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Panische Gefühle: Sexuelle Übergriffe im Instrumentalunterricht
Panische Gefühle: Sexuelle Übergriffe im Instrumentalunterricht
Panische Gefühle: Sexuelle Übergriffe im Instrumentalunterricht
Ebook206 pages2 hours

Panische Gefühle: Sexuelle Übergriffe im Instrumentalunterricht

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Panische Gefühle und seelische Verletzungen sind für viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit der Musik und dem Musizieren verbunden. Eine empirische Erhebung ergab, dass fast jede fünfte Musikstudentin und über drei Prozent der Musikstudenten bereits sexuelle Übergriffe erlebt haben.
Musikmachen ist ein sinnlicher Vorgang. Körperlichkeit und Nähe können aus dem Unterrichtsgeschehen nicht ausgeklammert werden. Deshalb ist es für Lehrende wichtig, Grenzen zu respektieren, mit Wünschen und Bedürfnissen verantwortungsvoll umzugehen und die körperliche und sexuelle Integrität der ihnen anvertrauten Menschen zu achten.
Mit dieser Veröffentlichung liegt zum ersten Mal ein Handbuch vor, das mit Fallbeispielen, Analysen und praktischen Ratschlägen aufklärt und sensibilisiert.
LanguageDeutsch
PublisherSchott Music
Release dateJul 30, 2015
ISBN9783795786687
Panische Gefühle: Sexuelle Übergriffe im Instrumentalunterricht

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    Book preview

    Panische Gefühle - Freia Hoffmann

    Zürich

    Franziska: Verehrung, Blockaden und Verpflichtungsgefühle

    Als ich die Aufnahmeprüfung für Jungstudentinnen gemacht habe, war ich 13. Ich hatte vorher privat bei einer Lehrerin gelernt, die auch bei meinem Professor ausgebildet worden war und die mich weitergeleitet hat. Ich galt als sehr begabt, war ein paarmal im Bundeswettbewerb von „Jugend musiziert". Meine Eltern waren sehr stolz auf mich und haben mich sehr gefördert. Sie sind zu Kursen mitgefahren und wenn ich einen Wettbewerb gewonnen habe, bin ich mit einem Geschenk belohnt worden. Auch im Familienalltag fühlte ich mich sehr unterstützt. Meine Mutter hat mir zum Beispiel, wenn sie bügelte, gern beim Üben zugehört. Ich war ein sehr braves Kind. Wenn es Situationen gab, wo ich keine Lust hatte oder wo ich mich gewehrt habe, habe ich schnell gemerkt, dass das nicht gut war. Ich war dann zwei Stunden trotzig und habe dann wieder geübt.

    Mit 13 wurde also beschlossen, dass ich Jungstudentin werden sollte – das war für meine Eltern das höchste, was ich in diesem Alter erreichen konnte. Ich bin zu einem prominenten Geiger gekommen, der eine Professur in W. hatte. Mein Vater hat mich einmal in der Woche zum Unterricht gefahren und ich habe diesen Lehrer auf eine kindliche Weise sehr verehrt. Er hat sehr viel Energie vermittelt, er hat mich musikalisch motivieren können und ich mochte es auch, wie er über Musik gesprochen hat: sehr sachlich und einfühlsam.

    Privat war es für mich eine schwierige Zeit. Kurz nach der Aufnahmeprüfung ist meine Mutter krank geworden, anderthalb Jahre später ist sie gestorben. Mein Vater war Alkoholiker und ist dann manisch-depressiv geworden. Damit wurde mein Lehrer für mich zu einer wichtigen Autoritätsperson, die in gewisser Weise meine Eltern ersetzt hat. Mein Vater hatte ihm von unserer Situation erzählt und ich habe ihm von meinem Vater erzählt, wenn ich nicht mehr zurechtkam. Er wurde für mich eine Vertrauensperson, auch wenn über meine privaten Verhältnisse nicht viel geredet wurde. Aber ich hatte das Gefühl: Da kann ich hinkommen und da bin ich im Prinzip aufgehoben. Etwa ein Jahr lang hab ich ganz gut durchgehalten. Dann bin ich ganz oft einfach nicht zum Unterricht gekommen ohne abzusagen und bin dann später wieder aufgetaucht. Dann hat er gesagt: „Hallo, Franziska, schön, dass du da bist. Bin ich noch dein Lehrer? Da hab ich gesagt: „Ja. Und damit war es für eine Weile wieder in Ordnung.

    Ich war 16, als zum ersten Mal etwas geschah, wofür ich mich sehr geschämt habe und wo plötzlich eine Fremdheit zwischen uns entstand. Es war irgendwie von Vergewaltigung die Rede, und er sagte: „Wenn eine Frau vergewaltigt wird, so ist das ihre… – so wünscht sie sich das. Ich erinnere mich, dass ich im Raum stand und im Boden unter mir ist so etwas wie eine Luke und ich fall da runter. Ich hab auf den Boden gestarrt, mein Gesicht wurde heiß und rot und ich konnte ihn nicht ansehen. Ich hab nichts gesagt und es kam mir vor wie drei Stunden. Und dann ist er zu mir gekommen und hat gesagt: „Entschuldige, wenn ich dich verletzt habe. Also das hat er schon registriert, dass das überhaupt nicht gut war.

    Allmählich wurden mir auch die Bilder, die im Unterricht benützt wurden, suspekt: „Die Geige ist die Frau und der Bogen ist der Mann. Das ist immer wieder gesagt worden. „Die Geige mag das Gewicht vom Bogen. Auch von der Reibung hat er immer gesprochen und von einem Loch. Ich erinnere mich nicht mehr an den genauen Zusammenhang, aber noch sehr genau an die Süffisanz, mit der er diese Bilder und Ausdrücke benützt hat. Es ist ja nahe liegend, dass man von Reibung spricht und dass der Bogen die Saite in Schwingung versetzt und so weiter. Aber das hat natürlich nichts mit einer anderen Art von Reibung zu tun, die er meinte – und ganz klar meinte. „Die Geige oder die Frau ist diejenige, die sich hingibt, und überhaupt, wenn wir Musik machen, müssen wir uns erstmal anmachen. Ich muss dich sozusagen erstmal anmachen, erst dann wirst du dich entfalten und wirst dann auch wirklich musikalisch spielen."

    Nach einiger Zeit hat mich mein Lehrer öfter zu Unterrichtswochenenden zu sich nach Hause eingeladen. Ich habe mich dabei extrem unwohl gefühlt. Ich habe dann oben unterm Dach in einem Zimmer gewohnt. Seine Frau war auch immer da, wir haben zu dritt gegessen und gekocht und so. Es war aber immer etwas seltsam, da zu übernachten, auch ihr gegenüber fand ich es seltsam. Er wollte mir wohl signalisieren: Ich bin für dich da, ich weiß, du hast es schwer zu Hause. Jetzt gucken wir mal, ob wir dich ein bisschen aufmöbeln können. Es war schon auch eine ernst gemeinte Initative dabei. Aber trotzdem hatte die Sache atmosphärisch noch eine andere Seite… Lieb war mir das nicht.

    Ein anderes Mal ging es um meine Körperhaltung. Ich hatte eine Zeit, wo ich sehr „gehangen hab. Wo ich die Schultern hängen hatte, wo also nichts mehr von dem blühenden Kind übrig war. Da hat er mir gesagt: „Franziska, warum stellst du dich nicht mal grade hin, schämst du dich für deinen großen Busen? So. Seitdem hatte ich immer das Gefühl, mein Busen ist zu groß und es ist alles ohnehin nur noch schrecklich. Ich erinnere mich, dass ich damit zu meinem Vater gegangen bin, habe ihm das aber in sehr unkritischer Weise erzählt. Ich wusste einerseits genau, dass das eigentlich ganz furchtbar war, aber ich habe es andererseits nicht an mich rangelassen. Mein Vater meinte: „Naja, wenn er sich das erlauben kann…" Er hat sich nicht darüber aufgeregt. Es war fast so, als ob er meinen Selbstschutz-Mechanismus, das alles nicht an mich ranzulassen, eher unterstützten wollte. Was ich in dieser Zeit allmählich unangenehm fand, das war auch dieser Händedruck. Mein Lehrer hat die Hand genommen, sie lange gehalten und einem immer sehr, sehr intensiv in die Augen gesehen. Das war eine Art, da konnte ich mich auch nicht dagegen wehren. Ich fand es nicht gut, es hatte etwas sehr Einnehmendes, was ich dann überhaupt nicht mehr wollte.

    Wie in vielen anderen Klassen der Musikhochschule gab es auch bei uns eine sehr enge Gemeinschaft. Mein Lehrer war wie ein Guru, der seine Studenten gerne um sich versammelt und auf sich ausgerichtet hat. Man durfte nicht zu anderen Lehrern, man durfte nicht auf andere Kurse und er hat ganz klar gesagt: „Ich will diese Art von Zusammenhalt." Heute würde ich sagen, es war noch viel mehr, es war wie eine Gehirnwäsche. Er hat uns regelrecht abhängig gemacht durch diese Art von Enge. Einmal waren wir zusammen auf einem Kurs. Er hat bei solchen Gelegenheiten immer Vorträge gehalten über alles Mögliche. Irgendwie sind wir auf die Bild-Zeitung gekommen, ich weiß nicht, warum. Ich hab gemeint, da sei ja immer unter einer aufregenden Bildunterschrift eine nackte Frau zu sehen, und hab mich ziemlich darüber aufgeregt. Sein Kommentar: „Wir haben nichts gegen nackte Frauen." Ich war total stumm danach. Ich habe mich nicht wehren können, das würde mir vielleicht heute noch schwer fallen. Aber in solchen Situationen, wo ich einfach als Frau nicht ernst genommen wurde, ist mir schon klar geworden, dass ich mich eigentlich besser vertreten müsste.

    Im Nachhinein hab ich auch mit Männern, die in seiner Klasse waren, darüber gesprochen, aber die sagten immer nur: „Ach, das hab ich nicht gewusst, und bei uns war das eher so eine schenkelklopfende Männerkumpanei. Oder er hat Männerwitze erzählt. Einen davon hab ich auch mal mitbekommen, den hat er einer anderen Studentin erzählt, während ich im Raum war: „Eine Frau sagt, mein Mann fährt als Astronaut auf den Mond und ich hab Angst, dass er nicht runter kommt. Die andere Frau sagt, und ich hab Angst, dass er nicht hoch kommt. Die Studentin konnte überhaupt nicht darüber lachen, das war eine, die auch schon sehr lange bei ihm

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