Bitte lasst mich mitspielen!: Erinnerungen. Aufgezeichnet von Marina C. Watteck
By Bibiana Zeller and Marina C. Watteck
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About this ebook
Neben ihrem Werdegang und ihren wichtigsten Karrierestationen erzählt Bibiana Zeller anhand von Tagebuchaufzeichnungen, die sie seit ihrer Jugend führt, von prägenden Erfahrungen mit Burgtheater-Direktoren, der Arbeit mit bedeutenden Kollegen, ihrem Streben nach Perfektion und ihrer absoluten Hingabe an den Schauspielberuf.
Freimütig erzählt sie außerdem über ihre erste große Liebe, das Scheitern ihrer ersten Ehe mit dem Regisseur Otto Anton Eder und das Glück in ihrer zweiten Ehe mit Schauspielkollege Eugen Stark, ebenso wie über Zweifel, Niederlagen und Erfolge.
Mit Humor, Tiefsinn und viel Selbstreflexion entsteht das Bild einer Frau, die viel erlebt, viel gearbeitet und vielen Menschen unvergessliche Momente bereitet hat. Es ist die Autobiografie einer Schauspielerin, die sich selbst fast nie, den Beruf und das Publikum aber immer ernst genommen hat.
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Book preview
Bitte lasst mich mitspielen! - Bibiana Zeller
Bibiana Zeller
Bitte lasst mich mitspielen!
Bibiana Zeller
Bitte lasst
mich mitspielen!
Erinnerungen
Aufgezeichnet von
Marina C. Watteck
Mit 47 Abbildungen
AMALTHEA
Allen meinen Lieben
© 2015 by Amalthea Signum Verlag, Wien
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Elisabeth Pirker/OFFBEAT
Umschlagfotos: © Nathalie Bauer (vorne). © Heinz Köster (hinten oben:
in einer frühen Josefstadt-Produktion mit Leopold Rudolf ).
© Privatarchiv Bibiana Zeller (hinten unten: als Ilse Kottan)
Lektorat: Martin Bruny
Satz: Gabi Adébisi-Schuster
Gesetzt aus der: Capita 10,6/14,8
ISBN 978-3-85002-909-4
eISBN 978-3-902998-70-5
Inhalt
Anstatt eines Vorworts
1. Kindheit und Katastrophe
2. Ich muss spielen …
3. Josefstadt, Ausland und Otto Anton Eder
4. Burgtheater, Peymann und Bernhard
5. Ilse Kottan
6. Eine Ehe geht zu Ende. Eine neue Liebe – ein neues Haus
7. Theaterleben oder Die Angst, nicht gebraucht zu werden
8. Scheinwerfer
Nachwort
Rollenverzeichnis
Theater
Film und Fernsehen
Personenregister
Bild- und Textnachweis
… nämlich du weißt ja, man soll
nicht alles aufschreiben, was man denkt,
aber die flüchtigen Dinge
besitzen so viel Irrlicht, daß
die Leuchtfeuer ihres
Wahns … sich wie Feste bewegen …
Friederike Mayröcker
»Doktor Faustus – my love is as a fever«, Burgtheater, 2008.
»Wahrgenommen zu werden, ist etwas Merkwürdiges.
Bei Proben habe ich bemerkt, dass die Virtuosität in der
Nicht-Wahrnehmung besteht. Die eigene Virtuosität kann
nur stattfinden, wenn du nicht wahrgenommen wirst.«
Bibiana Zeller, August 2013
Anstatt eines Vorworts
Mein Name ist Bibiana Zeller. Heute trage ich einen Rock, der ist furchtbar lang, sehr unmodern. Ich habe schon lange nichts mehr gekauft, nichts angeschafft, seit ich den Thomas Mann – »Doktor Faustus – My love is as a fever« in der Spielzeit 2008/ 2009 am Wiener Burgtheater – gespielt habe. Seitdem trage ich wohl nur Hosen.
Ich bin seit dem Jahr 1972 am Burgtheater. Musik, bitte.
Am liebsten würde ich jetzt eher zuhören, statt diese Musik als Untermalung für meine Rede zu verstehen, aber … okay. Ich habe mir immer gewünscht, diesen Beruf ausüben zu dürfen. Ich habe mich sehr danach gesehnt, die Realität des Alltags nicht zu 100 Prozent aufnehmen und ganz leben zu müssen. Und da ist das Theater natürlich ein Ort, der tatsächlich ein »woanders sein« bedeutet. Und dennoch ist es ein Trugschluss, denn auch das Theater ist genauso eine Realität und eine Wirklichkeit – das ist klar.
Ich war von 1950 bis 1958, mit Unterbrechungen, am Theater in der Josefstadt. Ganz, ganz vorher, gleich nach dem Zweiten Weltkrieg, habe ich begonnen – da war ich noch in der Schule –, am Hochschulstudio zu spielen und zu lernen. Das war so eine Art Zimmertheater, wo wir sehr viele interessante Stücke spielten, weil wir damals sehr ausgehungert waren durch diese furchtbare Zeit vorher, in der wir von aller Literatur außer der deutschsprachigen und der offiziell zugelassenen ja völlig abgeschnitten waren. Da war das Spielen der französischen, italienischen – egal: europäischen – Stücke eine wunderbare Beschäftigung. Es gab auch die vielen Kellerbühnen damals, in den Wiener Kaffeehäusern, aber ich dachte: Das kann’s doch nicht sein. Auch war ich lange arbeitslos, und daher machte ich mich auf die Beine und bin auf Tournee gegangen mit diesem Hochschulstudio und hab mir Europa anschauen dürfen. Wir haben den »Jedermann« gespielt zum Beispiel, in Rom und Amsterdam, bis eines Tages unser Prinzipal mit der Kasse durchbrannte und wir zurückgeschickt wurden.
Nun ja, dann kam das Theater in der Josefstadt und dann … Dann bin ich hierher, ans Burgtheater gegangen und habe vorgesprochen. Ich wurde engagiert und habe hier 40, 50 Jahre verbracht. In dieser Zeit habe ich unglaubliche Durststrecken erlebt, als ich überhaupt nichts angeboten bekam. Wartend, ob ich was kriege, wartend, sitzend – mehr als kämpfend, denn das kann ich leider nicht –, hab ich alle möglichen Zustände gehabt, die man sich überhaupt nur vorstellen kann.
Der Grund für meine Schauspielerei – das ist wie eine Überschrift über mein Leben –, das ist die Flucht vor dem Alltag. Und hier am Burgtheater, das ist so ein Kosmos in sich, eine Kugel, die steht hier irgendwie mitten in Wien und ist völlig autark. Es kam aber immer viel, viel von außen herein, also zumindest das Interesse an unserem gesellschaftlichen Leben, das wir immer hineintrugen und versuchten, irgendwie zu einem Ausdruck zu kriegen oder zu finden.
Es gab Zeiten, da habe ich gar keine Verbindung nach außen gebraucht, da war ich täglich 20 Stunden hier. Zeiten, wo man ununterbrochen vormittags probt, dann ein bissel Pause macht und in die Kantine geht – und danach, was weiß ich, schaut man in den Text, und am Abend dann die Vorstellungen …
Und außerhalb des Theaters, unsere Innenstadt, überhaupt die Umgebung ist ja sehr, sehr unterschiedlich, sehr liebevoll, dann wieder voller Hass, voller Gemeinheiten. Ich habe inzwischen den fünften Direktor gesehen, oder den sechsten, ich zähle ungern nach und denke auch ungern über die Vergangenheit nach, gebe ich zu, dazu habe ich aber eben sehr viel Tagebuch geschrieben.
Ich habe mir die Tagebücher binden lassen, damit nicht so flatternde Schulhefte herumliegen. Ich hab den 1987er-Jahrgang herausgezogen, und da hab ich mir eigentlich gedacht, ob ich 1983 aufschlage oder 1997 oder 1970 … Das Theater und meine Verzweiflung, das ist durchgehend niedergeschrieben.
Ich weiß natürlich, dass man sich in einem Ensemble immer die beste Rolle wünscht, man weiß aber auch, dass man sie nicht immer haben kann. Das ist doch logisch.
Ich weiß gar nicht, was habe ich denn vor Matthias Hartmann gespielt … ich bin so lange nicht drangekommen.
Meistens habe ich sehr liebevolle Charaktere gespielt .Was ich jetzt spiele, dieses »Geschichten aus dem Wiener Wald«, das ist eigentlich die erste ganz böse Rolle, ansonsten hat man mir immer gesagt: »Sei nicht so leise, du musst schauen, dass du nach hinten kommst, in die letzte Reihe, du musst mehr geben, intensiver sein.« Das wird ja jetzt so verlangt. Das war früher nicht so schlimm, da durfte man auch stillere Figuren spielen, stillere Menschen, die hie und da was sagen.
Doch in der jetzigen Rolle zum Beispiel gebe ich meiner unglaublich hässlichen Tochter eine Ohrfeige, aber so was von einer Ohrfeige, dass ich also nur glücklich bin, dass ich das endlich geschafft habe, und dann, in derselben Szene, verfluche ich alle, die mir den Tod wünschen.
Als alter Mensch hat man das Gefühl, es wünscht einem fast jeder den Tod. Aber ansonsten bin ich sehr glücklich.
Eigentlich.
Nun ja, und die Tagebücher. Die sind ja eine Katastrophe, das ist alles nichts, nichts, gar nichts.
Okay, das wär alles.
Bibiana Zeller
(Diesen Text habe ich wahrscheinlich 2012 entworfen – er war für eine Rede gedacht.)
1. Kindheit und Katastrophe
Als Hitler im März 1938 in Wien einmarschierte, nahm mein Vater Wilhelm Zeller uns Kinder, also meine Halbbrüder Fritz und Wilhelm, meine Schwester Friederike und mich, mit zur Mariahilfer Straße. Da erlebten wir den »Triumphzug«. Eine Weile beobachtete mein Vater das infernalische Treiben, die zu Tausenden erhobenen Hände, das Geschrei und die Vorbeifahrt des Diktators, der selbst die Hand zum Hitlergruß erhoben hatte, dann sah er uns Kinder an und sagte: »Da machen wir nicht mit, gell!« Das war alles. Dieser Satz hat sich mir bis heute eingeprägt. Und wir haben auch nicht mitgemacht. Es war der Tag, an dem meine Kindheit endete.
Jahrzehnte später notierte ich dazu in einem meiner vielen Tagebücher:
19. Juni 1989
Ich war mit meinen Eltern in der Stumpergasse, es war 1938 – die Machtübernahme. Auf der Mariahilfer Straße die Massen – und dann haben uns der Gemüsehändler und der Tischler im Haus tyrannisiert. Sie zwangen uns, mit »Heil Hitler« zu grüßen, und wir haben uns gefürchtet! Ganz schrecklich gefürchtet.
Es war mir damals vollkommen klar, dass dieses Regime nicht akzeptabel war, und bei jeder Gelegenheit versuchte ich, Reglementierungen zu untergraben. Selbst wenn es nur kleine Gesten waren: Für mich waren sie von großer Bedeutung. Ich bekam beispielsweise immer wieder einen schrecklichen Hustenanfall, wenn ich im Stiegenhaus oder auf der Straße einem Nachbarn oder Passanten »Heil Hitler!« entgegenrufen musste. So brauchte ich meinen Arm nicht zu heben. Eine winzige Geste, doch für mich eine Art der Verweigerung. Das war natürlich brandgefährlich, denn jederzeit konnte man dafür angezeigt und verhaftet werden. Aber irgendwie musste ich diesem Wahnsinn etwas entgegensetzen, viel konnte ich ja als Kind nicht tun.
Ich besuchte das Gymnasium in der Rahlgasse. Als gute Sportlerin, die ich immer war, wurde ich für das Amt der BDMFührerin in Betracht gezogen. Die Burschen kamen damals in die Hitlerjugend und wir Mädchen zum »Bund Deutscher Mädchen«. Um dafür ausgewählt zu werden, musste man eine Prüfung ablegen. Nächtelang überlegte ich, wie ich das System austricksen könnte. Plump die Prüfung einfach zu schmeißen, das ging nicht. Und so konzentrierte ich mich darauf, bei den Wettbewerben nicht als Erste ans Ziel kommen, sondern als Dritte oder Vierte. Zu schlecht durfte ich nicht abschneiden, das hätten sie mir nicht abgenommen. Zu gut aber auch nicht, sonst hätten sie mich verpflichtet.
Damit wir – es waren mehrere aus meiner Klasse ausgewählt worden – zu dieser BDM-Prüfung antreten konnten, mussten wir Kurse besuchen, in denen wir Führungsdisziplin, Gehorsam und was nicht noch alles lernen mussten. Ich kann mich noch an das Haus am Judenplatz erinnern, in dem diese Kurse im ersten Stock stattfanden. Wir »Auserwählten« saßen in riesigen Räumen im Kreis, vorne stand immer die Kursleiterin – und alle waren sie blond und blauäugig. Allein diese Tatsache hat mich fertiggemacht. Sie haben alle gleich ausgesehen – auswechselbar sozusagen.
Ich schaffte den Rausschmiss mit einem Pokerface, wie man so schön sagt. Seit damals weiß ich, was ein Pokerface ist. Ich musste diese Rolle durchgehend spielen, sozusagen in der Rolle bleiben. So gesehen war es wahrscheinlich meine erste Rolle, die ich jemals gespielt habe.
Die Ereignisse von 1938 haben mich nachhaltig traumatisiert. Meine Erlebnisse, die ich als damals Zehnjährige hatte, lassen mich bis heute nicht los. Ich bin über den Judenplatz marschiert, und aus den Kellern hörte ich die grauenvollen Schreie von Menschen, die dort gefangen gehalten wurden. Sie waren zusammengepfercht und mussten auf ihren Abtransport in die Lager warten – wie ich später erfuhr. Irritiert von den Hilfeschreien, kniete ich mich vor die Kellerfenster, rief hinein, fragte, wie ich helfen könnte – es kamen aber keine Antworten. Höchstens unartikulierte Schreie. Ich konnte überhaupt nicht verstehen, dass niemand eingriff – die Leute gingen achtlos vorbei. Die Menschen in den Kellern waren so verzweifelt und schon so hoffnungslos, sie haben nicht mehr damit gerechnet, dass ihnen irgendwer zu Hilfe kommen würde, und schon gar nicht eine Zehnjährige.
Auch aus dem Gestapo-Hauptquartier am Morzinplatz hörten wir Tag und Nacht Schreie von gefolterten und misshandelten Menschen. Mich verfolgen diese Schreie bis heute. Ich kann nicht verstehen, wieso heute wieder so viele Neonazis herumlaufen. Nicht nach all dem, was geschehen ist. Es ist so furchtbar entmutigend, vor allem wenn ich mir die Zukunft vorstelle. Hat denn niemand aus der Vergangenheit gelernt? Bald sind alle Zeitzeugen weg, und dann gibt es nur mehr Erinnerungen aus zweiter Hand.
Jahrzehnte später, im Februar 2000, als die ÖVP die Koalition mit der FPÖ einging, empfand ich das als politische Katastrophe. Ich musste zwei Interviews geben und notierte in mein Tagebuch:
14. April 2000
Gestern, am 13. April, zwei Interviews im Herrenhof. Ich sprach von der Vertreibung meiner Freundin Agi Boroš und der Arisierung der Wohnungen. Von dem Schock und über die Enttäuschung der obersten Führer dieses Landes; von ihrer Unanständigkeit. Über Karrieren – und davon, dass sie sich nicht halten, wenn sie kein Fundament haben. Heute um 8 Uhr in den Nachrichten hörte ich die Meldung, dass die Rückzahlungen an die Opfer des Nationalsozialismus 21 Milliarden Schilling kosten werden.
Mein Vater Wilhelm Zeller (1882–1954) war schon 50, als ich auf die Welt kam; er war ein alter, aber sehr liebevoller Vater. Er starb mit 72 Jahren. Meine Mutter Anna (1893–1970) hat ihn noch um 16 Jahre überlebt. Meine Kindheit war sehr behütet. Ich erinnere mich nicht an viele Dinge vor 1938, wahrscheinlich, weil meine Welt eben in Ordnung war.
Ich bin das jüngste Kind, das Nesthäkchen. Ich wurde auch lange Zeit nur Zwetschgerl genannt. Erst als ich ein junges Mädchen war, wurde aus Zwetschgerl Wetschi, und meine Freunde von damals nennen mich heute noch so. Ich war – und das bin ich bis heute – irrsinnig neugierig.