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Höllensturzsinfonie
Höllensturzsinfonie
Höllensturzsinfonie
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Höllensturzsinfonie

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About this ebook

Wer ist dieser Mann, der in einem Krankenhausbett erwacht? Seinen Papieren nach heißt er Rene Bargton, aber der Name sagt ihm nichts. Auch sonst kann er sich an nichts erinnern. Und wer ist dieser irre Brick mit der langen Narbe im Gesicht, der behauptet, dass er den Mann kenne und der ihm dieses seltsame, in Leder gebunde Buch zu lesen gibt? Welche Rolle spielt Edgar Magnus Imnusom, in dessen Diensten ein stummer Junge steht und der dieses abgelegene Hotel leitet, in dem Bargton versucht haben soll, sich zu erhängen? Und wo liegt Urgon Dal, wo die heilige Stadt Schallkallack?

Fabian Oppolzer entwirft in seinem zweiten Roman Höllensturzsinfonie mit großer Fabulierlust und auf mehreren Erzählebenen ein Verwirrspiel um die Suche nach der letzten, unvollendeten Sinfonie des genialen Komponisten Anton Gerber, der seine Partitur im Feuer vernichtet und sich im Anschluss das Leben genommen hat. Oppolzer führt uns durch fragmentierte Weltengefüge mit seltsamen Kausalitäten, merkwürdigen Apparaturen, mystischen Orten, wo niemand und nichts das ist, was es vorgibt zu sein.
LanguageDeutsch
Release dateDec 10, 2014
ISBN9783902844804
Höllensturzsinfonie

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    Höllensturzsinfonie - Fabian Oppolzer

    an.

    ERSTER TEIL

    DAS HOTEL IMNUSOM

    1

    Ein heller Nebel, sonst nichts. Ich liege da und lausche in die Stille. Ich bin allein. Ich kann nicht sagen, ob ich die milchige Trübheit um mich herum wirklich sehe, oder ob ich die Augen noch geschlossen habe und sie in meinem Kopf vorherrscht. Ich bin mir nicht einmal ganz sicher, ob ich selbst existiere. Ich habe keine Ahnung, wer ich bin, oder wo ich bin, und es kümmert mich auch nicht.

    Dann beginnen sich Konturen zu bilden, vor jedem Inhalt, vor dem Begreifen.

    Der Nebel beginnt sich zu bewegen, wölbt sich leicht im Wind, wie ein Segel. Eine ganze Weile nichts anderes, nur das.

    Ein Geräusch. Etwas Bekanntes, Vertrautes. Ein leises dumpfes Patschen von etwas, das flattert, um sich schlägt, sich abquält.

    Es ist mein eigener Atem. Aber ich atme nicht. Etwas atmet für mich, in mir. Kurz flammt eine Gewissheit in aller Deutlichkeit auf, eine Erklärung, die im selben Moment wieder verschwunden ist, dann verliert das wehende Segel vor mir seine Form, das Grau wird schwarz, die Dunkelheit kehrt zurück, etwas Fremdes greift nach mir.

    Zuerst ist da nur die Panik. Ich versuche, mich mit aller Kraft gegen den Griff zu wehren. Aber er ist unnachgiebig. Lange, dürre Tentakel sind unverrückbar, als wären sie aus Metall. Dann schlucke ich Wasser. Es schmerzt in den Lungen. Ertrinken ist die Schönste aller Todesarten, denke ich. Aber schön ist es nicht. Etwas nimmt Besitz von mir. Dann, nach einer Ewigkeit, lässt die Panik nach und ich tauche ein, in eine allumfassende Dunkelheit. Eine Dunkelheit, wie ich sie nie zuvor erfahren habe.

    Ich erinnere mich an Geräusche. Leise, gleichzeitig hoch und schrill.

    Ich erinnere mich an Laute und an Schmerzen. Die Schmerzen sind irgendwo unter den Lauten, östlich der Sonne, westlich des Mondes.

    Es ist mehr als ein Schlaf. Tiefer und dunkler. Es ist auch kein Träumen, sondern etwas viel, viel Echteres. Intensiver als die Realität, denn dort im Dunklen bin ich nicht allein. Dort ist etwas, das diese Laute von sich gibt. Etwas Nasses, Schwarzes, Schleimiges. Ein Wurm mit hundert toten Augen und Fühlern. Sein wabernder Körper taucht vor mir auf, seine schlammglatte Haut ist von schaumigen Gischtwölkchen umgeben.

    Ein Wurm, der seine scharfen Zähne aufeinander mahlen lässt.

    Ein Wurm, der die Dunkelheit absucht. Nach mir sucht, schmatzend seine blinden Fühler ausstreckt. Ich kann mich nicht bewegen. Ich schwimme in diesem öligen Nass und warte.

    Dann wird ein Mund über meinen gestülpt, der keinem menschlichen Wesen gehört, und die Luft aus diesem Mund bläht meine Lungen auf und haucht mir etwas ein, etwas Giftiges, das sich tief in meinem Körper einnistet. Ich kann es schmecken, eine Mischung aus vergorenen Trauben und bitterem Fleisch. Ich kann es hören.

    Ein Forte-Schlag, kurz erweckend. Ich kenne jeden Ton. Hoher, atonaler Gesang. Das Thema, Frage und Antwort, jeweils vier Takte umfassend; die Frage einstimmig gestellt, die Antwort wirr, dicht und mehrstimmig.

    Ich komme überhaupt nicht auf die Idee zu fragen, woher ich das weiß, dafür ist die Musik viel zu vertraut. Ich lausche und spüre, wie sich die Musik in mir verteilt wie ein Tintentropfen im Wasser.

    Nach dem ersten öffnenden Schlag wieder Ruhe. Mit dem Einsatz des zweiten Themas fließen Achteltriolen hinzu, der Kern wird ausgeschöpft, der Gedanke variiert. Es geht nicht um Entwicklung, es geht um Bewahrung. Bewahrung von etwas, das am besten vergessen gehört. Aus der Dissonanz wird Moll, aus Moll wird Dur, trotz weiterer Trübung, die letzte Frage wieder im frei Tonalen. Die Antwort diesmal verhalten, leise, kaum spürbar, ein letztes Aufgeben. Ich kann mich an das Ende nicht erinnern und freue mich darauf. Freue mich darauf, mit dem Ende des Stückes wieder zurück ins Nichts zu gleiten.

    Das alles höre und denke ich, ohne zu wissen, wer ich bin. Erst als die Musik kurz vor der Erlösung abgewürgt wird, erinnere ich mich an meinen Atem, an den Wurm.

    Ich reiße die Augen auf, will hochfahren, mich dieses fürchterlichen Fremdkörpers entledigen, der Luft in meine Lungen pumpt wie ein bösartiges, riesiges Insekt, das sich auf meinem Gesicht festgesaugt hat, seinen Rüssel tief in meinen Hals gebohrt, aber das Adrenalin durchfährt nur einen tauben, regungslosen Körper.

    Etwas Verschwommenes beugt sich über mich.

    Mein Herz pulsiert stark hinter den Schläfen und verzerrt bei jedem Schlag das immer klarer werdende Bild. Eine Stimme flüstert in meinem Kopf. Der Kampf ist vorüber. Meine letzten eigenen Gedanken verschwinden. Dann wache ich auf.

    2

    Zeit vergeht. Unmöglich zu sagen, wie viel. Als ich mich wieder wach fühle, sitzen fremde Leute an meinem Bett. Ein einarmiger Mann und eine Frau. Die Frau mit Tränen in den Augen, der Mann schnaubend vor Zorn.

    Ich will schreien. Aber kein Ton verlässt meine Kehle. Ich kann mich nicht bewegen.

    Bin ich überhaupt wach gewesen?

    Ich liege einfach da. Ich liege da, ohne etwas zu sehen, oder etwas zu denken. Ich bin betäubt, während die Sonne auf und unter geht, während sich der Planet in schwindel-erregender Geschwindigkeit um die eigene Achse dreht, liege ich starr in diesem Bett.

    Das Gesicht eines Arztes.

    Schneidendes Licht. Die Frau in einer dunklen, durchsichtigen Kugel neben dem Bett, in dem ich in brennender weißer Hitze liege und sehe, nein, nicht sehe, weiß, dass sie das hält, was meine Hand ist.

    Eine singende Nonne. War sie noch einmal hier, oder sind es neue Bilder vom ersten Mal. Ich kann es unmöglich sagen. Die Frau singt:

    Mon petit lapin

    s’est sauvé dans le jardin

    cherchez-moi coucou, coucou

    Aber da bin ich noch ein kleiner Junge. Keine sieben Jahre alt, sitze auf einem grauen Flickenteppich in der Küche und sehe der Frau beim Kochen zu.

    Die Hitze! Woher kommt die Hitze, woher das Licht? Hier war es doch so schwarz.

    „Können Sie meine Stimme hören?" Das war wieder der Arzt. Vor fünf Minuten, oder vor drei Jahren. Oder nur im Traum.

    „Wir müssen gemeinsam stark sein, sagt der Mann. „Nur gemeinsam schaffen wir das. Ich habe keine Ahnung, wie … ich … warum? Er schreit: „Warum, warum?"

    Die Frau sitzt neben ihm auf dem Boden. Sie schluchzt in seine Brust. Er will sie in den Arm nehmen, sein linker Stummel bewegt den verknoteten Ärmel, als hätte er ihn ausstrecken wollen, als hätte er vergessen, dass sein Arm nur noch ein Stummel ist. Ich sitze alleine auf dem Flickenteppich daneben und starre sie an, ich bin dreizehn Jahre alt. Der Mann beugt sich vor zu mir, ich kenne ihn, er flüstert: „Das Schwarze ist der Schatten, ist die Dunkelheit unter meinem Mantel. Das Weiße ist die namenlose Angst, die vom immer enger werdenden Kreis des Horizonts ausgeht. Die Stille ist der Schrei der erstickten Vögel, die aus dem starrgefrorenen, leeren Raum herabregnen."

    Immer wieder kommen die Schmerzen und holen mich in die Gegenwart zurück. Zumindest fühlt es sich so an, wie sich der erlebte Moment immer wie die Gegenwart anfühlt.

    Mon petit lapin

    Schlaf jetzt

    Die Frau weint. Meine Lippen, die Wörter geformt haben, so viele Wörter. Ein einziges ist ihnen jetzt geblieben, und das bauen sie langsam für sie auf, für die, die dort an meiner Hand ist: „Mama?"

    Die Sonne geht auf und unter, die Erde dreht sich schwindelerregend schnell, ich liege in meinem Bett. Ich bin nur ein Beobachter. Ein unbeteiligter Geist, nichts weiter.

    Eine Stimme sagt: „Jede Welt besitzt ihr Geheimnis, Zugang findet man nur über die Sprache!"

    Mich umfängt wieder diese schwüle Hitze. Ich bin umgeben von Hitze, Fledermäusen und Schnappern. Glühwürmchen erscheinen und umflirren die hellen Lampen über mir, verbrennen sich daran wie Motten.

    Dann vergesse ich auch das. Und alles, was davor gewesen ist, vergesse ich. Nebel und Wolken, ich danke euch dafür, dass es euch gibt.

    3

    Ich habe es tatsächlich geschafft. Ich bin wieder aufgewacht. Ich kann mich allerdings nicht erinnern, wann das gewesen ist. Es ist dunkel um mich herum. Ein blinkendes, grünes Lämpchen außerhalb meines Sichtfeldes erhellt das Zimmer im pulsierenden Schlag meines Herzens.

    Ich zwinkere mit den Augen und hebe den Kopf an. Das geht mit einer so erstaunlichen Leichtigkeit, dass es mir zuerst überhaupt nicht auffällt. Ich hole tief Luft. Auch das geht eigenständig, ohne Schmerzen, ohne fremde Hilfe.

    Ich starre eine Weile geradeaus, auf den dunklen Fleck Bild an der Wand, dann sehe ich mich um. Ich bin in einem Krankenhaus, da gibt es keinen Zweifel. Es gibt drei weitere Betten, von denen zwei mit Patienten belegt sind, die, regungslos an blinkende Apparaturen angeschlossen, zu meiner Rechten liegen.

    Auch neben meinem Bett stehen verschiedene Gegenstände, die aus einem Labor der Zukunft stammen könnten, und von denen ich keine Ahnung habe, wozu sie gut sind. Viele Schläuche hängen herunter, allerdings stelle ich mit Erleichterung fest, dass ich an keinen angeschlossen bin.

    „Sie sind aufgewacht. Das ist sehr gut".

    Links neben meinem Bett sitzt ein Mann mit überschlagenen Beinen, buschigem Bart und einer Glatze. Ich will antworten, erinnere mich jedoch an die Schmerzen in meinem Hals und stocke, bevor ein Wort meinen Mund verlässt.

    Mir tut nichts weh, denke ich dann.

    „Können Sie mich hören?" Ein angenehmer Bariton, mit angelsächsischem Akzent. Eine Stimme, die ich mit etwas Gutem, etwas Warmen assoziiere.

    Ich nicke.

    „Das ist gut. Entspannen Sie sich. Sie müssen nichts sagen. Nicken Sie einfach mit dem Kopf … oder schütteln Sie ihn, je nachdem."

    „Ich kann sprechen, sage ich. Meine Stimme ist dünn, sie hat überhaupt keinen Klang, aber das fühlt sich vertraut an. „Wie geht es Ihnen?

    „Ich weiß nicht."

    „Haben Sie Schmerzen?"

    Ich überlege. Dann schüttle ich den Kopf.

    „Wo bin ich?"

    „Sie sind in der St. Sebastian-Klinik. Mein Name ist Dr. Clock."

    „Dr. Clock … wirklich?"

    „Ja. Dr. James Clock."

    „Sie sind Engländer."

    Der Bärtige schnaubt. „Walise!"

    „Entschuldigung."

    „Können Sie mir sagen, wer Sie sind?"

    Wieder überlege ich, aber diesmal nur kurz.

    „Nein, sage ich dann. „Ich habe keine Ahnung.

    Wälder, denke ich. Das Geräusch von Bäumen, ein See, der Mond. Ich habe das Gefühl, kurz davor zu sein, eine Brücke schlagen zu können. Jemand schreit, eine vertraute, hohe Stimme. Dann bricht alles in sich zusammen.

    „Sie erinnern sich nicht?"

    „Nein."

    „Probieren Sie es!"

    Ich schließe die Augen und konzentriere mich. Aber da ist nichts. Es fühlt sich an wie ein schwerer, träger Traum, der mich daran hindert, einen konkreten Gedanken zu fassen. Ein Traum, in dem ich mich noch befinde.

    „Ich muss wohl einen Unfall gehabt haben", sage ich.

    Dr. Clock schlägt sein Bein zurück, setzt sich aufrecht hin und rückt etwas näher. Ich kann ohne Mühe das mit Falten durchzogene Gesicht des alten Doktors ausmachen. Buschige Brauen, eine breite Nase, dichter Bart, die Hornbrille und der makellos runde, kahle Schädel machen ihn zum Stereotyp eines verrückten Wissenschaftlers.

    „Wie kommen Sie darauf?", fragt er.

    „… ein Gefühl … was ist denn passiert?"

    Dr. Clock zögert.

    „Nun, Sie wurden hier vor zwei Wochen eingeliefert, ohne Bewusstsein. Können Sie Ihren Kopf bewegen?"

    „Ja."

    „Tut das weh?"

    „Nein."

    „Das ist merkwürdig."

    „Wieso? Hatte ich einen Unfall?"

    „So etwas in der Art."

    „Etwas in der Art?"

    Wieder holt Dr. Clock Luft.

    „Es spricht alles dafür, dass Sie sich etwas antun wollten." Komischerweise bin ich nicht überrascht. Ganz im Gegenteil. Dr. Clocks Worte scheinen eine verblasste Lücke in meinem Kopf nachzufärben, ohne sie mit irgendeinem Inhalt zu füllen.

    „Ich wollte mir das Leben nehmen?"

    „Das nehmen wir an."

    „Und … wie?"

    Dr. Clock spreizt den bärtigen Mund.

    „Sie haben versucht, sich zu erhängen." Der angelsächsische Akzent lässt die Aussage beinahe ins Komische abdriften. Sie haben versucht, sich zu erhängen, mein Bester … eine Tasse Tee?

    „Und wieso?"

    Dr. Clock zuckt mit den Achseln.

    „Keine Ahnung. Ich habe gehofft, das könnten Sie mir sagen." Wieder schließe ich die Augen und versuche, ein paar wenige Bilder heraufzubeschwören. Es gelingt mir nicht.

    „Nein, sage ich. „Ich … ich kann … wieso sollte ich mich denn umbringen wollen?

    „Können Sie mir sagen, was für ein Datum heute ist?"

    Ich schüttle den Kopf. „Nein, keine Ahnung."

    „Welcher Monat?"

    „Juni?" Das ist geraten. Es ist einfach der erste Monat, der mir in den Sinn kommt.

    „Das ist richtig. Und das Jahr?"

    „Das Jahr?"

    „Ja."

    „Ich weiß nicht."

    Dr. Clock legt die faltige Stirn in noch mehr Falten. Er machte sich ein paar Notizen auf einem Block.

    Meine Gedanken beginnen sich plötzlich in einer Spirale zu drehen, auf einen toten Punkt zu, der sie in sich aufzusaugen scheint wie ein schwarzes Loch. Mich überfällt die beruhigende Gewissheit eines Träumers, dem plötzlich klar wird, dass er träumt.

    „Das ist alles sehr viel auf einmal. Aber ich mache mir keine Sorgen, dass die Erinnerung nicht vollständig zurückkehrt. Allerdings kann das einige Zeit brauchen."

    „Wenn ich mich umbringen wollte … wäre es nicht besser, ich würde mich nicht erinnern? Dr. Clock blickt mich an. „Sagen Sie es mir. Glauben Sie das? Ich gebe keine Antwort. Dr. Clock erhebt sich und streicht sich den knittrigen Kittel glatt.

    „Ich werde Ihnen nun etwas geben, damit Sie schlafen können. Morgen werden wir uns weiter unterhalten."

    „Sie lassen mich allein?"

    „Ich muss. Es tut mir leid. Ich habe noch andere Patienten. Aber keine Sorge, Sie sind in Sicherheit.

    Sie brauchen nur zu klingeln, um eine Schwester zu rufen, wenn Sie irgendetwas brauchen."

    Dr. Clock tritt an mein Bett und hält mir einen kleinen durchsichtigen Becher hin.

    „Trinken Sie das, und Sie werden einen ruhigen Schlaf haben." Die Flüssigkeit ist klebrig, süßlich, widerlich.

    „Was ist das?"

    Dr. Clock lächelt.

    „Schlafen Sie. Ruhen Sie sich aus."

    „Aber …" Weiter komme ich nicht. Von einer Sekunde auf die nächste werde ich von einer Schwere erfasst, die meinen Kopf zurück ins Kissen drückt. Im nächsten Moment bin ich eingeschlafen, so schnell, dass ich es nicht merke.

    4

    Dr. Clock erklärt mir geduldig, dass ich vor fünfzehn Tagen, in einem etwas heruntergekommenen Hotelzimmer, etwa zwanzig Kilometer von St. Sebastian entfernt, versucht haben muss, mich mit einer Vorhangkordel zu erhängen. Ein Junge fand mich und rettete mir das Leben, indem er das Seil mit seinem Taschenmesser rechtzeitig durchtrennte.

    Es ist ein heller Nachmittag. Die Strahlen der Sonne fallen durch die Spalten des heruntergelassenen Rollos und malen seltsame Figuren auf meine Bettdecke.

    „Sie haben sich in dem Hotel unter dem Namen Rene Bargton eingetragen und hatten keine Papiere bei sich, als man im Krankenhaus ihre Sachen durchsucht hat, um Ihre Identität zu klären … und ihre Angehörigen zu verständigen. Keiner wusste, wer Sie waren. Keiner weiß, wer sie sind. Können Sie mir vielleicht etwas zu diesem Namen sagen?"

    „Rene … Bargton?"

    Der Doktor nickt.

    „Nein, tut mir leid. Ich glaube nicht, dass ich so heiße."

    Er schweigt einen Moment.

    „Was habe ich denn in der Zwischenzeit getan … seit ich hier bin?", frage ich.

    „Sie haben viel geschlafen. Sie hatten zwar immer wieder wache Momente und erzählten einiges, aber vergaßen es jedes Mal wieder und man konnte daraus wenig schlussfolgern. Ihr Gedächtnis scheint sich erst erholen zu müssen. „Was ist denn mit mir los?

    „Sie leiden an einer retrograden Amnesie, also einem Gedächtnisverlust für einen Zeitraum vor Eintreten des schädigenden Ereignisses. Wahrscheinlich war bei Ihnen eine Hypoxie der Grund … Sauerstoffmangel. Die Kordel hat Ihnen ganz schön den Hals abgeschnürt. Die Narbe wird Sie noch eine ganze Weile daran erinnern …"

    „Woran? Dass ich mich nicht erinnere?"

    Dr. Clock stockt und schenkt mir ein müdes Lächeln.

    „Schon gut", sagt er.

    „Macht nichts. Wahrscheinlich haben Sie recht, ich kann mir nur nicht erklären, so etwas getan zu haben."

    Der

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