Hilde Spiel und der literarische Salon
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Ihr 100. Geburtstag dient als Impuls, nicht nur das Wirken Hilde Spiels zu beleuchten, sondern auch ihr gesellschaftliches Leben. In ihrem Salon in Berlin während der Besatzungszeit und später auf ihrem Sommerwohnsitz in St. Wolfgang waren zahlreiche Protagonisten der literarischen Szene zu Gast. Hilde Spiel nannte sie - eine Wendung von Elias Canetti aufnehmend - eine dampfende "Namensküche".
Als vielgereister Journalistin, u.a. der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, war es Spiel wichtig, Anschluss an eine "literarische Weltfamilie" zu finden. Ihr rastloses Unterwegssein bot ihr viele Gelegenheiten, als Förderin und Networkerin zu wirken.
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Hilde Spiel und der literarische Salon - StudienVerlag
Autoren
Bernhard Fetz
Zur Einführung
Vielleicht lässt sich das weitverzweigte Lebenswerk Hilde Spiels am ehesten mit dem Begriff der Übersetzung fassen. Übersetzerin in eine andere Kultur – das war die Emigrantin und vielversprechende österreichische Schriftstellerin aus Wien gezwungenermaßen, und sie war es ihrem intellektuellen Profil entsprechend als Schriftstellerin in einem weiten angel-sächsischen Sinne: Hilde Spiel war Erzählerin, Essayistin und Journalistin, mit einer Selbstverständlichkeit, der im deutschsprachigen Raum bis heute mit literaturpuristischen Vorbehalten begegnet wird. 1936 nach London emigriert, meisterte sie die Übersetzung in einen englischen Kontext mit Bravour, indem sie bald auf Englisch schrieb, indem sie englische Autoren ins Deutsche übersetzte und indem sie sich im internationalen P.E.N.-Club engagierte.
Nach dem Krieg vollzog sich ihre langsame Rückkehr nach Österreich im Zeichen vielfältiger publizistischer Aktivitäten. So war sie „War Correspondent" des New Statesman und verfasste außerdem eine Reihe an kulturpolitischen und literaturkritischen Artikeln. Als politisch frei denkende Publizistin geriet sie fast zwangsläufig zwischen die Fronten des Kalten Krieges, was schließlich zu der Auseinandersetzung mit ihrem „Freundfeind Friedrich Torberg führte, dem bekanntermaßen jegliches Nachdenken über einen „Dritten Weg
als Kniefall vor dem Sowjet-Kommunismus erschien. Die Übersetzung der Rhetorik des Kalten Krieges in eine differenzierte politische Analyse fiel auch vielen klugen Köpfen schwer, für Hilde Spiel war sie selbstverständlich.
Ins Bewusstsein der österreichischen und deutschen Öffentlichkeit trat Hilde Spiel vor allem als österreichische Kulturkorrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dies in einer für die neuere österreichische Literatur entscheidenden Phase ab Mitte der 1960er Jahre. Sie würdigte früh Thomas Bernhard, sie setzte sich für die frühen Stücke Peter Turrinis ein, und sie kannte keine Berührungsängste gegenüber den verschiedenen Lagern innerhalb der österreichischen Literatur-Szene dieser Zeit. Als Generalsekretärin und Vizepräsidentin des österreichischen P.E.N.-Clubs, bezeichnenderweise nicht als dessen erste weibliche Präsidentin, war sie um Ausgleich und Verständigung mit den jüngeren Autoren bemüht, die sich später in der Grazer Autoren Versammlung organisierten. Auch diese Übersetzungs-Versuche scheiterten an einem kulturellen Klima, das von Ignoranz gegenüber moderner Kunst und von persönlichen Ressentiments geprägt war.
Die intellektuellen, ästhetischen und biografischen Bruchlinien jener Jahre stehen in enger Beziehung zu den gesellschaftlichen Netzwerken, den sozialen und politischen Bindungen der Akteure. Nicht zuletzt deshalb ist es spannend, von Hilde Spiel ausgehend einen Blick auf diese Netzwerke zu werfen, auf informellere wie ihren Salon in St. Wolfgang oder auf formellere im Umkreis von Zeitschriften und kulturpolitischen Initiativen. Hier, in bürgerlichen Salons, in verrauchten Hinterzimmern, auf den Veranden von Salzkammergut-Villen verschwammen die Gegensätze im intrikaten Spiel von Sympathien und persönlichen Interessenlagen. Diese Nebenschauplätze des intellektuellen und literarischen Betriebs wurden nicht selten zu Hauptschauplätzen, wenn sich das dort erworbene gesellschaftliche Kapital in Karrieren ummünzen ließ, sie waren aber, vor allem in den literarischen Salons der Aufklärung, auch Orte freier Meinungsäußerung über gesellschaftliche Barrieren hinweg. Es ist kein Zufall, dass die assimilierte Wiener Jüdin Hilde Spiel ein Buch über die an ihrem Glauben festhaltende Jüdin Fanny von Arnstein schrieb, die einen der bekanntesten Salons des 18. Jahrhunderts führte. Vom Tratsch bis zum freien Gespräch selbstbestimmter Bürger reicht das Spektrum dessen, was als Salon, als Netzwerk firmiert. Wobei zu betonen ist, dass der halböffentliche Salon – oder das, was sich nach dem radikalen Bruch mit den bürgerlichen Werten durch die Nationalsozialisten in die Zeit nach 1945 retten ließ – eine Domäne intellektueller Frauen war. Als gleichberechtigte Partnerinnen kamen sie auch in den Kulturkämpfen der Nachkriegszeit nicht vor.
Der Nachlass Hilde Spiels am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek zeigt die Schriftstellerin und Netzwerkerin Hilde Spiel in all ihren Facetten, am Nachlass wird ablesbar, wie die persönliche und die öffentliche Figur zusammengehören; er zeichnet kein integrales Bild, denn die „Wahrheit einer Person ist immer nur in Bruchstücken zu haben. Als kritische Hommage in diesem Sinne und als Beitrag zu den dampfenden „Namensküchen
eines vergangenen, wiewohl nachwirkenden Literaturbetriebs ist der vorliegende Band gedacht.
Julian Schutting
„Wie du schreibt niemand mehr"
Hilde Spiel – dieses Jahr hätte sie den 100. Geburtstag! Studenten der Theaterwissenschaft ist sie ein Begriff, erst recht den um einiges älteren Intellektuellen, die ihre kulturpolitischen Glossen, Theater-, Konzert- und Opernrezensionen in der FAZ geschätzt haben, betreffend Wien und die Salzburger Festspiele – mit hoher Disziplin hat sie ja dieses Amtes noch in den späten 1980er Jahren gewaltet.
In der Wiener Kulturwelt war sie auch wegen ihres selbstbewussten Auftretens eine Figur, und ihr Charme und Witz, ihr Sinn für freiwillige Komik hatten es vielen jüngeren Künstlern diverser Sparten angetan ... Ihre autobiografische Erzählung Rückkehr nach Wien, nämlich aus dem Londoner Exil fürs Erste in britischer Uniform, hat viele berührende Momente, wie viel später ihre gleichfalls unprätentiös geschriebenen Memoiren (Welche Welt ist meine Welt?).
In den 1980er Jahren ist ihr mit der Wiener Kulturgeschichte Vienna’s Golden Autumn etwas ganz Besonderes gelungen, so schwungvoll und unerschrocken geschrieben, wie es kein Fachmann wagen würde oder zustande brächte: Universell war sie gebildet und ihr Stil so charmant wie sie. In den 1950er Jahren wäre sie eine „Salonkommunistin gewesen? Doch eher zeitlebens „monarchistisch
angehaucht (als ein Mäderl hat sie das Begräbnis des Kaisers noch miterlebt, ihr Vater hatte es in der k.u.k.-Armee zum Offizier gebracht).
Auch Romanautorin. Zu ihrem Kummer ist sie ihres Erachtens nur als eine Essayistin geschätzt worden, obwohl sie doch auch neben Erzählungen Romane publiziert hat, deren einer, in der Zeit der Emigration aus Heimweh nach Österreich geschrieben, zart „historisch" anmutet: Er enthält den Ringtheaterbrand. Claus Peymann hat im Vestibül des Burgtheaters ihr aus einer Erzählung hervorgegangenes Dramolett Anna und Anna in prominenter Besetzung aufführen lassen, wohl auch wegen der am Beispiel Burgtheater genau recherchierten NS-Kulturpolitik (es gibt davon eine fürs Fernsehen adaptierte Version, die zu ihrem Hundertsten wieder einmal ausgestrahlt werden sollte), nach der Premiere hatte auch Hilde Spiel den Laufsteg zu betreten, hat mit einem reizenden Knicks gedankt ...
Dass sie nicht die Schriftstellerin geworden ist, die sie in sich gehabt hätte, das sei den Zeitläufen angelastet. Sie war eine vielbegehrte Diskutantin, hofiert von ÖVP und SPÖ, auch im Club2: Pointiert hat sie sich kurz gefasst, während manch anderer für einen halben Gedanken viele Sätze benötigt hat. Und das Deutsch, das sie gesprochen hat, war vom reichsdeutschen und vom österreichischen Deutsch gleich weit entfernt!
Als eine gewissenhafte Theaterrezensentin hat sie sich bei den Proben die ersten Notizen gemacht nach gründlicher Beschäftigung mit dem jeweiligen Stück, hatte ja am Morgen nach der Premiere ihren Text nach Frankfurt, an die FAZ, „durchzutelefonieren, und geradezu skrupelhaft war sie als eine Übersetzerin aus dem Englischen, obwohl das Englische längst ihre zweite Muttersprache geworden war: Im Übersetzen von Tom Stoppards Theaterstücken hat sie in ihren Englisch-Deutsch-Wälzern so gut wie jedes Substantiv, Adjektiv und Verb nachgeschlagen – es könnte ihr ja eine hyperpoetische Bedeutung entgangen sein. Oder ihr Gezauder vor adäquater Übertragung eines der Jugendwerke eines hochberühmten Dichters: „Bilde ich diese reizvollen sprachlichen Unzulänglichkeiten nach, in denen sich seine spätere Manier ankündigt, so riskiere ich das Urteil, die Übersetzung sei schwerfällig!
Kompliment von Bernhard. „Wie du schreibst, so schreibt niemand mehr! – dieses prekäre Kompliment ihres Freundes Thomas Bernhard hat ihr unwiderstehliches Lachen entlockt, und es dürfte Marcel Reich-Ranicki gewesen sein, der der von ihm aufgrund ihrer tief weiblichen Ausstrahlung und ihrer von Schwermut getragenen Leichtlebigkeit Verehrten ins Gesicht gesagt hat, sie sei ein „Fossil
– dieser wie jener wollte damit sagen, dass Hilde Spiel, eine Meisterin des Feuilletons, einer so gut wie ausgestorbenen literarischen Gattung, als eine Kosmopolitin den geistigen, den humanistischen Werten verpflichtet geblieben ist, die mit der Welt von (vor)gestern in den 1930er Jahren hinweggerafft worden sind ...
Bei Charlotte Bühler hat sie studiert, bei Moritz Schlick, geprägt vom Wiener Kreis aller „aprioristischen Philosophie abgeneigt, also aller Metaphysik. Eine Agnostikerin, die Äquidistanz zum Judentum und Christentum gewahrt hat, gar nicht erfreut, wenn sie (schließlich hat die jüdische Thematik in ihrem Werk keinerlei Bedeutung gehabt) als eine „jüdische Schriftstellerin
reklamiert wurde – „Gelten noch die Nürnberger Gesetze?"
Mit wem nicht allem an Größen sie befreundet war; wer da nicht aller in ihrem Haus im Salzkammergut zu Besuch war, angefangen von Canetti, wenn es ihr schon verwehrt war, in Wien einen Salon zu führen wie adelige Damen hingegangener Zeiten, das bekäme sie nun gern zu hören, wohl lieber, als dass sie einem Doderer mit einem erhellenden Essay zu seinem Durchbruch verholfen hat wie Jahre später einer Inge Merkel – aber sie ließe sich von mir auch gern daran erinnern, mit wie sparsamen Bewegungen sie das Lernet-Sportboot Alexander Holenias gerudert hat.
Oder daran, dass sie, eine junonische Erscheinung, in jederlei Gesellschaft und zu jedem Anlass stimmig gekleidet war wie kaum eine andere. Oder dass sie dank ihrem charaktervollen Gesicht wohl einen jeden, der sie nicht kannte, sie einzuschätzen veranlasst hat: Ist das eine Künstlerin, welcher Sparte auch immer, oder eine Geisteswissenschaftlerin?
Mein Enthusiasmus möge sie verjüngt haben in ihren späteren Jahren, und meinen Dank für die sieben Sommer- und Winterferien in ihrem Salzkammerguthaus habe ich ihr erst mit einem Gedenkbuch abgestattet, als sie nicht mehr ins Ätherische verfeinert war – „Was du mir wünschen sollst, kannst du mir in Worten nicht wünschen, also geh jetzt – alles Gute für Tirol!" (Das war der Abschied von ihr für immer.)
Erstabdruck in Die Presse am 14.03.2010. Abdruck im vorliegenden Band mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Deborah Holmes
„Nichts weniger als die
Erneuerung der Weiblichkeit"
Wiener Salonkultur ab der Jahrhundertwende
Hilde Spiel kam 1911 zur Welt, zu einem Zeitpunkt, in dem Wien im Nachhinein betrachtet zwischen zwei Extremen zu liegen schien. Um 1900 galt die wohlhabende, glanzvolle österreichische Hauptstadt als Hort der kulturellen Fülle und Innovation. Ab 1918 wird das verarmte Nachkriegs-Wien nur mehr als kulturelle Geisterstadt wahrgenommen. Oft – zu oft könnte man meinen – werden diese beiden Abschnitte als krasse Gegensätze dargestellt. Über die vielfältigen Strömungen des Fin de siècle und ihre Ursprünge lässt sich genauso streiten wie über die vermeintlich geistige und künstlerische „Verarmung" der Zwischenkriegszeit. Worüber sich aber nicht streiten lässt, ist die Tatsache, dass keine kulturelle Institution in jener Zeit verschont blieb, weder von den Polemiken der Jahrhundertwende noch von der Wucht des Zusammenbruchs am Ende des Ersten Weltkriegs – und das gilt vielleicht umso mehr für eine Institution, die eben keine war: der Salon.
In Wien gab es spätestens seit Ende des 18. Jahrhunderts ein ernstzunehmendes intellektuelles Salonleben. Die Sekundärliteratur gibt einstimmig Auskunft darüber, wer als bekannteste und wichtigste Salonières der Stadt galten: Fanny von Arnstein, ihre Tochter Henrietta Pereira, die Schriftstellerin Caroline Pichler und etwas später Josephine von Wertheimstein. Über die Zeit des Fin de siècle gehen die Meinungen jedoch auseinander. In mancher Fachliteratur wird behauptet, die Wiener Salonkultur ab der Jahrhundertwende habe nur mehr vor sich hingedämmert: Alles, was noch als „Salon beschrieben werden konnte, sei bloß ein schwacher Widerschein früherer Glorien. Der Zusammenbruch der Salonkultur wird hier meistens mit dem Ableben Josephine von Wertheimsteins angegeben: 1894 war die Mäzenin und Dichterfreundin gestorben, gefolgt 1907 von ihrer Tochter Franziska. Die Villa Wertheimstein im 19. Wiener Gemeindebezirk wurde zwar der Allgemeinheit vermacht, der Kreis von Künstlern und Schriftstellern, die sich um die Familie gesammelt hatte, blieb dennoch nicht erhalten. Warum es so kommen musste, kann aber nur zum Teil mit dem Hinscheiden der Wertheimstein-Damen begründet werden. Laut Karlheinz Rossbacher wurden das Monologisieren und die selbstbezogene Nabelschau zum Kennzeichen der anbrechenden Moderne, Tendenzen, die sich gegen die „überlieferte Salongeselligkeit
auswirkten, sowie der zunehmende Hang, immer mehr Facetten des Lebens und der Kultur unter einem ökonomischen Aspekt zu betrachten. (Vgl. Rossbacher 2003, 113f.) Zwar gab es noch den Salon der Grande Dame des Hoflebens, Fürstin Pauline von Sándor-Metternich, allerdings hatte die altösterreichische Aristokratin ihre besten Tage bereits hinter sich. Spätestens als der Erste Weltkrieg das politische Werk ihres berühmt-berüchtigten Großvaters ein für alle Mal vernichtete, verschwand auch sie aus dem Gesellschaftsleben. Zudem übernahm das Kaffeehaus in jener Zeit immer stärker die Funktionen des Salons wie das Networking, den Gedankenaustausch und die Gelegenheit zur Selbstdarstellung im halböffentlichen Raum. Der vornehmlich weiblich konnotierte Salon ist also um die Jahrhundertwende durch eine Domäne ersetzt worden, die