Jakob Wolff - Rupes Picarum: 1497
By Tanja Kummer
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Nach "Der Fluch" und "Die Täuschung" hier nun der dritte Kurzroman von Tanja Kummer über den Hexenmeister Jakob Wolff.
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Book preview
Jakob Wolff - Rupes Picarum - Tanja Kummer
Jakob Wolff
Rupes picarum
1497
von Tanja Kummer
Ein Roman aus der Jakob Wolff Reihe
Leseratten Verlag
Tanja Kummer
Jakob Wolff - Rupes picarum
ISBN 978-3-945230-10-7
1. Auflage, Allmersbach im Tal 2015
Copyright Leseratten Verlag, Marc Hamacher
71573 Allmersbach im Tal
© Alle Rechte vorbehalten
www.leserattenverlag.de
www.tanjakummer.de
1. Das Ritual
1497
Der rituelle Gesang endete. Er spürte die Blicke der vier Männer auf sich, obwohl sie alle Kapuzen trugen, die ihre Gesichter verbargen. Das gelbe Licht der Fackeln erhellte die Szenerie nur notdürftig. Doch die Frau, die vor ihm gefesselt auf dem Boden lag, konnte er gut erkennen. Und die Angst in den Augen ihres jungfräulichen Opfers.
Seine Hand, in der er den Ritualdolch hielt, zitterte.
Jakob zögerte.
Das Leben war heilig. Vor Gott war jedes Wesen gleich. Oder nicht? Was also tat er hier? Sein Vorhaben würde niemals funktionieren.
Aber versprach dieses unschuldige Wesen, das bis auf ein dünnes, weißes Hemdchen an ihrem dürren, blassen Leib fast nackt vor ihm lag, nicht seine Erlösung? Würde ihr Opfer nicht seinen Fluch brechen? War es nicht das, was er sich nicht sehnlicher als irgendetwas sonst wünschte? Und war das nicht auch ein Leben wert?
Bisher hatte er gedacht, es würde einfach für ihn werden, diese fremde Frau zu töten. Er hatte schon getötet. Sich selbst. Doch andererseits hatte ihn sein Vater so erzogen, dass jedes Leben geschützt werden musste. Jedes Leben. Gleich welches. Er war nicht Gott. Kein Ankläger und kein Richter. Es war unrecht, Leben zu nehmen. Und auch der Zweck, warum man Leben nehmen wollte, spielte keine Rolle. Es war eine Sünde. Genauer gesagt eine Todsünde. Nach seinem Tod würde die Hölle auf ihn warten. Grausame Folter und Schmerzen bis in alle Ewigkeit.
Aber war es nicht genau das, was er im Leben bereits durchmachte? Er gehörte dem Teufel jetzt schon. Und der gefallene Engel aus Gottes Heerschar hatte sich einen besonders bösen Schmerz mit ihm erlaubt. Luzifer hatte ihm vor dem Tod bewahrt und zurück ins Leben gestoßen. So wie es sich seine Geliebte, Lieselotte Wagner, für ihn gewünscht hatte. Seither musste er jedes Jahr bis zum 28. August dem Teufel ein Opfer darbringen. Was machte es für einen Unterschied, sie jetzt zu töten, oder erst in ein paar Monaten? Den Fluch hier und heute zu brechen und für immer frei zu sein? Oder ihn wieder nur um ein Jahr zu verlängern und so dem Teufel gezwungenermaßen weiter zu dienen?
Jakob leckte sich über seine trockenen Lippen. Inzwischen zitterte er am ganzen Körper.
»Gott wird dich dafür belohnen. Du tust, was nötig ist, um seine Schäfchen zu schützen. Auch wenn das bedeutet, dem Wolf ab und an eines davon zu opfern, Bruder«, sagte eine der dunklen Gestalten neben ihm.
Er hatte schon früher bei Mönchen gelebt. Einen Winter lang, als er noch als Wanderer ziellos durch das Land gereist war. In einem vorangegangenen Leben. Einem ohne Fluch. Aber die Mönche dieses kleinen Klosters waren anders. Ihre freizügigen Auslegungen der Gebote der Bibel erschienen ihm gefährlich. Oder gar schändlich. Glaubten sie überhaupt an Gott und folgten der Heiligen Schrift?
»Wir haben dich auf diesen Moment vorbereitet, Bruder Jakob. Es jetzt nicht mehr zu tun, würde Luzifer erzürnen. Verderben, Krankheiten und Missernten wären seine Strafen. Aber wir wollen die Gemeinde schützen. Zudem wird ihre Jungfräulichkeit dem Teufel gefallen und er wird deshalb den Fluch von dir nehmen, Bruder Jakob.«
Die Worte des Mönches brachten eine trübe Erinnerung hervor. Lieselottes entsetzte Einwände hallten durch seinen Kopf.
»Jungfräulichkeit als Fluchbrecher?« Lieselotte hatte abfällig gelacht. »Jakob, das ist doch Unsinn! So eine Behauptung ist doch keine fundierte Studie, sondern reiner Aberglaube. Weshalb sollte das Opfer einer Jungfrau mehr wert sein?«
Doch wenn das wahr sein sollte, was tat er dann hier? Mitternacht war vorüber. Heute war Christi Himmelfahrt. Der Tag, an dem ihr Heiland ins Himmelreich zurückgekehrt war. Seine Wiedergeburt in ein neues, besseres Leben. Warum also sollte ihm das nicht auch gelingen?
An diesem von den Kelten angelegten, heidnischen Ort, der dann von der christlichen Kirche geweiht worden war, war die Magie sehr stark. Zumindest hielt er es für Magie. Er konnte sie spüren, wie nie zuvor. Sie betörte ihn wispernd und verführte ihn schmeichlerisch, an seine eigene Erlösung zu glauben.
»Du musst es selbst tun, Bruder Jakob. Ihr seid durch Blut miteinander verbunden. Wenn wir das Opfer bringen, ist es nutzlos.«
Jakob hörte den Wind um die hoch gelegenen Felsen peitschen. Es klang wie das Wehklagen der verdammten Seelen in der Unterwelt. Und er fühlte sich wirklich so, als wäre er bereits in der Hölle. Was also hatte er zu verlieren?
Er nickte, fasste den Griff fester und stach zu.
»Ich erbringe diese Opfer vor dir, meinem Herrscher«, krächzte Jakob mühsam auf Latein.
Dem Mann neben ihm entrann ein entsetztes Geräusch, welches im Gurgeln seines Blutes unterging, weil in seiner Kehle ein Dolch steckte. Langsam sank er auf den felsigen Boden, wobei er Jakob weiterhin ungläubig anstarrte.
Der Geruch von frischem, warmem Blut erfüllte die Luft. Er hörte die anderen Männer aufbrüllen. In ihren Fäusten glitzerte der Stahl ihrer Waffen und Jakob griff nach dem Ersatzdolch unter seinem Umhang. Seine Hand verhedderte sich in den losen Falten und er brachte die Waffe erst heraus, als es bereits zu spät war. Der erste Angreifer war heran und stach die Klinge in seine Schulter. Er verfehlte nur knapp die Hauptschlagader.
Ohne zu zögern, trieb Jakob seinen Dolch zwischen die Rippen seines Angreifers und durchbohrte von unten nach oben das Herz seines Gegners.
»Auf dass ihre verfehlte Vernunft keinen Schaden mehr unter deinen Dienern verursachen kann!«, sagte Jakob und stieß die Leiche von sich.
Die beiden anderen Mönche ergriffen die Flucht.
Er hetzte ihnen nach. Seine Sinne waren so scharf wie die eines Raubtieres. Selbst das leise Geräusch ihres Atems blieb ihm nicht verborgen. Zudem roch er ihren Angstschweiß und ein animalisches Grinsen breitete sich über seine Gesichtszüge.
Einen erwischte er direkt am Ausgang der nachfolgenden Höhenkammer. Er rammte den Dolch mehrfach von hinten durch dessen Organe. Mit zerfetzten Nieren und Leber ließ er ihn tödlich verwundet auf dem Felsen zurück.
»Auf dass ich meinem Herrn gerechter diene als ihr. Und dass ich vor ihm Vergebung finde.«
Jakob rannte weiter den schmalen Bergweg entlang. Er nahm die Stufen doppelt, bis seine Beute vor ihm in Sicht kam.
Jakob sprang vor und schubste den Mann von der herabführenden Treppe in die Tiefe. Der Angstschrei verklang abrupt mit dem tödlichen Aufschlag.
»Mögen eure Seelen für immer in der Hölle schmoren«, keuchte er atemlos und lief die Stufen rasch wieder hinauf.
Die Jungfrau lag vor dem Altar, wo er sie zurückgelassen hatte. Der Kräutertee, mit dem sie das Opfer gelähmt hatten, wirkte immer noch.
»Habt keine Angst!«, sagte Jakob und schob seine Kapuze zurück. »Ihr seid jetzt in Sicherheit.«
Er kniete nieder und löste ihre Fesseln, ehe er sie hochhob und von dem Opferfelsen hinab trug.
Sie hatte einen Schock und fror ganz erbärmlich, weshalb er seinen blutigen Wollumhang auszog und ihn ihr umlegte.
»Ich werde ein Feuer für Euch machen und dann gehen«, erklärte er sanft. Er konnte sehen, dass sie etwas sagen wollte, es aber nicht schaffte. »Seid ohne Furcht. Der Herr hat mich geschickt, um Euch zu befreien. Das ist alles, was Ihr wissen müsst.«
Er stand auf, entzündete ein paar rasch gesammelte, trockene Äste und machte sich auf den Weg.
Jakob gab es nicht gerne zu, doch es stimmte. Es war Zeitverschwendung gewesen, in dieses Kloster zu reisen.
Nach ihrer Flucht aus Speyer waren sie zuerst in südliche Richtung geflohen. Unterwegs trafen sie auf den Schmiedemeister Fabian, der ebenfalls von dort auf der Flucht war. Jakob erzählte ihm, dass es Wolfgang nicht geschafft hatte, die anderen Hexer vor dem Verrat und einer Anklage wegen Hexerei zu warnen. Wolfgang war verhaftet worden und inzwischen vermutlich tot. Fabian schien dies zu bedauern.
»Ich wollte ihm helfen, aber er lehnte es ab.« Das waren Fabians Worte gewesen. Doch die Wahrheit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er hatte