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Legalisieren!: Vorträge zur Drogenpolitik
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Legalisieren!: Vorträge zur Drogenpolitik

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Günter Amendt war eine der wichtigsten und einflussreichsten Stimmen in der drogenpolitischen Auseinandersetzung im deutschsprachigen Raum. Als einer der Ersten hat er erkannt, dass Prohibition und Kriege gegen Drogen zum Scheitern verurteilt sind, und er hat immer wieder plausibel begründet, weshalb das Drogenproblem durch eine kontrollierte Legalisierung zwar nicht gelöst, jedoch wesentlich entschärft werden könnte. Wie recht er damit hatte, wird heute am Beispiel Afghanistans oder Mexikos deutlich. Und selbst in den USA beginnt sich inzwischen die Einsicht durchzusetzen, dass die Freigabe des Cannabiskonsums nicht mehr aufzuhalten ist.
In den letzten Jahren vor seinem Tod beschäftigte sich Amendt mit der Bedeutung legaler Drogen
im postindustriellen Zeitalter: etwa dem Doping im Alltag und der leistungssteigernden Stimulierung des Hirns durch psychoaktive Substanzen. Günter Amendt war ein sprachlich präziser und beeindruckender Redner, der mit seinen Vorträgen Zuhörende in den Bann zog. Er wollte verstanden werden und überzeugen. Der Vortrag war für ihn immer auch eine Performance - eine Kunstform.
LanguageDeutsch
Release dateJul 7, 2014
ISBN9783858696090
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    Book preview

    Legalisieren! - Günter Amendt

    Loebell

    Abschied vom

    Abstinenzdogma

    Legalisieren! Nicht die Lösung, aber ein Gebot der Vernunft

    »Modellfall Schweiz? Zur ›Volksinitiative für eine vernünftige Drogenpolitik‹ «. Vortrag am 23. Oktober 1992 in der Roten Fabrik in Zürich an einer Informationsveranstaltung des Droleg-Initiativkomitees

    »Heute liegt die politische Vernunft nicht mehr dort, wo die politische Macht liegt. Es muss ein Zustrom von Intelligenz und Intuition aus nichtoffiziellen Kreisen stattfinden, wenn Katastrophen verhütet oder gemildert werden sollen.« Das schrieb Hermann Hesse gegen Ende der Weimarer Republik.¹

    Nun kann man sich fragen, ob jemals politische Macht und politische Vernunft beieinandergelegen haben. Auf die in Westeuropa und in den USA praktizierte Drogenpolitik bezogen, lässt diese Frage sich eindeutig beantworten. Da, wo in der kleinen, reichen Schweiz, wo im neuen, großen Deutschland, wo im korruptionsgeplagten Frankreich oder im mafiaverseuchten Italien die drogenpolitische Macht liegt, hat die politische Vernunft sich schon vor Langem verabschiedet.

    Nach mehr als zwei Jahrzehnten einer äußerst kontrovers geführten theoretischen Auseinandersetzung und einer extrem widersprüchlichen drogenpolitischen Praxis ist die europäische Drogenpolitik an einem Punkt angelangt, wo die Entscheidung zugunsten einer der beiden Haupttendenzen der internationalen Drogenpolitik möglich und nötig geworden ist. Entweder man entscheidet sich für die Fortsetzung der bisher verfolgten Prohibitions-und Repressionslinie einschließlich aller Risiken einer polizeistaatlichen Entwicklung im Innern und einer militärischen Eskalation nach außen, oder man entscheidet sich für eine Liberalisierung des Drogenmarktes und die Legalisierung der Produktion, des Handels und des Konsums von Drogen für die damit verbundenen Risiken.

    Diese Entscheidung muss bald gefällt werden, sie lässt sich nicht länger aufschieben, denn das Arsenal der vielfältigsten Repressionsmittel gegen Sucht und Süchtige, gegen Produzenten und Konsumenten von illegalen Drogen ist unterdessen so bedrohlich angewachsen, dass eine gesellschaftliche Steuerung und eine Wahl zwischen den beiden Haupttendenzen schon bald nicht mehr möglich sein dürfte. Immer mehr Staaten beschränken sich darauf, blind und gehorsam der von den USA vorgegebenen Repressionslinie zu folgen.

    Politikverweigerung

    Sie haben mit Ihrer »Volksinitiative für eine vernünftige Drogenpolitik«² eine klare Entscheidung getroffen. Sie fordern eine Änderung der Bundesverfassung, die den Erwerb, den Besitz und den Konsum von Betäubungsmitteln straffrei machen und die Einfuhr, die Herstellung, den Verkauf und die fiskalische Belastung von Betäubungsmitteln zur Bundessache erklären soll. Das ist ein vernünftiger Vorschlag.

    Das Desaster der internationalen Drogenpolitik, mit dem wir heute konfrontiert sind, ist Ausdruck einer von den Gesetzen des illegalen Marktes diktierten Unvernunft, Ausdruck einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung, die außer Kontrolle geraten ist. Verantwortlich für diese Entwicklung hin zu einer Katastrophe, um noch einmal auf das Hermann-Hesse-Zitat zurückzukommen, ist ein Mangel an Intelligenz und Intuition in offiziellen Kreisen. Die von diesen Kreisen praktizierte Drogenpolitik ist jedoch mehr als nur ein weiterer Beleg für das allseits beklagte »Versagen der Politik«. Bei genauer Betrachtung handelt es sich hier um einen Fall von Politikverweigerung.

    Wie ist es möglich, dass weder der Bundesrat in Bern noch die Bundesregierung in Bonn, weder der Drogenbeauftragte des US-Präsidenten noch der des deutschen Kanzlers, weder die UNO noch eine ihrer Unterorganisationen jemals ein Szenario in Auftrag und der Öffentlichkeit zur Kenntnis gegeben hat, welches die Freigabe von Drogen in allen Details durchspielt, alle Risiken abwägt und die bisherige Drogenpolitik einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzieht? Wie soll so die drogenpolitische Stagnation überwunden werden, wie soll politische Handlungsfähigkeit, um die angeblich so intensiv gerungen wird, gefunden werden, wenn in der politischen Klasse, da, wo die drogenpolitische Macht liegt, an eine Alternative nicht einmal gedacht wird?

    Immerhin hat das italienische Parlament im August dieses Jahres einen Antrag formuliert, in dem die Regierung aufgefordert wird, alle Möglichkeiten einer Freigabe des Drogenhandels zu prüfen. Alle Parteien, mit Ausnahme der Neofaschisten, haben den Antrag unterschrieben.³

    Ihre Initiative zur Abschaffung der Prohibition ist nicht nur »ein Zustrom an Intelligenz und Intuition aus nichtoffiziellen Kreisen«, sie ist darüber hinaus auch einmalig in Europa. Doch sie wird einmalig nicht bleiben. Die Zeit ist reif für eine Totalrevision der europäischen Drogenpolitik. In der Schweiz hat man das zuerst erkannt.

    Warum in der Schweiz?

    Warum nicht in Deutschland oder in Frankreich oder in Italien? Das ist eine auch sozialhistorisch hochinteressante Frage, auf die ich keine Antwort habe; aber einige Vermutungen.

    Zunächst wäre aus meiner Sicht festzuhalten: Das Niveau der öffentlichen Diskussion in der Schweiz liegt weit über dem aller ihrer europäischen Nachbarländer. Das gilt auch für die Mediendiskussion trotz aller Ausrutscher. Nicht nur in der Neuen Zürcher Zeitung, dem Tages-Anzeiger, der Wochenzeitung und der Weltwoche, sondern eben auch im Anzeiger des Bezirks Affoltern wird eine Diskussion mit unterschiedlicher Akzentsetzung und Schwerpunktbildung auf vergleichsweise hohem Niveau geführt.

    Der Platzspitz⁴ war eine Art gesamtschweizerisches Open-Air-Kino mit einer gigantischen Projektionsfläche, auf die der gesamte Seelenmüll, alle Ängste, alles, was als Bedrohung und als Manifestation des Bösen empfunden wurde, projiziert werden konnte. Nun, nach der Auflösung der offenen Drogenszene am Platzspitz, ist diese Projektionsfläche auf die Größe eines Bildschirms geschrumpft, dessen Programm überall in der Schweiz mit Lokalnachrichten gefüttert wird. Aarau und Affoltern verhalten sich zu Zürich eben nicht wie Stade und Buxtehude zu Hamburg. Es gibt keine drogenpolitische Provinz in der Schweiz. Die räumliche Nähe aller Ereignisse bewirkt eine soziale Verdichtung, die zwangsläufig zu einer Schärfung des Problembewusstseins führt: Drogen sind überall.

    Sicherlich haben auch Enthüllungen über die Rolle von Schweizer Banken im weltweiten Drogenhandel zur Bewusstseinserweiterung beigetragen und die Bereitschaft gefördert, nicht nur die soziale, sondern auch die politische und ökonomische Seite des Drogenproblems wahrzunehmen.

    Zwar werden in offiziellen Verlautbarungen die bislang in Europa gültigen drogenpolitischen Dogmen noch immer tapfer hochgehalten, in der drogenpolitischen Praxis hat man sich jedoch längst schon von diesen Dogmen verabschiedet. Spritzentausch und Druckräume⁶, Gassenküchen in der Drogenszene und Programme zur Methadonsubstitution, das alles sind tabubrechende Innovationen, an deren Zustandekommen schweizerische Drogenfachleute maßgeblich beteiligt waren. Die hier entwickelten Konzepte zur Drogen- und Aidsprävention mit ihrem Verzicht auf moralisierende Untertöne werden außerhalb der Schweiz von Experten und Expertinnen als beispielhaft betrachtet. Insofern ist die von Ihnen ergriffene Initiative nur die logische Konsequenz eines unbefangenen Denkens, welches sich wohl nur dort entfalten kann, wo man eine Chance sieht, die Ergebnisse von Analysen und die Erfahrungen unzähliger Diskussionen politisch umzusetzen.

    Da, wo ich herkomme, würde eine vergleichbare Initiative nur als Provokation wirken, weil die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland das Volksrecht auf Initiative nicht kennt und jede Veränderung nur über den Umweg von Parteien möglich ist; von Parteien, über deren Zustand es nicht lohnt, weitere Worte zu verlieren. Wer lässt sich schon freiwillig auf Umwege ein, wenn ihm die Erfahrung sagt, dass seine Ideen und Vorschläge, je kühner und unkonventioneller sie sind, im parteitaktischen Gerangel untergehen, oft ohne auch nur zur Diskussion gestellt worden zu sein.

    Nur schon die Möglichkeit, vom Initiativrecht Gebrauch zu machen, setzt Fantasien frei und Denkprozesse in Gang, die anderswo mit großer Zeitverzögerung günstigstenfalls nachvollzogen werden. Ihre Initiative ist deshalb weit über die Schweiz hinaus von Bedeutung.

    Banalisierung der Droge über den Preis?

    Die Entwicklung meiner eigenen Position in der sogenannten Drogenfrage wurde von der in der Schweiz geführten Diskussion mit ihren vielen praktischen Innovationen entscheidend beeinflusst. Ich nutze diese Gelegenheit, um das auszusprechen. Am meisten beeindruckt hat mich eine schwer beschreibbare und sozialwissenschaftlich kaum messbare Haltung, der ich in Deutschland nur selten begegnet bin: Es wird hier ganz einfach anders über – und vor allem – anders mit Junkies gesprochen als nördlich des Rheins.

    »Wir fordern […] als absolutes Minimum, dass die uns in der Zwischenzeit bestens bekannten und immer gleichen, völlig verwahrlosten und verelendeten Fixer und Fixerinnen eingesammelt und unter Anwendung des fürsorglichen Freiheitsentzugs von der Straße ferngehalten werden.« Ich bin weit davon entfernt, die drogenpolitische Lage in dieser Stadt, in diesem Kanton, in diesem Land zu verharmlosen und Stimmen, wie die des eben zitierten Arbeitskreises betroffener Anrainer zu überhören. Mir ist bekannt, dass Polit-Hooligans und Psycho-Skins in der Drogendiskussion mitmischen, mir sind die Argumente im Streit um den Spritzentausch und die Zeitungsannoncen im Vorfeld der Fixerräume-Abstimmung noch in Erinnerung, ich habe die Kommentare noch im Ohr, die ich im Umfeld des Platzspitz aufgefangen habe, und ich höre schon heute die Schlagworte, die man Ihnen entgegenschleudern wird, um Sie als Abenteurer abzuqualifizieren.

    Voller heuchlerischer Empörung wird man Ihnen vorwerfen, den Staat zum Dealer machen zu wollen, als sei dies nicht der Normalfall im Pharmahandel. Zum Beispiel. Aber auch in anderen volkswirtschaftlichen Sektoren, wie im Waffenhandel und im Handel mit radioaktiven Brennstoffen, wo nur mit staatlichen Lizenzen produziert und Handel getrieben werden darf. Man wird Ihre Initiative empört mit der Begründung zurückweisen, sie laufe auf eine »Kapitulation vor der Mafia« hinaus. Abgesehen davon, dass das Gegenteil richtig ist und die Mafia die große Verliererin wäre, wenn die Drogenprohibition beendet würde, verdeutlicht der Sprachgebrauch, welche Verwirrung die Militarisierung der Drogenpolitik in den Köpfen angerichtet hat. Auch werden Sie mit dem »Argument« konfrontiert werden, Sie beabsichtigten, »Heroin im Supermarkt« anzubieten und »Kokainautomaten im Pausenhof von Schulen« aufzustellen. Auf solche und ähnliche Spitzenleistungen einer billigen Verblödungspropaganda werden Sie sich einzurichten haben.

    Vor Ihnen liegen die Mühen der Überzeugungsarbeit. Diese Arbeit ist deshalb so mühsam, weil es ständig zu unterscheiden gilt zwischen den vorgeschobenen Argumenten jener, welche die Drogendiskussion zur Propagierung ihrer Law-and-Order-Parolen missbrauchen, und den berechtigten Zweifeln und Ängsten von Menschen, Die sich aufgefordert sehen, das, was mehr als zwei Jahrzehnte als richtig galt, plötzlich für falsch zu halten. Das provoziert Abwehr. Vergessen wir nicht: Die bislang gültige prohibitiv-repressive Drogenpolitik wurde über viele Jahre hinweg mit beträchtlichem finanziellem Aufwand unter beachtlicher Beteiligung der Medien und unter Einsatz staatlicher Autorität in die Köpfe der Menschen eingepflanzt.

    Mit der Freigabe des Drogenhandels und der Entkriminalisierung des Konsums würden nicht nur die Marktverhältnisse völlig umgekrempelt, es würde sich auch der Status von Drogen ändern. Kokain würde das Luxuriöse verlieren, Heroin würde das Heroische genommen. Drogen ihre Attraktivität und der Drogenszene ihren Reiz zu nehmen, ist ein wesentliches Ziel der Legalisierung. Die Freigabe von Drogen wird zwangsläufig zu einer gesellschaftlichen Neubewertung von Drogen führen – mindestens zu ihrer Banalisierung über den Preis.

    Auch die in diesem Zusammenhang immer wieder geäußerte Angst vor einer »Entfesselung der Marktmechanismen« ist verständlich, sie zeugt von einer realistischen Einschätzung der dem Markt innewohnenden Destruktivität. Dennoch ist sie unbegründet. Es gäbe genügend Eingriffsmöglichkeiten, diese Entfesselung zu verhindern. Man muss es nur politisch wollen, denn mit der Bereitschaft, Drogen legal zugänglich zu machen, ist nicht automatisch ein Verzicht auf staatliche Rahmenbedingungen verbunden.

    Sie werden also mit heftigem Widerspruch und entschlossenem Widerstand rechnen müssen, Sie werden aber auch auf erhebliche Zustimmung und aktive Unterstützung bauen können. Wenn die Neue Zürcher Zeitung sich heute offen für die Entkriminalisierung des Drogenkonsums und die Freigabe des Drogenhandels ausspricht, dann darf das als Signal für die Aufhebung der Prohibition in nicht allzu ferner Zukunft verstanden werden. Es gibt deutliche Hinweise auf die Bereitschaft sogenannter bürgerlicher Kreise in fast allen Konsumentenländern des Nordens, eine Kurskorrektur vorzunehmen. Nicht nur in der Schweiz, auch in Großbritannien und in den USA, aber auch in Italien und in Spanien wurden entsprechende Stellungnahmen veröffentlicht und in führenden konservativen Blättern publiziert.

    Sozial-liberale Interessenkonvergenz

    Ganz offensichtlich werden die im internationalen Finanzkreislauf zirkulierenden Narco-Dollars als Bedrohung des unter legalen Bedingungen operierenden Kapitals eingeschätzt. Zunehmend treten die in der Illegalität erwirtschafteten exorbitanten Profite der Drogenkartelle in direkte Konkurrenz zu jenem Kapital, das bei seinen Operationen an den nationalen und internationalen Märkten an eine betriebswirtschaftlich vertretbare Kalkulation gebunden ist. Im Baugewerbe und im Grundstückshandel – und das mittlerweile europaweit – ist diese Konkurrenz deutlich spürbar, dort werden Preise gefordert und bezahlt, die nicht mehr kalkulierbar sind, wenn man zu legalen Bedingungen mitbieten will. Schon befürchten Experten des EJPD⁷, dass »kriminelle Organisationen am Bau der NEAT beteiligte Firmen unterwandern«⁸ werden, um das Milliardenprojekt in eine Mafia-Geldwaschmaschine umzufunktionieren.

    Nicht nur das Finanzkapital, nicht nur das Baugewerbe und nicht nur die UNO sehen in den Profiten der Drogenhändler und deren wachsender Brutalisierung eine »direkte Bedrohung der politischen und wirtschaftlichen Strukturen ganzer Länder«, auch in der sozialdemokratischen und in der grün-alternativen Öffentlichkeit wird diese Gefahreneinschätzung geteilt. Hier hat man auch erkannt, dass die in jüngster Zeit sich häufenden Warnungen vor den Gefahren des organisierten Verbrechens von Rechtskonservativen und Neonazis dazu benutzt werden, eine Rechtsstaatsgarantie nach der anderen abzubauen und die Tore zum Polizeistaat weit zu öffnen.

    In der Prohibitionsfrage zeichnet sich eine sozial-liberale Interessenkonvergenz ab, ein Bündnis von libertären Linken und aufgeklärten Konservativen. Darauf spielt wohl die NZZ an, wenn sie nach »neuen Wegen zum alten Ziel« verlangt: »Das Ziel – weniger Sucht, weniger Drogen, weniger Kriminalität – könnte politische Kräfte zusammenbringen, die sich heute in wenig fruchtbarem Streit verschleißen.«

    Es wäre jedoch ein Fehler, sich bei der Suche nach Bündnispartnern ausschließlich auf politische beziehungsweise parteipolitische Präferenzen zu konzentrieren. Damit bleiben all diejenigen außen vor, die aus rein professionellen Gründen an einer Änderung des herrschenden Zustandes interessiert sind. Auch ein konservativer Richter, der im Prinzip an die heilsame Wirkung von Strafen glaubt, gerät ins Zweifeln, wenn die von ihm ausgesprochenen Strafen nicht vollzogen werden, weil die Haftanstalten überfüllt sind, und auch eine verfolgungseifrige Staatsanwältin gerät ins Grübeln, wenn sie ihre Arbeitskraft an Drogen-Bagatelldelikten vergeudet, während millionenschwere Wirtschaftsdelikte wegen Kapazitätsüberlastung nicht oder nur mangelhaft ermittelt werden. Von ähnlichen Zweifeln sind auch Teile der Polizeiführung und der Polizeibasis an den Brennpunkten der Drogenkriminalität befallen. Im Therapiebereich, unter Medizinern, Psychologen und Sozialarbeitern ist die Ernüchterung über die bisher praktizierte Drogenpolitik naturgemäß am größten. All diese Berufsgruppen sollten in die nun vor Ihnen liegende Diskussion des Initiativentwurfs einbezogen werden.

    Die Aufhebung der Prohibition wäre nicht gleichbedeutend mit der Ausschaltung der Mafia. Das organisierte Verbrechen würde jedoch seiner wichtigsten Einnahmequelle beraubt und darüber hinaus sein härtestes Zahlungsmittel im internationalen Waffenhandel verlieren. Auch nach Aufhebung der Prohibition wird es Sucht und Süchtige geben. Eine staatlich regulierte Drogenabgabe, die Junkies sauberes Heroin mit Dosierungsgarantie zu einem Marktpreis weit unter dem des illegalen Marktes garantiert, würde jedoch Fixer und Fixerinnen vom Beschaffungsstress und von dessen Folgen und die Bevölkerung von der Beschaffungskriminalität und Beschaffungsprostitution und deren Auswirkungen befreien.

    Es gibt keine drogenpolitische Nulllösung. Wer diese Prämisse akzeptiert, wird sich Ihrer Initiative anschließen, deren Überzeugungskraft gerade darin besteht, nicht eine Lösung zu versprechen, wo es eine Lösung nicht gibt.

    Die repressive Drogenpolitik ist gescheitert – wie weiter?

    »Die Droge, der Staat, der Tod«. Beitrag am Kongress »Leben mit Drogen« vom 25./26. Juni 1994 in Innsbruck, organisiert vom Tiroler Arbeitskreis für Vorsorgemedizin

    So unterschiedlich sie auch begründet wurden, letzten Endes waren alle drogenpolitischen Konzepte, die in den 60er-Jahren und zu Beginn der 70er-Jahre formuliert wurden, nur Variationen des einen großen Themas: Repression. Mal auf die sanfte, mal auf die harte Tour, mal offen, mal verdeckt, mal mehr und mal weniger, immer ging es um Repression. Heute, nachdem auch die ökonomische Seite des Problems nicht länger ignoriert werden kann, weiß man, wenn man wissen will, dass Prohibition und Repression der falsche Lösungsansatz sind.

    Das Desaster der internationalen Drogenpolitik, mit dem wir heute konfrontiert sind, ist Ausdruck einer von den Gesetzen des illegalen Marktes diktierten Fehlentwicklung, Ausdruck eines gesellschaftlichen Prozesses, der außer Kontrolle geraten ist.

    Möglich war diese Fehlentwicklung nur, weil das Problem erst verkannt wurde und dann, als es erkannt worden war, nicht radikal genug analysiert wurde, weil an die Stelle von Analysen Mystifikationen und Ideologien traten und weil der Grundkonsens, auf dem die Drogenpolitik der westlichen Industriegesellschaften beruhte – eben die Prohibition –, erst spät infrage gestellt wurde.

    Es ist davon auszugehen, dass die politische Klasse in den westlichen Industriegesellschaften, soweit sie nicht sowieso aus ökonomischem Interesse an der Aufrechterhaltung des drogenpolitischen Chaos interessiert ist, das Ausmaß des Problems und seine Kompliziertheit noch immer nicht verstanden hat.

    Das hat mit Inkompetenz viel zu tun, sicherlich aber auch mit der Tatsache, dass es politische Kräfte gibt, die daran interessiert sind, den Zustand der Angst und Unsicherheit in bestimmten Stadtteilen und Quartieren unverändert zu lassen. Solange sich die mit dem Drogenproblem verknüpften Ängste politisch ausschlachten lassen und in Wählerstimmen niederschlagen, wird sich an dieser Interessenlage auch nichts ändern. Diese politischen Kräfte brauchen den verwahrlosten Fixer und die verlotterte Fixerin, sie brauchen die Angst vor dem gewalttätigen Dealer, der ihre Kids »anfixt«, sie brauchen die Abscheu vor dem suchtabhängigen Junkie, schon um sich auf ihre eigenen Süchte nicht einlassen zu müssen.

    Lageanalyse

    Trotzdem ist die Bereitschaft gewachsen, einen Weg aus der internationalen Drogenkrise zu finden – und zwar jenseits von parteitaktischen Überlegungen. Denn die Lage ist alarmierend.

    Der Zustrom an illegalen Drogen aus den traditionellen Anbaugebieten Südostasiens und Lateinamerikas wächst kontinuierlich, und mit ihm wachsen die Profite der Drogenkartelle.

    Ständig werden neue Märkte erschlossen. Europa gilt als der Zukunftsmarkt des Drogenkapitals, Kokain ist dabei, »dem bisher in Europa dominierenden Heroin als harte Droge den Rang abzulaufen«.¹⁰

    Neue Anbauregionen in Afrika, auf dem Territorium der früheren Sowjetunion und der Volksrepublik China drängen mit ihrem Angebot auf den internationalen Hartwährungsmarkt, neue Händlerorganisationen haben die Szene betreten und machen sich dort breit unter Einsatz einer bislang nicht gekannten Brutalität.

    Die Grauzone zwischen legaler und illegaler Wirtschaftstätigkeit dehnt sich unaufhaltsam aus, der Einfluss des organisierten Verbrechens auf die allgemeine (legale) Wirtschaftstätigkeit nimmt zu, die Verflechtungen werden immer undurchschaubarer.

    Die Profite des internationalen Drogenhandels und die wachsende Brutalisierung der Drogenhändler sind – so die Lageanalyse des UN-Suchtstoffkontrollrates – zur »direkten Bedrohung der politischen und wirtschaftlichen Strukturen ganzer Länder« geworden.

    Nicht nur in den Konsumentenländern des industrialisierten Nordens steigt die Zahl der Süchtigen, sie steigt auch in den Produzentenländern des Südens, wo sich mit den Schießgiften auch das HI-Virus und die Krankheit Aids verbreitet.

    Überall geht die Schere zwischen Therapiebedarf und Therapieangebot weit auseinander.

    Die Sekundärfolgen eines süchtigen Drogenkonsums – Beschaffungskriminalität und Beschaffungsprostitution – erweisen sich in immer mehr Städten des industrialisierten Nordens als ein sozialer Sprengstoff, der die allgemeine Entwicklung nach rechts und die Tendenz zum Polizeistaat begünstigt.

    Der Finanzbedarf des Repressionsapparates – Polizei, Armee, Zoll, Strafvollzugssystem usw. – und die Profite der Drogenhändler schaukeln sich gegenseitig hoch, die direkten und indirekten Kosten der Prohibition bewegen sich in ähnlichen Größenordnungen wie die Profite der Händler, die diese wiederum ausschließlich der Prohibition verdanken. Hierbei handelt es sich um Milliarden-Dollar-Beträge. Ich scheue mich jedoch, Zahlen zu nennen, weil diese meist nicht überprüfbar sind. Die in Umlauf gebrachten Angaben über Umsätze und Profite stammen häufig aus Geheimdienstquellen. Lange Zeit hatten die Geheimdienste ein Interesse daran, die Umsatzzahlen so niedrig wie möglich zu halten, um ihr Versagen bei der Sicherstellung von Kontrabande und der Aufdeckung von Narco-Dollar-Transaktionen nicht allzu offenkundig werden zu lassen. Mit dem Ende des sogenannten Kalten Krieges und dem Verlust an klassischen Geheimdienstaufgaben stehen die enorm aufgeblasenen Geheimdienstapparate vor der Frage, wie sich das Know-how des hoch spezialisierten Personals auf andere Aufgaben umorientieren lässt. Der Kampf gegen den internationalen Drogenhandel steht ganz oben in der Prioritätenliste neuer Aufgabenstellungen. Die Geheimdienste sind heute also daran interessiert, das Problem so dramatisch wie möglich darzustellen, um mit dem gewünschten Auftrag betraut zu werden. Man ist also gut beraten, Zahlenangaben nach unten zu korrigieren. Das Problem bleibt auch so dramatisch genug.

    Auch die Todesstatistik verzeichnet von Jahr zu Jahr eine hochprozentige Zuwachsrate, eine Statistik, die im Übrigen, so schrecklich sie auch so schon ist, die tödliche Realität des internationalen Drogenbusiness nur andeutungsweise wiedergibt. Vollständig wäre sie erst dann, wenn sie auch die Menschen mitzählte, die in den Anbauregionen entweder von Sprühgiften aus der Luft oder von Spezialtruppen zu Lande niedergemacht wurden. Statistisch relevant sind auch die Toten von Kabul, die zwischen die Fronten rivalisierender Opiumbanden – in den Medien gerne auch Freiheitskämpfer genannt – gerieten und von Waffen niedergestreckt oder verkrüppelt wurden, deren Beschaffung aus den Einnahmen des Opium- und Heroinhandels finanziert wurde.¹¹

    Die prohibitiv-repressive Drogenpolitik in den Konsumentenländern des Nordens ist gescheitert. Dafür sprechen alle Daten.

    Gescheitert sind aber auch alle Versuche, diese zwar längst erkannte, politisch aber noch lange nicht eingestandene gesellschaftliche Fehlentwicklung mittels Reparaturmaßnahmen zu beheben.

    So wurde vorgeschlagen, anstatt die Felder zu zerstören und die Ernten zu vernichten, seien Anreize zu schaffen, den Anbau von Koka oder Mohn oder Hanf aufzugeben und auf andere marktgängige Produkte umzustellen.

    Originell daran ist einzig, dass es jemand wagt, angesichts der Weltmarktsituation für Agrarprodukte aus den Ländern des Südens einen so offenkundig betrügerischen Vorschlag überhaupt zu unterbreiten.

    Substitution, in diesem Fall der Austausch eines hochwertigen Agrarproduktes gegen ein minderwertiges, bewegt absolut nichts, was zur Einschränkung des Koka- oder Mohnanbaus führen würde.

    Ständig

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