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Deus vult: Eine Geschichte aus dem Engel-Universum
Deus vult: Eine Geschichte aus dem Engel-Universum
Deus vult: Eine Geschichte aus dem Engel-Universum
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Deus vult: Eine Geschichte aus dem Engel-Universum

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Nachdem die Angelitische Kirche die Exodus, das Brandlandfahrzeug des Moskauer Diadochen Benren, gestohlen hat, wird ein von langer Hand vorbereiteter Plan endlich in die Tat umgesetzt. Seit Jahrhunderten versucht die heilige Mutter Kirche in Erfahrung zu bringen, welches Schicksal einem ihrer Orden zugestoßen ist. Die Bewahrer der Werte, die Samaeliten sind für die meisten Menschen wenig mehr als ein Mythos, ihr Schaffen und ihr Werk bestenfalls in den alten Bibliotheken der Ramieliten überliefert.

Doch in einer Zeit in der es wenig Hoffnung für das Überleben der Menschheit gibt, muß die Führungsspitze der Angelitischen Kirche jedem auch noch so kleinen Hoffnungsschimmer nachgehen. So stellen sie eine Gruppe von erfahrenen Wissenschaftlern, Templern und Abenteurern zusammen, um das unmögliche zu wagen - die Durchquerung des Brandlandes um Korsika. Was mag die todesmutigen Forscher hinter den giftigen Schleiern erwarten? Würden manche Geheimnisse besser nicht gelüftet? Ist es am Ende die Angelitische Kirche selbst, die ihren Diebstahl und ihre Vermessenheit am meisten bedauern wird? Finden Sie es heraus, denn das Schicksal der Menschen ist Gottes Wille.
LanguageDeutsch
Release dateApr 18, 2013
ISBN9783867621458
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    Deus vult - Oliver Graute

    erhoffen.

    Kapitel 1

    11. Julii 2659

    Tyrrhenisches Meer

    Mit einem feuchtwarmen Klatschen schlug die schwarzglänzende Traumsaatkreatur auf das umgischtete Deck des gepanzerten Fahrzeugs und brachte es so beinahe zum Kentern. Manolo hatte große Mühe, in der Luke der Exodus Halt zu finden. Ein paar Mal stieß er schmerzhaft gegen die nur mäßig gepolsterten Seitenwände der Ausstiegsluke, und bei jedem Aufprall befürchtete er, seine Rippen brechen zu hören. Glücklicherweise jedoch blieb ihm dies erspart. Überlaut hörte er sein eigenes schweres Atmen in der wie er fand viel zu engen Atemmaske, die man ihm vor dem Ausstieg gereicht hatte. Er wollte sie in diesem Moment einfach nur von seinem Gesicht reißen und sie so weit von sich schleudern, wie er konnte, doch das wäre sein Tod gewesen, und das war ihm bewußt. Die bedrohlich vor ihm aufragenden schwarzen Schleier des Brandlandes hielten ihn von seinem unüberlegten Vorhaben ab. Nichts Lebendiges konnte im Schatten der gigantischen Fegefeuer bestehen. Die Luft war voller giftiger Gase und angereichert mit den fauligen Ausdünstungen des dämonischen Gezüchts des Herrn der Fliegen.

    Manolo stand immer noch unter dem Bann des gerade Geschehenen. Der Sondergesandte der Kirche hatte nicht gelogen, als er ihm das Artefakt, dessen rotglühender Lauf immer noch vor ihm im dichten Nebel dampfte, mit den Worten überreicht hatte, er solle vorsichtig damit umgehen, denn seine Feuerkraft sei noch nicht einmal annähernd mit der der Waffen zu vergleichen, mit denen er vorher auf Geheiß der heiligen Mutter gearbeitet hatte. Er war ein Paria der angelitischen Gesellschaft. Er nutzte die verbotene Technologie seiner Vorväter und begab sich damit in den Augen gläubiger Angeliten nah an den Rand der Ketzerei – oder sogar darüber hinaus. Die Machthaber der Kirche hatten bereits vor Jahrhunderten den Technikbann über die Welt verhängt und damit dafür Sorge getragen, daß der Herr nie wieder so erzürnt über das anmaßende Verhalten der Menschen sein könnte, wie er es gewesen war, als er die Zweite Flut und den Veitstanz geschickt hatte. Damals waren nahezu alle Menschen gestorben. Die Lehre, die die Kirche daraus gezogen hatte, hatte dazu geführt, daß ihre Templer alle Technologie eingesammelt hatten und sie seither unter Verschluß gehalten wurde.

    Dennoch, auf eine seltsame Art sah er sich als Auserwählter. Er wußte, daß die Obrigkeit Ausnahmen machte. Manche Regeln galten nur für bestimmte Menschen. Menschen, deren Glaube nicht so gefestigt war wie der Manolos.

    Jetzt lag die See wieder trügerisch still da. Seine Einheit im Rumpf der Exodus mußte langsam unruhig werden, denn er hörte erregte Stimmen zu sich heraufdringen. Ehe er jedoch wieder in den stählernen Bauch des Fahrzeugs zurückklettern konnte, mußte Manolo irgendwie den Kadaver des Dämons vom Deck ihres Gefährts bugsieren, denn er verhalf der Exodus zu ordentlicher Schlagseite und behinderte sie bei der Geradeausfahrt.

    Manolo stemmte die Arme in die Polsterung der Ausstiegsluke und zog mit einem Ruck die Beine an, so daß er sie über den Rand katapultierte und behende auf der metallenen Außenhaut der Exodus zu stehen kam. Vorsichtig näherte er sich dem zerfetzten schwarzen Ungetüm, das vor ihm aufragte. Erst jetzt konnte der Templer Einzelheiten an dem Dämon ausmachen. Es handelte sich um ein libellenartiges Wesen von der Größe eines kleinen Wals mit viel zu vielen Gliedmaßen. Viele davon waren zu klein, um irgendeinen Zweck zu erfüllen, und die meisten standen in unnatürlichem Winkel vom übrigen Körper ab. Manolo wagte es nicht, darüber nachzudenken, ob das die Folge des Sturzes oder der Wille des Herrn der Fliegen gewesen war und stieß der Kreatur grob einen Fuß in die Seite. Der Templer bereute seine Handlung umgehend, denn der schwarzgrüne Panzer des Dämons schien hart wie Granit und der Schmerz in seinem Fuß unerhört zu sein. Der Kadaver indes bewegte sich keinen Millimeter von der Stelle. Laut fluchend stieß Manolo auf einem Bein hüpfend gegen einen Vorsprung an Deck und fiel rücklings hin. Auf dem schlüpfrigen Gemisch aus Meerwasser und dem schwarzen, zähen Seim des Dämons benötigte der Templer lange, um sich wieder aufzuraffen. Er verfluchte sich und seine Dummheit und beschloß, diesen Teil seines heroischen Einsatzes besser geheimzuhalten.

    Der Tod indes kam schnell an diesem Morgen und ließ keinen Zweifel daran, daß auch der Rest von Manolos Taten kein Stoff für ein Heldenepos sein würde. Die schweren Projektile aus Manolos Waffe hatten den Traumsaatdämon zwar tödlich getroffen, keineswegs jedoch war der Existenzkampf der Kreatur zu diesem Zeitpunkt schon beendet, und so zuckte eines der messerscharfen Beine genau in dem Augenblick vor, als der Templer sich wieder aufrichtete und durchschlug mit Leichtigkeit die gehärtete Lederrüstung des Soldaten und dann Haut, Fleisch und Knochen. Mit einem Kreischen bekam der Dämon Übergewicht und rutschte mitsamt seiner immer noch verblüfft dreinblickenden Beute von Deck.

    Auftrag ausgeführt, dachte Manolo noch, bevor er in das kühle Naß tauchte. Dann schloß er die Augen, und seine Finger fanden den Ring, an dem der geballte Zorn des Herrn von seinem Gürtel baumelte. Mit einem letzten Ruck und einem zynischen Lächeln bereitete Manolo seiner und der Existenz des Dämons ein Ende.

    Die gewaltige Explosion riß das Brandlandgefährt beinahe entzwei, und ein eiskalter Schwall Meerwasser ergoß sich durch die Luke über die Gestalten im Inneren der Exodus, die daraufhin haltlos durcheinanderpurzelten. Xandra kam zuerst wieder auf die Beine und wußte sofort, daß etwas nicht nach Plan gelaufen war. Am freudigen Gejohle Manolos hatte sie unschwer erkennen können, daß er Erfolg gehabt haben mußte. Wie konnte dann so etwas passieren? Ohne auf mögliche Gefahren zu achten, ergriff sie die Sprossen der Eisenleiter, die zur Ausstiegsluke führten, und noch bevor sie jemand davon abhalten konnte, hatte sie den Ausstieg erreicht.

    Die See hatte sich nach der Explosion wieder geglättet. Alles lag ruhig vor Xandra, die sich vorsichtig immer höher schob und schließlich einen guten Rundumblick über das Deck der Exodus hatte. Von Manolo fehlte jede Spur. Die Detonation mußte ihn über Bord geschleudert haben. Mit hektischen Blicken suchte die Gabrielis-Templerin das Wasser ab. Die Atemmaske behinderte sie stark bei dieser Tätigkeit. Wenige Minuten zuvor war sie der jungen Frau beinahe vom Gesicht gerutscht, als die Detonation den Rumpf des Brandlandmobils erzittern ließ. Das wäre ihr sicherer Tod gewesen. Zumindest hatte man sie das im Rahmen der Ausbildung für diese Mission gelehrt. Irgend etwas regte sich in ihr und ließ den Wunsch aufkommen, die Frage jetzt und hier ein für alle Mal zu beantworten. Nein, sie war zwar Gabrielis-Templerin, Mitglied des starken Armes der Angelitischen Kirche, ausgebildet zu töten und sich für die heilige Sache zu opfern, aber sie war nicht dumm. Es gab sicher Menschen, die mehr von den Geheimnissen des Brandlandes und der Fegefeuer verstanden als sie. Wer war sie, die Weisheit und Erkenntnisse ihrer Vorgesetzten in Frage zu stellen?

    Ruhig suchte Xandra noch einmal die Wasseroberfläche ab. Irgendwelche Anzeichen dessen, was geschehen war, mußte es doch geben. Nichts, Manolo blieb wie vom Erdboden verschluckt oder besser, wie von der See verschlungen. Minute um Minute verging, doch ihr Waffenbruder blieb verschollen. Zu Beginn der Reise hatte man ihr unmißverständlich klargemacht, daß es sich um ein Himmelfahrtskommando handeln könnte. Niemand hatte je zuvor eine solche Reise unternommen und konnte davon berichten. Die wenigen Brandlandführer, die von sich behaupteten, unbeschadet einen der Rauchkorridore durchquert zu haben, waren durchweg von zweifelhaftem Ruf, verrückt oder beides. Daß es jedoch so früh, quasi noch vor dem eigentlichen Beginn der Reise, zu Verlusten kommen würde, damit hatte die sehnige Gabrielis-Templerin nicht gerechnet.

    Bekümmert wandte sie sich von der trügerischen See ab und zwängte sich zurück in den stählernen Bauch der Exodus.

    „Was ist geschehen?" Die klare Stimme Jareks klang seltsam dumpf in Xandras Ohren. Waren das die Folgen der Explosion? Oder handelte es sich nur um die erneute Gewöhnungsphase der Verhältnisse im Inneren des stählernen Gefährts nach ihrem Aufenthalt an Deck? Nachdem die Templerin sich vergewissert hatte, daß die Einstiegsluke nun wieder dicht verschlossen war, entfernte sie umständlich das Atemgerät vor ihrem Gesicht, bevor sie ihrem Vorgesetzten antwortete.

    „Das Schiff ist wieder frei. Es kann weitergehen. Sie selbst war wohl am meisten über die Kaltschnäuzigkeit erschrocken, mit der sie das Fehlen ihres Waffenbruders unterschlug. Ihr Blick wanderte über die Gesichter ihrer anderen Gefährten, die sie hinter ihren Masken mit einer Mischung aus Ekel und Erwartung anstarrten. Als die nachfolgende Stille sie zu übermannen drohte, fügte sie hinzu: „Manolo hat’s nicht geschafft.

    „Was hast du gesehen, Xandra?" ließ sich Jarek aus dem hinteren Teil des Fahrzeugs vernehmen.

    „Nichts, nur Wasser und dieses stinkende Brandland vor uns."

    Der Anführer der kleinen Einheit versuchte, sich zur vollen Größe aufzurichten, scheiterte jedoch bei dem Versuch, da er die Decke ihres Gefährts um mindestens zwei Köpfe überragte. Geduckt und sich an diversen Haltegriffen entlanghangelnd näherte er sich Xandra. Als er sie erreicht hatte, sprach er mit leiser Stimme, so daß niemand außer der Templerin es hören konnte. „Was hast du gesehen?"

    „Ich habe nichts gesehen, gar nichts. Im Gegensatz zu ihrem vorgesetzten Armatura machte Xandra sich nicht die Mühe, ihre Stimme zu senken. „Da draußen lauert etwas, es hat Manolo geholt und wartet nur darauf, daß wir den Kopf aus der Luke stecken, um nach ihm zu suchen. Ich habe keinen Hinweis darauf gefunden, wohin er verschwunden ist. Die Gabrielis-Templerin begann, sich langsam in Rage zu reden. „Selbst wenn er bei der Explosion in Stücke gerissen worden wäre, hätte ich irgend etwas von ihm finden müssen, und seien es auch nur Fetzen seiner Kleidung." Tränen mischten sich in den Schweiß auf ihrem Gesicht, und ihre Stimme versagte ihr.

    „Manolo hat seine Pflicht getan. Jareks Stimme schwankte zwischen Mitgefühl und Drohung. „Sein Licht ist aufgefahren zu seinen Brüdern. Er wird wie alle großen Templer Teil eines Engels werden und erneut herabkommen auf die Welt, um Großes zu vollbringen. Die Stimme des Armatura klang, als hätte er die Worte auswendig gelernt, was vermutlich den Tatsachen entsprach, denn lesen und schreiben konnte an Bord der Exodus niemand, das widersprach der Doktrin der heiligen Angelitischen Kirche. Die junge Templerin schob eigensinnig das Kinn vor. „Ist das die Antwort, die ihr Michaeliten auf alles habt? Verblendetes Geschwätz einer greisen Gruppe verknöcherter Klugschwätzer in Roma ..."

    Eine schallende Ohrfeige unterbrach Xandras Wortschwall und ließ sie zu Boden gehen. Jareks Gesicht war zorngerötet, soweit es die Templerin im Zwielicht des Raumes ausmachen konnte, und als er sie am Kragen packte und sein Gesicht nah an das ihre brachte, konnte sie eine Ader an seiner Schläfe heftig pulsieren sehen.

    „Halt dein Schandmaul, wenn du nichts Zielführendes beizusteuern hast. Mit deinem Geschwätz kommen wir nie nach Korsika." Nach einem kurzen Blickduell war der stumme Kampf beendet. Der hochgewachsene Michaelis-Armatura ließ Xandra los. Die Frau sackte im hinteren Teil der Kabine in sich zusammen und brauchte einige Zeit, ehe sie sich wieder im Griff hatte.

    Die anderen schwiegen. Zusammengepfercht in einem viel zu kleinen Gefährt, ein ungewisses Schicksal vor Augen, nur durch einen kleinen Sehschlitz für den Fahrer mit der Außenwelt verbunden, lagen die Nerven aller blank. Doch keiner der kleinen Eliteeinheit von Templern im Dienste der heiligen Mutter Kirche wollte sich die Blöße geben, Angst zu zeigen. Gefühlsausbrüche wie der Xandras waren verpönt unter den angelitischen Kriegern. Inzwischen hatten alle die stickigen Schutzmasken wieder abgenommen und versuchten, möglichst wenig Luft zu verbrauchen. Denn diese war für die nächsten Stunden ihr kostbarster Schatz.

    Man hatte Jareks Einheit für diese Mission kaum Zeit für Vorbereitungen gelassen. Der Marschbefehl war eine Woche zuvor gekommen. Außer Brako hatte niemand Erfahrung im Umgang mit vorsintflutlicher Fahrzeugtechnologie. Der Ramielis-Templer war erst seit kurzer Zeit in Jareks Einheit. Er hatte seine Ausbildung vor Jahren im Himmel der Ramieliten in Prag absolviert und zeigte ein umfassendes Verständnis für komplexe technische Zusammenhänge. Nach seiner Dienstzeit in Prag war er im Dienste der Ramieliten an die entlegensten Orte Europas gereist, um die Hinterlassenschaften der Ragueliten, der Hüter der Technik, zu sichten und den Monachen vor Ort beratend zur Seite zu stehen.

    Brako redete nicht viel und hielt sich mit seiner Meinung weitgehend zurück. Seine Schwestern und Brüder hatten nicht viel Verständnis für ein solches Verhalten, schrieben es jedoch seinem fortgeschrittenen Alter, er zählte unterdessen siebenundvierzig Jahre, und der allseits bekannten osteuropäischen Unterkühltheit zu. Anfänglich war er die Zielscheibe des Spotts seiner Gefährten gewesen, doch als Brako ein ums andere Mal keinerlei Reaktion auf die Anfeindungen gezeigt hatte, hatten sie schnell die Lust an ihren Sticheleien verloren.

    Jetzt saß Brako in dem mit schwerem Leder ausgekleideten Stuhl der Fahrerkanzel und blickte angestrengt durch die komplizierte Umlenkoptik, die ihm als einzigem die Sicht nach draußen ermöglichte. Seine Gefährten waren vollkommen auf ihn angewiesen, und manch einer stellte sich insgeheim die Frage, ob es eine gute Idee gewesen war, dem Ramieliten einen solch „herzlichen" Empfang in ihren Reihen zu bescheren.

    Jarek erinnerte sich. Man hatte nach ihm geschickt und ihn ins Allerheiligste inmitten Roma Æternas gebracht. Der Lateran, gelegen inmitten der Stadt auf der Nova Insula, der Kommandozentrale der Angelitischen Kirche, glich einer ehernen Festung. Wer den Weg hierher fand, war wenige Stunden später entweder tot oder ein gemachter Mann. Jarek mochte beide Gedanken nicht. Er liebte die Freiheit seiner Tätigkeit im Dienste der heiligen Mutter, und trotz zahlreicher Angebote hatte er bereits mehrmals eine Beförderung, die ihm ein stattliches Auskommen und einen noblen Wohnsitz beschert hätte, ausgeschlagen. Ihm lag nicht daran, in irgendeinem Sessel als Coccineus oder als Stadthalter einer Provinzgarnison fetter und fetter zu werden. Im Gegenteil, er verabscheute die bürokratische Oberschicht der Kirche so sehr, daß ein Aufenthalt in der Ewigen Stadt ihn schier um den Verstand brachte.

    So war ihm nicht wohl gewesen, als er die Pforte des Laterans durchschritt und vor das Konsistorium trat. Der höchste angelitische Rat und Beraterstab des Pontifex Maximus bestand aus neun Personen. Manche von ihnen machten auf Jarek den Eindruck, als versauerten sie schon seit Gründung der Angelitischen Kirche dort. Andere, allerdings wenige, waren jünger und sahen zumindest so aus, als läge ihnen etwas am Geschick anderer. Fast alle blickten ihn aus kalten Augen an, als wollten sie ihn auf der Stelle zu Eis gefrieren lassen. Einige hatten ein professionelles Lächeln aufgesetzt, konnten jedoch nicht verbergen, daß ihr Gegenüber ihnen unter ihren Masken aus Freundlichkeit ebenso egal war wie dem Rest der Ratsmitglieder.

    Nachdem der Ratssprecher, Kardinal zu Gemmingen, die traditionellen Grußformeln gesprochen hatte, war er ohne Umschweife zur Sache gekommen. „Wir haben viel von dir und deinen Taten sagen hören, Armatura Jarek. Du bist ein Held."

    Trotz der schmeichelnden Worte wollte der Michaelit keinen rechten Stolz empfinden. Viel zu lauernd schien ihm die Stimme seines Gegenübers. So blieb er sachlich und antwortete: „Ich tue nur demütig meine Pflicht im Angesicht des Herrn und seiner Diener, Eure hochehrwürdigen Eminenzen."

    „Sicher. Ist dir bewußt, warum wir dich in den Lateran haben rufen lassen, Armatura?"

    „Nein, hochehrwürdige Eminenz."

    „Du sollst deine wohl bisher größte Heldentat vollbringen und somit zu einer Legende werden, vielleicht wirst du nach deinem Ableben sogar heiliggesprochen. Der Konsistorialkardinal legte eine dramatische Pause ein, um das Erstaunen im Blick seines Gegenübers auszukosten. „Du sollst als Befreier der Samaeliten in die angelitische Geschichte eingehen.

    Anders als von ihm erwartet war es Jarek damals schwergefallen, ob des Gesagten die Fassung zu wahren. Seine Gedanken hatten sich beinahe überschlagen, und ihm war wenig zu sagen eingefallen, also hatte er geschwiegen.

    „Ich sehe, unser Auftrag wirft Fragen in dir auf, Armatura. Nichts anderes haben wir erwartet. Leider bleibt nicht viel Zeit für Antworten, daher erörtern wir nur in aller Kürze deine Mission." Mit einer gönnerhaften Geste in Richtung eines Ratsmitglieds zu seiner Linken hatte zu Gemmingen wieder Platz genommen. Der Mann, dem die stumme Aufforderung des Kardinals gegolten hatte, hatte sich erhoben und war ein paar Schritte auf Jarek zugekommen.

    „Deine Mission wird sein, mit sieben deiner besten Leute das jüngst fertiggestellte Brandlandmobil, die Exodus, durch den Korridor um Korsika zu bringen und unsere Schwestern und Brüder vom Orden Samaels aus der Umklammerung des Herrn der Fliegen zu befreien." Zum ersten Mal im Leben hatte Jarek gespürt, wie ihm die Knie weich wurden. Nicht aus Angst, wie man angesichts einer so großen und verantwortungsvollen Aufgabe wohl hätte annehmen können, vielmehr hatte ihn die Flut von Fragen in seinem Kopf schwindeln lassen.

    „Eure hochehrwürdigen Eminenzen, wie soll ich eine solche Großtat vollbringen, wo doch Jahrhunderte niemand derartiges vermocht hat? Dies ist eine Mission für die Engel des Herrn, und ich bin nur ein einfacher Templer."

    „Deine Demut ehrt dich, Armatura. Der Kardinal in der schlechtsitzenden Robe hatte seine Aussage mit einer übertrieben ausladenden Geste unterstrichen, ehe er fortfuhr. „Doch sei versichert, der Umstand, daß die Wahl auf dich fiel, ist nicht Unüberlegtheit und Willkür zuzurechnen, sondern das Ergebnis langjährigen Abwägens. Einem Engel ist es nicht möglich, diese Mission zu erfüllen, da es sich bei der Exodus um ein eher beengtes Gefährt handelt, was jedoch keinesfalls seiner Bedeutung für die heilige Sache ge...

    „Nun, ich denke, für den Anfang wären das genug Informationen, Bruder Jorolph. Zu Gemmingen hatte sich erneut erhoben und war dem vollbärtigen Amtskollegen rüde ins Wort gefallen, was dieser sofort mit einem strafenden Blick geahndet hatte, der jedoch auf zu Gemmingen keinen Eindruck zu machen schien. „Von heute an in sieben Tagen beginnt deine Mission, Armatura Jarek. Ausreichend Zeit, um sich mit den Gegebenheiten und der Ausrüstung vertraut zu machen. Mögen der Herr und seine Engel stets über dich wachen.

    Acht Tage waren seitdem vergangen. Sie waren die diffizile Funktionsweise der Exodus gemeinsam mit einer Frau namens Wanja wieder und wieder durchgegangen. Die Begine schien sich mit der Apparatur gut auszukennen, hatte jedoch den Eindruck erweckt, als widerstrebe es ihr, sich dem Gefährt zu nähern. Brandlandführer waren aus dem Osten herbestellt worden, um Jareks Armatur in allem zu unterweisen, was ihnen im Angesicht des schwarzen Vorhangs würde nützen können. Schließlich hatte man ketzerische Waffen gebracht, die angelitische Siegel trugen, die sie als unbedenklich legitimierten, weil sie ausschließlich dem Einsatz gegen die Dämonen der Traumsaat zum Einsatz kommen sollten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war Jarek die Tragweite seiner Mission bewußt geworden. Sieg und Niederlage lagen so dicht beieinander wie nie in seinem Leben. Er würde glanzvoll mit seinen Schwestern und Brüdern nach Æterna zurückkehren oder bei dem Versuch, das Brandland zu durchqueren, sterben.

    „Wir tauchen jetzt ein." Brakos harter Akzent riß Jarek zurück ins Hier und Jetzt. Befehlsgewohnt wies er seine Kameraden an, einen sicheren Halt zu suchen und auf alles gefaßt zu sein. Selbst Xandra hatte sich aufgesetzt und machte den Eindruck, sich wieder gefaßt zu haben. Vielleicht hatte der Armatura sich in ihr doch nicht getäuscht, als er beschlossen hatte, sie mitzunehmen. Vor wenigen Augenblicken hätte er sie noch am liebsten nach Æterna zurückschwimmen lassen, jetzt ebbte sein Zorn auf sie langsam wieder ab. Sie war gut darin, allein zu überleben. Auf dem Schlachtfeld war sie eine wahre Furie, und er verdankte ihr sogar mehr als einmal sein Leben. Doch hier gehörte sie nicht hin, begriff Jarek nun und hoffte, daß er sich für seine Entscheidung, sie mitzunehmen, nicht noch einmal schreckliche Vorwürfe würde machen müssen.

    Was immer die kleine Truppe auch befürchtet hatte, beim Eintritt in Feindesland geschah ... nichts. Weder wurde die Fahrt unruhiger noch verglühten sie in der Hitze tausender Schmelzöfen. Es ging einfach voran. Immer weiter näherten sie sich dem Ziel. Das einzige, was sich änderte, war der Gestank im Inneren ihres selbstgewählten Gefängnisses. Schweiß, geboren aus Angst und stickiger Hitze, rann den Gefährten in Strömen über die Haut und sammelte sich an exponierten Stellen zu kleinen Seen. Die Luft war schal und schmeckte nach Eisen. Die Augen brannten vom Salz aus ihren Poren. Niemand wagte, ein Wort zu sagen. Aller Ohren waren auf das gerichtet, was draußen, jenseits der stählernen Hülle des Brandlandgefährts, auf sie lauern mochte. Jeder von ihnen hatte die Geschichten über riesige Traumsaatdämonen gehört, die in der Lage waren, ein Gefährt wie die Exodus einfach zu verschlingen, und die meisten von Jareks Schwestern und Brüdern hatten sogar schon selbst ins Antlitz einer solchen chitingepanzerten Bestie geblickt und waren dem Tode entronnen, oft mit wenig mehr als ihrem nacktem Leben. Sie hatten dem Feind stets ins Antlitz geblickt und nie verzagt, doch dies war eine gänzlich andere Situation. Sie waren gefangen in einem schwimmenden Sarkophag, kein wahrer Angelit sollte so sterben, umhüllt von drei Zentimeter dickem Stahl, ohne den Blick gen Himmel richten zu können. Sie waren wie die Lämmer zur Schlachtbank geführt worden und hatten sich sogar im Angesicht des sicheren Todes vorgedrängt. Man hatte ihnen stets das Gefühl gegeben, unsterblich zu sein. Oft hatten sie seither befürchtet, man habe sie angelogen. Jetzt jedoch waren sie sich sicher. Sie waren keine Engel. Welche Anmaßung, auch nur über die Möglichkeit nachgedacht zu haben, es dereinst ihren strahlenden Vorbildern gleichtun zu können, welch ketzerischer Gedanke, durch hartes Training und einen unerschütterlichen Glauben in den Status der von Gott Erwählten aufsteigen zu dürfen.

    „Ich sehe gar nichts. Hier ist es dunkel wie im Schoß einer urielitischen Nonna." Der Umstand, daß Brako einen so blumigen Vergleich für seine Situation fand, ließ Jarek darauf schließen, daß selbst der sonst so beherrschte Ramielis-Templer mit der Situation zu kämpfen hatte.

    „Kurs halten und unter keinen Umständen davon abweichen." Jarek stand direkt hinter Brako und

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