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Erich Kästners Kinder- und Jugendbücher in der Grundschule und Sekundarstufe I
Erich Kästners Kinder- und Jugendbücher in der Grundschule und Sekundarstufe I
Erich Kästners Kinder- und Jugendbücher in der Grundschule und Sekundarstufe I
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Erich Kästners Kinder- und Jugendbücher in der Grundschule und Sekundarstufe I

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Erich Kästner ist der bekannteste und wohl auch bedeutendste Kinderbuchautor in Deutschland.
Der von ihm ausgehende Innovationsschub für die Kinderliteratur durch die Einbeziehung von Themen, die bislang nicht Teil der Literatur für Kinder waren, ist unbestritten. Zu diesen Themen gehören zum einen das moderne Großstadtleben wie insgesamt die mit Modernisierung und Industrialisierung verbundenen Phänomene: die Rolle der Medien, der Zusammenprall sozialer Unterschiede, das Auseinanderbrechen traditioneller sozialer Zusammenhänge, die Technisierung und allgemeine Beschleunigung des Lebens. Neu sind auch die bislang in der Kinderliteratur so nicht thematisierten Probleme, die sich für Kinder aus Familienbindungen ergeben können: aus geschiedenen Ehen, aus engen Eltern-Kind-Beziehungen oder solchen, wo die Kinder einen Mangel an elterlicher Zuwendung erfahren.
Diesem thematischen Innovationsschub steht auch ein darstellerischer zur Seite. Neu ist in Kästners Kinderbüchern das meist selbstbewusste Agieren seiner kindlichen Helden, neu ist ihre im Stil der Neuen Sachlichkeit gehaltene respektlos-nüchterne Sprache, neu ist auch das in den Kinderbüchern zu erlebende Spiel mit eigentlicher und uneigentlicher Bedeutung von Sprache.
Dieses Spiel wird überdies in dichtungstheoretisch-moralischen Einleitungen untermauert, in denen sich ein Erzähler an sein kindliches Publikum wendet, um mit ihm in fingierten Gesprächen ethische, ästhetische und philosophische Fragen zu erörtern. Damit nimmt der Autor Kästner seine jungen Leser nicht nur in lebenspraktischer, sondern auch in künstlerischer Hinsichternst. Auf einfache, spielerische und komische Weise vermittelt er ihnen Einsichten in das Wesen von Literatur und in den Zusammenhang von Literatur und Medien.
Nicht nur die Literaturwissenschaft, sondern auch die Literaturdidaktik ist auf dem besten Wege, Erich Kästner und sein Werk unter den genannten Gesichtspunkten neu zu entdecken. Dazu will auch dieses Buch seinen Beitragleisten. In ihm werden sechs der bedeutendsten Kinderbücher Kästners differenziert analysiert und mit einer Fülle von unterrichtspraktischen Vorschlägen versehen, sodass ein außergewöhnlicher Literaturunterricht gewährleistet ist:
Emil und die Detektive
Pünktchen und Anton
Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee
Das fliegende Klassenzimmer
Das doppelte Lottchen
Als ich ein kleiner Junge war
LanguageDeutsch
Release dateNov 12, 2012
ISBN9783834030146
Erich Kästners Kinder- und Jugendbücher in der Grundschule und Sekundarstufe I
Author

Andrea Hübener

Andrea Hübener studierte Germanistik und Anglistik an der TU Berlin und der Universität Cardiff. 1998 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Berlin. 1999−2001 Mitarbeit an der Herausgabe der Frankfurter Nachlasshefte von Wilhelm Heinse. 2000 Promotion zu E.T.A. Hoffmann. Seit 2001 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der TU Braunschweig.

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    Book preview

    Erich Kästners Kinder- und Jugendbücher in der Grundschule und Sekundarstufe I - Andrea Hübener

    entwickeln.

    A

    Grundlagen

    1 Zur Biographie

    Erich Kästner wird am 23. Februar 1899 in Dresden als Sohn von Ida Kästner, geborene Augustin, und Emil Kästner geboren. Die vielfach behauptete Vaterschaft des Hausarztes der Familie, Emil Zimmermann, ist gerade in jüngster Zeit durch die Erforschung von Kästners Nachlass mit überzeugenden Argumenten in Frage gestellt worden (vgl. Hanuschek 2004, S. 14–16, 19 und Leder 2000). Erich Kästner hat Zeit seines Lebens ein sehr enges Verhältnis zu seiner Mutter. Ihr hat er in den verschiedenen aufopferungsvollen Mutterfiguren seiner eigenen Kinderbücher ein liebevolles Denkmal gesetzt. Doch auch die problematische Seite dieses Verhältnisses kommt in ihnen, vor allem in der Autobiographie Als ich ein kleiner Junge war zur Sprache. Erst mit der beginnenden Krankheit der Mutter und nach ihrem Tod entsteht ein herzliches Verhältnis zum Vater, Emil Kästner.

    Ab 1906 besucht Kästner die Volksschule in Dresden. 1916 tritt er in das Freiherrlich von Fletchersche Lehrerseminar ein, da aus finanziellen Gründen an eine höhere Schul- und Universitätsausbildung nicht zu denken ist. Von 1917–1919 leistet er seinen Militärdienst. Aus dieser Zeit bleibt ihm ein Herzleiden zurück. Er macht 1919 das sogenannte Kriegsabitur und beginnt in Leipzig Germanistik, Geschichte, Philosophie und Theatergeschichte zu studieren. Nach einem zwischenzeitlichen Studium in Rostock und Berlin 1921 kehrt er wieder an die Leipziger Universität zurück, wird Assistent bei Prof. Albert Köster und ist zugleich Werkstudent am Zeitungswissenschaftlichen Institut. In dieser Zeit arbeitet er für die Neue Leipziger Zeitung, wo er 1923 Redakteur wird. Er veröffentlicht Gedichte und Feuilletons in verschiedenen Zeitschriften.

    1925 wird er mit einer Dissertation über Friedrich den Großen und die Reaktionen auf dessen Schrift De la littérature allemande promoviert. Ab 1927 ist Kästner in Berlin und arbeitet als Freier Mitarbeiter bei den wichtigsten Zeitungen und Zeitschriften. Sein Gedichtband Herz auf Taille erscheint 1928. In diesem Jahr lernt er auch seinen langjährigen Illustrator Walter Trier kennen.

    Kästners erster Kinderroman Emil und die Detektive erscheint 1929. Zwei von Walter Trier illustrierte Bücher mit Kindergedichten bzw. Versgeschichten, Arthur mit dem langen Arm und Das verhexte Telefon, werden 1930 veröffentlicht. 1931 erscheint neben Kästners Roman Fabian sein zweiter Kinderroman, Pünktchen und Anton. Im selben Jahr wird Emil und die Detektive verfilmt. 1932 veröffentlicht Kästner seinen dritten Kinderroman, Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee. Der vierte Kinderroman, Das fliegende Klassenzimmer, erscheint noch 1933, dem Jahr, in dem die Nationalsozialisten an die Macht kommen. Kästner, der niemals einen Hehl aus seiner kritischen Haltung gegenüber den Nationalsozialisten gemacht hatte, erhält Publikationsverbot. Er ist (unerkannt) Zeuge der Bücherverbrennung durch die Nazis am 10. Mai 1933, bei der auch seine Bücher mit verbrannt werden. Bis auf Emil dürfen seine Werke nur noch im Ausland erscheinen. Im Dezember 1933 wird Kästner das erste Mal von der Gestapo verhaftet und wieder freigelassen. 1935 erscheint im deutschsprachigen Ausland das fünfte Kinderbuch Kästners, Emil und die drei Zwillinge.

    1936 emigriert Kästners Kinderbuch-Illustrator Walter Trier nach London, mit dem er sich 1937 noch einmal in Salzburg und 1938 in London trifft. 1938 veröffentlicht Kästner zwölf Nacherzählungen der Geschichten um Till Eulenspiegel in Zürich. 1942 erhält Kästner eine offizielle Sondergenehmigung der Reichsschrifttumskammer, v.a. um Drehbücher für die UFA zu schreiben. 1943 wird der Film Münchhausen in Berlin uraufgeführt, zu dem Kästner unter Pseudonym das Drehbuch geschrieben hat und der ein großer Erfolg ist. Im selben Jahr erhält Kästner ein endgültiges Schreibverbot, das nun für das In- wie das Ausland gilt. 1944 wird seine Wohnung durch einen Bombenangriff zerstört. Auf Grund einer Denunziation werden zwei nahe Freunde, Erich Ohser und Erich Knauf, mit denen Erich Kästner lange Jahre zusammengearbeitet hat, verhaftet. Erich Ohser begeht Selbstmord, Erich Knauf wird hingerichtet. Die letzten Wochen vor Kriegsende verbringt Kästner durch die Hilfe eines Freundes im Tirol – angeblich für Aufnahmen zu einem Bergfilm, tatsächlich wird ohne Filmmaterial gedreht.

    Nach Kriegsende gründet Kästner in München das Kabarett Die Schaubude und wird Feuilletonchef der Neuen Zeitung (bis 1948). Von 1945–49 gibt er die Jugendzeitschrift Pinguin heraus. 1949 erscheint außer dem Kinderbuch Die Konferenz der Tiere auch Das doppelte Lottchen, das in den 30er Jahren ursprünglich als ein Drehbuch für einen Film geplant worden war, der aufgrund der politischen Verhältnisse nicht zustande kam. 1950 und 1951 erscheinen Kästners Nacherzählung Der gestiefelte Kater und Des Freiherrn von Münchhausen wunderbare Reisen und Abenteuer zu Wasser und zu Lande. 1951 ist auch die Premiere des Films Das doppelte Lottchen, der auf Kästners eigenem Drehbuch basiert. Im selben Jahr gründet Kästner das Kabarett Die kleine Freiheit in München. Seine Mutter stirbt und auch sein langjähriger Illustrator Walter Trier. 1954 veröffentlicht Kästner eine Nacherzählung der Schildbürger. Die Illustrationen stammen von Horst Lemke, der von nun an mit Kästner zusammenarbeitet. Im selben Jahr entsteht das Drehbuch für Das fliegende Klassenzimmer. 1955 beginnt Kästner mit den Arbeiten zu seiner Autobiographie für Kinder, Als ich ein kleiner Junge war, die er 1957 veröffentlicht. Dazwischen erscheint 1956 eine weitere Nacherzählung: Leben und Taten des scharfsinnigen Ritters Don Quichote.

    1957 wird der Sohn von Kästner und Friedhilde Siebert, Thomas, geboren. Kurz darauf stirbt Kästners Vater. 1961 veröffentlicht Kästner eine Nacherzählung von Gullivers Reisen. Nach einem gesundheitlichen Zusammenbruch hält er sich von 1962–64 vorrangig in einem Sanatorium in Agra im Tessin auf. 1962 erscheint eine Sammlung von Geschichten und Gedichten für Kinder unter dem Titel Das Schwein beim Friseur, die z. T. noch vor dem ersten Kinderroman entstanden und zum überwiegenden Teil in der Zeit zwischen 1926–1929 als Einzeltexte erschienen waren. 1963 veröffentlicht Kästner den Kinderroman Der Kleine Mann und 1967 dessen Fortsetzung Der Kleine Mann und die kleine Miss.

    1974 stirbt Erich Kästner.

    2 Zum Verhältnis von Biographie und Werk

    Die unterschiedliche Bewertung der Person Kästners bestimmt nicht selten auch das Urteil über die Kinderbücher vor dem Hintergrund seines Gesamtwerkes. Zwar wird in der Fachwissenschaft die biographische Deutung literarischer Werke weitgehend als obsolet angesehen. In der unterrichtlichen Praxis dagegen verläuft die Rezeption eines Textes nach wie vor häufig auch über die Person des Autors. Neben den Biographien von Hanuschek (2003 und 2004) sind noch zwei weitere in jüngerer Zeit erschienen (Schikorsky 1998; Görtz/Sarkowicz 1999). Für Schüler empfiehlt sich die Biographie von Klaus Kordon (1998), wenngleich dort ebenfalls noch die inzwischen bezweifelte These zur leiblichen Vaterschaft des Hausarztes vertreten wird (ebd., S. 16–18). Die noch zu Lebzeiten Kästners entstandene Biographie durch seine langjährige Lebensgefährtin Lieselotte Enderle (1960) muss dagegen als eine in weiten Teilen unkritische (Selbst-)Darstellung angesehen werden (Doderer 2002, S. 30).

    Dass sich Kästners Kinderbücher und die in ihnen enthaltenen moralischen Imperative nicht ohne Weiteres mit dem Leben des Autors zur Deckung bringen lassen, hat zeitweilig für Irritationen gesorgt. Gegenüber einer früher in der Forschung gelegentlich praktizierten Enttarnung des Moralisten und Aufklärers Kästner – aus ideologischen Gründen am linksbürgerlichen Intellektuellen (Benjamin 1931, Rodrian 1960), aus moralisch-psychologischen am Muttersohn (v.a. Bäumler 1984) und in Hinblick auf die Kompromisse eines Schriftstellers zur NS-Zeit (Drouve 1993) – hat sich heute ein überwiegend sachlicher Ton durchgesetzt, der vorhandene Widersprüche konstatiert, ohne zugleich in den Ton moralischer Entrüstung oder Rechtfertigung fallen zu müssen. In diesen Zusammenhang gehört auch eine Untersuchung von Haywood (1998), die Kästners Kinderbücher als Zeitdokumente der Weimarer Republik liest und kritisch betrachtet.

    Diese Versachlichung ist in Bezug auf den Literaturunterricht zu begrüßen, der sich an die für Schüler relevanten und beweisbaren biographischen Fakten zum Autor halten kann und im übrigen die Kinderbücher selbst in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken sollte. Denn gerade auch die erzählerische Formenvielfalt der Kästnerschen Kinderromane hat mit wenigen Ausnahmen (v. a. Steck-Meier 1999) noch viel zu wenig Beachtung gefunden. Dies ist jedoch nicht als ein empfohlener Rückfall in die Zeiten rein textimmanenter Literaturbetrachtung misszuverstehen, sondern als Erweiterung einer vorrangig inhalts- und plotorientierten Schullektüre um darstellerische und medienspezifische Aspekte. Angesichts der Komplexität der Zusammenhänge von Biographie und Werk, die weitgehend nicht mit der Zielgruppe von Kästners Kinderromanen zu diskutieren sind, wird hier eine pragmatische Lösung in Bezug auf die genannten Probleme vorgeschlagen. Die Lehrenden sollten sich der vorhandenen Differenzen zwischen den in Kästners Kinderromanen vertretenen Meinungen und seinen andernorts veröffentlichten und unveröffentlichten Ansichten bzw. seinem eigenen Leben bewusst sein. Auf Seiten der Lehrenden erscheint dies notwendig, um eine allzu unkritische Weitergabe und Übernahme aller Moralsätze der Kästnerschen Erzähler zu vermeiden. Andererseits hat der heutige Deutschunterricht zuallererst das grundlegende Ziel einer allgemeinen Leseförderung zu berücksichtigen. Kästners Figuren und Plots, die sich an vielfältige literarische Muster, darunter auch solche der Trivialliteratur, anlehnen, machen ihn zu einem der Autoren, der eine breite Leserschaft anspricht. Dieser Konsens, der selbst noch leseunlustige Eltern für die Lektüre ihrer Kinder zu interessieren vermag, ist, wie die neuere Leseforschung gezeigt hat, besonders wichtig für eine positive Leseentwicklung. Die nähere Betrachtung erzählerischer Strukturen kann, daran anknüpfend, ein Bewusstsein für die Vielschichtigkeit der Kästnerschen Texte schaffen und damit das Lesen auf dauerhafte Weise befördern, da mit dem Verständnis komplexerer Erzählstrukturen, die sich hinter den trivialen Mustern verbergen, die Lesekompetenz der Schüler steigt.

    B

    Unterrichtsprojekte zu einzelnen ausgewählten Werken

    1 Begründung der Textauswahl

    Emil und die Detektive (1929) wird als das erste und bekannteste von Kästners Kinderbüchern ausgewählt, das in inhaltlicher wie formaler Hinsicht vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten für den Deutschunterricht unter literarischen, mediendidaktischen und sprachlichen Gesichtspunkten bietet. Die Kriminalgeschichte garantiert Spannung und Interesse auf Seiten der Schüler – durch den Protagonisten Emil vor allem auch der leseunwilligeren Jungen. Der Roman ist eines der ersten und wichtigsten Beispiele des Großstadt-Romans für Kinder. Er bietet sich (wie viele der Kästnerschen Romane) für eine medienspezifische Betrachtung an: aufgrund der verschiedenen Verfilmungen und der im Roman thematisierten Rolle moderner Medien im gesellschaftlichen Leben. Mit dem Protagonisten Emil schafft Kästner einen Jungentypus, der als Sohn einer alleinerziehenden Mutter früh mit den Mühen des Geldverdienens vertraut gemacht wird und ein Musterknabe ist.

    Pünktchen und Anton (1931), Kästners zweiter Kinderroman, thematisiert das Verhältnis von Arm und Reich. Wichtig ist, dass hier einmal ein Mädchen, Pünktchen, als phantasievolle Freundin eines Jungen, Anton, eine gleichberechtigte, wenn nicht sogar führende Rolle spielt. Das Buch besitzt eine für Kästners Kinderbücher besondere Erzählstruktur: Auf die einzelnen Kapitel der Haupthandlung folgen jeweils kursiv gedruckte „Nachdenkereien", in denen über die Haupthandlung und ihre Erzählweise reflektiert wird – eine Teilung, die sich schon im vorigen Roman andeutet, der im Einleitungskapitel Fragen von Fiktion und Wirklichkeit diskutiert. Ein zunächst im Hintergrund stehender Krimiplot, der mittels analytischer Erzählweise erst allmählich erkennbar wird, sorgt für eine zunehmende Spannungssteigerung. Um die Kriminalhandlung entschlüsseln zu können, müssen die Schüler gleichzeitiges Geschehen aus parallelen Erzählsträngen zusammenzusetzen lernen. Dies kann, obwohl heutige Schüler durch raffinierte Filmsequenzen an ähnliche Verfahren z.T. schon gewöhnt sind, auf dem Gebiet der Literatur dennoch einige Schwierigkeiten bereiten. Bei dem Versuch, die nicht ganz einfache Zeitstruktur der Handlung zu verstehen, ist der Krimiplot ein großer Anreiz für die Schüler, die einzelnen Handlungsstränge in logische Übereinstimmung zu bringen. Das den Roman durchziehende Theatermotiv bildet einen möglichen Ansatzpunkt für eine medien- bzw. dramendidaktische Behandlung des Romans. Das Theatermotiv in Verbindung mit der märchenhaft-utopischen Lösung der Romankonflikte erlaubt eine Anknüpfung an die phantastische Geschichte des 35. Mai.

    Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee (1932) wird als Beispiel für die phantastische Kinderliteratur ausgewählt, das an Motive aus dem Einleitungskapitel zu Emil und die Detektive anknüpft und zugleich bedeutende Erzählmuster der Literatur aufgreift: die phantastische Reise, literarische Utopien und verkehrte Welten. In diese Reihe der phantastischen Kinderromane Kästners gehören auch die hier nicht behandelten Romane Der kleine Mann (1963) und Der kleine Mann und die kleine Miss (1967). Der 35. Mai ist auch aufgrund seiner erzählerischen Struktur von Quasi-Rahmen und Binnenhandlung wie durch seine charakteristische Verbindung realistischer und phantastischer Elemente von besonderem Interesse.

    Das fliegende Klassenzimmer (1933) wird als eines der bekanntesten und nach Emilbei Schülern und Lehrern auch beliebtesten Kinderbücher ausgewählt. Das Buch bietet sich nicht nur auf Grund des dargestellten Internats- und Schullebens für eine schulische Lektüre an und erlaubt einen Vergleich mit Schulromanen der gegenwärtigen KJL. Es verbindet auch eine spannende Handlung mit der einfühlsamen Beschreibung einzelner Figuren, deren Nöte die Leser aufgrund der wechselnden Erzählperspektiven auf unterschiedliche Weise kennen und verstehen lernen. Ein Novum gegenüber den vorhergehenden Kinderromanen Kästners stellen die neben den fünf Schülern als positive Hauptfiguren agierenden Erwachsenen dar, die den Kindern als Ratgeber und Helfer zur Seite stehen und damit auch z. T. die Funktion des ‘Autors’ aus den früheren Kinderromanen übernehmen. Der Prozess des Schreibens wird wie schon in den ersten beiden Romanen in Vor- und Nachwort thematisiert. In diesem Falle aber werden Vor- und Nachwort auch auf inhaltlicher Ebene durch eine Hauptfigur mit der eigentlichen Romanhandlung verknüpft. Auch hier bietet sich die Möglichkeit einer mediendidaktischen Einbeziehung einer oder mehrerer Verfilmungen.

    Das doppelte Lottchen (1949) wird ausgewählt, weil es, wohl aufgrund der beiden Titelheldinnen, zumindest unter Mädchen zu den meistgelesenen Kästnerbüchern gehört und im übrigen mit der Geschichte von den vertauschten Zwillingen ein beliebtes literarisches Motiv gewählt hat. Der Roman ist auch deshalb besonders interessant, weil er zunächst als Filmtreatment entsteht und erzählerisch unübersehbar auf eine filmische Umsetzung hin angelegt ist, aufgrund der Zeitumstände aber nach dem Krieg zuerst in Buchform erscheint. Das Thema der eineiigen Zwillinge, die unter verschiedenen sozialen Bedingungen aufwachsen, nutzt Kästner als Möglichkeit, die damit je verbundenen Vor- und Nachteile und die sich daraus entwickelnden Fähigkeiten beider Mädchen darzustellen. Dieser Roman bietet insbesondere durch seine mehrfachen Verfilmungen gute Möglichkeiten für mediendidaktische Vergleiche.

    Als ich ein kleiner Junge war (1957) ist als autobiographisches Werk von Interesse, an dem die Schüler thematisch-motivische Zusammenhänge mit Kästners übrigen Kinderromanen entdecken können. Zentrale literarische Fragen wie das Verhältnis von Autobiographie und Leben, Dichtung und Wahrheit werden von Kästner auf relativ kindgerechte Weise diskutiert. Diese Fragen können auch die Schüler zum Nachdenken über ihre eigene Kindheit unter veränderten Voraussetzungen anregen und sie ihre Aufmerksamkeit für Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen der eigenen und der dargestellten kindlichen Welterfahrung in der Autobiographie wecken. Kästners Erinnerungen können (auch ausschnittweise) im thematischen Rahmen (z.B. von Kindheit in der Literatur) gelesen und um weitere, gegenwärtige Beispiele der KJL ergänzt werden.

    2 Emil und die Detektive. Ein Roman für Kinder (1929)

    2.1 Text analyse

    2.1.1 Erscheinungsdatum: Herbst 1929 mit der Jahreszahl 1930

    2.1.2 Zusammenfassung der Handlung

    Der aus Neustadt kommende kindliche Protagonist Emil Tischbein fährt zu seiner Großmutter nach Berlin. Im Eisenbahnabteil werden ihm von einem Mann 140 Mark gestohlen, die seine Mutter mühsam für die Großmutter zusammengespart hat. Durch die Hilfe einer Gruppe von Berliner Kindern gelingt es Emil, den Dieb zu fassen und ihm seinen Diebstahl zu beweisen. Emil, der damit, ohne es zu wissen, einen lange gesuchten Verbrecher überführt hat, kommt in die Zeitung und erhält 1000 Mark Belohnung.

    2.1.3 Thema, Stoff und literarisches Genre

    Der Roman ist der realistischen KJL zuzurechnen. Das zugrunde liegende Muster einer Kriminalhandlung wird ergänzt durch thematische Schwerpunkte, die Elemente des klassischen Bildungs- und Abenteuerromans (Schikorsky 1995) und der problemorientierten KJL vereinen. Diese Themen wie Armut – Reichtum, Eltern / Erwachsene – Kinder, Kleinstadt – Großstadt, Recht, Gerechtigkeit und demokratische Gewaltenteilung können die Kriminalhandlung zeitweilig überlagern. Die Handlungsstruktur des Romans, nach der Emil allein von zu Hause in das Gewirr der Großstadt aufbricht, dort verschiedene Bewährungsproben zu bestehen hat, um danach wieder als Held mit seiner Mutter vereint zu werden, erinnert darüber hinaus auch an das dreiteilige Schema der Märchen.

    2.1.4 Erzählstruktur des Romans:

    2.1.4.1 Formale Einteilung

    Inhaltsangabe (ED 5)

    Einleitungskapitel (7–27), darin

    Zehn Bilder mit unterlegtem Text (18–27),

    Achtzehn Kapitel zur Geschichte von Emil (29–171)

    Alle Kapitel besitzen thematische Überschriften im Präsens, die auf die folgende Handlung verweisen. Nach den zehn Bildern des Einleitungskapitels folgt eine Zwischenüberschrift (nicht in der Erstausgabe): „So, nun wollen wir aber endlich anfangen!" Dieser Satz markiert den Beginn der eigentlichen Geschichte um Emil.

    2.1.4.2 Inhaltliche Strukturierung nach Handlungsorten

    Der Roman spielt im Wesentlichen in der Metropole Berlin. Ausnahmen hierfür sind die ersten drei Kapitel und das siebzehnte, die in Neustadt, einer Kleinstadt in der Provinz, und im Zug nach Berlin spielen. Diese Reise von der Peripherie des Landes hin zur Metropole unternimmt zuerst der kindliche Held Emil am Beginn der Geschichte (3. Kapitel) – am Ende der Geschichte (17. Kapitel) seine Mutter. In Berlin vollziehen sich die entscheidenden Ereignisse im öffentlichen Raum der Stadt: den Straßen und Verkehrsmitteln, den Bahnhöfen, Cafés, Kinos, Hotels, Banken, in Höfen und auf Plätzen, bei Polizei und Presse.

    Das Einleitungskapitel spielt, wie indirekt zu erschließen ist, ebenfalls in Berlin.

    2.1.4.3 Zeitliche Dauer und Chronologie der Handlung, Rahmen- und Binnenerzählung

    Dauer der geschilderten Haupthandlung: drei Tage.

    Die Dauer der berichteten Ereignisse im Einleitungskapitel ist unbestimmt; es enthält einen Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des Romans und eine Vorwegnahme von dessen Haupthandlung durch die „Bauklötze", die von den jungen Lesern zu einer Geschichte zusammengebaut werden sollen.

    Die Handlung um Emil wird vom 1.–18. Kapitel weitgehend chronologisch erzählt. In diese Handlung sind rückblickende oder voraus weisende Binnenerzählungen, direkte Verweise auf zukünftiges Geschehen und die Darstellung von zeitlich parallel ablaufenden Handlungen eingefügt.

    2.1.4.4 Handlungsstruktur und Spannungskurve

    Nach dem Einleitungskapitel beginnt die eigentliche Geschichte um Emil erst mit dem 1. Kapitel zu Emils Leben in dem kleinen Ort Neustadt mit seiner Mutter, die alleine für sie beide Geld verdienen muss, zu Emils Existenz als Musterknabe und im 2. Kapitel zu seiner Abfahrt nach Berlin. Hierbei wird die einzige Pferdebahn erwähnt, die Emil und seine Freunde als einen „Skandal" ansehen, weil sie auch gerne eine elektrische Straßenbahn in Neustadt hätten.

    Das 3. Kapitel mit der Fahrt des Protagonisten ist schon deshalb spannend, weil Emil nun auf sich allein gestellt ist und außerdem eine

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