Wenn Goldfinger rauskommt
By Ralf Kramp
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About this ebook
Ralf Kramp
Ralf Kramp, geb. 1963 in Euskirchen, lebt in einem alten Bauernhaus in der Eifel. Für sein Debüt »Tief unterm Laub« erhielt er 1996 den Förderpreis des Eifel-Literatur-Festivals. Seither erschienen zahlreiche Kriminalromane und Kurzgeschichten. In Hillesheim in der Eifel unterhält er zusammen mit seiner Frau Monika das »Kriminalhaus« mit dem »Deutschen Krimi-Archiv« (30.000 Bände), dem »Café Sherlock«, einem Krimi-Antiquariat und der »Buchhandlung Lesezeichen«. Im Jahr 2023 wurde er mit dem Ehren-Glauser für »herausragendes Engagement für die deutschsprachige Krimiszene« ausgezeichnet.
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Book preview
Wenn Goldfinger rauskommt - Ralf Kramp
Ermittlungszentrum
Eine Hiobsbotschaft
Eigentlich ist es ja eher schwierig, sich im Nachhinein an alle Kleinigkeiten einer Geschichte zu erinnern, wenn sie erst einmal hinter einem liegt. Damit habe ich aber nun wirklich keine Probleme. Was mir letzten Sommer passiert ist, das werde ich bestimmt mein ganzes Leben lang nicht vergessen.
Begonnen hat es im Grunde genommen damit, dass Paps eines Abends von der Arbeit nach Hause kam und sich nicht wie sonst üblich an den Abendbrottisch setzte und mit Heißhunger alles in sich hineinschaufelte, da er tagsüber wieder keine Zeit gefunden hatte, sich irgendwas Essbares zu besorgen. Nein, an diesem Abend strahlte er schon, als er zur Tür hereinkam. Jaja, er strahlte regelrecht. Sein Gesicht ist eh schon rund, und wenn da nicht sein dichter schwarzer Bart gewesen wäre, ich bin mir sicher, er hätte geleuchtet wie ein Vollmond überm Horizont. Er wedelte mit ein paar bedruckten Zetteln, stolperte fast über den wild kläffenden Fiete und winkte uns mit großartigen Armbewegungen ins Wohnzimmer.
Ich sah Mom verständnislos an und dachte, auch sie würde sich vielleicht fragen, was Paps uns sagen wolle. Aber, wie sie da so stand, mit der kleinen Lisa auf dem Arm, die angestrengt versuchte, ihren Finger in Moms Nase zu stecken, da glaubte ich, etwas Freudiges in ihrem Blick zu entdecken. Etwas, das lange gewartet hatte auf das, was Paps uns jetzt eröffnen würde. Nur die kleine Lisa schien ebenso ahnungslos zu sein wie ich.
»Es ist soweit, es ist soweit!«, dröhnte Paps, der ohnehin immer sehr laut spricht, und ließ sich in einen Sessel fallen. Fiete, unser riesiger Mischlingshund, hockte sich neben ihn und hechelte aufgeregt.
»Jetzt fehlt nur noch, dass du ein Glöckchen holst und Bescherung machst«, sagte ich unsicher und versuchte einen Blick auf die Papiere zu werfen, mit denen er pausenlos herumfuchtelte. Ich erkannte den Briefkopf unserer Bank und las das Wort Darlehen.
»Es hat geklappt!« Mom küsste ihn.
Lisa protestierte heftig, weil sie fast erdrückt wurde zwischen den beiden.
Dann nahm Mom mich in den Arm und sah mich an. Sie konnte ihre Freude kaum im Zaum halten. »Erinnerst du dich an unseren Ausflug aufs Land vor ein paar Wochen?«
Ich nickte zaghaft. Papa warf im Hintergrund Lisa in die Luft, die fröhlich krähte.
»In die Eifel. Ja, klar. So verregnet war lange kein Ausflug mehr.« Ich dachte zurück an die Landschaft, die sich mit ihren sanft gewellten Hügeln etwa eine halbe Autostunde südlich von Köln auftat, und an jenen Sonntag, den wir damit verbracht hatten, stundenlang durch tieftrauriges Regenwetter zu kurven. Und mir fiel die Pfütze wieder ein, in die Paps knöcheltief hineingelatscht war, ohne dass das seiner guten Laune und seiner Entdeckerstimmung einen Abbruch getan hatte.
»Kannst du dich denn noch an das Haus erinnern, das wir uns da angesehen haben? Das schöne große mit dem riesigen Garten und dem Wintergarten?«
Es dämmerte mir. Jetzt sah ich plötzlich alles ganz klar. Die Formulare von der Bank, meine aufgekratzten Eltern … Und mit einem Mal fiel mir auch wieder ein, wie sehnsüchtig ihre Blicke gewesen waren, als wir dieses Haus mit dem Zu verkaufen-Schild von allen vier Seiten umrundet hatten, um es genau unter die Lupe zu nehmen. Meine Eltern hatten sich nicht entblödet, über Stacheldrahtzäune und durch Kuhfladen zu trampeln, um einen Blick in den Garten zu werfen.
»Oh Mann, oh Mann, soll das etwa heißen …?« Ich schluckte schwer.
»Jawoll, Tim! In zwei Monaten ziehen wir um!«, dröhnte Paps und klopfte mir auf den Rücken. »Wir zeigen dieser lauten, stinkigen Stadt unseren Rücken und ziehen hinaus in die Natur! Du kriegst ein größeres Zimmer von den Ausmaßen eines Tennisplatzes, und wir haben zwei Toiletten und einen Riiiiiesengarten!« Er sah mich erwartungsvoll an. »Die Bank hat uns das Darlehen bewilligt und wir kaufen das Haus! Ist das nicht toll?«
Wenn ich mich genau erinnere, verschwand Paps’ Lächeln schlagartig, als er mein Gesicht sah. Ich muss eine jämmerliche Miene aufgesetzt haben. Alles schoss mir durch den Kopf: Meine Schulklasse, Kalle und Mike vom Geheimclub »Schwarzes Kleeblatt«, mein Fußballverein, die Eisdiele unten auf der Straße und das Kino. All das würde nur noch zwei Monate dauern! Und dann würde ich in der Eifel leben. Da, wo es für meinen Geschmack viel fieser stank als hier in der Stadt. In einem kleinen Nest in irgendeinem Tal, in dem es weder eine S-Bahn noch ein Freibad gab! Ich kraulte verdrossen Fietes langes Zottelfell. Es sah so aus, als würde sogar der Hund vor Freude grinsen.
»Du kannst Kaninchen jagen, bis dir die Zunge bis an die Knöchel hängt«, versprach ihm Paps.
Mom nahm mitfühlend mein Gesicht in beide Hände und sah mich lächelnd an. »He, Großer«, sagte sie und nickte ernsthaft. »Ich schätze, das kommt dir jetzt vor wie der Weltuntergang. Aber denk immer dran: Die Eifel ist nur eine gute halbe Stunde weg von hier, und umgekehrt ist es genauso. Wahrscheinlich hast du Angst, in so ein kleines Dorf zu ziehen, aber ich schließe eine Wette mit dir ab, dass du schon bald gar nicht mehr von da weg willst.«
»Die Wette gewinn ich«, murmelte ich betrübt.
In der Tat glaubte ich Mom damals kein Wort. Wie sollte ich ihr glauben, dass es mir irgendwann da unten hinterm Bretterzaun gefallen würde? Bei den Bauern. In der Einöde. Da hätten wir ja genauso gut in die Wüste Gobi ziehen können.
So dachte ich damals. Heute weiß ich, dass Mütter im Grunde genommen doch meistens recht haben. Warum die Natur das so gemacht hat, weiß keiner so genau, aber es ist nun mal so, auch wenn man das nicht gerne zugibt.
Heute hab ich nun also gut lachen. Aber damals ging es mir wirklich saumäßig. Kalle und Mike, meine besten Freunde, saßen regelmäßig morgens auf dem Schulhof und nachmittags auf der ollen Bank am Spielplatz mit mir zusammen, und wir hielten Kriegsrat. Doch der Umzug war nicht mehr abzuwenden. Sie schmiedeten schon Pläne, was mit dem Namen »Schwarzes Kleeblatt« nun geschehen solle. Möglichkeiten wie »Schwarze Zwei«« oder »Schwarzes Duett« wurden diskutiert. Ich fand beides dämlich. Aber sein Mitspracherecht hatte Kollege Tim durch sein Fortgehen wohl endgültig verwirkt.
Mom begann schon viel zu früh mit ihrer Packerei. So schien es uns damals. Wir lebten zwei Monate aus Kisten heraus und um Kisten herum. Beim tatsächlichen Umzug schließlich stellte sich heraus, dass sie sich keinen Moment zu früh darum gekümmert hatte, dass alles verstaut und verpackt wurde. Wie schon gesagt: Ich gebe es ungern zu, aber Mütter haben meistens recht.
Ich fuhr ein paar Mal mit Paps in die Eifel um zu sehen, welche Fortschritte die Renovierung des Hauses machte. Der Anstreicher, ein dürrer Kerl mit Stoppelkinn, der mich stark an eine Vogelscheuche erinnerte, knuffte mir jedes Mal aufmunternd in die Rippen und sagte: »Kannst es kaum abwarten, bis du hier wohnst, was?«
Keine Ahnung hatte der Typ. Mein Zimmer im ersten Stock bekam eine Raufasertapete, weil ich sowieso meine ganzen Poster wieder aufhängen wollte. Das war der erste Pluspunkt. Ich hatte wirklich viel mehr Platz und sogar ein eigenes Waschbecken im Zimmer. Die Kontrolle über das abendliche Zähneputzen war also aufgehoben! Aus meinem Fenster konnte ich zum Waldrand gucken, der ganz nahe lag und ziemlich finster aussah. Ich würde sicherlich der Erste sein, der dran glauben musste, wenn irgendwann mal die Wildschweine über uns herfielen.
Zu Hause nahm ich langsam Abschied. Die Lehrer machten so oft ihre dussligen Bemerkungen darüber, dass ich ja bald »hinterm Bretterzaun« leben würde, dass ich schon längst nicht mehr drüber lachen konnte. Im Fußballverein stand uns sowieso eine Sommerpause bevor. Mein Abschied ging irgendwie unter, und ich wusste nicht, ob überhaupt alle richtig kapiert hatten, dass ich nach den Ferien nicht wieder mitspielen würde.
Am Tag bevor der große Möbelwagen kam, machte ich einen kleinen Abschiedsspaziergang durch unser Viertel, und auf der Parkbank traf ich meine beiden Kumpels. Sie guckten ein bisschen verlegen, als sie mir ein kleines, bunt verpacktes Paket in die Hand drückten. Ich öffnete es mindestens genauso verlegen und fand ihr Abschiedsgeschenk darin. Die Enterprise als Miniaturmodell! Es war zwar eigentlich ein blümerant duftender Luftverbesserer fürs Auto, aber ich fand das Ding einfach super.
»Oh, Mann, oh Mann! Ihr seid wirklich die besten Freunde, die sich eine arme Socke wie ich wünschen kann! Solche Freunde wie euch finde ich nie mehr! Und was wir schon zusammen erlebt haben!« Im Nu kamen uns die Glanzlichter unserer zurückliegenden Karriere als Hobbydetektivtrio in den Sinn.
»Wir waren die Einzigen, die mit ihrem Spürsinn damals das verschwundene Klassenbuch wiedergefunden haben!«, fiel es Mike ein.
»Jaja«, kicherte Kalle. »Und wir haben es sofort endgültig verbrannt, weil du die meisten Eintragungen hattest!«
»Und den Kerl, der damals Fahrerflucht begangen hat, als er in der Eichenstraße das Auto gerammt hat, haben die auch nur gekriegt, weil wir mit den Rädern an ihm drangeblieben sind!«
»Ja, stimmt. Au Mann, das war vielleicht spannend.«
Ich seufzte. »So was passiert mir in diesem öden Eifelkaff bestimmt nicht!«
Ich hatte damals ja keine Ahnung!
Der feindliche Planet
Das Dorf hieß Buchscheid und lag in der Nähe von Bad Münstereifel, einem Kurstädtchen, in das Omis und Opis wie die Ameisen in Scharen einfielen, sobald der erste Sonnenstrahl die Erde kitzelte.
Hier oben in unserem Kaff – ich vermied den Ausdruck »Heimat«, den Paps hinausbrüllte, als er sich am ersten Morgen halbnackt aus dem offenen Fenster reckte – war von diesen Heerscharen von Senioren Gott sei Dank nichts zu sehen. Dafür lagen wir viel zu abgeschieden.
Es war still an diesem Morgen. Eine Kreissäge irgendwo, ein Hahn, ein Flugzeug ab und zu und ein bisschen Radau von