln deshalb erneut. Nun heißt es, dass zukünftig zwischen fünf und zehn Filmen für die Hauptkategorie nominiert werden können, aber nur solche, die im ersten Wahlgang mindestens fünf Prozent aller abgegebenen Stimmen für den ersten Platz auf sich vereinen. Kritiker der Akademie überlegen, welche Filme bei der nächsten «Oscar»-Verleihung durch die Statutenänderung am stärksten benachteiligt werden könnten. Wahrscheinlich werden es kleine unabhängige Filme, weil deren Produzenten über zu wenig Geld für entsprechende Werbung und zu wenig Überzeugungskraft bei den Akademiemitgliedern verfügen. Aussichten auf den Preis konnten sich diese Filme bislang unter keinem System machen; aber die bloße Nominierung hat an den Kinokassen oft Wunder bewirkt.

    Max Zähle (33) von der Hamburg Media School gewinnt am 11.6. «Bronze» bei den Studenten-«Oscars» für sein deutsch-indisches Adoptionsdrama RAJU und damit die Aufmerksamkeit, die der talentierte Nachwuchsregisseur verdient. Der Kurzfilm erzählt von Jan (Wotan Wilke Möhring) und Sarah (Julia Richter), die vier Tage in Kalkutta verbringen, um sich mit dem achtjährigen Raju anzufreunden, den ihnen ein Waisenhaus als Adoptionskind vermittelt hat. Alles geht gut, bis Raju plötzlich verschwindet. Nach mühsamer Suche finden sie ihn in der Kartei einer Organisation, die nach verschleppten Kindern fahndet. In 24 Minuten setzt Zähle das moralische Dilemma in eindrucksvolle Bilder um, charakterisiert Jan und Sarah differenziert, die unterschiedliche Vorstellungen von der Adoption haben, und hält dabei stets die Geschichte mit einfachen Mitteln, aber einem prägnanten Rhythmus spannend.

    Zum siebten Mal findet auf der Parkinsel bei Ludwigshafen das «Festival des deutschen Films» (16.–26.6.) statt, eine Leistungsschau, die sich großer Beliebtheit erfreut. Das Programm lockt 39.000 Besucher auf die Rheininsel; die Kehrseite dieses Erfolgs ist, dass der Event-Charakter der Veranstaltung deutschen Filmen im Kino das Wasser abgraben könnte. So hat Ulrich Köhlers SCHLAFKRANKHEIT zur Zeit des Festivals seinen Bundesstart, wird von den Kinobesitzern der Rhein-Neckar-Region aber kaum terminiert – zu groß ist die Festival-Konkurrenz. Der Transfer zwischen Event- und alltäglicher Filmkultur scheint nicht mehr zu funktionieren. In viel stärkerem Maß als bei einem «normalen» Kinobesuch ist ein Besuch auf der Parkinsel ein soziales Statement: Allein durch die Anwesenheit tut man im Kreis vieler Gleichgesinnter etwas für den anspruchsvolleren deutschen Film, widmet sich aufmerksam schwierigen und spröden Filmen. Allen Unkenrufen zum Trotz ist Ludwigshafen ein gelungener Beitrag zur deutschen Filmkultur.

    Menschen, die aus ihrem Leben, ihren sozialen oder familiären Bindungen ausbrechen, ohne irgendwo anders anzukommen. Figuren von seltsam trotziger Müdigkeit und Lethargie, die irgendwie und irgendwann in einen Lebensentwurf hineingeraten sind, der ihnen nun die Luft abschnürt. Ein schweigsamer 19-jähriger Rekrut, der sich von der Truppe entfernt und sich im Bungalow seiner abwesenden Eltern in der hessischen Provinz verschanzt (BUNGALOW). Eine Ärztin, wortkarg und unzufrieden, die mit Mann und Tochter von Berlin nach Kassel zieht, um sich in einem abgelegenen Haus am Waldrand «neu einzurichten» (MONTAG KOMMEN DIE FENSTER). Und nun: SCHLAFKRANKHEIT (Start: 23.6.). Ein Entwicklungshelfer und Arzt, der seit fünf Jahren in Kamerun ein Projekt zur Bekämpfung der Schlafkrankheit betreut und nun vor seiner Rückkehr nach Deutschland steht. Seine Frau fliegt mit der Tochter einige Tage früher zurück; in einem nächtlichen Telefonat mit ihr fragt Ebbo, ob es denn nicht ausreiche, dass er sich auf sie freue. Ein rhetorisch gemeinte Frage, doch die Antwort, die man sich als Zuschauer gibt, lautet klar: Nein, es reicht nicht. Wo sollte dieser Ebbo denn hin? Zurück in jenes «ordentliche», pittoresk gelegene Wetzlar in Mittelhessen, womöglich in eines dieser arrivierten, aber unbehausten Provinzhäuser mit Steilhanglage à la BUNGALOW? Oder gar in jenes Waldhaus, das am Montag neue Fenster bekommt? Dorthin, wo alles «eingerichtet» ist, sicher und saturiert, getragen von Wohlstand und dem Geist von «New Economy»? Ebbo sieht darin offensichtlich kein Ziel, vielleicht scheint er deshalb so antriebslos. Doch bietet ihm Afrika eine Perspektive? Nur ausschnitthaft, oft tatsächlich nur im Lichtkegel einer Lampe, offenbart sich das zentralafrikanische Land fern vom jedem Foto-Exotismus als unübersichtlicher Raum: zunächst als diffuser urbaner Kosmos, in dem die Residenten gut bewacht hinter Zäunen leben, später als Urwald und unterschwellig bedrohliches Dickicht. Die Schlafkrankheit, jene Epidemie, die nicht zuletzt durch Ebbos Arbeit eingedämmt zu sein scheint und für deren Bekämpfung immer noch hohe Geldmittel ins Land fließen, wird zum Struktur gebenden Sinnbild des Films, der wie sie in drei (paritätisch exakt gedrittelten) Stadien verläuft: Nach der «Infektion» kommt es zu heftigen Symptomen, bevor im zweiten Stadium das Nervensystem angegriffen wird und Verwirrtheit, Koordinations- und Schlafstörungen auftreten, bis es im Endstadium zu jenem Dämmerzustand kommt, der der Krankheit bzw. dem Film den Namen gegeben hat.

    Juli

    Mit EN GARDE (2004) von Ayse Polat machte Maria Kwiatkowsky nachhaltig auf sich aufmerksam: In dem Kinofilm um zwei junge Frauen in einem katholischen Erziehungsheim spielte sie feinnervig und intensiv eine gehemmte, verschüchterte, sich ungeliebt fühlende junge Frau, die sich zwanghaft auf ihr eigenes Unglück zubewegt, wofür sie beim Festival in Locarno als Beste Darstellerin geehrt wurde. 2005 folgt der Fernsehfilm LIEBE AMELIE von Maris Pfeiffer, in dem die gerade mal 19-Jährige eine junge Frau in einer schweren Daseinskrise mit Depressionen und Selbstmordabsichten interpretierte und damit ebenso berührte wie als Magersüchtige in BLOCH: BAUCHGEFÜHL (2008) von Franziska Meletzky, als sie intensiv das Krankheitsbild mit allen Abgründen zwischen Lebensgier, Selbstbetrug und tiefer Hilflosigkeit auslotete. Dabei mochte Maria Kwiatkowsky (geb. 23.4.1985), die seit 2010 festes Ensemble-Mitglied an der Berliner Volksbühne war, in ihre fragilen, stets Grenzen auslotende Charakterstudien eigene Lebenserfahrungen eingebracht haben, vor allem nachdem sie 2006 zu einer Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt wurde, als sie aus «privater und beruflicher Frustration» eine Berliner Kindertagesstätte angezündet hatte. Bald sollten die Dreharbeiten zu einem neuen Kinofilm (DIE ERFINDUNG DER LIEBE von Lola Randl) beginnen, doch am 4.7. stirbt Maria Kwiatkowsky, eines der verheißungsvollsten Talente, 26-jährig in Berlin.

    Gegen Ende, wenn fast alles vorüber ist, steht der langmähnige, grimmige, mit den Jahren immer wirrer und skurriler gewordene Hausmeister Argus Filch ratlos inmitten der Trümmer von Hogwarts. Gedankenverloren hebt er einen Stein hoch, bevor er mit anrührend hilfloser Geste aufzuräumen beginnt – und fegt den Schutt der Zaubereischule zusammen, als könne man nach all dem Verderben, das der schwarze Magier Voldemort über den Ort und seine Bewohner gebracht hat, schnellstmöglich zur Tagesordnung übergehen. Es sind solche kleinen visuellen Einfälle am Rande, mit denen der abschließende Film der «Harry Potter»-Saga gegenüber der (über-)mächtigen literarischen Vorlage eigene Akzente zu setzen weiß und beim (eingeweihten) Zuschauer behutsam Assoziationsketten auszulösen vermag: Erinnerungen an glücklichere Zeiten, etwa an die erste nächtliche Begegnung mit Hogwarts vor vielen Jahren, an jene mächtige Festung, in deren Innerem sich ein wahrer Kosmos an skurrilen Orten, Gängen, Labyrinthen und geheimen Kammern entfaltet, oder an den magischen Glanz des großen Schulsaals, der von schwebenden Kerzen beleuchtet wurde, während die Zauberschüler bei üppigsten Mahlzeiten von Wärme, Geborgenheit und unbekümmerter Lebensfreude «umsorgt» wurden; jener opulente Saal, in dem auch das Trimagische Turnier seinen Anfang nahm und Albus Dumbledore mit Güte und Verständnis «regierte», bevor er von den hasserfüllten, zu Totalitarismus, Ausgrenzung und physischer Gewalt greifenden Handlangern des «dunklen Lords» quasi in den Untergrund verdrängt wurde. All dies und noch viel mehr mag unausgesprochen mitschwingen, wenn es nun zum großen Finale kommt und lieb gewonnene Personen sterben, wenn Liebe und Toleranz, die schönen Künste, die Fantasie, Sinnes- und Fabulierfreude endgültig auf der Strecke zu bleiben drohen, während Voldemort mit dem (scheinbar) toten Harry Potter in Hogwarts einmarschiert und mit einer einzigen Bewegung seines Arms alles zur Seite schiebt – selbst den toten Körper eines mächtigen Riesen, der schnöde in den Abgrund vor dem Schloss geschoben wird. Der zweite Teil von HARRY POTTER UND DIE HEILIGTÜMER DES TODES (Start: 14.7.) ist das erwartet düstere Ende der Saga und ein rundum (glaub-)würdiger Abschluss des Filmzyklus, der seine Qualitäten vielleicht erst in der Gesamtschau beider Teile als 270-minütiger «Monumentalfilm» offenbart. Tatsächlich: Am Ende ist alles gut, und man kann recht zufrieden zum Deluminator greifen, um nach elf Jahren und sieben Teilen die Lichter zu löschen.

    Zum ersten Mal wird in Berlin das Gesamtwerk von Charles Chaplin präsentiert: Aus Anlass der 80. Wiederkehr seines Berlin-Besuchs 1931 zeigt BERLIN-BABYLON #2 – Das StummfilmLIVEfestival alle 80 Filme Chaplins (15.7.–7.8. im Babylon). In Zusammenarbeit mit dem Festival «Il Cinema Ritrovato», Bologna, sowie der Association Chaplin, Paris, kommen alle Filmklassiker Chaplins, entstanden zwischen 1914 und 1967, auf die Leinwand, wobei die abendfüllenden Langfilme mit der von Chaplin komponierten Originalmusik in orchestraler Live-Begleitung aufgeführt werden. Begleitet von internationalen Stummfilmpianisten, sind die Kurzfilme in 90-minütigen Programmen zu sehen. Ergänzt wird die Werkschau mit einem Begleitprogramm sowie einer Foyer-Ausstellung zu Chaplins Berlin-Besuch: Am 9.3.1931 war Chaplin auf seiner Europa-Reise in Berlin eingetroffen, um für CITY LIGHTS zu werben, und wurde stürmisch gefeiert.

    Der zypriotisch-griechische Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Michael Cacoyannis wird oft mit einem einzigen Film in Verbindung gebracht: ALEXIS SORBAS (1964), eine Art neorealistischer Hollywood-Film in archaischen Schwarz-Weiß-Bildern. Dagegen hatten andere Arbeiten kaum eine Chance, etwa die Satire DER TAG, AN DEM DIE FISCHE KAMEN (1967) über die ausgelassene Atmosphäre der swingenden 1960er-Jahre. Cacoyannis’ freie Adaption des Euripides-Dramas ELEKTRA (1962), nahm, was Landschaft und Musik angeht, bereits einiges von ALEXIS SORBAS vorweg. Die «Traumfabrik» ließ dem Regisseur dafür weitgehend freie Hand, der Lohn dafür waren sensationelle Einspielergebnisse und drei «Oscars». Cacoyannis, der das griechische Kino international etablierte, stirbt am 25.7. mit 89 Jahren in Athen.

    August

    Das MEDIA-Programm der EU veröffentlicht einen ersten Aufruf zur Unterstützung der Digitalisierung von Kinos: Kinos, die im Jahr 2010 mindestens 50 Prozent europäische Filme gezeigt haben (wenigstens 30 Prozent davon nicht-nationale), können von dieser Förderung profitieren. Der Zuschuss deckt Kosten ab, die im Zusammenhang mit dem Umstieg europäischer Filmtheater auf die Digitaltechnik entstehen; davon ausgenommen sind die Kosten für den Digitalprojektor und den Server. Antragstellende Kinos müssen Erstaufführungskinos sein, seit mindestens drei Jahren existieren, über wenigstens 70 Sitzplätze verfügen, 520 Aufführungen pro Jahr durchführen und in den letzten zwölf Monaten mehr als 20 000 Zuschauer gehabt haben. Bereits seit Mai 2010 fördert die Film- und Medienstiftung NRW die Kinodigitalisierung und unterstützte im letzten Jahr 18 Kinos mit insgesamt 500 000 Euro. Die Stiftung will «das Kino als Rezeptionsort für den Film erhalten und stärken», so Geschäftsführerin Petra Müller. «Damit auch kleinere Kinos mit einem guten Programm weiterhin ihren Besuchern das Erlebnis Film in zeitgemäßer technischer Qualität bieten können, ist die Unterstützung dringend notwendig.» Die Förderung erfolgt als Investitionszuschuss für Kinos, die maximal sechs Säle haben.

    Während der langen Umbauphase prangte auf der Fassade des Deutschen Filmmuseums ein leuchtend rotes Banner mit der Aufschrift «Mehr Raum für den Film!». Was man als plakative Protestparole, als kämpferische Forderung nach etwas im Prinzip Unmöglichem hätte verstehen können, ist zu diesem Zeitpunkt bereits Realität, der vermeintliche Aufruf ein jubilierender Ausruf: Frankfurt bekommt wirklich mehr Raum für den Film, als sich nach einem aufwändigen Komplettumbau das Deutsche Filmmuseum ab Mitte August in neuem Glanz präsentiert und sich den mannigfachen Aufgaben der Bewahrung, Präsentation und des lebendigen Diskurses in Sachen Filmgeschichte und -kultur stellen wird. In Zeiten wirtschaftlicher Engpässe, in denen Bund, Länder und Kommunen den Rotstift (auch) bei der Kultur ansetzen, ist es durchaus eine Sensation, dass dem Film und der Filmkultur ein solch rares Großereignis beschert wird. Andernorts wird das Kino nur allzu gern aus allen unterstützenden Verpflichtungen herausgenommen, da es als vermeintlicher Hybrid zwischen Kultur und Kommerz doch selbst für sein wirtschaftliches Überleben zu sorgen habe. Umso bemerkenswerter ist das deutliche Signal, das die Stadt Frankfurt und das Land Hessen zugunsten der Filmkunst, ihrer konservatorischen Pflege und ihres künftigen Stellenwerts gesetzt haben. Claudia Dillmann, Direktorin des Deutschen Filminstituts – DIF, hatte bereits vor Umbaubeginn eine programmatische Vision umrissen, die «Vision eines Zentrums für Filmkultur und Filmkompetenz, das auf wissenschaftlicher Basis den Anforderungen des Medienzeitalters im 21. Jahrhundert entspricht»; durch die Modernisierung soll das «neue» Filmmuseum nun zum Erlebnis- und Erfahrungsort für Kulturinteressierte und Cineasten, für Familien, Kinder und Jugendliche werden. Ein schönes Sinnbild für den neuen Ansatz von Filmvermittlung ist eine Installation zum «Filmischen Erzählen» im ersten Obergeschoss der neuen Dauerausstellung, wo vier thematisch organisierte Bereiche die Gestaltungsmittel Bild, Ton, Montage und Schauspiel als tragende Säulen des filmischen Erzählens erläutern. Deutlich wird, dass die Wirkung eines Films nicht (nur) davon abhängt, was er zeigt, sondern vor allem, wie er es zeigt – und da könnte die aus drei rechtwinklig zueinander angeordneten Leinwänden, auf denen bis zu vier thematisch «verwandte» Filmszenen simultan projiziert werden, zur schillernden Seele des neuen Hauses werden.

    Ein interessanter Genrefilm aus Deutschland: LOLLIPOP MONSTER (Start: 25.8.) von Ziska Riemann, ein beeindruckendes Coming-of-Age-Drama um zwei Mädchen aus grundverschiedenen Elternhäusern, aber beide auf ihre Weise beschwert mit familiärem Ballast. «Es ist mehr als eine gewöhnliche Pubertätskrise, mit der man es hier zu tun hat. Überhaupt kommt man nicht sehr weit, wenn man versucht, Figuren und Handlung mit Begriffen aus dem Arsenal sozialpädagogischer oder therapeutischer Diskurse zu erfassen. Von Anfang an ist die Story, sind Atmosphären und Ästhetik märchenhaft, und wie in vielen Märchen geht es grausam zu, werden Abgründe aufgerissen, geht es aber auch hinein in die Welt von Traum und Fantasie. Das Production Design versucht daher gar nicht erst, naturalistisch zu sein; wie in einem klassischen Musical ist die Objektwelt auch hier primär ein Ausdruck von Gefühlen und Befindlichkeiten: mal überkandidelt knallbunt, mal rabenschwarz. Zwei-, dreimal haben die Mädchen für Sekunden gelbe Katzenaugen, wie man sie aus Vampir-Filmen kennt. Unterbrochen wird die Handlung durch sinnhafte Musikvideo-Einlagen, Super-8-Passagen und kurze Animationen, die schwarze Raben zeigen, die krächzend aus der Seele über die Leinwand fliegen.» (Rüdiger Suchsland in FILMDIENST 17/11)

    Anlässlich der «Berlinale»-Kinopremiere im Rahmen des Internationalen Forums des jungen Films schrieb Christoph Terhechte über das filmische Triptychon DREILEBEN: «Drei Filme, drei Stile, drei spannende Annäherungen, Abschweifungen, Auseinandersetzungen. Ermöglicht haben das deutsche Fernsehsender. Wie Dominik Graf schrieb: …dieses Arbeiten im Angesicht des TV-Mainstreams, an seinem Rand, im Widerspruch und trotzdem, ob gewollt oder nicht, im Kommentar dazu – das finde ich/fand ich schon immer extrem kreativ.’» Christian Petzold, Dominik Graf und Christoph Hochhäusler hatten vor fünf Jahren einen «Briefwechsel» via E-Mails geführt, in dem sie sich über Filmästhetik, Berliner Schule, Deutschland und das Genre «an sich» austauschten (nachlesbar im Magazin Revolver). Daraus resultierte die Idee für ein gemeinsames Projekt, bestehend aus drei individuellen Spielfilmen, die in ihrem Kern um dieselbe Meldung kreisen: die Flucht eines verurteilten Sexualtriebtäters aus einem Gefängnis im Thüringer Wald. So entstanden drei grundverschiedene und doch auf nahezu «magische» Weise in einem vagen Referenzsystem miteinander verknüpfte Filme, in jeweils eigener Inszenierung, mit ganz eigenem Temperament: Petzold drehte ETWAS BESSERES ALS DEN TOD, Graf KOMM MIR NICHT NACH, Hochhäusler EINE MINUTE DUNKEL – drei Skizzen von «eher spärliche(n) Lichtungen am Rande des Unheimlichen, dessen Konturen vom Verlust der Orientierung (Petzold) über die Melancholie des Vergangenen (Graf) bis zu affirmativen Formen falschen Bewusstseins (Hochhäusler) reichen» (Josef Lederle in FILM-DIENST 6/11). Nachdem das Triptychon bei wenigen weiteren Filmfestivals auf der Kinoleinwand zu bestaunen war, wird es am 29.8. zum singulären Fernseh-Highlight: Die ARD strahlt alle drei Filme an einem Abend aus, womit sich die Dynamik und Tiefenschärfe des Werks im Rahmen eines langen Filmabends nachdrücklich vermittelt. Ein herausragendes Ereignis!

    Filme wie der wuchtige filmische Höllenritt FAUST von Alexander Sokurow oder die schwebend-feine Studie HAHITHALFUT (THE EXCHANGE) des israelischen Regisseurs Eran Kolirin machen den Wettbewerb der diesjährigen Mostra Internazionale D’Arte Cinematografica (31.8.–10.9.) in Venedig zu einem denkwürdigen Ereignis. Und zwar nicht nur wegen der Stars, die sich auf dem Roten Teppich geradezu drängen, sondern vor allem wegen Filmen, die das spüren ließen, was Festivalleiter Marco Müller in seinem Grußwort als sein Ideal von Film beschrieb: das Kino als «Macht» und als Bündelung von Energien, dem es gelingt, unsere Arten zu fühlen und wahrzunehmen sowohl aufzugreifen als auch zu prägen. Für Marco Müller wird das Festival zum glänzenden Abschied. Doch so herausragend die Filme auch sind, «rufen einem die nun schon seit Jahren klaffenden Baustellen auf dem Festivalgelände doch immer wieder die strukturellen Schwächen in Erinnerung, mit denen das Festival zu kämpfen hat. Die italienische Kulturpolitik ist offensichtlich nicht willens oder in der Lage, die massiven Probleme des Festivals zu beseitigen. Noch hat das Fehlen eines Filmmarkts und die mangelhafte Infrastruktur die Strahlkraft der ‹Mostra› nicht untergraben; doch um wie viel mehr das Festival Besseres verdient hätte, hat seine 68. Ausgabe einmal mehr unter Beweis gestellt.» (Felicitas Kleiner in FILM-DIENST 20/11)

    September

    Der 102-jährige portugiesische Regisseur Manoel de Oliveira will seine angekündigte Adaption von Agustina Bessa-Luís’ Roman A Ronda da Noite (Die Nachtwache) zurückstellen und in Paris mit den Dreharbeiten zu O GEBO E A SOMBRA (GEBO UND DER SCHATTEN) beginnen. Das dem Projekt zugrunde liegende Theaterstück reflektiert die neureiche Gesellschaft Portugals der Ersten Republik (1910–1926) und bietet für Oliveira kritische Anmerkungen zur zeitgenössischen Situation Europas. Außerdem plant der älteste aktive Regisseur der Welt die Verfilmung von A IGREJA DO DIABO (DIE KIRCHE DES TEUFELS), einer Erzählung des brasilianischen Autors Joaquim Maria Machada de Assis. Nicht nur über den Arbeitseifer kann man sich wundern, sondern auch über die Zuversicht des Regisseurs, aber vielleicht sind ja auch langfristige Pläne die beste Rückversicherung.

    Im Berliner Haus der Kulturen der Welt eröffnet am 7.9. Ulrike Ottingers Ausstellung «Floating Food», die den Umgang des Menschen mit Nahrung und Wasser in den verschiedenen Kulturen nachzeichnet. Ein Gesamtkunstwerk der Weltensammlerin, Filmemacherin und Fotografin. Durch ein originelles Entree, das den Blick auf das heranrollende Meer freigibt, gelangt man in einen kleinen Raum mit Schulkarten, aufgenähten Postkarten und Fotos die Reiseziele der Regisseurin präsentieren. Der Hauptraum ist fantasievoll um Leinwände herum inszeniert, auf denen Ausschnitte aus ihren Dokumentar- und Spielfilmen aus 40 Jahre zu sehen sind. Die Filme laden ein, sich Zeit zu nehmen und neue Details zu entdecken. Ergänzt werden die Filme durch ethnografische Objekte, sowie Diaserien über Menschen, Orte und Opferrituale.

    Aki Kaurismäkis Film LE HAVRE kommt in die Kinos (Start: 8.9.), den der finnische Regisseur ein filmisches Märchen nennt: «Kino ist Illusion, und mein Film ein Teil des Spiels. Ist die Realität hässlich, suchen wir gerne ein Refugium. Kino heißt nichts anderes als Ferien von der Wirklichkeit, Illusion. Ich entwerfe eine Illusion mit Happy End, das ist Teil des Spiels. Wenn man Filme macht, sollte man auch daran denken, dass ganz normale Menschen für ihr Ticket zahlen und nicht ständig gestresst werden wollen, sondern nach einer harten Woche Entspannung suchen. Deshalb sollte man sie unterhalten – unterhalten, wohlgemerkt, nicht verdummen. Das ist auch eine Frage des Respekts dem Zuschauer gegenüber. Dennoch falle ich bei jedem zweiten Film wieder in den Pessimismus zurück. Das lässt sich schon an den Farben ablesen: Blau und grau mit roten Einsprengseln, dazu etwas Gelb, das ist dann der optimistische Film, fehlt das Gelb, ist der Film weniger optimistisch. Und hier gibt es sehr viel Gelb.» (FILM-DIENST 18/11)

    Nach der «Astor Filmlounge» in Berlin hat seit dem 15.9. auch München ein «Edel-Premierenkino»:

    Cinemaxx-Chef Hans-Joachim Flebbe eröffnet im Hotel Bayerischer Hof die «astor@Cinema Lounge» mit bequemen Lounge-Sofas, 40 Plätzen und digitaler Projektionsanlage für alle Filmformate inklusive 3D, Live-Übertragungen von Opern, Konzerten und Ballettaufführungen. Gezeigt wird «gehobene Unterhaltung», u.a. Roman Polanskis GOTT DES GEMETZELS sowie die Dokumentarfilme EL BULLI und BERLINER PHILHARMONIKER IN SINGAPORE – A MUSICAL JOURNEY IN 3D. Flebbe und der Bayerische Hof hoffen (bei stolzen Ticketpreisen zwischen 15 und 18 Euro) nicht nur auf Hotelgäste, sondern auch auf Zuspruch der Münchner Filminteressierten. Im Jahr 2012 will Flebbe ein weiteres «Premiumkino» in Köln eröffnen.

    Vier junge Menschen fahren in einer nahen Zukunft in einem abgedunkelten Auto durch sengende Hitze Richtung Gebirge, wo es angeblich noch Wasser geben soll. Dies ist die Ausgangssituation eines bemerkenswerten postapokalyptischen Science-Fiction-Thrillers deutscher Provenienz. Bei HELL (Start: 22.9.) ist bereits der Titel doppelsinnig: Er meint das Gegenteil von Dunkel, jenes gleißende Licht, das über weite Strecken dominiert, und bezeichnet zugleich (auf Englisch) jene Hölle, die diese helle Welt in nahezu jeder Hinsicht ist. HELL ist «eine Dystopie, die in der unmittelbaren Zukunft spielt. Vieles sieht hier noch vertraut aus, und doch ist alles fundamental anders geworden, denn der Klimawandel hat sich derart rasant beschleunigt, dass die Atmosphäre um zehn Grad Celsius wärmen wurde und die Erde in eine Wüste verwandelt hat. Wasser ist das kostbarste Gut, auch Nahrung und Treibstoffe sind knapp. (…) Der Film richtet sich nicht an die Gemeinde der Eingeweihten, sondern will das aufgeschlossene Massenpublikum für den Stoff begeistern. Das gelingt, er ist packend und trotzdem eine Herausforderung, da neben dem Horror der Verhältnisse auch explizite Gewaltdarstellungen und Kannibalismus zu Fehlbaums Version des Endes der menschlichen Zivilisation gehören. (…) Dabei berührt HELL, wenn man ihn ernst nehmen will, seriöse Fragen nach dem Verhältnis von Anthropologie und Moral: Wie verankert sind zivilisatorische Tabus? Was sind Menschen unter extremen Verhältnissen bereit zu tun?» (Rüdiger Suchsland in FILM-DIENST 19/11)

    «All’s well that ends well» – mit Shakespeare leitet Produzent Andrew Braunsberg den feierlichen Abend ein, bei dem Roman Polanski endlich den Ehrenpreis des Filmfests Zürich abholen kann. Für den polnischen Regisseur schließt sich am 28. September der Kreis: Genau zwei Jahre, nachdem er 2009 am Flughafen verhaftet worden war, kann er nun persönlich erscheinen. «Besser spät als nie», bemerkt er ein wenig süffisant und dankt – mit vollem Ernst – den Beamten des Bezirksgefängnisses von Winterthur. Sie hätten seine Haft erträglicher gemacht.

    Oktober

    Filmstars sonnen sich in Glanz der Öffentlichkeit, Regisseure tun es ihnen nach, Cutter/Schnittmeister hingegen bleiben weitgehend anonym und werden bestenfalls als Handwerker wahrgenommen. Dabei wird übersehen, dass sie entscheidend zum Gesamtkunstwerk «Film» beitragen. Einer der Besten unter ihnen war Peter Przygodda, der am 2.10. in München stirbt: Er war der Cutter von Wim Wenders, mit dem er seit SUMMER IN THE CITY (1970) häufig zusammenarbeitete, schnitt u.a. für Hans-Jürgen Syberberg (LUDWIG – REQUIEM FÜR EINEN JUNGFRÄULICHEN KÖNIG, 1972), Hans W. Geissendörfer (DIE GLÄSERNE ZELLE, 1978), Reinhard Hauff (MESSER IM KOPF, 1978), Peter Handke (DIE ABWESENHEIT, 1992), Romuald Karmakar (DER TOTMACHER, 1995), Volker Schlöndorff (DER UNHOLD, 1996) und Werner Schroeter (DIESE NACHT, 2008). Dass Przygodda, der eigentlich Architekt werden wollte, beim Filmschnitt landete, passt gut ins Bild, da der Cutter als eine Art Baumeister das Filmgebäude aus vielen Einzelmomenten zusammensetzt. Kritiker suchen gern nach dem persönlichen Stil, was für Przygodda eine zu akademische Frage war. Viel wichtiger als die Handschrift ist das, was den Film selbst voranbringt. Auf Przygoddas Arbeit traf zu, was Sidney Lumet über den Schnitt geschrieben hat: dass dieser – «wie alles beim Filmemachen» – eine «technische Angelegenheit mit wichtigen künstlerischen Implikationen» ist.

    Die Zeitschrift Kino – German Film & International Reports präsentiert ihre 100. Ausgabe. Das englischsprachige Blatt wurde 1978/79 als Begleitpublikation für eine Tournee neuer westdeutscher Filme in den USA gegründet. Der aus den USA nach Berlin übergesiedelte Ron Holloway, Doktor der Theologie und filmbegeisterter Publizist, hob es mit seiner Frau Dorothea aus der Taufe. Während die ersten drei Hefte von der Filmförderungsanstalt (FFA) finanziert wurden, trugen die Holloways die Kosten aller weiteren Ausgaben selbst. Seit Ron Holloway den frühen Arbeiten von Herzog, Fassbinder und Wenders begegnete, war es für ihn eine Herzensangelegenheit, den deutschen Film international zu popularisieren. «Zu den herausragenden Editionen zählt ein Sonderheft zum polnischen Film, das die kinematografischen Ereignisse in den Jahren der ‹Solidarnosc›-Gründung penibel nachzeichnet. Nach 1990 widmeten Ron und Dorothea Holloway ein weiteres Sonderheft den Produktionsbedingungen in den neuen Bundesländern. (…) Nach dem Tod von Ron Holloway im Dezember 2009 kamen einige seiner Freunde überein, das Blatt in seinem Sinne weiterzuführen; an der Seite von Dorothea Holloway fungiert Martin Blaney als Gastherausgeber. In der 100. Ausgabe, die mit typisch hollowayscher Bescheidenheit keinerlei Aufheben um das Jubiläum macht, finden sich u.a. Artikel über den Deutschen Filmpreis, das ‹Cinema Jenin›-Projekt, das World Cinema Funds-Programm für Afrika sowie über neue deutsche Filme.» (Ralf Schenk in FILM-DIENST 23/11)

    Das 26. Mannheimer Filmsymposium (14.–16.10.) nimmt sich der Frage an, wie individuelle «Handschriften» von Regisseuren identifiziert werden können. Beschränken sie sich nur auf formale Aspekte oder spiegeln sie sich auch in grundlegenden Fragen und Leitmotiven? Steht das Thema oder der Inszenierungsstil in Vordergrund? Auch die Frage, wie Genre-Regeln die Inszenierung beeinflussen, wird erörtert. In Werkstattberichten mit Dominik Graf, Brigitte Bertele und Dirk Wilutzky geht es zudem um die realen Bedingungen künstlerischer Freiheiten. Nebenbei bemerkt: 60 Jahre Filmfestspiele Mannheim(-Heidelberg), 26 Symposium, 7 Jahre Festival des Deutschen Films – Mannheim und seine Region sind längst zur Film-Hochburg geworden.

    WINTERTOCHTER (Start: 20.10.) ist – endlich wieder einmal! – ein ambitionierter deutscher Film für Kinder, der sich nicht den Marktgesetzen des flott erzählten, allzu oft belanglosen Family-Entertainment beugt, sondern sein junges Publikum (nach einem über Jahre hinweg sorgfältig entwickelten Originalstoff) auf eine spannende und unterhaltsame, zugleich auch vielschichtige und anspruchsvolle Reise mitnimmt. Man mag WINTERTOCHTER deshalb auch gar nicht als «Kinderfilm» bezeichnen, ist dies doch (zumindest hierzulande) ein fast schon stigmatisierender Begriff, der zur Ausgrenzung aus dem normalen Kinoalltag und zur Gettoisierung in der sonntäglichen Nachmittag-Kinoschiene führt. Selbstbewusst entwickelt sich WINTERTOCHTER als mal anrührendes, mal komisches, ebenso poetisches wie abenteuerliches Road Movie mit kraftvoll gezeichneten (Haupt-)Figuren, fulminanten Bildern und einer dramaturgisch geschickt eingesetzten Musik. Wunderbar ergänzen sich dabei die Wärme und das individuelle Temperament der hervorragend interpretierten Figuren mit dem exquisiten Ambiente der winterlichen Landschaft, Impressionen polnischer Dörfer oder eisig-verschneiter Meeresküsten, wobei die mitunter atemberaubenden (nächtlichen) Bilder der gigantischen Hafenanlagen von Stettin und Danzig eine gänzlich fremde Welt nahe bringen.

    Als es noch kein «Effektekino» nach heutigen Maßstäben gab und die vielen (computer-)technischen Möglichkeiten zur aktuellen Bildgestaltung noch gänzlich unbekannt waren, da konnte einen bereits ein simples technisches Erzählmittel wie die Überblendung regelrecht überwältigen. Wenn durch das gleichzeitige Abblenden und Aufblenden eines Filmbildes ein fließender Übergang entstand, quasi als magische Verbindung zweier Szenen, dann wurde im Kino eine ganz spezifische Art des «intuitiven Reisens» möglich: Chronologisch und/oder räumlich getrennte «Welten» flossen ineinander, unwillkürlich spürte man das Vergehen von Zeit, indem man von (Kino-)Ort zu Ort sprang. Wurde einst dieser Effekt oft noch direkt beim Drehen in der Kamera hergestellt, verfeinerte er sich später im Kopierwerk, wurde freilich auch immer mehr zur erzähltechnischen Konvention, die niemanden mehr sonderlich hinterm Ofen hervor lockte. Bis Steven Spielberg kam: Er hegte und pflegte, ja zelebrierte die «guten alten» Erzähltechniken als ein mitunter genießerisches Spiel, etwa immer dann, wenn Indiana Jones wieder einmal um die Welt flog und sich dies in einer poesievollen Kette von Überblendungen verdichtete, zusätzlich kondensiert im animierten Bild einer Weltkarte, auf der (mindestens) ein fetter roter Pfeil die Wege dieser Reise «dokumentierte». In solchen Momenten, in denen sich Handlungsaufbau und Inszenierung, märchenhaftes Abenteuer und kindliche Lust am «reinen» Erzählen virtuos durchdrangen und zur gänzlich kinematografischen Vorstellung von Welt fanden, war Spielberg einer der ganz wenigen Magier, die Autorenkino und Filmindustrie miteinander zu versöhnen wussten. Und der er auch heute mitunter noch ist: Streitet man sich einmal nicht darüber, ob DIE ABENTEUER VON TIM UND STRUPPI (Start: 27.10.) nun ein «guter» oder ein «schlechter» Film ist, sondern schaut auf die überbordenden erzählerischen Einfälle am Rande der «großen» Erzählung, dann kann man diese nur genießen – und staunen, mit welch bewusstem Wissen (und ungebrochenem Spieltrieb) Spielberg ins Füllhorn des filmischen Erzählens greift und dabei auch die Kunst der Überblendung zelebriert, nun generiert im Computer. Jede virtuose (virtuelle) Kameraeinstellung wird dann noch dadurch getoppt, dass sie sich mit der nächsten überlappt, sodass man von der spiegelglatten Meeresoberfläche, auf der die «Einhorn» in einer Flaute dümpelt, wie selbstverständlich zu einer Pfütze auf einem Bürgersteig in Brüssel gelangt, in der sich die Beine der vorüber eilenden Passanten spiegeln, darunter jene von Schultz und Schultze, die zu ermitteln beginnen; oder Käpt’n Haddocks visionäre Erzählung über seinen Vorfahr die riesigen Dünen einer Wüste in ein Meer verwandelt, auf dem das Segelschiff die Wellen durchpflügt, oder sich gar eine Reise von der Nahaufnahme zweier Punkte auf einem Unterarm wie selbstverständlich zur grandiosen Totale einer Stadtansicht verändert, die dem Betrachter regelrecht zu Füßen liegt. «Das ist nicht Literatur, das ist vielleicht Tanz, vielleicht Poesie, auf alle Fälle Kino», schrieb Truffaut bereits 1954 über Howard Hawks – er hätte es genauso auch heute über Spielbergs TIM UND

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